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Analoge Tricktechnik im Zeitalter digitaler Medien - Institut für ...

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Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />

Fakultät <strong>für</strong> Geschichts- und Kunstwissenschaften<br />

Department Kunstwissenschaften<br />

<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Kunstpädagogik<br />

Bachelorarbeit<br />

Für den Studiengang Kunst und Mult<strong>im</strong>edia<br />

an der LMU München<br />

<strong>Analoge</strong> <strong>Tricktechnik</strong> <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong><br />

– Eine Untersuchung zur Ästhetik und Aussage in Musikvideos –<br />

vorgelegt von:<br />

Gutachter:<br />

Bogdan Brakalov<br />

Matrikelnummer: 2256590<br />

Ungererstr. 214<br />

80805 München<br />

Tel.: 0162 542 80 40<br />

E-Mail: b.brakalov@gmx.de<br />

Dr. des. Daniel Botz<br />

Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />

<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Kunstpädagogik<br />

Leopoldstraße 13<br />

D-80802 München<br />

Telefon: +49 (0)89 / 2180 - 5958<br />

Fax: +49 (0)89 / 2180 - 5281<br />

E-Mail: daniel.botz@lmu.de<br />

München, den 16.06.2011


Inhalt<br />

1 EINLEITUNG.........................................................................................................1<br />

2 GEGENSTAND.......................................................................................................3<br />

2.1 DEFINITION: ANALOGE TRICKTECHNIKEN..................................................................................3<br />

2.1.1 Wortursprung..........................................................................................................3<br />

2.1.2 Stufen zwischen analog und digital .......................................................................3<br />

2.1.3 Digitalisierung.......................................................................................................4<br />

2.1.4 <strong>Analoge</strong>s Medium ..................................................................................................5<br />

2.1.5 An<strong>im</strong>ation...............................................................................................................6<br />

2.1.6 Zusammenfassung .................................................................................................7<br />

2.2 TRICKTECHNIKEN.................................................................................................................8<br />

2.2.1 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 2D.........................................................................8<br />

2.2.1.1 Zeichentrick 8<br />

2.2.1.2 Rotoskopie 9<br />

2.2.1.3 Flachfiguren-/Legefigurenan<strong>im</strong>ation - Cutout 9<br />

2.2.2 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 3D.......................................................................10<br />

2.2.2.1 Puppenan<strong>im</strong>ation/Modelan<strong>im</strong>ation 10<br />

2.2.2.2 Sachan<strong>im</strong>ation 10<br />

2.2.2.2 Pixilation 11<br />

2.2.2 Computeran<strong>im</strong>ation und computergestütze An<strong>im</strong>ation.........................................11<br />

2.3 MUSIKVIDEO ...................................................................................................................12<br />

2.2.1 Definition und Herleitung....................................................................................12<br />

2.2.2 Etablierung als Medium ....................................................................................13<br />

2.2.3 Zusammenfassung................................................................................................15<br />

2.2.4 An<strong>im</strong>ation in Musikvideos ...................................................................................15<br />

3 ANALYSE..............................................................................................................17<br />

3.1 ÄSTHETIK: ZWISCHEN AUTHENTIZITÄT UND KÜNSTLICHKEIT .....................................................17<br />

3.1.1 Körperlichkeit, Zufall und digitale Kälte.............................................................17<br />

3.1.2 Magie der Objekte ...............................................................................................19<br />

3.1.3 Die Hybridisierung von analog und digital..........................................................23<br />

3.2 PARALLELEN: MUSIK, TRICKTECHNIK UND SYMBOLE................................................................25<br />

3.3 KURZANALYSE: MUSIKVIDEO...............................................................................................30<br />

3.3.1 Tool: „Sober“(1993)............................................................................................31<br />

3.3.2 Eiffel 65: „Blue (Da Ba Dee)“(1999) ..................................................................33<br />

3.3.3 Incubus: „Megalomaniac“(2003)........................................................................35<br />

3.3.4 Marteria: „Sekundenschlaf“(2011)......................................................................37<br />

3.3.5 The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“(1996).............................................38<br />

4 FAZIT / AUSBLICK.............................................................................................40<br />

5 QUELLENVERZEICHNIS.................................................................................42<br />

ANHANG...............................................................................................................45


1 Einleitung<br />

1. Einleitung<br />

Betrachtet man allein die Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, um<br />

Auditives mit Visuellem zu kombinieren, ist es nicht verwunderlich, dass sich<br />

das Musikvideo in einem Prozess des stetigen Wandels befindet. Je fortschritt-<br />

licher die Technik wird, desto grenzenloser erscheinen die Optionen die sich<br />

uns bieten, um Ergebnisse kreativer Prozesse zu liefern. Natürlich muss auch<br />

berücksichtigt werden, dass mit dem heutigen Wohlstand auch viele Bevölke-<br />

rungsgruppen Zugang zu Technologien haben, mit denen zum Beispiel vor 30<br />

Jahren nur die Wenigsten in Kontakt kommen konnten (falls es sie überhaupt<br />

schon gab). Und auch wenn es damals einen besseren Zugang gegeben hätte,<br />

wäre es weitaus mühseliger, sich das Wissen anzueignen, das sich in unserer<br />

heutigen Informationsgesellschaft mit Hilfe des Internet ohne große Mühen<br />

herausfiltern lässt. Zudem wird die relevante Technik <strong>im</strong>mer billiger und so-<br />

mit auch <strong>für</strong> fast jedermann erschwinglicher.<br />

Dennoch bedeutet technologischer Fortschritt nicht zwangsläufig, dass man<br />

sich lediglich auf moderne Möglichkeiten fokussiert und die alten in Verges-<br />

senheit geraten. Sicherlich stehen Erstere häufiger auf dem Radar - allein<br />

schon um sie weiterentwickeln zu können - doch die <strong>für</strong> die heutige Generati-<br />

on wohl eher als veraltet angesehenen analogen <strong>Tricktechnik</strong>en finden nach<br />

wie vor ihren Platz und werden zugleich in den Fortschritt integriert. Ziel die-<br />

ser Arbeit ist es unter anderem, die Essenz analoger <strong>Tricktechnik</strong>en zu fassen<br />

und zu klären wo und wie sie in heutigen Zeiten zum Einsatz kommen. Ge-<br />

nauer gesagt: In Zeiten <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> in denen sich sämtliche Information<br />

lediglich durch Einsen und Nullen darstellen und vermitteln lässt. Diese Infor-<br />

mationsüberführung gilt auch <strong>für</strong> analoge <strong>Tricktechnik</strong>en. Sicherlich wird man<br />

sie auch oft genug in natura vorfinden, doch es scheint als ob sich durch die<br />

Digitalisierung der Aggregatzustand von analogen <strong>Tricktechnik</strong>en verändert<br />

hat. Man kann schon an dieser Stelle festhalten, dass die Idee, die sich hinter<br />

der Fassade analoger <strong>Tricktechnik</strong>en verbirgt, nach wie vor präsent ist. Es ha-<br />

ben sich lediglich die Mittel der Umsetzung geändert. Die Ästhetik dieser<br />

1


1. Einleitung<br />

<strong>Tricktechnik</strong> hat weiterhin ihren Reiz und einen speziellen Charakter. Doch<br />

durch die neuen digitalen Möglichkeiten hat sich eine Hybridform entwickelt,<br />

die bei der Umsetzung helfen kann. Wobei diese Änderung sowohl Vorteile als<br />

auch Nachteile mit sich führt, was an späterer Stelle genauer erörtert wird.<br />

Auch wenn man in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung einen weiten<br />

Bogen um das Wort "Magie" machen sollte, muss an dieser Stelle genau da-<br />

von gesprochen werden. Denn es haftet eine Art Magie an diesen altbewährten<br />

Techniken. Genau diese soll hier entmystifiziert, analysiert und begriffen wer-<br />

den.<br />

Wie bereits angedeutet sind die künstlerischen Umsetzungsmöglichkeiten in<br />

heutigen Zeiten nahezu unermesslich. Die Anzahl der produzierten Musikvi-<br />

deos (z.T in He<strong>im</strong>produktion) ist in den vergangenen Jahren derartig gewach-<br />

sen, dass ihre formale und inhaltliche Bandbreite so groß ist, dass sich viele<br />

Aspekte nur in einem best<strong>im</strong>mten Kontext auf eine ergiebige Art und Weise<br />

analysieren lassen. Deshalb ist es Ziel dieser Arbeit, nur Aussagen und Ästhe-<br />

tik von solchen Musikvideos, die analoge <strong>Tricktechnik</strong>en verwenden, zu fas-<br />

sen und zu deuten.<br />

2


2 Gegenstand<br />

2.1 Definition: <strong>Analoge</strong> <strong>Tricktechnik</strong>en<br />

2. Gegenstand<br />

Der Begriff „analoge <strong>Tricktechnik</strong>“ kommt <strong>im</strong> allgemeinen Sprachgebrauch<br />

eigentlich gar nicht vor, ist jedoch eine Wortschöpfung, die <strong>für</strong> die Bearbei-<br />

tung des Themas unerlässlich ist. Deshalb ist es wichtig, zunächst zu klären<br />

was damit gemeint ist. Dazu soll der Begriff erst einmal auseinandergenom-<br />

men werden.<br />

2.1.1 Wortursprung<br />

„<strong>Tricktechnik</strong>“ spricht allein schon aus der Wortzusammensetzung <strong>für</strong> sich.<br />

Es bezeichnet ein Verfahren mit dem man eine Illusion erzeugen kann. Also<br />

eine Technik mit der ein Trick erzeugt wird. Interessanter ist in diesem Zu-<br />

sammenhang die Bedeutung von „analog“. Schlägt man <strong>im</strong> Duden den Begriff<br />

„analog“ nach, wird man zunächst auf folgende aus der Bildungssprache<br />

stammenden Synonyme stoßen: „identisch“, „ähnlich“ und weitere. Die Be-<br />

deutung dürfte in dem Fall allein schon aus dem Alltag bekannt sein. Aller-<br />

dings ist sie <strong>für</strong> den hiesigen Sachverhalt eher irrelevant und nur der Vollstän-<br />

digkeit wegen erwähnt. Es gibt noch zwei weitere Bedeutungen. In der elek-<br />

tronischen Datenverarbeitung meint „analog“, dass etwas kontinuierlich bzw.<br />

stufenlos ist. Auf physikalischer Ebene ist etwas analog, wenn es „durch ein<br />

und dieselbe mathematische Beziehung beschreibbar“ bzw. wenn es „einen<br />

Wert durch eine physikalische Größe darstellend“ ist. 1<br />

2.1.2 Stufen zwischen analog und digital<br />

Der Begriff „stufenlos“ ist vor allem <strong>für</strong> die Auseinandersetzung mit dem Be-<br />

griff „digital“ interessant, weswegen Letzteres ebenfalls zur Erläuterung mit-<br />

berücksichtigt werden muss. So schreibt Ursula Brandstätter:<br />

1 Gesamter letzter Absatz: Vgl. analog – Artikel – duden.de: http://www.duden.de/rechtschreibung/analog_aehnlich_kontinuierlich<br />

, Zugriff am 26.5.2011.<br />

3


2. Gegenstand<br />

„Der Unterschied zwischen den syntaktischen Grundbegriffen 'analog' und 'di-<br />

gital' kann am besten am Beispiel zweier unterschiedlicher Temperaturmess-<br />

geräte veranschaulicht werden. Bedenken wir zunächst die analoge Zeichen-<br />

funktion eines stufenlosen, unskalierten Quecksilberthermometers: Steigt die<br />

Außentemperatur, so dehnt sich das Quecksilber aus und die Quecksilbersäule<br />

steigt. Sie kann dabei eine unendliche Menge von möglichen Positionen errei-<br />

chen, da es theoretisch zwischen zwei erreichten Positionen <strong>im</strong>mer noch eine<br />

dritte gibt. Diese unendliche Differenzierung wird als syntaktische Dichte cha-<br />

rakterisiert. Von „analogen“ Repräsentationen spricht man also, wenn die<br />

Menge der Zeichen <strong>im</strong> mathematischen Sinn dicht oder kontinuierlich (ohne<br />

Zwischenstufen) ist.<br />

Demgegenüber bezeichnet der Begriff 'digital' ein diskontinuierliches, endlich<br />

differenziertes Zeichensystem. Als Beispiel <strong>für</strong> digitale Zeichen kann ein Tem-<br />

peraturmessgerät genommen werden, das über eine Mess-Skala verfügt: Die<br />

Skala ermöglicht es, Temperaturwerte in Zehntelgraden abzulesen. Auf diese<br />

Weise verwandelt sich das analoge Zeichensystem in ein digitales. Jede Positi-<br />

on der Quecksilbersäule wird einem best<strong>im</strong>mten, eindeutigen Wert auf der<br />

Skala zugeordnet. Digitale Zeichen sind also differenziert und damit diskonti-<br />

nuierlich.“ 2<br />

2.1.3 Digitalisierung<br />

Was hat dieses Beispiel <strong>für</strong> eine Bedeutung <strong>für</strong> die Begrifflichkeit von „analo-<br />

gen <strong>Tricktechnik</strong>en“? Im Titel der Arbeit steht der Begriff in Relation zum<br />

„<strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong>“. An dieser Stelle ist es unerlässlich den Bogen<br />

noch weiter zu spannen und <strong>im</strong> gleichen Zug die Bedeutung vom „digitalen<br />

<strong>Zeitalter</strong>“ anzureißen, bevor es gilt zu konkretisieren was als „analoge Trick-<br />

technik“ bezeichnet werden kann bzw. bezeichnet wird.<br />

2 Brandstätter, Ursula (2004): Bildende Kunst und Musik <strong>im</strong> Dialog. Ästhetische, zeichentheoretische<br />

und wahrnehmungspsychologische Überlegungen zu einem kunstspartenübergreifenden<br />

Konzept ästhetischer Bildung. Augsburg: Wissner. S. 108. Bezieht sich auf<br />

Nelson Goodman (1973): Sprachen der Kunst. Ein Anatz zu einer Symboltheorie, Frankfurt<br />

am Main: Suhrkamp. S. 166ff.<br />

4


2. Gegenstand<br />

Markant <strong>für</strong> das digitale <strong>Zeitalter</strong> ist, dass Informationen in Form von Nullen<br />

und Einsen abgespeichert werden können: Dem sogenannten Binärcode. Um<br />

etwas zu digitalisieren, muss es von einem analogen Format in ein digitales<br />

