Analoge Tricktechnik im Zeitalter digitaler Medien - Institut für ...
Analoge Tricktechnik im Zeitalter digitaler Medien - Institut für ... Analoge Tricktechnik im Zeitalter digitaler Medien - Institut für ...
Ludwig-Maximilians-Universität München Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften Department Kunstwissenschaften Institut für Kunstpädagogik Bachelorarbeit Für den Studiengang Kunst und Multimedia an der LMU München Analoge Tricktechnik im Zeitalter digitaler Medien – Eine Untersuchung zur Ästhetik und Aussage in Musikvideos – vorgelegt von: Gutachter: Bogdan Brakalov Matrikelnummer: 2256590 Ungererstr. 214 80805 München Tel.: 0162 542 80 40 E-Mail: b.brakalov@gmx.de Dr. des. Daniel Botz Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Kunstpädagogik Leopoldstraße 13 D-80802 München Telefon: +49 (0)89 / 2180 - 5958 Fax: +49 (0)89 / 2180 - 5281 E-Mail: daniel.botz@lmu.de München, den 16.06.2011
- Seite 2 und 3: Inhalt 1 EINLEITUNG................
- Seite 4 und 5: 1. Einleitung Tricktechnik hat weit
- Seite 6 und 7: 2. Gegenstand „Der Unterschied zw
- Seite 8 und 9: 2. Gegenstand geleitet von dem bish
- Seite 10 und 11: 2.2 Die Tricktechniken 2. Gegenstan
- Seite 12 und 13: 2. Gegenstand Grundprinzip nichts g
- Seite 14 und 15: 2.2.3 Computeranimation und compute
- Seite 16 und 17: 2. Gegenstand thema ein interessant
- Seite 18 und 19: 2. Gegenstand warum das so ist, fü
- Seite 20 und 21: 3. Analyse sauberer als die Handzei
- Seite 22 und 23: 3. Analyse kann. Das widerspricht g
- Seite 24 und 25: 3. Analyse wie in der realen Welt z
- Seite 26 und 27: 3. Analyse betrachtet werden, die d
- Seite 28 und 29: 3. Analyse entstanden ist. 42 Es gi
- Seite 30 und 31: 3. Analyse tes höher halten als de
- Seite 32 und 33: 3. Analyse Zusammenfassend kann man
- Seite 34 und 35: 3. Analyse Videos tauchen nochmals
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- Seite 38 und 39: 3. Analyse tenden Teil des Landes b
- Seite 40 und 41: 3. Analyse Die analoge Tricktechnik
- Seite 42 und 43: 4 Fazit / Ausblick 4. Fazit / Ausbl
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- Seite 46 und 47: 5. Quellenverzeichnis online.de/fil
- Seite 48: Erklärung 5. Quellenverzeichnis Hi
Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />
Fakultät <strong>für</strong> Geschichts- und Kunstwissenschaften<br />
Department Kunstwissenschaften<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Kunstpädagogik<br />
Bachelorarbeit<br />
Für den Studiengang Kunst und Mult<strong>im</strong>edia<br />
an der LMU München<br />
<strong>Analoge</strong> <strong>Tricktechnik</strong> <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong><br />
– Eine Untersuchung zur Ästhetik und Aussage in Musikvideos –<br />
vorgelegt von:<br />
Gutachter:<br />
Bogdan Brakalov<br />
Matrikelnummer: 2256590<br />
Ungererstr. 214<br />
80805 München<br />
Tel.: 0162 542 80 40<br />
E-Mail: b.brakalov@gmx.de<br />
Dr. des. Daniel Botz<br />
Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Kunstpädagogik<br />
Leopoldstraße 13<br />
D-80802 München<br />
Telefon: +49 (0)89 / 2180 - 5958<br />
Fax: +49 (0)89 / 2180 - 5281<br />
E-Mail: daniel.botz@lmu.de<br />
München, den 16.06.2011
Inhalt<br />
1 EINLEITUNG.........................................................................................................1<br />
2 GEGENSTAND.......................................................................................................3<br />
2.1 DEFINITION: ANALOGE TRICKTECHNIKEN..................................................................................3<br />
2.1.1 Wortursprung..........................................................................................................3<br />
2.1.2 Stufen zwischen analog und digital .......................................................................3<br />
2.1.3 Digitalisierung.......................................................................................................4<br />
2.1.4 <strong>Analoge</strong>s Medium ..................................................................................................5<br />
2.1.5 An<strong>im</strong>ation...............................................................................................................6<br />
2.1.6 Zusammenfassung .................................................................................................7<br />
2.2 TRICKTECHNIKEN.................................................................................................................8<br />
2.2.1 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 2D.........................................................................8<br />
2.2.1.1 Zeichentrick 8<br />
2.2.1.2 Rotoskopie 9<br />
2.2.1.3 Flachfiguren-/Legefigurenan<strong>im</strong>ation - Cutout 9<br />
2.2.2 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 3D.......................................................................10<br />
2.2.2.1 Puppenan<strong>im</strong>ation/Modelan<strong>im</strong>ation 10<br />
2.2.2.2 Sachan<strong>im</strong>ation 10<br />
2.2.2.2 Pixilation 11<br />
2.2.2 Computeran<strong>im</strong>ation und computergestütze An<strong>im</strong>ation.........................................11<br />
2.3 MUSIKVIDEO ...................................................................................................................12<br />
2.2.1 Definition und Herleitung....................................................................................12<br />
2.2.2 Etablierung als Medium ....................................................................................13<br />
2.2.3 Zusammenfassung................................................................................................15<br />
2.2.4 An<strong>im</strong>ation in Musikvideos ...................................................................................15<br />
3 ANALYSE..............................................................................................................17<br />
3.1 ÄSTHETIK: ZWISCHEN AUTHENTIZITÄT UND KÜNSTLICHKEIT .....................................................17<br />
3.1.1 Körperlichkeit, Zufall und digitale Kälte.............................................................17<br />
3.1.2 Magie der Objekte ...............................................................................................19<br />
3.1.3 Die Hybridisierung von analog und digital..........................................................23<br />
3.2 PARALLELEN: MUSIK, TRICKTECHNIK UND SYMBOLE................................................................25<br />
3.3 KURZANALYSE: MUSIKVIDEO...............................................................................................30<br />
3.3.1 Tool: „Sober“(1993)............................................................................................31<br />
3.3.2 Eiffel 65: „Blue (Da Ba Dee)“(1999) ..................................................................33<br />
3.3.3 Incubus: „Megalomaniac“(2003)........................................................................35<br />
3.3.4 Marteria: „Sekundenschlaf“(2011)......................................................................37<br />
3.3.5 The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“(1996).............................................38<br />
4 FAZIT / AUSBLICK.............................................................................................40<br />
5 QUELLENVERZEICHNIS.................................................................................42<br />
ANHANG...............................................................................................................45
1 Einleitung<br />
1. Einleitung<br />
Betrachtet man allein die Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, um<br />
Auditives mit Visuellem zu kombinieren, ist es nicht verwunderlich, dass sich<br />
das Musikvideo in einem Prozess des stetigen Wandels befindet. Je fortschritt-<br />
licher die Technik wird, desto grenzenloser erscheinen die Optionen die sich<br />
uns bieten, um Ergebnisse kreativer Prozesse zu liefern. Natürlich muss auch<br />
berücksichtigt werden, dass mit dem heutigen Wohlstand auch viele Bevölke-<br />
rungsgruppen Zugang zu Technologien haben, mit denen zum Beispiel vor 30<br />
Jahren nur die Wenigsten in Kontakt kommen konnten (falls es sie überhaupt<br />
schon gab). Und auch wenn es damals einen besseren Zugang gegeben hätte,<br />
wäre es weitaus mühseliger, sich das Wissen anzueignen, das sich in unserer<br />
heutigen Informationsgesellschaft mit Hilfe des Internet ohne große Mühen<br />
herausfiltern lässt. Zudem wird die relevante Technik <strong>im</strong>mer billiger und so-<br />
mit auch <strong>für</strong> fast jedermann erschwinglicher.<br />
Dennoch bedeutet technologischer Fortschritt nicht zwangsläufig, dass man<br />
sich lediglich auf moderne Möglichkeiten fokussiert und die alten in Verges-<br />
senheit geraten. Sicherlich stehen Erstere häufiger auf dem Radar - allein<br />
schon um sie weiterentwickeln zu können - doch die <strong>für</strong> die heutige Generati-<br />
on wohl eher als veraltet angesehenen analogen <strong>Tricktechnik</strong>en finden nach<br />
wie vor ihren Platz und werden zugleich in den Fortschritt integriert. Ziel die-<br />
ser Arbeit ist es unter anderem, die Essenz analoger <strong>Tricktechnik</strong>en zu fassen<br />
und zu klären wo und wie sie in heutigen Zeiten zum Einsatz kommen. Ge-<br />
nauer gesagt: In Zeiten <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> in denen sich sämtliche Information<br />
lediglich durch Einsen und Nullen darstellen und vermitteln lässt. Diese Infor-<br />
mationsüberführung gilt auch <strong>für</strong> analoge <strong>Tricktechnik</strong>en. Sicherlich wird man<br />
sie auch oft genug in natura vorfinden, doch es scheint als ob sich durch die<br />
Digitalisierung der Aggregatzustand von analogen <strong>Tricktechnik</strong>en verändert<br />
hat. Man kann schon an dieser Stelle festhalten, dass die Idee, die sich hinter<br />
der Fassade analoger <strong>Tricktechnik</strong>en verbirgt, nach wie vor präsent ist. Es ha-<br />
ben sich lediglich die Mittel der Umsetzung geändert. Die Ästhetik dieser<br />
1
1. Einleitung<br />
<strong>Tricktechnik</strong> hat weiterhin ihren Reiz und einen speziellen Charakter. Doch<br />
durch die neuen digitalen Möglichkeiten hat sich eine Hybridform entwickelt,<br />
die bei der Umsetzung helfen kann. Wobei diese Änderung sowohl Vorteile als<br />
auch Nachteile mit sich führt, was an späterer Stelle genauer erörtert wird.<br />
Auch wenn man in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung einen weiten<br />
Bogen um das Wort "Magie" machen sollte, muss an dieser Stelle genau da-<br />
von gesprochen werden. Denn es haftet eine Art Magie an diesen altbewährten<br />
Techniken. Genau diese soll hier entmystifiziert, analysiert und begriffen wer-<br />
den.<br />
Wie bereits angedeutet sind die künstlerischen Umsetzungsmöglichkeiten in<br />
heutigen Zeiten nahezu unermesslich. Die Anzahl der produzierten Musikvi-<br />
deos (z.T in He<strong>im</strong>produktion) ist in den vergangenen Jahren derartig gewach-<br />
sen, dass ihre formale und inhaltliche Bandbreite so groß ist, dass sich viele<br />
Aspekte nur in einem best<strong>im</strong>mten Kontext auf eine ergiebige Art und Weise<br />
analysieren lassen. Deshalb ist es Ziel dieser Arbeit, nur Aussagen und Ästhe-<br />
tik von solchen Musikvideos, die analoge <strong>Tricktechnik</strong>en verwenden, zu fas-<br />
sen und zu deuten.<br />
2
2 Gegenstand<br />
2.1 Definition: <strong>Analoge</strong> <strong>Tricktechnik</strong>en<br />
2. Gegenstand<br />
Der Begriff „analoge <strong>Tricktechnik</strong>“ kommt <strong>im</strong> allgemeinen Sprachgebrauch<br />
eigentlich gar nicht vor, ist jedoch eine Wortschöpfung, die <strong>für</strong> die Bearbei-<br />
tung des Themas unerlässlich ist. Deshalb ist es wichtig, zunächst zu klären<br />
was damit gemeint ist. Dazu soll der Begriff erst einmal auseinandergenom-<br />
men werden.<br />
2.1.1 Wortursprung<br />
„<strong>Tricktechnik</strong>“ spricht allein schon aus der Wortzusammensetzung <strong>für</strong> sich.<br />
Es bezeichnet ein Verfahren mit dem man eine Illusion erzeugen kann. Also<br />
eine Technik mit der ein Trick erzeugt wird. Interessanter ist in diesem Zu-<br />
sammenhang die Bedeutung von „analog“. Schlägt man <strong>im</strong> Duden den Begriff<br />
„analog“ nach, wird man zunächst auf folgende aus der Bildungssprache<br />
stammenden Synonyme stoßen: „identisch“, „ähnlich“ und weitere. Die Be-<br />
deutung dürfte in dem Fall allein schon aus dem Alltag bekannt sein. Aller-<br />
dings ist sie <strong>für</strong> den hiesigen Sachverhalt eher irrelevant und nur der Vollstän-<br />
digkeit wegen erwähnt. Es gibt noch zwei weitere Bedeutungen. In der elek-<br />
tronischen Datenverarbeitung meint „analog“, dass etwas kontinuierlich bzw.<br />
stufenlos ist. Auf physikalischer Ebene ist etwas analog, wenn es „durch ein<br />
und dieselbe mathematische Beziehung beschreibbar“ bzw. wenn es „einen<br />
Wert durch eine physikalische Größe darstellend“ ist. 1<br />
2.1.2 Stufen zwischen analog und digital<br />
Der Begriff „stufenlos“ ist vor allem <strong>für</strong> die Auseinandersetzung mit dem Be-<br />
