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Schatten des imaginären Museums - Albertina

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Maren Gröning<br />

<strong>Schatten</strong> <strong>des</strong> <strong>imaginären</strong> <strong>Museums</strong><br />

Die <strong>Albertina</strong> und die Fotografie im 19. Jahrhundert<br />

Reproduktion und Original in der Sammlungssystematik<br />

der Wiener <strong>Albertina</strong><br />

Es wäre vielleicht etwas zuviel gesagt, wenn man<br />

behaupten wollte, die <strong>Albertina</strong> hätte als Museum<br />

von Reproduktionen angefangen. Denn ihr Gründer,<br />

Albert von Sachsen-Teschen (1738 – 1822),<br />

muß etwa gleichzeitig, während seiner Statthalterschaft<br />

in Ungarn, 1766 bis 1780, sowohl mit dem<br />

Aufbau seiner Sammlung von Druckgrafiken –<br />

„multiples“ – als auch seiner Sammlung von<br />

Zeichnungen begonnen haben. 1<br />

Dennoch war es zunächst das Medium der<br />

Druckgrafik, in dem sich die im Wesentlichen bis<br />

heute gültige Sammlungssystematik der <strong>Albertina</strong><br />

programmatisch konstituierte. So überreichte der<br />

Genueser Adelsmann und seinerzeit anerkannte<br />

Kunstkenner Giacomo Durazzo Albert von Sachsen-Teschen<br />

1776 einen ersten exemplarischen<br />

Stock von zirka 1000 Stichen zusammen mit einem<br />

Programmtext, der in seinem Auswahlkonzept<br />

buchstäblich eine „Storia pratica della Pittura, e<br />

dell’ Intaglio dal ristabilimento delle Bell’ arti sino<br />

a nostri giorni“, eine „Praktische Geschichte der<br />

Malerei und der Stecherkunst von der Wiederherstellung<br />

der Schönen Künste bis in unsere Tage“<br />

avisierte. 2<br />

Durazzo, den Albert von Sachsen-Teschen persönlich<br />

mit einem entsprechenden Auftrag versehen<br />

hatte, brachte damit ganz in aufklärerischem<br />

Geist und im Geist einer durch Johann Joachim<br />

Winckelmann neu etablierten historisch-kritischen<br />

Kunstwissenschaft entscheidende Impulse für die<br />

Verwirklichung der <strong>Albertina</strong> als rational und fortschrittlich<br />

durchdachtes Sammlungsmodell ein.<br />

Zusammen mit der fast gleichzeitig nach analogen<br />

Gesichtspunkten durch Christian von Mechel reor-<br />

ganisierten und 1781 im Oberen Belvedere in Wien<br />

eröffneten Kaiserlichen Gemäldegalerie wurde die<br />

<strong>Albertina</strong> zu einer international bedeutenden Stätte<br />

moderner <strong>Museums</strong>politik und nicht zuletzt zu einer<br />

wichtigen Basis für die spätere Entwicklung<br />

der Wiener kunstgeschichtlichen Schule. 3<br />

Schon um 1700 war von Seiten kennerschaftlicher<br />

Kunsttheoretiker im Vorgriff auf Durazzos<br />

„Storia pratica“ besonders mit den Medien von<br />

Zeichnung und Druckgrafik der Anspruch auf die<br />

Verfügbarkeit einer überdurchschnittlichen Fülle<br />

und Vielfalt von stilkritischen Vergleichsmöglichkeiten<br />

konnotiert worden. 4 Es ist bereits derselbe<br />

Anspruch, der später für André Malraux einen,<br />

vielleicht sogar den zentralen Wert <strong>des</strong> aus fotografischen<br />

Reproduktionen requirierten „Imaginären<br />

<strong>Museums</strong>“ ausmachen sollte. „Im Louvre gab es<br />

mehr charakteristische Werke, als auch der gebildetste<br />

Liebhaber im Geist festzuhalten vermochte;<br />

heute deren mehr als im größten Museum der<br />

Welt“, so Malraux. 5 Das statistische Profil der <strong>Albertina</strong>,<br />

die Anzahl der allein binnen der Lebensspanne<br />

Alberts von Sachsen-Teschen akkumulierten<br />

Objekte von in toto zirka 203.000 bis 213.000<br />

Blättern verdient daher durchaus Beachtung. Fast<br />

erwartungsgemäß spricht zugleich das Zahlenverhältnis<br />

der Zeichnungen von zirka 13.000 Stücken<br />

gegenüber den 190 bis 200.000 Druckgrafiken für<br />

sich. 6<br />

Ohne diese eminente Disproportion ganz außer<br />

acht lassen zu können, soll uns jedoch ein anderes<br />

Phänomen hier eigentlich beschäftigen, das eine<br />

bemerkenswerte Erweiterung der mit Conte Durazzo<br />

begründeten Sammlungssystematik der <strong>Albertina</strong><br />

bedeutet.<br />

Es hatte bereits bei Durazzo Ansätze gegeben,<br />

die Reproduktionsgrafik von der Abteilung der<br />

3


Druckgrafik abzuspalten, was einem heute selbstverständlich<br />

vorkommen muß. Man bedenke, daß<br />

eine solche Abspaltung sich ohnehin aus der parallelen<br />

Ordnung der Zeichnungen und der Drucke<br />

nach dem neuen kunstgeschichtlichen Prinzip der<br />

Fächerung der Blätter einerseits in Gruppen von regional<br />

einheitlich erscheinenden (z.B. bolognesischen,<br />

deutschen, französischen etc.) „Schulen“,<br />

andererseits (sofern zu eruieren) der streng chronologischen<br />

Reihung nach den Geburtsdaten der betreffenden<br />

Künstler ergeben mußte, worin eine geteilte<br />

Autorenschaft letztlich nicht vorgesehen war.<br />

Als dann Adam Bartsch, der überragende Grafikexperte<br />

der Zeit, in seiner 1820 publizierten Programmschrift<br />

Ueber die Verwaltung der Kupferstichsammlung<br />

der K. K. Hofbibliothek, die er als<br />

Hauptkustos betreute, unter dem Titel <strong>des</strong> „Peintre-<br />

Graveur“ mit dieser Trennung von Reproduktionsgrafik<br />

und Orignalgrafik ernst machte, entfaltete er<br />

sein Modell jedoch auf eine keineswegs reibungslose<br />

Weise. Ausgerechnet am ganz paradigmatischen<br />

Fall eines Reproduktionsgrafikers exemplifizierte<br />

Bartsch nämlich seine Vorstellung von der<br />

Eigenständigkeit <strong>des</strong> „Peintre-Graveur“. Dies war<br />

der Begriff, in den Bartsch die Idee der Originalgrafik<br />

faßte. „Kupferstiche“, so schrieb er 1820,<br />

„welche von einem Mahler und einem Stecher herrühren,<br />

deren beyde ihr eigenes Oeuvre haben,<br />

müssen in jenes <strong>des</strong> Kupferstechers und nicht <strong>des</strong><br />

Mahlers eingestaltet werden. Z.B. ein nach Raffael<br />

gestochenes Blatt von G. Edelinck, dürfte eher bei<br />

ersterem als bei letzterem fehlen, und das Werk <strong>des</strong><br />

Kupferstechers würde den Vorzug erhalten.“ 7<br />

Zum Schlüsselbegriff: „deren beyde ihr eigenes<br />

Oeuvre haben“, sei hier nur versichert, daß es sich<br />

bei Gérard Edelinck um einen durchaus professionellen<br />

und keineswegs etwa bloß gelegentlichen<br />

Pariser Reproduktionsstecher <strong>des</strong> späten 17. Jahrhunderts<br />

handelt.<br />

Der reine Linienstich als „vervielfältigende Kunst“<br />

Es ist diese ungewöhnliche, wenn nicht paradoxe<br />

Würdigung der Reproduktion, als deren Basis wir<br />

im folgenden eine sich spätestens zu Bartschs Zeit<br />

stark etablierende hierarchische Wertung der dem<br />

Grafiker zur Verfügung stehenden Reproduktionstechniken<br />

zu diskutieren haben, und an deren Spitze<br />

das Ideal eines reinen Linienstichs steht. Denn<br />

ihm wird dann im 19. Jahrhundert buchstäblich der<br />

4<br />

widersprüchliche Titel einer „vervielfältigenden<br />

Kunst“ zuteil. Wir werden die Haltbarkeit bzw.<br />

auch symptomatische Aussage dieser Position im<br />

Blick auf Moritz Thausings einschlägigen Aufsatz<br />

„Kupferstich und Photographie“ von 1866 näher zu<br />

prüfen versuchen. 8 Thausing (1838 – 1884) wirkte<br />

1868 – 1876 als Leiter und seit 1876 bis zu seinem<br />

Tod als Direktor der <strong>Albertina</strong>. Wenn seine Streitschrift<br />

von 1866 in ihrer Radikalität auch nur mit<br />

bestimmten Einschränkungen die Haltung der<br />

Sammlung zu den epochalen Neuerungs-, wenn<br />

nicht Subversionskräften der Fotografie während<br />

<strong>des</strong> 19. Jahrhunderts vertreten kann, provoziert sie<br />

doch eben aufgrund ihrer kompromißlosen Argumentation<br />

eine Vorausschau auf die spätere Frage<br />

der „<strong>Museums</strong>würdigkeit“ der Fotografie.<br />

Um einen charakteristischen Einblick in die Hintergründe<br />

der Entwicklung der Linienstichtechnik<br />

als Paradigma einer „vervielfältigenden Kunst“ zu<br />

erhalten, bietet sich die historische Diskussion an,<br />

die von britischen Reproduktionsstechern nach der<br />

Gründung der Londoner Königlichen Kunstakademie<br />

1769 wegen ihres Anspruchs auf Anerkennung<br />

als Vollmitglieder, d.h. traditionell als „freie Künstler“,<br />

einsetzte. Ob eine solche Auseinandersetzung<br />

gleichzeitig analog auch auf dem Kontinent geführt<br />

wurde, kann hier nicht beantwortet werden. Dank<br />

der beachtenswerten Dissertation von Anne Peters<br />

über die Handzeichnungenreproduktionen Francesco<br />

Bartolozzis stellt sich die Situation der englischen<br />

Kupferstecher um 1800 jedenfalls besonders<br />

klar dar. 9<br />

In Peters’ zitierter Dissertation zeigt sich als<br />

wichtiger äußerer Anstoß der programmatischen<br />

Erhebung <strong>des</strong> Linienstichs zum Symbol einer „vervielfältigenden<br />

Kunst“, daß die Royal Academy<br />

den aus Italien 1764 nach England zugewanderten<br />

Francesco Bartolozzi (1728 – 1815) auf einem etwas<br />

dubiosen Umweg 1769 in den Kreis ihrer ersten<br />

Würdenträger aufnahm, indem sie ihren<br />

Günstling geflissentlich unter dem Titel eines Malers<br />

approbierte, obwohl Bartolozzi (abgesehen davon,<br />

daß er „Ausländer“ war) bis dahin weder an<br />

Gemälden noch übrigens an Zeichnungen etwas<br />

Erhebliches vorzuweisen hatte. Allerdings ragte er<br />

durch sein persönliches reproduktionstechnisches<br />

Können wie zugleich seine Unbefangenheit, mit<br />

der er sich der neuesten Verfahren der Gemäldeund<br />

speziell auch der Handzeichnungenreproduktion<br />

im Sinne einer möglichst anschmiegsamen, im<br />

Ernstfall sogar fast bis zur Selbstaufgabe reichen-


den Wiedergabe der Originale bediente, unter den<br />

zeitgenössischen Kollegen gewiß auffällig hervor.<br />

Unter dem formalästhetisch außerordentlich stark<br />

ausgeprägten Blick seiner Kritiker von der Partei<br />

der Linienstecher war Bartolozzis überdurchschnittliche<br />

Bereitschaft zu einer quasi mechanischen<br />

Anpassung an die Physiognomie <strong>des</strong> Originals<br />

vor allem in einem dialektischen Gegensatz<br />

von harten „grafischen“ und weichen „malerischen“<br />

Zügen zu beobachten, wobei die Favorisierung<br />

<strong>des</strong> „pittoresken“ Sujets bzw. Stils, in England<br />

während <strong>des</strong> späten 18. Jahrhunderts besonders<br />

durch eine gesteigerte Kultur der Landschaftskunst<br />

präsent, zusätzlich den Verdacht modischer<br />

Gefälligkeit erregen konnte. Assoziierte man das<br />

„pittoreske“ Gesicht <strong>des</strong> Originals auf dem Gebiet<br />

der Handzeichnung speziell mit dem Konzept der<br />

„Skizze“, etwa als Eindruck einer entwerfenden<br />

Vorwegnahme der Höhepunkte malerischer Bildeffekte,<br />

so stieß man sogar geradewegs auf die Notwendigkeit<br />

einer vollständigen Faksimilierung.<br />

Mußten Skizzen doch wegen der ausnehmenden<br />

Spontaneität und Sensibilität ihrer zeichnerischen<br />

Aussage beim Nachvollzug durch eine fremde<br />

Hand jede Abweichung, je<strong>des</strong> Zögern sofort spürbar<br />

werden lassen. Die (manuelle) Reproduktion<br />

von Handzeichnungen, gesehen und gedacht als<br />

Skizzen, verkörperte dann erst recht den paradigmatischen<br />

Fall jenes Druckgrafikers als „man of no<br />

genius, – servile copier“, <strong>des</strong>sen Rolle die Linienstecher<br />

unter keinen Umständen spielen wollten. 10<br />

Die Programmatiker <strong>des</strong> „line-engraving“ definieren<br />

sich im Gegensatz dazu geflissentlich als<br />

„Übersetzer“, „Interpreten“, „Kommentatoren“,<br />

um den Spielraum ihres kreativen Potentials zu signalisieren.<br />

Sie gehen auf deutlich medientheoretischer<br />

Basis davon aus, daß sich die „Sprache“ <strong>des</strong><br />

Originals, im speziellen die Sprache der Malerei,<br />

grundsätzlich von ihrer grafischen Sprache unterscheidet.<br />

Um dieser Idee Nachdruck zu verleihen,<br />

wechseln sie mit besonderer Vorliebe auf die Diskursebene<br />

der Skulptur als klassische bzw. akademiewürdige<br />

Kunstform. „Engraving may be defined<br />

as a mode or species of Sculpture – performed<br />

by incision“, so John Landseer in seinen Lectures<br />

on the Art of Engraving von 1807. 11 Es geht wahrscheinlich<br />

dabei jedoch nicht allein, wie man meinen<br />

könnte, um die Beobachtung <strong>des</strong> grafischen<br />

Elements als eines reliefhaften Einschnitts in die<br />

Druckplatte. Es geht also nicht nur etwa um eine<br />

triviale Aufrasterung der Farben der Malerei als<br />

Halbtöne – wie ja später in der fotomechanischen<br />

Autotypie. Ebenso wichtig, wenn nicht von erstrangiger<br />

Relevanz, erscheint die dreidimensionale<br />

Gegebenheit <strong>des</strong> skulpturalen Objekts, <strong>des</strong>sen eigene<br />

