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Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV

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302 Krystian Skoczowski<br />

2.3. Eugène Cardine <strong>und</strong> die gregorianische Semiologie<br />

Mit dem allmählichen Verlust einer den europäischen Kulturraum umspannenden,<br />

gemeinsamen Musikästhetik ging schon in den 1920er, sehr viel stärker aber seit den<br />

1960er Jahren der Wunsch nach der Entdeckung historischer Aufführungspraktiken<br />

einher. Von diesem Wunsch blieb auch der Gregorianische Choral nicht unberührt.<br />

Wie anfangs erwähnt, war es Dom Eugène Cardine, der dieses Ziel definierte.17 17 Cardine<br />

tat zunächst das Gleiche wie Mocquereau, indem er die frühen Quellen studierte,<br />

um aus ihnen <strong>Er</strong>kenntnisse für die Interpretation zu gewinnen. Bei der praktischen<br />

Umsetzung geht er aber bedeutend weiter: An den Stellen, wo der Quellenbef<strong>und</strong> vom<br />

offiziellen Notentext abweicht, gibt er den ältesten Quellen den Vorzug <strong>und</strong> korrigiert<br />

auf dieser Gr<strong>und</strong>lage die Melodien der Editio Vaticana. Im Hinblick auf den Rhythmus<br />

lehnt Cardine eine vorgefaßte Methode ab <strong>und</strong> stellt den Rhythmus allein in das Licht<br />

des semeiographischen Bef<strong>und</strong>s. Seine Arbeit findet ihre Fortsetzung im Wirken von<br />

Forschern, darunter Weggefährten, Schüler <strong>und</strong> wiederum deren Schüler, die sich 1975<br />

in der AISCGre (Internationale Gesellschaft für Studien des Gregorianischen Chorals)<br />

zusammengeschlossen haben. Die deutschsprachige Sektion der AISCGre stellt ihre<br />

Studienergebnisse in der Zeitschrift »Beiträge zur Gregorianik« vor. Seit 1996 werden<br />

hier die durch vergleichende Quellenstudien entwickelten »Vorschläge zur Restitution<br />

von Melodien des Graduale Romanum« veröffentlicht. 18 Die Vorschläge weichen zum<br />

Teil nur wenig, zum Teil aber auch erheblich von den Melodiefassungen der Editio<br />

Vaticana ab. Im Frühjahr 2011 erschien als jüngstes <strong>Er</strong>gebnis dieser Studien der erste<br />

Band des »Graduale Novum«. 19<br />

Auf dem Gebiet der Aufführungspraxis hat sich infolge von Cardines Wirken ein breites<br />

Spektrum unterschiedlicher Interpretationsstile entwickelt, die – eine a-priori-Methode<br />

<strong>und</strong> damit auch die Solesmenser Schule ablehnend – mit unterschiedlicher Konsequenz<br />

die rhythmischen Hinweise früher Quellen im Gesang umsetzen. Das <strong>Er</strong>scheinen des<br />

Graduale Triplex (1979), das über <strong>und</strong> unter die Quadratnotation des Graduale Romanum<br />

auch je eine Neumenüberlieferung der St.-Galler <strong>und</strong> der Metzer Schreibschule<br />

setzte <strong>und</strong> diese Quellen damit allgemein zugänglich <strong>und</strong> anwendbar machte, führte<br />

17 Daß weder Cardine noch seine Schüler den Begriff »Historische Aufführungspraxis« wörtlich<br />

verwenden, bedeutet nicht, daß sie dieses Ziel nicht verfolgten. Die Evidenz dieses<br />

Anspruchs geht aus Cardines Definition der gregorianischen Semiologie hervor. Vgl. Sr.<br />

Emmanuela Kohlhaas: »Musik <strong>und</strong> Sprache im Gregorianischen Gesang« (Dissertation Universität<br />

Bonn 2000), Stuttgart 2001, S. 35ff.<br />

18 In: »Beiträge zur Gregorianik« (BzG, seit 1985). Die Vorschläge zur Melodierestitution beginnen<br />

mit Band 21.<br />

19 »Graduale Novum. Editio magis critica iuxta SC 117«, Tomus I, de Dominicis et Festis, Regensburg<br />

2011.

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