griff „digital“ interessant, weswegen Letzteres ebenfalls zur Erläuterung mit-<br />
berücksichtigt werden muss. So schreibt Ursula Brandstätter:<br />
1 Gesamter letzter Absatz: Vgl. analog – Artikel – duden.de: http://www.duden.de/rechtschreibung/analog_aehnlich_kontinuierlich<br />
, Zugriff am 26.5.2011.<br />
3
2. Gegenstand<br />
„Der Unterschied zwischen den syntaktischen Grundbegriffen 'analog' und 'di-<br />
gital' kann am besten am Beispiel zweier unterschiedlicher Temperaturmess-<br />
geräte veranschaulicht werden. Bedenken wir zunächst die analoge Zeichen-<br />
funktion eines stufenlosen, unskalierten Quecksilberthermometers: Steigt die<br />
Außentemperatur, so dehnt sich das Quecksilber aus und die Quecksilbersäule<br />
steigt. Sie kann dabei eine unendliche Menge von möglichen Positionen errei-<br />
chen, da es theoretisch zwischen zwei erreichten Positionen <strong>im</strong>mer noch eine<br />
dritte gibt. Diese unendliche Differenzierung wird als syntaktische Dichte cha-<br />
rakterisiert. Von „analogen“ Repräsentationen spricht man also, wenn die<br />
Menge der Zeichen <strong>im</strong> mathematischen Sinn dicht oder kontinuierlich (ohne<br />
Zwischenstufen) ist.<br />
Demgegenüber bezeichnet der Begriff 'digital' ein diskontinuierliches, endlich<br />
differenziertes Zeichensystem. Als Beispiel <strong>für</strong> digitale Zeichen kann ein Tem-<br />
peraturmessgerät genommen werden, das über eine Mess-Skala verfügt: Die<br />
Skala ermöglicht es, Temperaturwerte in Zehntelgraden abzulesen. Auf diese<br />
Weise verwandelt sich das analoge Zeichensystem in ein digitales. Jede Positi-<br />
on der Quecksilbersäule wird einem best<strong>im</strong>mten, eindeutigen Wert auf der<br />
Skala zugeordnet. Digitale Zeichen sind also differenziert und damit diskonti-<br />
nuierlich.“ 2<br />
2.1.3 Digitalisierung<br />
Was hat dieses Beispiel <strong>für</strong> eine Bedeutung <strong>für</strong> die Begrifflichkeit von „analo-<br />
gen <strong>Tricktechnik</strong>en“? Im Titel der Arbeit steht der Begriff in Relation zum<br />
„<strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong>“. An dieser Stelle ist es unerlässlich den Bogen<br />
noch weiter zu spannen und <strong>im</strong> gleichen Zug die Bedeutung vom „digitalen<br />
<strong>Zeitalter</strong>“ anzureißen, bevor es gilt zu konkretisieren was als „analoge Trick-<br />
technik“ bezeichnet werden kann bzw. bezeichnet wird.<br />
2 Brandstätter, Ursula (2004): Bildende Kunst und Musik <strong>im</strong> Dialog. Ästhetische, zeichentheoretische<br />
und wahrnehmungspsychologische Überlegungen zu einem kunstspartenübergreifenden<br />
Konzept ästhetischer Bildung. Augsburg: Wissner. S. 108. Bezieht sich auf<br />
Nelson Goodman (1973): Sprachen der Kunst. Ein Anatz zu einer Symboltheorie, Frankfurt<br />
am Main: Suhrkamp. S. 166ff.<br />
4
2. Gegenstand<br />
Markant <strong>für</strong> das digitale <strong>Zeitalter</strong> ist, dass Informationen in Form von Nullen<br />
und Einsen abgespeichert werden können: Dem sogenannten Binärcode. Um<br />
etwas zu digitalisieren, muss es von einem analogen Format in ein digitales<br />
Format umgewandelt werden. Das Verfahren heißt „Digitalisierung“. Dies ge-<br />
schieht, indem man kontinuierliche Größen in abgestufte Werte überführt.<br />
Durch diesen Vorgang geht stets Information verloren. Und zwar diejenige,<br />
die sich zwischen den abgestuften Werten befindet. Man nehme als Beispiel<br />
die Digitalisierung von Musik. Um ein analoges Audiosignal zu digitalisieren<br />
wird eine Abtastrate verwendet. Dabei werden in best<strong>im</strong>mten zeitlichen Inter-<br />
vallen Werte eines Audiosignals abgelesen und gespeichert. Anhand dieser<br />
Werte lässt sich schließlich das analoge Signal digital rekonstruieren. Der In-<br />
formationsgehalt zwischen den jeweiligen Werten wird jedoch nicht gemes-<br />
sen, sondern lediglich berechnet und muss nicht zwangsläufig den gleichen<br />
Informationsgehalt besitzen, wie das ursprüngliche Signal. Als weiteres an-<br />
schauliches Beispiel stelle man sich einfach einen Film vor, der in 24 Bildern<br />
pro Sekunde läuft. Wenn jedes zweite Bild fehlen würde, dann erschiene bei-<br />
spielsweise eine flüssige Bewegung plötzlich nicht mehr flüssig. Für die wei-<br />
tere Bearbeitung des Hauptthemas soll an dieser Stelle der Verlust von Infor-<br />
mation bei der Digitalisierung als eines der Hauptprobleme festgehalten wer-<br />
den.<br />
2.1.4 <strong>Analoge</strong>s Medium<br />
Um die Bedeutung von „analoge <strong>Tricktechnik</strong>en“ zu verdeutlichen, soll zu-<br />
dem gezeigt werden, was ein analoges Medium ist. Im Rahmen dieser Arbeit<br />
wird ein analoges Medium als zum Beispiel eine Schallplatte oder ein Film,<br />
Papier oder Folie verstanden. Also greifbare Gegenstände, die via mechani-<br />
scher oder auch chemischer Manipulation einen Informationsgehalt speichern<br />
können. Die händische Übertragung von Information durch Zeichnen oder<br />
Malen natürlich mit inbegriffen. Ein etwas darstellendes Medium wie zum<br />
Beispiel einen Röhrenfernseher würde man auch zurecht auch als analoges<br />
Gerät bezeichnen. Allerdings wird das analoge Medium hier lediglich auf In-<br />
formationsträger beschränkt. Wenn in dieser Arbeit der Begriff „analoges Me-<br />
dium“ verwendet wird, bezieht er sich nicht auf finale Wiedergabegeräte. Ab-<br />
5
2. Gegenstand<br />
geleitet von dem bisher Erarbeiteten weist ein solches analoges Medium fol-<br />
gende Eigenschaften auf: Es muss per Hand oder mit mechanisch bzw. che-<br />
misch funktionierenden Geräten erstellt werden.<br />
2.1.5 An<strong>im</strong>ation<br />
Wenn man sich nun auf die Techniken konzentriert, die in erster Linie mit<br />
analogen <strong>Medien</strong> funktionieren, stößt man ziemlich schnell auf Verfahren wie<br />
Zeichentrick, Stop-Motion oder Rotoskopie. All diese Verfahren haben eines<br />
gemeinsam: Sie werden Bild <strong>für</strong> Bild bearbeitet, um schließlich ein bewegtes<br />
Bild erzeugen zu können. Das Stichwort lautet hier An<strong>im</strong>ation.<br />
„Das eigentliche Thema des An<strong>im</strong>ations- oder Trickfilms ist die Bewegung an<br />
sich. Der Trick der Filme besteht darin, Objekte (gezeichnete oder reale), die<br />
an sich unbewegt sind, mit Hilfe der Filmtechnik in Bewegung zu versetzen<br />
und so zu >beleben< (an<strong>im</strong>are: beseelen, beleben):>>Instead of continuously<br />
filming an ongoing action in real t<strong>im</strong>e, an<strong>im</strong>ators create a series of <strong>im</strong>ages by<br />
shooting one frame at a t<strong>im</strong>e. Between the exposure of each frame, the an<strong>im</strong>a-<br />
tor changes the subject being photographed
2. Gegenstand<br />
Während Richter und Wells eine praktische Definition liefern, bringt Norman<br />
McLaren die Essenz von An<strong>im</strong>ation zum Vorschein:<br />
„An<strong>im</strong>ation is not the art of drawings that move, but rather the art of move-<br />
ments that are drawn. What happens between each frame is more <strong>im</strong>portant<br />
than what happens on each frame.“ 5<br />
Zwar umfasst die Definition vom Wortlaut „drawings“ zunächst nur ein Gen-<br />
re, nämlich gezeichnete An<strong>im</strong>ationen. Jedoch korrigiert er später, dass er die-<br />
sen Begriff lediglich aus rhetorischen Gründen gewählt habe: „static objects,<br />
puppets and human beings can all be an<strong>im</strong>ated without drawings.“ 6<br />
2.1.6 Zusammenfassung<br />
Wie bereits angesprochen steht der Gegenstand dieser Arbeit - „analoge Trick-<br />
technik“ - in Relation zum digitalen <strong>Zeitalter</strong>. An<strong>im</strong>ation ist jedoch ein viel<br />
umfassenderer Bereich, der auch eine besondere Rolle <strong>im</strong> digitalen Rahmen<br />
spielt. Man denke an computergenerierte 3D-An<strong>im</strong>ationen. Die Definition von<br />
„An<strong>im</strong>ation“ liefert keine Aussage darüber, mit welchen Techniken sie kon-<br />
kret realisiert wird. Also, ob sie komplett am Computer erzeugt wird oder mit<br />
analogen Bearbeitungsgeräten. Wenn also <strong>im</strong> Folgenden „analoge Tricktech-<br />
nik“ definiert wird, werden ausschließlich am Computer generierte An<strong>im</strong>atio-<br />
nen nicht berücksichtigt.<br />
Demnach wird <strong>im</strong> Rahmen der Arbeit „analoge <strong>Tricktechnik</strong>“ wie folgt defi-<br />
niert: <strong>Analoge</strong> <strong>Tricktechnik</strong> ist ein Verfahren in dem man analoge <strong>Medien</strong> ani-<br />
miert. <strong>Analoge</strong> <strong>Medien</strong> können unbewegte Gegenstände, lebende<br />
Menschen/Tiere, Fotos, Figuren, Szenerien oder Zeichnungen in der Projekti-<br />
on sein. Sie müssen per Hand, oder mit Hilfe chemischer und mechanischer<br />
Verfahren entstanden sein. „An<strong>im</strong>iert“ bedeutet, dass die Illusion von Bewe-<br />
gung entstehen muss. Die Illusion muss durch Bild-<strong>für</strong>-Bild Bearbeitung ent-<br />
stehen.<br />
5 McLaren zitiert nach Furniss, Maureen (1998): Art in Motion. An<strong>im</strong>ation Aesthetics. Sydney:<br />
John Libbey & Company L<strong>im</strong>ited. S.5. Die Definition stammt aus den 50er Jahren.<br />
Sie findet sich z.B. auch bei Wells 1998: S.10.<br />
6 Ebd., S.5.<br />
7
2.2 Die <strong>Tricktechnik</strong>en<br />
2. Gegenstand<br />
Man muss sich einen bedeutenden Unterschied zwischen Realfilm und Ani-<br />
mation vor Augen halten. Während der Realfilm eine Bewegung in einzelne<br />
Bilder unterteilt, zäumt die An<strong>im</strong>ation das Pferd regelrecht von hinten auf. Zu<br />
Beginn stehen Einzelbilder, durch deren Aneinanderreihung eine Bewegung<br />
erst möglich wird. Was die dazugehörigen Verfahren, die sich <strong>im</strong> Laufe der<br />
Zeit etabliert haben, „verbindet, ist der Aufbau eines Vorgangs durch Bewe-<br />
gungsphasen.“ 7 . „Die englische Bezeichnung stop motion an<strong>im</strong>ation […] be-<br />
schreibt das Verfahren und lässt mit Recht offen, was da Bild <strong>für</strong> Bild vor der<br />
Kamera in Bewegung gesetzt wird.“ 8 Nicht zuletzt ist auch klar, dass es sich<br />
bei der An<strong>im</strong>ation – und somit den analogen <strong>Tricktechnik</strong>en – um verschiede-<br />
ne Produktionsarten handelt, die durch ihre Mannigfaltigkeit in Technik oder<br />
Formen eine unterschiedliche Ästhetik hervorrufen. Im Folgenden werden ei-<br />
nige wichtige An<strong>im</strong>ationsverfahren erläutert.<br />
7 Richter 2008, S.64.<br />
8 Ebd., S.64-65 zitiert nach Meyer-Hermann, Thomas (2005): Belebtes Material. Puppentrickfilm<br />
in Deutschland seit den 1990er Jahren. In: Stop motion – die fantastische Welt<br />
des Puppentrickfilms, Eine Ausstellung des Deutschen Filmmuseums. Herausgeber: Dietrich,<br />
Daniela & Appelt, Christian. Frankfurt am Main: Deutsches Museum S. 29.<br />
8
2.2.1 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 2D<br />
2.2.1.1 Zeichentrick<br />
2. Gegenstand<br />
Filmhistorisch betrachtet, ist der Zeichentrick die bekannteste und populärste<br />
An<strong>im</strong>ationstechnik, die in erster Linie auf Zeichnungen und gemalte Bilder<br />
zurückgreift. Für eine Sekunde Film wurden zu Beginn 24 Bilder benötigt, die<br />
auf dünnes Papier gezeichnet wurden. Sämtliche statische Bestandteile wur-<br />
den durchgepaust, was die Arbeit vereinfachen sollte. 9 Die einzelnen Phasen-<br />
bilder werden jedoch seit 1910 meist auf Folien aus durchsichtigem Zelluloid<br />
gezeichnet. Bei diesem Zeichenprozess werden die jeweiligen Bilder auf ver-<br />
schiedene Ebenen aufgeteilt. Dadurch müssen statische Bestandteile nicht je-<br />
des mal neu gezeichnet werden und man kann die unterschiedlichen Objekte<br />
unabhängig voneinander bearbeiten. So lassen sich auch die Zeichenschritte<br />
auf verschiedene Zeichner aufteilen, was die Arbeit <strong>im</strong> Allgemeinen erleich-<br />
tert. 10<br />
2.2.1.2 Rotoskopie<br />
Genau genommen ist die Rotoskopie kein An<strong>im</strong>ationsverfahren, sonder viel-<br />
mehr ein Hilfsmittel, um möglichst natürliche Bewegungen in einer An<strong>im</strong>ati-<br />
on entstehen lassen zu können.<br />
Das Rotoskopieverfahren wurde 1914 von Max Fleischer erfunden und findet<br />
seine Verwendung ursprünglich <strong>im</strong> Zeichentrickfilm. Der Realfilm dient dabei<br />
als Grundlage. Es werden ganze Szenen mit Schauspielern, Tieren oder spezi-<br />
ellen Maschinen mittels Kamera aufgenommen. Der daraus resultierende Film<br />
wird dann so projiziert, dass die verschiedenen Bewegungsphasen Bild <strong>für</strong><br />
Bild abgezeichnet werden können. 11 In heutigen Zeiten bezeichnet „Rotosko-<br />
pie“ auch ein etwas abgewandeltes Verfahren, das in vielen computergestütz-<br />
ten Videobearbeitungsprogrammen zum Einsatz kommt: Zum Beispiel lassen<br />
sich Objekte in einem Video markieren und samt ihrer Bewegung von Hinter-<br />
grund oder anderen gewünschten Bereichen freistellen. Zwar hat sich am<br />
9 Vgl. Schoemann, Annika (2003): Der Deutsche An<strong>im</strong>ationsfilm. Von den Anfängen bis zur<br />
Gegenwart 1909-2001. Sankt Augustin: Gardez Verlag. S. 46-62.<br />
10 Vgl. Richter 2008, S.65f.<br />
11 Vgl. Leonhard, Joach<strong>im</strong>-Felix (2001): <strong>Medien</strong>wissenschaft. Ein Handbuch Zur Entwicklung<br />