Grenzen die Fläche eines gesetzten Bildfel<strong>des</strong><br />

stets negieren. Die Vermeidung der direkten infrastrukturellen<br />

Ordnung einer solchen Bildebene<br />

zeigt sich auch am Wunsch der Reduktion einfacher<br />

Gegenstandsumrisse im Linienstich, welche<br />

vielmehr möglichst indirekt, nach Adam Bartschs<br />

Worten von 1820 allein durch „die Schattierungen<br />

selbst ausgedrückt“ werden sollen. 12 Das heißt, die<br />

Dinge sollen im Helldunkel ihrer wechselnden<br />

„malerischen“ Unterscheidung im Prinzip weniger<br />

gezeichnet als modelliert werden, wobei das skulpturale,<br />

oder wie man hier vielleicht deutlicher sagen<br />

könnte: das statuarische Element, zugleich in<br />

einer plastischen Vereinfachung und Straffung der<br />

Vielfalt und Fülle der möglichen Umrisse eines<br />

malerischen „Flecks“ beschworen wird. Beobachtet<br />

man schließlich die „Lineamente“ (Bartsch) der<br />

zugehörigen Parallel- und Kreuzschraffuren im<br />

Aufbau dieses grafischen Systems sozusagen makroskopisch,<br />

so spürt man den rundplastischen<br />

„Griff“ auch im nahsichtigen Detail der mehr oder<br />

weniger tief einschneidenden bzw. spitz ansetzenden<br />

Akzentuierung der Mitten und Enden der Linien.<br />

Da die Linienstecher ja freilich immer noch<br />

in denselben typischen Raum- bzw. Formgrenzen<br />

wie die Malerei (bzw. die Zeichnung) arbeiten, ist<br />

ihr skulpturales Denken natürlich eminent imaginär<br />

vermittelt. Im Hintergrund könnte aber zugleich<br />

als besondere Konsequenz ihrer „übersetzenden“<br />

Auffassung <strong>des</strong> Originals die Erfahrung<br />

mit einer regelrechten Beobachtungs-Technik stehen,<br />

nämlich mit der Möglichkeit der rationalen<br />

Kontrolle malerischer (oder zeichnerischer, grafischer)<br />

Gegenstandsabbildungen durch eine zentralperspektivische<br />

Konstruktion.<br />

Wir möchten diese Möglichkeit hier hypothetisch<br />

gerne ausdrücklich erwägen, nicht nur, weil<br />

sich die Zentralperspektive als mathematisch gestütztes<br />

Visualisierungsverfahren in die wissenschaftliche<br />

und empiristische Stimmung <strong>des</strong> aufklärerischen<br />

Geistes der Zeit einbetten läßt, in der<br />

sich die englischen Linienstecher als Anwärter auf<br />

eine freie, höhere und intellektuell „sprechende“<br />

Kunst zu positionieren versuchten. Wir würden<br />

dann gerade auch ihrem oberflächlich betrachtet<br />

paradoxen Diskurs im Hinblick auf die Zentralperspektive<br />

an einer quasi kunstneutralen Stelle das<br />

5


Gewicht verleihen, das der doch beachtlichen Dauer<br />

ihres konservativen Anliegens unter dem Titel<br />

einer „vervielfältigenden Kunst“ während <strong>des</strong> ganzen<br />

19. Jahrhunderts gerecht werden kann. Die<br />

Zentralperspektive würde als Rahmen, der die Dinge<br />

im allgemeinen „wie von außen“ zu sehen gibt,<br />

im speziellen auch die logische Beziehung der Linienstecher<br />

auf die typische Außenorientiertheit<br />

motivieren, in der die Skulptur ihre eigene Ästhetik<br />

entwickelt. 13 Darüber hinaus könnte sie helfen, einen<br />

besonders schwierigen, aber interessanten<br />

Sprung in der Argumentation der Linienstecher zu<br />

überbrücken. Im Spiegel von Anne Peters’ Darlegungen<br />

läuft nämlich mit dem Bestreben der Linienstecher,<br />

sich technisch an die Skulptur zu assimilieren,<br />

der auf derselben logischen Ebene keineswegs<br />

zwingende Gedanke parallel, die repräsentative<br />

Aussage <strong>des</strong> Originals gleichsam <strong>des</strong>tillieren<br />

zu müssen, wobei sich dieser Gedanke charakteristischerweise<br />

wieder auf das Problem <strong>des</strong><br />

zeichnerischen Konzepts der Vorlage zuspitzt. „It is<br />

not the painter’s sketch“, so John Landseer, „that is<br />

most <strong>des</strong>irable to multiply, but his finished performances.“<br />

14 Die Assoziation mit dem Instrument<br />

der Zentralperspektive wäre daher andererseits geschaffen,<br />

mit deren struktureigener Darstellungspotenz<br />

auch noch einmal nachdrücklich das historische<br />

Ansehen der Skulptur als paradigmatisches<br />

Medium klassisch-akademischer Kunstwerke ins<br />

Gedächtnis zu rufen.<br />

Und nicht zuletzt berühren wir mit der Zentralperspektive<br />

das optische Denken der Fotografie.<br />

Moritz Thausings Aufsatz „Kupferstich und Photographie“<br />

Es ist fast zu bedauern, daß die kritische Einstellung<br />

zur Fotografie, die Moritz Thausing noch vor<br />

seinem Antritt als Leiter der <strong>Albertina</strong> in seinem<br />

Aufsatz „Kupferstich und Photographie“ 1866 15<br />

dokumentierte, im Grunde sehr eng an seine Person<br />

gebunden blieb, während die <strong>Albertina</strong> als<br />

überindividuelle Institution sogar schon mehrere<br />

Jahre zuvor eine durchaus vitale Beziehung zu dieser<br />

neuen Bildtechnik aufgenommen hatte – zur<br />

Fotografie, allerdings ziemlich deutlich eingeschränkt,<br />

als nüchterner, „mechanischer“ Reproduktion.<br />

Wir werden im folgenden noch die historische<br />

Wichtigkeit dieser Beziehung zu illustrieren<br />

haben, die sich auf eher pragmatische Weise vor<br />

6<br />

allem um die Publikation der Handzeichnungen<br />

der Sammlung als deren wissenschaftlich und aber<br />

auch bildungsgeschichtlich seinerzeit (und eigentlich<br />

bis heute) eminent favorisierten Bestand drehte.<br />

Moritz Thausing beharrte in seiner Kritik im<br />

Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen, die der<br />

Fotografie zwar keine künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten,<br />