Format umgewandelt werden. Das Verfahren heißt „Digitalisierung“. Dies ge-<br />

schieht, indem man kontinuierliche Größen in abgestufte Werte überführt.<br />

Durch diesen Vorgang geht stets Information verloren. Und zwar diejenige,<br />

die sich zwischen den abgestuften Werten befindet. Man nehme als Beispiel<br />

die Digitalisierung von Musik. Um ein analoges Audiosignal zu digitalisieren<br />

wird eine Abtastrate verwendet. Dabei werden in best<strong>im</strong>mten zeitlichen Inter-<br />

vallen Werte eines Audiosignals abgelesen und gespeichert. Anhand dieser<br />

Werte lässt sich schließlich das analoge Signal digital rekonstruieren. Der In-<br />

formationsgehalt zwischen den jeweiligen Werten wird jedoch nicht gemes-<br />

sen, sondern lediglich berechnet und muss nicht zwangsläufig den gleichen<br />

Informationsgehalt besitzen, wie das ursprüngliche Signal. Als weiteres an-<br />

schauliches Beispiel stelle man sich einfach einen Film vor, der in 24 Bildern<br />

pro Sekunde läuft. Wenn jedes zweite Bild fehlen würde, dann erschiene bei-<br />

spielsweise eine flüssige Bewegung plötzlich nicht mehr flüssig. Für die wei-<br />

tere Bearbeitung des Hauptthemas soll an dieser Stelle der Verlust von Infor-<br />

mation bei der Digitalisierung als eines der Hauptprobleme festgehalten wer-<br />

den.<br />

2.1.4 <strong>Analoge</strong>s Medium<br />

Um die Bedeutung von „analoge <strong>Tricktechnik</strong>en“ zu verdeutlichen, soll zu-<br />

dem gezeigt werden, was ein analoges Medium ist. Im Rahmen dieser Arbeit<br />

wird ein analoges Medium als zum Beispiel eine Schallplatte oder ein Film,<br />

Papier oder Folie verstanden. Also greifbare Gegenstände, die via mechani-<br />

scher oder auch chemischer Manipulation einen Informationsgehalt speichern<br />

können. Die händische Übertragung von Information durch Zeichnen oder<br />

Malen natürlich mit inbegriffen. Ein etwas darstellendes Medium wie zum<br />

Beispiel einen Röhrenfernseher würde man auch zurecht auch als analoges<br />

Gerät bezeichnen. Allerdings wird das analoge Medium hier lediglich auf In-<br />

formationsträger beschränkt. Wenn in dieser Arbeit der Begriff „analoges Me-<br />

dium“ verwendet wird, bezieht er sich nicht auf finale Wiedergabegeräte. Ab-<br />

5


2. Gegenstand<br />

geleitet von dem bisher Erarbeiteten weist ein solches analoges Medium fol-<br />

gende Eigenschaften auf: Es muss per Hand oder mit mechanisch bzw. che-<br />

misch funktionierenden Geräten erstellt werden.<br />

2.1.5 An<strong>im</strong>ation<br />

Wenn man sich nun auf die Techniken konzentriert, die in erster Linie mit<br />

analogen <strong>Medien</strong> funktionieren, stößt man ziemlich schnell auf Verfahren wie<br />

Zeichentrick, Stop-Motion oder Rotoskopie. All diese Verfahren haben eines<br />

gemeinsam: Sie werden Bild <strong>für</strong> Bild bearbeitet, um schließlich ein bewegtes<br />

Bild erzeugen zu können. Das Stichwort lautet hier An<strong>im</strong>ation.<br />

„Das eigentliche Thema des An<strong>im</strong>ations- oder Trickfilms ist die Bewegung an<br />

sich. Der Trick der Filme besteht darin, Objekte (gezeichnete oder reale), die<br />

an sich unbewegt sind, mit Hilfe der Filmtechnik in Bewegung zu versetzen<br />

und so zu >beleben< (an<strong>im</strong>are: beseelen, beleben):>>Instead of continuously<br />

filming an ongoing action in real t<strong>im</strong>e, an<strong>im</strong>ators create a series of <strong>im</strong>ages by<br />

shooting one frame at a t<strong>im</strong>e. Between the exposure of each frame, the an<strong>im</strong>a-<br />

tor changes the subject being photographed


2. Gegenstand<br />

Während Richter und Wells eine praktische Definition liefern, bringt Norman<br />

McLaren die Essenz von An<strong>im</strong>ation zum Vorschein:<br />

„An<strong>im</strong>ation is not the art of drawings that move, but rather the art of move-<br />

ments that are drawn. What happens between each frame is more <strong>im</strong>portant<br />

than what happens on each frame.“ 5<br />

Zwar umfasst die Definition vom Wortlaut „drawings“ zunächst nur ein Gen-<br />

re, nämlich gezeichnete An<strong>im</strong>ationen. Jedoch korrigiert er später, dass er die-<br />

sen Begriff lediglich aus rhetorischen Gründen gewählt habe: „static objects,<br />

puppets and human beings can all be an<strong>im</strong>ated without drawings.“ 6<br />

2.1.6 Zusammenfassung<br />

Wie bereits angesprochen steht der Gegenstand dieser Arbeit - „analoge Trick-<br />

technik“ - in Relation zum digitalen <strong>Zeitalter</strong>. An<strong>im</strong>ation ist jedoch ein viel<br />

umfassenderer Bereich, der auch eine besondere Rolle <strong>im</strong> digitalen Rahmen<br />

spielt. Man denke an computergenerierte 3D-An<strong>im</strong>ationen. Die Definition von<br />

„An<strong>im</strong>ation“ liefert keine Aussage darüber, mit welchen Techniken sie kon-<br />

kret realisiert wird. Also, ob sie komplett am Computer erzeugt wird oder mit<br />

analogen Bearbeitungsgeräten. Wenn also <strong>im</strong> Folgenden „analoge Tricktech-<br />

nik“ definiert wird, werden ausschließlich am Computer generierte An<strong>im</strong>atio-<br />

nen nicht berücksichtigt.<br />

Demnach wird <strong>im</strong> Rahmen der Arbeit „analoge <strong>Tricktechnik</strong>“ wie folgt defi-<br />

niert: <strong>Analoge</strong> <strong>Tricktechnik</strong> ist ein Verfahren in dem man analoge <strong>Medien</strong> ani-<br />

miert. <strong>Analoge</strong> <strong>Medien</strong> können unbewegte Gegenstände, lebende<br />

Menschen/Tiere, Fotos, Figuren, Szenerien oder Zeichnungen in der Projekti-<br />

on sein. Sie müssen per Hand, oder mit Hilfe chemischer und mechanischer<br />

Verfahren entstanden sein. „An<strong>im</strong>iert“ bedeutet, dass die Illusion von Bewe-<br />

gung entstehen muss. Die Illusion muss durch Bild-<strong>für</strong>-Bild Bearbeitung ent-<br />

stehen.<br />

5 McLaren zitiert nach Furniss, Maureen (1998): Art in Motion. An<strong>im</strong>ation Aesthetics. Sydney:<br />

John Libbey & Company L<strong>im</strong>ited. S.5. Die Definition stammt aus den 50er Jahren.<br />

Sie findet sich z.B. auch bei Wells 1998: S.10.<br />

6 Ebd., S.5.<br />

7


2.2 Die <strong>Tricktechnik</strong>en<br />

2. Gegenstand<br />

Man muss sich einen bedeutenden Unterschied zwischen Realfilm und Ani-<br />

mation vor Augen halten. Während der Realfilm eine Bewegung in einzelne<br />

Bilder unterteilt, zäumt die An<strong>im</strong>ation das Pferd regelrecht von hinten auf. Zu<br />

Beginn stehen Einzelbilder, durch deren Aneinanderreihung eine Bewegung<br />

erst möglich wird. Was die dazugehörigen Verfahren, die sich <strong>im</strong> Laufe der<br />

Zeit etabliert haben, „verbindet, ist der Aufbau eines Vorgangs durch Bewe-<br />

gungsphasen.“ 7 . „Die englische Bezeichnung stop motion an<strong>im</strong>ation […] be-<br />

schreibt das Verfahren und lässt mit Recht offen, was da Bild <strong>für</strong> Bild vor der<br />

Kamera in Bewegung gesetzt wird.“ 8 Nicht zuletzt ist auch klar, dass es sich<br />

bei der An<strong>im</strong>ation – und somit den analogen <strong>Tricktechnik</strong>en – um verschiede-<br />

ne Produktionsarten handelt, die durch ihre Mannigfaltigkeit in Technik oder<br />

Formen eine unterschiedliche Ästhetik hervorrufen. Im Folgenden werden ei-<br />

nige wichtige An<strong>im</strong>ationsverfahren erläutert.<br />

7 Richter 2008, S.64.<br />

8 Ebd., S.64-65 zitiert nach Meyer-Hermann, Thomas (2005): Belebtes Material. Puppentrickfilm<br />

in Deutschland seit den 1990er Jahren. In: Stop motion – die fantastische Welt<br />

des Puppentrickfilms, Eine Ausstellung des Deutschen Filmmuseums. Herausgeber: Dietrich,<br />

Daniela & Appelt, Christian. Frankfurt am Main: Deutsches Museum S. 29.<br />

8


2.2.1 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 2D<br />

2.2.1.1 Zeichentrick<br />

2. Gegenstand<br />

Filmhistorisch betrachtet, ist der Zeichentrick die bekannteste und populärste<br />

An<strong>im</strong>ationstechnik, die in erster Linie auf Zeichnungen und gemalte Bilder<br />

zurückgreift. Für eine Sekunde Film wurden zu Beginn 24 Bilder benötigt, die<br />

auf dünnes Papier gezeichnet wurden. Sämtliche statische Bestandteile wur-<br />

den durchgepaust, was die Arbeit vereinfachen sollte. 9 Die einzelnen Phasen-<br />

bilder werden jedoch seit 1910 meist auf Folien aus durchsichtigem Zelluloid<br />

gezeichnet. Bei diesem Zeichenprozess werden die jeweiligen Bilder auf ver-<br />

schiedene Ebenen aufgeteilt. Dadurch müssen statische Bestandteile nicht je-<br />

des mal neu gezeichnet werden und man kann die unterschiedlichen Objekte<br />

unabhängig voneinander bearbeiten. So lassen sich auch die Zeichenschritte<br />

auf verschiedene Zeichner aufteilen, was die Arbeit <strong>im</strong> Allgemeinen erleich-<br />

tert. 10<br />

2.2.1.2 Rotoskopie<br />

Genau genommen ist die Rotoskopie kein An<strong>im</strong>ationsverfahren, sonder viel-<br />

mehr ein Hilfsmittel, um möglichst natürliche Bewegungen in einer An<strong>im</strong>ati-<br />

on entstehen lassen zu können.<br />

Das Rotoskopieverfahren wurde 1914 von Max Fleischer erfunden und findet<br />

seine Verwendung ursprünglich <strong>im</strong> Zeichentrickfilm. Der Realfilm dient dabei<br />

als Grundlage. Es werden ganze Szenen mit Schauspielern, Tieren oder spezi-<br />

ellen Maschinen mittels Kamera aufgenommen. Der daraus resultierende Film<br />

wird dann so projiziert, dass die verschiedenen Bewegungsphasen Bild <strong>für</strong><br />

Bild abgezeichnet werden können. 11 In heutigen Zeiten bezeichnet „Rotosko-<br />

pie“ auch ein etwas abgewandeltes Verfahren, das in vielen computergestütz-<br />

ten Videobearbeitungsprogrammen zum Einsatz kommt: Zum Beispiel lassen<br />

sich Objekte in einem Video markieren und samt ihrer Bewegung von Hinter-<br />

grund oder anderen gewünschten Bereichen freistellen. Zwar hat sich am<br />

9 Vgl. Schoemann, Annika (2003): Der Deutsche An<strong>im</strong>ationsfilm. Von den Anfängen bis zur<br />

Gegenwart 1909-2001. Sankt Augustin: Gardez Verlag. S. 46-62.<br />

10 Vgl. Richter 2008, S.65f.<br />

11 Vgl. Leonhard, Joach<strong>im</strong>-Felix (2001): <strong>Medien</strong>wissenschaft. Ein Handbuch Zur Entwicklung<br />

der <strong>Medien</strong> und Kommunikationsformen. S.1039-1040.<br />

9


2. Gegenstand<br />

Grundprinzip nichts geändert, dennoch führt dieser Sachverhalt unter Umstän-<br />

den zu Missverständnissen.<br />

2.2.1.3 Flachfiguren- / Legefigurenan<strong>im</strong>ation – Cutout An<strong>im</strong>ation<br />

Bei diesem Verfahren bedient man sich graphischer Vorlagen, wie etwa Fotos<br />

oder ausgeschnittenen Papp- oder Papierfiguren. Diese werden übereinander-<br />

gelegt und mittels Stop-Motion an<strong>im</strong>iert. Oftmals sind diese Materialien sehr<br />

detailreich, weswegen sich die Vorbereitung als aufwendig erweist. Ausge-<br />

prägte M<strong>im</strong>ik und Gestik vor einem meist reduzierten Hintergrund gehören zu<br />

den wichtigsten visuellen Darstellungskriterien, die erfüllt werden sollen.<br />

Flüssige Bewegungsabläufe oder auch Dialoge lassen sich (<strong>im</strong> analogen Be-<br />

reich) mit dieser Technik jedoch schwer umsetzen, weshalb sie meist <strong>für</strong><br />

Kurzformate zum Einsatz kommt. 12<br />

2.2.2 Traditionelle <strong>Tricktechnik</strong>en in 3D<br />

Im weitesten Sinne handelt es sich bei allen dreid<strong>im</strong>ensionalen An<strong>im</strong>ationen<br />

um Objektan<strong>im</strong>ationen, die <strong>im</strong> Stop-Motion Verfahren realisiert werden. Des-<br />

halb werden die <strong>im</strong> Folgenden vorgestellten <strong>Tricktechnik</strong>en häufig als Stop-<br />

Motion An<strong>im</strong>ation bezeichnet. Doch jedes Verfahren hat seine eigenen beson-<br />

deren Merkmale, die es von den anderen unterscheidet. Für diese Arbeit ist es<br />

vollkommen ausreichend, die folgenden drei Verfahren zu kennen.<br />

2.2.2.1 Puppenan<strong>im</strong>ation/Modellan<strong>im</strong>ation<br />

Unter diesem Verfahren versteht man die An<strong>im</strong>ation von beweglichen, plasti-<br />

schen Puppen, die etwa aus Holz, Draht, Stoff oder Wolle sein können. Im<br />

Prinzip alle Gegenstände, die gelenkig oder formbar sind. Zudem steht die<br />

Puppenan<strong>im</strong>ation auch in der Tradition des Marionettentheaters: „Die Puppe<br />

stellte zu allen Zeiten ein verkleinertes Bild des Menschen dar, gleichgültig,<br />

ob sie pr<strong>im</strong>itiv oder künstlerisch gefertigt war“. 13<br />

Daraus lässt sich ableiten, dass Puppen meist menschliche Züge besitzen. 14<br />

12 Letzter Absatz: vgl. Schoemann 2003, S.32f<br />

13 Letzter Absatz: Vgl. ebd, S.34f<br />

14 Vgl. Richter 2008, S.65<br />

10


2. Gegenstand<br />

Der Begriff der Modellan<strong>im</strong>ation wird häufig dann verwendet, wenn sich die<br />

Kreaturen vom Wesen der klassischen Puppe entfernt haben. Hierzu gehören<br />

auch Figuren aus Ton oder Knete, <strong>für</strong> die sich die spezielle Bezeichnung Kne-<br />

tan<strong>im</strong>ation, Clay An<strong>im</strong>ation bzw. Claymation durchgesetzt hat. 15<br />

2.2.2.2 Sachan<strong>im</strong>ation<br />

Bei der Sachan<strong>im</strong>ation – auch Sachtrick – werden dreid<strong>im</strong>ensionale Objekte<br />

Bild um Bild in ihrer Position verändert. Anders als bei der Puppenan<strong>im</strong>ation,<br />

werden die Objekte weder verfremdet noch mit M<strong>im</strong>ik oder Gestik versehen.<br />

