Zvi Goldstein – Haunted by Objects - Druckservice HP Nacke KG
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DIE BESTE ZEIT<br />
Das Magazin für Lebensart<br />
Wuppertal und Bergisches Land Ausgabe 13, 2012 - 3,50 Euro<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Der Sturm - Zentrum der Avantgarde<br />
Neues Stück <strong>–</strong> letztes Stück<br />
Das letzte Stück von Pina Bausch<br />
<strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />
<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong>-Ausstellung K20<br />
Wo bleibt die Schildkröte ?<br />
Koreanische Oper in Wuppertal<br />
Vor dem Gesetz<br />
Skulpturen der Nachkriegszeit<br />
Mein Leben ist ein Tango<br />
Das CaféADA <strong>–</strong> Ort der Begegnung<br />
Magischer Heiler und Erzähler<br />
Axel Munthes Villa San Michele<br />
Im Andenken an Irene Ludwig<br />
Exponate aus der Privatsammlung<br />
Begegnung von Kunst und Natur<br />
Die Musikreihe Klangart<br />
Mäzen, Unternehmer, Politiker<br />
Portrait von Eberhard Robke<br />
Tanzträume<br />
Das Buch zum Film<br />
Kulturnotizen<br />
Kulturveranstaltungen der Region<br />
1
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Umschlagbild: Szenenfoto aus dem Stück „Wie das Moos<br />
auf dem Stein“ des Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch<br />
Foto: Karl-Heinz Krauskopf<br />
Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung<br />
des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser<br />
Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />
Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend,<br />
liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte<br />
Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden.<br />
Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der<br />
gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung<br />
des Verlages.<br />
Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer<br />
oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.<br />
epikurepikur
Editorial<br />
Von dünnem Eis und hohen Rössern<br />
Es ist, liebe Leser, schon ein Kreuz mit Leuten, die im Rausch ihrer Aufgaben<br />
vergessen, wer sie eigentlich sind, was sie in der Öffentlichkeit vertreten und<br />
wie sie in der Medienlandschaft auftreten. Wohin solche Fehleinschätzungen in<br />
Verbindung mit Überheblichkeit führen können, zeigt derzeit die Affäre um<br />
unseren Bundespräsidenten Christian Wulff. Dort geht es um den Verdacht der<br />
Vorteilsnahmen und evtl. der Gewährung solcher, um den Verdacht, diesen<br />
oder jene aus welchen Gründen auch immer vorzuziehen und andere um<br />
deren Vorteil willen vielleicht zu benachteiligen. Die Öffentlichkeit nimmt,<br />
und besonders die Medien, wenn sie betroffen sind, ein solches Verhalten übel,<br />
denn reglementieren und bevormunden läßt sich kein Presseorgan.<br />
Ähnliche Auswüchse gibt es auch im ganz Kleinen, nicht so beleuchtet wie ein<br />
Skandal um einen Spitzenpolitiker, tagtäglich im Bereich der mittelständischen<br />
Wirtschaft und <strong>–</strong> jetzt komme ich zum Punkt - leider auch in der Kultur.<br />
Einen solchen Fall will ich hier beleuchten, denn es ist schon ärgerlich,<br />
wenn dabei eine in öffentlicher Hand befi ndliche Kultureinrichtung der Stein<br />
des Anstoßes ist, deren bestellte Geschäftsführung glaubt, nach Gutsherrenart<br />
unter dem vermeintlich unantastbaren Namen und Mythos einer verstorbenen<br />
Choreographin selbstherrlich Privilege an einige vergeben zu dürfen, dafür<br />
andere mit Geringschätzung und Ausgrenzung zu behandeln. Wer jetzt noch<br />
nicht ahnt, um wen/was es sich handelt, sei aufgeklärt: es geht um das selektive<br />
Behandeln von Pressevertretern (hier unserer Fotografen) durch die Damen/<br />
Herren, die das Wuppertaler Tanztheater leiten, welches sich mit dem Namen<br />
„Pina Bausch“ schmückt.<br />
Da haben anscheinend, durch welche Leistung auch immer, einige<br />