aber doch einen eminenten Nutzen<br />

als neutrales Vervielfältigungsverfahren zugestanden,<br />

darauf, sogar diese Qualität in Frage zu stellen.<br />

Es erweist sich bei Thausing dann übrigens<br />

gerade die Wiedergabe von Zeichnungen, die speziell<br />

im Vergleich mit Gemälden wegen ihrer koloristisch<br />

relativ weit reduzierten Aussage für die damals<br />

noch unvollständige Farbsensibilität der Fotografie<br />

entsprechend geringere Widerstände enthielt<br />

und ihr als Reproduktionstechnik wohl auch<br />

dadurch ziemlich schnelle Erfolge im kunst- und<br />

kunstgeschichtlich interessierten Publikum bescherte,<br />

als besonders auffälliges Motiv, seinen<br />

Diskurs über die Bemerkung der damaligen rein<br />

technologischen „Kinderkrankheiten“ der Fotografie<br />

hinaus ganz entschieden auf deren „innere“<br />

konzeptuelle Unfähigkeit zu einer ästhetisch adäquaten<br />

Leistung hin auszudehnen. Im Blick auf<br />

dieses spezielle Motiv und durch die konsequente,<br />

wiederholte Betonung rein konzeptuell definierter<br />

Schwächen der Fotografie möchten wir es hier wagen,<br />

Thausings Kritik als stellvertreten<strong>des</strong> Symptom<br />

einer strukturell bedingten, unterschwelligen<br />

Aufmerksamkeit der <strong>Albertina</strong> auszulegen: Thausing<br />

wandte sich damit, freilich ex negationis, in<br />

viel unmittelbarerer Weise, als es die zwar umfangreiche,<br />

aber konzeptuell eben sehr oberflächliche<br />

Produktion an fotografischen Wiedergaben<br />

von Originalen der Sammlung im 19. Jahrhundert<br />

zeigt, den kreativen Gestaltungskräften der Fotografie<br />

zu.<br />

So möchten wir hier eine etwas genauere Betrachtung<br />

seines Aufsatzes von 1866 vorziehen, bevor<br />

wir auf das quasi statistische Verhalten der <strong>Albertina</strong><br />

zur Fotografie im 19. Jahrhundert zu sprechen<br />

kommen. Mit den vielfältigen und, unserer<br />

Meinung nach, durchaus spannenden Dimensionen<br />

von Thausings Position müßte dann eigentlich<br />

auch, zumin<strong>des</strong>t in Thausings Fall, dem Vergleich<br />

zwischen „Kupferstich und Photographie“ eine<br />

medientheoretisch bedeutendere Kompetenz zugeschrieben<br />

werden als es Wolfgang Kemps Diagnose,<br />

hierbei wäre es „noch nicht um ein Eindringen


in die grundverschiedenen Naturen der betrachteten<br />

Medien“ gegangen, bisher nahelegte. 16<br />

Man darf erinnern, daß die Diskussion, in die<br />

sich Thausing mit seinem Aufsatz von 1866 einschrieb,<br />

speziell in Frankreich – und dies bemerkt<br />

Thausing selbst – schon in den 1850er Jahren begonnen<br />

hatte und vor allem unter der Feder <strong>des</strong><br />

Kritikers und wissenschaftlichen Mitarbeiters <strong>des</strong><br />

Cabinet <strong>des</strong> estampes an der Pariser Bibliothèque<br />

nationale, Henri Delaborde, angetrieben worden<br />

war. Als bürgerliche Lobby einer konservativen<br />

Reproduktionsästhetik trat dann in Paris 1868 die<br />

„Société française de gravure“ mit ihrem ersten<br />

Präsidenten, dem deklarierten Linienstecher Louis-<br />

Pierre Henriquel-Dupont zusammen. Nach ihrem<br />

Vorbild gründete sich 1871 in Wien die „Gesellschaft<br />

für vervielfältigende Kunst“, die allerdings<br />

nicht durch eine einzelne Person, sondern durch ein<br />

gemischtes Kuratorium von Gründungs- und gewählten<br />

Mitgliedern geleitet wurde. Moritz Thausing<br />

gehörte diesem Kuratorium bereits im ersten<br />

Jahr der Gesellschaft an. 17<br />

In Thausings Aufsatz von 1866 gewinnen zwei<br />

Elemente aus der Diskussion um den Linienstich<br />

als exemplarischer Disziplin einer „vervielfältigenden<br />

Kunst“ außerordentlichen Nachdruck. Der Begriff<br />

<strong>des</strong> Malerischen wird jetzt viel entschiedener<br />

und allgemeiner als noch um 1800 als Inflation<br />

modischen Geschmacks unter Anführungsstriche<br />

gesetzt bzw. auch als „sogenannte malerische Wirkung“<br />

und übrigens ziemlich genau in diesem Sinne<br />

als verächtliche Tendenz einer fotografischen<br />

Trivialästhetik stigmatisiert. Thausings radikale<br />

Überspitzung dieses Begriffs kündigt sich zum ersten<br />

Mal in seiner ausführlichen Definition <strong>des</strong><br />

Ideals eines reinen Linienstichs an. In diesem Licht<br />

erscheinen alle anderen grafischen Techniken der<br />

Geschichte (sogar dem Holzschnitt wird hier, und<br />

zwar wegen seiner materiellen Sprödigkeit, eine<br />

gewisse Absage erteilt) als sekundäre „Secessionen“<br />

<strong>des</strong> „Kupferstichs im engsten und eigentlichen<br />

Sinne <strong>des</strong> Wortes“. Sollen doch dem puristischen<br />

Reproduktionsgrafiker „bloß Schwarz und<br />

Weiß und einfache Linien zu Gebote stehen“. Im<br />

speziellen Bezug auf jene jüngeren Verfahren, die<br />

sich „zugunsten einer leichteren Technik“ grafischen<br />

Arbeitens im Laufe der Zeit eingebürgert<br />

hatten („Schab- oder Schwarzkunst“, „Aquatinta“,<br />

„Punktiermethode“, schließlich die Lithografie),<br />

isoliert Thausing schließlich jedoch noch einmal<br />

besonders „die geätzte Nadelzeichnung oder Radi-<br />

rung“, und zwar um sie ausgerechnet in der Dimension<br />

auszuklammern, in der sie – „soweit sie heutzutage<br />

noch von Meistern geübt wird und man es<br />

nicht vorzieht, Zeichnung oder Karton photographisch<br />

zu vervielfältigen“ – „einen selbständigen<br />

Werth als Original“ wahrnehmen ließ. 18 Es ist zu<br />

ergänzen, daß der französische Terminus <strong>des</strong><br />

„Peintre-Graveur“ für die Originalgrafik ja im<br />

Deutschen mit dem Wort „Malerradierung“ übersetzt<br />

wurde. Thausing faßt hier also tatsächlich einen<br />

komplexen historischen Prozeß stark verkürzt<br />

zusammen, in dem sich die Radierung als das beliebteste<br />

Verfahren der Originalgrafik bekannter<br />

Autoren wie Jacques Callot oder Rembrandt herauskristallisiert<br />

hatte. Und er signalisiert, daß inzwischen<br />

auf dem allgemeinen Gebiet der Grafik<br />

die Zeichnung den Begriff von Originalität insofern<br />

gleichsam monopolisiert hatte, als deren eigentliches<br />

Komplement als Reproduktionstechnik<br />

nunmehr durch die Fotografie verkörpert wurde.<br />

Zugleich ist damit als zweites Element aus der<br />

traditionellen Diskussion um den Linienstich bei<br />

Thausing auch die Schlüsselrolle der Wiedergabe<br />

von Handzeichnungen zu erkennen. In praxisnäherer<br />

Weise taucht sie an anderer Stelle wieder auf.<br />

Stets bedacht auf Einwände, die sich auf eine zukünftige<br />

Verbesserung der Farbensensibilität der<br />

Fotografie berufen könnten, thematisiert Thausing<br />

dort als einheitliche Kategorie über die Handzeichnung<br />

hinaus den ganzen Umfang grafischer Unikate:<br />

„Wie stellt es sich aber bei der Reproduktion<br />

von Zeichnungen und Kupferstichen selbst?“ – so<br />

fragt er. „Man sollte glauben, die dunklen Striche<br />

auf lichtem Grunde bis aufs Härchen genau wiedergegeben,<br />

müßten denselben Effekt machen wie<br />

das Original; was giebt es einfacheres als diese<br />

Übertragung? Und doch ist dies in der Regel nicht<br />

der Fall. Alle Zufälligkeiten <strong>des</strong> Materials und der<br />

Konservierung treten im Lichtbilde mit derselben<br />

Prätension auf, wie die Intentionen der Meisterhand,<br />

so daß es oft schwer wird, die letzteren auch<br />

nur zu errathen, unmöglich aber den Totaleindruck<br />

im Sinne der Urbilder zu reflektieren.“ 19<br />

Thausing versucht hier offenbar, die Beobachtung<br />

materiell bzw. auch historisch bedingter Kontingenzen<br />

in der Herstellung von Kunstwerken<br />

bzw. auch im Wandel von deren Erhaltung zu einem<br />

absichtlichen Akzent der Fotografie zu machen.<br />

Er schreibt also die Irritation einer trivialen<br />

Lesbarkeit der „Intentionen der Meisterhand“ vor<br />

dem Hintergrund der „Zufälligkeiten <strong>des</strong> Materials<br />

7


und der Konservierung“ der Eigenwirksamkeit der<br />

fotografischen Technik wie einem magischen Spiegel<br />

zu, als wäre dieses Problem kennerschaftlicher<br />

Differenzierung ohne die Fotografie leichter zu erledigen.<br />

Die Konsequenz war dann, daß Thausing seine<br />

persönliche Idee von jenem „Totaleindruck der Urbilder“<br />

durch ganz handgreifliche Zensuren zur<br />

Anschauung bringen mußte. So bediente er sich in<br />

den Illustrationen fast aller seiner wissenschaftlichen<br />

Arbeiten zu Handzeichnungen Albrecht Dürers<br />

der Hilfe seines Kollegen an der <strong>Albertina</strong>, Joseph<br />

Schönbrunner (1831 – 1905), der anders als<br />

Thausing, nicht von der Universität gekommen<br />

war, sondern 1845 bis 1850 an der Wiener Kunstakademie<br />

studiert hatte, bevor er sich dem <strong>Museums</strong>dienst<br />

zuwandte. Schönbrunner „übersetzte“<br />

für Thausing die Originale, indem er sie gleichsam<br />

selektiv faksimilierend abzeichnete und damit Vorlagen<br />

für eine Holzstichreproduktion schuf. Wie<br />

weit hierbei Thausing mit der Beseitigung von Partien,<br />

die er für „Zufälligkeiten“ hielt und schließlich<br />

sogar von zweifellos bewußt gestalteten Teilen<br />

<strong>des</strong> Originals, die sich aber nicht in sein Bild von<br />

den ursprünglichen „Intentionen der Meisterhand“<br />

fügen wollten, ging, zeigt z.B. die Wiedergabe von<br />

Dürers Porträtzeichnung <strong>des</strong> Kaisers Maximilian in<br />

Thausings berühmter Monografie von 1876. „Von<br />

einer späteren Beschmierung der Zeichnung mit<br />

Weiß und Röthel muß und kann leicht abgesehen<br />

werden“, so kommentiert Thausing die angebliche<br />

Überflüssigkeit der nach heutigen Erkenntnissen<br />

immerhin von Dürer selbst später in Farbkreiden<br />

und Weißhöhung hinzugefügten Fleischtöne <strong>des</strong><br />

Porträts. Die Illustration läßt darüber hinaus auch<br />

Dürers eigenhändige Beschriftung <strong>des</strong> Blattes am<br />

rechten oberen Rand weg, und die unter der Büste<br />

<strong>des</strong> Kaisers mit schwarzer Kreide skizzierte Bildausschnittslinie,<br />

die sicher noch zum ersten Zustand<br />

der Zeichnung gehört. 20<br />

Thausing verdrängte auf diese Weise besonders<br />

kräftig jene Möglichkeit eines kreativen „malerischen“<br />

Spielens mit dem zufälligen Erscheinungsbild<br />

der Dinge, die ja schon die Renaissance speziell<br />

im diffusen Umriß von Skizzen entdeckt hatte,<br />

Skizzen, von denen Giorgio Vasari übrigens ganz<br />

direkt meinte, daß sie „fatti in forma di una macchia“<br />

wären, also geradewegs wie ein Fleck aussähen.<br />

21 Mit solch bewußtem Spiel oder auch nur der<br />

träumerischen Eingelassenheit von Skizzen, die<br />

von manischen Zeichnern nicht selten auf irgend-<br />

8<br />

welche Papierschnipsel gebracht werden und im<br />

nächsten Moment ebenso leicht im Kehricht <strong>des</strong><br />

Ateliers wieder verschwinden (daher auch gerne<br />

von beliebigen anderen Händen weiter gezeichnet<br />

werden) können, in die Kontingenz <strong>des</strong> Augenblicks<br />

scheint für Thausing die Fotografie also<br />

gleichsam verschworen. Das Komplott der beiden<br />

mußte ihn dann um so mehr „bei jenen modernsten<br />

Handzeichnungen, die von vornherein auf photographische<br />

Vervielfältigung berechnet sind“ 22 , als<br />

Subversion einer rationalen bzw. naiven Eindeutigkeit<br />

originaler Autorschaft beunruhigen.<br />

Thausing entwickelt in dieser Unruhe allerdings<br />

eine Sensibilität, die an bestimmten Stellen seines<br />

Aufsatzes das „Fotografische“ 23 tatsächlich als immanente<br />

Dimension modernen Kunstschaffens vorausahnen<br />

lassen könnte. Wohl nicht zufällig wird<br />

dabei außer dem Thema <strong>des</strong> „Malerischen“ und<br />

dem Problem der Handzeichnung auch die Skulptur,<br />

für Thausing die „Darstellerin der schönen reinen<br />

Form“ 24 par excellence, zu einem symptomatischen<br />

Problem. Thausing wagt sich hier nicht nur<br />

über triviale fotografische Reproduktionen hinaus<br />

auf das Feld der „direkten“ Fotografie, auf das er<br />

sich später sogar noch weiter durch die Diskussion<br />

von Landschafts- und Porträtaufnahmen „nach der<br />

Natur“ begibt. Er verläßt auch ziemlich unvermittelt<br />

zugleich das Feld <strong>des</strong> Kupferstichs, da für ihn<br />

bei der Reproduktion von Skulpturen das positive<br />

Pendant zur Fotografie vom Gipsabguß verkörpert<br />

wird. Da braucht es dann besonders viel Seele, um<br />

in den trockenen Stücken noch das „Land der Griechen“<br />

suchen zu können, und Thausing läßt sich<br />

hinreißen, als eigentliches Gegenbild zu den seiner<br />

Erfahrung nach stets „in der Modellierung unbestimmten,<br />

in der Gesamthaltung übertrieben dunklen“<br />

fotografischen Aufnahmen von Skulpturen<br />

Originale zu entwerfen, „deren Gestalten zumeist<br />

in den lichten Regionen einer idealen Welt geboren<br />

und für den hellen Tag berechnet sind.“ 25 Er sieht<br />

sie also romantisch und, das scheint hier noch interessanter,<br />

er sieht sie zugleich regelrecht „pleinair“<br />

vor sich, d.h. er steigt hier fast in einen impressionistischen<br />

Diskurs ein, abgesehen davon, daß er<br />

dadurch die Statuen auch deutlich aus ihrem für die<br />

klassischen Tradition wesentlichen szenografischen<br />

Verband mit der Architektur löst.<br />

Es wurde bereits angedeutet: auf direkte Fotografien<br />

greift Thausing auch aus, wo er als unanfechtbare<br />

Domänen der Kupferstichreproduktion<br />

nicht nur die Vorlage von Gemälden erklärt, son-


dern auch die freihändige Auffassung von Landschaften<br />

und Porträts „nach der Natur“. Das Landschaftsthema<br />

wird von Thausing allerdings auf derartig<br />

lapidare Weise gleichsam abgehakt – „Bezüglich<br />

der Landschaft bedarf es wohl keiner besonderen<br />

Erklärung“, so seine Worte, und dann folgt nur<br />

noch ein Satz –, daß wir hier, um vor einer Überinterpretation<br />

zu warnen, nicht ausschließen wollen,<br />

daß dahinter eine breitere zeitgenössische Theoriediskussion<br />

steht, deren Kontexte wir leider nicht<br />

genau genug kennen, auf die Thausing aber bei seinen<br />

damaligen Lesern vielleicht wirklich nur kurz<br />

anspielen mußte. Beim Versuch einer einfachen<br />

Lektüre mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln<br />

erscheint der genannte Satz allerdings fast bis<br />

zur Unverständlichkeit widerspruchsgeladen. „Eine<br />

nach der Natur photografirte Landschaft mag wissenschaftliches<br />

Interesse bieten, niemals aber ein<br />

künstlerisches; und es dürfte sich wohl kaum ein<br />

Kenner beikommen lassen, das scheckige Ding neben<br />

Blätter von Calame oder Hobbema auch nur zu<br />

legen.“ 26 Es ist schon etwas schwierig zu überlegen,<br />

welche zeitgenössischen Beispiele von Landschaftsaufnahmen,<br />

insbesondere etwa aus dem<br />

Umfeld österreichischer Fotografen, unter denen<br />

im Unterschied zu Frankreich und England der sich<br />

dem Impressionismus annähernde stark ausschnittsbetonte<br />

und stimmungshafte Stil einer<br />

„paysage intime“ kaum verbreiten konnte, Thausing<br />

vorgeschwebt haben könnten, um jenen Begriff<br />

eines „scheckigen Dings“ irgendwie zu rechtfertigen.<br />

Völlig unklar ist aber, wie Thausing damit<br />

den Gegenstand eines „wissenschaftlichen Interesses“<br />

überhaupt assoziieren, geschweige denn ernst<br />

nehmen konnte. Schließlich stiftet dieselbe Vorstellung<br />

<strong>des</strong> „scheckigen Dings“ Verwirrung im Vergleich<br />

mit Bildern oder „Blättern“ der zitierten<br />

Landschafter Meindert Hobbema und Alexandre<br />

Calame, die kunstgeschichtlich beide, der eine als<br />

Klassiker <strong>des</strong> 17., der andere mehr als Epigone <strong>des</strong><br />

19. Jahrhunderts, als zwar traditionelle, aber<br />

nichts<strong>des</strong>toweniger prononcierte Vertreter eines betont<br />

malerischen Stils zu gelten haben. Was meinte<br />

Thausing in diesem Satz? Gibt es hier vielleicht<br />

schlicht einen irrationalen blinden Fleck in seinem<br />

Diskurs?<br />

Hören wir Thausings Theorie <strong>des</strong> Porträts, die<br />

für uns einen etwas fruchtbareren Interpretationsspielraum<br />

bietet. „Was das Leben bietet, ist eine<br />

ununterbrochene Aufeinanderfolge von Erscheinungen,<br />

die sich so schnell verketten, daß man sie<br />

nicht einmal in Gedanken trennen kann. Diese Folge<br />

zu erfassen, auf Leinwand oder auf Papier zu<br />

bringen, macht die Kunst einen Umweg; sie erfindet<br />

Beiläufigkeiten. Sie sucht nicht zu überraschen<br />

und die Physiognomie festzuhalten in einem bestimmten<br />

Momente, sondern sie setzt durch zusammenfassende<br />

Anschauung einen mittleren<br />

Zeitpunkt, der mehrere reelle einbegreift und so<br />

die Aufeinanderfolge der Eindrücke simuliert, –<br />

durch diese Kunst entsteht die Illusion <strong>des</strong> Lebens.“<br />

27 Das bemerkenswerteste an dieser Passage<br />

ist vielleicht, daß sie sich eben auf die Bildgattung<br />

<strong>des</strong> Porträts bezieht, obwohl Thausing zugleich ein<br />

Lebensmodell entwirft, das a priori offenbar weder<br />

die Sicherheit der statischen Repräsentation einer<br />

menschlichen Gestalt noch die Ruhe, sich kontemplativ<br />

in deren charakteristische Züge zu vertiefen,<br />

kennt – „nicht einmal in Gedanken“. Man scheint<br />

sich hier vielmehr schon jener visuellen Wirklichkeit<br />

zu nähern, die Gilles Deleuze mit Henri Bergson<br />

im Blick auf das Medium <strong>des</strong> Films als eine<br />

„Zustand der Dinge“ imaginiert, „der sich unaufhörlich<br />

veränderte, in dem kein Verankerungspunkt<br />

oder Bezugszentrum mehr angebbar wäre.“<br />

28 Es fragt sich, ob das klassische Porträt unter<br />

derartigen Voraussetzungen überhaupt noch als<br />

solches funktionieren kann. Bei Thausing ist ja<br />

zum Beispiel auch von einem für die klassische<br />

Kunsttheorie <strong>des</strong> Porträts wesentlichen Topos: von<br />

der Notwendigkeit der Idealisierung der porträtierten<br />

Persönlichkeit nicht mehr die Rede, sondern<br />

nur noch davon, wie man den Eindruck ihrer Lebendigkeit,<br />

vollständig definiert als Bewegung, im<br />

Bild erhält.<br />

(Alt-)Meisterzeichnungen aus der <strong>Albertina</strong> als<br />

moderne Publikumsattraktion<br />

Wie bereits angedeutet, hatte die <strong>Albertina</strong> schon<br />

deutlich vor Thausings Antritt als Leiter der Institution,<br />

d.h. in den späten 1850er Jahren, auf ganz<br />

pragmatischer Ebene eine sehr lebhafte Beziehung<br />

zur Fotografie geknüpft, nämlich als schlichte Reproduktion,<br />

die entscheidend dazu beitrug, ihren<br />

öffentlichen Ruf zu stärken. Historisch korrekt gesprochen,<br />

müßte man hier zwar sagen: sie ließ diese<br />

Beziehung vorerst nur zu, denn die entsprechenden<br />

Projekte wurden an die Sammlung zunächst<br />

von außen heran getragen. Tatsache ist jedoch, daß<br />

die <strong>Albertina</strong> im allgemeinen um die Mitte <strong>des</strong> 19.<br />