der <strong>Medien</strong> und Kommunikationsformen. S.1039-1040.<br />
9
2. Gegenstand<br />
Grundprinzip nichts geändert, dennoch führt dieser Sachverhalt unter Umstän-<br />
den zu Missverständnissen.<br />
2.2.1.3 Flachfiguren- / Legefigurenan<strong>im</strong>ation – Cutout An<strong>im</strong>ation<br />
Bei diesem Verfahren bedient man sich graphischer Vorlagen, wie etwa Fotos<br />
oder ausgeschnittenen Papp- oder Papierfiguren. Diese werden übereinander-<br />
gelegt und mittels Stop-Motion an<strong>im</strong>iert. Oftmals sind diese Materialien sehr<br />
detailreich, weswegen sich die Vorbereitung als aufwendig erweist. Ausge-<br />
prägte M<strong>im</strong>ik und Gestik vor einem meist reduzierten Hintergrund gehören zu<br />
den wichtigsten visuellen Darstellungskriterien, die erfüllt werden sollen.<br />
Flüssige Bewegungsabläufe oder auch Dialoge lassen sich (<strong>im</strong> analogen Be-<br />
reich) mit dieser Technik jedoch schwer umsetzen, weshalb sie meist <strong>für</strong><br />
Kurzformate zum Einsatz kommt. 12<br />
2.2.2 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 3D<br />
Im weitesten Sinne handelt es sich bei allen dreid<strong>im</strong>ensionalen An<strong>im</strong>ationen<br />
um Objektan<strong>im</strong>ationen, die <strong>im</strong> Stop-Motion Verfahren realisiert werden. Des-<br />
halb werden die <strong>im</strong> Folgenden vorgestellten <strong>Tricktechnik</strong>en häufig als Stop-<br />
Motion An<strong>im</strong>ation bezeichnet. Doch jedes Verfahren hat seine eigenen beson-<br />
deren Merkmale, die es von den anderen unterscheidet. Für diese Arbeit ist es<br />
vollkommen ausreichend, die folgenden drei Verfahren zu kennen.<br />
2.2.2.1 Puppenan<strong>im</strong>ation/Modellan<strong>im</strong>ation<br />
Unter diesem Verfahren versteht man die An<strong>im</strong>ation von beweglichen, plasti-<br />
schen Puppen, die etwa aus Holz, Draht, Stoff oder Wolle sein können. Im<br />
Prinzip alle Gegenstände, die gelenkig oder formbar sind. Zudem steht die<br />
Puppenan<strong>im</strong>ation auch in der Tradition des Marionettentheaters: „Die Puppe<br />
stellte zu allen Zeiten ein verkleinertes Bild des Menschen dar, gleichgültig,<br />
ob sie pr<strong>im</strong>itiv oder künstlerisch gefertigt war“. 13<br />
Daraus lässt sich ableiten, dass Puppen meist menschliche Züge besitzen. 14<br />
12 Letzter Absatz: vgl. Schoemann 2003, S.32f<br />
13 Letzter Absatz: Vgl. ebd, S.34f<br />
14 Vgl. Richter 2008, S.65<br />
10
2. Gegenstand<br />
Der Begriff der Modellan<strong>im</strong>ation wird häufig dann verwendet, wenn sich die<br />
Kreaturen vom Wesen der klassischen Puppe entfernt haben. Hierzu gehören<br />
auch Figuren aus Ton oder Knete, <strong>für</strong> die sich die spezielle Bezeichnung Kne-<br />
tan<strong>im</strong>ation, Clay An<strong>im</strong>ation bzw. Claymation durchgesetzt hat. 15<br />
2.2.2.2 Sachan<strong>im</strong>ation<br />
Bei der Sachan<strong>im</strong>ation – auch Sachtrick – werden dreid<strong>im</strong>ensionale Objekte<br />
Bild um Bild in ihrer Position verändert. Anders als bei der Puppenan<strong>im</strong>ation,<br />
werden die Objekte weder verfremdet noch mit M<strong>im</strong>ik oder Gestik versehen.<br />
Sie stehen einzig und allein <strong>für</strong> sich. 16 , 17<br />
2.2.2.3 Pixilation<br />
Natürlich kann grundsätzlich alles an<strong>im</strong>iert werden. Das gilt auch <strong>für</strong> Men-<br />
schen. Dieses Verfahren wird durch den Begriff „Pixilation“ beschrieben. Die<br />
Bezeichnung kann hierbei vom englischen Wort „pixilated“ hergeleitet wer-<br />
den. Also „leicht verrückt“. In Abhängigkeit von den aufgenommenen Bewe-<br />
gungsphasen (von Personen) werden hierbei reale Abläufe unterbrochen. Dar-<br />
aus resultieren bizarre Szenen, die den Menschen roboterartig erscheinen las-<br />
sen. Das Interessante an diesem Verfahren ist: Während bei Sach- oder Puppe-<br />
nan<strong>im</strong>ation meist versucht wird, eine flüssige Bewegung zu erzeugen, ver-<br />
sucht die Pixilation das genaue Gegenteil erreichen. Sie zerhackt die Bewe-<br />
gung. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass der lebende Mensch plötzlich zu<br />
einem Gegenstand mutiert. Betrachtet man erneut den Wortursprung von<br />
„An<strong>im</strong>ation“ in diesem Kontext, dann erscheint dieser Sachverhalt ein wenig<br />
paradox: An<strong>im</strong>ation soll etwas zum Leben erwecken. Doch hier wird einem<br />
Lebewesen das Leben entzogen. Man kann vermuten, dass An<strong>im</strong>ation etwas<br />
Subversives in sich birgt und nicht nur etwas beleben kann, sondern auch et-<br />
was wiederbeleben kann. Diese These wird jedoch an späterer Stelle konkreti-<br />
siert. 18<br />
15 Vgl. Faigle, Daniel (2006): Freilandeier – Konzeption und Realisation eines Stop – Motion<br />
– An<strong>im</strong>ationsfilmes. Diplomarbeit an der Fachhochschule Stuttgart. Online-Publikation.<br />
http://www.hdm-stuttgart.de/~curdt/Faigle.pdf. Zugriff am 01.06.2011. S.16.<br />
16 Vgl. Schoemann 2003, S. 30-32.<br />
17 Vgl. Richter 2008, S. 65.<br />
18 Vgl. Furniss 1998, S. 159.<br />
11
2.2.3 Computeran<strong>im</strong>ation und computergestützte An<strong>im</strong>ation<br />
2. Gegenstand<br />
Auf das Wesentliche reduziert, bezeichnet die Computeran<strong>im</strong>ation die Erzeu-<br />
gung synthetischer Bewegungsbilder. Im Gegensatz zu den klassischen Ani-<br />
mationen konstruiert diese An<strong>im</strong>ationsart „keine Einzelbilder mehr, die durch<br />
ihre unterschiedlichen Bildfigurationen in der Projektion als Bewegungsbilder<br />
erscheinen.“ 19 Darüber hinaus ist diese Technik in der Lage, Bewegungsinfor-<br />
mation und Bildinformation getrennt voneinander zu speichern. Bewegungen<br />
können demnach einem erzeugten Objekt hinzugefügt, verändert oder wieder<br />
entfernt werden. Die Visualisierung von Bilder ist hierbei gänzlich den Geset-<br />
zen der Mathematik unterworfen. In der Praxis werden Schlüsselbilder ver-<br />
wendet. Die Bewegungsphasen zwischen diesen „Keyframes“ entstehen durch<br />
Interpolation, die aus Berechnungen einer Software resultieren. 20<br />
Natürlich bedient sich die Computeran<strong>im</strong>ation des Öfteren der oben vorge-<br />
stellten traditionellen Verfahren. <strong>Analoge</strong> <strong>Medien</strong>, wie etwa Zeichnungen, Fo-<br />
tos oder Papierfiguren werden ebenfalls mit Hilfe des Computers bewegt. Für<br />
diese Methode ist jedoch eine Digitalisierung notwendig. In solchen Fällen<br />
spricht man von „computergestützter An<strong>im</strong>ation“. 21<br />
2.3 Musikvideo: Definition und historischer Rückblick<br />
„Es scheint sowohl schwierig, wo nicht sogar unmöglich, als auch müßig zu<br />
versuchen, die Stunde Null des Videoclips zu best<strong>im</strong>men. […] Als Grundpro-<br />
blem bei einer Identifikation sowohl eines solchen Anfangs als auch seiner<br />
Vorstufen erweist sich dabei, dass die entsprechenden Vorschläge stets davon<br />
abhängig sein werden, wie oder als was man Videoclips definiert und ver-<br />
steht.“ 22<br />
Demnach ist es wichtig an dieser Stelle ein Verständnis <strong>für</strong> Musikvideos auf-<br />
zubauen. Im Gegensatz zum Begriff der „analogen <strong>Tricktechnik</strong>en“ ist es hier<br />
möglich auf gängige Definitionen zurückzugreifen.<br />
19 Richter 2008, S. 64.<br />
20 Vgl. ebd., S. 63.<br />
21 Schoemann 2003, S.63.<br />
22 Keazor, Henry & Wübbena, Thorsten (2005): Video thrills the Radio Star. Musikvideos:<br />
Geschichte, Themen, Analysen. Bielefeld: transcript. S.55.<br />
12
2.3.1 Definition und Herleitung<br />
2. Gegenstand<br />
Sowohl Henry Keazor und Thorsten Wübbena als auch Mirjam Schlem-<br />
mer-James sind sich einig, dass es sich bei Musikvideos (auch: Musikvideo-<br />
clips, Videoclips, Clips) um Kurzfilme handelt, die nach der Musikproduktion<br />
von der Plattenfirma des jeweiligen Interpreten zu Promotionszwecken bei ei-<br />
nem Regisseur oder einer Produktionsfirma in Auftrag gegeben werden, um<br />
zum besseren Verkauf der Tonträger zu verhelfen. 23 , 24 Ausgehend vom Wortur-<br />
sprung des Begriffs „video“ (lat.) „ich sehe“ lässt sich ergänzend - nach Peter<br />
Weibel - „Musikvideo“ als „ich sehe Musik“ übersetzen. 25<br />
Aus Letzterem wird jedoch verdeutlich, dass es schwierig ist den historischen<br />
Ursprung des Musikvideos genau zu fassen. Nicht nur, weil „ich sehe Musik“<br />
auf vielerlei Arten interpretiert werden kann. 1895 brachte beispielsweise<br />
Thomas Alva Edison das „Kinetophon“ heraus, das es möglich machte beweg-<br />
te Bilder mit Musik zu unterlegen oder auch umgekehrt Musik mit bewegten<br />
Bildern zu untermalen. Ziel war es mit dem Gerät <strong>im</strong> he<strong>im</strong>ischen Wohnz<strong>im</strong>-<br />
mer einen Ersatz <strong>für</strong> Liveauftritte und Konzerte zu ermöglichen. 26 Diese Erfin-<br />
dung dürfte jedoch eher als Vorform angesehen werden. Das „Musiksehen“ ist<br />
eine ganz allgemeine Definition die zwar den Grundkern aus der Wortbedeu-<br />
tung her erfasst, aber als alleinstehende Paraphrase reicht sie <strong>für</strong> das heutige<br />
Verständnis von „Musikvideo“ natürlich nicht aus. Dass es sich laut Definiti-<br />
on um einen Kurzfilm handelt, ist allerdings eine wichtige Aussage, die den<br />
Sachverhalt eingrenzt. Man kann damit eine direkte Verwandtschaft zum Film<br />
herstellen. Neben der Reproduktion auditiver und visueller Information wird<br />
nach Mirjam Schlemmer-James bei beiden <strong>Medien</strong> die Verschränkung von<br />
Musik und Bild eingeschlossen. Darüber hinaus findet man in zahlreichen Vi-<br />
deoclips Filmzitate (Madonna - „Material Girl“ zitiert „Gentlemen Prefer<br />
Blondes“) oder Film-Genrezitate (Michael Jackson - „Thriller“ als Horror-<br />
film). 27 Das Zitieren ist <strong>für</strong> die spätere Auseinandersetzung mit dem Haupt-<br />
23 Vgl. Keazor, Henry und Wübbena, Thorsten: Musikvideo. http://see-this-sound.at/kompendium/abstract/44.<br />
Zugriff am 01.06.2011.<br />
24 Vgl. Schlemmer-James, Mirjam (2006): Schnittmuster. Affektive Reaktionen und variierte<br />
Bildschnitte bei Musikvideos. S. 59.<br />
25 Vgl. ebd, S.59.<br />
26 Vgl. Keazor, Henry und Wübbena, Thorsten 2005, S.57.<br />
27 Vgl. Schlemmer-James, Mirjam 2006, S.59-60.<br />
13
2. Gegenstand<br />
thema ein interessanter Punkt, da viele aktuell verwendete analoge Tricktech-<br />
niken auf (Kurz)Filmen vergangener Tage aufbauen.<br />
Eine weitere Eingrenzung bieten die in der Definition erwähnten Begriffe<br />
„Plattenfirma“ und „Promotionszwecke“. Diese lassen darauf schließen, dass<br />
es sich um ein Medium handelt, das sich irgendwann innerhalb des letzten<br />
Jahrhunderts etabliert hat.<br />
2.3.2 Historischer Durchbruch<br />
In Hinblick auf das Hauptthema der Arbeit ist es an dieser Stelle sinnvoll,<br />
einen – wenn auch groben – Zeitpunkt zu finden seit dem das Erscheinungs-<br />
bild und Verständnis von Musikvideos dem ähnelt, was wir heute aus Fernse-<br />
hen und Internet kennen. Musikvideos werden seit Mitte der 60er Jahre produ-<br />
ziert. Man denke beispielsweise an The Kinks, The Who oder auch The Bea-<br />
tles, die kurze, ihre Musik begleitende Filme kreieren wollten. Während die<br />
Videos der ersten beiden Bands – wie „Dead End Street“ (1966) und „Happy<br />
Jack „(1967) - eher auf Slapstick Comedy basierten, exper<strong>im</strong>entierten The<br />
Beatles auf psychedelischer Basis wie in „Strawberry Fields Forever“ (1967).<br />
Zudem bevorzugten sie surrealistische Realfilme in Kombination mit Kino<br />
Varieté wie in „A Hard Day's Night“ (1964) oder auch Witze, wie sie in<br />
„Help!“ (1965) zu sehen sind. Man kann jedoch erst eine Dekade später von<br />
einem ersten möglichen Durchbruch sprechen. Auch gab es schon in den<br />
40ern die „Soundies“. Im Prinzip handelt es sich dabei um jukeboxähnliche<br />
Geräte, die zusätzlich in der Lage waren Videos auf einem Monitor zu zeigen.<br />
Allerdings können diese auch nur als Vorreiter des Musikvideos betrachtet<br />
werden, die dem Musikvideo nict den Durchbruch als Medium verschafften. 28<br />
Mitte der 70er entwickelte sich schließlich das Musikvideo zum Hauptmarke-<br />
tinginstrument, wenn es galt, neue Pop- und Rockkünstler zu promoten.<br />
DEVO und Residents wurden bereits vor MTV in Amerika als Musikvideo-<br />
stars gefeiert. In Großbritannien war es Queen's Clip zu „Bohemian Rhapso-<br />
dy“, der 1975 durch die innovative Verwendung neuer Techniken <strong>für</strong> Begeiste-<br />
rung auch außerhalb des Inselstaates sorgte. Heute wird dieses von Bruce Gro-<br />
28 Vgl. Strom, Gunnar (2007): An<strong>im</strong>ation Sudies – Vol.2.<br />
http://journal.an<strong>im</strong>ationstudies.org/download/volume2/ASVol2Art7GStrom.pdf. Zugriff<br />
am 1.6.2011. S.60.<br />
14
2. Gegenstand<br />
wers gedrehte Video regelmäßig mit dem Durchbruch des Musikvideos in<br />
Verbindung gebracht. Laut Gunnar Strom lässt sich MTVs Erstausstrahlung<br />
von „Video killed the radio star“ am 1.8.1981 als finaler Durchbruch des Mu-<br />
sikvideos betrachten. 29 Durch die Etablierung eines eigens <strong>für</strong> Musikvideos er-<br />
dachten Senders standen die Türen <strong>für</strong> das Medium plötzlich weit offen. Denn<br />