Fotografi nnen, Fotografen und Medien ein Exklusivrecht auf Fotografi e und<br />
Berichterstattung, während andere nach Gutdünken gnädig herangewinkt oder<br />
abgewiesen werden. So hat man mit geradezu beleidigender Wertung seiner<br />
künstlerischen Arbeit dem Fotografen des Magazins „Die Beste Zeit“ für die<br />
Probenarbeit zur nächsten Neuproduktion des Tanztheaters Wuppertal sozusagen<br />
„die Linse verboten“ <strong>–</strong> es sei kein Platz mehr für ihn frei. Plätze für andere<br />
scheinen hingegen dauerhaft frei zu sein. Zweierlei Recht?<br />
Das riecht nach Vetternwirtschaft und Monopolvergabe und kann keinesfalls<br />
hingenommen werden. Die Verantwortlichen haben sich auf ein hohes Roß<br />
geschwungen und scheinen zu vergessen, daß das Eis, über das sie in stolzer<br />
Haltung reiten, sehr dünn ist. Hier ist die Aufsicht über das Tanztheater Wuppertal<br />
gefordert, nämlich die Politik und die Verwaltung dieses mit öffentlichen<br />
Geldern betriebenen Vorzeigeprojektes der Stadt Wuppertal.<br />
Lesen Sie heute noch einmal in „Die Beste Zeit“ einen Bericht über das Tanztheater<br />
Wuppertal mit Bildern unseres Fotografen Karl-Heinz Krauskopf<br />
(DGPh). Wer weiß, ob wir dazu noch einmal Lust haben werden.<br />
Ihr<br />
Frank Becker<br />
3
4<br />
Keine Angst vor Berührung<br />
Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“<br />
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Alles hat seine Zeit.<br />
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Inhalt<br />
Ausgabe 13, 4. Jahrgang, Januar 2012<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Ausstellung „Der Sturm <strong>–</strong><br />
Zentrum der Avantgarde“<br />
von Antje Birthälmer Seite 6<br />
Neues Stück - letztes Stück<br />
Zur Aufführung des letzten Stücks<br />
von Pina Bausch „Wie das Moos auf<br />
dem Stein“ von Heiner Bontrup Seite 10<br />
<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> - <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />
Ausstellung K20 Grabbeplatz<br />
Kunstsammlung NRW Düsseldorf Seite 16<br />
Wo bleibt die Schildkröte?<br />
Mr. Rabbit and the Dragon King<br />
Koreanische Oper im Wuppertaler<br />
Schauspielhaus - von Fritz Gerwinn Seite 18<br />
Vor dem Gesetz<br />
Skulpturen der Nachkriegszeit<br />
und Räume der Gegenwartskunst<br />
Museum Ludwig Seite 23<br />
Mein Leben ist ein Tango<br />
Das CaféADA als Ort der Begegnung<br />
von Marlene Baum<br />
Magischer Heiler und Erzähler<br />
Seite 26<br />
Axel Munthe und der Traum von<br />
San Michele<br />
von Heiner Bontrup Seite 31<br />
Museum Ludwig Köln<br />
Exponate aus dem Wohnhaus<br />
von Irene und Peter Ludwig Seite 33<br />
TANZTRÄUME<br />
Begegnung von Kunst- und Naturschönem<br />
Die Musikreihe Klangart ging erfolgreich in<br />
die dritte Runde<br />
von Heiner Bontrup<br />
Seite 36<br />
Eine verlockende Lektüre<br />
Das Tor zur Welt <strong>–</strong> Die Fluxus-Bewegung<br />
aus dem Buch von Stella Baum Seite 40<br />
Mäzen, Unternehmer, Politiker<br />
Annäherungen an ein Portrait von<br />
Eberhard Robke<br />
von Matthias Dohmen Seite 43<br />
Neue Kunstbücher<br />
Ein Thema knapp gefasst<br />
vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 45<br />
Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />
Geschichtsbücher <strong>–</strong> Buchgeschichten<br />
vorgestellt von Matthias Dohmen Seite 47<br />
TANZ ANZ TRÄUME TRÄUM<br />
Tanzträume<br />
Jugendliche tanzen Kontakthof von<br />
Pina Bausch <strong>–</strong> Das Buch zum Film Seite 48<br />
Kulturnotizen<br />
Kulturveranstaltungen in der Region Seite 51<br />
Zwischen den Fronten<br />
Die Kriegstagebücher Gerhard Nebels,<br />
wiederentdeckt von Michael Zeller<br />
von Johannes Vesper Seite 50<br />
5
6<br />
Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />
13. März bis 11. Juni 2012<br />
Ein Überblick<br />
über die kommende Ausstellung<br />
Franz Marc, Die Blauen Fohlen, 1913<br />
Kunsthalle Emden <strong>–</strong> Stiftung Henri und<br />