Sie stehen einzig und allein <strong>für</strong> sich. 16 , 17<br />

2.2.2.3 Pixilation<br />

Natürlich kann grundsätzlich alles an<strong>im</strong>iert werden. Das gilt auch <strong>für</strong> Men-<br />

schen. Dieses Verfahren wird durch den Begriff „Pixilation“ beschrieben. Die<br />

Bezeichnung kann hierbei vom englischen Wort „pixilated“ hergeleitet wer-<br />

den. Also „leicht verrückt“. In Abhängigkeit von den aufgenommenen Bewe-<br />

gungsphasen (von Personen) werden hierbei reale Abläufe unterbrochen. Dar-<br />

aus resultieren bizarre Szenen, die den Menschen roboterartig erscheinen las-<br />

sen. Das Interessante an diesem Verfahren ist: Während bei Sach- oder Puppe-<br />

nan<strong>im</strong>ation meist versucht wird, eine flüssige Bewegung zu erzeugen, ver-<br />

sucht die Pixilation das genaue Gegenteil erreichen. Sie zerhackt die Bewe-<br />

gung. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass der lebende Mensch plötzlich zu<br />

einem Gegenstand mutiert. Betrachtet man erneut den Wortursprung von<br />

„An<strong>im</strong>ation“ in diesem Kontext, dann erscheint dieser Sachverhalt ein wenig<br />

paradox: An<strong>im</strong>ation soll etwas zum Leben erwecken. Doch hier wird einem<br />

Lebewesen das Leben entzogen. Man kann vermuten, dass An<strong>im</strong>ation etwas<br />

Subversives in sich birgt und nicht nur etwas beleben kann, sondern auch et-<br />

was wiederbeleben kann. Diese These wird jedoch an späterer Stelle konkreti-<br />

siert. 18<br />

15 Vgl. Faigle, Daniel (2006): Freilandeier – Konzeption und Realisation eines Stop – Motion<br />

– An<strong>im</strong>ationsfilmes. Diplomarbeit an der Fachhochschule Stuttgart. Online-Publikation.<br />

http://www.hdm-stuttgart.de/~curdt/Faigle.pdf. Zugriff am 01.06.2011. S.16.<br />

16 Vgl. Schoemann 2003, S. 30-32.<br />

17 Vgl. Richter 2008, S. 65.<br />

18 Vgl. Furniss 1998, S. 159.<br />

11


2.2.3 Computeran<strong>im</strong>ation und computergestützte An<strong>im</strong>ation<br />

2. Gegenstand<br />

Auf das Wesentliche reduziert, bezeichnet die Computeran<strong>im</strong>ation die Erzeu-<br />

gung synthetischer Bewegungsbilder. Im Gegensatz zu den klassischen Ani-<br />

mationen konstruiert diese An<strong>im</strong>ationsart „keine Einzelbilder mehr, die durch<br />

ihre unterschiedlichen Bildfigurationen in der Projektion als Bewegungsbilder<br />

erscheinen.“ 19 Darüber hinaus ist diese Technik in der Lage, Bewegungsinfor-<br />

mation und Bildinformation getrennt voneinander zu speichern. Bewegungen<br />

können demnach einem erzeugten Objekt hinzugefügt, verändert oder wieder<br />

entfernt werden. Die Visualisierung von Bilder ist hierbei gänzlich den Geset-<br />

zen der Mathematik unterworfen. In der Praxis werden Schlüsselbilder ver-<br />

wendet. Die Bewegungsphasen zwischen diesen „Keyframes“ entstehen durch<br />

Interpolation, die aus Berechnungen einer Software resultieren. 20<br />

Natürlich bedient sich die Computeran<strong>im</strong>ation des Öfteren der oben vorge-<br />

stellten traditionellen Verfahren. <strong>Analoge</strong> <strong>Medien</strong>, wie etwa Zeichnungen, Fo-<br />

tos oder Papierfiguren werden ebenfalls mit Hilfe des Computers bewegt. Für<br />

diese Methode ist jedoch eine Digitalisierung notwendig. In solchen Fällen<br />

spricht man von „computergestützter An<strong>im</strong>ation“. 21<br />

2.3 Musikvideo: Definition und historischer Rückblick<br />

„Es scheint sowohl schwierig, wo nicht sogar unmöglich, als auch müßig zu<br />

versuchen, die Stunde Null des Videoclips zu best<strong>im</strong>men. […] Als Grundpro-<br />

blem bei einer Identifikation sowohl eines solchen Anfangs als auch seiner<br />

Vorstufen erweist sich dabei, dass die entsprechenden Vorschläge stets davon<br />

abhängig sein werden, wie oder als was man Videoclips definiert und ver-<br />

steht.“ 22<br />

Demnach ist es wichtig an dieser Stelle ein Verständnis <strong>für</strong> Musikvideos auf-<br />

zubauen. Im Gegensatz zum Begriff der „analogen <strong>Tricktechnik</strong>en“ ist es hier<br />

möglich auf gängige Definitionen zurückzugreifen.<br />

19 Richter 2008, S. 64.<br />

20 Vgl. ebd., S. 63.<br />

21 Schoemann 2003, S.63.<br />

22 Keazor, Henry & Wübbena, Thorsten (2005): Video thrills the Radio Star. Musikvideos:<br />

Geschichte, Themen, Analysen. Bielefeld: transcript. S.55.<br />

12


2.3.1 Definition und Herleitung<br />

2. Gegenstand<br />

Sowohl Henry Keazor und Thorsten Wübbena als auch Mirjam Schlem-<br />

mer-James sind sich einig, dass es sich bei Musikvideos (auch: Musikvideo-<br />

clips, Videoclips, Clips) um Kurzfilme handelt, die nach der Musikproduktion<br />

von der Plattenfirma des jeweiligen Interpreten zu Promotionszwecken bei ei-<br />

nem Regisseur oder einer Produktionsfirma in Auftrag gegeben werden, um<br />

zum besseren Verkauf der Tonträger zu verhelfen. 23 , 24 Ausgehend vom Wortur-<br />

sprung des Begriffs „video“ (lat.) „ich sehe“ lässt sich ergänzend - nach Peter<br />

Weibel - „Musikvideo“ als „ich sehe Musik“ übersetzen. 25<br />

Aus Letzterem wird jedoch verdeutlich, dass es schwierig ist den historischen<br />

Ursprung des Musikvideos genau zu fassen. Nicht nur, weil „ich sehe Musik“<br />

auf vielerlei Arten interpretiert werden kann. 1895 brachte beispielsweise<br />

Thomas Alva Edison das „Kinetophon“ heraus, das es möglich machte beweg-<br />

te Bilder mit Musik zu unterlegen oder auch umgekehrt Musik mit bewegten<br />

Bildern zu untermalen. Ziel war es mit dem Gerät <strong>im</strong> he<strong>im</strong>ischen Wohnz<strong>im</strong>-<br />

mer einen Ersatz <strong>für</strong> Liveauftritte und Konzerte zu ermöglichen. 26 Diese Erfin-<br />

dung dürfte jedoch eher als Vorform angesehen werden. Das „Musiksehen“ ist<br />

eine ganz allgemeine Definition die zwar den Grundkern aus der Wortbedeu-<br />

tung her erfasst, aber als alleinstehende Paraphrase reicht sie <strong>für</strong> das heutige<br />

Verständnis von „Musikvideo“ natürlich nicht aus. Dass es sich laut Definiti-<br />

on um einen Kurzfilm handelt, ist allerdings eine wichtige Aussage, die den<br />

Sachverhalt eingrenzt. Man kann damit eine direkte Verwandtschaft zum Film<br />

herstellen. Neben der Reproduktion auditiver und visueller Information wird<br />

nach Mirjam Schlemmer-James bei beiden <strong>Medien</strong> die Verschränkung von<br />

Musik und Bild eingeschlossen. Darüber hinaus findet man in zahlreichen Vi-<br />

deoclips Filmzitate (Madonna - „Material Girl“ zitiert „Gentlemen Prefer<br />

Blondes“) oder Film-Genrezitate (Michael Jackson - „Thriller“ als Horror-<br />

film). 27 Das Zitieren ist <strong>für</strong> die spätere Auseinandersetzung mit dem Haupt-<br />

23 Vgl. Keazor, Henry und Wübbena, Thorsten: Musikvideo. http://see-this-sound.at/kompendium/abstract/44.<br />

Zugriff am 01.06.2011.<br />

24 Vgl. Schlemmer-James, Mirjam (2006): Schnittmuster. Affektive Reaktionen und variierte<br />

Bildschnitte bei Musikvideos. S. 59.<br />

25 Vgl. ebd, S.59.<br />

26 Vgl. Keazor, Henry und Wübbena, Thorsten 2005, S.57.<br />

27 Vgl. Schlemmer-James, Mirjam 2006, S.59-60.<br />

13


2. Gegenstand<br />

thema ein interessanter Punkt, da viele aktuell verwendete analoge Tricktech-<br />

niken auf (Kurz)Filmen vergangener Tage aufbauen.<br />

Eine weitere Eingrenzung bieten die in der Definition erwähnten Begriffe<br />

„Plattenfirma“ und „Promotionszwecke“. Diese lassen darauf schließen, dass<br />

es sich um ein Medium handelt, das sich irgendwann innerhalb des letzten<br />

Jahrhunderts etabliert hat.<br />

2.3.2 Historischer Durchbruch<br />

In Hinblick auf das Hauptthema der Arbeit ist es an dieser Stelle sinnvoll,<br />

einen – wenn auch groben – Zeitpunkt zu finden seit dem das Erscheinungs-<br />

bild und Verständnis von Musikvideos dem ähnelt, was wir heute aus Fernse-<br />

hen und Internet kennen. Musikvideos werden seit Mitte der 60er Jahre produ-<br />

ziert. Man denke beispielsweise an The Kinks, The Who oder auch The Bea-<br />

tles, die kurze, ihre Musik begleitende Filme kreieren wollten. Während die<br />

Videos der ersten beiden Bands – wie „Dead End Street“ (1966) und „Happy<br />

Jack „(1967) - eher auf Slapstick Comedy basierten, exper<strong>im</strong>entierten The<br />

Beatles auf psychedelischer Basis wie in „Strawberry Fields Forever“ (1967).<br />

Zudem bevorzugten sie surrealistische Realfilme in Kombination mit Kino<br />

Varieté wie in „A Hard Day's Night“ (1964) oder auch Witze, wie sie in<br />

„Help!“ (1965) zu sehen sind. Man kann jedoch erst eine Dekade später von<br />

einem ersten möglichen Durchbruch sprechen. Auch gab es schon in den<br />

40ern die „Soundies“. Im Prinzip handelt es sich dabei um jukeboxähnliche<br />

Geräte, die zusätzlich in der Lage waren Videos auf einem Monitor zu zeigen.<br />

Allerdings können diese auch nur als Vorreiter des Musikvideos betrachtet<br />

werden, die dem Musikvideo nict den Durchbruch als Medium verschafften. 28<br />

Mitte der 70er entwickelte sich schließlich das Musikvideo zum Hauptmarke-<br />

tinginstrument, wenn es galt, neue Pop- und Rockkünstler zu promoten.<br />

DEVO und Residents wurden bereits vor MTV in Amerika als Musikvideo-<br />

stars gefeiert. In Großbritannien war es Queen's Clip zu „Bohemian Rhapso-<br />

dy“, der 1975 durch die innovative Verwendung neuer Techniken <strong>für</strong> Begeiste-<br />

rung auch außerhalb des Inselstaates sorgte. Heute wird dieses von Bruce Gro-<br />

28 Vgl. Strom, Gunnar (2007): An<strong>im</strong>ation Sudies – Vol.2.<br />

http://journal.an<strong>im</strong>ationstudies.org/download/volume2/ASVol2Art7GStrom.pdf. Zugriff<br />

am 1.6.2011. S.60.<br />

14


2. Gegenstand<br />

wers gedrehte Video regelmäßig mit dem Durchbruch des Musikvideos in<br />

Verbindung gebracht. Laut Gunnar Strom lässt sich MTVs Erstausstrahlung<br />

von „Video killed the radio star“ am 1.8.1981 als finaler Durchbruch des Mu-<br />

sikvideos betrachten. 29 Durch die Etablierung eines eigens <strong>für</strong> Musikvideos er-<br />

dachten Senders standen die Türen <strong>für</strong> das Medium plötzlich weit offen. Denn<br />

auf einmal hatte man eine Plattform, die ein sehr breites Publikum ansprechen<br />

konnte. Nicht nur <strong>für</strong> den Konsumenten, der seine Idole rund um die Uhr <strong>im</strong><br />

Fernseher zu betrachten vermochte, war dies von großem Interesse. Auch Mu-<br />

siker und deren Labels konnten daraus Profit schlagen, da sich ihre Musik da-<br />

durch besser vermarkten ließ. Das große Interesse an dem neuen Medium<br />

lockte natürlich auch viele Filmproduzenten an, die <strong>für</strong> sich eine neue Chance<br />

sahen, um mit innovativen Ideen zu exper<strong>im</strong>entieren. Man kann hier von einer<br />

Kettenreaktion sprechen, die das Musikvideo stetig wachsen und gedeihen<br />

ließ. Zusammenfassend lässt sich <strong>für</strong> den hier betrachteten Gegenstand „Mu-<br />

sikvideo“ Folgendes festhalten:<br />

2.3.3 Zusammenfassung<br />

Ein Musikvideo (auch: Musikvideoclip, Videoclip, Clip) ist ein Kurzfilm, der<br />

nach der Musikproduktion von der Plattenfirma des jeweiligen Interpreten zu<br />

Promotionszwecken bei einem Regisseur oder einer Produktionsfirma in Auf-<br />

trag gegeben wurde, um zum besseren Verkauf der Tonträger zu verhelfen.<br />

Der finale Durchbruch dieses Mediums wird mit der MTV-Erstausstrahlung<br />

auf den 1.8.1981 datiert.<br />

2.3.4 An<strong>im</strong>ation in Musikvideos<br />

Es ist sowohl interessant als auch notwendig, zu klären, wieso vor Mitte der<br />

80er Jahre An<strong>im</strong>ationen keine Rolle in der Geschichte des Musikvideos spiel-<br />

ten. 30 Und das, obwohl sich Belege <strong>für</strong> An<strong>im</strong>ationen in Verbindung mit Musik<br />

durch die ganze Filmgeschichte hindurch nachweisen lassen. Auf die Frage,<br />

29 Vgl. Strom, Gunnar 2007, S. 58.<br />

30 Sicher spielten An<strong>im</strong>ationen aus heutiger Sicht eine Rolle. Jedoch wurden die frühen musikunterlegten<br />

An<strong>im</strong>tionen laut Gunnar Strom in Abhandlungen über die Geschichte des<br />

Musikvideos nicht als solche betrachtet.<br />

15


2. Gegenstand<br />

warum das so ist, führt Gunnar Strom mehrere Gründe an, die <strong>für</strong> diesen<br />

