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DER NORDEN - Agentur.ZS

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02 2011<br />

Bilfinger Berger Magazin<br />

8 Energiewende Flüssiggas aus Hammerfest | 24 Kinder und Karriere Skandinavier schaffen beides |<br />

30 Raumfahrt Dänische Tüftler wollen ins All | 36 Spitzbergen Saatgutbank im ewigen Eis<br />

<strong>DER</strong> <strong>NORDEN</strong><br />

Labor der Möglichkeiten


2 \\ IMPRESSUM<br />

Bilfinger Berger Magazin<br />

www.magazin.bilfinger.com<br />

Herausgeber:<br />

Bilfinger Berger SE<br />

Carl-Reiß-Platz 1 – 5<br />

68165 Mannheim<br />

Tel. 0621 459-0<br />

Fax 0621 459-2366<br />

www. bilfinger.com<br />

Verantwortlich:<br />

Michael Weber, Bilfinger Berger<br />

Chefredaktion:<br />

Dr. Daniela Simpson, Bilfinger Berger,<br />

Bernd Hauser, agentur.zs<br />

Kontakt:<br />

dsim@bilfinger.com<br />

Gestaltung und Layout:<br />

Steven Dohn, Theo Nonnen,<br />

Bohm und Nonnen, Büro für Gestaltung<br />

Bildredaktion:<br />

Helge Rösch, agentur.zs<br />

Titelbild: Steven Dohn<br />

Bildbearbeitung: Goldbeck Art<br />

Druck: ColorDruck Leimen<br />

Versandkoordination:<br />

Business Service Weber<br />

Das Bilfinger Berger Magazin erscheint<br />

zweimal jährlich auf Deutsch und Eng lisch.<br />

Alle Rechte sind vorbehalten. Namentlich<br />

gekennzeichnete Beiträge geben nicht in<br />

jedem Fall die Meinung des Herausgebers<br />

wieder. Nachdruck und elektronische Ver -<br />

breitung, auch auszugsweise, sind nur mit<br />

Genehmigung der Redaktion möglich.<br />

Das Bilfinger Berger Magazin wird auf FSCzertifiziertem<br />

Papier gedruckt.<br />

AUF <strong>DER</strong> INSEL MELKØYA IM <strong>NORDEN</strong> NORWEGENS WIRD<br />

GAS AUS DEN LAGERSTÄTTEN IM POLARMEER VERFLÜSSIGT.<br />

Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 3<br />

WAS WIR VON<br />

NORDEUROPA LERNEN<br />

Wie kommt es, dass die Skandinavier den anderen Europäern<br />

so oft voraus sind? Treibt sie die Kälte zur Eile? Führen<br />

die langen Nächte zu kreativen Höchstleistungen? Wir wissen<br />

es nicht. Sicher ist, dass sie sich komplexen Themen mit<br />

Frische und Experimentierfreude nähern. So kommt es,<br />

dass Dänemark, Norwegen und Schweden oft schon dort<br />

angekommen sind, wohin der Rest Europas gerade aufbricht.<br />

Unser Unternehmen ist seit vielen Jahren an richtungweisenden<br />

Projekten in Skandinavien beteiligt. In Hammerfest<br />

betreut Bilfinger Berger als Service-Partner Europas größte<br />

Gasverflüssigungsanlage. Sie wird eine wichtige Rolle<br />

bei der Erschließung der Gasvorkommen im Polarmeer<br />

spielen. Am Bau des City-Tunnels im schwedischen Malmö<br />

haben wir ebenfalls mitgewirkt. Der Tunnel ist das Herzstück<br />

eines modernen Stadtumbaus, der Malmö zum Vorbild<br />

für andere Industriemetropolen Europas macht.<br />

Auch wenn es um Chancengleichheit im Berufsleben<br />

geht, sind die skandinavischen Länder vorbildlich. Das<br />

liegt nicht nur am hervorragenden öffentlichen Betreuungsangebot<br />

für Kinder, sondern ganz besonders an modernen<br />

Rollenbildern und flexiblen Arbeitsbedingungen.<br />

Zwei norwegische Mitarbeiterfamilien zeigen uns, wie es<br />

gelingt, Familie und Beruf zu verbinden – und was der Preis<br />

dafür ist.<br />

Ihr<br />

HERBERT BODNER<br />

Vorstandsvorsitzender der Bilfinger Berger SE


4 \\ INHALT<br />

02 2011<br />

Bilfinger Berger Magazin<br />

2 Impressum<br />

3 Editorial<br />

4 Inhalt<br />

6 Kaleidoskop<br />

TITELTHEMA /// <strong>DER</strong> <strong>NORDEN</strong><br />

24 KIN<strong>DER</strong>, KÜCHE, KARRIERE<br />

Viele norwegische Mitarbeiterinnen<br />

von Bilfinger Berger haben Kinder<br />

und machen dennoch Karriere:<br />

nichts Außergewöhnliches in Skandinavien.<br />

Die Arbeitskultur ist auf<br />

Familien eingestellt, und auch die<br />

Väter packen zu Hause mehr an<br />

als in den anderen europäischen<br />

Ländern: ein Hausbesuch.<br />

28 MUTTERSÖHNCHEN<br />

Weil Männer auf ihre Mama hören,<br />

hängen bei Bilfinger Berger in Norwegen<br />

großformatige Porträts in<br />

Werkstätten und Produktionshallen:<br />

eine Kampagne zur Arbeits -<br />

sicherheit, die bei den Mitarbeitern<br />

ankommt.<br />

30 INS ALL UND ZURÜCK<br />

„Jeder kann in den Weltraum<br />

fliegen“, sagten sich die beiden däni-<br />

schen Bastler Kristian von Bengtson<br />

und Peter Madsen. Also besorgten<br />

sie sich Material im Baumarkt und<br />

28 30<br />

36<br />

STADTENTWICKLUNG FRAUENPOWER RAUMFAHRT<br />

WELTERNÄHRUNG ARCHITEKTUR<br />

8 <strong>DER</strong> NEUE <strong>NORDEN</strong><br />

Bei Hammerfest in Nordnorwegen<br />

steht Europas größte Anlage zur<br />

Verflüssigung von Erdgas. Sie ist die<br />

Voraussetzung, um die Schätze des<br />

Polarmeers zu heben. Bilfinger Berger<br />

ist als Service-Partner vor Ort.<br />

16 JUNGES MALMÖ<br />

16<br />

Die drittgrößte Stadt in Schweden<br />

galt lange als hässliches Entlein. Mit<br />

dem Niedergang der Werftindustrie<br />

versank Malmö in Arbeitslosigkeit.<br />

Die Stadtväter setzten auf neue<br />

Infrastrukturen. Heute präsentiert<br />

sich Malmö als selbstbewusste<br />

Kultur- und Bildungsmetropole.<br />

konstruierten eine Rakete. Noch in<br />

diesem Jahr soll sie starten.<br />

36 DIE VEREINIGTEN SAATEN<br />

Immer mehr Nutzpflanzenarten<br />

verschwinden. Mit dem wenigen,<br />

was bleibt, könnte die Menschheit<br />

für den Klimawandel schlecht<br />

gerüstet sein. Der Wissenschaftler<br />

Cary Fowler sammelt deshalb<br />

weltweit Saaten und lagert sie in<br />

einem eiskalten Felsgewölbe in<br />

Spitzbergen ein.<br />

40 HIPPE HÜTTEN<br />

Die Norweger verbringen ihre Wochenenden<br />

und Ferien gerne in der<br />

Natur, vorzugsweise in der eigenen<br />

„Hytte“. Nun erfindet das Hotel<br />

Juvet in der Nähe von Ålesund die<br />

alte Tradition neu. Die Architektur<br />

unterwirft sich ganz dem Haupt -<br />

zweck: dem Erleben der Natur.<br />

46 PIPPI POWER<br />

Vor siebzig Jahren erzählte Astrid<br />

Lindgren ihrer kleinen Tochter am<br />

Krankenbett die Geschichte von<br />

einem ungewöhnlich starken und<br />

frechen Mädchen – Pippi Lang -<br />

strumpf war geboren. Sie revolutionierte<br />

nicht nur die Kinderliteratur,<br />

sondern auch das Rollenbild der Frau.<br />

50 STRASSEN <strong>DER</strong> WELT:<br />

DIE EUROPASTRASSE 18<br />

Am Südzipfel Norwegens galt die<br />

E 18 lange als besonders gefährlich.<br />

Die Strecke war eng und kurvig, mit<br />

nur einer Spur pro Fahrtrichtung.<br />

Bilfinger Berger begradigte die Straße<br />

und baute sie vierspurig aus.<br />

Das Projekt ist eine der ersten öf fent -<br />

lich-privaten Partnerschaften in<br />

Norwegen.<br />

/// NEWS<br />

// 5<br />

40<br />

48 offshore-windpark / Bilfinger<br />

Berger baut die Fundamente für<br />

DanTysk in der Nordsee.<br />

ppp in nordirland / In Belfast werden<br />

Schulen saniert und erweitert.<br />

mehr strassen für polen / Ausbau<br />

der Nationalstraße 8.<br />

auftrag von eads / Montagelinien<br />

für den neuen Airbus A350 XWB.<br />

49 eu-standards für belchatow /<br />

Das größte Braunkohlekraftwerk<br />

Europas wird modernisiert.<br />

texanische ölindustrie / Bau von<br />

Pumpstationen und Tanklagern.<br />

bye-bye, mates! / Bilfinger Berger<br />

trennt sich von seinem Australiengeschäft.<br />

gebäudemanagement / Aufträge<br />

von BASF, Carl Zeiss und Orange<br />

Communications.<br />

münchens teuerstes penthouse /<br />

Auf dem Gelände eines Heizkraftwerks<br />

entsteht ein neues Viertel.


