Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV
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292 Robert Kramer<br />
der die »Zeichen der Zeit« nicht versteht <strong>und</strong> der das gemeinsame Priestertum aller,<br />
sein prophetisches Amt <strong>und</strong> den Dienst an der Einheit überhaupt nicht wahrnimmt.<br />
Auch hier kann man feststellen, daß solche Abstraktionen Surrogate ideologischer<br />
Wunschträume sind. Ist es nicht vielmehr so? Während Katholiken früher angeblich<br />
vom Individualismus geprägt waren, haben sie doch gemeinsam vor Tisch gebetet,<br />
während der »moderne Christ« solches öffentliche Beten eher vermeidet. Oder: früher<br />
habe es kein plurales Leben gegeben! Warum gab es da so viele Jugend verbände <strong>und</strong><br />
unterschiedliche <strong>Er</strong>wachsenengruppen? Oder warum konnte man gerade in der Liturgie<br />
einer Mehrzahl von Formen begegnen (Stille Messe; Hochamt; Bet-Sing-Messe;<br />
Bet-Messe)?<br />
Ein besonderes Kapitel bildet das Kirchenbild des Dialogpapiers., indem man zwischen<br />
einer »Kirche vor dem Konzil« <strong>und</strong> einer »Kirche nach dem Konzil« unterscheidet.<br />
(1) Kirche vor dem Konzil:<br />
Sie war Ausdruck päpstlicher Vorstellungen <strong>und</strong> politischer Verhältnisse des Hochmittelalters<br />
<strong>und</strong> der frühen Neuzeit <strong>und</strong> damit eine monarchische Einheit. Die Weihehierarchie<br />
wurde als organisa torisches Über- <strong>und</strong> Unterordnungsverhältnis umgedeutet. In<br />
der hierarchischen Sozialordnung stand der Papst an der Spitze, unter ihm die Bischöfe,<br />
noch tiefer die Kleriker <strong>und</strong> zuletzt die Laien. Es galten vier Vorzugsregeln: Gesamtkirche<br />
vor Ortskirche (universalistisches Kirchenbild), Amtsträger vor Gemeinden <strong>und</strong><br />
Charismen (Klerikalismus), monarchische vor kollegialer Amtsstruktur (Zentralismus)<br />
<strong>und</strong> Einheit vor Vielfalt (Uniformität). Ein hierarchischer Führungsstil nahm mit<br />
Selbstverständlichkeit an, daß Verantwortung <strong>und</strong> Geistbegabung bei der Hierarchie<br />
in größerem Umfang vorhanden sei, so daß alle wesentlichen Entscheidung dort zu<br />
treffen seien.<br />
Die vier Wesensmerkmale der Kirche werden negativ besetzt: Einheit wird als Uniformität<br />
diffamiert, Heiligkeit als Klerikalismus, Katholizität als »universalistisch«, Apostolizität<br />
als Zentralismus. Autorität wird als »monarchisch«, »hierarchisch«, »obrigkeitlich«<br />
belegt, wobei der eigene Machtanspruch nicht thematisiert wird.<br />
Die »Neue Linke« (vgl. Anm. 11), die damals die gegenwärtige gesellschaftliche Wirklichkeit<br />
zugunsten einer utopischen, auf Freiheit, Mündigkeit, Selbstbestimmung <strong>und</strong><br />
Herrschaftsfreiheit beruhenden »demokratischen« (Dialogpapier: »synodalen«) Gesellschaft<br />
ablehnte, inspirierte auch die Kirchenkritiker dazu, daß das hierarchische Bild