Psychiatrische Begutachtung von Mobbing-Opfern - baemayr.net
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Dr. med. Argeo Bämayr<br />
<strong>Psychiatrische</strong> <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mobbing</strong>-<strong>Opfern</strong><br />
Problematik und Risiken für Gutachter und Betroffene<br />
wissenschaftl. Abhandlung<br />
Coburg<br />
2004
<strong>Psychiatrische</strong> <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> <strong>Mobbing</strong>-<strong>Opfern</strong><br />
Risiken für Gutachter und Betroffene<br />
Am 16.11.2009 wurde ein ausschließlich als Gutachter tätiger Psychiater vom Verwaltungsgericht<br />
Gießen rechtskräftig zu einer Geldbuße <strong>von</strong> 12.000 € und einem Verweis verurteilt, weil er bei der<br />
Erstellung <strong>von</strong> vier „Nervenärztlichen Gutachten“ die Standards für psychiatrische Gutachten nicht<br />
eingehalten hätte (Verwaltungsgericht Giessen: Az 21 K 1220/09.GL.B). Der Skandal, dass<br />
aufgrund dieser psychiatrischen <strong>Begutachtung</strong>en gleich vier schwer vom Dienstherrn gemobbte<br />
Steuerfahnder in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurden, ist im Jahr 2010 Gegenstand eines<br />
parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Hessen. Obwohl Vorsatz nachgewiesen wurde,<br />
stellt sich die Frage, ob sich der Gutachter <strong>von</strong> der Finanzbehörde hat wissentlich oder<br />
unwissentlich missbrauchen lassen oder ob er über die häufig zu beobachtenden Fallstricke bei der<br />
<strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> <strong>Mobbing</strong>-<strong>Opfern</strong> gestolpert ist?<br />
Eine durch <strong>Mobbing</strong> schwer traumatisierten Patientin hat sich 7 Tage nach einer <strong>Begutachtung</strong> das<br />
Leben genommen. Der Grund war die Feststellung der Arbeitsfähigkeit auf dem Boden der<br />
Fehldiagnose eines „leichten depressiven Verstimmungszustands“.<br />
Derart fatale Abläufe bei <strong>Begutachtung</strong>en <strong>von</strong> <strong>Mobbing</strong>-<strong>Opfern</strong> beschreibt bereits Leymann, der<br />
die Stigmatisierungen im juristischen und medizinischen Bereich der 4. und 5. Phase der <strong>Mobbing</strong>-<br />
Katastrophe zuord<strong>net</strong> (16). Weitere Therapeuten bestätigen dies auch bei anderweitig<br />
Traumatisierten (z.B. Asylsuchenden) (10).<br />
Positive psychiatrische <strong>Begutachtung</strong>en bei Psychotraumatisierten sind für Gutachter aber auch<br />
nicht ungefährlich, wie das „Harte Urteil für Psychiater“ mit einem Jahr und sechs Monate<br />
Freiheitsstrafe auf Bewährung zeigt (3). Dieser habe ohne ausreichende Untersuchungen<br />
posttraumatische Belastungsstörungen bei durch Krieg Traumatisierten attestiert.<br />
<strong>Begutachtung</strong>en gestalten sich bei traumatisierten <strong>Opfern</strong> besonders riskant, wenn staatliche<br />
Institutionen „staatsdienliche“ Ergebnisse erwarten, wie obige Beispiele zeigen. Erwartungen der<br />
Auftraggeber und der Leidensdruck <strong>von</strong> psychisch Traumatisierten erschweren eine<br />
Objektivierung und die Einhaltung der Neutralität. Wenn sich Opfer noch in einem andauernden<br />
Traumatisierungsprozess befinden, erhöht sich die Gefahr einer psychodynamischen Interaktion<br />
zwischen Opfer und Gutachter.<br />
<strong>Begutachtung</strong>srelevanz<br />
Unter Ausschluss banaler oder allgemeiner Arbeitsplatzkonflikte definiert sich <strong>Mobbing</strong>/Bossing in<br />
Anlehnung an die juristische Definition wie folgt:<br />
<strong>Mobbing</strong> liegt vor, wenn im Rahmen einer Täter-Opfer-Konstellation innerhalb einer<br />
sozialen Gemeinschaft oder innerhalb eines Abhängigkeitsverhältnis der Täter mittels<br />
Psychoterror (psychische und /oder körperliche Gewalt) willkürlich und systematisch zum<br />
Zweck der Erhaltung oder der Erzielung eines höheren Rangs in der sozialen Gemeinschaft<br />
die Persönlichkeitsrechte seines Opfers so verletzt, dass das Opfer psychosozial destabilisiert<br />
einen zunehmenden gesundheitlichen und sozialen Schaden erleidet.