6 \\ KALEIDOSKOP Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

GROSSE WORTE<br />

„Im Norden sind die Völker<br />

ja nicht so heißblütig;<br />

auch sind sie nicht so hitzig<br />

auf Weiber versessen.“<br />

Voltaire<br />

GLÜCKLICHES DÄNEMARK<br />

Es ist gleich, welches der internationalen<br />

Rankings man wählt: Die Menschen in den<br />

skandinavischen Staaten scheinen besonders<br />

zufrieden mit ihrem Leben zu sein. Im „Gallup<br />

World Poll“, dessen Ergebnisse das amerikanische<br />

Wirtschaftsmagazin „Forbes“ ver -<br />

öffentlichte, liegt Dänemark auf Platz eins,<br />

gefolgt von Finnland, Norwegen und Schweden.<br />

Deutschland landete auf Platz 33, zwischen<br />

Belize und San Salvador.<br />

SCHLACHTENBUMMLER<br />

Die dänische Nationalflagge ist eine der<br />

ältesten der Welt. Im Jahre 1219 soll sie<br />

während einer schon verloren geglaubten<br />

Schlacht gegen die heidnischen Esten vom<br />

Himmel gefallen sein und das Kriegsglück<br />

gewendet haben. Damals gingen die Dänen<br />

siegreich vom Platz.<br />

“WE ARE RED, WE ARE WHITE,<br />

WE ARE DANISH DYNAMITE”,<br />

lautet auch der Ruf der dänischen Fußballfans.<br />

Häufig hoffen sie jedoch vergeblich auf<br />

einen ähnlich glücklichen Ausgang wie damals,<br />

als die Flagge vom Himmel herabkam.<br />

IM SCHWEDISCHEN DALARNA WERDEN SEIT JAHRHUN<strong>DER</strong>TEN<br />

SPIELZEUGPFERDE AUS HOLZ GESCHNITZT. SIE SIND ZUM SYMBOL<br />

FÜR SCHWEDEN GEWORDEN.<br />

SATTELFESTE SKANDINAVIER<br />

Ein Pferd hat vier Beine und kann trotzdem stolpern.<br />

Aus Dänemark<br />

Vertraue auf Dein Glück, aber binde Dein Pferd an.<br />

Aus Norwegen<br />

Es ist schwer, ein Pferd zu tränken, das den Kopf nicht niederbeugt.<br />

Aus Finnland<br />

Die wildesten Fohlen werden die besten Pferde.<br />

Aus Dänemark<br />

Das Pferd, das man nicht haben kann, hat immer einen Fehler.<br />

Aus Dänemark<br />

RAUF IN DEN<br />

<strong>NORDEN</strong><br />

/// Psychologen der kalifornischen Universität Berkeley sind einer<br />

seltsamen Wahrnehmungsstörung auf die Spur gekommen.<br />

Sie befragten Probanden, wie lange die Fahrt in bestimmte 500<br />

Kilometer entfernte Städte dauern würde. Die eine Stadt lag im<br />

Norden, die andere im Süden. Für die Reise in den Norden planten<br />

die meisten Befragten mehr Zeit ein. Die Wissenschaftler vermuten,<br />

dass „runter in den Süden“ weniger Zeitaufwand suggeriert<br />

als „rauf in den Norden“.<br />

2<br />

3<br />

1<br />

Foto: panoramio.com/Nygaard<br />

MÄCHTIG SCHNELL<br />

Der Jakobshavn Isbræ gilt als der am schnellsten arbeitende<br />

Gletscher der Erde. Täglich schiebt der im Westen Grönlands gelegenen<br />

Eisriese zwischen 16 und 40 Meter Eis ins Meer, bis zu<br />

35 Milliarden Tonnen im Jahr. Die abgebrochenen Eisberge des<br />

Gletschers können mehrere Kilometer lang sein und bis zu tausend<br />

Meter mächtig.<br />

FALSCH GEPOLT?<br />

1. <strong>DER</strong> GEOGRAFISCHE NORDPOL<br />

ist der Schnittpunkt der Erdachse mit der Erdoberfläche. Von dort<br />

aus kann man nur nach Süden blicken.<br />

2. <strong>DER</strong> ARKTISCHE MAGNETPOL<br />

ist der Punkt, an dem die magnetischen Feldlinien des Erdmagnetfeldes<br />

vertikal zur Erdoberfläche Richtung Erdmittelpunkt stehen.<br />

Er verschiebt sich ständig, rund 30 Kilometer pro Jahr. Der<br />

Norden, den uns die Kompassnadel anzeigt, ist also immer ein<br />

bisschen woanders.<br />

3. <strong>DER</strong> NORDPOL <strong>DER</strong> UNZUGÄNGLICHKEIT<br />

ist der küstenfernste Punkt im arktischen Polarmeer. Seine Koordinaten<br />

sind 84°03' Nord, 174°51' West. Von dort sind es 1453 Kilometer<br />

nach Alaska, jeweils 1094 Kilometer zum Ellesmere Island<br />

(Kanada) und zum Franz-Josef-Land (Russland).<br />

// 7


8 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

<strong>DER</strong> NEUE<br />

<strong>NORDEN</strong><br />

AM NÖRDLICHSTEN ENDE EUROPAS STEHT DIE GRÖSSTE ERD -<br />

GASVERFLÜSSIGUNGSANLAGE DES KONTINENTS: SIE IST DIE<br />

VORAUSSETZUNG, UM DIE SCHÄTZE <strong>DER</strong> ARKTIS ZU HEBEN.<br />

MATHIAS BECKER / TEXT /// ERIC VAZZOLER / FOTOS<br />

/// In Hammerfest liegen Vergangenheit und Zukunft nah beiei nander.<br />

Die Vergangenheit ist aus poliertem Marmor und von einem<br />

bronzenen Globus gekrönt: Die „Meridiansäule“ markiert die nörd -<br />

liche Grenze der Erdvermessung. Vor 150 Jahren war in dem winzigen<br />

Fischernest die Welt zu Ende. Die Zukunft dagegen flackert auf der<br />

kleinen Insel Melkøya vor der Stadt: Die Fackel der Erdgasverflüssigungsanlage<br />

ist so etwas wie das neue Wahrzeichen von Hammerfest.<br />

FRÜHER ARBEITETEN DIE MEISTEN MENSCHEN IM BESCHAULICHEN HAMMERFEST IN <strong>DER</strong> FISCHINDUSTRIE.<br />

HEUTE IST STATOIL MIT SEINER GASVERFLÜSSIGUNGSANLAGE (IM HINTERGRUND) <strong>DER</strong> GRÖSSTE ARBEITGEBER.<br />

// 9


10 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011 // 11<br />

TANKER LIEFERN DAS KOMPRIMIERTE FLÜSSIGGAS BIS NACH SÜDEUROPA UND IN DIE USA.<br />

RUND 320 <strong>DER</strong> EXTREM TEUREN SPEZIALSCHIFFE GIBT ES WELTWEIT.<br />

Keine zehn Jahre ist es her, da grasten auf Melkøya in<br />

den kurzen Sommern ein paar Schafe, und Kabeljau<br />

hing zum Trocknen in der Sonne. Doch im Sommer 2002<br />

holte der norwegische Energieriese Statoil rund 3000<br />

Arbeiter aus 40 Ländern nach Hammerfest, um die<br />

riesige Verflüssigungsanlage zu errichten. Vor der Stadt<br />

wurden Camps aufgebaut, sogar Kreuzfahrtschiffe wurden<br />

angemietet, um all die Spezialisten unterzubringen, die<br />

helfen sollten, eine wichtige Energiequelle der Zukunft<br />

zu erschließen: Im Arktischen Meer wird ein Viertel der<br />

weltweiten Öl- und Gasreserven vermutet. Die Erdgasverflüssigungsanlage<br />

vor Hammerfest ist der erste Schritt<br />

zu ihrer Nutzung. Heute erheben sich auf der Insel Melkøya<br />

Gastanks, groß wie Wohnblocks. Dort lagern bis zu<br />

370 000 Kubikmeter Flüssiggas. Gewonnen wird es aus<br />

dem Rohgas, das 140 Kilometer entfernt in der Barentsee<br />

gefördert wird. An der Wasseroberfläche ist davon<br />

nichts zu sehen. Das Gas wird mithilfe von sogenannten<br />

Subsea Templates erschlossen. Das sind auf den Meeresboden<br />

versenkte vollautomatische Zapfstellen, die das<br />

Rohgas aus dem Untergrund fördern und in Pipelines<br />

leiten, in denen es nach Melkøya strömt. Jeden Tag werden<br />

dort 13 000 Tonnen veredelt und bei minus 163 Grad<br />

Celsius verflüssigt. Die Entwicklung steht erst am Anfang,<br />

denn bislang werden nur die Gasfelder „Snøhvit“ und<br />

„Albatross“ angezapft; 2014 folgt mit „Askeladd“ ein<br />

drittes. Die Nummer vier, „Tornerose“, wird gerade<br />

erforscht. Falls die Gasvorkommen dort ebenfalls ergiebig<br />

sind, wird die Flüssiggasfabrik auf die doppelte<br />

Größe wachsen.<br />

SAUBERES IMAGE<br />

In flüssiger Form schrumpft das Gas auf ein Sechshundertstel<br />

seines Volumens. Das ist die Voraussetzung<br />

dafür, dass es mit Tankschiffen transportiert werden<br />

kann, die bis in die USA verkehren. Die Branche profitiert<br />

DAS RÖHRENLABYRINTH AUF MELKØYA IST WIND UND SALZHALTIGER<br />

LUFT AUSGESETZT. ENTSPRECHEND AUFWENDIG IST DIE WARTUNG.