Sachverhalt verantwortlich sind: 31<br />

Zunächst wurde das an<strong>im</strong>ierte Musikvideo der Kunstsparte zugeordnet. Wie<br />

beispielsweise bei Disney's „Silly Symphonies“ und „Fantasia“ sollte - anders<br />

als bei dem Musikvideo nach obiger Definition – kein Musiker vermarktet<br />

werden. Das Hauptaugenmerk war auf die Zeichentrickkunst gerichtet. Die<br />

Musik und die Geräusche dienten eher zur Untermalung der Geschichte und<br />

waren damit zweitrangig.<br />

Ein weiterer praktischer Grund ist, dass die Videos schnell entstehen mussten,<br />

um rechtzeitig mit der Vermarktung des neuen Songs beginnen zu können. Zu<br />

damaligen Zeiten war eine An<strong>im</strong>ation weitaus aufwändiger zu produzieren als<br />

in heutigen Tagen, in denen die Computertechnik eine gute Hilfestellung bie-<br />

tet. Auch in Hinsicht auf den zeitlichen Aspekt einer derartigen Produktion<br />

konnte sich die An<strong>im</strong>ation nur in den seltensten Fällen als brauchbare Option<br />

durchsetzen. Zudem war es aus <strong>im</strong>agetechnischen Gründen weitaus wichtiger,<br />

den Musiker in Szene zu setzen, weswegen der Realfilm die bei weitem pas-<br />

sendere Lösung bot.<br />

Als dann Mitte der 80er das Musikvideo zu boomen begann, stellten die Plat-<br />

tenlabels ein wesentlich höheres Budget <strong>für</strong> ihre Produktion zur Verfügung.<br />

Das bedeutet, dass auch wieder mehr Spielraum <strong>für</strong> den Einsatz analoger<br />

<strong>Tricktechnik</strong>en vorhanden war. Am Beispiel von Michael Jackson und Ma-<br />

donna ist es nicht schwer zu erkennen zu welch mächtigem Marketinginstru-<br />

ment das Medium herangewachsen war. Vor allem durch geschickte Planung<br />

und durch geschickte Vorgehensweisen war es auch möglich, unbekannte Mu-<br />

siker in kürzester Zeit auf die Nummer Eins der Charts zu katapultieren. Das<br />

Video zu „Take on Me“ der norwegischen Band A-Ha ist exemplarisch <strong>für</strong><br />

diese Macht. Abgesehen davon, dass der Song an sich schon gut produziert<br />

war, sorgte er besonders in Hinsicht auf die verwendete <strong>Tricktechnik</strong>, die auf<br />

Grund der höheren Budgets möglich war, <strong>für</strong> große Begeisterung. Zwar war<br />

die darin verwendete Rotoskopie-Technik schon seit 1915 von Max Fleischer<br />

bekannt. Doch die Kombination mit dem Musikvideo war <strong>für</strong> das Publikum<br />

besonders beeindruckend. Selbst heute taucht dieser Clip regelmäßig in sämt-<br />

31 Vgl. Strom, Gunnar 2007, S.59- 61.<br />

16


2. Gegenstand<br />

lichen Bestenlisten auf. Peter Gabriels „Sledgehammer“ ist ein weiteres High-<br />

light der analogen <strong>Tricktechnik</strong>, das etwa zur gleicher Zeit entstand. Umge-<br />

setzt wurde es mit Pixilation, einer auf Stop-Motion basierenden <strong>Tricktechnik</strong>,<br />

die in dieser Form ebenfalls zu beeindrucken vermochte. Bei beiden Beispie-<br />

len ist jedoch zu bemerken, dass trotz Einsatz von An<strong>im</strong>ationen die Musiker<br />

weiterhin in Szene gesetzt wurden.<br />

Als <strong>im</strong> Verlauf der 90er Jahre die Begeisterung <strong>für</strong> Musikvideos stetig ab-<br />

nahm, wurden die Budgets <strong>für</strong> weitere Produktionen gekürzt, was zur Folge<br />

hatte, dass die an<strong>im</strong>ierten Videos weitgehend von der Leinwand verschwan-<br />

den und durch Tanz- und Performancevideos ersetzt wurden.<br />

Die rasante Entwicklung des Computers Ende der 90er Jahre führte jedoch zu<br />

billigeren Anschaffungspreisen und besserem Zugang zu den neuen Technolo-<br />

gien. Trotz gekürzter Budgets war die Produktion von an<strong>im</strong>ierten Clips wieder<br />

in den Rahmen des Machbaren gerückt. Nicht zuletzt betrachteten sich sowohl<br />

die Musiker als auch die Regisseure plötzlich mehr als Künstler und weniger<br />

als Unterhalter, weswegen An<strong>im</strong>ationen wieder interessanter wurden.<br />

3 Analyse<br />

3.1 Ästhetik: Zwischen Authentizität und Künstlichkeit<br />

Welche Rolle die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> spie-<br />

len, lässt sich sicherlich nicht in einem Satz wiedergeben. Dennoch kann man<br />

konstatieren: Was früher in akribischer Handarbeit angefertigt wurde, lässt<br />

sich heutzutage auch am Computer erzeugen. Vergleicht man aber „Klassiker“<br />

wie Walt Disney's „Mickey Mouse“ mit aktuellen An<strong>im</strong>ationen, wie „Family<br />

Guy“, „The S<strong>im</strong>psons“ oder „Futurama“ , die gänzlich am Computer erzeugt<br />

werden, erkennt man schon nach kurzer Zeit einen wesentlichen Unterschied.<br />

Die synthetisch am Computer erzeugten Bilder wirken weitaus steriler und<br />

17


3. Analyse<br />

sauberer als die Handzeichnungen mit analoger Technik. Ein Phänomen, dass<br />

sich auch durch „digitale Kälte“ beschreiben lässt.<br />

3.1.1 Körperlichkeit, Zufall und digitale Kälte<br />

Doch was ist „digitale Kälte“ und wodurch wird sie hervorgerufen? Einen be-<br />

deutenden Anhaltspunkt liefert die Körperlichkeit von Objekten. Im Gegen-<br />

satz zur analog erzeugten An<strong>im</strong>ation fehlt der gänzlich am Computer erzeug-<br />

ten An<strong>im</strong>ation eine eigene Materialität. Letztere besteht <strong>im</strong> Wesentlichen nur<br />

aus Binärcode und auf Mathematik beruhenden Visualisierungen, die in der<br />

realen Welt nicht greifbar sind. Das einzig Greifbare ist das Wiedergabemedi-<br />

um, das aber mit der An<strong>im</strong>ation selber rein gar nichts zu tun hat. Die Gegen-<br />

stände der traditionellen An<strong>im</strong>ationen existieren jedoch in der realen Welt: Al-<br />

lein der Film, der den Informationsgehalt trägt, ist ein Gegenstand, der sich<br />

anfassen lässt und zudem eine Struktur, Textur und Körnung besitzt. Das Pa-<br />

pier oder die Folien <strong>im</strong> Zeichentrick, die Objekte, Gegenstände und Lebewe-<br />

sen be<strong>im</strong> Stop-Motion Verfahren haben alle eine real existierende und indivi-<br />

duelle Materialität. Sogar das Zeichen- und Malwerkzeug erzeugt einzigartige<br />

Spuren. Ein Rechner hingegen bringt keine derartigen Attribute hervor. Zwar<br />

sind heutige Rechner in der Lage, realistische Abbildungen zu erschaffen, bei<br />

denen man keine eindeutige Aussage mehr darüber treffen kann, ob es sie in<br />

Wirklichkeit gibt oder nicht. Dennoch handelt es sich dabei um synthetisch er-<br />

zeugte Bilder, die eine Materialität lediglich s<strong>im</strong>ulieren.<br />

Mit der Körperlichkeit kommt auch der Zufall. Wie man ein Objekt auch dre-<br />

hen und wenden mag, wird es sich in der realen Welt <strong>im</strong>mer von anderen Ob-<br />

jekten unterscheiden. Die jeweilige Einzigartigkeit ist auf den Zufall zurück-<br />

zuführen. Egal mit welch handwerklicher Perfektion beispielsweise auf ein<br />

Papier gezeichnet wird, zwei Zeichnungen werden zu keinem Zeitpunkt iden-<br />

tisch sein. Man denke allein schon an das verwendete Papier: Wo wurde es<br />

hergestellt? Wie ist die Zusammensetzung? Stammt die Cellulose vom glei-<br />

chen Baum? Es ist eine nahezu unendlich lange Kette an Faktoren und Zufäl-<br />

ligkeiten, die zu dieser einen Zeichnung führen. Im Gegensatz dazu arbeiten<br />

Computer mit „einfachen“ Algorithmen. Zwar gibt es auch hier zufällige Be-<br />

18


3. Analyse<br />

rechnungen, doch unterscheiden sich diese künstlichen Zufallsgeneratoren <strong>im</strong>-<br />

mens von der Komplexität der realen Welt.<br />

Auch in der analogen Produktion spielt der Zufall eine nicht zu vernachlässi-<br />

gende Rolle. Wenn man auf moderne technische Hilfsmittel verzichtet, ist viel<br />

handwerkliches Können nötig, um eine derartige Produktion zu kreieren. Es<br />

müssen direkte Entscheidungen getroffen werden, die <strong>für</strong> den Erfolg oder das<br />

Scheitern des nächsten Schritts verantwortlich sind. Fehler, die in diesem Pro-<br />

zess entstehen, lassen sich - anders als am Rechner - nur in den seltensten Fäl-<br />

len rückgängig machen, weshalb es auch von Anfang an wichtig ist zu wissen,<br />

welches Ergebnis man erreichen will. Der Computer lässt weitaus mehr Ent-<br />

scheidungsmöglichkeiten offen und bietet damit auch mehr Spielraum <strong>für</strong> Ex-<br />

per<strong>im</strong>ente. 32 Man kann so zum Beispiel zu jedem Zeitpunkt das komplette Er-<br />

scheinungsbild ändern, was <strong>im</strong> analogen Bereich praktisch nicht möglich ist<br />

bzw. viel zu aufwendig wäre. Am Rechner lässt sich alles zu jeder Zeit be-<br />

rechnen, was dem Zufall in den seltensten Fällen einen Spielraum bietet. Die<br />

Abwesenheit des Zufalls, des Unvorhersehbaren ruft die „digitale Kälte“ her-<br />

vor. Aus dem bisher Erörterten lässt sich demnach folgende Aussage ableiten:<br />

Während die analoge <strong>Tricktechnik</strong> mittels ihre Körperlichkeit Authentizität in<br />

sich birgt, vermittelt allein schon das digitale Wesen der Computeran<strong>im</strong>ation<br />

eine Künstlichkeit, die durch die „digitale Kälte“ verstärkt wird.<br />

3.1.2 Magie der Objekte<br />

Wirft man einen genaueren Blick auf die Wirkung der traditionellen dreidi-<br />

mensionalen An<strong>im</strong>ationstechniken, so lässt sich ein magisches Moment erfas-<br />

sen. Die plötzliche Bewegung von einem Gegenstand ohne erkennbare äußer-<br />

liche Einwirkung anderer Kräfte birgt etwas Geisterhaftes in sich. Insbesonde-<br />

re, wenn man <strong>im</strong> Hinterkopf behält, dass die Gegenstände greifbar und real<br />

sind. Man weiß beispielsweise von einem Stein, dass er existiert. Doch ein<br />

Stein ist ein Objekt, das sich nicht aus eigener Kraft in Bewegung versetzen<br />

32 Vgl. Maurer, Björn / Müller, Roman (1998): Digitale Technik - digitale Ästhetik. Zwei digitale<br />

Video-Schnittsysteme <strong>im</strong> Vergleich. Bericht zum internationalen Forschungsprojekt<br />

'VideoCulture' an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. http://www.mediacultureonline.de/fileadmin/bibliothek/maurer_video-expertise/maurer_video-expertise.pdf.Zugriff<br />

am 01.06.2011. S. 14.<br />

19


3. Analyse<br />

kann. Das widerspricht gänzlich unserem rationalen Verstand. Um dieser Ma-<br />

gie auf die Spur zu kommen wird hier analaog zu Paul Wells zunächst auf die<br />

Zagreber Schule des ehemaligen Jugoslawien hingewiesen, die diese These<br />

unterstützt. 33 Die dort ansässigen Trickfilmzeichner arbeiteten an der Weiter-<br />

entwicklung von Norman McLarens Definition zur An<strong>im</strong>ation. Dazu starteten<br />

sie den Versuch, ästhetische und philosophische Aspekte mit einzubeziehen.<br />

So schlagen sie Folgendes vor: An<strong>im</strong>ation ist „to give life and soul to a de-<br />

sign, not through the copying but through transformation of reality.“ 34 Die Be-<br />

tonung liegt auf dem kreativen Aspekt des wörtlich zu nehmenden „etwas be-<br />

leben“, das unbelebt ist. Sie wollten etwas über die Figur oder das Objekt <strong>im</strong><br />

Fortgang zum Vorschein bringen, das sich unter keinen Umständen begreifen<br />

lässt. Filmemacher aus Zagreb, wie Dusan Vutkovic wollten die Realität trans-<br />

formieren und der Art und Weise entgegenwirken, mit der die Disney Studios<br />

ihre An<strong>im</strong>ationen anfertigten. Denn die Disney Studios An<strong>im</strong>ationen waren<br />

bemüht realistisch zu wirken. Also einen Realismus darzustellen, ähnlich dem<br />

Realfilm. Diese Verfahrensweise bekam in den USA eine dominante und ideo-<br />

logische Position. Im Gegensatz dazu sah die Zagreber Schule An<strong>im</strong>ation als<br />

etwas Nichtrealistisches und potenziell Subversives an. Auch die britischen<br />

An<strong>im</strong>ationskünstler John Halas und Joy Batchelor scheinen diesen Punkt be-<br />

stätigen zu wollen indem sie postulieren: „If it is the live-action film's job to<br />

present physical reality, an<strong>im</strong>ated film is concerned with metaphysical reality<br />

– not how things look, but what they mean.“ 35 Diese Betrachtungsweise <strong>im</strong>pli-<br />

ziert, dass die „Bedeutung“ aus dem eigentümlichen Vokabular, das dem Ani-<br />

mationskünstler zur Verfügung steht, hervorgerufen wird. Doch dies ist nicht<br />

das Terrain des Realfilmemachers. Der aus Tschechien stammende surrealisti-<br />

sche Trickzeichner Jan Svankmajer n<strong>im</strong>mt dieses Vokabular als etwas Befrei-<br />

endes, Einzigartiges und potenziell Hinterfragendes wahr:<br />

„An<strong>im</strong>ation enables me to give magical powers to things. In my films, I<br />

move many objects, real objects. Suddenly, an everyday contact with things<br />

33 Vgl. Well, Paul 1988, S. 10-11.<br />

34 Holloway, Ronald (1972): Z is for Zagreb. London: Tantivy Press. S. 9.<br />

35 Hoffer, Thomas W. (1981): An<strong>im</strong>ation: A Reference Guide. Westport, Connecticut: Green-<br />

wood Press. S.3.<br />

20


3. Analyse<br />

which people are used to acquires a new d<strong>im</strong>ension and in this way casts a<br />

doubt over reality. In other words, I use an<strong>im</strong>ation as a means of<br />

subversion.“ 36<br />

Paul Wells zufolge beschreibt Svankmajers Ansicht womöglich am besten,<br />

welche Möglichkeiten einem An<strong>im</strong>ationskünstler zu Verfügung stehen: Durch<br />