9


Jahrhunderts längst das Ansehen eines ungewöhnlich<br />

offenen <strong>Museums</strong>betriebs genoß, der sowohl<br />

den Anliegen eines breiteren bildungsbürgerlichen<br />

Publikums wie den spezielleren Anliegen der Fachgelehrten<br />

von der gerade auflebenden jungen Disziplin<br />

der kunstgeschichtlichen Forschung bereitwillig<br />

diente. Es ist unvermeidlich zu betonen, daß<br />

auch hier, und zwar auf beiden Seiten, bei den bildungsbegeisterten<br />

Laien und den Wissenschaftlern,<br />

die Handzeichnungenbestände im Zentrum <strong>des</strong> populärsten<br />

Interesses lagen, weniger die Druckgrafik.<br />

Handzeichnungen der <strong>Albertina</strong> waren schließlich<br />

bereits in vorfotografischer Zeit in einer beachtlichen<br />

Anzahl durch die manuelle Reproduktion<br />

bekannt geworden. Von verschiedenen der berühmtesten<br />

Blätter, vor allem solchen der italienischen<br />

Renaissance, existierten sogar Wiedergaben,<br />

die entstanden waren, noch bevor sie Albert von<br />

Sachsen-Teschen für sich erwarb. Adam Bartsch<br />

zum Beispiel, der ungeachtet seines eigentümlich<br />

gebrochenen Systems <strong>des</strong> „Peintre Graveur“ zu den<br />

wichtigsten Vertretern der Kultur <strong>des</strong> manuellen<br />

Handzeichnungenfaksimiles zu zählen ist, publizierte<br />

u.a. eine ganze Reihe jener kostbaren Studien<br />

und Entwürfe Albrecht Dürers aus der Kupferstichsammlung<br />

der Wiener Hofbibliothek, die<br />

ehemals Kaiser Rudolf IV. gehört hatten, und erst<br />

1796 in den Besitz Alberts von Sachsen-Teschen<br />

übergingen. Bartsch war auch tatsächlich der erste,<br />

der zwischen 1798 und 1807 Reproduktionen nach<br />

Zeichnungen in der Sammlung <strong>des</strong> Herzogs selbst<br />

vorlegte. 29 Bartschs Faksimiles sowie die ungleich<br />

monumentalere Serie der zwischen 1826 und 1840<br />

erschienen „Lithographirten Copien von Original-<br />

Handzeichnungen berühmter Meister aus der<br />

Sammlung Sr. K. H. <strong>des</strong> Durchl. Erzherzogs Carl“<br />

(<strong>des</strong> ersten Erben Alberts von Sachsen-Teschen)<br />

galten neben einigen kleineren manuellen Reproduktionen<br />

noch Franz Wickhoff, der 1891/92 den<br />

ersten historisch-kritischen Katalog für die italienischen<br />

Zeichnungen im Besitz der <strong>Albertina</strong> verfaßte,<br />

wie spätere Fotografien als verläßliche Bilddokumente<br />

und haben die nachhaltige Kontinuität einer<br />

breiten öffentlichen und internationalen Aufmerksamkeit<br />

auf die Sammlung der <strong>Albertina</strong><br />

zweifellos mitbegründet.<br />

Wie noch heute, und damit wohl nicht ganz zu<br />

unrecht, wiederholte sich zur Erklärung der allgemeinen<br />

Attraktion dieser Erscheinungen das Versprechen,<br />

durch die Kenntnis von Handzeichnungen<br />

wenn nicht geradewegs zum Geheimnis künst-<br />

10<br />

lerischer Originalität, so zumin<strong>des</strong>t zu wichtigen<br />

Archivalien <strong>des</strong> künstlerischen Produktionsprozesses<br />

vordringen zu können, wobei sich die Spannung<br />

eines solchen Blicks hinter die Kulissen<br />

exemplarisch vollendeter Werke bei den inzwischen<br />

vielleicht schon zu oft gesehenen und noch<br />

mehr vielleicht zu oft hoch gepriesenen klassischen<br />

und alten Meister verständlicherweise noch leichter<br />

aufbauen ließ. Es ist charakteristisch, daß sich<br />

die Fotografie bei der Anbahnung dieses neuen Bildungserlebnisses<br />

erst recht als ein Instrument stilisierte,<br />

mit <strong>des</strong>sen Hilfe man, dem emphatischen<br />

Entdeckergeist <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts entsprechend,<br />

ins Museum, hier also in die <strong>Albertina</strong>, regelrechte<br />

Abenteuerreisen bzw. auch wissenschaftliche Exkursionen<br />

unternehmen konnte. „Man berichtet uns<br />

eben von einem Plan, die Schönheiten der österreichischen<br />

Alpenwelt durch photographische Bilder<br />

[...] den Forschern und Freunden der Natur im weitesten<br />

Umfange zugänglich zu machen. [...] Auf<br />

dem Gebiete der Kunst gibt es auch eine Alpenwelt<br />

voll großartiger Schönheit und seelenstärkender<br />

Lebensfrische, – die Welt der alten Meister in unseren<br />

Galerien und Museen, viel besucht allerdings<br />

auf den gangbaren Straßen durch das Heer der Touristen,<br />

aber in ihren Tiefen und an den Kernstellen<br />

<strong>des</strong> Urgebirges wenig gekannt und oft sogar gefürchtet.<br />

– Die Photographie ist eines der Zaubermittel,<br />

kraft derer unsere Zeit sich den Riesen der<br />

Berge vertraulich zu nähern gewußt hat. Vor ihr<br />

thun sich die Pforten der Kabinette, welche dem<br />

bescheidenen Kupferstecher lange durch abschrekkende<br />

Kobolde von Konservatoren verschlossen<br />

waren, mit offizieller Bereitwilligkeit auf. Sie<br />

nimmt den vergilbten Blättern in der Zeichnungsmappe<br />

ihr staubig bescheidenes Ansehen und leiht<br />

ihnen dafür das bestechende Modegraubraun, in<br />

welches jetzt alle Schönheiten dieser Welt, wollen<br />

sie anders in den Albums und Medaillons der Photographie<br />

zu wahrhafter Popularität gelangen, sich<br />

zu kleiden gezwungen sind.“ So hieß es beispielsweise<br />

in einer zeitgenössischen Rezension der Albrecht-Gallerie,<br />

einer 300 Aufnahmen umfassenden<br />

Serie von Fotografien nach Zeichnungen der<br />

<strong>Albertina</strong> <strong>des</strong> Wiener Fotografen Gustav Jägermayer<br />

von 1863 bis 1866. 30<br />

Voller Pathos verbanden sich mit der <strong>Albertina</strong><br />

die Fotografie, das Interesse einer möglichst breiten<br />

Öffentlichkeit und der Eifer um den Fortschritt<br />

wissenschaftlichen Denkens nicht zuletzt auf dem<br />

ersten Internationalen Kunsthistorikerkongreß, der


1873 gleichzeitig mit der Weltausstellung in Wien<br />

tagte. Unter der Federführung <strong>des</strong> Leipziger Universitätsprofessors<br />

Anton Springer plante man hier<br />

u.a. das Projekt einer „Gesellschaft, welche die<br />

Photographie im Dienste der Kunstwissenschaft<br />

und <strong>des</strong> Kunstunterrichts verwerthet“. Man fühlte<br />

sich bemüßigt, dieser Gesellschaft den Namen „<strong>Albertina</strong>“<br />

zu geben, und zwar „zur Erinnerung sowohl<br />

an den kunstsinnigen Prinzgemahl Albert von<br />

England, welcher zuerst die Photographie in großem<br />

Maßstab für kunstwissenschaftliche Zwecke<br />

verwendete, wie zur Erinnerung an die größte und<br />

liberalste Sammlung von Handzeichnungen auf<br />

dem Continent, die Wiener <strong>Albertina</strong>.“ 31<br />

Aufnahmen von Handzeichnungen aus der <strong>Albertina</strong><br />

durch die Florentiner Firma der Gebrüder<br />

Alinari von 1858 hatten, neben solchen aus den<br />

grafischen Kabinetten der Uffizien und der Venediger<br />

Akademie, tatsächlich bedeutenden Anteil an<br />

dem großen Unternehmen Prinz Alberts, ein fotografisches<br />

Archiv zum Werk Raffaels anzulegen. 32<br />

Daß sich die Geschichte der <strong>Albertina</strong> damit zugleich<br />

mit den frühesten exemplarischen Publikationen<br />

eines der ältesten und bis heute bedeutendsten<br />

fotografischen Kunstverlage in Europa berührt,<br />

gilt auch für die Aufnahmen <strong>des</strong> Elsässers<br />

Adolphe Braun. Im Rahmen einer veritablen<br />

„Kampagne“ fotografierten Mitarbeiter <strong>des</strong> damals<br />

noch ganz jungen Zweigs der Kunstreproduktion<br />

von Brauns Firma 1867 1098 Originale aus der <strong>Albertina</strong>.<br />

33 Ein Jahr zuvor hatte Braun von dem Engländer<br />

Joseph Wilson Swan die Lizenz zur Verwendung<br />

<strong>des</strong> Pigmentdrucks (auch Kohle- oder Karbondruck)<br />

erworben, durch den Fotografien auf ein<br />

weitgehend lichtunempfindliches Material übertragen<br />

werden konnten und zudem mit verschiedenen<br />

Färbungen zu verbinden waren, was gerade auch<br />

Brauns Handzeichnungenfaksimiles in Schwarz-,<br />

Grau-, Sepia-, Röteltönen etc. eine begeisterte Aufnahme<br />

im kunstinteressierten Publikum verschaffte.<br />

1873, als Brauns Firma wesentlich auf der<br />

Grundlage der Kunstreproduktion in kürzester Zeit<br />

zu einem europaweit führenden Großbetrieb expandiert<br />

hatte, waren es daher exklusiv seine Kohledrucke,<br />

mit denen Anton Springers „Gesellschaft<br />

<strong>Albertina</strong>“ den umfassenden Aufbau eines fotografischen<br />

„Urkundenschatzes der Kunstgeschichte“<br />

ins Werk zu setzen gedachte. „Zu diesen Urkunden“<br />

rechnete Springer mit besonderer Berücksichtigung<br />

„die Handzeichnungen, freie Entwürfe sowohl<br />

wie die Studien für ausgeführte vorhandene<br />

Werke“, um nachdrücklich hervorzuheben, daß es<br />

gerade auf diesem Gebiet „noch eine Reihe Inedita“<br />

gab, „köstliche Werke, die bisher nicht reproducirt<br />

wurden [...] und deren anschauliche Kenntnis<br />

doch nicht entbehrt werden kann“, was natürlich<br />

unmittelbar das vitale Interesse der kunstgeschichtlichen<br />

Forschung an einer beweiskräftigen Dokumentation<br />

ihres wissenschaftlichen Fortschritts ansprechen<br />

mußte. 34<br />

Bedeutende Beiträge Wiener Reproduktionstechniker<br />

Das Versprechen der Neuheit, einer vielleicht sogar<br />

für jedermann aufregenden Entdeckung (wie es<br />

sich ja in der oben zitierten Rezension von Gustav<br />

Jägermayers Albrecht-Gallerie sehr lebhaft zu<br />

spiegelte), und wohl nicht zuletzt der beneidenswerte<br />

Erfolg von Geschäftsleuten wie den Alinari<br />

oder Adolphe Braun mußte natürlich auch die Eigeninitiative<br />

<strong>des</strong> fotografischen Gewerbes anspornen.<br />

Der Aufgabe der Herstellung und Publikation<br />

von Handzeichnungenreproduktionen nach Originalen<br />

aus der <strong>Albertina</strong> wird man sich dabei um so<br />

bereitwilliger gewidmet haben, als man hoffen<br />

durfte, daß die mit der Sammlung zugleich konnotierbare<br />

Aura eines zeitlosen Bildungsauftrags zugunsten<br />

eines gediegeneren bürgerlichen Ansehens<br />

auch auf das eigene Metier abfärben könnte. Die<br />

klassischen und alten Meister der <strong>Albertina</strong>, so ungefähr<br />

von der Renaissance bis an die Schwelle der<br />

Aufklärung, erwiesen sich daher nicht zuletzt für<br />

die Wiener Fotografenszene seit den 1860er Jahren<br />

als willkommenes Experimentierfeld, auf dem rein<br />

technisch allerdings sehr ernsthafte Standards gesetzt<br />

wurden. Diese enge und tatsächlich für beide<br />

Seite sehr fruchtbare Beziehung sollte das ganze<br />

19. Jahrhundert anhalten, und sie sollte gewissermaßen<br />

sogar erst im frühen 20. Jahrhundert gipfeln,<br />

als man mit den zwischen 1922 und 1928<br />

durch Joseph Meder und nach ihm durch Alfred<br />

Stix herausgegebenen und bei Anton Schroll verlegten<br />

Serien der „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“ von der<br />

Hand Max Jaffés effektiv eine international überragende<br />

Spitzenleistung der Wiener Reproduktionstechnik<br />

erreichte. Kein Wunder, daß der Schroll-<br />

Verlag den legendären Ruf dieses Produktes nutzte,<br />

um die „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“ als Prädikatsmarke<br />

auch auf die Reproduktion von Originalen aus anderen<br />

Provenienzen zu übertragen. 35 Ein kurzer<br />

11


Überblick über die verlegerisch und reproduktionstechnisch<br />

interessantesten Publikationen mag zeigen,<br />

wie intensiv sich die Symbiose zwischen der<br />

Zeichnungensammlung der <strong>Albertina</strong> als einer besonders<br />

privilegierten Quelle der kunstgeschichtlichen<br />

Forschung und der Wiener Fotografie mit ihrer<br />

ausgeprägten Neigung zu den praktischen und<br />

wissenschaftlichen Anwendungen der neuen Technik<br />

sowie einer bedeutenden handwerklichen Kultur<br />

entwickelte.<br />

Die neben der schon mehrmals erwähnten Albrecht-Gallerie<br />

Gustav Jägermayers wichtigste<br />

rein fotografische Edition von Aufnahmen nach<br />

Originalen der <strong>Albertina</strong> erfolgte im Rahmen der<br />

gleichzeitig begonnenen Fotografien, die das eben<br />

gegründete K. K. Österreichische Museum für<br />

Kunst und Industrie (heute Museum für angewandte<br />

Kunst) in Wien seit 1864 herausgab. Dieses Projekt<br />

war nach dem Vorbild <strong>des</strong> Londoner South<br />

Kensington Museum ein fester Bestandteil <strong>des</strong><br />

Wiener Hauses, das mit seiner Gründung im selben<br />

Jahr statutengemäß eine eigene fotografische<br />

„Hilfsanstalt“ unter seinem Dach eingerichtet und<br />

die Leitung dieses Ateliers dem namhaften Wiener<br />

Fotografen Ludwig Angerer übergeben hatte. 36 Die<br />

bis 1879 erschienenen fünf verschieden großen Serien<br />

waren aus insgesamt 167 Reproduktionen von<br />

kunstgewerblichen Gegenständen einerseits, andererseits<br />

von insgesamt 162 Altmeisterzeichnungen<br />

zusammengesetzt, wobei die letzteren 102 Blätter<br />

aus der <strong>Albertina</strong> zeigten, die übrigen hauptsächlich<br />

Originale aus der Sammlung <strong>des</strong> Fürsten<br />

Esterházy (heute Besitz <strong>des</strong> Budapester <strong>Museums</strong><br />