auf einmal hatte man eine Plattform, die ein sehr breites Publikum ansprechen<br />
konnte. Nicht nur <strong>für</strong> den Konsumenten, der seine Idole rund um die Uhr <strong>im</strong><br />
Fernseher zu betrachten vermochte, war dies von großem Interesse. Auch Mu-<br />
siker und deren Labels konnten daraus Profit schlagen, da sich ihre Musik da-<br />
durch besser vermarkten ließ. Das große Interesse an dem neuen Medium<br />
lockte natürlich auch viele Filmproduzenten an, die <strong>für</strong> sich eine neue Chance<br />
sahen, um mit innovativen Ideen zu exper<strong>im</strong>entieren. Man kann hier von einer<br />
Kettenreaktion sprechen, die das Musikvideo stetig wachsen und gedeihen<br />
ließ. Zusammenfassend lässt sich <strong>für</strong> den hier betrachteten Gegenstand „Mu-<br />
sikvideo“ Folgendes festhalten:<br />
2.3.3 Zusammenfassung<br />
Ein Musikvideo (auch: Musikvideoclip, Videoclip, Clip) ist ein Kurzfilm, der<br />
nach der Musikproduktion von der Plattenfirma des jeweiligen Interpreten zu<br />
Promotionszwecken bei einem Regisseur oder einer Produktionsfirma in Auf-<br />
trag gegeben wurde, um zum besseren Verkauf der Tonträger zu verhelfen.<br />
Der finale Durchbruch dieses Mediums wird mit der MTV-Erstausstrahlung<br />
auf den 1.8.1981 datiert.<br />
2.3.4 An<strong>im</strong>ation in Musikvideos<br />
Es ist sowohl interessant als auch notwendig, zu klären, wieso vor Mitte der<br />
80er Jahre An<strong>im</strong>ationen keine Rolle in der Geschichte des Musikvideos spiel-<br />
ten. 30 Und das, obwohl sich Belege <strong>für</strong> An<strong>im</strong>ationen in Verbindung mit Musik<br />
durch die ganze Filmgeschichte hindurch nachweisen lassen. Auf die Frage,<br />
29 Vgl. Strom, Gunnar 2007, S. 58.<br />
30 Sicher spielten An<strong>im</strong>ationen aus heutiger Sicht eine Rolle. Jedoch wurden die frühen musikunterlegten<br />
An<strong>im</strong>tionen laut Gunnar Strom in Abhandlungen über die Geschichte des<br />
Musikvideos nicht als solche betrachtet.<br />
15
2. Gegenstand<br />
warum das so ist, führt Gunnar Strom mehrere Gründe an, die <strong>für</strong> diesen<br />
Sachverhalt verantwortlich sind: 31<br />
Zunächst wurde das an<strong>im</strong>ierte Musikvideo der Kunstsparte zugeordnet. Wie<br />
beispielsweise bei Disney's „Silly Symphonies“ und „Fantasia“ sollte - anders<br />
als bei dem Musikvideo nach obiger Definition – kein Musiker vermarktet<br />
werden. Das Hauptaugenmerk war auf die Zeichentrickkunst gerichtet. Die<br />
Musik und die Geräusche dienten eher zur Untermalung der Geschichte und<br />
waren damit zweitrangig.<br />
Ein weiterer praktischer Grund ist, dass die Videos schnell entstehen mussten,<br />
um rechtzeitig mit der Vermarktung des neuen Songs beginnen zu können. Zu<br />
damaligen Zeiten war eine An<strong>im</strong>ation weitaus aufwändiger zu produzieren als<br />
in heutigen Tagen, in denen die Computertechnik eine gute Hilfestellung bie-<br />
tet. Auch in Hinsicht auf den zeitlichen Aspekt einer derartigen Produktion<br />
konnte sich die An<strong>im</strong>ation nur in den seltensten Fällen als brauchbare Option<br />
durchsetzen. Zudem war es aus <strong>im</strong>agetechnischen Gründen weitaus wichtiger,<br />
den Musiker in Szene zu setzen, weswegen der Realfilm die bei weitem pas-<br />
sendere Lösung bot.<br />
Als dann Mitte der 80er das Musikvideo zu boomen begann, stellten die Plat-<br />
tenlabels ein wesentlich höheres Budget <strong>für</strong> ihre Produktion zur Verfügung.<br />
Das bedeutet, dass auch wieder mehr Spielraum <strong>für</strong> den Einsatz analoger<br />
<strong>Tricktechnik</strong>en vorhanden war. Am Beispiel von Michael Jackson und Ma-<br />
donna ist es nicht schwer zu erkennen zu welch mächtigem Marketinginstru-<br />
ment das Medium herangewachsen war. Vor allem durch geschickte Planung<br />
und durch geschickte Vorgehensweisen war es auch möglich, unbekannte Mu-<br />
siker in kürzester Zeit auf die Nummer Eins der Charts zu katapultieren. Das<br />
Video zu „Take on Me“ der norwegischen Band A-Ha ist exemplarisch <strong>für</strong><br />
diese Macht. Abgesehen davon, dass der Song an sich schon gut produziert<br />
war, sorgte er besonders in Hinsicht auf die verwendete <strong>Tricktechnik</strong>, die auf<br />
Grund der höheren Budgets möglich war, <strong>für</strong> große Begeisterung. Zwar war<br />
die darin verwendete Rotoskopie-Technik schon seit 1915 von Max Fleischer<br />
bekannt. Doch die Kombination mit dem Musikvideo war <strong>für</strong> das Publikum<br />
besonders beeindruckend. Selbst heute taucht dieser Clip regelmäßig in sämt-<br />
31 Vgl. Strom, Gunnar 2007, S.59- 61.<br />
16
2. Gegenstand<br />
lichen Bestenlisten auf. Peter Gabriels „Sledgehammer“ ist ein weiteres High-<br />
light der analogen <strong>Tricktechnik</strong>, das etwa zur gleicher Zeit entstand. Umge-<br />
setzt wurde es mit Pixilation, einer auf Stop-Motion basierenden <strong>Tricktechnik</strong>,<br />
die in dieser Form ebenfalls zu beeindrucken vermochte. Bei beiden Beispie-<br />
len ist jedoch zu bemerken, dass trotz Einsatz von An<strong>im</strong>ationen die Musiker<br />
weiterhin in Szene gesetzt wurden.<br />
Als <strong>im</strong> Verlauf der 90er Jahre die Begeisterung <strong>für</strong> Musikvideos stetig ab-<br />
nahm, wurden die Budgets <strong>für</strong> weitere Produktionen gekürzt, was zur Folge<br />
hatte, dass die an<strong>im</strong>ierten Videos weitgehend von der Leinwand verschwan-<br />
den und durch Tanz- und Performancevideos ersetzt wurden.<br />
Die rasante Entwicklung des Computers Ende der 90er Jahre führte jedoch zu<br />
billigeren Anschaffungspreisen und besserem Zugang zu den neuen Technolo-<br />
gien. Trotz gekürzter Budgets war die Produktion von an<strong>im</strong>ierten Clips wieder<br />
in den Rahmen des Machbaren gerückt. Nicht zuletzt betrachteten sich sowohl<br />
die Musiker als auch die Regisseure plötzlich mehr als Künstler und weniger<br />
als Unterhalter, weswegen An<strong>im</strong>ationen wieder interessanter wurden.<br />
3 Analyse<br />
3.1 Ästhetik: Zwischen Authentizität und Künstlichkeit<br />
Welche Rolle die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> spie-<br />
len, lässt sich sicherlich nicht in einem Satz wiedergeben. Dennoch kann man<br />
konstatieren: Was früher in akribischer Handarbeit angefertigt wurde, lässt<br />
sich heutzutage auch am Computer erzeugen. Vergleicht man aber „Klassiker“<br />
wie Walt Disney's „Mickey Mouse“ mit aktuellen An<strong>im</strong>ationen, wie „Family<br />
Guy“, „The S<strong>im</strong>psons“ oder „Futurama“ , die gänzlich am Computer erzeugt<br />
werden, erkennt man schon nach kurzer Zeit einen wesentlichen Unterschied.<br />
Die synthetisch am Computer erzeugten Bilder wirken weitaus steriler und<br />
17
3. Analyse<br />
sauberer als die Handzeichnungen mit analoger Technik. Ein Phänomen, dass<br />
sich auch durch „digitale Kälte“ beschreiben lässt.<br />
3.1.1 Körperlichkeit, Zufall und digitale Kälte<br />
Doch was ist „digitale Kälte“ und wodurch wird sie hervorgerufen? Einen be-<br />
deutenden Anhaltspunkt liefert die Körperlichkeit von Objekten. Im Gegen-<br />
satz zur analog erzeugten An<strong>im</strong>ation fehlt der gänzlich am Computer erzeug-<br />
ten An<strong>im</strong>ation eine eigene Materialität. Letztere besteht <strong>im</strong> Wesentlichen nur<br />
aus Binärcode und auf Mathematik beruhenden Visualisierungen, die in der<br />
realen Welt nicht greifbar sind. Das einzig Greifbare ist das Wiedergabemedi-<br />
um, das aber mit der An<strong>im</strong>ation selber rein gar nichts zu tun hat. Die Gegen-<br />
stände der traditionellen An<strong>im</strong>ationen existieren jedoch in der realen Welt: Al-<br />
lein der Film, der den Informationsgehalt trägt, ist ein Gegenstand, der sich<br />
anfassen lässt und zudem eine Struktur, Textur und Körnung besitzt. Das Pa-<br />
pier oder die Folien <strong>im</strong> Zeichentrick, die Objekte, Gegenstände und Lebewe-<br />
sen be<strong>im</strong> Stop-Motion Verfahren haben alle eine real existierende und indivi-<br />
duelle Materialität. Sogar das Zeichen- und Malwerkzeug erzeugt einzigartige<br />
Spuren. Ein Rechner hingegen bringt keine derartigen Attribute hervor. Zwar<br />
sind heutige Rechner in der Lage, realistische Abbildungen zu erschaffen, bei<br />
denen man keine eindeutige Aussage mehr darüber treffen kann, ob es sie in<br />
Wirklichkeit gibt oder nicht. Dennoch handelt es sich dabei um synthetisch er-<br />
zeugte Bilder, die eine Materialität lediglich s<strong>im</strong>ulieren.<br />
Mit der Körperlichkeit kommt auch der Zufall. Wie man ein Objekt auch dre-<br />
hen und wenden mag, wird es sich in der realen Welt <strong>im</strong>mer von anderen Ob-<br />
jekten unterscheiden. Die jeweilige Einzigartigkeit ist auf den Zufall zurück-<br />
zuführen. Egal mit welch handwerklicher Perfektion beispielsweise auf ein<br />
Papier gezeichnet wird, zwei Zeichnungen werden zu keinem Zeitpunkt iden-<br />
tisch sein. Man denke allein schon an das verwendete Papier: Wo wurde es<br />
hergestellt? Wie ist die Zusammensetzung? Stammt die Cellulose vom glei-<br />
chen Baum? Es ist eine nahezu unendlich lange Kette an Faktoren und Zufäl-<br />
ligkeiten, die zu dieser einen Zeichnung führen. Im Gegensatz dazu arbeiten<br />
Computer mit „einfachen“ Algorithmen. Zwar gibt es auch hier zufällige Be-<br />
18
3. Analyse<br />
rechnungen, doch unterscheiden sich diese künstlichen Zufallsgeneratoren <strong>im</strong>-<br />
mens von der Komplexität der realen Welt.<br />
Auch in der analogen Produktion spielt der Zufall eine nicht zu vernachlässi-<br />
gende Rolle. Wenn man auf moderne technische Hilfsmittel verzichtet, ist viel<br />
handwerkliches Können nötig, um eine derartige Produktion zu kreieren. Es<br />
müssen direkte Entscheidungen getroffen werden, die <strong>für</strong> den Erfolg oder das<br />
Scheitern des nächsten Schritts verantwortlich sind. Fehler, die in diesem Pro-<br />
zess entstehen, lassen sich - anders als am Rechner - nur in den seltensten Fäl-<br />
len rückgängig machen, weshalb es auch von Anfang an wichtig ist zu wissen,<br />
welches Ergebnis man erreichen will. Der Computer lässt weitaus mehr Ent-<br />
scheidungsmöglichkeiten offen und bietet damit auch mehr Spielraum <strong>für</strong> Ex-<br />
per<strong>im</strong>ente. 32 Man kann so zum Beispiel zu jedem Zeitpunkt das komplette Er-<br />
scheinungsbild ändern, was <strong>im</strong> analogen Bereich praktisch nicht möglich ist<br />
bzw. viel zu aufwendig wäre. Am Rechner lässt sich alles zu jeder Zeit be-<br />
rechnen, was dem Zufall in den seltensten Fällen einen Spielraum bietet. Die<br />
Abwesenheit des Zufalls, des Unvorhersehbaren ruft die „digitale Kälte“ her-<br />
vor. Aus dem bisher Erörterten lässt sich demnach folgende Aussage ableiten:<br />
Während die analoge <strong>Tricktechnik</strong> mittels ihre Körperlichkeit Authentizität in<br />
sich birgt, vermittelt allein schon das digitale Wesen der Computeran<strong>im</strong>ation<br />
eine Künstlichkeit, die durch die „digitale Kälte“ verstärkt wird.<br />
3.1.2 Magie der Objekte<br />
Wirft man einen genaueren Blick auf die Wirkung der traditionellen dreidi-<br />
mensionalen An<strong>im</strong>ationstechniken, so lässt sich ein magisches Moment erfas-<br />
sen. Die plötzliche Bewegung von einem Gegenstand ohne erkennbare äußer-<br />
liche Einwirkung anderer Kräfte birgt etwas Geisterhaftes in sich. Insbesonde-<br />
re, wenn man <strong>im</strong> Hinterkopf behält, dass die Gegenstände greifbar und real<br />
sind. Man weiß beispielsweise von einem Stein, dass er existiert. Doch ein<br />
Stein ist ein Objekt, das sich nicht aus eigener Kraft in Bewegung versetzen<br />
32 Vgl. Maurer, Björn / Müller, Roman (1998): Digitale Technik - digitale Ästhetik. Zwei digitale<br />
Video-Schnittsysteme <strong>im</strong> Vergleich. Bericht zum internationalen Forschungsprojekt<br />
'VideoCulture' an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. http://www.mediacultureonline.de/fileadmin/bibliothek/maurer_video-expertise/maurer_video-expertise.pdf.Zugriff<br />
am 01.06.2011. S. 14.<br />
19
3. Analyse<br />
kann. Das widerspricht gänzlich unserem rationalen Verstand. Um dieser Ma-<br />
gie auf die Spur zu kommen wird hier analaog zu Paul Wells zunächst auf die<br />
Zagreber Schule des ehemaligen Jugoslawien hingewiesen, die diese These<br />
unterstützt. 33 Die dort ansässigen Trickfilmzeichner arbeiteten an der Weiter-<br />
entwicklung von Norman McLarens Definition zur An<strong>im</strong>ation. Dazu starteten<br />
sie den Versuch, ästhetische und philosophische Aspekte mit einzubeziehen.<br />
So schlagen sie Folgendes vor: An<strong>im</strong>ation ist „to give life and soul to a de-<br />
sign, not through the copying but through transformation of reality.“ 34 Die Be-<br />
tonung liegt auf dem kreativen Aspekt des wörtlich zu nehmenden „etwas be-<br />
leben“, das unbelebt ist. Sie wollten etwas über die Figur oder das Objekt <strong>im</strong><br />
Fortgang zum Vorschein bringen, das sich unter keinen Umständen begreifen<br />
lässt. Filmemacher aus Zagreb, wie Dusan Vutkovic wollten die Realität trans-<br />
