Die „andere“ Zeit - Glashütte Original
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Wie gehen Sie mit diesem Mix aus Tradition und Moderne an der<br />
Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft um?<br />
Für meine erste Saison in München habe ich ein Programm zusam -<br />
mengestellt, das von Giuseppe Verdi über Richard Strauss und<br />
Modest Mussorgsky bis hin zu <strong>Zeit</strong>genossen wie Wolfgang Rihm<br />
oder der Koreanerin Unsuk Chin reicht. Ähnlich epochenübergreifend<br />
wird das zweite Jahr, in der ab Ende Sep tember Barockes von<br />
Händel ebenso wie Mozarts „Idomeneo“ oder zwei Klassiker des<br />
20. Jahrhunderts – Busonis „Dr. Faust“ und Henzes „Bassariden“ –<br />
anstehen, davon drei Premieren unter meinem Dirigat.<br />
Welche Kriterien sind bei Ihrer Auswahl entscheidend?<br />
Maßgeblich war für mich und mein ebenso kompetentes wie wundervolles<br />
Team nicht, ob es sich um alte oder neue Musik handelt.<br />
Sondern allein die Relevanz und Aussagekraft der Stücke. <strong>Die</strong><br />
Meisterwerke der klassischen Musik sind deshalb Meisterwerke,<br />
weil sie wegen ihrer revolutionären Ansätze fast immer zur<br />
Avantgarde ihrer Entstehungszeit zählten. Und weil sie außerdem<br />
eine zeitübergreifende Dimension haben, aus der wir – und hoffentlich<br />
auch die kommenden Generationen – Identität und Lebens -<br />
qualität schöpfen können.<br />
Was genau ist darunter zu verstehen?<br />
Musik kann existenzielle Erlebnisse auslösen und Menschen mit<br />
ihrer Stärke vollkommen absorbieren. Im Idealfall bewegt man sich<br />
mit der Kraft der Musik gleichsam aus dem Konzertsaal hinweg,<br />
schwebt vorübergehend in anderen Sphären.<br />
Wie viel Hintergrundwissen ist notwendig, um Musik auf solche Art<br />
erleben und verstehen zu können?<br />
Dazu muss man nicht zwingend ein regelmäßiger Klassik-Hörer<br />
oder gar Musiker sein. Werke wie die 9. Sinfonie von Beethoven<br />
erreichen auch unerfahrene Zuhörer. Denn sie haben eine unge-<br />
Musik kann existenzielle Erlebnisse auslö sen<br />
und Menschen mit ihrer Stärke vollkommen<br />
absorbieren. Im Idealfall schwebt man durch<br />
sie vorübergehend in anderen Sphären<br />
heure Tiefe, sind quasi die Stimme der Menschheit. Nicht umsonst<br />
ist dieses Stück überall auf der Welt extrem populär.<br />
Vor Ihrem Amtsantritt als Generalmusikdirektor in München haben<br />
Sie eine kurze Auszeit genommen. Wie haben Sie diese freien<br />
Monate verbracht?<br />
Manche mögen unter einer Pause Nichtstun verstehen. Und natürlich<br />
ist auch für mich <strong>Zeit</strong> – vor allem unerwartete – ein Ge -<br />
schenk. Mich aber entspannt es am meisten, der meiner An sicht<br />
nach gefährlichen Routine den Rücken zu kehren, indem ich ein<br />
anderes Orchester dirigiere, auf einer kleineren Bühne stehe oder<br />
mich in der Bibliothek vergrabe, um auf diesem Weg zu möglichst<br />
vielen Informationen und somit neuen Perspektiven zu finden. In<br />
diesem Sinne habe ich mein Sabbatical so ausgiebig als<br />
Studienzeit ge nutzt, dass dabei noch für Jahre im Voraus Ideen<br />
entstanden sind.<br />
Welche waren das zum Beispiel?<br />
Im Mittelpunkt stand natürlich die Programmplanung für die kommenden<br />
Spielzeiten, die bewusst die Tradition honoriert, aber<br />
parallel wichtige <strong>Zeit</strong>genossen zum Zug kommen lässt. Angedacht<br />
habe ich aber auch einen „Ball der Künste“, der die Oper zu einem<br />
Teil der Gesellschaft und das Publikum zur Bühne macht.<br />
Außerdem habe ich mich mit einem Brückenschlag zur bildenden<br />
Kunst beschäftigt, der während der Opernfestspiele 2007 seinen<br />
Ausdruck in einem ersten großen gemeinsamen Aus stellungs -<br />
projekt von Bayerischer Staatsoper und Pinakothek der Moderne<br />
finden wird: einem Dialog unterschiedlicher ästhetischer Diszi -<br />
plinen, der um Lewis Carrolls Literaturklassiker „Alice in<br />
Wonderland“ kreist. Zusätzlich habe ich an Plänen zur Ver stär -<br />
kung der mir seit vielen Jahren sehr wichtigen Nachwuchsarbeit<br />
gefeilt, darunter das Jugendorchester ATTACCA oder die<br />
THEATerLEBEN-Angebote für Schüler und Studenten.<br />
Momentum 2· 2007<br />
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