der bildenden Künste). Es ist nicht unwichtig, darauf<br />

hinzuweisen, daß Angerers Fotografien eigentlich<br />

die Leihgaben dokumentierten, mit denen das<br />

Österreichische Museum von Anfang an einen<br />

Wechselausstellungsbetrieb unterhielt. Diese „Loan<br />

Collections“ sollten teils das Fehlen einer eigenen<br />

Sammlung kompensieren, teils aber bewußt auf<br />

den stärkeren Aktualitätsgehalt temporärer Präsentationen<br />

und vor allem auf eine kommunikative Instrumentalisierung<br />

<strong>des</strong> Interesses jener gesellschaftlichen<br />

Kreise als Leihgeber zielen, die sich<br />

die exemplarischen Exponate, die man als Muster<br />

für eine Reform der nationalen kunstgewerblichen<br />

Produktion verstanden wissen wollte, tatsächlich<br />

leisten konnten. Für die Zeichnungen der <strong>Albertina</strong>,<br />

die in der erstrebten neuen Synthese von<br />

„Kunst und Industrie“ allem Anschein nach, als Paradigma<br />

freien schöpferischen Gestaltens, <strong>des</strong> klas-<br />

12<br />

sischen „Disegno“, an sich und in der Auswahl als<br />

„Stylproben“ der namhaftesten Meister der Vergangenheit<br />

(vor allem Raphael und Dürer), den historischen<br />

Part höherer Kunst repräsentieren sollten,<br />

war dies übrigens überhaupt die erste Gelegenheit,<br />

auf einer Ausstellung zur Geltung zu kommen. 37<br />

1864 wurden aber mit besonderer Emphase auch<br />

die ersten durch ein fotomechanisches Druckverfahren<br />

vervielfältigten Reproduktionen nach Handzeichnungen<br />

der <strong>Albertina</strong> publik. Die beeindrukkende<br />

Kontinuität <strong>des</strong> Interesses für die Originale<br />

der <strong>Albertina</strong> als Mustervorlagen, insbesondere der<br />

Zeichnungen Albrecht Dürers, auf Seiten <strong>des</strong> Wiener<br />

Reproduktionsgewerbes sowie die dauernde<br />

Publikationstätigkeit der <strong>Albertina</strong> selbst auf diesem<br />

Gebiet bringt im 19. Jahrhundert tatsächlich<br />

nahezu von allen einschlägigen Typen <strong>des</strong> fotomechanischen<br />

Drucks, der ja ganz wesentlich für eine<br />

weitere und schnellere Verbreitung der Bilder arbeitete,<br />

Proben hervor.<br />

1864 handelte es sich zunächst um Fotolithografien<br />

von der Hand Julius Leths nach Federentwürfen<br />

Albrecht Dürers zum Triumphzug Kaiser Maximilians<br />

I., mit denen Leth auf der prominenten<br />

und international beschickten ersten Ausstellung<br />

der Wiener „Photographischen Gesellschaft“ vertreten<br />

war. Leth praktizierte damit als einer ihrer<br />

frühesten Techniker im deutschsprachigen Raum<br />

die Fotolithografie zugleich als das „erste breit verwendete<br />

photomechanische Reproduktionsverfahren“.<br />

38 Leth schrieb sich allerdings mit noch größerem<br />

Erfolg durch seine Fotoxylografien in die Fortschrittsgeschichte<br />

der Wiener Reproduktionstechnik<br />

ein. 1870 wurde ihm für die Mitteilung dieses<br />

Verfahrens von der Jury der Photographischen Gesellschaft<br />

in Wien die silberne Voigtländer-Medaille<br />

zuerkannt. Es freut natürlich, daß der Jahrgang<br />

1871 der Photographischen Correspondenz, in der<br />

als ihrem Vereinsorgan die Gesellschaft ihre Entscheidung<br />

bekannt gab, zwei entsprechenden Bildbeigabe<br />

nach Originalen Dürers aus der <strong>Albertina</strong>,<br />

wohl in Leths Wiederverwendung seiner Negative<br />

von 1864, enthielt. 39 Der Holzschnitt (eigentlich<br />

Holzstich) repräsentierte damals als buchdruckparallele<br />

und damit als ausgesprochene Illustrationstechnik<br />

eine majestätische Forderung <strong>des</strong> Marktes,<br />

mit der Leth zweifellos rechnete. Die Fotoxylografie<br />

kam aber, freilich sehr kompromißhaft, zugleich<br />

einer gewissen restaurativen Mythisierung <strong>des</strong><br />

Holzschnitts als einer im 15. und 16. Jahrhundert<br />

ebenso populären wie dann gerade durch Dürer ex-


trem hochgezüchteten, folglich mit der Weihe einer<br />

besseren altdeutschen und „poetischeren“ Vergangenheit<br />

umwobenen druckgrafischen Disziplin entgegen.<br />

Auf dieser Basis dürfte Leth im speziellen<br />

auch Kontakt zu Moritz Thausing bzw. wohl unter<br />

Thausings Einfluß auch zur konservativen Wiener<br />

Gesellschaft für vervielfältigende Kunst gefunden<br />

haben. So stammten von ihm zusammen mit dem<br />

renommierten Xylografen Friedrich Wilhelm Bader,<br />

der bereits 1870 und 1871 sein Partner gewesen<br />

war, die Reproduktionen zu der 1872 von der<br />

Wiener Photographischen Gesellschaft herausgegebenen<br />

und von Moritz Thausing kommentierten<br />

schmuckvollen Ausgabe von „Dürers Reiterskizzen<br />

zum Triumphzuge Kaiser Maximilians I.“. Zur<br />

selben Zeit bereitete die Gesellschaft für vervielfältigende<br />

Kunst als ihre erste „außerordentliche Publikation“<br />

die Herausgabe einer durch Julius Leth<br />

und Friedrich Wilhelm Bader bewerkstelligten<br />

Faksimileedition der damals noch Dürer zugeschriebenen<br />

„Grünen Passion“ in der <strong>Albertina</strong> vor.<br />

Das Projekt hatte sicher programmatischen Charakter,<br />

schleppte sich aber trotzdem bis min<strong>des</strong>tens<br />

1875 hin und dürfte schließlich sogar gescheitert<br />

sein. 40<br />

Der nächste wichtige Schritt auf dem Gebiet der<br />

fotomechanischen Reproduktion geschah in Wien<br />

durch den schon genannten Ludwig Angerer, der<br />

1869 das Patent <strong>des</strong> Lichtdrucks von Joseph Albert<br />

in München erwarb. Ob unter den Lichtdrucken,<br />

die Angerer in der im November 1871 eröffneten<br />

„Musterausstellung der vaterländischen Kunstindustrie“<br />

im Österreichischen Museum zeigte, auch<br />

Wiedergaben von Originalen aus der <strong>Albertina</strong> waren,<br />

ist nicht eindeutig zu klären. Max Jaffé hob in<br />

seiner Rezension der Ausstellung an Angerers „Reproduktionen<br />

mehrerer colorirter Zeichnungen Dürer’s<br />

aus der <strong>Albertina</strong>“ recht allgemein natürlich<br />

die Prominenz der Originale bzw. an den „Copien“<br />

sonst nur deren vergleichsweise „wärmeren“<br />

Grundton hervor, wobei er nicht zu erkennen gab,<br />

welcher Manipulation sich dieser Effekt genau verdankte.<br />

41 Daher können wir als früheste erhaltene<br />

Belege von Lichtdrucken (nach Zeichnungen der<br />

<strong>Albertina</strong>) erst einzelne Blätter in der 1883 für das<br />

Österreichischen Museum für Kunst und Industrie<br />

produzierten Sammlung „Reproductionen von Original-Zeichnungen<br />

und kunstgewerblichen Gegenständen“<br />

von Ludwig Angerers Bruder Viktor nennen.<br />

Viktor Angerer verwandte hier vermutlich ältere<br />

Negative aus dem Plattenbestand <strong>des</strong> Fotoate-<br />

liers im Österreichischen Museum, wo er als Mitarbeiter<br />

von Ludwig schon länger beschäftigt gewesen<br />

war, bzw. aus dem firmeneigenen Besitz. Der<br />

reproduktionstechnische Mustercharakter der „Reproductionen“<br />

von 1883 kommt außer in den Lichtdrucken<br />

besonders in der großen Anzahl von Heliogravüren<br />

und in zwei Abbildungen nach Federzeichnungen<br />

Dürers aus der <strong>Albertina</strong> in einem fotolithografieähnlichen<br />

Verfahren, die das Monogramm<br />

der Firma Angerer & Göschl tragen, zur<br />

Geltung.<br />

Gleichzeitig und nach Viktor Angerer entstanden<br />

im Laufe der 1880er und 1890er Jahre Heliogravürereproduktionen<br />

von Originalen aus der <strong>Albertina</strong><br />

dann besonders im K. K. militärgeographischen<br />

Institut und bei Angerers Schwiegersohn Jacob<br />

Blechinger.<br />

Als Tiefdruckverfahren war die Heliogravüre<br />

wie damals alle nicht hochdruckenden Grafiktechniken<br />

von vorne herein für tafelförmige Bildbeigaben<br />

prä<strong>des</strong>tiniert. Gegenüber dem Lichtdruck zeigt<br />

sie unter der Lupe eine vollkommen unregelmäßig<br />

differenzierte Oberfläche und in ihrer malerischen<br />

Erscheinung tiefe samtige Schwärzen sowie speziell<br />

jenen derben Reiz <strong>des</strong> Plattenabdrucks, der<br />

der Arbeit tatsächlich eine gewisse handwerkliche<br />

Prägung verleiht und im 19. Jahrhundert bekanntermaßen<br />

gerne als blin<strong>des</strong> Muster <strong>des</strong> Papiergrun<strong>des</strong><br />