formieren und der Art und Weise entgegenwirken, mit der die Disney Studios<br />
ihre An<strong>im</strong>ationen anfertigten. Denn die Disney Studios An<strong>im</strong>ationen waren<br />
bemüht realistisch zu wirken. Also einen Realismus darzustellen, ähnlich dem<br />
Realfilm. Diese Verfahrensweise bekam in den USA eine dominante und ideo-<br />
logische Position. Im Gegensatz dazu sah die Zagreber Schule An<strong>im</strong>ation als<br />
etwas Nichtrealistisches und potenziell Subversives an. Auch die britischen<br />
An<strong>im</strong>ationskünstler John Halas und Joy Batchelor scheinen diesen Punkt be-<br />
stätigen zu wollen indem sie postulieren: „If it is the live-action film's job to<br />
present physical reality, an<strong>im</strong>ated film is concerned with metaphysical reality<br />
– not how things look, but what they mean.“ 35 Diese Betrachtungsweise <strong>im</strong>pli-<br />
ziert, dass die „Bedeutung“ aus dem eigentümlichen Vokabular, das dem Ani-<br />
mationskünstler zur Verfügung steht, hervorgerufen wird. Doch dies ist nicht<br />
das Terrain des Realfilmemachers. Der aus Tschechien stammende surrealisti-<br />
sche Trickzeichner Jan Svankmajer n<strong>im</strong>mt dieses Vokabular als etwas Befrei-<br />
endes, Einzigartiges und potenziell Hinterfragendes wahr:<br />
„An<strong>im</strong>ation enables me to give magical powers to things. In my films, I<br />
move many objects, real objects. Suddenly, an everyday contact with things<br />
33 Vgl. Well, Paul 1988, S. 10-11.<br />
34 Holloway, Ronald (1972): Z is for Zagreb. London: Tantivy Press. S. 9.<br />
35 Hoffer, Thomas W. (1981): An<strong>im</strong>ation: A Reference Guide. Westport, Connecticut: Green-<br />
wood Press. S.3.<br />
20
3. Analyse<br />
which people are used to acquires a new d<strong>im</strong>ension and in this way casts a<br />
doubt over reality. In other words, I use an<strong>im</strong>ation as a means of<br />
subversion.“ 36<br />
Paul Wells zufolge beschreibt Svankmajers Ansicht womöglich am besten,<br />
welche Möglichkeiten einem An<strong>im</strong>ationskünstler zu Verfügung stehen: Durch<br />
An<strong>im</strong>ation lässt sich das Alltägliche neu definieren. Die von uns akzeptierten<br />
Begriffe von „Realität“ werden untergraben, was dazu führt, das wir unseren<br />
strenggläubigen Verstand und die Akzeptanz unserer Existenz herausfordern<br />
müssen. Die An<strong>im</strong>ation trotzt den physikalischen Gesetzen der Schwerkraft,<br />
stellt unser Verständnis von Raum und Zeit in Frage und stattet leblose Gegen-<br />
stände mit dynamischen und lebhaften Attributen aus. Dadurch lassen sich ori-<br />
ginelle Effekte erzeugen. Nicht umsonst meint Paul Wells, dass die An<strong>im</strong>ation<br />
ursprünglich in den Händen der Magier lag. Georges Melies war zum Beispiel<br />
ein solcher Magier und das nicht nur <strong>im</strong> übertragenen Sinn. „The Father of<br />
Special Effects“ gilt zudem als Erfinder des Stop-Motion-Tricks: Während er<br />
eine Live-Szene am Place de l'Opera drehte blockierte seine Kamera. Es<br />
brauchte etwa eine Minute bis er seine Arbeit fortsetzten konnte. Als sich bei<br />
der späteren Vorführung ein Bus plötzlich in einen Leichenwagen verwandelt<br />
hatte und Passanten verschwanden und wieder auftauchten, baute er diese zu-<br />
fällige Entdeckung zu einem bedeutendem Spezialeffekt aus. Zwar wurde die<br />
Stop-Motion-Technik schon früher von Edison entdeckt, allerdings war es<br />
Melies, der sie ausgiebig in seinen Filmen verwendet hat. 37 , 38<br />
Ohne weiter auf die Entstehungsgeschichte des Stop-Motion Verfahrens ein-<br />
zugehen, blicken wir an dieser Stelle nochmal zurück auf die Körperlichkeit,<br />
die ebenfalls eine Rolle in der Entmystifizierung der Magie spielt.<br />
Das Hauptaugenmerk dreid<strong>im</strong>ensionaler An<strong>im</strong>ation liegt nach Paul Wells auf<br />
dem Ausdruck von Materialität. 39 Bedingt dadurch wird eine gewisse Me-<br />
ta-Realität geschaffen, welcher die selben physikalischen Gesetzmäßigkeiten<br />
36 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S.11.<br />
37 Vgl. Georges Méliès – Biography: http://www.<strong>im</strong>db.com/name/nm0617588/bio, Zugriff<br />
am 12.06.2011.<br />
38 Vgl. Leonhard, Joach<strong>im</strong>-Felix 2001, S. 1038 – 1040.<br />
39 Der folgende Abschnitt bezieht sich auf Wells, Paul 1998, S. 90-92.<br />
21
3. Analyse<br />
wie in der realen Welt zu Grunde liegen. Die Beziehung zwischen der erzäh-<br />
lenden Vermittlung und der Umgebung des an<strong>im</strong>ierten Objekts bezeichnet er<br />
dabei als „Fabrikation“ und behauptet, dass es sich dabei um eine erzähleri-<br />
sche Vorgehensweise handelt, die eine alternative Auffassung von materieller<br />
Existenz erzeugt, indem sie das Erzählerische aus konstruierten Objekten und<br />
Umgebungen, natürlichen Formen und Substanzen, als auch die <strong>für</strong> selbstver-<br />
ständlichen betrachteten Elemente des Alltags wiedergibt. Auf gewisse Weise<br />
ist es die Wiederbelebung der Materialität <strong>für</strong> erzählende Zwecke. Jan Svank-<br />
majer äußert sich zu diesem Prozess folgendermaßen:<br />
„For me, objects are more alive than people, more permanent and more ex-<br />
pressive. The memories they possess far exceed the memories of man. Objects<br />
conceal within themselves the events they've witnessed; that's why I've sur-<br />
rounded myself with them and try to uncover those hidden events and experi-<br />
ences, and the relates to my belief that objects have their own passive lives<br />
which they've soaked up, as it were, from the situations they've been in, and<br />
from the people who have made them.“ 40<br />
Svankmajer beschreibt dies als „magical rite or ritual“. Er projiziert das innere<br />
Leben eines Objekts in seine an<strong>im</strong>ierten Szenerien. Die Greifbarkeit und<br />
Formbarkeit von Ton; die Härte oder das Gewicht von einem Stein; die Zer-<br />
brechlichkeit und Glätte von Porzellan; die Farbe und Textur von Textilien;<br />
und der physikalische Mechanismus des menschlichen Körpers werden hier-<br />
bei zu erzählenden Normen in Svankmajer's An<strong>im</strong>ationen. Die dreid<strong>im</strong>ensio-<br />
nale An<strong>im</strong>ation beruht also auf der Komplexität der Materialität. Auch <strong>für</strong> die<br />
aus Amerika stammenden Gebrüder Quay war Svankmajers Ansatz ein wichti-<br />
ger Einfluss, den sie bis auf die Spitze führten. Sie re-an<strong>im</strong>ierten Materialien,<br />
die aller Anschein nach Müll oder tot waren. Eine bedeutende Aussage machte<br />
Jonathan Romney: “Quay puppets are not alive but undead; they don't have li-<br />
ves but afterlives“ 41 . Eine Aussage, die man auch allgemein auf dreid<strong>im</strong>ensio-<br />
nale An<strong>im</strong>ationen anwenden kann. Wenn wir an „untot“ denken, denken wir<br />
40 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S. 90.<br />
41 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S. 91.<br />
22
3. Analyse<br />
an Geister, an Zombies, an Voodoo-Zauber oder auch Vampire. Also an etwas<br />
Unhe<strong>im</strong>liches und nicht zuletzt Geisterhaftes und somit an etwas das nicht be-<br />
griffen werden kann. Nebenbei bemerkt, ist dies ein Aspekt, weshalb Musik-<br />
genres der etwas härteren Gangart, wie etwa „Metal“, oftmals auf derartige<br />
An<strong>im</strong>ationen zurückgreifen.<br />
Das bisher Betrachtete bestätigt nochmals die Authentizität, die auf der Mate-<br />
rialität von Objekten beruht.<br />
3.1.3 Die Hybridisierung von analog und digital<br />
Sicherlich gibt es heutzutage verschiedenste Motivationen, um eine An<strong>im</strong>ati-<br />
on ausschließlich analog oder digital herzustellen. Ob diese künstlerischer Na-<br />
tur sind oder andere Intentionen eine wichtige Rolle spielen, sei an dieser Stel-<br />
le offen gelassen. Betrachtet man jedoch die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> Zeit-<br />
alter <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong>, so muss klar konstatiert werden, dass in der Praxis eine<br />
strikte Trennung von analogen und digitalen An<strong>im</strong>ationen nur in den wenigs-<br />
ten Fällen gegeben ist. Vielmehr ist eine Hybridisierung entstanden. Dies ist<br />
auch nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die heu-<br />
tigen pr<strong>im</strong>ären Wiedergabegeräte ausschließlich mit digitalen Signalen ge-<br />
speist werden. Ob digitales Fernsehen oder Filmmaterial <strong>im</strong> Internet, alles<br />
liegt mittlerweile in digitalisierter Form vor. Entscheidender sind hierbei je-<br />
doch die Aufnahmegeräte, die heutzutage in den meisten Fällen auf <strong>digitaler</strong><br />
Basis funktionieren. Jegliche Bilder - seien es Fotos oder Filmsequenzen –<br />
werden aus praktischen Gründen digital aufgezeichnet. Durch das Voran-<br />
schreiten der Technologie min<strong>im</strong>alisiert sich stetig die digitale Kälte in Com-<br />
puteran<strong>im</strong>ationen. Texturen werden feiner, die Auflösungen größer. Die Gren-<br />
zen zwischen Realität und Synthetik verschw<strong>im</strong>men mehr und mehr. Dieser<br />
Sachverhalt führt jedoch nicht zur Obsoleszenz der analogen <strong>Tricktechnik</strong>en,<br />
wie man meinen möchte. Nein. Vielmehr werden sie neu integriert und fun-<br />
gieren unter anderem als mächtiges und vielseitig einsetzbares Stilmittel.<br />
Zwar kann man die <strong>Tricktechnik</strong>en theoretisch in traditionelle/analoge Trick-<br />
technik, computergestützte <strong>Tricktechnik</strong> und computergenerierte <strong>Tricktechnik</strong><br />
aufteilen. In der Praxis müssen die ersten beiden dennoch als „Hybridform“<br />
23
3. Analyse<br />
betrachtet werden, die den Gegenpol zu Letzterer bildet. Denn die oben er-<br />
wähnten „praktischen Gründe“ beruhen auf der Tatsache, dass die Computer-<br />
technik viele arbeitserleichternde Vorzüge bietet. In Anbetracht dieser Katego-<br />
risierung soll an dieser Stelle noch mal an die Authentizität der analogen<br />
<strong>Tricktechnik</strong>en erinnert werden. Demnach steht der Künstlichkeit der Compu-<br />
teran<strong>im</strong>ation, die Authentizität der Hybridform gegenüber.<br />
Ein Manko dieser Hybridform bleibt jedoch nach wie vor bestehen: Der Infor-<br />
mationsverlust. Es kommt zunächst zu Verlusten be<strong>im</strong> Digitalisierungsvor-<br />
gang, die aber in Anbetracht des heutigen Fortschritts eher zu vernachlässigen<br />
sind. Denn be<strong>im</strong> Rohmaterial wird man keinen mit bloßem Auge erkennbaren<br />
Unterschied zwischen digital und analog feststellen können. Der eigentliche<br />
Verlust lässt sich allerdings spätestens be<strong>im</strong> finalen Rendervorgang visuell er-<br />
fassen. Der Computer hinterlässt dabei seine eigenen Spuren. Genauegenom-<br />
men ist die Kompression an der Verfremdung schuld. Jeder Film, jede An<strong>im</strong>a-<br />
tion und jede Sequenz, die am Rechner erstellt wird – egal ob diese auf digita-<br />
len oder analogen Ausgangsmedien basieren -, muss am Ende in ein best<strong>im</strong>m-<br />
tes Format gebracht werden, das vom finalen Wiedergabegerät abgespielt wer-<br />
den kann. Einer von vielen Gründen <strong>für</strong> diese Konvertierung ist, dass die Wie-<br />
dergabegeräte nur eine best<strong>im</strong>mte Datenmenge in einem best<strong>im</strong>mten Zeitraum<br />
stemmen können. Ein unkompr<strong>im</strong>ierter Film enthält eine viel zu große Infor-<br />
mationsmenge. Deswegen sind die verschiedenen Kompressionsverfahren<br />
notwendig, die den Informationsgehalt senken, indem sie etwa „unauffällige“<br />
Details <strong>im</strong> Bild herausfiltern. Doch diese Manipulation des Sichtbaren ist bei<br />
genauerer Betrachtung zu erkennen: Es entstehen sogenannte Artefakte. Farb-<br />
verläufe werden sichtbar abgestuft und verfälschen somit das Erscheinungs-<br />
bild. Dadurch entsteht ein unerwünschtes Rauschen, was sich in den meisten<br />
Fällen negativ auf das Bild auswirkt. (Es gibt auch Künstler die dieses Rau-<br />
schen bewusst einsetzen. Stichwort: Pixelart). Dieser Effekt spielt aber eher in<br />
der Kunstwelt eine größere Rolle, denn damit gehen oftmals wichtige Details<br />
und Texturen verloren, auf die es die Künstler meist anegelegt haben. Die Ge-<br />
wichtung der Vorzüge und Nachteile analoger und <strong>digitaler</strong> Techniken ist<br />
24
3. Analyse<br />
demnach stark davon abhängig, wo<strong>für</strong> die Techniken verwendet werden sol-<br />
len.<br />
3.2 Parallelen: Musik, <strong>Tricktechnik</strong> und Symbole<br />
Es gibt viele Strategien und Gründe, weshalb ein Musiker, eine Band oder ein<br />
Plattenlabel die neueste Computertechnik <strong>für</strong> die Musikvideoproduktion ver-<br />
wendet oder sich <strong>für</strong> altbewährte Systeme entscheidet. Ausschlaggebend <strong>für</strong><br />
die Entscheidung der verwendeten formalen Mittel sind in erster Linie drei<br />
Faktoren, denen hier auf den Grund gegangen werden muss: Der Technische<br />
Fortschritt an sich, <strong>im</strong>agebedingte, kommerzielle und künstlerische Aspekte.<br />
Da es schlussendlich um die Untersuchung von Musikvideos geht, erscheint<br />
es sinnvoll zunächst auf die Parallelen zwischen Musik und An<strong>im</strong>ation hinzu-<br />