Eske Nannen und Schenkung<br />
Otto van de Loo<br />
Der Sturm <strong>–</strong> Zentrum der Avantgarde<br />
Vor einhundert Jahren, am 12. März<br />
1912, eröffnete Herwarth Walden seine<br />
Galerie „Der Sturm“ in Berlin. Hiermit<br />
begann ein faszinierendes Kapitel in<br />
der Geschichte der modernen Kunst.<br />
Schon im ersten Jahr entwickelte<br />
sich die Galerie zu einem führenden<br />
Forum der Moderne in Deutschland<br />
und mit dem „Ersten Deutschen<br />
Herbstsalon“ 1913 stieg „Der Sturm“<br />
dann zur Drehscheibe der Avantgarde<br />
Europas auf. Hier waren die großen<br />
Bewegungen der Kunst vertreten: vom<br />
expressionistischen Aufbruch bis zu<br />
den unterschiedlichen Tendenzen der<br />
20er Jahre spannte sich der Bogen. Die<br />
Künstler des „Blauen Reiter“, die Futuristen,<br />
die Kubisten und die Vertreter<br />
der neuen konstruktiven Bestrebungen<br />
stellten im „Sturm“ aus. Damals heftig<br />
umstritten, gelten sie inzwischen als<br />
Klassiker der Moderne, und viele der<br />
damals gezeigten Werke befi nden sich<br />
heute in den großen Museumssammlungen<br />
der Welt.<br />
Den Ausgangspunkt unserer Beschäftigung<br />
mit dem Thema bildeten<br />
die Wuppertaler Beziehungen zum<br />
„Sturm“, die vielfältig sind. So war
Oskar Kokoschka, Bildnis Herwarth Walden, 1910<br />
Staatsgalerie Stuttgart<br />
© Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn, 2011<br />
Herwarth Walden in erster Ehe mit<br />
der aus Elberfeld gebürtigen Else<br />
Lasker-Schüler verheiratet. Sie hat<br />
wohl auch den Namen der Zeitschrift<br />
„Der Sturm“ geprägt, der dann für die<br />
Galerie übernommen wurde.<br />
Unsere Ausstellung folgt sodann den<br />
großen Entwicklungen: Diese beginnen<br />
schon 1909 mit der Zusammenarbeit<br />
zwischen Herwarth Walden und dem<br />
Wiener Publizisten Karl Kraus. Kurz<br />
nach der Gründung der „Sturm“-<br />
Zeitschrift im März 1910 wurde der in<br />
Wien als „Oberwildling“ berüchtigte<br />
Kokoschka Mitarbeiter der Redaktion.<br />
1910 organisierte Walden auch die<br />
erste Einzelausstellung Kokoschkas, die<br />
in der Berliner Galerie Paul Cassirer<br />
stattfand. Ein zentrales Werk dieser<br />
Schau war Kokoschkas Walden-Porträt;<br />
dessen Charakterisierung brachte Kurt<br />
Hiller in seiner „Sturm“-Besprechung<br />
knapp und treffend auf den Punkt:<br />
„Herwarth Walden, dahineilend, als<br />
Kulturkämpfer auf dem Posten.“ Zu<br />
den weiteren von Kokoschka in Berlin<br />
Henri Rousseau, Die fröhlichen Spaßmacher (The Merry Jesters),<br />
1906, Philadelphia Museum of Art, The Louise and Walter Arensberg<br />
Collection, 1950<br />
porträtierten Persönlichkeiten gehörte<br />
der Dichter Peter Baum. Er stammte<br />
aus einer Wuppertaler Fabrikantenfamilie<br />
und war mit Else Lasker-Schüler<br />
schon seit ihrer Kindheit bekannt.<br />
In Berlin sind sie einander wiederbegegnet,<br />
und Peter Baum gehörte von<br />
Anfang an zum engeren „Sturm“-Kreis.<br />
Die Künstler des „Blauen Reiter“<br />
standen im Mittelpunkt der ersten<br />
Ausstellung des „Sturm“ im März<br />
1912. Auf Kandinsky, Marc, Macke<br />
und ihre Künstlerfreunde hatte allerdings<br />
vorher schon Richart Reiche mit<br />
Ausstellungen im Barmer Kunstverein<br />
aufmerksam gemacht. Waldens Urteil<br />
über Kandinskys Kunst „Das stärkste,<br />
was Morgen heute bietet“ ließe sich<br />
als Motto über das gesamte Ausstellungsprogramm<br />
des „Sturm“ stellen.<br />
Hauptwerke von Kandinsky, Marc,<br />
Macke, Münter, Jawlensky, Werefkin<br />
und des amerikanischen Malers Albert<br />
Bloch aus den Ausstellungen des<br />
„Sturm“ bilden auch Schwerpunkte der<br />
Wuppertaler Retrospektive, darunter<br />
z. B. sieben Bilder Kandinskys, davon<br />
allein vier aus seiner ersten „Sturm“-<br />
Kollektiv-Ausstellung von 1912.<br />
Auch die zweite, den italienischen Futuristen<br />
Boccioni, Carrà, Russolo u. a.<br />
gewidmete Ausstellung im „Sturm“ im<br />