An<strong>im</strong>ation lässt sich das Alltägliche neu definieren. Die von uns akzeptierten<br />

Begriffe von „Realität“ werden untergraben, was dazu führt, das wir unseren<br />

strenggläubigen Verstand und die Akzeptanz unserer Existenz herausfordern<br />

müssen. Die An<strong>im</strong>ation trotzt den physikalischen Gesetzen der Schwerkraft,<br />

stellt unser Verständnis von Raum und Zeit in Frage und stattet leblose Gegen-<br />

stände mit dynamischen und lebhaften Attributen aus. Dadurch lassen sich ori-<br />

ginelle Effekte erzeugen. Nicht umsonst meint Paul Wells, dass die An<strong>im</strong>ation<br />

ursprünglich in den Händen der Magier lag. Georges Melies war zum Beispiel<br />

ein solcher Magier und das nicht nur <strong>im</strong> übertragenen Sinn. „The Father of<br />

Special Effects“ gilt zudem als Erfinder des Stop-Motion-Tricks: Während er<br />

eine Live-Szene am Place de l'Opera drehte blockierte seine Kamera. Es<br />

brauchte etwa eine Minute bis er seine Arbeit fortsetzten konnte. Als sich bei<br />

der späteren Vorführung ein Bus plötzlich in einen Leichenwagen verwandelt<br />

hatte und Passanten verschwanden und wieder auftauchten, baute er diese zu-<br />

fällige Entdeckung zu einem bedeutendem Spezialeffekt aus. Zwar wurde die<br />

Stop-Motion-Technik schon früher von Edison entdeckt, allerdings war es<br />

Melies, der sie ausgiebig in seinen Filmen verwendet hat. 37 , 38<br />

Ohne weiter auf die Entstehungsgeschichte des Stop-Motion Verfahrens ein-<br />

zugehen, blicken wir an dieser Stelle nochmal zurück auf die Körperlichkeit,<br />

die ebenfalls eine Rolle in der Entmystifizierung der Magie spielt.<br />

Das Hauptaugenmerk dreid<strong>im</strong>ensionaler An<strong>im</strong>ation liegt nach Paul Wells auf<br />

dem Ausdruck von Materialität. 39 Bedingt dadurch wird eine gewisse Me-<br />

ta-Realität geschaffen, welcher die selben physikalischen Gesetzmäßigkeiten<br />

36 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S.11.<br />

37 Vgl. Georges Méliès – Biography: http://www.<strong>im</strong>db.com/name/nm0617588/bio, Zugriff<br />

am 12.06.2011.<br />

38 Vgl. Leonhard, Joach<strong>im</strong>-Felix 2001, S. 1038 – 1040.<br />

39 Der folgende Abschnitt bezieht sich auf Wells, Paul 1998, S. 90-92.<br />

21


3. Analyse<br />

wie in der realen Welt zu Grunde liegen. Die Beziehung zwischen der erzäh-<br />

lenden Vermittlung und der Umgebung des an<strong>im</strong>ierten Objekts bezeichnet er<br />

dabei als „Fabrikation“ und behauptet, dass es sich dabei um eine erzähleri-<br />

sche Vorgehensweise handelt, die eine alternative Auffassung von materieller<br />

Existenz erzeugt, indem sie das Erzählerische aus konstruierten Objekten und<br />

Umgebungen, natürlichen Formen und Substanzen, als auch die <strong>für</strong> selbstver-<br />

ständlichen betrachteten Elemente des Alltags wiedergibt. Auf gewisse Weise<br />

ist es die Wiederbelebung der Materialität <strong>für</strong> erzählende Zwecke. Jan Svank-<br />

majer äußert sich zu diesem Prozess folgendermaßen:<br />

„For me, objects are more alive than people, more permanent and more ex-<br />

pressive. The memories they possess far exceed the memories of man. Objects<br />

conceal within themselves the events they've witnessed; that's why I've sur-<br />

rounded myself with them and try to uncover those hidden events and experi-<br />

ences, and the relates to my belief that objects have their own passive lives<br />

which they've soaked up, as it were, from the situations they've been in, and<br />

from the people who have made them.“ 40<br />

Svankmajer beschreibt dies als „magical rite or ritual“. Er projiziert das innere<br />

Leben eines Objekts in seine an<strong>im</strong>ierten Szenerien. Die Greifbarkeit und<br />

Formbarkeit von Ton; die Härte oder das Gewicht von einem Stein; die Zer-<br />

brechlichkeit und Glätte von Porzellan; die Farbe und Textur von Textilien;<br />

und der physikalische Mechanismus des menschlichen Körpers werden hier-<br />

bei zu erzählenden Normen in Svankmajer's An<strong>im</strong>ationen. Die dreid<strong>im</strong>ensio-<br />

nale An<strong>im</strong>ation beruht also auf der Komplexität der Materialität. Auch <strong>für</strong> die<br />

aus Amerika stammenden Gebrüder Quay war Svankmajers Ansatz ein wichti-<br />

ger Einfluss, den sie bis auf die Spitze führten. Sie re-an<strong>im</strong>ierten Materialien,<br />

die aller Anschein nach Müll oder tot waren. Eine bedeutende Aussage machte<br />

Jonathan Romney: “Quay puppets are not alive but undead; they don't have li-<br />

ves but afterlives“ 41 . Eine Aussage, die man auch allgemein auf dreid<strong>im</strong>ensio-<br />

nale An<strong>im</strong>ationen anwenden kann. Wenn wir an „untot“ denken, denken wir<br />

40 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S. 90.<br />

41 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S. 91.<br />

22


3. Analyse<br />

an Geister, an Zombies, an Voodoo-Zauber oder auch Vampire. Also an etwas<br />

Unhe<strong>im</strong>liches und nicht zuletzt Geisterhaftes und somit an etwas das nicht be-<br />

griffen werden kann. Nebenbei bemerkt, ist dies ein Aspekt, weshalb Musik-<br />

genres der etwas härteren Gangart, wie etwa „Metal“, oftmals auf derartige<br />

An<strong>im</strong>ationen zurückgreifen.<br />

Das bisher Betrachtete bestätigt nochmals die Authentizität, die auf der Mate-<br />

rialität von Objekten beruht.<br />

3.1.3 Die Hybridisierung von analog und digital<br />

Sicherlich gibt es heutzutage verschiedenste Motivationen, um eine An<strong>im</strong>ati-<br />

on ausschließlich analog oder digital herzustellen. Ob diese künstlerischer Na-<br />

tur sind oder andere Intentionen eine wichtige Rolle spielen, sei an dieser Stel-<br />

le offen gelassen. Betrachtet man jedoch die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> Zeit-<br />

alter <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong>, so muss klar konstatiert werden, dass in der Praxis eine<br />

strikte Trennung von analogen und digitalen An<strong>im</strong>ationen nur in den wenigs-<br />

ten Fällen gegeben ist. Vielmehr ist eine Hybridisierung entstanden. Dies ist<br />

auch nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die heu-<br />

tigen pr<strong>im</strong>ären Wiedergabegeräte ausschließlich mit digitalen Signalen ge-<br />

speist werden. Ob digitales Fernsehen oder Filmmaterial <strong>im</strong> Internet, alles<br />

liegt mittlerweile in digitalisierter Form vor. Entscheidender sind hierbei je-<br />

doch die Aufnahmegeräte, die heutzutage in den meisten Fällen auf <strong>digitaler</strong><br />

Basis funktionieren. Jegliche Bilder - seien es Fotos oder Filmsequenzen –<br />

werden aus praktischen Gründen digital aufgezeichnet. Durch das Voran-<br />

schreiten der Technologie min<strong>im</strong>alisiert sich stetig die digitale Kälte in Com-<br />

puteran<strong>im</strong>ationen. Texturen werden feiner, die Auflösungen größer. Die Gren-<br />

zen zwischen Realität und Synthetik verschw<strong>im</strong>men mehr und mehr. Dieser<br />

Sachverhalt führt jedoch nicht zur Obsoleszenz der analogen <strong>Tricktechnik</strong>en,<br />

wie man meinen möchte. Nein. Vielmehr werden sie neu integriert und fun-<br />

gieren unter anderem als mächtiges und vielseitig einsetzbares Stilmittel.<br />

Zwar kann man die <strong>Tricktechnik</strong>en theoretisch in traditionelle/analoge Trick-<br />

technik, computergestützte <strong>Tricktechnik</strong> und computergenerierte <strong>Tricktechnik</strong><br />

aufteilen. In der Praxis müssen die ersten beiden dennoch als „Hybridform“<br />

23


3. Analyse<br />

betrachtet werden, die den Gegenpol zu Letzterer bildet. Denn die oben er-<br />

wähnten „praktischen Gründe“ beruhen auf der Tatsache, dass die Computer-<br />

technik viele arbeitserleichternde Vorzüge bietet. In Anbetracht dieser Katego-<br />

risierung soll an dieser Stelle noch mal an die Authentizität der analogen<br />

<strong>Tricktechnik</strong>en erinnert werden. Demnach steht der Künstlichkeit der Compu-<br />

teran<strong>im</strong>ation, die Authentizität der Hybridform gegenüber.<br />

Ein Manko dieser Hybridform bleibt jedoch nach wie vor bestehen: Der Infor-<br />

mationsverlust. Es kommt zunächst zu Verlusten be<strong>im</strong> Digitalisierungsvor-<br />

gang, die aber in Anbetracht des heutigen Fortschritts eher zu vernachlässigen<br />

sind. Denn be<strong>im</strong> Rohmaterial wird man keinen mit bloßem Auge erkennbaren<br />

Unterschied zwischen digital und analog feststellen können. Der eigentliche<br />

Verlust lässt sich allerdings spätestens be<strong>im</strong> finalen Rendervorgang visuell er-<br />

fassen. Der Computer hinterlässt dabei seine eigenen Spuren. Genauegenom-<br />

men ist die Kompression an der Verfremdung schuld. Jeder Film, jede An<strong>im</strong>a-<br />

tion und jede Sequenz, die am Rechner erstellt wird – egal ob diese auf digita-<br />

len oder analogen Ausgangsmedien basieren -, muss am Ende in ein best<strong>im</strong>m-<br />

tes Format gebracht werden, das vom finalen Wiedergabegerät abgespielt wer-<br />

den kann. Einer von vielen Gründen <strong>für</strong> diese Konvertierung ist, dass die Wie-<br />

dergabegeräte nur eine best<strong>im</strong>mte Datenmenge in einem best<strong>im</strong>mten Zeitraum<br />

stemmen können. Ein unkompr<strong>im</strong>ierter Film enthält eine viel zu große Infor-<br />

mationsmenge. Deswegen sind die verschiedenen Kompressionsverfahren<br />

notwendig, die den Informationsgehalt senken, indem sie etwa „unauffällige“<br />

Details <strong>im</strong> Bild herausfiltern. Doch diese Manipulation des Sichtbaren ist bei<br />

genauerer Betrachtung zu erkennen: Es entstehen sogenannte Artefakte. Farb-<br />

verläufe werden sichtbar abgestuft und verfälschen somit das Erscheinungs-<br />

bild. Dadurch entsteht ein unerwünschtes Rauschen, was sich in den meisten<br />

Fällen negativ auf das Bild auswirkt. (Es gibt auch Künstler die dieses Rau-<br />

schen bewusst einsetzen. Stichwort: Pixelart). Dieser Effekt spielt aber eher in<br />

der Kunstwelt eine größere Rolle, denn damit gehen oftmals wichtige Details<br />

und Texturen verloren, auf die es die Künstler meist anegelegt haben. Die Ge-<br />

wichtung der Vorzüge und Nachteile analoger und <strong>digitaler</strong> Techniken ist<br />

24


3. Analyse<br />

demnach stark davon abhängig, wo<strong>für</strong> die Techniken verwendet werden sol-<br />

len.<br />

3.2 Parallelen: Musik, <strong>Tricktechnik</strong> und Symbole<br />

Es gibt viele Strategien und Gründe, weshalb ein Musiker, eine Band oder ein<br />

Plattenlabel die neueste Computertechnik <strong>für</strong> die Musikvideoproduktion ver-<br />

wendet oder sich <strong>für</strong> altbewährte Systeme entscheidet. Ausschlaggebend <strong>für</strong><br />

die Entscheidung der verwendeten formalen Mittel sind in erster Linie drei<br />

Faktoren, denen hier auf den Grund gegangen werden muss: Der Technische<br />

Fortschritt an sich, <strong>im</strong>agebedingte, kommerzielle und künstlerische Aspekte.<br />

Da es schlussendlich um die Untersuchung von Musikvideos geht, erscheint<br />

es sinnvoll zunächst auf die Parallelen zwischen Musik und An<strong>im</strong>ation hinzu-<br />

deuten. Der technische Fortschritt in Zeiten <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> hat nicht nur be-<br />

achtlichen Einfluss auf die Produktionsweise von An<strong>im</strong>ationen genommen.<br />

Auch die Musik wurde von ihm infiltriert. Die Vor- und Nachteile lassen sich<br />

in vielerlei Hinsicht analog zur An<strong>im</strong>ation betrachten. So hat der Computer<br />

die unabhängigen Bearbeitungsmöglichkeiten von Kompositionselementen re-<br />

volutioniert. In der Musik ist es beispielsweise möglich verschiedenste Instru-<br />

mente und Gesänge zeitlich unabhängig voneinander aufzunehmen und erst in<br />

einem späteren Prozess zu arrangieren. Be<strong>im</strong> Zeichentrick hingegen wurde<br />

zwar ein ähnliches Verfahren schon um 1910 durch die Verwendung von Foli-<br />

en eingeführt, doch die Beisteuerung des Computers erlaubt nun auch <strong>im</strong> All-<br />

gemeinen eine unabhängige Manipulation einzelner Elemente einer An<strong>im</strong>ati-<br />

on. Dadurch lässt sich ableiten, dass sich der Klang ähnlich manipulieren<br />

lässt, wie die Optik, womit sich neue Türen <strong>für</strong> weitere Exper<strong>im</strong>entiermög-<br />

lichkeiten öffnen. (Vgl. Punkt 2.4.1) Denn ähnlich wie die Optik, lässt sich<br />

auch der Klang synthetisch am Rechner erstellen oder stark verfremden. Man<br />

denke nur an die visuelle Wirkung des Filmes „Sin City“ oder analog dazu an<br />

den „Chereffekt“ des Songs „Believe“(1996), der mit Hilfe von „Auto Tune“<br />

25


3. Analyse<br />

entstanden ist. 42 Es gibt noch viele weitere derartige Parallelen, allerdings<br />

würde dies Stoff <strong>für</strong> eine weitere Arbeit bieten. Es reicht erst mal zu wissen,<br />

dass es sie gibt. Doch anhand des Beispiels von Cher lässt sich ziemlich gut<br />

erkennen, das eine starker Zusammenhang zwischen aktueller Musikprodukti-<br />

on und aktuellem technischem Fortschritt besteht. Zwar lassen sich viele Mu-<br />

siker von den neuen Möglichkeiten inspirieren, doch scheint eine starke Rela-<br />

tion zwischen der gewählten Technik und dem Image des Musikers zu beste-<br />

hen. Betrachtet man nochmals Punkt 2.4.1 und Punkt 2.4.3, so kann die Ver-<br />

wendung analoger Techniken die Authentizität eine Musikers betonen, wäh-<br />

rend die Nutzung <strong>digitaler</strong> Techniken auf eine künstliche Inszenierung zu deu-<br />

ten vermag, wobei auch die künstliche Inszenierung <strong>im</strong> best<strong>im</strong>mten Fällen zur<br />

