Akzente 11_05.indd - Nordzucker AG

Akzente 11_05.indd - Nordzucker AG Akzente 11_05.indd - Nordzucker AG

06.01.2013 Aufrufe

22 I Markt und Kunde I Akzente Dezember 2005 Zucker könnte künftig knapp werden Zucker-Weltmarkt: Das unbekannte Wesen In kaum einer der vielfältigen Diskussionen oder Abhandlungen zum europäischen Zuckermarkt wird der Bezug auf den „Weltzuckermarkt“ fehlen, meist als Hinweis auf die positive, offene, faire, wettbewerbsorientierte Alternative zum angeblich dirigistischen, protektionistischen und zutiefst unfairen System der EU-Marktordnungen. Insbesondere wird unterstellt, der Weltmarkt verkörpere sozusagen die realen Verhältnisse, während innerhalb der EU ein „künstlicher“ Markt aufrechterhalten werde, der natürlich insbesondere die Zucker-Verbraucher von den Segnungen des freien Welthandels ausschließe. Kleiner als er klingt Was ist das also, der Welt-Zuckermarkt? Dazu zunächst ein paar Zahlen: Weltweit werden zurzeit knapp 150 Millionen Tonnen Zucker produziert, und auch konsumiert. Allerdings wird der weitaus größte Teil dieser Menge innerhalb des Ursprungslandes (oder einer Ländergruppe) konsumiert, meist im Rahmen geschützter Binnenmärkte. Die EU ist das naheliegendste Beispiel, hier werden bei einer Produktion (EU 25) von knapp 20 Millionen Tonnen (Weißwert) etwa 16 Millionen Tonnen EU-intern gehandelt. In Indien wurden letztes Jahr rund 14 Millionen Tonnen produziert und im Lande selbst verbraucht. Brasilien verbraucht über 10 Millionen Tonnen, die Reihe lässt sich fortsetzen. Zusammengezählt werden so etwa 110 bis 120 Millionen Tonnen Zucker in Binnenmärkten hergestellt und verbraucht. Lediglich der Rest macht das aus, was man üblicherweise als den „Weltmarkt“ bezeichnet, ob er diesen Namen zu Recht trägt, kann jeder selbst beurteilen. Viel beschworen: Der Weltmarktpreis für Zucker Mindestens genauso oft wie der „Weltmarkt“ wird der „Weltmarktpreis“ beschworen, als Ausdruck des „realen“ Wertes von Zucker im Gegensatz zu den „willkürlichen“ und „natürlich viel zu hohen“ EU-Preisen. Da muss man zunächst fragen: welcher Weltmarktpreis? Der gegenwärtige, US-$ 280,00 pro Tonne, oder der von vor vier Wochen, US-$ 314,00? Oder der Preis von vor einem Jahr, US-$ 235,00, oder vor zwei Jahren, US-$ 173,00 (alles Weißzucker, in Säcken, fob gestaut Seehafen). Oder sehen wir uns die Rohzuckernotierungen an (es gibt sie schon sehr viel länger als die für Weißzucker), mit Jahres-Durchschnittswerten von 1,76 US-cents per lb (= US- $ 38,80 p. 1.000 kg) in 1966, aber ¢ 29,71 (= US-$ 654,98) in 1974 (mit ¢ 63,76 = US-$ 1.405,60 als höchste Notierung des Jahres)! Es ging wild hin und her in den letzten 30 Jahren. Mitte der 70er, und dann noch mal Anfang der 80er Jahre überstieg der Weltmarktpreis das EU-Niveau erheblich, sodass beim Export von EU- Zucker nichts erstattet, sondern große Abschöpfungen fällig wurden. Kurz, die Berufung auf „den Weltmarktpreis“ ist irreführend, und er muss keineswegs immer so viel niedriger sein, als zum Beispiel der EU-Preis. Große Schwankungen Wie kommt es zu diesen großen Preisschwankungen? Ganz simpel: durch Angebot und Nachfrage. Wer fragt nach, wer bietet auf dem Weltmarkt an? Die Käufer, etwas schematisch gesehen, sind die Länder, die keinen Zucker produzieren (das sind recht Henning Koch, August Töpfer & Co KG, Hamburg wenige) und die, die Zucker produzieren, aber weniger als den Eigenbedarf (das sind recht viele). Die Verkäufer sind die, die mehr produzieren als sie verbrauchen. Die einen decken ihren (Rest-) Bedarf, die anderen „entsorgen“ ihre Überschüsse. Der Preis richtet sich danach, ob mehr Bedarf gedeckt oder mehr Überschüsse entsorgt werden müssen, und das wiederum danach, was jeweils produziert und konsumiert wird. Hier aber wirkt sich das Gefälle zwischen den jeweiligen Mengen der Welt-Produktion und des „Weltmarktes“ aus. Eine witterungsbedingte Einbuße von zwei Prozent der Gesamterzeugung entspricht drei Millionen Tonnen – das sind aber 7,5 oder gar 10 Prozent des Angebots auf dem Weltmarkt. Wenn, wie während der Asien-Krise, der Verbrauch eines Marktes für über 50 Millionen Tonnen um zehn Prozent einbricht, geht dem Weltmarkt Nachfrage von fünf Millionen Tonnen, rund 15 Prozent verloren. Nur ein Viertel des weltweit erzeugten Zuckers wird auf dem Weltmarkt gehandelt Zucker, der auf dem freien Weltmarkt gehandelt wird. Zucker, der nicht auf dem Weltmarkt verkauft wird, sondern unter dem Schutz nationaler Marktregelungen und Handelsabkommen produziert und gehandelt wird. ca. 33 Mio. t 23% ca. 109 Mio. t 77%