April/Mai 1912 setzte ein Signal für das<br />
Neue: Die rhythmisch-dynamischen<br />
Kompositionen der Futuristen revolutionierten<br />
die Kunst durch ein neues<br />
ästhetisches Konzept, die „Schönheit<br />
der Schnelligkeit“.<br />
Der „Erste Deutsche Herbstsalon“, den<br />
Walden gemeinsam mit Kandinsky,<br />
Marc und Macke organisierte, erweiterte<br />
das Blickfeld auf die internationale<br />
Kunstszene. Dem naiven „Zöllner“<br />
Rousseau, in dem Kandinsky einen Gegenpol<br />
zu seiner Abstraktion erkannte,<br />
war sogar eine besondere Gedächtnisausstellung<br />
innerhalb des Herbstsalons<br />
gewidmet. Neue Namen begegneten<br />
hier mit Feininger und Mense. Delaunay,<br />
der bereits 1912 eine Einzelausstellung<br />
im „Sturm“ erhalten hatte, war<br />
einer der am stärksten repräsentierten<br />
7
8<br />
Künstler. Unsere Werkauswahl umfasst<br />
fünf Beispiele von seinen orphistisch<br />
aufgefassten Großstadtbildern, die<br />
großen Einfl uss auf Marc, Macke,<br />
Feininger u. a. ausübten, bis zu den<br />
abstrakten Kreisformen, die er erstmals<br />
im Herbstsalon vorstellte.<br />
Ebenfalls im Herbstsalon ausgestellt<br />
waren repräsentative Großformate der<br />
Pariser Kubisten Metzinger und Gleizes;<br />
parallel hierzu war die Variante des<br />
Prager Kubismus mit Beispielen u. a.<br />
von Otakar Kubin, Emil Filla und Otto<br />
Gutfreund zu sehen.<br />
Chagall, bereits im Herbstsalon vertreten,<br />
erhielt 1914 seine erste große<br />
Einzelausstellung im „Sturm“. Fortan<br />
waren Werke von ihm ständig in der<br />
Galerie zu sehen und Walden erwarb<br />
u. a. „Die fl iegende Kutsche“ für seine<br />
Privatsammlung. Weitere russische<br />
Künstler im Herbstsalon waren Alexander<br />
Archipenko, Georges Yakoulov,<br />
Michail Larionow, Natalija Gontscharowa<br />
und Sonia Delaunay-Terk.<br />
Auch als Forum für Künstlerinnen<br />
spielte der „Sturm“ eine wichtige Rolle:<br />
Neben den bekannten Malerinnen<br />
Münter, Werefkin, Gontscharowa und<br />
Delaunay-Terk stellten weitere interessante<br />
Frauen im „Sturm“ aus, darunter<br />
die niederländische Malerin Jacoba van<br />
Heemskerck. Erstmals wieder vereinigt<br />
in unserer Retrospektive sind Werke<br />
der Belgierin Marthe Donas, die 1920<br />
von ihrem Freund Archipenko in den<br />
„Sturm“ eingeführt wurde.<br />
In der Zeit des Ersten Weltkriegs setzte<br />
Walden sein Programm fort. Weiterhin<br />
wurden die „feindlichen Ausländer“<br />
Kandinsky und Chagall ausgestellt. An<br />
der neu gegründeten „Sturm“-Bühne<br />
verwirklichte Lothar Schreyer seine<br />
Vorstellung einer expressionistischen<br />
Bühnenkunst, deren Darsteller, Marionetten<br />
gleich, als kosmische Wesen<br />
erscheinen sollten. Eines der prägnantesten<br />
Bildnisse Waldens, die Büste<br />
von William Wauer, ist 1917, mitten<br />
im Krieg, entstanden. Johannes Itten,<br />
Wassily Kandinsky, Herbst II (Autumn II),<br />
1912, The Phillips Collection, Washington,<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2011<br />
Albert Gleizes, Fußballspieler (Football Players), 1912/13, National Gallery of Art,<br />
Washington, Alisa Mellon Bruce Fund, 1970.11.1, © VG Bild-Kunst, Bonn
Georg Muche, Rudolf Bauer, Thomas<br />
Ring, Johannes Molzahn u. a. brachten<br />
neuartige esoterische Impulse in<br />
den „Sturm“ ein.<br />
Umbrüche zeichneten sich nach dem<br />
Krieg auch hier ab. Auf die Aufhebung<br />
alter Ordnungen zielte Schwitters mit<br />
seiner 1919 im „Sturm“ präsentierten<br />
dadaistischen Merz-Kunst ebenso wie<br />
Puni mit der spektakulären „Flucht<br />
der Formen“ in seiner Schau 1921.<br />
Deutsche Konstruktivisten wurden im<br />
Januar 1920 mit einer Ausstellung von<br />
Schlemmer, Baumeister und Dexel<br />
präsentiert. Ab Anfang der 20er Jahre<br />
war der „Sturm“ eine wichtige Anlaufstelle<br />
für die aus osteuropäischen<br />
Ländern emigrierten Künstler. Die<br />
ungarischen Konstruktivisten stellten<br />