bzw. als Darstellungsspiegel zur „Veredelung“<br />

von Flach- und Hochdrucken, übrigens auch zur<br />

Rahmung von eingeklebten Fotografien (vgl. die<br />

Albrecht-Gallerie von Gustav Jägermayer), eingesetzt<br />

wurde. Es ist im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten,<br />

die noch die piktorialistische Fotografie<br />

um und nach 1900 aus der Heliogravüre<br />

schöpfen sollte, wohl nicht ganz gerecht, in ihrer<br />

Verwendung nur einen archaisierenden Luxus zu<br />

erblicken. 42 Berücksichtigt man allerdings die charakteristischen<br />

Kontexte, in denen die Handzeichnungen<br />

der <strong>Albertina</strong> unter der Verwendung der<br />

Heliogravüre bevorzugt publiziert wurden, vor allem<br />

die Zeitschrift der Gesellschaft für vervielfältigende<br />

Kunst, Die graphischen Künste (seit 1879),<br />

und dann das Jahrbuch der kunsthistorischen<br />

Sammlungen <strong>des</strong> allerhöchsten Kaiserhauses (seit<br />

1883; heute: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen<br />

in Wien), so ist wohl naheliegend, daß diese<br />

Organe mit der arbeitsaufwendigen und kostspieligen<br />

Heliogravüre auf jeden Fall einen bestimmten<br />

reproduktionsästhetisch repräsentativen Anspruch<br />

verbunden haben. Ironischerweise setzte sich die<br />

13


Gesellschaft für vervielfältigende Kunst mit ihrem<br />

großzügigen Einstieg in die Heliogravüre als einer<br />

fotomechanisch fundierten Technik 1879 sowohl<br />

besonders konservativen Vorwürfen wie in der Folge<br />

von Seiten <strong>des</strong> fotografischen Gewerbes durch<br />

ihre enge Kooperation mit dem Militärgeographischen<br />

Institut dem Vorwurf marktschädigenden<br />

Verhaltens aus. 43 Dem Jahrbuch der kunsthistorischen<br />

Sammlungen <strong>des</strong> allerhöchsten Kaiserhauses<br />

war bereits 1883 die Priorität in der Veröffentlichung<br />

von Originalen aus der <strong>Albertina</strong> zugesagt<br />

worden. 44 Wichtige Beispiele stellen hier die mit<br />

15 Heliogravüren <strong>des</strong> Militärgeographischen Instituts<br />

ausgestattete Publikation von Simon Laschnitzer<br />

Artistisches Quellenmaterial aus der <strong>Albertina</strong><br />

und der mit vier Heliogravüren von Jacob Blechinger<br />

illustrierte Aufsatz von Hermann Dollmayr<br />

„Raffaels Werkstätte“ dar. 45<br />

Die Kooperation der <strong>Albertina</strong> mit den fähigsten<br />

Meistern <strong>des</strong> Wiener Lichtdrucks kommt in den<br />

1890er Jahren vor allem in zwei monumentalen<br />

und speziell für das gesteigerte und offiziell geförderte<br />

Selbstbewußtsein der <strong>Albertina</strong> als Hochburg<br />

<strong>des</strong> kunstgeschichtlichen Studiums kennzeichnenden<br />

Reproduktionsunternehmen zur Geltung. Es<br />

handelt sich um die durch Josef Schönbrunner und<br />

Josef Meder edierten Dürerblätter der <strong>Albertina</strong>,<br />

deren Publikation nach langen Verhandlungen als<br />

fünfter und letzter Band 1905 im Rahmen <strong>des</strong> von<br />

Friedrich Lippmann 1883 begonnenen Kataloges<br />

der Zeichnungen von Albrecht Dürer in Nachbildungen<br />

erfolgte, und um das enorme Korpuswerk<br />

der von Schönbrunner und Meder zwischen 1896<br />

und 1908 herausgegebenen Handzeichnungen alter<br />

Meister aus der <strong>Albertina</strong> und anderen Sammlungen.<br />

46<br />

Auf die museums- wie wissenschaftspolitisch<br />

überaus interessanten Kompetenzstreitigkeiten, die<br />

in der Entstehungsgeschichte von Friedrich Lippmanns<br />

Œuvreverzeichnis der Handzeichnungen<br />

Dürers zwischen der <strong>Albertina</strong> und einem Protagonisten<br />

der preußischen <strong>Museums</strong>szene auftraten,<br />

kann hier leider nicht näher eingegangen werden. 47<br />

Immerhin mußten zur Schlichtung dieser „Affäre“<br />

der Oberstkämmerer Erzherzog Albrechts als <strong>des</strong><br />

Eigentümers der <strong>Albertina</strong> sowie der Finanzchef<br />

<strong>des</strong> österreichischen Kaiserhauses hier und dort das<br />

Amt <strong>des</strong> Obersthofmeisters der deutschen Kaiserin<br />

Viktoria intervenieren, bis endlich im Mai 1901 eine<br />

offizielle Reproduktionserlaubnis auf dem Tisch<br />

lag.<br />

14<br />

Den Zuschlag für die Aufnahmen und deren Vervielfältigung<br />

im Lichtdruck erhielt der auf diesem<br />

Gebiet bereits seit den frühen 1870er Jahren erfahrene<br />

und international renommierte Wiener Fotograf<br />

Josef Löwy, der auch schon die ganzseitigen<br />

Illustrationstafeln zu Franz Wickhoffs Katalog der<br />

italienischen Zeichnungen 1891/92 produziert hatte.<br />

Die reproduktionstechnische Glanzleistung seiner<br />

farbigen Wiedergaben der Dürerzeichnungen<br />

demonstrierte sich nicht nur im Juli 1904 durch die<br />

Präsentation der Drucke auf der großen „Ausstellung<br />

der Photographischen Gesellschaft in Wien im<br />

k. k. österreichischen Museum für Kunst und Industrie“<br />

mitsamt einer authentischen Probe als<br />

„Kunstbeilage“ im zugehörigen Katalog. Im darauffolgenden<br />

September besuchte sogar der österreichische<br />

Unterrichtsministers Wilhelm von Hartel<br />

Löwys Atelier, um speziell seine Dürerreproduktionen<br />

zu bewundern, worüber die Photographische<br />

Correspondenz natürlich voller Zufriedenheit<br />

berichtete. 48<br />

In der Werkstatt von Max Jaffé – er hatte übrigens<br />

zu Beginn seiner Karriere zwischen 1869 und<br />

1873 bei Josef Löwy gearbeitet – waren in<strong>des</strong>sen<br />

seit 1895 die Lichtdrucke für Schönbrunner und<br />

Meders Handzeichnungen alter Meister entstanden,<br />

die seit 1896 im Wiener Verlag von Martin Gerlach<br />

und Ferdinand Schenk, ab dem siebtem Band dann<br />

im alleinigen Verlag von Schenk herauskamen. Die<br />

zwölf Bände bzw. Jahrgänge umfaßten insgesamt<br />

1440 Farbtafeln, wovon 825 Zeichnungen aus der<br />

<strong>Albertina</strong> abbildeten, die übrigen Originale vornehmlich<br />

aus Sammlungen der österreichischen<br />

Monarchie und ergänzend aus verschiedene bekannten<br />

Kabinetten <strong>des</strong> Auslan<strong>des</strong>. Man beabsichtigte<br />

damit, einen möglichst vollständigen Überblick<br />

über alle Richtungen der europäischen Zeichenkunst<br />

vom 14. bis zum 18. Jahrhundert zu geben.<br />

Obwohl man also kein Urteil über die Stilentwicklungen<br />

der eigenen modernen Epoche wagte,<br />

kultivierten Schönbrunner und Meder im historischen<br />

Rahmen doch eine vergleichsweise sehr<br />

weitläufige Offenheit gegenüber einer großen Vielfalt<br />

von künstlerisch bedeutenden wie provinziellen,<br />

klassischen und primitiven, namhaften und anonymen<br />

Originalen. Wir werden dann noch zu hören<br />

haben, daß in Jaffés und Meders späteren „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“<br />

ein spürbar elitäreres Konzept<br />

erblickt werden konnte.<br />

Schönbrunner und Meder suchten bei ihren<br />

„Handzeichnungen“ hingegen eher einen Mittel-


weg zwischen repräsentativer Facsimilierung und<br />

nüchterner Bilddokumentation. Unter die feiner<br />

abgestimmten Farblichtdrucke war daher eine ganze<br />

Anzahl von als „Cliché-Drucken“ ausgewiesenen<br />

autotypischen Reproduktionen der Firma Angerer<br />

& Göschl gemischt, d.h. von Drucken in einem<br />

Verfahren, das bis zu seiner Ablösung durch<br />

den Rakeltiefdruck und Offsetdruck als Inbegriff<br />

einer für Massenauflagen gedachten Halbtonillustrationstechnik<br />

galt. 49 Dies machte das Unternehmen<br />

natürlich zugleich relativ erschwinglicher,<br />

wenngleich damit entsprechende Einbußen an reproduktionstechnischer<br />

Qualität einhergingen, die<br />

sowohl gegenüber den gleichzeitigen Dürerfaksimiles<br />

Josef Löwys wie gegenüber Jaffès „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“<br />

ab 1922 doch recht deutlich spürbar<br />

erscheinen. Während Anton Reichel in seiner<br />

noch zu zitierenden Rezension im Vergleich zwischen<br />

den Handzeichnungen und den „<strong>Albertina</strong>-<br />

Facsimiles“ den auf Vollständigkeit hin orientierten<br />

riesenhaften Umfang von Schönbrunners und<br />

Meders Publikation interessanterweise sowohl mit<br />

der wissenschaftlichen Grundhaltung der Autoren,<br />

ihrer „historisch-evolutionistischen Auffassung“,<br />

als auch mit dem „Bestreben, in lehrhafter Form<br />

möglichst breite Kreise für die Sache zu interessieren“,<br />

assoziierte 50 , ist zu erinnern, daß Schönbrunner<br />

und Meder durch die Handzeichnungen als Publikation<br />

aus der Sammlung der <strong>Albertina</strong> die<br />

Kenntnis der Originale nicht nur einer zunehmend<br />

massenmedial dominierten Kommunikationskultur<br />

anpaßten. Es war vielmehr besonders auch Josef<br />

Meders Verdienst, durch die Einführung von periodisch<br />

wechselnden Ausstellungen im eigenen<br />

Haus der <strong>Albertina</strong>, den Zugang zur Sammlung einem<br />

breiten und schnelllebigen Publikum zu erschließen.<br />

Diese verschiedenen Notwendigkeiten der Rücksichtnahme<br />

auf eine moderne Rezeptionshaltung<br />

waren schon früher innerhalb anderer charakteristischer<br />

Institutionen der bürgerlich-konservativen<br />

bzw. historistischen Kunstpflege in Wien zum Ausdruck<br />

gekommen. Es ist ja aufschlußreich, daß die<br />

Wiener „Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“,<br />

die anfangs ganz als Statthalterin <strong>des</strong> „klassischen“<br />

Kupferstichs und allenfalls <strong>des</strong> „altdeutschen“<br />

Holzschnitts aufgetreten war, im Editorium <strong>des</strong> ersten<br />

Jahrgangs ihrer großen seit 1879 erscheinenden<br />

Zeitschrift Die graphischen Künste im „Interesse<br />

der Actualität“ ihrer Publikationen deutlich<br />

ein versöhnlicheres Verhältnis zur Fotografie wie<br />

übrigens auch zur „Original-Radirung“ signalisierte,<br />

wobei man im Hinblick auf die Integration fotografisch<br />

gestützter Reproduktionstechniken einerseits<br />

an weniger repräsentative „Text-Illustrationen“,<br />

andererseits charakteristischerweise an die<br />

„Nachbildung“ altmeisterlicher Druckgrafiken und<br />

im speziellen an die „Facsimilierung von Zeichnungen“<br />

dachte. 51<br />

Eine für die Suche der „Gesellschaft“ nach einem<br />

entsprechenden Kompromiß hochprogrammatische<br />

Publikation darf vor allem in Anton Springers<br />

Aufsatz „Raffaels ’Schule von Athen‘“ von<br />

1883 gesehen werden. In seinem ideellen Mittelpunkt<br />

stand zwar der mit Blick auf den 400. Geburtstag<br />

<strong>des</strong> italienischen Renaissancehauptmeisters<br />

schon zehn Jahre zuvor in Auftrag gegebene<br />

„orthodoxe“ Linienstich von Louis Jacoby. Springers<br />

Text in den Graphischen Künsten, der speziell<br />

auch anhand von Raphaels Vorstudien die Entstehungsgeschichte<br />

<strong>des</strong> berühmten Freskos in der vatikanischen<br />

„Stanza della Segnatura“ zu Rom rekonstruierte,<br />

war jedoch nicht nur mit acht Heliogravüretafeln<br />

(<strong>des</strong> K. K. Militärgeographischen Instituts<br />

und der Berliner Reichsdruckerei), sondern<br />

auch mit Zinkografien von Angerer & Göschl sowie<br />

einem Lichtdruck und weiteren „Lichtkupferstichen“<br />

<strong>des</strong> Militärgeographischen Instituts bebildert.<br />

52<br />

Seit der Mitte der 1880er Jahre versuchten die<br />

Graphischen Künste sogar, sich direkt als Plattform<br />

<strong>des</strong> reproduktionstechnischen Fortschritts anzubieten.<br />

1885 erhielt Josef Maria Eder z.B. die Gelegenheit,<br />

in einem mit Lichtdrucken Josef Löwys illustrierten<br />

Aufsatz über die Vorteile der orthochromatischen<br />

Fotografie zu referieren 53 , und seit 1888<br />

informierte man im neuen Beiblatt der Graphischen<br />

Künste, der Chronik für vervielfältigende<br />

Kunst regelmäßig über die Aktivitäten der im selben<br />

Jahr gegründeten „Lehr- und Versuchsanstalt<br />

für Photographie und Reproduktionsverfahren“ in<br />

Wien, mit der im selben Jahr eine international sehr<br />

frühe und bedeutende Fachhochschule auf dem Gebiet<br />

<strong>des</strong> grafischen und fotografischen Gewerbes<br />

eingerichtet worden war. Die Szene <strong>des</strong> Reproduktionsgewerbes<br />

war damals über Wien hinaus von<br />

außerordentlich vielfältigen Experimenten auf dem<br />

Gebiet <strong>des</strong> fotomechanischen Drucks geprägt und<br />

befand sich dabei, wie bereits angedeutet, vor allem<br />

auf der Suche nach rationelleren und ökonomischeren<br />

Herstellungsverfahren. Daß die Identifikation<br />

der verschiedenen Techniken schon den unmit-<br />

15


telbaren Zeitgenossen Schwierigkeiten bereitete,<br />

kann man z.B. in Franz Wickhoffs Rezension <strong>des</strong><br />

ersten Ban<strong>des</strong> von Friedrich Lippmanns Dürer-<br />

Werk vernehmen, wobei Wickhoff noch ganz erstaunlich<br />

viele Druckformen unter den Bildtafeln<br />

erkennen konnte: „Heliographien“, „Heliotypien“,<br />

„Chromoxylo- und Chromolithographien“, und in<br />

einem Fall hatte er sogar einen Druck mit acht Platten<br />

gezählt. 54<br />

In Wien gehörte zu den innovationsfreudigsten<br />

Firmen das Unternehmen von Carl Angerer und<br />

Alexander Göschl, die gerade auf dem Gebiet <strong>des</strong><br />

autotypischen Bilddrucks neben der Berliner Firma<br />

Meisenbach, Riffarth & Co. sogar europaweit<br />

marktbeherrschend wurden. Im Rahmen der Graphischen<br />

Künste traten sie z.B. exemplarisch mit<br />

den als „Fotolithographien“ bzw. als „Zinkographien“<br />

ausgewiesenen Bildtafeln bzw. Illustrationen<br />

nach Originalen aus der <strong>Albertina</strong> zu Carl von<br />

Lützows Aufsatz „Raphaels Bildungs- und Entwicklungsgang“<br />

auf. 55 Es würde hier zu weit führen,<br />

die angewandten Verfahren im Einzelnen genauer<br />

beschreiben zu wollen. Wichtiger ist wohl,<br />

daß Angerer & Göschl in der Beziehung zu einem<br />

reproduktionsästhetisch überdurchschnittlich sensiblen<br />

Kontext nicht nur ihr Firmenimage stärken,<br />

sondern als wirklich kluge Firmenpolitiker auf<br />

diesem Feld auch gründliche Entwicklungsarbeit<br />

auf ihrem Weg zu immer entschiedener technisierten<br />

Reproduktionsverfahren auf einem qualitativ<br />

hohen Niveau leisten konnten. Dies zeigt sich<br />

auch in der Integration von zwei „Facsimile-Reproductionen“<br />

nach Albrecht Dürers sogenanntem<br />

„Blaurackenflügel“ und Jean-Baptiste Greuze‘<br />

„Mädchenkopf“ aus der <strong>Albertina</strong> in ihre Folge<br />

von „Musterblättern der k. u. k. Photochemigraphischen<br />

Hof-Kunstanstalt C. Angerer u. Göschl“<br />

von 1901. Die verblüffend originalgetreue Wiedergabe<br />

<strong>des</strong> „Blaurackenflügels“ wurde sogar in<br />

Josef Meders Diarium der <strong>Albertina</strong> festgehalten.<br />

56<br />

Die exklusiven „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“ von<br />

Max Jaffé wiesen hier einen anderen Weg. Obwohl<br />

die Brillianz dieser farbigen Mehrplattenlichtdrucke,<br />

die man sich durchaus einmal „im<br />

Original“ anschauen muß, unbedingt überzeugt,<br />

und auch die ganze Aufmachung der Mappen sowie<br />

der Typensatz der Textbeilagen aus dem Verlag<br />

von Anton Schroll vollendeten Geschmack beweisen,<br />

könnte man darüber streiten, ob sie gewissermaßen<br />

nicht eher einen Rückschritt in Josef<br />

16<br />

Meders ansonsten doch sehr zukunftsweisender<br />

<strong>Museums</strong>- und Herausgebertätigkeit für die <strong>Albertina</strong><br />

bedeuteten. In den Augen von Anton Reichel,<br />

der die ersten drei 1922 und 1923 erschienen Ausgaben<br />

von 40 Blättern Deutsche Meister <strong>des</strong> XV.<br />

und XVI. Jahrhunderts, 40 Blättern Vlämische und<br />

Holländische Meister <strong>des</strong> XV. bis XVII. Jahrhunderts<br />

und 40 Blättern Italienische Meister <strong>des</strong> XV.<br />

bis XVIII. Jahrhunderts rezensierte, war Meder<br />

hier mit Erfolg von seinem eigenen früheren „historischen“<br />

Plan abgerückt. Reichel hielt dieses<br />

Konzept für gescheitert, weil es zwar „dem Forscher<br />

möglichst lückenlos die Kunstobjekte als<br />

wissenschaftliches Material vorführte, den Genuß<br />

suchenden Laien jedoch durch die unübersichtliche<br />

Fülle erdrückte.“ Statt<strong>des</strong>sen war mit den „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“<br />