deuten. Der technische Fortschritt in Zeiten <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> hat nicht nur be-<br />
achtlichen Einfluss auf die Produktionsweise von An<strong>im</strong>ationen genommen.<br />
Auch die Musik wurde von ihm infiltriert. Die Vor- und Nachteile lassen sich<br />
in vielerlei Hinsicht analog zur An<strong>im</strong>ation betrachten. So hat der Computer<br />
die unabhängigen Bearbeitungsmöglichkeiten von Kompositionselementen re-<br />
volutioniert. In der Musik ist es beispielsweise möglich verschiedenste Instru-<br />
mente und Gesänge zeitlich unabhängig voneinander aufzunehmen und erst in<br />
einem späteren Prozess zu arrangieren. Be<strong>im</strong> Zeichentrick hingegen wurde<br />
zwar ein ähnliches Verfahren schon um 1910 durch die Verwendung von Foli-<br />
en eingeführt, doch die Beisteuerung des Computers erlaubt nun auch <strong>im</strong> All-<br />
gemeinen eine unabhängige Manipulation einzelner Elemente einer An<strong>im</strong>ati-<br />
on. Dadurch lässt sich ableiten, dass sich der Klang ähnlich manipulieren<br />
lässt, wie die Optik, womit sich neue Türen <strong>für</strong> weitere Exper<strong>im</strong>entiermög-<br />
lichkeiten öffnen. (Vgl. Punkt 2.4.1) Denn ähnlich wie die Optik, lässt sich<br />
auch der Klang synthetisch am Rechner erstellen oder stark verfremden. Man<br />
denke nur an die visuelle Wirkung des Filmes „Sin City“ oder analog dazu an<br />
den „Chereffekt“ des Songs „Believe“(1996), der mit Hilfe von „Auto Tune“<br />
25
3. Analyse<br />
entstanden ist. 42 Es gibt noch viele weitere derartige Parallelen, allerdings<br />
würde dies Stoff <strong>für</strong> eine weitere Arbeit bieten. Es reicht erst mal zu wissen,<br />
dass es sie gibt. Doch anhand des Beispiels von Cher lässt sich ziemlich gut<br />
erkennen, das eine starker Zusammenhang zwischen aktueller Musikprodukti-<br />
on und aktuellem technischem Fortschritt besteht. Zwar lassen sich viele Mu-<br />
siker von den neuen Möglichkeiten inspirieren, doch scheint eine starke Rela-<br />
tion zwischen der gewählten Technik und dem Image des Musikers zu beste-<br />
hen. Betrachtet man nochmals Punkt 2.4.1 und Punkt 2.4.3, so kann die Ver-<br />
wendung analoger Techniken die Authentizität eine Musikers betonen, wäh-<br />
rend die Nutzung <strong>digitaler</strong> Techniken auf eine künstliche Inszenierung zu deu-<br />
ten vermag, wobei auch die künstliche Inszenierung <strong>im</strong> best<strong>im</strong>mten Fällen zur<br />
Authentizität beitragen kann. 43 Auch in der Musik spielt es eine bedeutende<br />
Rolle, welche Instrumente verwendet werden. Sind es analoge oder digitale<br />
Instrumente? Man denke beispielsweise an eine gitarrenlastige Metalband, die<br />
sich zum Ziel gemacht hat, Metal der alten Schule zu schreiben. Eine solche<br />
Band wird allein aus Authentizitätsgründen stets mit analogen Gitarrenverstär-<br />
kern auftreten. Ein analoger Röhrenverstärker ist in diesem Genre unersetz-<br />
lich. Die Klangverzerrung, die solch ein Verstärker erzeugt, steht <strong>für</strong> ein be-<br />
st<strong>im</strong>mtes Lebensgefühl, das dem Publikum bekannt ist. Demnach könnte die<br />
Verwendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> Musikvideo als Antihaltung gegen-<br />
über den modernen Techniken interpretiert werden, während sie gleichzeitig<br />
die Authentizität der Band betont. Diese auf eigener Beobachtung beruhende<br />
Hypothese leitet zum Gedanken hin, dass sowohl die verwendeten Instrumen-<br />
te als auch die verwendeten <strong>Tricktechnik</strong>en einen Symbolcharakter besitzen<br />
müssen. Nicht zuletzt: Was bildlich zu sehen ist, sagt etwas über den Musiker<br />
oder die Band aus.<br />
Jörg Gerle plädiert da<strong>für</strong>, den Musikclip <strong>für</strong> das bessere Verständnis wertfrei<br />
in „Mainstream“ und „Arthaus“ zu unterteilen. 44 Die Trennung erfolgt aber<br />
42 Vgl. Auto-Tune: http://www.wie-wie.de/ratgeber/622/was-ist-auto-tune.html. Zugriff am<br />
12.06.2011.<br />
43 Ein aktuelles Beispiel da<strong>für</strong>, wäre „Lady Gaga“. Im Rahmen der Arbeit lässt sich dies<br />
nicht genauer analysieren. Jedoch ist es ein Ausnahmefall <strong>für</strong> die Pole: Authentizität – Inszenierung,<br />
der erwähnt werden muss.<br />
44 Vgl. Gerle, Jörg (2010): Der Musikclip <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> der digitalen Reproduzierbarkeit. Herausgegeben<br />
von Peter Moormann in „Musik <strong>im</strong> Fernsehen. Sendeformen und Gestaltungsprinzipien“.<br />
S. 135-145. Gerle führt diese Begriffe in Analogie zum Film an.<br />
26
3. Analyse<br />
hier nicht strikt, denn qualitativ anspruchsvolle und stilbildende Clips lassen<br />
sich trotzdem segmentübergreifend finden. Ausgehend von den Musikproduk-<br />
tionen, die die Top 100 der Charts anvisieren, stellt er des weiteren fest, dass<br />
der „Kommerzclip“ des Mainstreams <strong>im</strong>mer von den gleichen, bewährten Ste-<br />
reotypen dominiert wird:<br />
„Grundsätzlich gilt es, wie Koch postuliert, mit den Musikclips 'den Markt-<br />
wert der Musikstars zu erhöhen'. (Koch 1996:15) Das erreicht man etwa da-<br />
mit, dass sich weibliche Stars in möglichst vielen aufreizenden Outfits präsen-<br />
tieren oder dass vornehmlich die männlichen Stars der R'n'B-Szene die Status-<br />
symbole ihre Szene offensiv zur Schau tragen, nämlich Frauen, Autos, Geld.<br />
Dominanzgehabe ist all diesen Videos gemein, deren formale Ausarbeitung<br />
zumeist auf den auf schnellen Konsum gemünzten musikalischen Inhalt aus-<br />
gerichtet ist. Eine über die Maßen ästhetisierte, ambitionierte, die Eingängig-<br />
keit der Musik störende visuelle oder gar komplex-narrative Ausgestaltung<br />
des Videos ist dabei nicht gewünscht. Der Zuschauer, der in der Regel <strong>im</strong><br />
Fernsehen ein Video selten an einem Stück konsumiert und mittels 'zapping'<br />
zum Programm stößt, soll durch offensive, eindeutige Reize zum Verweilen<br />
verleitet werden und keinerlei Verständnisprobleme bekommen, die auf Form<br />
oder formalen Inhalt der Videos zurückzuführen sein könnten. So überstrapa-<br />
ziert die Floskel 'Sex sells' sein mag, <strong>im</strong> Bereich des Musikvideoclips behält<br />
sie ihre Gültigkeit.“ 45<br />
Hieraus lässt sich ableiten, dass der Mainstream auf eine verkaufsbetonte und<br />
stereotypdurchzogene Symbolik verwendet, die nicht komplex sein darf. Die<br />
Musiker müssen also dahingehend so inszeniert werden, dass sie diesen An-<br />
forderungen entsprechen. Damit lassen sich Zusammenhänge zwischen der<br />
Künstlichkeit vermittelnden Computeran<strong>im</strong>ation und der Imagebildung und<br />
Symbolsprache eines Musikers erkennen. Doppeldeutige oder gar tiefgründige<br />
Botschaften scheinen <strong>für</strong> den profitorientierten Mainstream eher hinderlich zu<br />
sein, wohingegen die Nischen des Arthaus' den Kunstanspruch ihres Produk-<br />
45 Gerle, Jörg 2010, S. 138.<br />
27
3. Analyse<br />
tes höher halten als den Anspruch, mit ihrer Arbeit möglichst viel Geld zu ver-<br />
dienen.<br />
„Diese Arthaus-Musikclips widersprechen oberflächlich gesehen allen Ge-<br />
setzen der Branche: Sie verweigern sich einer leichten Decodierung, sind falls<br />
überhaupt nur zu fassen, wenn man sie komplett goutiert. In der Regel dekon-<br />
struieren sie das zu bewerbende Produkt und entkoppeln den Star vom<br />
Song.“ 46<br />
Wie man aus dem vorigen Kapitel entnehmen kann, arbeiten die analogen<br />
An<strong>im</strong>ationstechniken meist mit komplexeren Symbolen. Insbesondere, wenn<br />
man sich die Meta-Realität und den Subversionsaspekt noch ein mal ins Ge-<br />
dächtnis ruft, die beispielsweise aus traditionellen dreid<strong>im</strong>ensionalen An<strong>im</strong>a-<br />
tionen herrühren und ihnen anhfaten. Für die Imagebildung eines Musikers,<br />
der also einen künstlerischen Anspruch an sein Werk stellt, scheinen demzu-<br />
folge die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en einen weitaus höheren Ausdrucksgehalt<br />
bieten zu können, der ihm dabei hilft seine Authentizität zu untermauern. Die<br />
Aufteilung in Arthaus und Mainstream bezieht sich auf den Bereich der Ver-<br />
marktung, während sich die Aufteilung in Authentizität und inszenierte Künst-<br />
lichkeit auf das Image bezieht. Obwohl die eine Art der Vermarktung (Art-<br />
haus) oft mit einer Art von Inszenierung (Authentizität) einhergeht, gibt es sel-<br />
tener auch innerhalb des Mainstream Inszenierungen, die auf Authentizität an-<br />
gelegt sind.<br />
Das vorher Geschriebene heißt also nicht zwangsläufig, dass diese Techniken<br />
<strong>im</strong> Mainstream überhaupt keinen Platz finden. So gibt es auch Mainstream-<br />
produkte in den An<strong>im</strong>ationstechniken verwendet werden. Gute Beispiele las-<br />
sen sich nach wie vor finden. Jedoch hat sich das Vorkommen von authenti-<br />
schen Mitteln von den 90er Jahren bis heute eher in Richtung Arthaus verla-<br />
gert. Diese Verlagerung ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man die<br />
Entwicklung der Musikindustrie mit in Betracht zieht.<br />
Aus einem Interview zwischen DER SPIEGEL und Universal-Chef T<strong>im</strong> Ren-<br />
ner über die Krisenst<strong>im</strong>mung in der Musikbranche vom August 2002 lassen<br />
46 Gerle, Jörg 2010, S. 140<br />
28
3. Analyse<br />
sich folgende Anhaltspunkte extrahieren: Die Digitalisierung führte zu merkli-<br />
chen Umsatzeinbußen, die zum einen Teil darauf zurückzuführen sind, dass<br />
die Möglichkeiten, sich Raubkopien zu besorgen, ausgeweitet wurden. Im Ge-<br />
gensatz zu Audiokassetten, war es mittels CD-Brenner mittlerweile mögliche<br />
qualitativ hochwertige Kopien zu erzeugen. Die auf CD gebrannte Musik lässt<br />
sich nicht so einfach mechanisch abnutzen, wie die Kassette und ermöglicht<br />
eine eins zu eins Kopie der Musik, was ein Grund <strong>für</strong> den Rückgang der Ver-<br />
käufe originaler Tonträger ist. Zum anderen Teil ist ein weiterer Aspekt <strong>für</strong> die<br />
Umsatzeinbußen, dass es dem Kunden nicht möglich ist in den klassischen<br />
<strong>Medien</strong> wie Radio oder Fernsehen interessante Musik zu bekommen. 47<br />
„Mit Recht.“ stellt Renner <strong>im</strong> Verlauf des Interviews klar. „Die Industrie hat<br />
sich viel zu lange darauf konzentriert, musikalisch belanglose Titel <strong>für</strong>s Radio<br />
zu produzieren. Radio macht aber keine Hits mehr, es spielt sie nur. Die wich-<br />
tigste Plattform <strong>für</strong> Musik hat sich unter privatwirtschaftlichem Druck zum<br />
Hintergrundmedium degradiert. Um möglichst hohe Zuhörerquoten zu schaf-<br />
fen, wird der kleinste gemeinsame Nenner gesendet. Das Gegenteil von aufre-<br />
gender, authentischer Musik. Zumindest das öffentlich-rechtliche Radio muss<br />
versuchen, das Medium wieder relevant zu machen. Mit spannenden neuen<br />
Künstlern und deren Musik würde es gelingen, den Gebührenzahlern eine ech-<br />
te Alternative und der Popkultur eine Plattform zu geben „ 48<br />
Geldmangel und Umsatzeinbußen der Branche durch Raubkopien und belang-<br />
lose Musik scheinen weniger Platz <strong>für</strong> künstlerische Exper<strong>im</strong>ente und damit<br />
so komplexe Mittel wie die An<strong>im</strong>ation geboten zu haben. Es lässt sich vermu-<br />
ten, dass sich die Kluft zwischen Kunst und Kommerz infolgedessen vergrö-<br />
ßert hat, so dass es weniger Zwischenformen gab und die komerziellgewichte-<br />
te Musik bzw. Optik zu noch weniger subtilen Mittel griff. Sollte dies zutref-<br />
fen, würde das eine weitere Erklärung da<strong>für</strong> bieten warum An<strong>im</strong>ationen <strong>im</strong><br />
Mainstreambereich kaum noch anzutreffen sind.<br />
47 Vgl. Dallach, Christoph & Wellershof, Marianne(2002): Der Markt wackelt wie blöd,<br />
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-23786345.html Zugriff am 13.06.2011<br />
48 Ebd. Zugriff am 13.06.2011<br />
29
3. Analyse<br />
Zusammenfassend kann man also konstatieren: Es gibt Formen und Inhalte,<br />
die oft zusammen auftreten und sich aufspalten lassen in Mainstream- und<br />
Arthausvideos. Eine der Formen, die meist auf der Arthausseite auftreten, sind<br />
analoge Musik und analoge Optik. Damit einher geht oft die Aufteilung in In-<br />
szenierung versus Authentizität. Der Grund da<strong>für</strong> hängt höchstwahrscheinlich<br />
mit finanziellen Faktoren zusammen. Ein Beleg da<strong>für</strong> könnte die Verlagerung<br />
von An<strong>im</strong>ationstechniken in den 90ern auf den weniger kommerziellen Be-<br />
reich sein: Wenn es der Musikbranche gut geht, ist auch mehr Platz <strong>für</strong> Kunst<br />
vorhanden. Ist dies nicht der Fall, n<strong>im</strong>mt der finanzielle Aspekt mehr Raum<br />
ein, womit die analogen An<strong>im</strong>ationstechniken an den (Arthaus-) Rand ge-<br />
drängt werden.<br />
Wenn des weiteren Renner den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ als das Ge-<br />
genteil von „aufregender, authentischer Musik“ bezeichnet, <strong>im</strong>pliziert diese<br />
Aussage, dass die Verwendung der analogen <strong>Tricktechnik</strong>en eine Bedeutung in<br />
sich birgt. Sie sagt über den Musiker aus, dass er „interessanter“ oder „authen-<br />