<strong>Mobbing</strong> und die hieraus resultierenden Erkrankungen tangieren unser Rechts- und Sozialsystem<br />
in erheblichem Umfang. Kaum befindet sich ein <strong>Mobbing</strong>-Opfer in ärztlicher oder<br />
psychotherapeutischer Behandlung, muss es sich einer <strong>Begutachtung</strong> zur Überprüfung<br />
- einer Arbeitsunfähigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK),<br />
- der Notwendigkeit einer psychosomatisch/psychotherapeutischen Behandlung in einem<br />
Krankenhaus oder Reha-Einrichtung durch den Rentenversicherungsträger oder MdK,<br />
- der Indikation einer Psychotherapie im Gutachterverfahren vor Psychotherapien durch<br />
gesondert ernannte Gutachter usw.<br />
unterziehen. Bei schweren Verläufen erfolgen weitere medizinische <strong>Begutachtung</strong>en z. B.<br />
- durch Versorgungsämter zur Feststellung des Behinderungsgrades,<br />
- durch arbeitsamtsärztliche Dienste zur Vermittelbarkeit <strong>von</strong> Arbeitslosen,<br />
- durch Gesundheitsämter zur Feststellung der Dienstfähigkeit im öffentlichen Dienst oder<br />
- durch Rentenversicherungsträger zu Rehabilitations- und Berentungsfragen usw..<br />
Über diese <strong>von</strong> Sozialgerichten/Verwaltungsgerichten zu beurteilende <strong>Begutachtung</strong>en kommen<br />
noch medizinische <strong>Begutachtung</strong>en für zivil- und/oder strafrechtliche Verfahren wegen<br />
Schadenersatzforderungen, Beleidigungen, Körperverletzungen usw. in Betracht, sowie<br />
gelegentlich in „<strong>Mobbing</strong>schutzprozessen“ bei Arbeitsgerichten.<br />
(…...) der vollständige Text ist im Buchhandel erhältlich:<br />
Literatur<br />
Bämayr, A.: Das <strong>Mobbing</strong>syndrom - Diagnostik, Therapie und <strong>Begutachtung</strong> im<br />
Kontext zur in Deutschland ubiquitär praktizierten psychischen Gewalt,<br />
Europäischer Universitätsverlag 2012<br />
ISBN 978-3-89966-514-7<br />
1. Bämayr, A.: <strong>Mobbing</strong>, Hilflose Helfer in Diagnostik und Therapie, Dtsch Ärztebl 2001: A<br />
1811-1813 (Heft 27)<br />
2. Bämayr, A.: Gutachterverfahren vor Psychotherapien, Eine Form der strukturellen Gewalt,<br />
Dtsch Ärztebl 2002; 99: PP 345-348 (Heft 8)<br />
3. Bämayr A.: Skandalöses Urteil, DÄB 103 (2006) Heft 16: A 1067 (Leserbrief zu dem<br />
Artikel „Abschiebung – Hartes Urteil für Psychiater“ <strong>von</strong> Samir Rabbata, DÄB Heft<br />
8/2006)<br />
4. Bämayr, A.: <strong>Mobbing</strong>: Klassifikation des Erkrankungsverlaufs, in: Neurotransmitter<br />
11/2006: 22<br />
5. Braun, B., Kühn, H., Reiners, H.: Das Märchen <strong>von</strong> der Kostenexplosion, populäre<br />
Irrtümer zur Gesundheitspolitik, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, Juni 1998<br />
6. DIMDI: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten (ICD 10), Band I,<br />
Systematisches Verzeichnis, Urban und Schwarzenberg, München – Wien – Baltimore,<br />
August 1994<br />
7. Eissler, K.R.: Die Ermordung <strong>von</strong> wie vielen seiner Kinder muss ein Mensch symptomfrei<br />
ertragen können, um eine normale Konstitution zu haben? In: Psyche 17, 241-291 (1963)<br />
8. Fischer, G., Riedesser, P: Lehrbuch der Psychotraumatologie. München, Basel 1998,<br />
Reinhard-Verlag<br />
9. Gierlichs, H.W.: Psychologische Gutachten: Wissen über Traumata mangelhaft, Dtsch<br />
Ärztebl 2002; 99: A 2148 (Heft 33)
10. Gierlichs, H.W.: <strong>Begutachtung</strong> psychotraumatisierter Flüchtlinge: Konflikt mit ärztlichethischen<br />
Belangen, Dtsch Ärztebl 2003; 100: A 2198 (Heft 34-35)<br />
