Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV
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288 Robert Kramer<br />
klären »Was soll ich tun?« In den philosophischen Schriften Piatons (um 400 v.Chr.:<br />
»Gastmahl«; »Phaidon«) diente der Dialog dazu, einen Dialogpartner schrittweise zur<br />
Wahrheit hinzuführen. Die Wahrheit wird hier nicht erst im Dialog entdeckt, sondern<br />
aufgedeckt.<br />
Unser heutiger Dialog-Begriff ist demgegenüber eher von der Aufklä rung her zu verstehen.<br />
Für Lessing z. B. (1728-1781) war nicht der Besitz der Wahrheit, sondern die<br />
ständige Wahrheitssuche im geschichtlichen Prozeß der angemessene Umgang mit der<br />
Wahrheit. Lessing: »Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit <strong>und</strong> in seiner Linken<br />
den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatz, mich immer<br />
auf ewig zu irren, verschlossen hielte <strong>und</strong> spricht zu mir: ›Wähle!‹ ich fiele ihm<br />
mit Demut in seine Linke <strong>und</strong> sagte: ›Vater, gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur<br />
für dich allein‹«. 3 Vereinfacht also läßt sich feststellen: Es gibt zwei gr<strong>und</strong>verschiedene<br />
Dialogbegriffe: In der platonischen Philosophie ist einer der Dialogpartner im Besitz<br />
der Wahrheit (Lehrer), die objektiv erkennbar ist 4 <strong>und</strong> durch geschicktes Fragen einem<br />
»Schüler« aufgedeckt werden kann. Seit der Aufklärung dagegen versteht man unter<br />
Dialog das gemeinsame Ringen um Wahrheit, die objektiv letztlich nicht erkennbar<br />
ist 5 . Diese Anschauung wurde in der Antike durch die Sophisten vertreten, die sich<br />
anheischig gemacht hatten, ihren Schülern beizubringen, wie man alles subjektiv zur<br />
»Wahrheit« machen kann.<br />
Auch die Kommission 8 des Zentralkomitees von 1991 hatte ganz auf Lessings Dialogbegriff<br />
einer gemeinsamen Wahrheitssuche gesetzt, weshalb sie den Wahrheitsbesitz<br />
vor allem bei den Amtsträgern ablehnt <strong>und</strong> eine gemeinsame Wahrheits-Suche aller<br />
einfordert – <strong>und</strong> zwar unter dem Begriff »Geschwisterlichkeit«(28): Dieser Modebegriff<br />
mancher Kirchenkreise stammt aus dem Umfeld der Gnosis, wenn er nicht sogar<br />
gnostisch ist. Anders als die vom hierarchischen Amt bestimmte Kirche kannten die<br />
Gnostiker keinen Unterschied zwischen Mann <strong>und</strong> Frau, zwischen allgemeinem <strong>und</strong><br />
Amtspriestertum. Dieser Traum von einer »geschwisterlichen Kirche« führte aber rasch<br />
in die Häresie 6 . Interessant ist auch im Dialogpapier die Forderung nach »Eigen- nicht<br />
Fremdbestimmung«. Diese Unterscheidung verweist auf die Aufklärungsphilosophie,<br />
vor allem auf Kant mit seiner Unterscheidung einer heteronomen <strong>und</strong> autonomen Mo-<br />
3 Zitiert aus einem Nachwort von Helmut Thielicke: Reclam Universal-Bibliothek Nr. 8968.<br />
Stuttgart 1969, zu: G.E.Lessing, Die <strong>Er</strong>ziehung des Menschenge schlechts <strong>und</strong> andere Schriften,<br />
S. 01<br />
4 »von Natur aus« (= physei)<br />
5 von der subjektiven Einsicht oder Absicht = Thesei her. was »Beliebigkeit« zur Folge hatte.<br />
6 Vgl. Elaine Pageis, Versuchung durch <strong>Er</strong>kenntnis – Die gnostischen Evangelien. Suhrkamp<br />
TB.