tischer“ 49 ist als die oberflächlichen „Fließbandmusiker“, die den Mainstream<br />
beherrschen. 50<br />
Der „künstlerische“ Charakter, der dabei an den analogen <strong>Tricktechnik</strong>en haf-<br />
tet, bietet zudem dem Musiker selber eine weitere Option, sich als „Künstler“<br />
zu präsentieren, der sich nicht nur musikalisch und lyrisch artikulieren kann,<br />
sondern auch auf visueller Ebene seine Aussagen zu untermauern vermag und<br />
somit ein Gesamtkunstwerk schafft.<br />
3.3 Kurzanalyse: Musikvideo<br />
Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen, werden <strong>im</strong> Folgenden exempla-<br />
risch vier Videos analysiert. Diese Musikclips sind alle zwischen 1990 und<br />
2011 entstanden und sollen innerhalb dieses Zeitraums ein möglichst breites<br />
49 In Bezug auf Renners Aussage<br />
50 Hierbei wurden die Extreme verglichen. Die Kategorisierung von Mainstream und Arthaus<br />
ist nach wie vor als ein wertfreies Modell zu verstehen. Die Pauschalisierung soll hierbei<br />
nicht als subjektive Wertung missinterpretiert werden. Sie soll lediglich dazu verhelfen<br />
einen Kontrast aufzuzeigen.<br />
30
3. Analyse<br />
Spektrum an Genres abdecken. Die Clips werden hinsichtlich Authentizität<br />
und Künstlichkeit untersucht und wo möglich mit einander vergleichen.<br />
3.3.1 Tool : „Sober“(1993) 51<br />
Das Video zu „Sober“ enstand 1993 unter Regie von Fred Stuhr und wurde <strong>im</strong><br />
Mai des selbigen Jahres zum ersten Mal ausgestrahlt. Der Clip wurde mit Hil-<br />
fe des Stop-Motion Verfahrens umgesetzt und bedient sich der Puppenan<strong>im</strong>a-<br />
tion bzw. Modellan<strong>im</strong>ation (vgl. Punkt 2.2.2.1). Der Protagonist – hier die<br />
Puppe – wurde vom Gitarristen Adam Jones modelliert.<br />
Im Mittelpunkt steht eine menschlich wirkende Puppe, die in einem kaum be-<br />
leuchteten, rostigen Raum eines verlassenen Gebäudes lebt und schläft. Der<br />
Raum ist nur spärlich mit einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl dekoriert.<br />
Die Beleuchtung deutet zudem darauf hin, dass es keine Fenster gibt. Wäh-<br />
rend die Kamera zu Beginn durch die Korridore schweift, werden kurzzeitig<br />
die Musiker eingeblendet. Man sieht die unhe<strong>im</strong>lich anmutende Gestalt erst<br />
liegend oder schlafend, bis sie aufsteht und zufällig eine gehe<strong>im</strong>nisvolle, höl-<br />
zerne Kiste, die jemand vermutlich unter den kaputten Bodendielen versteckt<br />
hat, entdeckt. Was sich jedoch in der Kiste befindet, bleibt dem Zuschauer bis<br />
zum Schluss verborgen. Doch was auch <strong>im</strong>mer es ist, wirkt sich offensichtlich<br />
negativ auf den Protagonisten aus: Er fängt mit seinem Stuhl an zu schweben.<br />
Sein Arm und sein Kopf beginnen heftig zu zittern. Durch das Öffnen der Kis-<br />
te muss er irgendeine Macht freigelassen haben, die nun <strong>im</strong> Gebäude herums-<br />
pukt. Verzweifelt versucht er, zu verstehen, was da passiert, und wagt sich<br />
durch die Korridore. Der Höhepunkt des Videos stellt eine Bilderwelt der Of-<br />
fenbarung bereit: Eine merkwürdige Gestalt, die hinter einer Vitrine ange-<br />
bracht ist und zu leben scheint. Weitere gruselige Gestalten, bei denen nicht<br />
klar ist, ob sie in dem Gebäude wohnen oder seiner Fantasie entspringen. Eine<br />
seltsame organische Masse, die durch die Rohre des Gebäudes fließt. Offen-<br />
sichtlich hofft er darauf, alles wieder rückgängig zu machen, indem er die Kis-<br />
te versiegelt und zurück an ihren Fundort bringt. Parallel zum Höhepunkt des<br />
51 Vgl. Tool - „Sober“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=28107 . Zugriff am<br />
13.06.2011<br />
31
3. Analyse<br />
Videos tauchen nochmals die Musiker auf. Diesmal befinden sie sich in unter-<br />
schiedlichen Räumen des Gebäudes der Puppe. Auch auf sie scheint diese<br />
Macht zu wirken, weshalb sie ebenfalls zittern und vibrieren. Der Clip endet<br />
damit, dass der Zuschauer in die schlecht ausgeleuchtete Kiste hineinschauen<br />
darf, um feststellen, dass diese scheinbar leer ist.<br />
Dieses Musikvideo erscheint als ein passendes Beispiel, um aufzuzeigen, wie<br />
eine Band es schafft sich künstlerisch und authentisch zu verkaufen, indem sie<br />
auf die Ästhetik und Aussage von analogen <strong>Tricktechnik</strong>en zurückgreift.<br />
Der Idee zum Song und zum Video hat den gleichen Ursprung und lässt sich<br />
durch ein Interview zwischen „Guitar School“ und Tool-Gitarristen, Adam Jo-<br />
nes, belegen. Die Frage nach dem Hintergrund dieses Videos beantwortet er<br />
wie folgt:<br />
„The song and video are based on a guy we know who is at his artistic<br />
best when he's loaded. A lot of people give h<strong>im</strong> shit for that. I don't tell<br />
people to do or not do drugs. You can do what you want, but you have to<br />
take responsibility for what happens. If you become addicted and a junkie,<br />
well, that's your fault.“ 52<br />
Bei beiden <strong>Medien</strong> wird somit parallel auf die Behandlung eines gemeinsa-<br />
men Themas hingearbeitet. Es handelt sich hierbei um ein Thema, das sich mit<br />
der menschlichen Psyche kritisch auseinandersetzt und damit einen sperrigen<br />
Inhalt behandelt. Das bedeutet, dass das Hauptaugenmerk nicht auf dem kom-<br />
merziellen Erfolg liegt, sondern vielmehr auf einer künstlerischen Ausarbei-<br />
tung einer Thematik, die sich aller zur Verfügung stehender <strong>Medien</strong> bedient:<br />
Musik, Text, Bild.<br />
Des weiteren erklärt Jones, dass dem Video keine wirkliche Handlung zu<br />
Grunde liegt: "Different people get different things out of the <strong>im</strong>ages. It does-<br />
n't matter what it's about, all that matters is how it makes you feel." 53 Denkt<br />
52 Publication: Guitar School (1994): Tool Guitarist ADAM JONES is a Master of Many<br />
Trades. http://toolshed.down.net/articles/text/gsch.mar.94.html. Transkribiert von „Drugg<br />
Pico“. Zugriff am 14.06.2012<br />
53 Ebd.<br />
32
3. Analyse<br />
man hierbei an die „Magie der Objekte“, dann wird klar weshalb die Puppena-<br />
n<strong>im</strong>ation hier zum Einsatz kommt. Es geht nämlich um ein Gefühl, das ver-<br />
mittelt werden soll. Zwar konkretisiert Jones nicht, um welches es dabei geht.<br />
Doch das Video wirkt beängstigend, gruselig, beklemmend, aber auch vor al-<br />
lem fremdartig. Zudem fühlt man sich dabei an die An<strong>im</strong>ation der „Brüder<br />
Quay“ erinnert, die auf ähnliche Weise ihr Figuren inszenierten und damit eine<br />
ähnliche Wirkung erzeugten. Dieser Bezug deutet ebenfalls darauf hin, dass<br />
die Band den künstlerischen Anspruch gegenüber dem kommerziellen bevor-<br />
zugt. Zudem sind die Musiker selber nur Randfiguren, die einen kaum zu be-<br />
achtenden Bereich <strong>im</strong> Musikvideo einnehmen. Im Mittelpunkt steht die visu-<br />
elle Umsetzung, die ihre Bedeutung und Wirkung aus der analoger Tricktech-<br />
niken bezieht. Die Verwendung jeder Technik <strong>im</strong>pliziert somit auch eine Aus-<br />
sage über die Band, die auf die authentische Wirkung der Musiker abzielt.<br />
3.3.2 Eiffel 65: „Blue (Da Ba Dee)(1999)“ 54<br />
Der Regisseur Celestino Gianotti hat dieses Musikvideo mittels 3D-Compu-<br />
teran<strong>im</strong>ation umgesetzt. Die erste Ausstrahlung erfolgte 1999.<br />
Während eines Konzerts von Eiffel 65 entführen blaue Außerirdische den Sän-<br />
ger der Band, der auf ihrem He<strong>im</strong>atplaneten das Konzert weiterführen soll.<br />
Der Sänger selber merkt nichts von der Entführung, da er <strong>für</strong> den Transport<br />
schockgefrostet wird. Seine Mitmusiker setzen sich unterdessen in ihr kleines<br />
Raumschiff und nehmen die Verfolgung durchs Weltall auf bis sie schließlich<br />
durch ein Portal be<strong>im</strong> He<strong>im</strong>atplaneten der blauen Gestalten ankommen. Der<br />
Sänger wird bei der Ankunft wiederbelebt und singt weiter als ob nichts gewe-<br />
sen ist, bis er allmählich die blauen Aliens <strong>im</strong> Publikum entdeckt, aber nicht<br />
so recht weiß, was er damit anfangen soll. In der Zwischenzeit sind auch seine<br />
Bandkollegen auf dem Planeten angekommen und kämpfen sich mit überna-<br />
türlichen Kräften die Außerirdischen vom Hals, um ihren Sänger zu befreien.<br />
Auf der He<strong>im</strong>reise, werden sie von ihren blauen Fans mittels einer überd<strong>im</strong>en-<br />
54 Vgl. Eiffel 65 - „Blue (Da Ba Dee)“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=9449.<br />
Zugriff am 13.06.2011<br />
33
3. Analyse<br />
sionalen Reklametafel gebeten zurückzukommen. Nach kurzer Besprechung<br />
gehen sie auf diese Bitte ein und spielen bis zum Ende des Clips ihr Konzert<br />
auf dem fremden Planeten weiter. Bis auf die Musiker ist alles in 3D am Com-<br />
puter generiert.<br />
Nicht nur der Song, sondern auch das dazugehörige Video darf an dieser Stelle<br />
als Paradebeispiel des kommerziell orientierten Mainstreams der späten 90er<br />
Jahre betrachtet werden. Ein inhaltlich oberflächlicher Song, begleitet von ei-<br />
ner eingängigen Melodie, die mit reichlich synthetisch erzeugten Klängen un-<br />
termalt ist. Dazu kommt ein Clip, der bis auf den Bezug zu „blau“ rein gar<br />
nichts mit dem Songtext zu tun hat. Als Eyecatcher wird hier eine steril wir-<br />
kende Computeran<strong>im</strong>ation benutzt, die <strong>im</strong>merhin die ebenso künstlich klin-<br />
gende Musik zu betonen vermag. Doch bezogen auf das letzte Kapitel scheint<br />
hier ein größerer Tiefgang auch nicht notwendig zu sein, um den Song zu ver-<br />
markten. Es reichen lediglich die zu dem Zeitpunkt modernen und <strong>für</strong> die<br />
Masse verständlichen Mittel: Computergenerierte Klänge und analog dazu ein<br />
<strong>für</strong> diese Technik passende Computeran<strong>im</strong>ation. Und natürlich, was sowohl<br />
<strong>für</strong> heute als auch damals gilt: Ein einfacher Refrain, den sich jeder merken<br />
und mitsingen kann.<br />
Vergleicht man das Video zu „Sober“ mit diesem Beispiel, so fallen auch hier<br />
die Parallelen zwischen den verwendeten Instrumenten und der An<strong>im</strong>ationsart<br />
auf: Tool greifen mit ihren analogen Musikinstrumenten auf analoge Trick-<br />
techniken zurück, während Eiffel 65 sowohl in Musik als auch in Video sich<br />
hauptsächlich digitale Mittel zunutze machen. Zwar kann man hier einwen-<br />
den, dass sich der technische Fortschritt zwischen 1993 und 1999 – den jewei-<br />
ligen Erscheinungsjahren – rasant weiterentwickelt hat. Doch muss hier mit<br />
Bedacht vorgegangen werden. Denn die Bilderwelten, die es bei „Sober“ zu<br />
sehen gibt, sind in ähnlicher Art und Weise schon seit mindestens 1979 durch<br />
den Kurzfilm „Nocturna Artificialia“ von Stephan und T<strong>im</strong>othy Quay be-<br />
34
3. Analyse<br />
kannt. 55 Die von Eiffel 65 verwendete Computertechnik war demgegenüber<br />
<strong>für</strong> 1999 relativ modern.<br />
3.3.3 Incubus: „Megalomaniac“(2003) 56 , 57<br />
Allem voran handelt der Song - ausgehend vom Text – von regierende Politi-<br />
kern, die dem Größenwahn verfallen sind und nicht einmal vor Krieg und des-<br />
sen Folgen zurückschrecken, um ihre Profit- und Machtgier zu befriedigen.<br />
Die dazugehörige Inszenierung von Floria Sig<strong>im</strong>ondi <strong>im</strong> Jahre 2003 verläuft<br />
dabei parallel zum Song und illustriert ebenfalls diese Aussage. Die Vorge-<br />
hensweise wird von Keazor und Wübenna wie folgt beschrieben:<br />
„Ihr Video eröffnet dabei einen visuellen Diskurs, der sich als Warnung vor<br />
jeglicher Art von Fanatismus verstanden wissen will und die entsprechenden<br />
Gefahrenbereiche – Religion und Politik – anhand einer Bildfolge vorführt, in<br />
der Jesus Christus neben Hitler und einem amerikanischen Präsidenten auf-<br />
tritt, der offenbar einen Krieg anzettelt, um sich an Erdöl zu bereichern.“ 58<br />
Ob indirekt oder direkt, Sig<strong>im</strong>ondi zitiert hierbei des öfteren politische Foto-<br />
Collagen des aus dem DADA-Kreis stammenden Künstlers John Heartfield,<br />
die sie am Computer an<strong>im</strong>iert. Beispielsweise ist das Motiv von Hitler als be-<br />
flügeltem Friedensengel, der ebenfalls mit Flügeln versehene Bomben abwirft,<br />
auf Fotomontagen von Heartfield zurückzuführen. 59 Auch auf weitere Symbo-<br />
le dieser Art, die sie am Computer auf eine Art und Weise an<strong>im</strong>iert, die analo-<br />
ge Verfahren zum Vorbild hat. Dazwischen zeigt Sig<strong>im</strong>ondi <strong>im</strong>mer wieder Re-<br />
alfilm-Sequenzen der einzelnen Musiker, womit sie die Souveränität der Band<br />
zu verdeutlichen vermag. Zu Beginn sieht man beispielsweise die Interpreten<br />
auf den Dächern einer Stadt, wodurch sie Incubus' aktuellen Status als bedeu-<br />
55 Vgl. Nocturna Artificialia(1979): http://www.<strong>im</strong>db.com/title/tt0079636/<br />
Zugriff am 13.06.2011.<br />
56 Vgl. Incubus -„Megalomaniac“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=36824.<br />
Zugriff am 13.06.2011<br />
57 Aufgrund der zahlreichen komplexen Zusammenhänge des Videos, ist eine Handlungszusammenfassunf<br />
zu umfangreich <strong>für</strong> diese Arbeit.<br />