ihre Konzepte vor: László Moholy-<br />
Nagy stellte seine Idee eines dynamisch-konstruktiven<br />
Kraftsystems vor,<br />
Lajos Kassák, László Péri und Sándor<br />
Bortnyik präsentierten Arbeiten mit<br />
einer neuartigen Bildarchitektur. Der<br />
polnische Künstler Henryk Berlewi<br />
zeigte „Mechano-Faktur“-Arbeiten,<br />
die durch Schablonen erzeugte Strukturen<br />
aufweisen. Mit Max Hermann<br />
Maxy war außerdem ein interessanter<br />
rumänischer Künstler vertreten. Einen<br />
letzten Akzent setzten die Vertreter der<br />
belgischen Avantgarde, Pierre-Louis<br />
Flouquet und Victor Servranckx, mit<br />
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Ausstellungen im „Sturm“ 1925 und<br />
1928.<br />
Um diese Zeit war der „Sturm“ in<br />
fi nanzielle Schwierigkeiten geraten.<br />
Nach mehreren Reisen in die Sowjetunion<br />
emigrierte Walden, der<br />
inzwischen ein Anhänger des Kommunismus<br />
geworden war, 1932 nach<br />
Moskau, womit die Geschichte dieses<br />
epochalen Gesamtkunstwerks, das auf<br />
ganz Europa ausstrahlte, endete. 1941<br />
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Robert Delaunay, Die drei Fenster, der Turm und das Rad (The Three Windows, the Tower<br />
and the Wheel), 1912, The Museum of Modern Art, New York<br />
© L & M Services B.V. The Hague 20110403<br />
Anzeige<br />
wurde Walden verhaftet und ein Opfer<br />
des stalinistischen Terrors; er starb am<br />
31. Oktober 1941 im Lager Saratow/<br />
Wolga.<br />
(Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt<br />
des Von der Heydt-<br />
Museums Wuppertal und des Instituts<br />
für Kunstgeschichte an der Heinrich-<br />
Heine-Universität Düsseldorf.)<br />
Antje Birthälmer<br />
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9
10<br />
Neues Stück - letztes Stück<br />
Wenn ein neues Stück von Pina Bausch<br />
auf die Bühne kam, hieß es Neues<br />
Stück. Ein Name würde sich später<br />
schon fi nden. Denn das Werk war immer<br />
ein Work in Progress. Wie das Leben<br />
selbst, das wir leben, sich immerzu<br />
neu erfi nden muss, um wahres Leben zu<br />
sein. Da Pina Bausch bei allem Wandel,<br />
der notwendig ist, sich selbst treu geblieben<br />
ist, war das auch 2009 so. Kaum<br />
jemand ahnte, dass ihr Neues Stück ihr<br />
letztes Stück sein würde. Ihr Tod überraschte<br />
viele, auch Filmemacher Wim<br />
Wenders, der an einem Portrait des<br />
Tanztheaters Pina Bausch arbeitete. Als<br />
er von ihrem Tod erfuhr, konnte er sich<br />
nicht vorstellen, den Film zu vollenden.<br />
Mit dem Tod Pina Bauschs schien alles<br />
vorbei. Bekanntermaßen vollendete<br />
Wenders den Film dann doch; er wurde<br />
zum cinematographischen Vermächtnis<br />
ihres Lebenswerks. Der Titel des Films<br />
lautet: „Pina. Tanzt. Tanzt, sonst sind<br />
wir verloren.“ Kein zufällig gewählter<br />
Titel. Denn darin schwingt ein Dennoch,<br />
ein Trotz, ein Widerstand gegen<br />
alle Kräfte des Verfalls, gegen die Macht<br />
der Verhältnisse, gegen jede Form der<br />
Resignation, vielleicht sogar gegen das<br />
Sein zum Tode. Eine Haltung zum<br />
Leben wurde deutlich, vergleichbar der<br />
Alexis Sorbas’ in Nikos Kazantzakis’<br />
gleichnamigen Roman, der im Augenblick<br />
seiner größten Niederlagen tanzt.<br />
Und diese Kraft zum Widerstand, die<br />
in Pina Bausch selbst lag und die sie<br />
mit aller Energie in ihre Stücke legte,<br />
übertrug sich nun auch auf Wenders<br />
und seinen Film.<br />
Alle Fotos aus dem Stück<br />
„Wie das Moos auf dem Stein“ (2009)<br />
von Karl-Heinz Krauskopf
Pina Bausch hat den Tanz für uns neu<br />
erfunden. Sie hat ihn aus den überkommenen<br />
Traditionen des Klassischen<br />
Balletts befreit und uns gezeigt, wie wir<br />
mit Körpern <strong>–</strong> ohne auch nur einen Satz<br />
zu sagen <strong>–</strong> Geschichten erzählen können.<br />
Und dass in der Sprache des Tanzes das<br />
Eigentliche unserer Existenz sichtbar<br />