Weltzuckererzeugung 2002/2003 und Verbrauch 2001 Angaben in Mio. t Rohwert 24 21 18 15 12 9 6 3 0 Brasilien Quelle: ISO Sugar Year Book 2002 & Zuckerwirtschaft Europa 2004 Auch bei schlechten Preisen wird verkauft, weil Lagerung Geld kostet Genauso fatal ist die geringe Preiselastizität dieses „Weltmarktes“. Mit wenigen Ausnahmen verkaufen die Produzenten den größeren Teil ihrer Produktion vor ihrer Haustür – in mehr oder weniger offiziell geschützte Märkte. Hier verdienen sie ihr Geld. Die Übermengen gehen in den Export – zu möglichst guten Preisen, aber auch zu weniger guten, wenn es nicht anders geht. Auch bei schlechten Preisen, unter tatsächlichen Kosten, wird noch verkauft. Weil die Alternative, die Lagerung, Geld kostet und auch meist keine Lösung darstellt, denn die nächste Ernte wächst schon heran. Wir haben hier etwas abstrakt von „Ländern“ als Käufer und Verkäufer gesprochen. In einigen Fällen sind es tatsächlich noch die Regierungen, die über öffentliche Ausschreibungen Roh- oder Weißzucker kaufen oder verkaufen. Dagegen gibt es in anderen Ländern offene Märkte, in denen Händler dem Produzenten überschüssige Ware abkaufen und sie an Importeure, aber auch an Verbraucher wie Abpacker oder Rohrzucker Zuckerverbrauch Rübenzucker Brasilien, Thailand und Australien • nicht AKP • nicht LDC • keinerlei Präferenzen • aber die weltgrößten Überschusshersteller! Indien EU China USA Thailand Australien Mexiko Pakistan Kuba Südafrika Ukraine Russland Verarbeiter (zum Beispiel von Süßwaren oder Erfrischungsgetränken) in Übersee absetzen. Der sogenannte „Inter- Operator-Handel“, also der Handel zwischen zwei europäischen Firmen, die sonst möglicherweise heftige Konkurrenten sind, ist seltener geworden. Zuckerhandel über Warenterminbörsen Last not least kann Zucker auch an die Zucker-Terminbörsen in New York und in London geliefert, beziehungsweise von diesen abgenommen werden. Akzente Dezember 2005 I Markt und Kunde I 23 Waren-Termin-Börsen haben in der Öffentlichkeit einen schlechten Ruf. Zu Unrecht. Die wichtigsten Zucker-Terminmärkte sind die in New York für losen Rohzucker und in London für gesackten Weißzucker. Hier kann jeder, der will, und die finanziellen Garantien stellt, Roh- und Weißzucker kaufen und verkaufen – für spätere Lieferung, deshalb der Name „Termin-Markt“. Allerdings schreiben die Börsen die Bedingungen genau vor: Die Mengen-Einheiten (50 Tonnen = 1 „lot“), Qualitäten, Verpackungen, Liefertermine – bestimmte Monate bis zu zwei Jahre im Voraus – und die Parität „fob gestaut“. 30 Ursprünge, 50 Häfen – logistische Unsicherheiten Auch die Ursprünge, beziehungsweise die Ladehäfen sind vorgegeben – allerdings rund 30 Ursprünge für Rohzucker und über 50 Häfen für Weißzucker. Der Käufer erfährt erst nach dem Auslaufen des jeweiligen Terminmonats, bei der „Andienung“, in welchem Hafen – oder welchen Häfen – er die Ware abzuholen hat. Dafür hat er aber wiederum zwei Monate Zeit, während derer er sein Schiff „präsentieren“ muss.