12 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

DAS RETTUNGSTEAM ÜBT FÜR DEN ERNSTFALL.<br />

SCHWERE UNFÄLLE GAB ES NOCH NIE.<br />

von der Diskussion um den Klimawandel. Erdgas verursacht<br />

deutlich weniger Kohlendioxidemissionen als Kohle<br />

und Erdöl. In Hammerfest wird das bei der Verflüssigung<br />

abgeschiedene CO2 sogar zurück unter den Meeresboden<br />

gepumpt, 700 000 Tonnen jährlich. Das saubere Image<br />

trägt dazu bei, dass der Weltgaskonsum wächst. Bis 2030<br />

wird der Anteil des Flüssiggases laut einer Studie der<br />

Unternehmensbe ratung A. T. Kearney um durchschnittlich<br />

sechs Prozent im Jahr wachsen, die arktischen Lagerstätten<br />

sollen ihren Teil dazu beitragen.<br />

MASKEN GEGEN KÄLTEBRAND<br />

Im Schatten der Tanks zieht Kjetil Kvamme, 36, den Reißverschluss<br />

seiner Daunenjacke bis zum Kragen hoch. Er<br />

ist in Hammerfest geboren. Die Studienjahre verbrachte<br />

er in Bodø, doch dann zog es ihn nach Hause zurück. „Wenn<br />

ich über die Anlage gehe, bin ich noch immer fasziniert“,<br />

sagt Kvamme. Heute ist er dort Sicherheitsmanager.<br />

Sein Arbeitgeber ist BIS Industrier, ein norwegisches<br />

Unternehmen von Bilfinger Berger, das die kilometerlangen<br />

Rohrsysteme für die Flüssiggasproduktion instand<br />

hält und isoliert.<br />

Wind und Salzwasser setzen den Leitungen zu, die fast<br />

alle im Freien verlaufen. An ihnen zu arbeiten, ist kein Vergnügen.<br />

Insbesondere in der 65 Meter hohen, nach allen<br />

Seiten offenen „Cold Box“, wo das Gas Schritt für Schritt abgekühlt<br />

und schließlich verflüssigt wird, zieht es gewaltig.<br />

Zwar zeigt das Thermometer in Hammerfest dank des Golfstroms<br />

selten weniger als minus zehn Grad an. Bei Sturm<br />

fühlen sich die aber an wie minus 40. Die Arbeiter tragen<br />

Masken, um Kältebrand im Gesicht zu vermeiden.<br />

Auch die Flüssiggasrohre sind dick eingepackt. Minus<br />

163 Grad Celsius hat das heruntergekühlte verflüssigte Gas.<br />

Um solche Temperaturen zu halten, umkleidet BIS Industrier<br />

die Leitungen und Ventile mit vielen Lagen unterschiedlicher<br />

Isoliermaterialien – eine Wissenschaft für sich.<br />

DIE FISCHFABRIK WEICHT DEM KULTURHAUS<br />

„Wenn es kalt ist und der Wind um einen herum pfeift,<br />

schwindet die Konzentration“, sagt Kjetil Kvamme. „Besonders<br />

unsere Gerüstbauer arbeiten manchmal in gefähr -<br />

lichen Höhen und an sehr unzugänglichen Stellen.“ Die eigenen<br />

Grenzen richtig einzuschätzen, gehöre daher zu den<br />

wichtigsten Fähigkeiten. Deshalb schult Kvamme seine<br />

Leute darin, in Not geratene Kollegen zu bergen. „Unser Ziel<br />

ist es, einen Verunglückten innerhalb von fünf Minuten<br />

von jedem Ort auf der Anlage in Sicherheit zu bringen“, so<br />

Kjetil Kvamme. Zum Glück musste sein Rettungsteam bisher<br />

nur zu Übungen ausrücken: Nach dreieinhalb Jahren<br />

und rund drei Millionen Arbeitsstunden gab es bis auf<br />

SICHERHEITSMANAGER KJETIL KVAMME:<br />

„FÜR FAMILIEN IST HAMMERFEST EIN IDEALER ORT.“<br />

// 13


14 \\ ENERGIE Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

ALS SIEBZEHNJÄHRIGE ERGRIFF DIE TÄNZERIN EIRIHN KEÜER DIE FLUCHT.<br />

HEUTE TRAINIERT SIE DEN NACHWUCHS.<br />

einige leichte Schnittverletzungen keinen einzigen Unfall.<br />

70 Mitarbeiter sind ständig für BIS Industrier auf der<br />

Insel tätig. Im Frühjahr, wenn die Anlage einem Rundum-Check<br />

unterzogen wird, wächst die Truppe auf rund<br />

250 an. Die meisten arbeiten zwei Wochen durch und<br />

fliegen dann für drei Wochen zu ihren Familien in Südskandinavien.<br />

Ein Leben zwischen zwei Welten.<br />

Doch das große Pendeln könnte für viele von ihnen<br />

bald ein Ende haben, denn ganz offenbar wird Hammerfest<br />

als Wohnort interessant. „Als die Anlage gebaut wurde,<br />

hatten wir 9000 Einwohner“, sagt Bürgermeister Alf<br />

Jakobsen. „Jetzt sind es schon 10 000.“ Restaurants, Hotels,<br />

Läden und Taxi-Unternehmen: Jeder Job auf Melkøya<br />

zieht mehr als einen auf dem Festland nach sich. Zudem<br />

zahlt Statoil umgerechnet rund 20 Millionen Euro Grundsteuer<br />

in die Stadtkasse. Eine neue Schule und einen<br />

neuen Kindergarten hat sich die Gemeinde bereits geleistet.<br />

Die letzte Fischfabrik am Hafenbecken ist dem „Kulturhaus“<br />

gewichen – einem imposanten Glasriegel mit Kino,<br />

Theaterstätte, Musik- und Kunstschule. Derzeit werden<br />

die Straßen für neue Wasserleitungen aufgerissen, als<br />

nächstes will Jakobsen die Bürgersteige beheizen.<br />

ZWISCHEN RENTIEREN UND FLÜSSIGGASANLAGE<br />

Das Städtchen gewinnt an Attraktivität. Davon erzählt<br />

auch Eirihn Keüer, die in Hammerfest geboren wurde<br />

und aufgewachsen ist. Als 17-Jährige erhielt sie ein Stipendium<br />

für eine Tanzausbildung in St. Petersburg. „Ich<br />

musste einfach raus hier“, sagt sie. Zehn Jahre später, im<br />

Jahr 2009, bekam sie von Bürgermeister Jakobsen das<br />

Angebot, zurückzukommen und im frisch eingeweihten<br />

„Kulturhaus“ eine Tanzschule zu betreiben. Sie sagte zu.<br />

„Zu Beginn hatte ich 15 Tanzschüler“, erzählt sie, „heute<br />

sind es 150.“<br />

Im Gegensatz zu Tanzlehrerin Eirihn wusste BIS-Ma -<br />

n ager Kjetil Kvamme immer, dass er nach dem Studium<br />

zurückkehren würde in seinen Geburtsort. „Allerdings hat-<br />

te ich Bedenken, ob meine Frau sich hier wohlfühlt.“ Das<br />

hatte nämlich bei der ersten gemeinsamen Reise nach<br />

Hammerfest gar nicht danach ausgesehen: „Es war mitten<br />

im Winter, der Schnee türmte sich rechts und links der<br />

Straße haushoch auf, und dann blieb auch noch das Auto<br />

stehen“, erzählt Kvamme. Heute, zwölf Jahre später, kann<br />

sich seine Frau Grete keine bessere Heimat für ihre fünfköpfige<br />

Familie vorstellen. Der Kindergarten, die Schule,<br />

das Büro – kaum ein Weg ist weiter als ein Steinwurf.<br />

IDYLLE IN KÄLTE UND DUNKELHEIT: VON NOVEMBER BIS JANUAR SEHEN DIE<br />

MENSCHEN IN HAMMERFEST DIE SONNE NICHT AUFGEHEN.<br />

Im Sommer sonnen sich Rentiere am Straßenrand und im<br />

Winter gehen die Kinder eisfischen oder auf Schlittentour.<br />

Kürzlich haben die Kvammes ein Haus gebaut, bodentiefe<br />

Fenster geben eine grandiose Aussicht auf die Bucht frei.<br />

„Das ist ein idealer Ort“, sagt Grete Kvamme, „bis auf die<br />

Dunkelheit in den Wintermonaten.“ Von November bis<br />

Januar sehen die Menschen von Hammerfest die Sonne<br />

nicht. Dann spendet die Gasfackel von Melkøya ein fast<br />

schon tröstliches Licht. //<br />

// 15


16 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

DÄNEMARK<br />

KOPENHAGEN<br />

ÖRESUNDBRÜCKE<br />

ÖRESUND<br />

GÖTEBORG<br />

JUNGES MALMÖ<br />

LUND<br />

MALMÖ<br />

CITY-TUNNEL<br />

STOCKHOLM<br />

TRELLEBORG<br />

SCHWEDEN<br />

AM IDYLLISCH GELEGENEN HAUPTBAHNHOF VON MALMÖ<br />

STELLEN HUN<strong>DER</strong>TE VON PENDLERN IHRE FAHRRÄ<strong>DER</strong> AB,<br />

UM DURCH DEN NEUEN CITY-TUNNEL ZUR ARBEIT ZU GELANGEN.<br />

// 17<br />

LANGE GALT MALMÖ ALS HÄSSLICHES ENTLEIN.<br />

NUN HAT SICH DIE DRITTGRÖSSTE STADT SCHWEDENS<br />

NEU ERFUNDEN.<br />

CLEMENS BOMSDORF / TEXT /// UFFE WENG / FOTOS<br />

/// Vor zwanzig Jahren versuchte die örtliche Tageszeitung<br />

„Sydsvenskan“ den Einwohnern von Malmö mit einer Kampagne<br />

Selbstvertrauen einzuflößen. In der Stadt mit ihrem<br />

hohen Ausländeranteil ließ die Zeitung T-Shirts mit der<br />

Aufschrift drucken: „If you have seen Malmö, you have seen<br />

the world.“ Darauf tauchten in Lund, der benachbarten<br />

Universitätsstadt, Shirts mit einer spöttischen Antwort<br />

auf: „If you have seen Lund, you don’t have to see Malmö.“<br />

Die kleine Begebenheit zeigt, wie die Schweden lange<br />

über ihre drittgrößte Stadt dachten. Lund ist gelehrt, Göteborg<br />

geschäftig und Stockholm vornehm, Malmö aber<br />

war immer das proletarische Schmuddelkind. Anfang<br />

der 1960er Jahre lief dort in der Kockums-Werft jeden<br />

Monat ein neues Schiff vom Stapel, doch ab den 1970er<br />

Jahren war der Niedergang der Industrie nicht mehr aufzuhalten:<br />

Das Schmuddelkind wurde zum Sorgenkind<br />

Schwedens.<br />

BILDUNGSSTANDORT<br />

Heute spottet niemand mehr über Malmö. Die Zeiten von<br />

Fabrikschließungen und hoher Arbeitslosigkeit sind vorbei.<br />

Die Stadt strotzt vor Selbstbewusstsein: Sie hat in den vergangenen<br />

fünfzehn Jahren einen Wandel durchgemacht,<br />

von dem andere Städte mit alten Industrien in Europa<br />

lernen können. Die einstige Arbeiterstadt entpuppt sich<br />

als eine postindustrielle Universitäts-, Dienstleistungs- und<br />

Kulturstadt voller Leben und Dynamik.<br />

Als die Stadtväter in den 1990er Jahren erkannten,<br />

dass das Industriezeitalter für Malmö unwiederbringlich<br />

vorbei war, setzten sie auf neue Infrastrukturen, mit denen


18 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

VIDEOINSTALLATION<br />

IN <strong>DER</strong> METRO<br />

In der neuen Metrostation unter dem Hauptbahnhof blicken die<br />

Wartenden in die Weiten der sibirischen Steppe. Sie verlieren sich<br />

im Dschungel am Orinoco und beobachten die Enge in afrikanischen<br />

Wellblechsiedlungen: Auf allen Kontinenten hat die Künstlerin<br />

Tania Ruiz Gutierrez Videosequenzen gesammelt. Die Projektionsflächen<br />

haben abgerundete Ecken wie Zugfenster, die Bilder aus<br />

aller Herren Länder ziehen in endloser Fahrt am Betrachter vorbei:<br />

In der Metro wird Malmö zum Zentrum der Welt.<br />

der Dienstleistungssektor, Kultur und Bildung gefördert<br />

werden sollten. Der Aufbruch wurde sichtbar, als Malmö<br />

im Jahr 1998 seine Hochschule bekam, denn mit ihr kamen<br />

zunächst 5000 Studenten, die fortan das Stadtbild mitprägten.<br />

Mittlerweile studieren 23 000 junge Leute an der<br />

Universität.<br />

METROPOLREGION AM ÖRESUND<br />

Zur Jahrtausendwende eröffnete die Öresundbrücke, die<br />

ein wichtiger Motor für Malmös Zukunft wurde. Vorher<br />

war das Pendeln zum benachbarten Kopenhagen mühsam<br />

gewesen, denn es bestand nur eine Fährverbindung.<br />

Durch die Brücke rückten Dänemark und Schweden enger<br />

zusammen. Die vergleichs weise günstigen Mieten auf<br />

der schwedischen Seite zogen dänische Familien an und<br />

Malmö verjüngte sich weiter.<br />

Im Jahr 2001 lieferte die internationale Bauausstellung<br />

Bo01 den Startschuss für die Revitalisierung des<br />

Västra Hamnen, des Westhafens. Wo früher die Kockums-<br />

Werft lag, schufen nun international bekannte Architekten<br />

Referenzprojekte. Dazu zählt insbesondere das neue<br />

Wahrzeichen Malmös, der „Turning Torso“ des Spaniers<br />

IM WESTEN VIEL NEUES<br />

Der Westhafen war eine Industriebrache, bis die<br />

Stadtplaner ihn revitalisierten. „Wir wollten keinen<br />

weiteren stillen Vorort schaffen, sondern die Dynamik<br />

der Innenstadt nachempfinden“, sagt der inzwischen<br />

pensionierte Stadtplaner Hans Olsson. Neben dem<br />

Turning Torso wurden vor allem kleine, von unterschiedlichen<br />

Architekten entworfene Häuser gebaut:<br />

„Deshalb gibt es im Westhafen keine Eintönigkeit.“<br />

// 19


20 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

MO<strong>DER</strong>NA MUSEET<br />

Eine der bekanntesten architektonischen<br />

Neuerungen in Malmö ist die Filiale des<br />

Stockholmer Moderna Museet, die Ende<br />

2009 in einem ehemaligen Gaswerk eröffnet<br />

wurde. Der Direktor Magnus Jensner<br />

holt Ausstellungen mit internationalen<br />

Kunststars wie dem belgischen Maler Luc<br />

Tuymans oder dem revolutionären Ready-<br />

made-Künstler Marcel Duchamp in die<br />

Stadt. Jensner sieht sein Museum als<br />

Zeichen der Emanzipation Malmös. „Wir<br />

wollen die Stadt weiter nach vorne bringen“,<br />

sagt der Museumschef. „Wir wollen<br />

nicht nur aus Lund oder Kopenhagen<br />

Besucher anlocken, sondern auch aus<br />

Deutschland.“<br />

Santiago Calatrava. Der 190 Meter hohe Wohnturm mit und den Ausblick aufs Wasser leisten können. Auf dem<br />

seiner in sich gedrehten Fassade aus weißem Aluminium Sund ziehen Tanker und Containerschiffe vorbei, und die<br />

ist Schwe dens höchstes Gebäude, ein „Symbol für den knapp acht Kilometer lange majestätische Öresundbrü-<br />

Aufbruch unserer Stadt“, sagt Hans Olsson. Als Stadtplacke mit ihren mächtigen Pylonen und den harfenförmig<br />

ner hat Olsson die Entwicklung des Westhafens mitge- gespannten Stahlkabeln streckt sich in Richtung Kopenprägt,<br />

jetzt ist er pensioniert und führt Touristen durch hagen. In den Stoßzeiten kommen alle zehn Minuten<br />

das Vorzeigeviertel. Mittlerweile trifft sich an der Strand- Züge über die Brücke nach Malmö. Sie tauchen in<br />

promenade des Westhafens in den Mittagspausen ein den neuen City-Tunnel ein, der sie unter der Stadt hin-<br />

buntes Völkchen: Studenten aus den nahen Universitätsdurch zum Hauptbahnhof bringt. Der innerstädtische<br />

instituten, IT-Fachleute der neu angesiedelten Software- Nahverkehr ist durch zwei zusätzliche unterirdische<br />

Schmieden und Pensionäre, die sich hier ein Apartment Haltestellen an die Bahnlinie angebunden. So sind mit<br />

