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Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV

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300 Krystian Skoczowski<br />

einbrachten, orientierte sich Mocquereau wie schon bei der Melodiefrage an den älteren<br />

Handschriften. In f<strong>und</strong>amentalen Studien zum musikalischen Rhythmus, besonders<br />

zum Rhythmus des Chorals, entwickelte er eine Interpretationsmethode, die er in seinem<br />

monumentalen zweibändigen Werk »Le nombre musical« 9 detailliert zusammengefaßt<br />

<strong>und</strong> die Eingang in die Vorworte <strong>und</strong> Choralschulen zahlreicher Choralausgaben<br />

gef<strong>und</strong>en hat. Diese »solesmensische« Schule des Choralgesangs hat sich spätestens seit<br />

den 1920er Jahren in ganz Europa sowie Teilen Nordamerikas verbreitet <strong>und</strong> durchgesetzt.<br />

10 Die breite Akzeptanz der Schule von Solesmes kann darauf zurückzuführen sein,<br />

daß die Melodien durch die behutsame Rhythmisierung <strong>und</strong> Gliederung einen größeren<br />

musikalischen Reiz gewinnen, als wenn sie in beinahe einheitlichen rhythmischen<br />

Werten <strong>und</strong> weitgehend nur durch Pausenzeichen gegliedert vorgetragen werden. Durch<br />

den von Mocquereau <strong>und</strong> seinen Brüdern in der monastischen Praxis entwickelten <strong>und</strong><br />

erprobten Rhythmus erhalten die Gesänge eine musikalische Differenzierung <strong>und</strong> Konkretisierung,<br />

ohne jedoch die Interpretation übermäßig zu erschweren. 11<br />

Mocquereau ging bei der Rhythmisierung der Gesänge mit einfachen Mitteln vor, da seine<br />

Methode eine große Verbreitung finden <strong>und</strong> daher gr<strong>und</strong>sätzlich auch für musikalische<br />

Laien verständlich <strong>und</strong> umsetzbar sein sollte: 12 <strong>Er</strong> ver<strong>sah</strong> den Quadratnotentext mit Dehnungszeichen<br />

(waagrechtes Episem: vergleichbar dem Tenutostrich moderner Notation),<br />

Zeichen für doppelten Wert (Punkt-Episem: Punkt hinter der Note) <strong>und</strong> rhythmischen<br />

9 Tournai 1908 (Band I) <strong>und</strong> 1927 (Band II).<br />

10 Besonders die Veröffentlichung der Solesmensischen Choralschule im »Liber Usualis« <strong>und</strong><br />

ihre Unterweisung in der Priesterausbildung dienten ihrer großflächigen Verbreitung <strong>und</strong><br />

Etablierung, aber auch die Integration der Mocquerauschen Rhythmuslehre in das System<br />

der amerikanischen Musikpädagogin Justine Ward (1879-1975) trug zur ihrer Verbreitung<br />

maßgeblich bei. (vgl.: Gabriel Steinschulte: »Die Ward-Bewegung«, Regensburg 1979).<br />

11 Johannes Berchmans Göschl wendet ein, »daß man in Solesmes selbst nie nach diesem System<br />

gesungen hat,« das er kurz zuvor als »irreführend« bezeichnet, »sondern zu jeder Zeit<br />

an dem von Dom Guéranger ererbten, am Wort orientierten Gesangsstil festgehalten hat«<br />

(BzG, Band 44, Regensburg 2007, S. 73). Hier ist jedoch zu bemerken, daß der klangliche<br />

Unterschied zwischen der Mocquereauschen Methode <strong>und</strong> dem in Solesmes praktizierten<br />

Gesangsstil keineswegs so gravierend ist, daß man von zwei unterschiedlichen Gesangsstilen<br />

sprechen könnte. Als Beleg hierfür dienen die zahlreichen älteren Aufnahmen des<br />

Solesmenser Konvents, z. B. die in Fußnote 16 genannten.<br />

12 Diesem Aspekt ist hohe Bedeutung beizumessen. Zum einen kannte Mocquereau als Solesmenser<br />

Mönch die tägliche Choralpraxis im Konvent <strong>und</strong> ließ sich daher bei der rhythmischen<br />

Einrichtung der Melodien selbstverständlich auch von <strong>Er</strong>wägungen der Praktikabilität leiten,<br />

zum anderen war es der Wunsch der höchsten kirchlichen Autorität, daß der Choral von vielen<br />

gesungen werden sollte. So formulierte Papst Pius X. schon 1903: »Namentlich sorge man<br />

dafür, daß der Gregorianische Gesang beim Volke wieder eingeführt werde,…« (Motu Proprio<br />

»Inter Pastoralis Officiis«). Dieser Wunsch nach einer breiten Pflege des Chorals wurde später<br />

vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegriffen <strong>und</strong> wiederholt (s. Fußnoten 28 <strong>und</strong> 37).

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