22 I<br />

Markt und Kunde I <strong>Akzente</strong> Dezember 2005<br />

Zucker könnte künftig knapp werden<br />

Zucker-Weltmarkt: Das unbekannte Wesen<br />

In kaum einer der vielfältigen Diskussionen<br />

oder Abhandlungen zum europäischen<br />

Zuckermarkt wird der Bezug<br />

auf den „Weltzuckermarkt“ fehlen, meist<br />

als Hinweis auf die positive, offene,<br />

faire, wettbewerbsorientierte Alternative<br />

zum angeblich dirigistischen, protektionistischen<br />

und zutiefst unfairen<br />

System der EU-Marktordnungen. Insbesondere<br />

wird unterstellt, der Weltmarkt<br />

verkörpere sozusagen die realen<br />

Verhältnisse, während innerhalb der<br />

EU ein „künstlicher“ Markt aufrechterhalten<br />

werde, der natürlich insbesondere<br />

die Zucker-Verbraucher von den<br />

Segnungen des freien Welthandels<br />

ausschließe.<br />

Kleiner als er klingt<br />

Was ist das also, der Welt-Zuckermarkt?<br />

Dazu zunächst ein paar Zahlen: Weltweit<br />

werden zurzeit knapp 150 Millionen<br />

Tonnen Zucker produziert, und<br />

auch konsumiert. Allerdings wird der<br />

weitaus größte Teil dieser Menge<br />

innerhalb des Ursprungslandes (oder<br />

einer Ländergruppe) konsumiert, meist<br />

im Rahmen geschützter Binnenmärkte.<br />

Die EU ist das naheliegendste Beispiel,<br />

hier werden bei einer Produktion (EU<br />

25) von knapp 20 Millionen Tonnen<br />

(Weißwert) etwa 16 Millionen Tonnen<br />

EU-intern gehandelt. In Indien wurden<br />

letztes Jahr rund 14 Millionen Tonnen<br />

produziert und im Lande selbst verbraucht.<br />

Brasilien verbraucht über 10<br />

Millionen Tonnen, die Reihe lässt sich<br />

fortsetzen. Zusammengezählt werden<br />

so etwa <strong>11</strong>0 bis 120 Millionen Tonnen<br />

Zucker in Binnenmärkten hergestellt<br />

und verbraucht. Lediglich der Rest<br />

macht das aus, was man üblicherweise<br />

als den „Weltmarkt“ bezeichnet, ob er<br />

diesen Namen zu Recht trägt, kann<br />

jeder selbst beurteilen.<br />

Viel beschworen:<br />

Der Weltmarktpreis für Zucker<br />

Mindestens genauso oft wie der<br />

„Weltmarkt“ wird der „Weltmarktpreis“<br />

beschworen, als Ausdruck des „realen“<br />

Wertes von Zucker im Gegensatz zu<br />

den „willkürlichen“ und „natürlich viel<br />

zu hohen“ EU-Preisen.<br />

Da muss man zunächst fragen: welcher<br />

Weltmarktpreis? Der gegenwärtige,<br />

US-$ 280,00 pro Tonne, oder der<br />

von vor vier Wochen, US-$ 314,00?<br />

Oder der Preis von vor einem Jahr, US-$<br />

235,00, oder vor zwei Jahren, US-$<br />

173,00 (alles Weißzucker, in Säcken,<br />

fob gestaut Seehafen). Oder sehen wir<br />