// 21


22 \\ STADTENTWICKLUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

BUNTES MÖLLEVÅNGEN<br />

„Früher zog, wer es sich leisten konnte, von Mölle -<br />

vången weg ins Grüne“, erzählt Julia Svensson, die als<br />

Journalistin der Regionalzeitung „Sydsvenskan“ über<br />

Stadtplanung und Stadtleben schreibt. „Dann entdeckten<br />

Einwandererfamilien und Studenten die preiswerten<br />

und großen Wohnungen und machten das Viertel<br />

lebendig.“ Plötzlich gefiel das Quartier mit seinen Cafés,<br />

türkischen Gemüsehändlern, arabischen Imbiss -<br />

stuben und Läden mit exotischen Waren auch jungen<br />

Besserverdienenden. Das Lokal „Kaffebaren“ ist einer<br />

der Lieblingsorte von Julia Svensson: Es herrscht ein<br />

ständiges Kommen und Gehen, die Leute sprechen<br />

Schwedisch, aber auch Arabisch oder Englisch.<br />

der Eröffnung des Tunnels, an dessen Bau auch Bilfinger<br />

Berger erheblich beteiligt war, die Stadtzentren von<br />

Malmö und Kopenhagen auf 30 Minuten zusammengerückt.<br />

Zwanzigtausend Berufspendler überqueren täglich<br />

den Sund, Prognosen gehen davon aus, dass sich<br />

ihre Zahl innerhalb der nächsten zehn Jahre nahezu verdoppeln<br />

wird. So verschmelzen Malmö und Kopenhagen<br />

immer mehr zu einer gemeinsamen Metropolregion.<br />

Auch Malmö selbst wächst stetig – allein im Jahr 2010<br />

um fast sieben Prozent – und verjüngt sich dabei. Die<br />

meisten Zuzügler sind unter dreißig, die Geburtenrate<br />

ist hoch. Fünftausend Kinder kamen im Vorjahr zur Welt,<br />

ein Rekord. Seit Neuestem hat Malmö die 300 000-Einwohner-Marke<br />

geknackt. Das feierten die Bürger im März<br />

2011 mit einem großen Fest auf dem Stortorget, dem zentralen<br />

Platz in der Altstadt. Sehr viele Gäste waren Kinder.<br />

So gab es zur Feier des Tages statt Freibier Luftballons und<br />

jede Menge Schokoladenkuchen. //<br />

BILFINGER BERGER IN MALMÖ UND STOCKHOLM<br />

IM SCHWEDISCHEN UNTERGRUND<br />

Malmö ist einer der wichtigsten Knotenpunkte<br />

im nordeuropäischen Zugverkehr.<br />

Auch deshalb wurde Malmös Kopfbahnhof<br />

zu einem Durchfahrtsbahnhof umgebaut.<br />

Ein zentraler Teil des riesigen Infrastrukturprojekts<br />

ist der 17 Kilometer lange City-<br />

Tunnel, der Ende 2010 in Betrieb ging.<br />

Bilfinger Berger zeichnete für das Kernstück<br />

verantwortlich. Im Rahmen des 350-<br />

Millionen-Euro-Auftrags erstellte das Unternehmen<br />

zwei parallele Tunnelröhren<br />

von je 4,6 Kilometern Länge. Die Röhren<br />

sind durch 13 Quertunnel verbunden, die<br />

bei einem Notfall die Evakuierung erleichtern.<br />

Daneben schuf Bilfinger Berger die<br />

Kaverne für die neue unterirdische Bahnstation<br />

Triangeln.<br />

Auch an anderen großen Nahverkehrsprojekten<br />

in Schweden ist Bilfinger Berger<br />

beteiligt, insbesondere in Stockholm. Dort<br />

baut das Unternehmen an der „Citybanan“<br />

mit, einem sechs Kilometer langen Bahntunnel<br />

quer durch die Innenstadt. Während<br />

sich die S-Bahn bislang ihre Spur mit dem<br />

Regional- und Güterverkehr teilen musste,<br />

bekommt sie mit der „Citybanan“ eine eigene<br />

Trasse, was die Kapazitäten erheblich<br />

erhöht. Für 105 Millionen Euro sprengt Bilfinger<br />

Berger einen 1200 Meter langen Abschnitt<br />

im Norden der Stadt in den Granit,<br />

den Vasatunnel. Dort erstellt das Unternehmen<br />

auch eine 700 Meter lange Kaverne<br />

für einen Bahnhof unterhalb der bereits<br />

bestehenden U-Bahn-Station „Odenplan“, eine der geschäftigsten Stockholms.<br />

Am südlichen Ende der „Citybanan“ baut das Unternehmen einen weiteren<br />

300 Meter langen Tunnel, allerdings in offener Bauweise. Der Tunnel verläuft<br />

in einem Altstadtbezirk mit denkmalgeschützten Gebäuden, die besonders<br />

gesichert werden müssen.<br />

Bilfinger Berger ist ebenfalls am Ausbau des Autobahnrings im Norden<br />

der Stockholmer Innenstadt beteiligt. Für rund 200 Millionen Euro erstellt das<br />

Unternehmen Tunnel in offener Bauweise. Die Trasse führt durch lockeres Gestein,<br />

eine besondere Herausforderung. Die Arbeiten sollen im Jahr 2015 abgeschlossen<br />

sein. (si)<br />

// 23


24 \\ CHANCENGLEICHHEIT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

KIN<strong>DER</strong>,<br />

KÜCHE<br />

UND<br />

KARRIERE<br />

EMILIA THINGBO UND KIRSTI GERHARDSEN SIND MÜTTER UND MACHEN<br />

DENNOCH KARRIERE. NICHTS AUSSERGEWÖHNLICHES IN NORWEGEN,<br />

DENN DIE ARBEITSKULTUR IST FAMILIENFREUNDLICH UND DIE VÄTER SIND<br />

MO<strong>DER</strong>NER ALS AN<strong>DER</strong>SWO.<br />

EVA WOLFANGEL / TEXT /// ANTONIA ZENNARO / FOTO<br />

/// Morgens zählt jede Minute. 6.30 Uhr: Emilia<br />

Thingbo schminkt sich im Wohnzimmer,<br />

während ihre zweijährige Tochter Sophia neben<br />

ihr malt und Papa Georg noch unter der<br />

Dusche steht. 6.50 Uhr: Emilia schmiert Brote,<br />

Georg füttert Sophia. 7.10 Uhr: Georg zieht Sophia<br />

an, Emilia packt die Kindergartentasche.<br />

7.25 Uhr: Vater und Tochter kämpfen mit dem<br />

Schneeanzug. Mutter Emilia steht in hochhackigen<br />

Stiefeln und elegantem Mantel bereit.<br />

Der Morgen der Familie Thingbo ist durchstrukturiert<br />

bis ins Detail. Punkt halb acht<br />

küsst Emilia ihre Tochter: „Tschüss, bis heute<br />

Abend.“ Sie fährt ins Büro, ihr Mann bringt<br />

Sophia auf dem Weg zur Arbeit in den Kinder -<br />

garten. Erst neun Stunden später werden sich<br />

alle wiedersehen.<br />

Alltag in einer norwegischen Familie. Was in<br />

Deutschland eher selten ist, ist in Skandina-<br />

vien die Regel: Junge Mütter arbeiten Vollzeit,<br />

Väter packen zu Hause selbstverständlich mit<br />

an. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen<br />

ist eine der höchsten, seit 2008 eine Frauenquote<br />

eingeführt wurde. Mehr als 40 Prozent<br />

der Aufsichtsräte in größeren Unternehmen<br />

sind Frauen, gleichzeitig liegt Norwegen mit<br />

einer Geburtenrate von rechnerisch 1,78 Kindern<br />

pro Frau in der Spitzengruppe Europas.<br />

Der Spagat zwischen Familie und Beruf funktioniert<br />

nur dank moderner Rollenbilder und<br />

einer gut organisierten öffentlichen Kinder -<br />

EMILIA THINGBO: „ÜBER EIN LEBEN ALS<br />

HAUSFRAU HABE ICH NIE NACHGEDACHT.“<br />

betreuung: Jedes Kind ab dem Alter von einem<br />

Jahr hat einen Rechtsanspruch auf einen<br />

Krip penplatz – und das nicht nur auf dem Papier:<br />

2008 besuchten 87 Prozent aller Kinder<br />

zwischen einem und fünf Jahren eine Krippe<br />

oder einen Kindergarten. Während in Deutsch -<br />

land nicht einmal für 30 Prozent der unter<br />

Drei jährigen ein Kitaplatz zur Verfügung steht<br />

und diese Einrichtungen häufig nur bis zum<br />

frühen Nachmittag geöffnet haben, herrscht<br />

in Norwegen quasi Vollbetreuung.<br />

KIN<strong>DER</strong>REICHTUM LIEGT IM TREND<br />

Die kleine Sophia geht ganztags in die Kinderkrippe,<br />

seit sie zehn Monate alt ist. Ihre Mutter<br />

Emilia schrieb während der einjährigen<br />

vom Staat finanzierten Elternzeit ihre Masterarbeit<br />

im Fach Sicherheitsmanagement. Als<br />

Sophia ein Jahr wurde, kehrte Emilia als Refe-<br />

VIDEOKONFERENZ MIT TÖCHTERCHEN:<br />

DIE KUNDEN STÖREN SICH NICHT DARAN.<br />

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26 \\ CHANCENGLEICHHEIT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