Authentizität beitragen kann. 43 Auch in der Musik spielt es eine bedeutende<br />

Rolle, welche Instrumente verwendet werden. Sind es analoge oder digitale<br />

Instrumente? Man denke beispielsweise an eine gitarrenlastige Metalband, die<br />

sich zum Ziel gemacht hat, Metal der alten Schule zu schreiben. Eine solche<br />

Band wird allein aus Authentizitätsgründen stets mit analogen Gitarrenverstär-<br />

kern auftreten. Ein analoger Röhrenverstärker ist in diesem Genre unersetz-<br />

lich. Die Klangverzerrung, die solch ein Verstärker erzeugt, steht <strong>für</strong> ein be-<br />

st<strong>im</strong>mtes Lebensgefühl, das dem Publikum bekannt ist. Demnach könnte die<br />

Verwendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> Musikvideo als Antihaltung gegen-<br />

über den modernen Techniken interpretiert werden, während sie gleichzeitig<br />

die Authentizität der Band betont. Diese auf eigener Beobachtung beruhende<br />

Hypothese leitet zum Gedanken hin, dass sowohl die verwendeten Instrumen-<br />

te als auch die verwendeten <strong>Tricktechnik</strong>en einen Symbolcharakter besitzen<br />

müssen. Nicht zuletzt: Was bildlich zu sehen ist, sagt etwas über den Musiker<br />

oder die Band aus.<br />

Jörg Gerle plädiert da<strong>für</strong>, den Musikclip <strong>für</strong> das bessere Verständnis wertfrei<br />

in „Mainstream“ und „Arthaus“ zu unterteilen. 44 Die Trennung erfolgt aber<br />

42 Vgl. Auto-Tune: http://www.wie-wie.de/ratgeber/622/was-ist-auto-tune.html. Zugriff am<br />

12.06.2011.<br />

43 Ein aktuelles Beispiel da<strong>für</strong>, wäre „Lady Gaga“. Im Rahmen der Arbeit lässt sich dies<br />

nicht genauer analysieren. Jedoch ist es ein Ausnahmefall <strong>für</strong> die Pole: Authentizität – Inszenierung,<br />

der erwähnt werden muss.<br />

44 Vgl. Gerle, Jörg (2010): Der Musikclip <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> der digitalen Reproduzierbarkeit. Herausgegeben<br />

von Peter Moormann in „Musik <strong>im</strong> Fernsehen. Sendeformen und Gestaltungsprinzipien“.<br />

S. 135-145. Gerle führt diese Begriffe in Analogie zum Film an.<br />

26


3. Analyse<br />

hier nicht strikt, denn qualitativ anspruchsvolle und stilbildende Clips lassen<br />

sich trotzdem segmentübergreifend finden. Ausgehend von den Musikproduk-<br />

tionen, die die Top 100 der Charts anvisieren, stellt er des weiteren fest, dass<br />

der „Kommerzclip“ des Mainstreams <strong>im</strong>mer von den gleichen, bewährten Ste-<br />

reotypen dominiert wird:<br />

„Grundsätzlich gilt es, wie Koch postuliert, mit den Musikclips 'den Markt-<br />

wert der Musikstars zu erhöhen'. (Koch 1996:15) Das erreicht man etwa da-<br />

mit, dass sich weibliche Stars in möglichst vielen aufreizenden Outfits präsen-<br />

tieren oder dass vornehmlich die männlichen Stars der R'n'B-Szene die Status-<br />

symbole ihre Szene offensiv zur Schau tragen, nämlich Frauen, Autos, Geld.<br />

Dominanzgehabe ist all diesen Videos gemein, deren formale Ausarbeitung<br />

zumeist auf den auf schnellen Konsum gemünzten musikalischen Inhalt aus-<br />

gerichtet ist. Eine über die Maßen ästhetisierte, ambitionierte, die Eingängig-<br />

keit der Musik störende visuelle oder gar komplex-narrative Ausgestaltung<br />

des Videos ist dabei nicht gewünscht. Der Zuschauer, der in der Regel <strong>im</strong><br />

Fernsehen ein Video selten an einem Stück konsumiert und mittels 'zapping'<br />

zum Programm stößt, soll durch offensive, eindeutige Reize zum Verweilen<br />

verleitet werden und keinerlei Verständnisprobleme bekommen, die auf Form<br />

oder formalen Inhalt der Videos zurückzuführen sein könnten. So überstrapa-<br />

ziert die Floskel 'Sex sells' sein mag, <strong>im</strong> Bereich des Musikvideoclips behält<br />

sie ihre Gültigkeit.“ 45<br />

Hieraus lässt sich ableiten, dass der Mainstream auf eine verkaufsbetonte und<br />

stereotypdurchzogene Symbolik verwendet, die nicht komplex sein darf. Die<br />

Musiker müssen also dahingehend so inszeniert werden, dass sie diesen An-<br />

forderungen entsprechen. Damit lassen sich Zusammenhänge zwischen der<br />

Künstlichkeit vermittelnden Computeran<strong>im</strong>ation und der Imagebildung und<br />

Symbolsprache eines Musikers erkennen. Doppeldeutige oder gar tiefgründige<br />

Botschaften scheinen <strong>für</strong> den profitorientierten Mainstream eher hinderlich zu<br />

sein, wohingegen die Nischen des Arthaus' den Kunstanspruch ihres Produk-<br />

45 Gerle, Jörg 2010, S. 138.<br />

27


3. Analyse<br />

tes höher halten als den Anspruch, mit ihrer Arbeit möglichst viel Geld zu ver-<br />

dienen.<br />

„Diese Arthaus-Musikclips widersprechen oberflächlich gesehen allen Ge-<br />

setzen der Branche: Sie verweigern sich einer leichten Decodierung, sind falls<br />

überhaupt nur zu fassen, wenn man sie komplett goutiert. In der Regel dekon-<br />

struieren sie das zu bewerbende Produkt und entkoppeln den Star vom<br />

Song.“ 46<br />

Wie man aus dem vorigen Kapitel entnehmen kann, arbeiten die analogen<br />

An<strong>im</strong>ationstechniken meist mit komplexeren Symbolen. Insbesondere, wenn<br />

man sich die Meta-Realität und den Subversionsaspekt noch ein mal ins Ge-<br />

dächtnis ruft, die beispielsweise aus traditionellen dreid<strong>im</strong>ensionalen An<strong>im</strong>a-<br />

tionen herrühren und ihnen anhfaten. Für die Imagebildung eines Musikers,<br />

der also einen künstlerischen Anspruch an sein Werk stellt, scheinen demzu-<br />

folge die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en einen weitaus höheren Ausdrucksgehalt<br />

bieten zu können, der ihm dabei hilft seine Authentizität zu untermauern. Die<br />

Aufteilung in Arthaus und Mainstream bezieht sich auf den Bereich der Ver-<br />

marktung, während sich die Aufteilung in Authentizität und inszenierte Künst-<br />

lichkeit auf das Image bezieht. Obwohl die eine Art der Vermarktung (Art-<br />

haus) oft mit einer Art von Inszenierung (Authentizität) einhergeht, gibt es sel-<br />

tener auch innerhalb des Mainstream Inszenierungen, die auf Authentizität an-<br />

gelegt sind.<br />

Das vorher Geschriebene heißt also nicht zwangsläufig, dass diese Techniken<br />

<strong>im</strong> Mainstream überhaupt keinen Platz finden. So gibt es auch Mainstream-<br />

produkte in den An<strong>im</strong>ationstechniken verwendet werden. Gute Beispiele las-<br />

sen sich nach wie vor finden. Jedoch hat sich das Vorkommen von authenti-<br />

schen Mitteln von den 90er Jahren bis heute eher in Richtung Arthaus verla-<br />

gert. Diese Verlagerung ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man die<br />

Entwicklung der Musikindustrie mit in Betracht zieht.<br />

Aus einem Interview zwischen DER SPIEGEL und Universal-Chef T<strong>im</strong> Ren-<br />

ner über die Krisenst<strong>im</strong>mung in der Musikbranche vom August 2002 lassen<br />

46 Gerle, Jörg 2010, S. 140<br />

28


3. Analyse<br />

sich folgende Anhaltspunkte extrahieren: Die Digitalisierung führte zu merkli-<br />

chen Umsatzeinbußen, die zum einen Teil darauf zurückzuführen sind, dass<br />

die Möglichkeiten, sich Raubkopien zu besorgen, ausgeweitet wurden. Im Ge-<br />

gensatz zu Audiokassetten, war es mittels CD-Brenner mittlerweile mögliche<br />

qualitativ hochwertige Kopien zu erzeugen. Die auf CD gebrannte Musik lässt<br />

sich nicht so einfach mechanisch abnutzen, wie die Kassette und ermöglicht<br />

eine eins zu eins Kopie der Musik, was ein Grund <strong>für</strong> den Rückgang der Ver-<br />

käufe originaler Tonträger ist. Zum anderen Teil ist ein weiterer Aspekt <strong>für</strong> die<br />

Umsatzeinbußen, dass es dem Kunden nicht möglich ist in den klassischen<br />

<strong>Medien</strong> wie Radio oder Fernsehen interessante Musik zu bekommen. 47<br />

„Mit Recht.“ stellt Renner <strong>im</strong> Verlauf des Interviews klar. „Die Industrie hat<br />

sich viel zu lange darauf konzentriert, musikalisch belanglose Titel <strong>für</strong>s Radio<br />

zu produzieren. Radio macht aber keine Hits mehr, es spielt sie nur. Die wich-<br />

tigste Plattform <strong>für</strong> Musik hat sich unter privatwirtschaftlichem Druck zum<br />

Hintergrundmedium degradiert. Um möglichst hohe Zuhörerquoten zu schaf-<br />

fen, wird der kleinste gemeinsame Nenner gesendet. Das Gegenteil von aufre-<br />

gender, authentischer Musik. Zumindest das öffentlich-rechtliche Radio muss<br />

versuchen, das Medium wieder relevant zu machen. Mit spannenden neuen<br />

Künstlern und deren Musik würde es gelingen, den Gebührenzahlern eine ech-<br />

te Alternative und der Popkultur eine Plattform zu geben „ 48<br />

Geldmangel und Umsatzeinbußen der Branche durch Raubkopien und belang-<br />

lose Musik scheinen weniger Platz <strong>für</strong> künstlerische Exper<strong>im</strong>ente und damit<br />

so komplexe Mittel wie die An<strong>im</strong>ation geboten zu haben. Es lässt sich vermu-<br />

ten, dass sich die Kluft zwischen Kunst und Kommerz infolgedessen vergrö-<br />

ßert hat, so dass es weniger Zwischenformen gab und die komerziellgewichte-<br />

te Musik bzw. Optik zu noch weniger subtilen Mittel griff. Sollte dies zutref-<br />

fen, würde das eine weitere Erklärung da<strong>für</strong> bieten warum An<strong>im</strong>ationen <strong>im</strong><br />

Mainstreambereich kaum noch anzutreffen sind.<br />

47 Vgl. Dallach, Christoph & Wellershof, Marianne(2002): Der Markt wackelt wie blöd,<br />

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-23786345.html Zugriff am 13.06.2011<br />

48 Ebd. Zugriff am 13.06.2011<br />

29


3. Analyse<br />

Zusammenfassend kann man also konstatieren: Es gibt Formen und Inhalte,<br />

die oft zusammen auftreten und sich aufspalten lassen in Mainstream- und<br />

Arthausvideos. Eine der Formen, die meist auf der Arthausseite auftreten, sind<br />

analoge Musik und analoge Optik. Damit einher geht oft die Aufteilung in In-<br />

szenierung versus Authentizität. Der Grund da<strong>für</strong> hängt höchstwahrscheinlich<br />

mit finanziellen Faktoren zusammen. Ein Beleg da<strong>für</strong> könnte die Verlagerung<br />

von An<strong>im</strong>ationstechniken in den 90ern auf den weniger kommerziellen Be-<br />

reich sein: Wenn es der Musikbranche gut geht, ist auch mehr Platz <strong>für</strong> Kunst<br />

vorhanden. Ist dies nicht der Fall, n<strong>im</strong>mt der finanzielle Aspekt mehr Raum<br />

ein, womit die analogen An<strong>im</strong>ationstechniken an den (Arthaus-) Rand ge-<br />

drängt werden.<br />

Wenn des weiteren Renner den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ als das Ge-<br />

genteil von „aufregender, authentischer Musik“ bezeichnet, <strong>im</strong>pliziert diese<br />

Aussage, dass die Verwendung der analogen <strong>Tricktechnik</strong>en eine Bedeutung in<br />

sich birgt. Sie sagt über den Musiker aus, dass er „interessanter“ oder „authen-<br />

tischer“ 49 ist als die oberflächlichen „Fließbandmusiker“, die den Mainstream<br />

beherrschen. 50<br />

Der „künstlerische“ Charakter, der dabei an den analogen <strong>Tricktechnik</strong>en haf-<br />

tet, bietet zudem dem Musiker selber eine weitere Option, sich als „Künstler“<br />

zu präsentieren, der sich nicht nur musikalisch und lyrisch artikulieren kann,<br />

sondern auch auf visueller Ebene seine Aussagen zu untermauern vermag und<br />

somit ein Gesamtkunstwerk schafft.<br />

3.3 Kurzanalyse: Musikvideo<br />

Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen, werden <strong>im</strong> Folgenden exempla-<br />

risch vier Videos analysiert. Diese Musikclips sind alle zwischen 1990 und<br />

2011 entstanden und sollen innerhalb dieses Zeitraums ein möglichst breites<br />

49 In Bezug auf Renners Aussage<br />

50 Hierbei wurden die Extreme verglichen. Die Kategorisierung von Mainstream und Arthaus<br />

ist nach wie vor als ein wertfreies Modell zu verstehen. Die Pauschalisierung soll hierbei<br />

nicht als subjektive Wertung missinterpretiert werden. Sie soll lediglich dazu verhelfen<br />

einen Kontrast aufzuzeigen.<br />

30


3. Analyse<br />

Spektrum an Genres abdecken. Die Clips werden hinsichtlich Authentizität<br />

und Künstlichkeit untersucht und wo möglich mit einander vergleichen.<br />

3.3.1 Tool : „Sober“(1993) 51<br />

Das Video zu „Sober“ enstand 1993 unter Regie von Fred Stuhr und wurde <strong>im</strong><br />

Mai des selbigen Jahres zum ersten Mal ausgestrahlt. Der Clip wurde mit Hil-<br />

fe des Stop-Motion Verfahrens umgesetzt und bedient sich der Puppenan<strong>im</strong>a-<br />

tion bzw. Modellan<strong>im</strong>ation (vgl. Punkt 2.2.2.1). Der Protagonist – hier die<br />

Puppe – wurde vom Gitarristen Adam Jones modelliert.<br />

Im Mittelpunkt steht eine menschlich wirkende Puppe, die in einem kaum be-<br />

leuchteten, rostigen Raum eines verlassenen Gebäudes lebt und schläft. Der<br />

Raum ist nur spärlich mit einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl dekoriert.<br />