58 Keazor, Henry / Wübbena, Thorsten 2005: S. 364-365.<br />
59 Vgl ebd. S. 365.<br />
35
3. Analyse<br />
tenden Teil des Landes betont. Denn sie versuchen mit ihrer Musik gegen die<br />
Machenschaften der Größenwahnsinnigen vorzugehen, indem sie mit ihrer<br />
Aussauge auf die Problematik hindeuten. Auch werden die Musiker selten ge-<br />
meinsam gezeigt, was auf die individuellen Talente des Einzelnen aufmerk-<br />
sam zu machen scheint. Somit stellt Sig<strong>im</strong>ondi zum einen die Verbindung<br />
zwischen Publikum und Star her und zum anderen baut sie ein adäquates und<br />
authentisches Image der Band auf, das der Attitüde der musikalischen Grup-<br />
pierung entnommen wurde.<br />
Dieser Clips ist somit ein Musterbeispiel <strong>für</strong> die Hybridform. Im Gegensatz zu<br />
den bisher betrachteten Videos, werden hier verschiedenste Techniken ge-<br />
mischt: Sowohl computergestützte und computergenerierte An<strong>im</strong>ationen, als<br />
auch an<strong>im</strong>ierte Papiercollagen kommen zum Einsatz. Neben Realfilmszenen,<br />
taucht auf Propaganda- und Dokumentationsfilm stilisiertes Videomaterial<br />
auf. Mittels dieser Hilfsmittel und der symbolträchtigen Bildsprache verleiht<br />
das Video der Band einen zusätzlichen authentischen Charakter. Dass die Il-<br />
lustration des Slogans „Kein Blut <strong>für</strong> Öl“ hierbei einen einfacheren Gehalt als<br />
die tiefer gehende Aussage der Band ans Tageslicht bringt, scheint sich bei<br />
diesem Beispiel positiv auf die Vermarktung von Incubus auszuwirken. Ob<br />
der Zuschauer alle Assoziationen auf Anhieb nachvollziehen kann ist zunächst<br />
irrelevant. Hakenkreuz, Hitler, Jesus, Bush in Kombination mit komplexen,<br />
detaillierten An<strong>im</strong>ationsgrafiken und schnellen Schnitten provozieren und fal-<br />
len be<strong>im</strong> „zapping“ auf, was dazu beiträgt, dass der Zuschauer darauf hängen<br />
bleibt und <strong>im</strong> Opt<strong>im</strong>alfall genauer hinhört und hinsieht.<br />
„So originell, eindrücklich und ungemein detailverliebt die von Sigismondi<br />
vorgeführten visuellen Metaphern nun jedoch sind, so können sie doch über<br />
die sich stetig erweiternde Kluft zwischen der ästhetischen Komplexität des<br />
Videos und der tatsächlichen S<strong>im</strong>plizität seiner Aussage nicht hinwegtäu-<br />
schen. Denn indem hier Diktatoren wie Hitler, Moussolini und Stalin wahl-<br />
und unterschiedslos in einen Topf mit George W. Bush geworfen werden und<br />
als alleinige Motivation <strong>für</strong> dessen Irak-Krieg die Gier nach Öl suggeriert<br />
36
3. Analyse<br />
wird, gerät das Incubus-Video zu einer zwar ästhetisch komplexen, doch <strong>im</strong><br />
Gehalt zu einfachen Illustration des Slogans 'Kein Blut <strong>für</strong> Öl'.“ 60<br />
Des weiteren zeigt sich bei diesem Beispiel, dass sich ein Musikvideo trotz<br />
musikalischen und lyrischen Tiefgangs, weitaus näher am Mainstream als am<br />
Arthaus ansiedeln lassen kann. Zwar wird die visuelle Ebene, dem Textinhalt<br />
laut Keazor nicht ganz gerecht. Doch trägt dieses „Manko“ dennoch wie oben<br />
beschrieben zur besseren Vermarktung bei.<br />
3.3.4 Marteria: „Sekundenschlaf“(2011) 61<br />
Der von Daniel Franke inszenierte Videoclip zu Marterias „Sekundenschlaf“<br />
von 2011 ist ein aktuelles Beispiel <strong>für</strong> die erfolgreiche Verwendung analoger<br />
<strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> in Kombination mit dem techni-<br />
schen Fortschritt. Die dabei genutzten Fotos und Videosequenzen wurden aus-<br />
schließlich mit digitalen Mitteln aufgenommen. Doch das An<strong>im</strong>ationsverfah-<br />
ren bedient sich der Pixilation.<br />
Die Handlung spielt in einer Großstadt. Es sind Panoramaaufnahmen oder<br />
Aufnahmen von Fußgängerpassagen und Straßenkreuzungen zu sehen, in de-<br />
nen der Sänger meist <strong>im</strong> Vordergrund steht. Die Bewegung des Protagonisten<br />
wird erst durch die Aneinanderreihung verschiedener Fotos erzeugt und wirkt<br />
<strong>im</strong> Gegensatz zu der <strong>im</strong> Zeitraffer abgespielten Umgebung deutlich verlang-<br />
samt. Durch die Manipulation der Bewegungsabläufe verändert sich die Wir-<br />
kung von Raum und Zeit, wobei stets ein Bezug zu realen Welt besteht. Hier<br />
wird der technische Fortschritt genutzt, um alle möglichen Details der echten<br />
Welt so scharf und klar wie möglich darzustellen. Auf computergenerierte Be-<br />
wegungen wird dabei gänzlich verzichtet.<br />
60 Ebd. S. 365-366.<br />
61 Vgl. Offizieller Youtube-Channel von Marteria:<br />
http://www.youtube.com/greenberlinTV#p/c/896040A2B6C48A0B/14/qIvh8ngaBN4 .<br />
Zugriff am 14.06.2011<br />
37
3. Analyse<br />
Die analoge <strong>Tricktechnik</strong> wird hier dezent eingesetzt und lenkt damit nicht<br />
vom eigentlichen Song ab. Der Komplexitätsgrad wird niedrig gehalten, was<br />
dazu führt, dass Musikvideo und Song hier Hand in Hand gehen und nicht von<br />
einander ablenken. Es entsteht eine authentisch wirkende Harmonie, die <strong>für</strong><br />
den durchschnittlichen Mainstream-Konsumenten in jeglicher Hinsicht greif-<br />
bar zu sein scheint.<br />
Dies kann auch als Beleg <strong>für</strong> die Signifikanz der Hybridform betrachtet wer-<br />
den. Denn während man „analog“ und „digital“ als gegensätzliche Pole be-<br />
trachten kann, ebenso wie Authentizität und Künstlichkeit, oder auch Main-<br />
stream und Arthaus, so scheint die Hybridform <strong>im</strong> übertragenen Sinne zwi-<br />
schen diesen Extremen vermitteln zu können. Sie sorgt <strong>für</strong> einen Kompro-<br />
miss, der <strong>für</strong> die breite Masse verträglich ist.<br />
3.3.5 The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“(1996) 62<br />
Es scheint noch einen weiteren interessanten Aspekt zu geben, der mit Ver-<br />
wendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en einher geht, aber bisher lediglich an einer<br />
Stelle kurz angedeutet wurde: Die Verbindung zwischen Publikum und Musi-<br />
ker mittels einer gemeinsamen Erinnerung.<br />
Menschen erfreuen sich beispielsweise <strong>im</strong>mer wieder an Kleinigkeiten, die sie<br />
an besondere Momente oder Ereignisse aus ihrer Vergangenheit erinnern. Jede<br />
technische Errungenschaft besitzt die Eigenart Menschen an den Zeitraum zu<br />
erinnern indem sie entstanden und unter Umständen auch populär geworden<br />
ist. Insbesondere bei Menschen, <strong>für</strong> die eine solche Errungenschaft eine be-<br />
deutende Rolle in ihrem Leben eingenommen hat entsteht unweigerlich eine<br />
Art nostalgische Verknüpfungen. Wenn sich zudem mehrere Menschen durch<br />
das Betrachten ein und des selben Gegenstands gemeinsam an eine besondere<br />
Zeit erinnern, dann entsteht ein Gefühl von Verbundenheit. Sie teilen sich so-<br />
mit die selbe Erinnerung und grenzen sich damit von anderen ab, die mögli-<br />
62 Vgl. The Smashing Pumpkins - „Tonight, tonight“http://www.mvdbase.com/video.php?<br />
id=25664 . Zugriff am 13.06.2011<br />
38
3. Analyse<br />
cherweise, absolut keinen Bezug zu der Sache herstellen können. 63 Auch die<br />
analogen <strong>Tricktechnik</strong>en besitzen diese Eigenart. Im übertragenen Sinn, fun-<br />
gieren sie mit ihrer über 100 Jahre alten Geschichte als Zeitzeugen. Durch die<br />
Verwendung best<strong>im</strong>mter Verfahren, wird man an die Meilensteine der Ge-<br />
schichte erinnert.<br />
Ein passendes Beispiel liefert hierbei der Clip zu "Tonight, tonight" von The<br />
Smashing Pumpkins aus dem Jahre 1996, das von Jonathan Dayton und Vale-<br />
rie Faris inszeniert wurde.<br />
Es ist absolut offensichtlich, dass die Regisseure bei diesem Clip Georges Me-<br />
lies "Reise zum Mond"(1902) 64 zitieren. Es zeigt sowohl die Wertschätzung<br />
des Filmeffekt-Pioniers als auch die Demut vor seiner bedeutenden Stop-Trick<br />
Verwendung, die als Meilenstein der Geschichte zu betrachten ist. Auch könn-<br />
te man das als Aufforderung verstehen, die Musik der Band ebenfalls als Mei-<br />
lenstein ihrer Zeit zu betrachten. Letzteres ist jedoch eine Mutmaßung, auf die<br />
hier nicht näher eingegangen werden kann. Doch es verhält sich zumindest so,<br />
dass man aus dem verwendeten Zitat ableiten kann, dass The Smashing<br />
Pumpkins mit diesem Video - abgesehen von ihren Fans -, auch diejenigen an-<br />
zusprechen versuchten, die Melies „Die Reise zum Mond“ in gleicher Art<br />
und Weise zu schätzen wissen, wie es die Musiker selbst machen.<br />
Demnach vermag die Verwendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en in Musikvideos<br />
ein Publikum anzulocken, das nicht allein des Liedes wegen Interesse am Clip<br />
zeigen soll. Darüber hinaus lässt sich auch hieraus auf den mehrmals ange-<br />
sprochenen Symbolcharakter schließen, der in diesem Fall auch vorhanden ist.<br />
63 Wobei es <strong>für</strong> dieses Phänomen nicht zwingend notwendig ist, dass man selber in den Zeiten<br />
des Entstehens auf der Welt war.<br />
64 Vgl. Die Reise zum Mond(1902): http://www.<strong>im</strong>db.com/title/tt0000417/, Zugriff am<br />
12.06.2011.<br />
39
4 Fazit / Ausblick<br />
4. Fazit / Ausblick<br />
Die Verwendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en kann nach diesen Beobachtungen<br />
und Vergleichen eine Menge an unterschiedlichster Aussagen mit sich führen.<br />
Man kann auf jeden Fall festhalten, dass sie <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> der digitalen <strong>Medien</strong><br />
noch längst nicht ausgedient haben. Vor allem hinsichtlich ihrer Verwendung<br />
<strong>im</strong> Musikvideo, spielen sie nicht nur seit Anfang der 90er Jahre eine <strong>im</strong>mer<br />
wieder bedeutende Rolle, wenn es gilt Musiker zu vermarkten, da sie oft eine<br />
gewisse Authentizität suggerieren. Abhängig von den kommerziellen oder<br />
künstlerischen Beweggründen spielt der Anspruch an einer solchen Authenti-<br />
zität <strong>im</strong>mer wieder eine wichtige Rolle. In diesem Punkt unterscheidet sich<br />
auch die analoge An<strong>im</strong>ationen von den computergenerierten An<strong>im</strong>ation, da<br />
Letztere oft mit einer Künstlichkeit einhergeht. Dieser Sachverhalt lässt sich<br />
deutlich am Vergleich zwischen „Sober“ und „Blue (Da Ba Dee)“ beobachten,<br />
in dem sich analoge und digitale An<strong>im</strong>ationen gegenüber stehen.<br />
Kombiniert mit toten Gegenständen, die aus ihrem alltäglichen Kontext geris-<br />
sen und zu neuem Leben erweckt werden, bringen die analogen Verfahren eine<br />
<strong>im</strong>posante Ästhetik mit sich, die eine eigene Bildsprache spricht und eine al-<br />
ternative Interpretation von Realität liefert. Auffällig ist, dass dadurch diese<br />
<strong>Tricktechnik</strong> tendenziell bei den künstlerisch ambitionierteren Musikern zum<br />
Einsatz kommt, weswegen sie in den Musikvideos eher auf der Seite des Art-<br />
haus zu finden ist. Dem gegenüber siedeln die gänzlich am Computer gene-<br />
rierten Musikvideos eher auf Seite des Mainstreamvideos an, was auch damit<br />
zusammenhängt, dass die Popmusik <strong>im</strong> Verlauf der Jahre mehr und mehr syn-<br />
thetisch erzeugte Töne zu klingen bringt.<br />
Zudem vermag sie in ihrer vom Fortschritt unterstützten Hybridform die glei-<br />
che Wirkung zu vermitteln. Der Computer erleichtert dabei viele Arbeits-<br />
schritte und bietet mehr Raum <strong>für</strong> Exper<strong>im</strong>ente. Man darf gespannt sein wel-<br />
che neuen Hybridformen durch den technischen Fortschritt in den kommen-<br />
den Jahren und Jahrzehnten zu Vorschein treten. Betrachtet man jedoch die<br />
Vielzahl an subkulturellen Bands, die ihre Vermarktung heutzutage selber in<br />
die Hände nehmen, kann man sicher sein, dass zumindest in diesem Bereich<br />
40
4. Fazit / Ausblick<br />
die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en auch zukünftig zum Einsatz kommen. Denn<br />
durch die Arbeitserleichterung des Computers kann schon heute jeder Hobby-<br />
musiker, mit relativ wenig Aufwand ein beeindruckendes Video erstellen. Ins-<br />
besondere, wenn er sich die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en zu Nutze macht.<br />
41
5 Quellenverzeichnis<br />
Literaturverzeichnis:<br />
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ANHANG:<br />
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Incubus: „Megalomaniac“ (2003)<br />
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ernandofg2/Incubus-<br />
MegalomaniacPromoOnlyVOB_tn.jpg<br />
Marteria: „Sekundenschlaf“ (2011)<br />
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http://vip-files.net/v5/pocbo002/22.jpg<br />
The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“ (1996)<br />
http://vip-files.net/v4/smghvc/10.jpg<br />
45
Erklärung<br />
5. Quellenverzeichnis<br />
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne<br />
Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle<br />
Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten und nicht veröffent-<br />
lichten Schriften entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die<br />
Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise <strong>im</strong> Rahmen ei-<br />
ner anderen Prüfung noch nicht vorgelegt worden.<br />
München, den 16.06.2011<br />
Bogdan Brakalov<br />
46