Die „andere“ Zeit - Glashütte Original

Zeitzeuge Kent Nagano
Warum legen Sie darauf so viel Wert?
In den gegenwärtigen High-Tech-Zeiten hat es mehr Bedeutung
als jemals zuvor, die Künste nach besten Kräften zu fördern und
sowohl das Wissen über sie als auch die Liebe zu ihnen an die
nächste Generation weiterzugeben. Unsere Kinder sollen spüren,
dass klassische Musik nicht elitär ist. Sondern dass sie allen gehört
– unabhängig von Alter oder Gesellschaftsschicht.
Unsere Zeit ist extrem schnelllebig. Menschen sind es gewohnt, in
immer kürzerer Zeit immer mehr Informationen aufzunehmen.
Reagieren Sie auf derartig veränderte Wahrnehmungsgewohn -
heiten, indem Sie Opern oder Konzerte schneller dirigieren oder
kürzere Werke zur Aufführung bringen?
Nein! Alles ist relativ. Ein kurzes Stück kann lang und ein langes
kurz erscheinen. Das hängt sehr stark von der Qualität des
Stückes und der Aufführung sowie von dem Kontext ab, in dem
man es hört. Und nicht vom Tempo des Dirigenten.
Wie wichtig ist der Faktor Zeit bei Ihrer Arbeit?
Ich muss meine Aufgaben innerhalb eines limitierten Zeitrahmens
erfüllen. Meine Armbanduhr – im übrigen seit vielen Jahren das
gleiche, einfache Modell – ist für mich ein praktisches Hilfsmittel,
um effizient zu sein. Aber auch im allgemeinen Sinne ist es in der
Arbeit eines Künstlers sehr wichtig, das Konzept der Zeit unter
Kontrolle zu haben. Sie kann für Perspektiven und einen Kontext
sorgen. Außerdem kann sie beim Zuhörer ein Gefühl der Über -
raschung auslösen, wenn er ihr Fortschreiten gar nicht bemerkt.
Momentan haben Sie die künstlerische Gesamtleitung der Staats -
oper. Ab September 2008 werden Sie Klaus Bachler, der momentan
noch das Wiener Burgtheater leitet, als Intendanten an Ihrer Seite
haben. Wird sich Ihre Arbeit dadurch verändern?
Es wird mit Sicherheit keine Zäsur geben. Sondern eine Weiter ent -
wicklung. Der Einfluss von Klaus Bachler, auf dessen Kommen ich
sehr gespannt bin, ist auch jetzt schon da, weil er seine Ideen be -
reits in unser Team einbringt. Mit unserer Zusammenarbeit verbin de
ich die Aussicht auf eine abenteuerreiche Zukunft der Oper. ✺
12 Momentum 2· 2007
Je länger die Beziehung
zur Musik ist, desto tiefer
und inniger wird sie.
Deshalb ist der Weg in
meinem Beruf unendlich
Kent Nagano Vita
Kent Nagano wurde 1951 in Kalifornien geboren. Schon als Kind
bekam der Enkel japanischer Einwanderer, dessen Eltern trotz ihrer
Berufe als Architekt bzw. Mikrobiologin und Pianistin eine Farm
be wirtschafteten, eine solide Grundausbildung am ambitionierten
Kon servatorium des kalifornischen Küstenstädtchens Morro Bay.
An schlie ßend studierte Nagano in Santa Cruz, San Francisco und
Toronto Komposition, wobei sich das Dirigieren als seine besondere
Stärke herauskristallisierte. Dass er dabei immer wieder mit der für
die Klassik maßgeblichen europäischen Tradition in Berührung kam,
prägte ihn so sehr, dass er sich zu einer Koryphäe für (Ur-)Aufführun gen
des französischen Komponisten Olivier Messiaen entwickelte. Und
außerdem nach einem Engagement als Assistent von Seiji Ozawa
beim Bostoner Symphony Orchestra von 1989 bis 1998 die musikalische
Leitung der Opéra National de Lyon übernahm sowie sieben Jahre
parallel dem Hallé Orchestra in Manchester vorstand. Ähn liche
Doppelrollen spielte der mit einer japanischen Pianistin Verhei ratete
und Vater einer Tochter auch in der Folge auf transkontinen talem
Niveau: Bis 2006 war Nagano künstlerischer Leiter des Deutschen
Symphonie-Orchesters Berlin und Music Director der Los Angeles
Opera. Seither leitet er ne ben der Bayerischen Staatsoper auch das
Orchestre Symphonique de Montréal.
www.kentnagano.de & www.bayerische.staatsoper.de & www.osm.ca