nunmehr eine vorbildliche<br />

„Auslese der wertvollsten Kunstblätter in einwandfreier<br />

Originaltreue“ gegeben, „in der das<br />

Kunstwerk als solches ohne je<strong>des</strong> lehrhafte Nebeninteresse<br />

zu Wort kommen soll. Das Kunstwerk<br />

um seiner selbst willen nur nach Maßgabe<br />

seiner künstlerischen Qualität.“ 57 Fast im selben<br />

Atemzug ließ Reichels Rezension nun einer ungebrochenen<br />

Begeisterung über die „modernen Reproduktionsverfahren<br />

freien Lauf, „die, auf der<br />

Photographie fußend, eine persönliche Einflußnahme<br />

fast ausschließen.“ Daß die „<strong>Albertina</strong>-<br />

Facsimiles“ mit diesem kommentarlosen Anspruch<br />

auf Bewunderung bzw. „Genuß“ jenen Kanon<br />

von Klassiker- und Altmeisterzeichnungen,<br />

der sich während der Publikationstätigkeit der <strong>Albertina</strong><br />

im 19. Jahrhundert schon immer klarer<br />

herauskristallisiert hatte, nun erst recht festschrieben,<br />

fällt hier also mit einem bemerkenswerten<br />

Moment zusammen, da die Reproduktionstechnik<br />

soweit ist, in der der Fotografie eigenen Perfektion<br />

einer „Botschaft ohne Code“ 58 die „Aura“ <strong>des</strong> Originals<br />

wieder einfordern zu lassen. Daß die „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“<br />

schließlich den Grundstock<br />

jener kleinen „Schausammlung“ bildeten, mit der<br />

die <strong>Albertina</strong> noch bis vor kurzem immer etwas<br />

verschämt ihrem Publikum zwischen den Wechselausstellungen<br />

aufwartete, macht jene Botschaft<br />

allerdings doch sehr interpretationsbedürftig. 59<br />

Wäre es nicht sogar an der Zeit gewesen, auf die<br />

tiefen Wurzeln der Gründung der <strong>Albertina</strong> in der<br />

ambivalenten Modernität <strong>des</strong> technisch multiplizierten<br />

bzw. multiplizierbaren Kunstwerkes an<br />

sich zurückzuweisen?


Fragmente einer alten fotografischen Sammlung in<br />

der <strong>Albertina</strong><br />

Leider kam es aber fast zugleich mit dem Erscheinen<br />

der „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“, und eigentümlicherweise<br />

auch zugleich mit der Übertragung der<br />

<strong>Albertina</strong> in das Eigentum der neuen Republik<br />

Österreich nach dem Ersten Weltkrieg zu gewissen<br />

sammlungssystematischen Eingriffen, die heute in<br />

der Nachwirkung jener spektakulären Vereinigung<br />

der ehemals erzherzoglichen <strong>Albertina</strong> mit der<br />

Kupferstichsammlung der ehemals kaiserlichen<br />

Hofbibliothek, gerne vergessen werden. Sie dürften<br />

jedoch für die unterschwellige Verbindung der <strong>Albertina</strong><br />

mit der Fotografie, und zwar nicht nur auf<br />

dem Gebiet der Reproduktion, sondern auch im<br />

Bereich „direkter“ fotografischer Aufnahmen<br />

wahrscheinlich symptomatisch gewesen sein. Im<br />

Gegenzug zur Einverleibung <strong>des</strong> Grafik- und<br />

Zeichnungenbestan<strong>des</strong> der Hofbibliothek trat die<br />

<strong>Albertina</strong> an die neue Österreichische Nationalbibliothek<br />

nämlich zwei ihrer traditionellen Spezialabteilungen<br />

ab: ihre Porträtsammlung und ihre topografische<br />

Vedutensammlung. Reduziert auf das<br />

Minimum eines kleinen historischen Hilfsapparats<br />

behielt sie aber offenbar Rudimente dieser Sammlungen<br />

zurück. Stichproben haben nun ergeben,<br />

daß Fotografien von aus heutiger Sicht teilweise<br />

durchaus bemerkenswerter Qualität vielleicht unversehens,<br />

aber wohl nicht ganz zufällig gerade in<br />

diese alten Bestände Aufnahme gefunden hatten.<br />

Porträt und Vedute, erst recht in grafischer Form,<br />

galten im überwiegenden Durchschnitt traditionell<br />

als „niedere“ Bildgattungen von primär dokumentarischem<br />

oder auch dekorativem Nutzen, bei denen<br />

die „Handschrift“ eines namhaften Meisters<br />

keine wesentliche Rolle spielte, ein etwaiger<br />

Kunstanspruch daher auch durch die Fotografie<br />

nicht näher angetastet werden konnte. 60<br />

Eine weitere Anzahl „direkter“ fotografischer<br />

Aufnahmen <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, die sich heute in<br />

der <strong>Albertina</strong> aufstöbern lassen, möchte man<br />

schwerpunktmäßig auf noch zwei andere frühere<br />

Sekundärsammlungen der <strong>Albertina</strong> beziehen. Sie<br />

wurden zwar nicht wie die Hauptpartien der Por-<br />

träts und Veduten konkret abgetreten, jedoch wohl<br />

spätestens seit derselben Zeit auch nicht mehr ausgebaut,<br />

d.h. mehr oder weniger stillgelegt. Es handelt<br />

sich einerseits um die sogenannte Abteilung<br />

der „historischen Blätter“ die auf der Ebene<br />

schlichter grafischer Illustrationen Ereignisdarstellungen,<br />

Schlachtenbilder, Zeremonienbilder und<br />

später alle möglichen die Tagespresse beschäftigenden<br />

Begebenheiten, von der französischen Revolution<br />

bis zum Bau der Lemberg-Czernowitzer<br />

Eisenbahn oder zum Rennderby in der Wiener<br />

Krieau am 4. Juni 1900, umfassen. Andererseits ist<br />

in einer fragmentarischen Zusammenstellung von<br />

Reproduktionswerken in der Bibliothek der Sammlung<br />

nachvollziehbar, daß die <strong>Albertina</strong> sich längere<br />

Zeit hindurch immer wieder auch anhand entsprechender<br />

Illustrationen bzw. Muster über die jeweils<br />

gebräuchlichen Methoden eines akademischen<br />

oder handwerklichen Zeichenunterrichts auf<br />

dem laufenden zu halten versuchte. Gerade auch<br />

ausgehend von den Impulsen, die in Wien das<br />

Österreichische Museum für Kunst und Industrie in<br />

dieser Richtung setzte, könnte man die bedeutende<br />

Anzahl der in der Bibliothek erhaltenden fotografischen<br />

Tafelwerke von kunstgewerblichen Gegenständen<br />

sowie von Gipsabgüssen klassischer Statuen<br />

und wohl auch vereinzelte Reihen von Tier- und<br />

Pflanzenaufnahmen hier potentiell durchaus einschließen.<br />

61<br />

Insgesamt könnte man so zu dem hypothetischen<br />

Schluß gelangen, daß gerade in der Annäherung an<br />

den Zeitpunkt, als in den „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“<br />

eine hochgezüchtete Reproduktionstechnik sich<br />

fast selbst übertraf, die kritische Schere zwischen<br />

ihr und der „direkten“ Fotografie derartig weit aufging,<br />

daß man den trivialen Winkel, aus dem beide<br />

einst herausgelaufen waren bzw. in den beide vielleicht<br />

immer wieder einmal zusammenlaufen mußten,<br />

nicht mehr wahrnehmen konnte. Wenn sich die<br />

<strong>Albertina</strong> heute entschlossen hat, die Fotografie als<br />

Kunst endlich bewußt in ihr Arkanum aufzunehmen,<br />

scheint der Versuch gelegen, auch jene Rudimente<br />

der Trivialkultur aus ihrer gleichsam vorfotografischen<br />

Sammlungsgeschichte im Auge zu behalten.<br />

17


1 Vgl. Barbara Dossi, <strong>Albertina</strong>. Sammlungsgeschichte und<br />

Meisterwerke, München, New York 1998, S. 26.<br />

2 Ebenda, S. 16, Abb. 10, S. 14.<br />

3 Vgl. Deborah J. Meijers, Kunst als Natur. Die Habsburger<br />

Gemäldegalerie um 1780, Wien, Mailand 1995 (Schriften<br />

<strong>des</strong> Kunsthistorischen <strong>Museums</strong>, Bd. 2), S. 147-150.<br />

4 Die am meisten exemplarischen und daher immer wieder zitierten<br />

Aussagen stammen aus Roger de Piles’ 1699 erschienener<br />

Schrift Abrégé de la vie <strong>des</strong> peintres; vgl. Anne Peters,<br />

Francesco Bartolozzi – Studien zur Reproduktionsgraphik<br />

nach Handzeichnungen, Phil. Diss. Köln, Duisburg 1987, S.<br />

37.<br />

5 Zit. nach: André Malraux, Das imaginäre Museum (1947),<br />

deutsche Übersetzung von Jan Lauts, Frankfurt am Main,<br />

New York 1987, S. 12.<br />

6 Vgl. Dossi, (Anm. 1), S. 32.<br />

7 Zit. nach: Dossi, (Anm. 1), Anm. 57; vgl. ebenda, S. 16.<br />

8 Moritz Thausing, Kupferstich und Photographie, in: Zeitschrift<br />

für bildende Kunst, Bd. 1, 1866, S. 287-291; gekürzter<br />

Neuabdruck in Wolfgang Kemp (Hrsg.), Theorie der Fotografie<br />

I: 1839 – 1912, München 1980, S. 133-142.<br />

9 Peters, (Anm. 4).<br />

10 Vgl. Robert Strange, An Inquiry into the Rise and Establishment<br />

of the Royal Academy, London 1775; zit. nach: Peters,<br />

(Anm. 4), S. 57.<br />

11 Zit. nach: Peters, (Anm. 4), S. 62.<br />

12 Zit. nach: Christian Rümelin, Johann Gotthard Müller (1747<br />

– 1830) und das Stuttgarter Kupferstecherei-Institut, Stuttgart<br />

2000, S. 27; vgl. ebenda, S. 28-29.<br />

13 Ich stütze mich hier auf gewisse Feststellungen in Niklas<br />

Luhmanns differenttheoretischer Formentheorie der „Beobachtung“<br />

bildkünstlerischer Gestaltungsprozesse; vgl. Niklas<br />

Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am<br />

Main 1998 (2. Taschenbuchauflage), S. 79, 139 ff.<br />

14 Zit. nach: Peters, (Anm. 4), S. 63.<br />

15 Siehe Anm. 8.<br />

16 Vgl. Kemp, (Anm. 8), S. 129.<br />

17 Vgl. Carl von Lützow, Geschichte der Gesellschaft für vervielfältigende<br />

Kunst 1871 – 1895. Nebst einem Rückblick<br />

auf den Älteren Wiener Kunstverein, in: Die Graphischen<br />

Künste, Jg. 18, 1895, S. 83. Zur Verbreitung <strong>des</strong> Vergleichs<br />

zwischen dem traditionellen Kupferstich und der Fotografie<br />

als moderner Kunstreproduktionstechnik vgl. Trevor Fawcett,<br />

Graphic versus Photographic in the Nineteenth-Century<br />

Reproduction, in: Art History, Vol. 9, 1986, No. 2, S. 185 ff.<br />

18 Thausing, (Anm. 8), S. 288.<br />

19 Ebenda, S. 290-291.<br />

20 Moritz Thausing, Dürer. Geschichte seines Lebens und seiner<br />

Kunst, Leipzig 1876, Tafel nach S. 398, bzw. S. 398,<br />

Anm. 1. Ähnlich zensurierte Thausing auch eine im Besitz<br />

der <strong>Albertina</strong> befindliche Kreidezeichnung von Michelangelo<br />

zur „Schlacht von Cascina“. Er ließ die in der Holzstichreproduktion<br />

von Joseph Schönbrunner angeblich später<br />

hinzugefügten „Köpfe und Armtheile der Figuren [...], von<br />

denen wir billig abgesehen haben“, unterdrücken. Der<br />

schneeweiße Bildgrund der Zeichnung illustriert allerdings<br />

um so deutlicher die auf dem Original zusätzlich bestehende<br />

Sammlermarke von Pierre-Jean Mariette, die Thausing im<br />

Text auch eigens erwähnt; vgl. Moritz Thausing, Michelangelo’s<br />

Entwurf zu dem Karton der Schlacht bei Cascina, in:<br />

Zeitschrift für bildende Kunst, 13. Jg., 1878, S. 139, Abb. S.<br />

141.<br />

21 Vgl. Hilmar Frank, Hieroglyphe. Literarische und malerische<br />

Phantasie, in: Max Liebermann. Jahrhundertwende,<br />

18<br />

Ausstellungskatalog Nationalgalerie Berlin, Berlin 1997, S.<br />

164-165.<br />

22 Thausing, (Anm. 8), S. 291.<br />

23 Vgl. Rosalind Krauss, Das Photographische. Eine Theorie<br />

der Abstände; deutsche Übersetzung von Henning Schmidgen,<br />

München 1998.<br />

24 Thausing, (Anm. 8), S. 290.<br />

25 Ebenda.<br />

26 Ebenda, S. 291.<br />

27 Ebenda, S. 292.<br />

28 Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt am<br />

Main 1997, S. 86.<br />

29 Vgl. Rudolf Rieger, Adam von Bartsch (1757 – 1821). Untersuchungen<br />

zum druckgraphischen Œuvre, Mag. Arb., Bonn<br />

1992.<br />

30 In: Rezensionen und Mitteilungen über bildende Kunst, Jg.<br />

1863, Nr. 5, Beiblatt, S. 81.<br />

31 Vgl. Mitteilungen <strong>des</strong> k. k. Österreichischen <strong>Museums</strong> für<br />

Kunst und Industrie, Bd. IV, 1872 – 1873, S. 500-502.<br />

32 Vgl. dazu Anthony J. Hamber, „A Higher Branch of the<br />

Art“. Photographing the Fine Arts in England, 1839 – 1880,<br />

Amsterdam 1996 (Documenting the Image, Vol. 4), S. 219<br />

ff. Leider haben sich diese Fotografien in der <strong>Albertina</strong><br />

selbst nicht erhalten, sondern konnten bisher nur in der<br />

Kunstbibliothek <strong>des</strong> Victoria & Albert <strong>Museums</strong> nachgewiesen<br />

werden. Als noch früherer Termin eines erstens Herantretens<br />

der Fotografie an ihre Handzeichnungensammlung<br />

hat allerdings zufolge <strong>des</strong> Eintrags im Heft einer alten Chronik<br />