uns die Rohzuckernotierungen an (es<br />

gibt sie schon sehr viel länger als die für<br />

Weißzucker), mit Jahres-Durchschnittswerten<br />

von 1,76 US-cents per lb (= US-<br />

$ 38,80 p. 1.000 kg) in 1966, aber<br />

¢ 29,71 (= US-$ 654,98) in 1974 (mit<br />

¢ 63,76 = US-$ 1.405,60 als höchste<br />

Notierung des Jahres)!<br />

Es ging wild hin und her in den letzten<br />

30 Jahren. Mitte der 70er, und dann<br />

noch mal Anfang der 80er Jahre überstieg<br />

der Weltmarktpreis das EU-Niveau<br />

erheblich, sodass beim Export von EU-<br />

Zucker nichts erstattet, sondern große<br />

Abschöpfungen fällig wurden. Kurz,<br />

die Berufung auf „den Weltmarktpreis“<br />

ist irreführend, und er muss keineswegs<br />

immer so viel niedriger sein, als<br />

zum Beispiel der EU-Preis.<br />

Große Schwankungen<br />

Wie kommt es zu diesen großen Preisschwankungen?<br />

Ganz simpel: durch<br />

Angebot und Nachfrage. Wer fragt<br />

nach, wer bietet auf dem Weltmarkt<br />

an? Die Käufer, etwas schematisch<br />

gesehen, sind die Länder, die keinen<br />

Zucker produzieren (das sind recht<br />

Henning Koch,<br />

August Töpfer & Co KG,<br />

Hamburg<br />

wenige) und die, die Zucker produzieren,<br />

aber weniger als den Eigenbedarf<br />

(das sind recht viele). Die Verkäufer<br />

sind die, die mehr produzieren als sie<br />

verbrauchen. Die einen decken ihren<br />

(Rest-) Bedarf, die anderen „entsorgen“<br />

ihre Überschüsse.<br />

Der Preis richtet sich danach, ob mehr<br />

Bedarf gedeckt oder mehr Überschüsse<br />

entsorgt werden müssen, und das wiederum<br />

danach, was jeweils produziert<br />

und konsumiert wird. Hier aber wirkt<br />

sich das Gefälle zwischen den jeweiligen<br />

Mengen der Welt-Produktion und<br />

des „Weltmarktes“ aus. Eine witterungsbedingte<br />

Einbuße von zwei Prozent<br />

der Gesamterzeugung entspricht drei<br />

Millionen Tonnen – das sind aber 7,5<br />

oder gar 10 Prozent des Angebots auf<br />

dem Weltmarkt. Wenn, wie während<br />

der Asien-Krise, der Verbrauch eines<br />

Marktes für über 50 Millionen Tonnen<br />

um zehn Prozent einbricht, geht dem<br />

Weltmarkt Nachfrage von fünf Millionen<br />

Tonnen, rund 15 Prozent verloren.<br />

Nur ein Viertel des weltweit<br />

erzeugten Zuckers wird auf dem<br />

Weltmarkt gehandelt<br />

Zucker, der auf dem freien Weltmarkt gehandelt wird.<br />

Zucker, der nicht auf dem Weltmarkt verkauft<br />

wird, sondern unter dem Schutz nationaler<br />

Marktregelungen und Handelsabkommen<br />

produziert und gehandelt wird.<br />

ca. 33 Mio. t<br />

23%<br />

ca. 109 Mio. t<br />

77%

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!