DIE DREIJÄHRIGE LYKKE TRÄGT IHR KÖFFERCHEN SELBST. DARIN<br />

SIND BROTE UND OBST FÜR IHREN LANGEN TAG IM KIN<strong>DER</strong>GARTEN.<br />

GEFRAGTE FRAU:<br />

KIRSTI GERHARDSEN AM ARBEITSPLATZ.<br />

rentin für Arbeitssicherheit und Umweltschutz<br />

zurück in ihr Unterneh men BIS Industrier,<br />

eine norwegische Tochter von Bilfinger<br />

Berger. Wie die meisten Norwegerinnen hat sie<br />

nie über ein Leben als Hausfrau nachgedacht,<br />

auch wenn das Managen von Kindern und Beruf<br />

anspruchsvoll ist. Das sieht sie auch in der<br />

Nachbarschaft, wo junge Familien gar drei und<br />

vier Kinder haben: „Eine Frau, die vier Kinder<br />

hat und arbeitet, muss eine starke Frau sein.“<br />

FLEXIBLE ARBEITGEBER<br />

Aber auch die Männer müssen stark sein. Als<br />

Emilia schwanger wurde, kündigte Georg seinen<br />

Job und suchte sich einen neuen. „Ich war<br />

damals 60 bis 70 Stunden pro Woche im Büro,<br />

das konnte ich mir mit Familie nicht mehr<br />

vorstellen“, sagt er. Heute arbeitet er für<br />

einen Anbieter von Videokonferenz-Systemen<br />

und ist ab 16 Uhr zu Hause. Manchmal hat er<br />

Sophia auf dem Schoß, wenn er – per Videokonferenz–<br />

Kundengespräche führt. Noch nie<br />

sei er dafür kritisiert worden: „Kinder gehören<br />

schließlich zum Leben.“ Wenn Sophia krank ist,<br />

bleibt er abwechselnd mit seiner Frau zu Hau -<br />

se. Jeweils zehn Tage im Jahr können beide<br />

Eltern in solchen Fällen bezahlt freinehmen,<br />

der Staat übernimmt die Kosten.<br />

Kurz nach Emilia betritt ihre Chefin das Gebäude<br />

von BIS Industrier im Gewerbegebiet<br />

von Sandnes bei Stavanger. Kirsti Gerhardsen<br />

ist kaum im Großraumbüro angekommen,<br />

schon ist sie umringt von Kollegen, die sie mit<br />

Fragen bestürmen. Als Bereichsleiterin „Gesundheit,<br />

Sicherheit, Umwelt und Qualität“ ist<br />

sie eine gefragte Frau: Eine Abteilung hat ein<br />

Audit und wünscht Unterstützung, Manager<br />

aus den Niederlassungen treffen sich in Sand -<br />

nes zu einem Meeting und nutzen die Gelegenheit<br />

für ein Gespräch, ein Journalist möch -<br />

te mehr zur jüngsten Sicherheitskampagne<br />

„Mum“ wissen, die Kirsti entwickelt hat (siehe<br />

Seite 28). Die Managerin strahlt dennoch Gelassenheit<br />

aus. Um diese Zeit hat sie ihr Or -<br />

ganisationstalent bereits drei Stunden lang<br />

unter Beweis gestellt. Um 5.30 Uhr aufstehen,<br />

dann duschen, anziehen, Frühstück vorbereiten.<br />

Ab 6.15 Uhr die drei Kinder wecken, beim<br />

Anziehen helfen, frühstücken, Brote schmieren,<br />

die Söhne Brage, 6, und Aksel, 9, zur<br />

Schule fahren, die dreijährige Lykke im Kindergarten<br />

abliefern, dann in der Rushhour zur Arbeit.<br />

Wenig Schlaf und eine minutiöse inner -<br />

familiäre Zeit planung sind der Preis für Kinder<br />

und Karriere.<br />

Als sie sich vor fünf Jahren auf die Führungsposition<br />

bewarb, war ihr zweiter Sohn<br />

gerade ein Jahr alt, sie selbst Anfang 30. „Im Bewerbungsgespräch<br />

sprach ich mit meinem<br />

künftigen Vorgesetzten über unsere Familien.<br />

In der Chef etage von BIS Industrier haben fast<br />

alle Kinder.“ In Deutschland wären die ersten<br />

Fragen: „Und wer kümmert sich um die Kinder?<br />

Was ist, wenn sie krank sind?“ Doch Kirstis<br />

zukünftiger Chef warb mit flexiblen Arbeitszeiten<br />

und der Möglichkeit von Heimarbeit.<br />

Auch dass Kirsti in der Regel gegen 16 Uhr<br />

Feierabend machen wollte, war kein Problem.<br />

Wenn während der Arbeitszeit ein Elterngespräch<br />

in der Schule oder eine Vorführung im<br />

Kindergarten stattfindet, gehen die Eltern<br />

selbstverständlich hin. Das geht nur aus einem<br />

Grund: „Es gibt ein großes Vertrauen untereinander,<br />

dass jeder seine Arbeit macht“, sagt<br />

sie. Sie selbst hat beobachtet, dass Mütter oft<br />

besonders effizient arbeiten, weil sie daran gewöhnt<br />

sind, sich knappe Zeit gut einzuteilen.<br />

INGENIEUR MIT HALBTAGSJOB<br />

Um 13 Uhr wartet ihr Mann Johnny Gerhard sen<br />

mit dem Kleinbus vor der Grundschule seiner<br />

Söhne. Aksel und Brage kommen mit einer<br />

Horde Kinder angerannt und balgen sich um<br />

die besten Sitze im Bus. Alle Freunde finden<br />

Platz, denn dies ist ein nachbarschaftlicher Abholservice.<br />

Johnny liebt seinen Job als Bauin -<br />

genieur, dennoch arbeitet er einstweilen nur<br />

halbtags. In Norwegen haben zwar alle Kinder<br />

im Grundschulalter einen Platz in einem Nach -<br />

mittagshort, aber Aksel wollte dort nicht hin.<br />

„Deshalb haben Kirsti und ich überlegt, dass<br />

einer von uns vorübergehend weniger arbei-<br />

ten sollte“, erklärt Johnny, „und ich hatte Lust<br />

darauf.“ Dass er damit seine nächste Beförderung<br />

aufs Spiel setzt, muss er nicht fürchten.<br />

Nach der Schule macht Johnny mit den<br />

Jungs Hausaufgaben, kocht und holt Lykke, das<br />

Töchterchen, vom Kindergarten ab. Wenn<br />

Kirsti gegen 16.30 Uhr nach Hause kommt,<br />

brummt die Waschmaschine und das Essen<br />

dampft auf dem Herd. Dank einer familienfreundlichen<br />

Arbeitskultur sitzt die komplette<br />

Familie um 17 Uhr am Essenstisch.<br />

KNAPPE FAMILIENZEIT<br />

Irgendwie reicht die Zeit trotzdem nicht, findet<br />

Emilia. Nach dem Abendessen sitzt sie im Badezimmer<br />

auf dem Rand der Wanne, Sophia<br />

planscht und Vater Georg legt auf dem Wickeltisch<br />

das Kapuzenhandtuch zurecht. „Wir haben<br />

zu wenig Zeit füreinander“, sagt Emilia.<br />

Die paar Stunden zwischen Arbeit und So -<br />

phias Schlafenszeit sind mit Kochen und Essen<br />

fast komplett gefüllt. Wenn sie ihre Tochter<br />

vom Kindergarten abholt, liest sie auf einer Liste<br />

nach, wann sie gewickelt wurde und wie<br />

lange sie mittags geschlafen hat. Hin und wieder<br />

gibt es Gespräche mit den Erzieherinnen,<br />

die den Eltern vom Alltag ihres Kindes erzählen.<br />

Manch mal packt Emilia die Sorge, zu wenig<br />

für ihre Tochter da zu sein. Deshalb will sie vor-<br />

IN SKANDINAVIEN WIRD ABENDS WARM<br />

GEGESSEN: GEKOCHT WIRD GEMEINSAM.<br />

// 27<br />

erst kein zweites Kind. „Vielleicht in ein paar<br />

Jahren“, sagt sie, „jetzt soll Sophia unsere ganze<br />

Energie haben.“ Trotz guter Kinderbetreuung,<br />

moderner Väter, familienfreundlicher<br />

Arbeitszeiten – Familie und Vollzeitjob miteinander<br />

zu verbinden, fordert auch Opfer.<br />

Während Sophia noch badet, liegt die ein<br />

Jahr ältere Lykke wenige Kilometer entfernt auf<br />

dem Sofa und schläft. Beim Kochen saß sie noch<br />

auf der Arbeitsplatte und erzählte dem Vater<br />

munter von ihrem Tag. Doch nach dem Essen<br />

hat sie die Müdigkeit gepackt, der lange Tag im<br />

Kindergarten war anstrengend für sie. Johnny<br />

bringt sie ins Bett und setzt sich danach mit<br />

einer Zeitung vors Kaminfeuer. Knisternde<br />

Gemütlichkeit. Die Spülmaschine läuft. Kirsti<br />

klappt am Küchentisch den Laptop auf. //<br />

KIN<strong>DER</strong>, KÜCHE UND KARRIERE<br />

www.magazin.bilfinger.com


28 \\ ARBEITSSICHERHEIT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

MUTTERSÖHNCHEN<br />

BERND HAUSER / TEXT /// ANTONIA ZENNARO, BIS INDUSTRIER / FOTOS<br />

WEIL MÄNNER BESON<strong>DER</strong>S AUF DIE MAMA HÖREN,<br />

HÄNGEN BEI BILFINGER BERGER IN NORWEGEN GROSSFORMATIGE<br />

PORTRÄTS AN DEN ARBEITSPLÄTZEN.<br />

/// Wo die norwegische Bilfinger Berger-Tochter BIS Industrier<br />

tätig ist, lächeln Mütter von den Wänden. In Dutzenden<br />

Werkstätten, Fabriken, Raffinerien, Bauhallen und<br />

auf Offshore-Anlagen blicken sie aus goldenen Rahmen<br />

freund lich auf das Geschehen herab. Die Plakate sind Teil<br />

einer Arbeitssicherheitskampagne, die Kirsti Gerhardsen<br />

entwickelt hat. In Broschüren gibt es den passenden Slogan<br />

dazu: „Denk an alles, was passieren kann. Viele Grüße,<br />

Mama.“ Bis nach Paris reist Sicherheitsmanagerin Kirsti<br />

Gerhardsen, um ihre Kampagne vorzustellen: „Wir zeigen<br />

keine Models, sondern die Mütter unserer Mitarbeiter, das<br />

geht direkt ins Herz.“<br />

Fünfzehn Damen hat Gerhardsen fotografieren lassen,<br />

die zu Hause auf dem Sofa oder am Esstisch sitzen, nichts<br />

ist geschönt: „Mütter sind gleichzeitig freundlich und<br />

bestimmt. Sie kümmern sich“, erklärt Gerhardsen, „das<br />

spiegelt auch den Geist unseres Unternehmens: Nehmt<br />

eure Arbeit ernst und gebt auf euch acht!“ //<br />

// 29


30 \\ RAUMFAHRT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

/// Der Taxifahrer wird misstrauisch: „Da wol-<br />

len Sie hin?“ Vor ihm liegt die Einfahrt zu einem<br />

verlassenen Hafengelände von Kopenhagen,<br />

der Wind schlägt ein Gittertor gegen verbo -<br />

gene Zaunpfosten, aus dem Asphalt wachsen<br />

Gras und Haselnussbüsche. Am Ende der<br />

Straße steht eine rostige Wellblechhalle. Kein<br />

Mensch zu sehen. Einen Weltraumbahnhof<br />

hatte man sich anders vorgestellt.<br />

Nur 15 Minuten vom Kopenhagener Stadtzentrum<br />

entfernt entsteht das vielleicht verrückteste<br />

Fluggerät dieser Tage: Ein Architekt<br />

und ein Ingenieur wollen mit einer Rakete ins<br />

Weltall fliegen. Nach Russland, den USA und<br />

China wäre das kleine Dänemark also die vierte<br />

Nation, von deren Boden ein bemannter<br />

Raumflug startet.<br />

MEINEN DIE DAS ERNST?<br />

Die Türe zur Halle steht offen. „Hallo, ist da<br />

jemand?“ – „I am here“, sagt ein freundlicher<br />

Glatzkopf, der hinter einer mannshohen Maschine<br />

auftaucht – und als wolle Kristian von<br />

Bengtson die Zweifel an der Ernsthaftigkeit<br />

seiner Mission noch schüren, zündet er sich<br />

eine Zigarette der Marke „Rockets“ an. Willkommen<br />

in der Raketenschmiede.<br />

Kristian von Bengtson, 37, kennt den Blick<br />

aus Mitleid und Verwunderung, wenn ein<br />

Besucher zum ersten Mal in die Halle tritt. Er<br />

weiß, was sein Gegenüber denkt: Das meinen<br />

die doch nicht ernst? Doch, Bengtson und<br />

sein Kompagnon Peter Madsen, 40, meinen es<br />

ernst. „Sie wird fliegen, in drei Jahren, und einer<br />

von uns wird da drin sein“, sagt Kristian<br />

und zeigt auf die aufgebockte und knallrot gestrichene<br />

Raketenkapsel.<br />

EIN PROJEKT WIE EINE EHE<br />

Sie ist auf den einzigen Dänen getauft, der<br />

durch seine Beschäftigung mit dem Weltall bekannt<br />

geworden ist, und das ist mehr als 400<br />

Jahre her. Tycho Brahe, ein Zeitgenosse von Johannes<br />

Kepler, hat Gerätschaften erfunden, um<br />

die Bewegung der Gestirne zu vermessen. Die<br />

„Tycho Brahe 1“ soll im Sommer dieses Jahres<br />

den Sternen 30 Kilometer näher kommen. So<br />

hoch wird die Rakete laut Plan bei einem Test<br />

fliegen, an Bord vorläufig nur ein Dummy.<br />

WELTRAUM<br />

uND ZURUcK<br />

ZWEI DÄNEN WOLLEN SICH DAS WELTALL GENAUER ANSCHAUEN UND BAUEN SICH EINE RAKETE.<br />

DAS MATERIAL KOMMT AUS DEM BAUMARKT.<br />

PHILIPP MAUSSHARDT / TEXT /// UFFE WENG / FOTOS<br />

// 31


32 \\ RAUMFAHRT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

Bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde<br />

NASA arbeitete Architekt Kristian mehrere<br />

Jahre an der Entwicklung der Innenausstattung<br />

von Raumfahrzeugen mit. Vor vier Jahren<br />

hörte er von Peter Madsen, einem Tüftler, der<br />

im Hafen von Kopenhagen gerade sein drittes<br />

U-Boot gebaut hatte: Die 18 Meter lange „UC3<br />

Nautilus“ ist das größte privat gebaute U-Boot<br />

der Welt. Wer tief kann, der kann auch hoch,<br />

dachte Kristian von Bengtson: Er und Peter<br />

Madsen verstanden sich auf Anhieb. Die beiden<br />

haben in den vergangenen Jahren mehr<br />

Zeit miteinander verbracht als mit ihren Frauen,<br />

Kindern oder Freunden. „Für ein solches<br />

Projekt geht man eine Art Ehe ein“, sagt<br />

Kristian. Die Aufgabenteilung: Peter ist für den<br />

Antrieb zuständig, Kristian für den Passagierbereich.<br />

Die ersten sechs Meter der Rakete mit<br />

Verbrennungsraum, Einlassventil und Flüssiggastank<br />

gehören Peter, die oberen drei sind<br />

Kristians Baustelle.<br />

In der Wellblechhalle herrschen an diesem<br />

Tag im Frühjahr Temperaturen nahe der Null -<br />

grad grenze. Nur in einem abgetrennten kleinen<br />

Büroraum kann sich Kristian ein wenig aufwär -<br />

men, bevor er in seinem dicken Overall weiterarbeitet<br />

an den Sprengklappen. Sie sollen die<br />

vier Fallschirme auswerfen und den Astronauten<br />

sicher zur Erde zurück segeln lassen. „Man<br />

wird die Erde sehen, wie einen blauen Ball“, sagt<br />

Kristian, „es wird ein großartiges Gefühl sein.“<br />

DIE MARINE SPERRT DAS SEEGEBIET<br />

WILLKOMMEN IM<br />

DÄNISCHEN WELTRAUMZENTRUM!<br />

Dreiunddreißig Tests am Boden haben die Kom -<br />

pagnons seit Oktober 2008 unternommen, um<br />

den richtigen Treibstoff zu finden und die<br />

Hitzebeständigkeit des Materials zu prüfen.<br />

Vergangenen September sollte die Rakete mit WER TIEF KANN, KANN AUCH HOCH:<br />

AN VORBIL<strong>DER</strong>N MANGELT ES DEN KOPENHAGENER<br />

einer Puppe an Bord zum ersten Mal abheben.<br />

Das von Madsen gebaute U-Boot zog die Startplattform<br />

außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone<br />

vor Bornholm, wo kein nationales Recht den<br />

Start von Raumfahrzeugen regelt. Die dänische<br />

Marine half und sperrte das Seegebiet<br />

weiträumig ab. „Drei, zwei, eins, null.“ Kristian<br />

DAS SELBST GEBAUTE U-BOOT NAUTILUS.<br />

RAKETENBAUERN NICHT.<br />

drückte auf den Knopf – und es geschah das entscheidende Ventil vor dem Zufrieren einen Fehler in der Konstruktion entdeckten, den<br />

nichts. Das minus 185 Grad kalte Brennstoffge- bewahren sollte.<br />

wir bis zum nächsten Test beheben können.“<br />

misch aus flüssigem Sauerstoff und Polyure- Es hätte die Stunde der Schadenfrohen sein Im Büro von Peter und Kristian hängen<br />

thanen zündete nicht. Die Fehleranalyse ergab kön nen. Doch stattdessen riefen Freunde aus fünf Fotos von Raketenpionieren der letzten<br />

später: Einer Batterie war der Strom ausgegan- NASA-Tagen an und gratulierten. „Es war ein hundert Jahre. Auch der Russe Konstantin<br />

gen. Sie hätte einen Haarföhn angetrieben, der<br />

Erfolg“, deutet Kristian das Erlebnis, „weil wir Ziolkowski ist dabei, der als erster Mensch<br />

ES IST KALT IM WELTRAUMZENTRUM. NUR EIN KLEINER NEBENRAUM IST BEHEIZT.<br />

DORT WÄRMEN SICH DIE PIONIERE AUF – UND HECKEN TECHNISCHE LÖSUNGEN AUS.<br />

// 33


34 \\ RAUMFAHRT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

NICHT NUR FÜR DUMMYS:<br />

„IN DREI JAHREN WIRD EINER VON UNS MIT <strong>DER</strong> RAKETE FLIEGEN.“<br />