werden kann. Ihre Stücke sind getanzter<br />
Existentialismus. Sie hat uns gezeigt: Die<br />
Hölle, das sind die anderen, aber auch<br />
wir selbst. Aber ebenso sehr können wir<br />
einander Segen sein und Erlösung. Pina<br />
Bausch hat uns in ihren Stücken vom<br />
ewigen Kampf der Geschlechter erzählt,<br />
von unseren Sehnsüchten, Wünschen,<br />
Hoffnungen, aber ebenso auch von<br />
unseren Enttäuschungen, Niederlagen,<br />
Verletzungen. Ihre Tanz-Geschichten<br />
waren komisch und tragisch, brutal und<br />
ironisch. Und zugleich auf eine sehr subtile<br />
Art auch politisch. Immer aber hat sie<br />
uns Mut gemacht, weiter zu gehen. Dass<br />
sich die Welt und auch das Verhältnis<br />
der Geschlechter verändert hat, hat Pina<br />
sehr genau registriert. In ihrem letzten<br />
Neuen Stück erzählt sie auch von diesem<br />
Wandel.<br />
Doch zugleich wurde ihr das Mittel,<br />
mit dem sie erzählt, immer mehr zum<br />
Thema: der Tanz selbst. Selten ist das<br />
deutlicher geworden als in ihrem letzten<br />
Neuen Stück. Dort feiert sie den Tanz, die<br />
Anmut der Körper und der Bewegungen,<br />
die Leichtigkeit des Scheins. Die Überwindung<br />
der realen und sozialen Gravitationskräfte.<br />
Sie kehrt damit vielleicht<br />
zurück zu dem, was der Tanz von Anbeginn<br />
war: die Erfi ndung der Schönheit<br />
aus dem Geiste der Musik.<br />
Und jetzt, da Pina Bausch tot ist? Jetzt<br />
müssen wir tanzen. Sonst sind wir verloren.<br />
Heiner Bontrup<br />
Fotos: Karl-Heinz Krauskopf<br />
15
16<br />
<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> <strong>–</strong> <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />
K20 GRABBEPLATZ<br />
Kunstsammlung NRW, Düsseldorf<br />
bis 26. Februar 2012<br />
Alle Fotos:<br />
<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> - <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />
Installationsansicht K20 Grabbeplatz<br />
Foto: Achim Kukulies<br />
© Kunstsammlung NRW<br />
Die Ausstellung <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong> ist das<br />
bisher größte Projekt des 1947 geborenen<br />
konzeptuellen Bildhauers und Autors <strong>Zvi</strong><br />
<strong>Goldstein</strong>. Als einer der ersten Künstler hat<br />
der in Jerusalem lebende <strong>Goldstein</strong> seit den<br />
späten 1970er Jahren eine künstlerische Position<br />
außerhalb, aber in Beziehung zu westlichen<br />
Kulturzusammenhängen entwickelt<br />
und die Herausforderung der globalisierten<br />
Welt mit seinem Werk angenommen.<br />
Weit über 850 höchst unterschiedliche<br />
Objekte von der Antike bis zur Gegenwart<br />
aus verschiedensten Kulturen, von der<br />
<strong>by</strong>zantinischen Münze bis zur afrikanischen<br />
Maske, sowie Bilder bilden in <strong>Haunted</strong><br />
<strong>by</strong> <strong>Objects</strong> einen dichten, komplexen und<br />
hybriden Kosmos. Ausgangspunkte der<br />
„Weltreisen im Innern meines Kopfes“ sind<br />
62 Textpassagen aus Room 205, dem neuen<br />
Buch des Künstlers. Es schildert in einer mit<br />
unterschiedlichen Elementen durchsetzten<br />
poetischen Sprache einen einminütigen<br />
Flashback in einem Hotelzimmer kurz nach<br />
dem Erwachen. Der Text ist Ausdruck eines<br />
Bewusstseinszustandes zwischen Tagtraum,<br />
Fantasie und Halluzination, in dem Fragmente<br />
des eigenen Lebens mit künstlerischen,<br />
kulturellen und philosophischen<br />
Überlegungen zu einem „Kaleidoskop“<br />
vereint sind. In einem großen Raum und<br />
bei abgedunkelter Beleuchtung erscheint<br />
jedes der Textfragmente in einem Cluster<br />
von Objekten, die sich in jeweils unterschiedlicher<br />
Weise auf diese Texte beziehen<br />
und so alle Wände überziehen. Die große<br />
Fülle der Gegenstände und die assoziationsreiche<br />
Sprache der Texte erlauben unendlich<br />
viele Einzelbeobachtungen und Verknüpfungen,<br />
ohne dass ein vorgegebenes System<br />
festen Halt und eindeutige Bezüge liefert.<br />