Die Beleuchtung deutet zudem darauf hin, dass es keine Fenster gibt. Wäh-<br />

rend die Kamera zu Beginn durch die Korridore schweift, werden kurzzeitig<br />

die Musiker eingeblendet. Man sieht die unhe<strong>im</strong>lich anmutende Gestalt erst<br />

liegend oder schlafend, bis sie aufsteht und zufällig eine gehe<strong>im</strong>nisvolle, höl-<br />

zerne Kiste, die jemand vermutlich unter den kaputten Bodendielen versteckt<br />

hat, entdeckt. Was sich jedoch in der Kiste befindet, bleibt dem Zuschauer bis<br />

zum Schluss verborgen. Doch was auch <strong>im</strong>mer es ist, wirkt sich offensichtlich<br />

negativ auf den Protagonisten aus: Er fängt mit seinem Stuhl an zu schweben.<br />

Sein Arm und sein Kopf beginnen heftig zu zittern. Durch das Öffnen der Kis-<br />

te muss er irgendeine Macht freigelassen haben, die nun <strong>im</strong> Gebäude herums-<br />

pukt. Verzweifelt versucht er, zu verstehen, was da passiert, und wagt sich<br />

durch die Korridore. Der Höhepunkt des Videos stellt eine Bilderwelt der Of-<br />

fenbarung bereit: Eine merkwürdige Gestalt, die hinter einer Vitrine ange-<br />

bracht ist und zu leben scheint. Weitere gruselige Gestalten, bei denen nicht<br />

klar ist, ob sie in dem Gebäude wohnen oder seiner Fantasie entspringen. Eine<br />

seltsame organische Masse, die durch die Rohre des Gebäudes fließt. Offen-<br />

sichtlich hofft er darauf, alles wieder rückgängig zu machen, indem er die Kis-<br />

te versiegelt und zurück an ihren Fundort bringt. Parallel zum Höhepunkt des<br />

51 Vgl. Tool - „Sober“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=28107 . Zugriff am<br />

13.06.2011<br />

31


3. Analyse<br />

Videos tauchen nochmals die Musiker auf. Diesmal befinden sie sich in unter-<br />

schiedlichen Räumen des Gebäudes der Puppe. Auch auf sie scheint diese<br />

Macht zu wirken, weshalb sie ebenfalls zittern und vibrieren. Der Clip endet<br />

damit, dass der Zuschauer in die schlecht ausgeleuchtete Kiste hineinschauen<br />

darf, um feststellen, dass diese scheinbar leer ist.<br />

Dieses Musikvideo erscheint als ein passendes Beispiel, um aufzuzeigen, wie<br />

eine Band es schafft sich künstlerisch und authentisch zu verkaufen, indem sie<br />

auf die Ästhetik und Aussage von analogen <strong>Tricktechnik</strong>en zurückgreift.<br />

Der Idee zum Song und zum Video hat den gleichen Ursprung und lässt sich<br />

durch ein Interview zwischen „Guitar School“ und Tool-Gitarristen, Adam Jo-<br />

nes, belegen. Die Frage nach dem Hintergrund dieses Videos beantwortet er<br />

wie folgt:<br />

„The song and video are based on a guy we know who is at his artistic<br />

best when he's loaded. A lot of people give h<strong>im</strong> shit for that. I don't tell<br />

people to do or not do drugs. You can do what you want, but you have to<br />

take responsibility for what happens. If you become addicted and a junkie,<br />

well, that's your fault.“ 52<br />

Bei beiden <strong>Medien</strong> wird somit parallel auf die Behandlung eines gemeinsa-<br />

men Themas hingearbeitet. Es handelt sich hierbei um ein Thema, das sich mit<br />

der menschlichen Psyche kritisch auseinandersetzt und damit einen sperrigen<br />

Inhalt behandelt. Das bedeutet, dass das Hauptaugenmerk nicht auf dem kom-<br />

merziellen Erfolg liegt, sondern vielmehr auf einer künstlerischen Ausarbei-<br />

tung einer Thematik, die sich aller zur Verfügung stehender <strong>Medien</strong> bedient:<br />

Musik, Text, Bild.<br />

Des weiteren erklärt Jones, dass dem Video keine wirkliche Handlung zu<br />

Grunde liegt: "Different people get different things out of the <strong>im</strong>ages. It does-<br />

n't matter what it's about, all that matters is how it makes you feel." 53 Denkt<br />

52 Publication: Guitar School (1994): Tool Guitarist ADAM JONES is a Master of Many<br />

Trades. http://toolshed.down.net/articles/text/gsch.mar.94.html. Transkribiert von „Drugg<br />

Pico“. Zugriff am 14.06.2012<br />

53 Ebd.<br />

32


3. Analyse<br />

man hierbei an die „Magie der Objekte“, dann wird klar weshalb die Puppena-<br />

n<strong>im</strong>ation hier zum Einsatz kommt. Es geht nämlich um ein Gefühl, das ver-<br />

mittelt werden soll. Zwar konkretisiert Jones nicht, um welches es dabei geht.<br />

Doch das Video wirkt beängstigend, gruselig, beklemmend, aber auch vor al-<br />

lem fremdartig. Zudem fühlt man sich dabei an die An<strong>im</strong>ation der „Brüder<br />

Quay“ erinnert, die auf ähnliche Weise ihr Figuren inszenierten und damit eine<br />

ähnliche Wirkung erzeugten. Dieser Bezug deutet ebenfalls darauf hin, dass<br />

die Band den künstlerischen Anspruch gegenüber dem kommerziellen bevor-<br />

zugt. Zudem sind die Musiker selber nur Randfiguren, die einen kaum zu be-<br />

achtenden Bereich <strong>im</strong> Musikvideo einnehmen. Im Mittelpunkt steht die visu-<br />

elle Umsetzung, die ihre Bedeutung und Wirkung aus der analoger Tricktech-<br />

niken bezieht. Die Verwendung jeder Technik <strong>im</strong>pliziert somit auch eine Aus-<br />

sage über die Band, die auf die authentische Wirkung der Musiker abzielt.<br />

3.3.2 Eiffel 65: „Blue (Da Ba Dee)(1999)“ 54<br />

Der Regisseur Celestino Gianotti hat dieses Musikvideo mittels 3D-Compu-<br />

teran<strong>im</strong>ation umgesetzt. Die erste Ausstrahlung erfolgte 1999.<br />

Während eines Konzerts von Eiffel 65 entführen blaue Außerirdische den Sän-<br />

ger der Band, der auf ihrem He<strong>im</strong>atplaneten das Konzert weiterführen soll.<br />

Der Sänger selber merkt nichts von der Entführung, da er <strong>für</strong> den Transport<br />

schockgefrostet wird. Seine Mitmusiker setzen sich unterdessen in ihr kleines<br />

Raumschiff und nehmen die Verfolgung durchs Weltall auf bis sie schließlich<br />

durch ein Portal be<strong>im</strong> He<strong>im</strong>atplaneten der blauen Gestalten ankommen. Der<br />

Sänger wird bei der Ankunft wiederbelebt und singt weiter als ob nichts gewe-<br />

sen ist, bis er allmählich die blauen Aliens <strong>im</strong> Publikum entdeckt, aber nicht<br />

so recht weiß, was er damit anfangen soll. In der Zwischenzeit sind auch seine<br />

Bandkollegen auf dem Planeten angekommen und kämpfen sich mit überna-<br />

türlichen Kräften die Außerirdischen vom Hals, um ihren Sänger zu befreien.<br />

Auf der He<strong>im</strong>reise, werden sie von ihren blauen Fans mittels einer überd<strong>im</strong>en-<br />

54 Vgl. Eiffel 65 - „Blue (Da Ba Dee)“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=9449.<br />

Zugriff am 13.06.2011<br />

33


3. Analyse<br />

sionalen Reklametafel gebeten zurückzukommen. Nach kurzer Besprechung<br />

gehen sie auf diese Bitte ein und spielen bis zum Ende des Clips ihr Konzert<br />

auf dem fremden Planeten weiter. Bis auf die Musiker ist alles in 3D am Com-<br />

puter generiert.<br />

Nicht nur der Song, sondern auch das dazugehörige Video darf an dieser Stelle<br />

als Paradebeispiel des kommerziell orientierten Mainstreams der späten 90er<br />

Jahre betrachtet werden. Ein inhaltlich oberflächlicher Song, begleitet von ei-<br />

ner eingängigen Melodie, die mit reichlich synthetisch erzeugten Klängen un-<br />

termalt ist. Dazu kommt ein Clip, der bis auf den Bezug zu „blau“ rein gar<br />

nichts mit dem Songtext zu tun hat. Als Eyecatcher wird hier eine steril wir-<br />

kende Computeran<strong>im</strong>ation benutzt, die <strong>im</strong>merhin die ebenso künstlich klin-<br />

gende Musik zu betonen vermag. Doch bezogen auf das letzte Kapitel scheint<br />

hier ein größerer Tiefgang auch nicht notwendig zu sein, um den Song zu ver-<br />

markten. Es reichen lediglich die zu dem Zeitpunkt modernen und <strong>für</strong> die<br />

Masse verständlichen Mittel: Computergenerierte Klänge und analog dazu ein<br />

<strong>für</strong> diese Technik passende Computeran<strong>im</strong>ation. Und natürlich, was sowohl<br />

<strong>für</strong> heute als auch damals gilt: Ein einfacher Refrain, den sich jeder merken<br />

und mitsingen kann.<br />

Vergleicht man das Video zu „Sober“ mit diesem Beispiel, so fallen auch hier<br />

die Parallelen zwischen den verwendeten Instrumenten und der An<strong>im</strong>ationsart<br />

auf: Tool greifen mit ihren analogen Musikinstrumenten auf analoge Trick-<br />

techniken zurück, während Eiffel 65 sowohl in Musik als auch in Video sich<br />

hauptsächlich digitale Mittel zunutze machen. Zwar kann man hier einwen-<br />

den, dass sich der technische Fortschritt zwischen 1993 und 1999 – den jewei-<br />

ligen Erscheinungsjahren – rasant weiterentwickelt hat. Doch muss hier mit<br />

Bedacht vorgegangen werden. Denn die Bilderwelten, die es bei „Sober“ zu<br />

sehen gibt, sind in ähnlicher Art und Weise schon seit mindestens 1979 durch<br />

den Kurzfilm „Nocturna Artificialia“ von Stephan und T<strong>im</strong>othy Quay be-<br />

34


3. Analyse<br />

kannt. 55 Die von Eiffel 65 verwendete Computertechnik war demgegenüber<br />

<strong>für</strong> 1999 relativ modern.<br />

3.3.3 Incubus: „Megalomaniac“(2003) 56 , 57<br />

Allem voran handelt der Song - ausgehend vom Text – von regierende Politi-<br />

kern, die dem Größenwahn verfallen sind und nicht einmal vor Krieg und des-<br />

sen Folgen zurückschrecken, um ihre Profit- und Machtgier zu befriedigen.<br />

Die dazugehörige Inszenierung von Floria Sig<strong>im</strong>ondi <strong>im</strong> Jahre 2003 verläuft<br />

dabei parallel zum Song und illustriert ebenfalls diese Aussage. Die Vorge-<br />

hensweise wird von Keazor und Wübenna wie folgt beschrieben:<br />

„Ihr Video eröffnet dabei einen visuellen Diskurs, der sich als Warnung vor<br />

jeglicher Art von Fanatismus verstanden wissen will und die entsprechenden<br />

Gefahrenbereiche – Religion und Politik – anhand einer Bildfolge vorführt, in<br />

der Jesus Christus neben Hitler und einem amerikanischen Präsidenten auf-<br />

tritt, der offenbar einen Krieg anzettelt, um sich an Erdöl zu bereichern.“ 58<br />

Ob indirekt oder direkt, Sig<strong>im</strong>ondi zitiert hierbei des öfteren politische Foto-<br />

Collagen des aus dem DADA-Kreis stammenden Künstlers John Heartfield,<br />

die sie am Computer an<strong>im</strong>iert. Beispielsweise ist das Motiv von Hitler als be-<br />

flügeltem Friedensengel, der ebenfalls mit Flügeln versehene Bomben abwirft,<br />

auf Fotomontagen von Heartfield zurückzuführen. 59 Auch auf weitere Symbo-<br />

le dieser Art, die sie am Computer auf eine Art und Weise an<strong>im</strong>iert, die analo-<br />

ge Verfahren zum Vorbild hat. Dazwischen zeigt Sig<strong>im</strong>ondi <strong>im</strong>mer wieder Re-<br />

alfilm-Sequenzen der einzelnen Musiker, womit sie die Souveränität der Band<br />

zu verdeutlichen vermag. Zu Beginn sieht man beispielsweise die Interpreten<br />

auf den Dächern einer Stadt, wodurch sie Incubus' aktuellen Status als bedeu-<br />

55 Vgl. Nocturna Artificialia(1979): http://www.<strong>im</strong>db.com/title/tt0079636/<br />

Zugriff am 13.06.2011.<br />

56 Vgl. Incubus -„Megalomaniac“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=36824.<br />

Zugriff am 13.06.2011<br />

57 Aufgrund der zahlreichen komplexen Zusammenhänge des Videos, ist eine Handlungszusammenfassunf<br />

zu umfangreich <strong>für</strong> diese Arbeit.<br />

58 Keazor, Henry / Wübbena, Thorsten 2005: S. 364-365.<br />

59 Vgl ebd. S. 365.<br />

35


3. Analyse<br />

tenden Teil des Landes betont. Denn sie versuchen mit ihrer Musik gegen die<br />

Machenschaften der Größenwahnsinnigen vorzugehen, indem sie mit ihrer<br />

Aussauge auf die Problematik hindeuten. Auch werden die Musiker selten ge-<br />

meinsam gezeigt, was auf die individuellen Talente des Einzelnen aufmerk-<br />

sam zu machen scheint. Somit stellt Sig<strong>im</strong>ondi zum einen die Verbindung<br />

zwischen Publikum und Star her und zum anderen baut sie ein adäquates und<br />

authentisches Image der Band auf, das der Attitüde der musikalischen Grup-<br />

pierung entnommen wurde.<br />

Dieser Clips ist somit ein Musterbeispiel <strong>für</strong> die Hybridform. Im Gegensatz zu<br />

den bisher betrachteten Videos, werden hier verschiedenste Techniken ge-<br />

mischt: Sowohl computergestützte und computergenerierte An<strong>im</strong>ationen, als<br />

auch an<strong>im</strong>ierte Papiercollagen kommen zum Einsatz. Neben Realfilmszenen,<br />

taucht auf Propaganda- und Dokumentationsfilm stilisiertes Videomaterial<br />

auf. Mittels dieser Hilfsmittel und der symbolträchtigen Bildsprache verleiht<br />

das Video der Band einen zusätzlichen authentischen Charakter. Dass die Il-<br />

lustration des Slogans „Kein Blut <strong>für</strong> Öl“ hierbei einen einfacheren Gehalt als<br />

die tiefer gehende Aussage der Band ans Tageslicht bringt, scheint sich bei<br />

diesem Beispiel positiv auf die Vermarktung von Incubus auszuwirken. Ob<br />

der Zuschauer alle Assoziationen auf Anhieb nachvollziehen kann ist zunächst<br />

irrelevant. Hakenkreuz, Hitler, Jesus, Bush in Kombination mit komplexen,<br />

detaillierten An<strong>im</strong>ationsgrafiken und schnellen Schnitten provozieren und fal-<br />

len be<strong>im</strong> „zapping“ auf, was dazu beiträgt, dass der Zuschauer darauf hängen<br />

bleibt und <strong>im</strong> Opt<strong>im</strong>alfall genauer hinhört und hinsieht.<br />