überhaupt über einen Rückstoßantrieb mithilfe<br />

von flüssigem Sauer- oder Wasserstoff<br />

spekulierte. Auch Raketenpionier Hermann<br />

Oberth schaut milde lächelnd von der Wand, er<br />

plante 1929 eine zwei Meter lange Rakete, die<br />

40 Kilometer hoch fliegen sollte. Es war die<br />

Zeit, als Raumfahrt eine utopische Verheißung<br />

war und auch Albert Einstein zur Premiere von<br />

Fritz Langs Film „Frau im Mond“ ins Kino ging.<br />

Doch erst 1961 wurde Juri Gagarin zum ersten<br />

Menschen im Weltall. Mit der „Wostok 1“ hob<br />

er ab und kam nach 108 Minuten heil zurück,<br />

nachdem er einmal die Erde in einer Höhe von<br />

rund 200 Kilometern umkreist hatte.<br />

VIELE DÄNEN FIEBERN MIT<br />

Rund 250 Millionen Dollar kostete die NASA im<br />

Durchschnitt jeder Start eines Space Shuttle.<br />

Dagegen sind die Kosten der Kopenhagener<br />

Raumfahrer geradezu niedlich. Ihr Budget für<br />

dieses Jahr bis zum neuerlichen Start im Juni<br />

beträgt 37 000 Euro. Das Geld kommt zum<br />

großen Teil von bislang 1700 Spendern, die in<br />

Peter und Kristian wohl ihre Stellvertreter für<br />

den eigenen Traum vom Fliegen sehen. Vor<br />

allem „Ingeniøren“, die Wochenzeitung der<br />

dänischen Techniker und Ingenieure, veranstaltet<br />

Fundraising-Vorträge und berichtet<br />

regelmäßig über das Projekt, worauf sich häufig<br />

Katamaranbauer oder Flugzeugmechaniker<br />

mit Tipps an Peter Madsen wenden.<br />

RAKETE AUS DEM BAUMARKT<br />

Für die Hobby-Astronauten wäre es nicht<br />

schwierig, mit ihrer Idee mehr Geld zu machen.<br />

„Red Bull hat bei uns angefragt, ob sie die<br />

Rakete als Werbeträger benutzen können“, erzählt<br />

Kristian. „Aber wir wollen unabhängig<br />

bleiben. Wir wollen zeigen, dass im Grunde<br />

jeder in der Lage ist, in den Weltraum zu fliegen.“<br />

Deshalb gibt es in der Kopenhagener Raketenschmiede<br />

auch keine Geheimnisse: Die<br />

Korkplatten zur Isolierung stammen ebenso<br />

aus dem Baumarkt wie die normierten Edelstahlbleche<br />

des Raketenantriebs. Jeder, der sich<br />

interessiert, kann den beiden bei der Arbeit zuschauen.<br />

Oft sind Studenten der Technik-<br />

Hochschule da und helfen mit.<br />

Noch zwei bis drei Jahre, dann ist die „Tycho<br />

Brahe“ ausgetestet für ihren ersten bemannten<br />

Flug, schätzt Kristian. Er wird Peter den<br />

Vortritt lassen als erstem dänischen Astronauten.<br />

„Er hat keine Kinder.“<br />

Doch erst einmal findet der nächste unbemannte<br />

Startversuch in der Ostsee statt. Das<br />

Problem mit dem Föhn ist inzwischen gelöst:<br />

// 35<br />

MEHR INFOS:<br />

www.copenhagensuborbitals.com<br />

<strong>DER</strong> ERSTE STARTVERSUCH IN <strong>DER</strong> OSTSEE GING SCHIEF –<br />

WEIL <strong>DER</strong> HAARFÖHN ALS HEIZUNG AUSFIEL.<br />

Foto: Jev Olsen<br />

Das Ventil, durch das der flüssige Sauerstoff<br />

mit einer Temperatur von minus 183 Grad Celsius<br />

strömt, hat eine richtige Heizung bekommen,<br />

und die Stromver sorgung wird durch<br />

eine stärkere Batterie gesichert. //


36 \\ WELTERNÄHRUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

<strong>DER</strong> SAATGUTTRESOR LIEGT UNTERIRDISCH, IM PERMAFROST.<br />

NUR DAS ZUGANGSTOR IST SICHTBAR.<br />

DIE<br />

VEREINIGTEN<br />

SAATEN<br />

AUCH BOHNEN AUS KOLUMBIEN GEHÖREN ZU DEN SCHÄTZEN,<br />

DIE DIE WELTERNÄHRUNG SICHERN KÖNNTEN.<br />

IMMER MEHR NUTZPFLANZENARTEN VERSCHWINDEN. MIT<br />

DEM WENIGEN, WAS BLEIBT, KÖNNTE DIE MENSCHHEIT FÜR<br />

DEN KLIMAWANDEL SCHLECHT GERÜSTET SEIN. CARY FOWLER,<br />

LEITER DES WELTTREUHANDFONDS FÜR KULTURPFLANZEN-<br />

VIELFALT, SAMMELT DIE VERBLIEBENEN SAATEN UND LAGERT<br />

SIE IN EINEM BUNKER AUF SPITZBERGEN. EIN INTERVIEW.<br />

MARKUS WANZECK / TEXT ///<br />

MARI TEFRE - GLOBAL CROP DIVERSITY TRUST,<br />

SVALBARD GLOBAL SEED VAULT / FOTOS<br />

// 37<br />

/// Vor drei Jahren haben Sie den „Svalbard Global Seed<br />

Vault“ eröffnet. In dem arktischen Bunker sollen einmal<br />

4,5 Millionen Saatgutproben aus aller Welt eingelagert werden.<br />

Warum dieser gigantische Aufwand?<br />

Er ist nötig, weil auch die Herausforderungen für die<br />

Menschheit gigantisch sind. In den vergangenen Jahrzehnten<br />

ist die Artenvielfalt unserer Nutzpflanzen rapide geschrumpft.<br />

Tausende Sorten von Weizen, Reis oder Äpfeln,<br />

die unsere Vorfahren seit der Jungsteinzeit gezüchtet hatten,<br />

sind quasi ausgestorben. Sie existieren nur noch als<br />

Saatproben in Genbanken.<br />

Was ist der Grund für diesen Verlust?<br />

Die moderne Landwirtschaft. Sie ist fraglos eine Erfolgsgeschichte,<br />

mit ihren effektiven Monokulturen, ihren ertragreichen<br />

Zuchtsorten. Doch genau darin liegt auch die Gefahr:<br />

Wir kultivieren nur noch eine handvoll Supersorten,<br />

die unter den heutigen Umständen den besten Ertrag bringen<br />

– und riskieren dabei den Verlust aller anderen Arten.<br />

Wo ist das Problem? Auf der Bühne der Evolution herrschte<br />

doch schon immer ein reges Kommen und Gehen.<br />

Darwin hat natürlich recht. Die Evolution sorgt dafür, dass<br />

immer jene Arten fortbestehen, die am besten an ihre je-<br />

CARY FOWLER:<br />

„WIR HABEN ETWAS GESCHAFFEN, DAS FÜR DIE EWIGKEIT IST.“<br />

weilige Umgebung angepasst sind. Allerdings kann man<br />

bei Nutzpflanzen nicht von einer natürlichen Auslese sprechen.<br />

Hier sind es ja die Menschen, die über den Fortbestand<br />

der Arten entscheiden. Und sie müssen nun dafür<br />

Sorge tragen, dass der Genpool nicht zu klein wird. Evolution<br />

ist das Zusammenspiel aus Vielfalt und Auslese. Ohne<br />

Vielfalt ist das Spiel aus.<br />

Sie warnen, wir könnten schneller auf das stillgelegte Saatgut<br />

zurückgreifen müssen, als wir uns vorstellen können.<br />

Allerdings. Viele der fast verschwundenen Arten könnten<br />

für uns schon bald wieder sehr wichtig werden. Etwa wegen<br />

einer besonderen Hitze unempfindlichkeit oder einer<br />

anderen Qualität, von der wir heute noch gar nichts wis-


38 \\ WELTERNÄHRUNG Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

sen. Die gängigen Reissorten beispielsweise öffnen ihre Blüten ziemlich<br />

pünktlich um 11 Uhr vormittags – mit Anbruch der heißesten Tageszeit.<br />

Aber es gibt einige Wildreissorten, die ihre Blüten erst um 4 Uhr<br />

nachmittags öffnen oder um 11 Uhr abends. Diese Reisvarianten haben<br />

eine biologische Uhr, die sie Hitze vermeiden lässt. Damit könnten sie<br />

einmal unser Überleben sichern.<br />

Inwiefern?<br />

Erinnern Sie sich an die Hitzewelle 2003? In jenem Jahr gab es einen<br />

Ernteeinbruch von bis zu 25 Prozent! Das Beunruhigende ist: Wenn<br />

Sie das Jahr 2003 vor dem Hintergrund der prognostizierten Klima -<br />

erwärmung von zwei Grad Celsius betrachten, wird es als relativ moderates<br />

Jahr erscheinen. Wir werden noch viel wärmere Jahre erleben.<br />

Und wir wissen, dass unsere heutigen Nutzpflanzen dafür nicht ge-<br />

EIN 120 METER LANGER TUNNEL FÜHRT ZU DEN RÄUMEN,<br />

IN DENEN DAS SAATGUT BEI MINUS 18 GRAD LAGERT.<br />

wappnet sind. Eine Sicherheitskopie der landwirtschaftlichen Artenvielfalt<br />

ist für uns die denkbar beste Lebensversicherung.<br />

Damit sie funktioniert, muss man allerdings die Millionen von Samen<br />

nicht nur einlagern, sondern auch wissen, zu was sie gut sind.<br />

Das stimmt. Konservieren ist das eine. Diesen Genschatz nutzbar zu<br />

machen, das andere. Das ist die Sache der Saatgutbanken. Deren Wissenchaftler<br />

müssen mit den vorhandenen Samen herumspielen, müssen<br />

herausfinden, zu was sie gut sein könnten. Es gibt Hunderte von<br />

Banken weltweit, und sie werden damit viele Generationen lang beschäftigt<br />

sein.<br />

Wozu dann überhaupt der Saatguttresor? Die Saatgutbanken haben<br />

doch ihre eigenen Bestände.<br />

Gut, der Seed Vault ist nur eine weitere Lagerungsstätte. Allerdings<br />

RUND 600 000 VERSCHIEDENE SAMEN SIND IN DEN REGALEN ARCHIVIERT.<br />

ist es die sicherste der Welt: ein knapp 130 Meter langer Stollen, auf<br />

minus 18 Grad Celsius heruntergekühlt und mit mehren Stahltüren gesichert.<br />

Draußen tummeln sich Eisbären. Sollte einmal der Strom ausfallen,<br />

würde die Temperatur des Bunkers wegen des Permafrostbodens<br />

trotzdem nie minus 3 Grad Celsius übersteigen. Alle Genbanken der<br />

Welt sind eingeladen, dort kostenlos Sicherheitskopien ihres Samenbestands<br />

zu deponieren. Die Nachfrage ist groß. Denn die Banken in<br />

den USA, Deutschland und vor allem in den Entwicklungsländern wissen,<br />

dass ihre Schätze jederzeit in Flammen aufgehen, einem Erdbeben<br />

oder auch – wie Anfang des Jahres in Ägypten – einer Plünderung<br />

zum Opfer fallen können. Wenn das passiert, ist das wie die Zerstörung<br />

eines Picasso oder Van Gogh: ein endgültiger, unschätzbarer Verlust.<br />

Wie gut ist der Kühlschrank mittlerweile gefüllt?<br />

Wir haben schon über 600 000 Samenproben eingebunkert. Kom -<br />

mende Woche werde ich nach Spitzbergen reisen, um weitere 30 000<br />

Proben in Empfang zu nehmen: Sendungen aus Syrien, Indien oder<br />

Kolumbien. Auch die erste Lieferung aus Australien wird darunter sein.<br />

Auch der größte Kühlschrank kann nicht die Zeit einfrieren. Wie stellen<br />

Sie sicher, dass das eingelagerte Saatgut in tausend Jahren noch zu gebrauchen<br />

ist?<br />

Wir haben in den vergangenen sechzig, siebzig Jahren viel Wissen über<br />

das Tiefkühlen von Saatgut angehäuft. Von den meisten Samenarten<br />

ist bekannt, wie lange sie in etwa unter diesen Bedingungen haltbar<br />

sind. Zusätzlich werden die Samenproben alle paar Jahrzehnte von<br />

ihren Genbanken getestet. Keimt nur noch ein bestimmter Prozentsatz<br />

der Saat, wird diese Sorte großgezogen, um frische Samen zu ge -<br />

winnen. Es wäre ein Missverständnis zu glauben, man könnte einfach<br />

das Saatgut der Welt auf Spitzbergen abladen, die Tür schließen und<br />

nach tausend Jahren wiederkommen. Wir müssen es ständig im Auge<br />

behalten und austauschen. Der Bunker ist wie ein Lebewesen. Es gibt<br />

ständige Bewegung – eine Art Stoffwechsel.<br />

// 39<br />

Was kostet dieses Back-up-System?<br />

Planung und Bau des Bunkers beliefen sich auf neun Millionen Dollar.<br />

Das hat komplett der norwegische Staat übernommen. Die laufenden<br />

Kosten für den Bunker, die Transporte und den Arbeitsaufwand der<br />

Genbanken liegen im niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Sie<br />

werden vor allem von der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung getragen. Ist<br />