der <strong>Albertina</strong> aus der Zeit zwischen 1824 und 1900 das<br />

Jahr 1856 zu gelten, in dem sich das französische Unterrichtsministerium<br />

mit dem Ansuchen meldete, „die wichtigsten<br />

<strong>Albertina</strong>-Zeichnungen als Vorlagen zum Zeichenunterricht“<br />

fotografieren zu dürfen. Zu einer Realisierung dieses<br />

Projekts, das möglicherweise zur Vorgeschichte eines von<br />

Félix Ravaisson als Oberinspektor der höheren Schulen im<br />

französischen Unterrichtsministerium spätestens 1867 unter<br />

dem Titel Classiques de l’art für den Zeichenunterricht herausgegebenen<br />

Vorlagenwerks gehörte, dürfte es aber in der<br />

Folge nicht gekommen sein.<br />

33 Vgl. Christian Kempf, Adolphe Braun et la photographie<br />

1812 – 1877, Colmar, Strasbourg 1994, und Mary Bergstein,<br />

Art Enlightening the World, in: Maureen C. O’Brien/Mary<br />

Bergstein, Image and Enterprise. The Photographs of Adolphe<br />

Braun, London 2000, S. 121 ff. Es haben sich bedauerlicherweise<br />

Exemplare von Adolph Brauns Fotografien nach<br />

Blättern der <strong>Albertina</strong> in der Sammlung selbst nur ganz sporadisch<br />

erhalten, während Brauns Reproduktionen nach<br />

Handzeichnungen und Gemälden aus anderen europäischen<br />

Museen in einem kolossalen Ausmaß vorhanden sind.<br />

34 Vgl. Mitteilungen <strong>des</strong> k. k. Österreichischen <strong>Museums</strong> für<br />

Kunst und Industrie, Bd. IV, 1872 – 1873, S. 500-502. Die<br />

Integration der Braunschen Reproduktionen in dieses Projekt<br />

war von Springer bereits in vorangehenden Abmachungen<br />

mit dem deutschen Kommissionär der Firma, dem Leipziger<br />

Händler Oexle, vorbereitet worden, und Springer<br />

konnte seinen Kollegen auf dem Kongress schon einen<br />

Preisnachlass von immerhin 30 bis 40% versprechen. Er<br />

proponierte für die „Gesellschaft“ einen jährlichen Vereinsbeitrag<br />

von 20 Reichsmark = 25 Francs = 10 fl. österreichischer<br />

Währung, durch den die Mitglieder in den Genuss von<br />

zwei bis drei Handzeichnungenreproduktionen und einer<br />

Abbildung eines großdekorativen Denkmals der Malereigeschichte<br />

kommen würden. Leider fehlt bisher noch eine Untersuchung<br />

darüber, bis zu welchem Grad die „Gesellschaft“


in dieser Form nach dem Kongress von 1873 überhaupt<br />

wirksam wurde.<br />

35 Vgl. Schroll, 100-Jahre-Almanach, Wien 1984, S. 231 ff.<br />

36 Vgl. Maren Gröning, Etablierung der <strong>Museums</strong>fotografie.<br />

Die Fotografien <strong>des</strong> Österreichischen <strong>Museums</strong> für Kunst<br />

und Industrie 1864 – 1885, in: Wolfgang Hesse (Hrsg.), Verwandlungen<br />

durch Licht. Fotografieren in Museen & Archiven<br />

& Bibliotheken. Beiträge einer Tagung vom 26. Juni bis 1.<br />

Juli 2000 in Dresden, Rundbrief Fotografie, Sonderheft 6,<br />

Stuttgart 2001.<br />

37 Vgl. Carl von Lützow, Österreichisches Museum für Kunst<br />

und Industrie, in: Recensionen und Mittheilungen über bildende<br />

Kunst, 1864, S. 252-253.<br />

38 Frank Heidtmann, Wie das Photo ins Buch kam, Berlin 1984,<br />

S. 587 ff. und Nr. 2705; vgl. Ludwig Schrank, Bericht über<br />

die erste photographische Ausstellung in Wien, in: Photographische<br />

Correspondenz, 1864, S. 6. Ein Exemplar dieser<br />

Drucke besitzt die Höhere Graphische Lehr- und Versuchsanstalt<br />

in Wien.<br />

39 Vgl. Protokoll der Plenarversammlung der Gesellschaft vom<br />

10. Dezember 1870, in: Photographische Correspondenz,<br />

1871, Nr. 79, und Abb. vor S. 1 sowie vor S. 211. Zwei weitere<br />

fotoxylografische Proben nach Dürerzeichnungen in der<br />

<strong>Albertina</strong> von Leth findet man noch im Jahrgang 1873 der<br />

Photographischen Correspondenz, vor S. 1 und vor S. 101,<br />

zugleich die letzten <strong>Albertina</strong>-Reproduktionen in dieser<br />

Fachzeitschrift, bis 1922 noch einmal das Muster eines Farbenlichtdrucks<br />

von Max Jaffé, d. h. der „<strong>Albertina</strong>-Facsimiles“,<br />

eine exemplarische Leistung <strong>des</strong> Wiener Metiers vorführen<br />

durfte.<br />

40 Vgl. von Lützow, in: Mittheilungen der Gesellschaft für vervielfältigende<br />

Kunst, Jg. 1, 1872, Nr. 1, Sp. 5. Bader wurde<br />

später durch seinen Schüler Hermann Paar ersetzt, was die<br />

Veröffentlichung anscheinend trotzdem nicht zum Ziel führen<br />

konnte; vgl. Mittheilungen der Gesellschaft für vervielfältigende<br />

Kunst, Jg. 4, 1875, Sp. 20. Allerdings besitzt die<br />

historische Sammlung der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt<br />

in Wien Druckproben dieser Reproduktionsserie.<br />

41 Max Jaffé, Die photographische Ausstellung im k. k. österreichischen<br />

Museum für Kunst und Industrie, in: Photographische<br />

Correspondenz, 1872, S. 3-4. Auch Leth stellte seine<br />

Fotoxylografien nach Dürerzeichnungen aus der <strong>Albertina</strong><br />

bei dieser Gelegenheit noch einmal zur Schau.<br />

42 Heidtmann, (Anm. 38), S. 700.<br />

43 Vgl. Carl von Lützow, (Anm. 17) , S. 94; Photographische<br />

Correspondenz, 1886, S. 489 f., und 1889, S. 77.<br />

44 Vgl. Chronik der <strong>Albertina</strong> 1871 – 1900, 23. November<br />

1883.<br />

45 In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen <strong>des</strong> allerhöchsten<br />

Kaiserhauses, Bd. 4, 1886, Teil 2, S. 1 ff., bzw. in:<br />

Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen <strong>des</strong> allerhöchsten<br />

Kaiserhauses, Bd. 16, 1895, Teil 1, S. 231 ff.<br />

46 Schönbrunner fungierte in der Nachfolge Moritz Thausings<br />

von 1884 bis 1896 als Inspektor, von 1896 bis 1905 als Direktor<br />

der <strong>Albertina</strong>; Meder übernahm seine Rolle 1905 bis<br />

1909 als Inspektor und von 1909 bis 1922 als Direktor, verwaltete<br />

das Institut also noch über die 1919/20 erfolgte Umwandlung<br />

der <strong>Albertina</strong> aus einer Privatsammlung der Erben<br />

Alberts von Sachsen-Teschen in den Besitz der neuen Republik<br />

Österreich hinaus.<br />

47 Vgl. Chronik der <strong>Albertina</strong> 1871 – 1900, November 1894,<br />

März 1897; Diarium der <strong>Albertina</strong> 1899 – 1919, Mai 1901,<br />

Juni 1904; Walter Koschatzky, Alice Strobl, Die Dürerzeichnungen<br />

der <strong>Albertina</strong>, Salzburg 1971, S. 93, 97.<br />

48 Vgl. Ausst. Kat. Ausstellung der Photographischen Gesellschaft<br />

in Wien im k. k. österreichischen Museum für Kunst<br />

und Industrie, Wien 1904, Nr. 110, fünfte Tafel nach S. 24;<br />

vgl. Photographische Correspondenz, 1904, S. 487.<br />

49 Vgl. Heidtmann (Anm. 38), S. 668 ff.<br />

50 Anton Reichel, Die Handzeichnungen-Reproduktion im<br />

Wandel der Zeiten, in: Neue Freie Presse, 4. Juli 1924, S. 27.<br />

51 Vgl. Die graphischen Künste, 1879, S. 1 ff.<br />

52 In: Die graphischen Künste, 1883, S. 53 ff.<br />

53 Eder, Die orthochromatische Photographie, in: Die graphischen<br />

Künste, 1885, S. 53 ff.<br />

54 In: Zeitschrift für bildende Kunst, Jg. 19, 1884, S. 166.<br />

55 Teil I und II, in: Die graphischen Künste, Jg. 1888, S. 29 ff.;<br />

Jg. 1890, S. 1 ff.<br />

56 Diarium der <strong>Albertina</strong> 1899 – 1919, 5. Februar 1901.<br />

57 Reichel, (Anm. 50), S. 24.<br />

58 Vgl. Roland Barthes, Der entgegenkommende und der<br />

stumpfe Sinn, Frankfurt am Main 1990, S. 13.<br />

59 Vorsichtig und ganz allmählich erschlossen sich die Serien<br />

der <strong>Albertina</strong>-Facsimiles in der Folge auch etwas moderneren,<br />

vor allem impressionistischen Paradigmen der europäischen<br />

Zeichenkunst. 1926 erschien zunächst noch eine<br />

Auswahl von französischen Zeichnungen <strong>des</strong> 16. bis 18.<br />

Jahrhunderts, 1927 eine Mappe von Albrecht-Dürer-Reproduktionen<br />

als Ergänzung zu den 1922 erschienenen Deutschen<br />

Meistern <strong>des</strong> 15. und 16. Jahrhunderts. 1928 publizierte<br />

endlich Alfred Stix, seit 1923 amtierender Direktor der<br />

<strong>Albertina</strong>, zehn Blätter französischer Zeichner <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />

von Ingres bis Renoir, die er in der Mehrzahl auch<br />

erst für die <strong>Albertina</strong> erworben hatte.<br />

60 Als bedeutende Beispiele alter Bestände von fotografischen<br />

Werken in diesem Bereich möchte ich hier für das Porträt eine<br />

Ausgabe von Die Männer <strong>des</strong> deutschen Volks besonders<br />

nach Biow’s Lichtbildern auf Stein gezeichnet von Schertle<br />

und Hickmann, oder: Deutsche National-Galerie von 1848<br />

hervorheben, sowie drei Bände eines Atelierkatalogs <strong>des</strong> renommierten<br />

Wiener Porträtfotografen Ludwig Angerer.<br />

Nicht unwesentlich erscheint die Tatsache, dass in dem 1892<br />

von Josef Schönbrunner und Josef Meder begonnenen <strong>Albertina</strong>-Druckgrafikinventar<br />

der „Neuen Folge“ zahlreiche<br />

Fotografien mitverzeichnet sind, die die Sammlung in den<br />

einschlägigen Kunsthandlungen oder den Fotografen direkt<br />

erworben hatte, heute aber leider größtenteils fehlen, d.h.<br />

wohl an die Österreichische Nationalbibliothek abgegeben<br />

wurden. Darunter findet man auch viele Porträts, meist von<br />

den bekannten Wiener Vertretern der Gattung wie Fritz<br />

Luckhardt oder Emil Rabending und spätere. Von besonderem<br />

Wert erscheinen die Reste an topografischen Fotografien,<br />

die sich in der <strong>Albertina</strong> erhalten haben. Herausragend<br />

sind die Salzpapierabzüge von Paul Pretschs Aufnahmen<br />

aus Wien und Umgebung, die als Musterproben <strong>des</strong> fotografischen<br />

Ateliers der k. k. Hof- und Staatsdruckerei auch auf<br />

der Londoner Weltausstellung von 1851 gezeigt worden waren.<br />

Bei diesem und dem Exemplar der staunenerregenden<br />

Riesensalzpapiere eines Rundblicks auf Wien vom Turm <strong>des</strong><br />

Stefansdoms aus, die Leopold Weiß um 1860 ebenfalls für<br />

die Hof- und Staatsdruckerei fotografierte, handelt es sich<br />

offenbar um Widmungsexemplare an Kaiser Franz Josef I.,<br />

die dieser in der Sammlung von Erzherzog Albrecht deponierte.<br />

Erwähnenswert sind ferner die 1863 entstandenen<br />

Aufnahmen von Gustav Jägermayer von der Großglockner-<br />

Expedition, die Ansichten von Jerusalem und Bethlehem,<br />

die Alois Payer 1864 auch auf der großen ersten Ausstellung<br />

der Wiener Photographischen Gesellschaft präsentiert hatte,<br />

19


die mit Magnesiumlicht fotografierten Bilder aus der Adelsberger<br />

Tropfsteinhöhle von Emanuel Mariot u.a.<br />

61 Vorhanden sind natürlich Exemplare der vom Österreichischen<br />

Museum herausgegebenen Fotografien Ludwig Angerers,<br />

aber z.B. auch mehrere Sammlungen von Aufnahmen<br />

aus dem Atelier <strong>des</strong> South Kensington <strong>Museums</strong> in London.<br />

Wie viele Fotografien sich noch in den alten Bibliotheksbeständen<br />

der <strong>Albertina</strong> zum Thema <strong>des</strong> Kunsthandwerks und<br />

der Plastik verbergen, konnte noch gar nicht vollständig<br />

überprüft werden. Als historisch interessante oder auch kuriose<br />

Stücke seien hier genannt: das „Album. Die vom Wiener<br />

Alterthums-Vereine veranstaltete Ausstellung von<br />

20<br />

Kunstgegenständen <strong>des</strong> Mittelalters und der Renaissance“,<br />

die der gerade auch als Stillebenfotograf bekannte Wiener<br />

Karl Lemann 1860 aufgenommen hat, und eine Folge von<br />

Aufnahmen ausgestopfter Tiergruppen und von Beutestillleben<br />

„Jagd-Album. Geflügel und Wildpret nach der Natur<br />

photographirt“, das Julius Eduard Schindler ebenfalls mit einer<br />

Widmung an den österreichischen Kaiser herausbrachte.<br />

An Wiedergaben von Gipsabgüssen klassischer Werke der<br />

antiken Bildhauerkunst gibt es u.a. mehrere Serien <strong>des</strong> Lübecker<br />

Fotografen Johannes Nöhring, die Originale in den<br />

einschlägigen römischen, florentinischen und neapolitanischen<br />

Glyptotheken vorführen.

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