„So originell, eindrücklich und ungemein detailverliebt die von Sigismondi<br />

vorgeführten visuellen Metaphern nun jedoch sind, so können sie doch über<br />

die sich stetig erweiternde Kluft zwischen der ästhetischen Komplexität des<br />

Videos und der tatsächlichen S<strong>im</strong>plizität seiner Aussage nicht hinwegtäu-<br />

schen. Denn indem hier Diktatoren wie Hitler, Moussolini und Stalin wahl-<br />

und unterschiedslos in einen Topf mit George W. Bush geworfen werden und<br />

als alleinige Motivation <strong>für</strong> dessen Irak-Krieg die Gier nach Öl suggeriert<br />

36


3. Analyse<br />

wird, gerät das Incubus-Video zu einer zwar ästhetisch komplexen, doch <strong>im</strong><br />

Gehalt zu einfachen Illustration des Slogans 'Kein Blut <strong>für</strong> Öl'.“ 60<br />

Des weiteren zeigt sich bei diesem Beispiel, dass sich ein Musikvideo trotz<br />

musikalischen und lyrischen Tiefgangs, weitaus näher am Mainstream als am<br />

Arthaus ansiedeln lassen kann. Zwar wird die visuelle Ebene, dem Textinhalt<br />

laut Keazor nicht ganz gerecht. Doch trägt dieses „Manko“ dennoch wie oben<br />

beschrieben zur besseren Vermarktung bei.<br />

3.3.4 Marteria: „Sekundenschlaf“(2011) 61<br />

Der von Daniel Franke inszenierte Videoclip zu Marterias „Sekundenschlaf“<br />

von 2011 ist ein aktuelles Beispiel <strong>für</strong> die erfolgreiche Verwendung analoger<br />

<strong>Tricktechnik</strong>en <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Medien</strong> in Kombination mit dem techni-<br />

schen Fortschritt. Die dabei genutzten Fotos und Videosequenzen wurden aus-<br />

schließlich mit digitalen Mitteln aufgenommen. Doch das An<strong>im</strong>ationsverfah-<br />

ren bedient sich der Pixilation.<br />

Die Handlung spielt in einer Großstadt. Es sind Panoramaaufnahmen oder<br />

Aufnahmen von Fußgängerpassagen und Straßenkreuzungen zu sehen, in de-<br />

nen der Sänger meist <strong>im</strong> Vordergrund steht. Die Bewegung des Protagonisten<br />

wird erst durch die Aneinanderreihung verschiedener Fotos erzeugt und wirkt<br />

<strong>im</strong> Gegensatz zu der <strong>im</strong> Zeitraffer abgespielten Umgebung deutlich verlang-<br />

samt. Durch die Manipulation der Bewegungsabläufe verändert sich die Wir-<br />

kung von Raum und Zeit, wobei stets ein Bezug zu realen Welt besteht. Hier<br />

wird der technische Fortschritt genutzt, um alle möglichen Details der echten<br />

Welt so scharf und klar wie möglich darzustellen. Auf computergenerierte Be-<br />

wegungen wird dabei gänzlich verzichtet.<br />

60 Ebd. S. 365-366.<br />

61 Vgl. Offizieller Youtube-Channel von Marteria:<br />

http://www.youtube.com/greenberlinTV#p/c/896040A2B6C48A0B/14/qIvh8ngaBN4 .<br />

Zugriff am 14.06.2011<br />

37


3. Analyse<br />

Die analoge <strong>Tricktechnik</strong> wird hier dezent eingesetzt und lenkt damit nicht<br />

vom eigentlichen Song ab. Der Komplexitätsgrad wird niedrig gehalten, was<br />

dazu führt, dass Musikvideo und Song hier Hand in Hand gehen und nicht von<br />

einander ablenken. Es entsteht eine authentisch wirkende Harmonie, die <strong>für</strong><br />

den durchschnittlichen Mainstream-Konsumenten in jeglicher Hinsicht greif-<br />

bar zu sein scheint.<br />

Dies kann auch als Beleg <strong>für</strong> die Signifikanz der Hybridform betrachtet wer-<br />

den. Denn während man „analog“ und „digital“ als gegensätzliche Pole be-<br />

trachten kann, ebenso wie Authentizität und Künstlichkeit, oder auch Main-<br />

stream und Arthaus, so scheint die Hybridform <strong>im</strong> übertragenen Sinne zwi-<br />

schen diesen Extremen vermitteln zu können. Sie sorgt <strong>für</strong> einen Kompro-<br />

miss, der <strong>für</strong> die breite Masse verträglich ist.<br />

3.3.5 The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“(1996) 62<br />

Es scheint noch einen weiteren interessanten Aspekt zu geben, der mit Ver-<br />

wendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en einher geht, aber bisher lediglich an einer<br />

Stelle kurz angedeutet wurde: Die Verbindung zwischen Publikum und Musi-<br />

ker mittels einer gemeinsamen Erinnerung.<br />

Menschen erfreuen sich beispielsweise <strong>im</strong>mer wieder an Kleinigkeiten, die sie<br />

an besondere Momente oder Ereignisse aus ihrer Vergangenheit erinnern. Jede<br />

technische Errungenschaft besitzt die Eigenart Menschen an den Zeitraum zu<br />

erinnern indem sie entstanden und unter Umständen auch populär geworden<br />

ist. Insbesondere bei Menschen, <strong>für</strong> die eine solche Errungenschaft eine be-<br />

deutende Rolle in ihrem Leben eingenommen hat entsteht unweigerlich eine<br />

Art nostalgische Verknüpfungen. Wenn sich zudem mehrere Menschen durch<br />

das Betrachten ein und des selben Gegenstands gemeinsam an eine besondere<br />

Zeit erinnern, dann entsteht ein Gefühl von Verbundenheit. Sie teilen sich so-<br />

mit die selbe Erinnerung und grenzen sich damit von anderen ab, die mögli-<br />

62 Vgl. The Smashing Pumpkins - „Tonight, tonight“http://www.mvdbase.com/video.php?<br />

id=25664 . Zugriff am 13.06.2011<br />

38


3. Analyse<br />

cherweise, absolut keinen Bezug zu der Sache herstellen können. 63 Auch die<br />

analogen <strong>Tricktechnik</strong>en besitzen diese Eigenart. Im übertragenen Sinn, fun-<br />

gieren sie mit ihrer über 100 Jahre alten Geschichte als Zeitzeugen. Durch die<br />

Verwendung best<strong>im</strong>mter Verfahren, wird man an die Meilensteine der Ge-<br />

schichte erinnert.<br />

Ein passendes Beispiel liefert hierbei der Clip zu "Tonight, tonight" von The<br />

Smashing Pumpkins aus dem Jahre 1996, das von Jonathan Dayton und Vale-<br />

rie Faris inszeniert wurde.<br />

Es ist absolut offensichtlich, dass die Regisseure bei diesem Clip Georges Me-<br />

lies "Reise zum Mond"(1902) 64 zitieren. Es zeigt sowohl die Wertschätzung<br />

des Filmeffekt-Pioniers als auch die Demut vor seiner bedeutenden Stop-Trick<br />

Verwendung, die als Meilenstein der Geschichte zu betrachten ist. Auch könn-<br />

te man das als Aufforderung verstehen, die Musik der Band ebenfalls als Mei-<br />

lenstein ihrer Zeit zu betrachten. Letzteres ist jedoch eine Mutmaßung, auf die<br />

hier nicht näher eingegangen werden kann. Doch es verhält sich zumindest so,<br />

dass man aus dem verwendeten Zitat ableiten kann, dass The Smashing<br />

Pumpkins mit diesem Video - abgesehen von ihren Fans -, auch diejenigen an-<br />

zusprechen versuchten, die Melies „Die Reise zum Mond“ in gleicher Art<br />

und Weise zu schätzen wissen, wie es die Musiker selbst machen.<br />

Demnach vermag die Verwendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en in Musikvideos<br />

ein Publikum anzulocken, das nicht allein des Liedes wegen Interesse am Clip<br />

zeigen soll. Darüber hinaus lässt sich auch hieraus auf den mehrmals ange-<br />

sprochenen Symbolcharakter schließen, der in diesem Fall auch vorhanden ist.<br />

63 Wobei es <strong>für</strong> dieses Phänomen nicht zwingend notwendig ist, dass man selber in den Zeiten<br />

des Entstehens auf der Welt war.<br />

64 Vgl. Die Reise zum Mond(1902): http://www.<strong>im</strong>db.com/title/tt0000417/, Zugriff am<br />

12.06.2011.<br />

39


4 Fazit / Ausblick<br />

4. Fazit / Ausblick<br />

Die Verwendung analoger <strong>Tricktechnik</strong>en kann nach diesen Beobachtungen<br />

und Vergleichen eine Menge an unterschiedlichster Aussagen mit sich führen.<br />

Man kann auf jeden Fall festhalten, dass sie <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> der digitalen <strong>Medien</strong><br />

noch längst nicht ausgedient haben. Vor allem hinsichtlich ihrer Verwendung<br />

<strong>im</strong> Musikvideo, spielen sie nicht nur seit Anfang der 90er Jahre eine <strong>im</strong>mer<br />

wieder bedeutende Rolle, wenn es gilt Musiker zu vermarkten, da sie oft eine<br />

gewisse Authentizität suggerieren. Abhängig von den kommerziellen oder<br />

künstlerischen Beweggründen spielt der Anspruch an einer solchen Authenti-<br />

zität <strong>im</strong>mer wieder eine wichtige Rolle. In diesem Punkt unterscheidet sich<br />

auch die analoge An<strong>im</strong>ationen von den computergenerierten An<strong>im</strong>ation, da<br />

Letztere oft mit einer Künstlichkeit einhergeht. Dieser Sachverhalt lässt sich<br />

deutlich am Vergleich zwischen „Sober“ und „Blue (Da Ba Dee)“ beobachten,<br />

in dem sich analoge und digitale An<strong>im</strong>ationen gegenüber stehen.<br />

Kombiniert mit toten Gegenständen, die aus ihrem alltäglichen Kontext geris-<br />

sen und zu neuem Leben erweckt werden, bringen die analogen Verfahren eine<br />

<strong>im</strong>posante Ästhetik mit sich, die eine eigene Bildsprache spricht und eine al-<br />

ternative Interpretation von Realität liefert. Auffällig ist, dass dadurch diese<br />

<strong>Tricktechnik</strong> tendenziell bei den künstlerisch ambitionierteren Musikern zum<br />

Einsatz kommt, weswegen sie in den Musikvideos eher auf der Seite des Art-<br />

haus zu finden ist. Dem gegenüber siedeln die gänzlich am Computer gene-<br />

rierten Musikvideos eher auf Seite des Mainstreamvideos an, was auch damit<br />

zusammenhängt, dass die Popmusik <strong>im</strong> Verlauf der Jahre mehr und mehr syn-<br />

thetisch erzeugte Töne zu klingen bringt.<br />

Zudem vermag sie in ihrer vom Fortschritt unterstützten Hybridform die glei-<br />

che Wirkung zu vermitteln. Der Computer erleichtert dabei viele Arbeits-<br />

schritte und bietet mehr Raum <strong>für</strong> Exper<strong>im</strong>ente. Man darf gespannt sein wel-<br />

che neuen Hybridformen durch den technischen Fortschritt in den kommen-<br />

den Jahren und Jahrzehnten zu Vorschein treten. Betrachtet man jedoch die<br />

Vielzahl an subkulturellen Bands, die ihre Vermarktung heutzutage selber in<br />

die Hände nehmen, kann man sicher sein, dass zumindest in diesem Bereich<br />

40


4. Fazit / Ausblick<br />

die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en auch zukünftig zum Einsatz kommen. Denn<br />

durch die Arbeitserleichterung des Computers kann schon heute jeder Hobby-<br />

musiker, mit relativ wenig Aufwand ein beeindruckendes Video erstellen. Ins-<br />

besondere, wenn er sich die analogen <strong>Tricktechnik</strong>en zu Nutze macht.<br />

41


5 Quellenverzeichnis<br />

Literaturverzeichnis:<br />

5. Quellenverzeichnis<br />

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Gesamter letzter Absatz:<br />

http://www.duden.de/rechtschreibung/analog_aehnlich_kontinuierlich , Zu-<br />

griff am 26.5.2011.<br />

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Motion – An<strong>im</strong>ationsfilmes. Diplomarbeit an der Fachhochschule Stuttgart.<br />

Online-Publikation. http://www.hdm-stuttgart.de/~curdt/Faigle.pdf. S.16.<br />

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http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-23786345.html Zugriff am 13.06.2011<br />

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13.06.2011<br />

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Many Trades. http://toolshed.down.net/articles/text/gsch.mar.94.html. Tran-<br />

skribiert von „Drugg Pico“. Zugriff am 14.06.2012<br />

Eiffel 65 - „Blue (da ba dee)“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=9449.<br />

Zugriff am 13.06.2011<br />

Nocturna Artificialia(1979): http://www.<strong>im</strong>db.com/title/tt0079636/<br />

Zugriff am 13.06.2011.<br />

The Smashing Pumpkins - „Tonight, tonight“http://www.mvdbase.com/video.php?<br />

id=25664 . Zugriff am 13.06.2011<br />

Incubus -„Megalomaniac“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=36824.<br />

Zugriff am 13.06.2011<br />

Offizieller Youtube-Channel von Marteria:<br />

http://www.youtube.com/greenberlinTV#p/c/896040A2B6C48A0B/14/qIv-<br />

h8ngaBN4 . Zugriff am 14.06.2011.<br />

44


ANHANG:<br />

Übersicht der Musikvideos:<br />

Letzer Zugriff: 16.06.2011<br />

Tool: „Sober“ (1993)<br />

http://vip-files.net/v/svcvre10109/16.jpg<br />

Incubus: „Megalomaniac“ (2003)<br />

http://i727.photobucket.com/albums/ww279/fernandofg/f<br />

ernandofg2/Incubus-<br />

MegalomaniacPromoOnlyVOB_tn.jpg<br />

Marteria: „Sekundenschlaf“ (2011)<br />

http://www.youtube.com/watch?v=qIvh8ngaBN4<br />

5. Quellenverzeichnis<br />

Eiffel 65: „Blue (Da Ba Dee)“ (1999)<br />

http://vip-files.net/v5/pocbo002/22.jpg<br />

The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“ (1996)<br />

http://vip-files.net/v4/smghvc/10.jpg<br />

45


Erklärung<br />

5. Quellenverzeichnis<br />

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne<br />

Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle<br />

Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten und nicht veröffent-<br />

lichten Schriften entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die<br />

Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise <strong>im</strong> Rahmen ei-<br />

ner anderen Prüfung noch nicht vorgelegt worden.<br />

München, den 16.06.2011<br />

Bogdan Brakalov<br />

46

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