der Bunker erst einmal gefüllt, werden die Kosten merklich sinken.<br />

Die Samen der Sorghumhirse zum Beispiel müssen wir nur alle 20 000<br />

Jahre ersetzen. Das ist ein überschaubarer Aufwand.<br />

Die Zeitdimensionen, in denen Sie für dieses Projekt denken, wirken<br />

auf Außenstehende ehrfurchteinflößend.<br />

Das geht mir selbst genauso. Der Saatguttresor ist etwas, das vollkommen<br />

über den tagesaktuellen Problemen steht. Ich kann Ihnen kaum<br />

beschreiben, wie es sich anfühlt, in diesen Stollen hinabzugehen.<br />

Versuchen Sie es.<br />

Nun denn... Das Gefühl übertrifft um ein Vielfaches jenen Moment,<br />

als ich nach Jahren langer, harter Arbeit meine Doktorurkunde überreicht<br />

bekam. So ein Doktortitel ist etwas Berauschendes – für einen<br />

Augenblick. Aber am nächsten Morgen wachst du auf und denkst dir:<br />

Was ist schon dabei? Es ist etwas Vergängliches. Mit dem Saatgutbunker<br />

ist es ganz anders. Wir haben nach langer, harter Arbeit etwas<br />

geschaffen, das – an menschlichen Maßstäben gemessen – für die<br />

Ewigkeit ist. Sie können mir glauben: Da unten, in der Kälte und im<br />

Neonlicht des Bunkers, habe ich einige der glücklichsten Momente<br />

meines Lebens verbracht.<br />

Das klingt nach einer sehr emotionalen Beziehung zu ihrem Job.<br />

Und ob! Ich liebe meine Arbeit. So sehr, dass ich morgens nicht einmal<br />

einen Wecker brauche, um pünktlich aufzuwachen.<br />

Sie erwachen jeden Tag zur selben Zeit? Wie eine Reispflanze?<br />

Noch besser: Manchmal wache ich früher auf und manchmal später.<br />

Je nachdem, was an dem Tag gerade ansteht. //


40 \\ ARCHITEKTUR Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

RAUM<br />

IST IN <strong>DER</strong><br />

KLEINSTEN<br />

HYTTE<br />

DAS HOTEL JUVET ERFINDET DIE NORWEGISCHE HÜTTEN-<br />

TRADITION NEU. DIE ARCHITEKTUR UNTERWIRFT SICH GANZ<br />

DEM HAUPTZWECK: DEM ERLEBEN <strong>DER</strong> NATUR.<br />

BERND HAUSER / TEXT /// KNUT SLINNING, JENSEN & SKODVIN / FOTOS


42 \\ ARCHITEKTUR Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

/// Nur einen Steinwurf von der Scheibe entfernt<br />

brüllt der Fluss Valldøla in ewigem Zorn.<br />

Weiß vor Wut hat er sich in Tausenden von Jahren<br />

in den Gneis gebissen und eine schroffe<br />

Schlucht geschaffen, an der das Auge sich lange<br />

nicht satt sehen kann. Am Hang, direkt vor<br />

dem Fenster, krallen sich Birken und Kiefern<br />

in mannsgroße Felsblöcke. Üppiges Moos<br />

versteckt hier und da die graue Nacktheit der<br />

Blöcke, die dem Berg Alstadfjellet irgendwann<br />

lästig geworden sind und von ihm abgeworfen<br />

wurden. Jetzt liegen sie hier wie ein<br />

Würfelspiel von Riesen. Hinter dem Fluss<br />

erhebt sich der Berg steil wie eine Wand; auf<br />

seiner flachen, schneebedeckten Kuppe kann<br />

man selbst im August Ski fahren.<br />

Das ist der Blick, der den Gast im Hotel<br />

Juvet (auf Deutsch Hotel Schlucht) gefangen<br />

nimmt. Das Juvet liegt oberhalb des Dorfes<br />

Valldal am Norddalsfjord. Anders gesagt:<br />

ganz weit draußen. Attraktionen gibt es hier<br />

nicht. Außer einer: Landschaft. Und so nennt<br />

der Besitzer Knut Slinning seine Herberge<br />

gerne auch „Landschaftshotel“.<br />

DAS DRAUSSEN IST DRINNEN<br />

Knut Slinning, ein drahtiger, unrasierter Mann<br />

von 59 Jahren, war früher Lehrer für Betriebswirtschaft.<br />

Heute kann man ihn oben auf dem<br />

Alstadfjellet auch mal mit Schrotflinte auf der<br />

Jagd nach Schneehühnern sehen. Zwei Zitate<br />

begleiten sein Leben, erzählt er, und beide passen<br />

auf sein Hotelprojekt. Das eine stammt<br />

aus Goethes „Schatzgräber“, dem er im<br />

Deutschunterricht begegnete: „Tages Arbeit!<br />

Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste!<br />

Sey dein künftig Zauberwort.“ Das andere<br />

stammt von Pippi Langstrumpf: „Das haben<br />

wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.“<br />

Das im Jahr 2010 eröffnete Hotel besteht<br />

aus einzeln stehenden Bungalows, erreichbar<br />

über Pfade aus knirschendem Kies. Das Kiefernholz<br />

der Fassaden ist mit Eisenvitriol gestrichen,<br />

das die natürliche Vergrauung be-<br />

schleunigt und so die nagelneuen Häuser<br />

farblich mit den Birkenstämmen und dem<br />

Bruchholz am Boden verschmelzen lässt. Wie<br />

zufällig scheinen die Bungalows zwischen<br />

Felsen und Bäumen verstreut, doch in Wahrheit<br />

ist die Position jeder einzelnen Behausung<br />

mit Bedacht gewählt. Die Glasfronten bieten<br />

den aufregenden Blick auf Schlucht und Fluss<br />

oder eine kontemplativere Aussicht auf Moos<br />

und Felsen. Aber kein Bungalow stört den anderen<br />

durch seine Anwesenheit: Sie sind alle so<br />

platziert, dass jeder Gast die Natur scheinbar<br />

für sich allein hat.<br />

DIE LANDSCHAFT RUND UM DAS HOTEL IST WIE EIN GROSSER ABENTEUERSPIELPLATZ.<br />

DIE NATUR ERSTRAHLT HELL WIE AUF EINER THEATERBÜHNE.<br />

HOTELBESITZER KNUT SLINNING:<br />

„DAS HABEN WIR NOCH NIE PROBIERT,<br />

ALSO GEHT ES SICHER GUT.“<br />

// 43


44 \\ ARCHITEKTUR Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

DIE WÄNDE IM BAD SIND GELB WIE HUFLATTICH. MINIMALISTISCHER LUXUS IM SPA. KIESWEGE FÜHREN ZU DEN KATEN.<br />

An Funktionalität sind die modernen Katen<br />

kaum zu überbieten: Das Doppelbett passt<br />

genau in die Nische hinein, die sich offen<br />

an den Wohnbereich anschließt. Wer mit dem<br />

Rauschen des Valldøla in den Schlaf dämmern<br />

will, der öffnet einfach eine Schiebeluke in<br />

der Wand, gleich am Kopfende des Bettes.<br />

Anders als im Innern der traditionellen nor -<br />

wegischen Hütten ist das Holz nicht naturbelassen.<br />

Der gesamte Raum ist mit einer Farbe<br />

gestrichen, die an reife Oliven erinnert. Durch<br />

den dunklen Anstrich fühlt man sich wie in<br />

einer gemüt lichen Höhle – oder im Innern<br />

einer riesigen alten Kastenkamera, die ja<br />

ebenfalls den Zweck hat, das Draußen nach<br />

drinnen zu holen.<br />

Aber will der Mensch wirklich in dunklen Höh -<br />

len wohnen, zumal im hohen Norden? „Im besten<br />

Fall ist Architektur Poesie“, erklärt der<br />

Architekt Jan Olav Jensen. „Wir wollten unser<br />

Ziel, nämlich den Gast der Natur auszusetzen,<br />

nicht nur halbherzig verfolgen: Dazu brauchten<br />

wir die dunklen Wände.“ Die Natur erstrahlt<br />

hell wie auf einer Theaterbühne. Stünd -<br />

lich, minütlich wechselt die Atmosphäre, je<br />

nach Tageszeit und Wolken. Obwohl die Bungalows<br />

nur knapp 30 Quadratmeter haben,<br />

fühlt sich der Gast nicht beengt: Die Glasfronten<br />

geben das Gefühl von Platz, Licht und Luft.<br />

NOBLE HÜTTEN<br />

„Wir setzen auf eine besondere Zielgruppe:<br />

Poor on time and rich on cash“, sagt Hotelier<br />

Slinning. Rund 300 Euro kostet ein Bungalow<br />

pro Nacht. Bekannte Lifestyle-Magazine wie<br />

„Wallpaper“ haben über das Konzept geschrieben,<br />

„Le Figaro“ und „The Times“ waren zu Besuch.<br />

Bei den Norwegern fällt das Konzept auf<br />

fruchtbaren Boden, weil die Begeisterung für<br />

die Natur ein wesentlicher Bestandteil der<br />

nationalen Identität ist. Über die Hälfte der<br />

Einheimischen haben ihre eigene „Hytte“, wo<br />

sie Wochenenden und Ferien verbringen –<br />

idealerweise einsam und ohne Komfort. Tatsächlich<br />

aber bauen sich immer mehr Nor -<br />

weger luxuriöse Zweitdomizile. Es entstehen<br />

ganze Siedlungen aus uniformen und über -<br />

dimensionierten Blockhäusern, die den ursprünglichen<br />

Gedanken des Alleinseins mit<br />

der Natur ins Gegenteil verkehren.<br />

Das Hotel Juvet dagegen erinnert daran,<br />

dass Exklusivität keine Frage der Quadratmeterzahl<br />

ist, wie schon Friedrich Schiller wusste:<br />

„Raum ist in der kleinsten Hütte für ein<br />

glücklich liebend Paar.“ //<br />

JE<strong>DER</strong> GAST HAT DIE LANDSCHAFT GANZ FÜR SICH ALLEIN.<br />

// 45


46 \\ LITERATUR UND GESELLSCHAFT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