Manches bietet sich in höchster Klarheit<br />
dar, anderes entgleitet an den Rändern<br />
dem Zugriff. Gemäß <strong>Goldstein</strong>s künstlerischer<br />
Leitlinie gehen „Phantasie und<br />
Theorie, Konzept und Ästhetik, Kontext<br />
und Ontologie, Biografi e und Ideologie“<br />
eine gleichberechtigte Einheit „zwischen<br />
kulturell zentralen und peripheren Existenzen“<br />
ein. Als Ganzes ist <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />
der großartige Versuch eines Künstlers,
der eigenen Faszination durch kulturelle<br />
Objekte und den in ihnen aufgehobenen<br />
Geschichten und Weltsichten Ausdruck<br />
zu geben. Gleichzeitig stellt die Arbeit die<br />
geläufi gen museologischen Ordnungen<br />
in Frage und es gelingt ihr, das Bild einer<br />
multidimensionalen Welt in der Epoche der<br />
Globalisierung zu zeichnen.<br />
<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> wurde 1947 in Transylvanien<br />
(Rumänien) geboren, emigrierte in<br />
den späten 1950er Jahren nach Israel und<br />
studierte dort Kunst, bevor er für zehn Jahre<br />
nach Mailand ging. Hier entwickelte er sein<br />
politisches, ästhetisches und anthropologisches<br />
Denken und schuf erste, mit Sprache,<br />
Fotografi e und Film operierende konzeptuelle<br />
Arbeiten, die in Italien und Deutschland<br />
ausgestellt wurden. Unzufrieden mit<br />
dem westlichen Diskurs der Postmoderne<br />
machte er jedoch 1978 Jerusalem als Ort<br />
auf der Grenze zwischen Okzident und<br />
Orient zur geografi schen und konzeptuellen<br />
Basis seiner Kunst. Er gehört damit<br />
zu den ersten Künstlern, die sich Ende der<br />
1970er Jahre mit den Konsequenzen der<br />
sich abzeichnenden Globalisierung für die<br />
zeitgenössische Kunst auseinander zu setzen<br />
begannen.<br />
Seit den 1980er Jahren hat <strong>Goldstein</strong> in<br />
den wichtigsten Museen Israels und in bedeutenden<br />
Ausstellungshäusern und Galerien<br />
Europas und Nordamerikas ausgestellt.<br />
Er nahm an den Biennalen von Venedig,<br />
Sydney, Istanbul, São Paulo, Shanghai und<br />
Herzliya sowie an der documenta in Kassel<br />
teil. Der Künstler lehrt als Professor an der<br />
Bezalel Academy for Art and Design in<br />
Jerusalem und Tel Aviv.<br />
Besonders in den 1990er Jahren führten<br />
ihn ausgedehnte Reisen zu hermetischen<br />
Gemeinschaften und vom Westen wenig<br />
beeinfl ussten Kulturen in Afrika und<br />
Asien. Mit seinem ersten Buch On Paper<br />
(Köln 2004) hat <strong>Goldstein</strong> seinem Werk<br />
eine neue, zusätzliche Dimension gegeben.<br />
Sein zweites Buch Room 205 (Köln 2010)<br />
ist ein Langgedicht, das in unterschiedlichen<br />
Schreibstilen und auf wechselnden<br />
Bewusstseinsebenen einen einminütigen<br />
Flashback beschreibt, in dem sich Erlebnisse,<br />
Spekulationen und Halluzinationen mit<br />
konkreten Beobachtungen und Objekten<br />
verschränken.<br />
Mehr Information unter<br />
www.kunstsammlung.de<br />
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Mr. Rabbit and the Dragon King<br />
im Wuppertaler Opernhaus<br />
Der Drachenkönig des Südmeeres ist krank<br />
und kann nur durch die Leber eines Hasen<br />
geheilt werden. Also macht sich der treueste<br />
aller Untertanen, Buchhalter Sumpfschildkröte<br />
auf, an Land einen Hasen zu<br />
fangen...<br />
Eine turbulente und tiefsinnige Satire<br />
auf Beamtenhochmut, Karrieresucht und<br />
Gesundheitswahn.<br />
Dies ist die Geschichte einer P’ansori, einer<br />
koreanischen Oper. P’ansori, ist eine jahrhundertealte<br />
Form vokaler Musik und von<br />
der UNESCO als einer der ‚Kulturschätze<br />
der Welt‘ offi ziell anerkannt. Es ist eine Art<br />
„Erzähltheater“: ein einzelner Sänger (oder<br />
Sängerin) trägt einen längeren epischdramatischen<br />
Text vor und wird dabei<br />
von einem Musiker auf einer Faßtrommel<br />
begleitet. Er singt und spielt also die Geschichte<br />
gleichzeitig. Achim Freyer, gerade<br />
