Die „andere“ Zeit - Glashütte Original

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Zeitzeuge Kent Nagano Kent Nagano versteht Oper nicht als kulturelles Privileg einer Elite. Sondern als Allgemeingut. Eines seiner wichtigen Anliegen ist Nachwuchsarbeit für Kinder und Jugendliche aus allen Schichten 10 Momentum 2· 2007
Wie gehen Sie mit diesem Mix aus Tradition und Moderne an der Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft um? Für meine erste Saison in München habe ich ein Programm zusam - mengestellt, das von Giuseppe Verdi über Richard Strauss und Modest Mussorgsky bis hin zu Zeitgenossen wie Wolfgang Rihm oder der Koreanerin Unsuk Chin reicht. Ähnlich epochenübergreifend wird das zweite Jahr, in der ab Ende Sep tember Barockes von Händel ebenso wie Mozarts „Idomeneo“ oder zwei Klassiker des 20. Jahrhunderts – Busonis „Dr. Faust“ und Henzes „Bassariden“ – anstehen, davon drei Premieren unter meinem Dirigat. Welche Kriterien sind bei Ihrer Auswahl entscheidend? Maßgeblich war für mich und mein ebenso kompetentes wie wundervolles Team nicht, ob es sich um alte oder neue Musik handelt. Sondern allein die Relevanz und Aussagekraft der Stücke. Die Meisterwerke der klassischen Musik sind deshalb Meisterwerke, weil sie wegen ihrer revolutionären Ansätze fast immer zur Avantgarde ihrer Entstehungszeit zählten. Und weil sie außerdem eine zeitübergreifende Dimension haben, aus der wir – und hoffentlich auch die kommenden Generationen – Identität und Lebens - qualität schöpfen können. Was genau ist darunter zu verstehen? Musik kann existenzielle Erlebnisse auslösen und Menschen mit ihrer Stärke vollkommen absorbieren. Im Idealfall bewegt man sich mit der Kraft der Musik gleichsam aus dem Konzertsaal hinweg, schwebt vorübergehend in anderen Sphären. Wie viel Hintergrundwissen ist notwendig, um Musik auf solche Art erleben und verstehen zu können? Dazu muss man nicht zwingend ein regelmäßiger Klassik-Hörer oder gar Musiker sein. Werke wie die 9. Sinfonie von Beethoven erreichen auch unerfahrene Zuhörer. Denn sie haben eine unge- Musik kann existenzielle Erlebnisse auslö sen und Menschen mit ihrer Stärke vollkommen absorbieren. Im Idealfall schwebt man durch sie vorübergehend in anderen Sphären heure Tiefe, sind quasi die Stimme der Menschheit. Nicht umsonst ist dieses Stück überall auf der Welt extrem populär. Vor Ihrem Amtsantritt als Generalmusikdirektor in München haben Sie eine kurze Auszeit genommen. Wie haben Sie diese freien Monate verbracht? Manche mögen unter einer Pause Nichtstun verstehen. Und natürlich ist auch für mich Zeit – vor allem unerwartete – ein Ge - schenk. Mich aber entspannt es am meisten, der meiner An sicht nach gefährlichen Routine den Rücken zu kehren, indem ich ein anderes Orchester dirigiere, auf einer kleineren Bühne stehe oder mich in der Bibliothek vergrabe, um auf diesem Weg zu möglichst vielen Informationen und somit neuen Perspektiven zu finden. In diesem Sinne habe ich mein Sabbatical so ausgiebig als Studienzeit ge nutzt, dass dabei noch für Jahre im Voraus Ideen entstanden sind. Welche waren das zum Beispiel? Im Mittelpunkt stand natürlich die Programmplanung für die kommenden Spielzeiten, die bewusst die Tradition honoriert, aber parallel wichtige Zeitgenossen zum Zug kommen lässt. Angedacht habe ich aber auch einen „Ball der Künste“, der die Oper zu einem Teil der Gesellschaft und das Publikum zur Bühne macht. Außerdem habe ich mich mit einem Brückenschlag zur bildenden Kunst beschäftigt, der während der Opernfestspiele 2007 seinen Ausdruck in einem ersten großen gemeinsamen Aus stellungs - projekt von Bayerischer Staatsoper und Pinakothek der Moderne finden wird: einem Dialog unterschiedlicher ästhetischer Diszi - plinen, der um Lewis Carrolls Literaturklassiker „Alice in Wonderland“ kreist. Zusätzlich habe ich an Plänen zur Ver stär - kung der mir seit vielen Jahren sehr wichtigen Nachwuchsarbeit gefeilt, darunter das Jugendorchester ATTACCA oder die THEATerLEBEN-Angebote für Schüler und Studenten. Momentum 2· 2007 11
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