/// Für Renate war sie ein Idol, Guido nennt<br />

sie die „erste Liberale“, Verona wollte „sein wie<br />

sie“. Was Grünen-Chefin Künast, Außenminister<br />

Westerwelle und TV-Moderatorin Verona<br />

Pooth verbindet, ist die Begeisterung für eine<br />

Figur der Weltliteratur, die seit siebzig Jahren<br />

Kinder in ihren Bann zieht und manchen Erwachsenen<br />

auch: Pippilotta Viktualia Rollgardina<br />

Pfefferminza Efraimstochter Langstrumpf.<br />

„Erzähl mir von Pippi Langstrumpf“, quengelte<br />

die siebenjährige Karin, die 1941 mit einer<br />

Lungenentzündung im Bett lag. „Den Namen<br />

hatte Karin in dem Augenblick erfunden“,<br />

wun derte sich Astrid Lindgren noch Jahre<br />

später. Aber sie begann zu erzählen.<br />

Dass die Geschichte von Pippi und ihren<br />

Freunden einige Jahre später auch zu Papier<br />

gebracht wurde, verdanken Leser einem Unfall.<br />

Astrid Lindgren, die während des Krieges in der<br />

schwedischen Briefzensurbehörde arbeitete,<br />

war auf einem vereisten Gehweg ausgerutscht<br />

und hatte sich den Knöchel verstaucht. Die<br />

Zwangspause nutzte sie, um Pippis Aben -<br />

teuer aufzuschreiben.<br />

Schriftstellerin hatte Lindgren eigentlich<br />

nie werden wollen, aber nachdem das Büchlein<br />

nun einmal geschrieben war, bot sie das<br />

Manuskript dem schwedischen Verlag Bonnier<br />

an mit der Hoffnung, „dass Sie nicht das Jugendamt<br />

alarmieren“. Der Bitte wurde statt -<br />

gegeben, nicht aber der nach Drucklegung.<br />

Eine grandiose Fehlentscheidung, denn ein Jahr<br />

später, 1945, griff der Stockholmer Kinderbuch -<br />

verlag Rabén & Sjögren zu. Die erste Auflage<br />

verkaufte sich prächtig, auch wenn mancher<br />

Pädagoge dem Bändchen wenig abgewann.<br />

Sinnlos und geschmacklos seien Pippis Abenteuer,<br />

schrieb etwa ein Stockholmer Pädagogikprofessor;<br />

barfuß über Streuzucker zu laufen<br />

oder eine ganze Torte zu essen, erinnere<br />

„an die Fantasie eines Geisteskranken oder<br />

an krankhafte Zwangsvorstellungen“.<br />

P<br />

Das Urteil focht die Kinder nicht an. Als<br />

das Buch 1949 bei Oetinger in Deutschland<br />

erschien, hatte es sich in Schweden bereits<br />

300 000 Mal verkauft. Doch auch im deutschsprachigen<br />

Raum gab es Kritik, insbesondere<br />

aus der Schweiz. Es mangele dem Buch an<br />

„kindlich gesundem Humor“, befand eine Bibliothekskommission<br />

in Basel. „Die originelle<br />

Grundidee des Büchleins ist zu originell und<br />

wirkt abstoßend. Wegen all dieser Unzulänglichkeiten<br />

lehnen wir dieses berühmte Pippi-<br />

Buch entschieden ab.“<br />

Mit der tendenziellen Überforderung des<br />

pädagogischen Personals durch den anarchi -<br />

schen Auftritt Pippis war Astrid Lindgren vertraut.<br />

In Schweden hatte das Buch erst nach<br />

starker Überarbeitung des Manuskripts erscheinen<br />

können. Nachttöpfe wurden aus der<br />

Geschichte getilgt, und der wilde Umgang mit<br />

dem „schrecklichen Benno“ und seinen Kumpanen<br />

entschärft. Jede neue Übersetzung traf<br />

auf neue Vorurteile und Bedenken. In China<br />

gab es Probleme, weil Pippi zu frech mit den<br />

Polizisten umsprang. Den Franzosen war das<br />

Pferd zu groß und wurde zum Pony verkleinert.<br />

Süffisant bat Lindgren ihren dortigen Verleger,<br />

ihr doch ein Foto von einem französischen<br />

Kind zu schicken, das ein Pony eher als<br />

ein Pferd stemmt.<br />

Allen Widrigkeiten zum Trotz, Pippi setzte<br />

sich durch. Wie sollte es anders sein. Inzwischen<br />

ist das Buch in über sechzig Sprachen<br />

übersetzt und weltweit verbreitet. „Pippi Lang -<br />

kous“ heißt es auf Afrikaans, „Pippi Meialonga“<br />

in Brasilien und „Pippi-Ya Goredirey“ in Kurdistan.<br />

Wer im Online-Buchhandel nach „Pippi<br />

Langstrumpf“ sucht, findet fast 1 400 Titel.<br />

Darunter sind beileibe nicht nur die Lind -<br />

gren-Ausgaben, sondern Wirtschafts-, Selbstfindungs-<br />

und Emanzipationsliteratur. Pippi<br />

Langstrumpf steht für Kreativität und Gestaltungswillen,<br />

Spontaneität, Mut und Skepsis.<br />

i ,<br />

Pippi Langstrumpf hilft der Welt und auch<br />

den Frauen – so sieht es jedenfalls Benja Stig<br />

Fagerland, 40, drei Töchter, ehemaliges Model,<br />

Dänin. Heute ist sie Unternehmensberaterin<br />

in Norwegen. Das Land steht an der Spitze der<br />

Gleichberechtigung und Fagerland war eine<br />

der treibenden Kräfte. Wenn man sie fragt, wie<br />

sie es schaffte, die Frauenquote durchzusetzen,<br />

sagt sie: „Pippi-Power“. Keine Angst haben,<br />

sich alles zutrauen. „Macht wird nicht gegeben“,<br />

sagt sie, „du musst sie dir nehmen.“<br />

Power<br />

P ¡<br />

VOR SIEBZIG JAHREN ERZÄHLTE ASTRID LINDGREN IHRER KLEINEN TOCHTER<br />

AM KRANKENBETT DIE GESCHICHTE VON EINEM UNGEWÖHNLICH STARKEN,<br />

UNGEWÖHNLICH FRECHEN MÄDCHEN. PIPPI LANGSTRUMPF REVOLUTIONIERTE<br />

DIE KIN<strong>DER</strong>LITERATUR – UND DAS BILD <strong>DER</strong> FRAU.<br />

PAUL LAMPE / TEXT /// EDDI KRAFT / COLLAGE<br />

Auch Astrid Lindgren spricht von Macht, wenn<br />

sie Pippi charakterisiert: „Pippi Langstrumpf<br />

ist ja eigentlich ein kleiner Machtmensch,<br />

aber sie missbraucht niemals ihre Macht. Nur<br />

wenn sie zum Eingreifen gezwungen wird,<br />

schaltet sie sich ein. Ansonsten ist sie das<br />

gutmütigste, hilfsbereiteste und netteste Mädchen,<br />

das man sich nur denken kann. Und<br />

soweit ich das beurteilen kann, ist Macht zu<br />

haben und sie nicht zu missbrauchen, das<br />

Schwerste, was es gibt.“ //<br />

// 47


48 \\ NEWS Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

KÜSTENFERNE GRÜNDUNG<br />

OFFSHORE-WINDPARK BEI SYLT<br />

Gemeinsam mit seinem dänischen Partner Per Aarsleff<br />

wurde Bilfinger Berger beauftragt, die Fundamentfür<br />

80 Offshore-Anlagen des neuen Wind parks DanTysk zu<br />

bauen. Der 70 Kilometer westlich von Sylt gelegene<br />

Windpark wird nach seiner Fertigstellung über eine<br />

Kapazität von rund 290 Megawatt verfügen. Darüber<br />

hinaus haben die Unternehmen im Februar mit der<br />

Gründung von 175 Windkraftanlagen für den Windpark<br />

London Array im Mündungsgebiet der Them se begonnen.<br />

Das weltweit größte Offshore-Kraftwerk wird im<br />

Endausbau eine Leistung von 1 000 Megawatt haben.<br />

Für Bilfinger Berger haben die Projekte ein Auftragsvolumen<br />

von insgesamt 350 Millionen Euro. Das Unternehmen<br />

ist Marktführer bei der Gründung küsten -<br />

ferner Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee.<br />

PRIVATER PARTNER FÜR SCHULEN IN BELFAST<br />

IN BILDUNG INVESTIERT<br />

Im nordirischen Belfast ist Bilfinger Berger Project<br />

Investments seit vielen Jahren im Bildungssektor<br />

aktiv. Nun wird das Unternehmen zwei weitere<br />

Schulen im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft<br />

finanzieren, planen, bauen und 25 Jahre<br />

lang betreiben. Das Lagan College wird saniert<br />

und erweitert, die Tor Bank School komplett neu<br />

gebaut. Das Investitionsvolumen beträgt rund 60<br />

Millionen Euro.<br />

STRASSEN FÜR POLEN<br />

AUSBAU DES AUTOBAHNNETZES<br />

Bilfinger Berger Budownictwo ist in ganz Polen<br />

an großen Projekten zum Ausbau des Straßennetzes<br />

beteiligt. Der neuste Zugang ist ein 23 Kilometer<br />

langes Teilstück der Nationalstraße 8 bei Rawa<br />

Mazowiecka. Die bislang zweispurige Strecke wird<br />

zu einer vierspurigen Autobahn erweitert. Darüber<br />

hinaus entstehen vier Anschlussstellen und 19<br />

Brücken. Die Arbeiten sollen Mitte 2012 abgeschlossen<br />

sein, der Auftragswert beläuft sich auf 90<br />

Millionen Euro.<br />

NUR FLIEGEN IST SCHÖNER<br />

MONTAGELINIEN FÜR DEN AIRBUS<br />

Bilfinger Berger Industrial Services errichtet Montagelinien für EADS. Der<br />

jüngste von bislang sieben Aufträgen umfasst Planung, Fertigung, Aufbau<br />

und Inbetriebnahme von Montagelinien für den Airbus A350 XWB und hat<br />

ein Volumen von rund 150 Millionen Euro. Davon entfällt rund die Hälfte auf<br />

Bilfinger Berger. Derzeit werden Montagelinien an den Standorten Hamburg,<br />

Nordenham und Saint-Nazaire aufgebaut.<br />

AIRBUS-MONTAGEHALLE IN HAMBURG.<br />

MARKTFÜHRER BEI <strong>DER</strong> GRÜNDUNG<br />

KÜSTENFERNER WINDPARKS.<br />

NACHRÜSTUNG VON KOHLEKRAFTWERKEN<br />

ANPASSUNG AN EU-STANDARDS<br />

Im polnischen Belchatow wird Bilfinger Berger Power Services das größte<br />

Braunkohlekraftwerk Europas modernisieren. Das Unternehmen erneuert die<br />

Dampferzeuger in sechs Kraftwerksblöcken. Die Anlage wird so an die Umweltstandards<br />

der Europäischen Union angepasst. Das Projekt wird in Teilschritten<br />

umgesetzt und hat eine Gesamtlaufzeit von 70 Monaten, der Auftragswert<br />

beläuft sich auf 460 Millionen Euro.<br />

AUSTRALIENGESCHÄFT VERKAUFT<br />

BYE-BYE, MATES!<br />

GEBÄUDEMANAGEMENT<br />

INTERNATIONALE NACHFRAGE<br />

PUMPSTATIONEN FÜR DIE PIPELINE<br />

INFRASTRUKTUR FÜR<br />

TEXANISCHES ÖLFELD<br />

Im Süden des US-Staates Texas wird Bilfinger<br />

Berger Industrial Services fünf Pumpstationen<br />

und Tanklager planen, fertigen und<br />

errichten. Die Anlagen sind Teil einer knapp<br />

250 Kilometer langen neuen Pipeline zur Erschließung<br />

des Öl- und Gasfelds „Eagle Ford<br />

Shale“, einem der größten Vorkommen<br />

der Vereinigten Staaten. Auftraggeber ist<br />

Enterprise Products, der Auftrag hat einen<br />

Wert von rund 130 Millionen Euro.<br />

Bilfinger Berger hat sich von seiner Beteiligung Valemus Australia getrennt.<br />

Sämtliche Anteile gingen an den australischen Bau- und Immobilienkonzern<br />

Lend Lease. Bilfinger Berger ist durch den Verkauf zusätzliche Nettoliquidität<br />

von über einer halben Milliarde Euro zugeflossen. Die Veräußerung schafft die<br />

finanzielle Grundlage für den weiteren Ausbau des Dienstleistungsgeschäfts.<br />

Bilfinger Berger Facility Services hat aus der Industrie Aufträge mit einem Gesamtvolumen<br />

von rund 55 Millionen Euro erhalten. Die BASF hat technische<br />

Leistungen an Standorten in 13 Ländern beauftragt. Bei Carl Zeiss übernimmt<br />

das Unternehmen den technischen Gebäudebetrieb für zwei Produktionsstandorte.<br />

Für Orange Communications wird Bilfinger Berger sämtliche<br />

Schweizer Liegenschaften betreuen. Die Verträge haben eine Laufzeit von drei<br />

bis fünf Jahren.<br />

THE SEVEN IN MÜNCHEN<br />

HEIZKRAFTWERK WIRD<br />

LUXUSIMMOBILIE<br />

In der Münchner City ist Bilfinger Berger mit einem<br />

Auftragsvolumen von rund 60 Millionen Euro<br />

am Bau eines exklusiven Wohn- und Arbeitsviertels<br />

beteiligt. „The Seven“ entsteht auf dem Gelände<br />

eines ehemaligen Heizkraftwerks. Der 56<br />

Meter hohe Maschinenturm wird als Industriedenkmal<br />

erhalten und zum höchsten Wohngebäude<br />

der Innenstadt umgebaut. Daneben entsteht<br />

auf dem 14 000 Quadratmeter großen<br />

Areal ein fünfgeschossiges Atriumgebäude. The<br />

Seven verfügt über großzügige Grünflächen,<br />

Tiefgarage, Kindertagesstätte und einen Fitness-<br />

Bereich. Die Penthouse-Wohnung im Heizkraftwerk<br />

gilt als die teuerste Wohnung Münchens.<br />

<strong>DER</strong> MASCHINENTURM<br />

WIRD ZUM WAHRZEICHEN.<br />

// 49


50 \\ STRASSEN <strong>DER</strong> WELT Bilfinger Berger Magazin // 02 2011<br />

NORWEGEN<br />

EUROPASTRASSE 18<br />

ELCHE DÜRFEN<br />

WEITER RÖHREN<br />

Die Europastraße 18 führt von Norwegen<br />

über Schweden und Finnland bis nach Russland.<br />

Ein landschaftlich besonders reizvoller<br />

Abschnitt liegt zwischen Kristiansand und<br />

Grimstad am Südzipfel Norwegens. Die Straße<br />

führt über tief eingeschnittene Fjorde,<br />

durch Hügel und Täler weiter nach Oslo. Lange<br />

Jahre galt dieser Teil der E 18 als besonders<br />

gefährlich. Die Strecke war eng und kurvig,<br />

mit nur einer Spur pro Fahrtrichtung. Wenn<br />

im Juli die Touristen ins Land strömten und<br />

der Verkehr auf 16000 Fahrzeuge pro Tag anschwoll,<br />

wurde die Fahrt zum Wagnis. Bilfinger<br />

Berger hat die Straße begradigt und vierspurig<br />

ausgebaut. Mehr als sechs Kilometer<br />

der rund 40 Kilometer langen Trasse verlaufen<br />

nun in Tunnels, 60 Brücken überspannen<br />

die Landschaft – auch, um möglichst wenig<br />

in den Lebensraum von Elchen und Hirschen<br />

einzugreifen. Die Strecke ist eine der ersten<br />

in Norwegen, die im Rahmen einer öffent -<br />

lich-privaten Partnerschaft entstand. Bilfinger<br />

Ber ger Project Investments wird den<br />

Streckenabschnitt bis zum Jahr 2034 be -<br />

treiben. (si)

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