11. Groeblinghoff, D.: <strong>Psychiatrische</strong> und sozialmedizinische <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mobbing</strong>betroffenen, in: Arentewicz, G., Fleissner, A.: Arbeitsplatzkonflikte; Peter Lang<br />
GmbH, Frankfurt am Main, 2003<br />
12. Gunter, H.: Fehler in der psychiatrischen <strong>Begutachtung</strong>, Dtsch Ärztebl 1998; 95; A 2552<br />
(Heft 41)<br />
13. Hirschmüller, A.: Trauma und seelische Erkrankung aus historischer Sicht, Der<br />
Medizinische Sachverständige 99, 137-141, No 5 (2003)<br />
14. Korzilius, H., Rabbata, Samir: Ärztliche Gutachten – Feigenblatt für die Abschiebung,<br />
Dtsch Ärztebl 2004; 101; A 3398-3404 (Heft 50)<br />
15. Leonhardt, M., Foerster, K.: Probleme bei der <strong>Begutachtung</strong> der posttraumatischen<br />
Belastungsstörung, Der medizinische Sachverständige 99, 150-155, No 5 (2003)<br />
16. Leymann, H.: Der neue <strong>Mobbing</strong>-Bericht, Reinbek bei Hamburg 1995; Rowohlt<br />
17. Leymann, H.: Handanleitung für den LIPT-Fragebogen, Materialie Nr. 33, Tübingen 1996;<br />
dgvt-Verlag<br />
18. Leymann, H. Stockholm/Schweden; Deutsche Version <strong>von</strong> Klaus Niedl, Wien/Österreich:<br />
LIPT-Fragebogen, Tübingen; dgvt-Verlag<br />
19. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Bayern – AOK Bayern: „Gemeinsame<br />
Arbeitshilfe für Krankengeldfallmanager (FM) bei Arbeitsunfähigkeitsfällen mit<br />
Arbeitsplatzkonflikten“, Stand 10. November 2006<br />
20. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Bayern – AOK Bayern: „Gemeinsame<br />
Arbeitshilfe für Krankengeldfallmanager (FM) für Arbeitsunfähigkeitsfälle mit psychischen<br />
Erkrankungen“, Stand 10. November 2006.<br />
21. Saß, H., Wittchen, H.U., Zaudig, M., Houben, I.: Diagnostisches und Statistisches Manual<br />
Psychischer Störungen - Textrevision - DSM-IV-TR, Hogrefe Verlag für Psychologie,<br />
Göttingen, 2003 (Titel der Originalausgabe: American Psychiatric Association: Diagnostic<br />
and Statistical Manual of Mental Disorders, Fourth Edition, Text Revision. Washington,<br />
DC, American Psychiatric Association, 2000<br />
22. Schnyder, U.: Entstehung und Verlauf der posttraumatischen Belastungsstörung, Der<br />
medizinische Sachverständige, 99, 142-145, No 5 (2003)<br />
23. Sonnenmoser, M.: Psychotraumatologie: „Entwicklungsland“ in der Forschung, Dtsch<br />
Ärzteblatt 2003, PP 2: 362 (Heft 8)<br />
24. Ulsenheimer, K.: Arztstrafrecht in der Praxis, 2. Auflage, CF-Müller-Verlag, Heidelberg<br />
1998, zu § 278 StGB (Falschattestierung, „wenn ein Befund bescheinigt wird, ohne dass<br />
der Arzt eine Untersuchung des Patienten vorgenommen hat“)<br />
25. Wickler, P.: Wertorientierungen im Unternehmen und gerichtlicher <strong>Mobbing</strong>schutz, Der<br />
Betrieb, 2002; 55:477-484 (Heft 9)<br />
26. Wickler, P.: Thesen und Erfordernisse zur <strong>Mobbing</strong>bekämpfung durch Justiz und<br />
Gesetzgeber, in: M. <strong>von</strong> Saldern: <strong>Mobbing</strong>;Betriebspädagogik aktuell, Band 4:131-147,<br />
Schneider Verlag, Hohengehren 2002<br />
27. Wickler, P.: <strong>Mobbing</strong> als Noxe, Der medizinische Sachverständige 100, 64-69, No 2<br />
(2004)<br />
28. Wickler, P.: Handbuch <strong>Mobbing</strong>-Rechtsschutz, C.F. Müller Verlag, Heidelberg, 2004<br />
29. Zapf, D.: <strong>Mobbing</strong> in Organisationen. Ein Überblick zum Stand der Forschung, in:<br />
Zeitschrift für Arbeits- & Organisationspsychologie, 43, 1-25 (1999)<br />
30. Bämayr A. Unzulässigkeit des „Gutachterverfahrens vor Psychotherapien“ aus<br />
strafrechtlichen Gründen, in Psychotherapeuten Forum 6/2001. 32-38