von der Fachzeitschrift Opernwelt zum<br />
„Regisseur des Jahres“ gewählt, hat aus<br />
dieser traditionellen Form etwas aufregend<br />
Neues gemacht, ohne deren besondere Aura<br />
zu verfälschen. Er gestaltete unter Verwendung<br />
koreanischer Bildwelten und eigener<br />
Bildphantasien eine neue Bühnenästhetik,<br />
in der beide Formen sich gegenseitig erhellen<br />
und eine faszinierende gemeinsame<br />
Sprache als Brücke zwischen Ost und West<br />
sprechen.<br />
Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht:<br />
Achim Freyer (Foto)<br />
Textfassung:<br />
National Theatre of Korea<br />
Übersetzung:<br />
Esther Lee und Matthias R. Entreß<br />
Alle Fotos und obenstehender<br />
Einführungstext:<br />
Pressematerial der Wuppertaler Bühnen<br />
Wo bleibt die Schildkröte?<br />
Ja, wo bleibt die Schildkröte? Wieso<br />
erscheint sie nicht im Titel? Sie spielt nämlich<br />
auch eine ganz wichtige Rolle, als treueste<br />
Untertanin ihres Drachenkönigs und<br />
als Tigerbändigerin <strong>–</strong> durch die einfache<br />
Drohung, ihm in den Schwanz zu beißen<br />
(in welchen wohl?). Schließlich zeigt sie am<br />
Schluss ungewöhnliche Hartnäckigkeit,<br />
weil sie nicht glauben will, kräftig getäuscht<br />
worden zu sein.<br />
Doch der Reihe nach: Dreimal spielte<br />
das Koreanische Nationaltheater das Stück<br />
mit dem seltsamen und unvollständigen<br />
Titel, das als Pansori-Oper bezeichnet<br />
wird. Auf die Bühne gebracht hatte es der<br />
bekannte Regisseur Achim Freyer, bekannt<br />
für seine hintersinnigen und lebendigen<br />
Inszenierungen, der auch im Opernhaus<br />
anwesend war und fröhlich Sekt trank.<br />
Und man wurde nicht enttäuscht.<br />
Das Opernhaus war fest in koreanischer<br />
Hand. Die Autokennzeichen<br />
verraten, dass die Besucher von weit her<br />
gekommen waren.<br />
Wer sich schon eine halbe Stunde vorher<br />
zur Einführung (ausgezeichnet und informativ<br />
durch Matthias R. Entreß) eingefunden<br />
hatte, bekam mit, wie Pansori-Gesang<br />
in Korea im Original funktionierte. Ein<br />
einzelner Sänger, nur von einem Trommler<br />
begleitet, erzählt die Geschichte sprechend,<br />
auf alle möglichen Arten singend und vor<br />
allem mit vielen gestischen und mimischen<br />
Mitteln. Einzelnes Requisit ist ein großer Fächer.<br />
Koreaner müssen Meister der Konzentration<br />
sein, denn so ein Stück mit nur einem<br />
Darsteller-Erzähler dauert im Original um<br />
die sechs Stunden. Auch in Korea wurde<br />
seit Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen,<br />
den Text auf mehrere Personen zu verteilen,<br />
auf die Bühne zu bringen, daraus eine Art<br />
Oper zu machen, die Changgeuk genannt<br />
wird, alles verbunden mit einer Musik, die<br />
für europäische Ohren sehr ungewöhnlich<br />
klingt.<br />
Achim Freyer hatte seine Pansori-Oper<br />
schon auf drei Stunden gekürzt, trotzdem<br />
wirkte der erste Teil, wegen vieler philosophisch-weltanschaulicher<br />
Passagen gelegentlich<br />
etwas lang (einige Zuschauer, vor allem<br />
mit jüngeren Kindern, waren nach der Pause<br />
nicht mehr anwesend). Der zweite Teil war<br />
dagegen äußerst kurzweilig.<br />
Im Stück ist der Pansori-Sänger eine<br />
überdimensionale Dame in einem blauen<br />
Kleid, die das Stück beginnt und immer<br />
wieder eingreift, und aus deren Kleid immer<br />
wieder handelnde Personen hervorkommen.<br />
Alle Personen hantieren auch mit Fächern,<br />
die Gesichter sieht man allerdings nicht, weil<br />
alle Personen Masken tragen. Einige davon<br />
erinnern an Picasso und machen darauf<br />
aufmerksam, dass immer wieder Elemente<br />
der Moderne in das Stück eingebaut sind,<br />
ebenso wie Verfremdungen, Aktualisierungen,<br />
ironische Brechungen.<br />
Das Stück: Der Drachenkönig des<br />
Südmeeres, Urquelle alles Meereslebens,<br />
ist krank, offensichtlich durch Umweltverschmutzung,<br />
denn überall liegen und<br />
hängen leere Plastikfl aschen. Sein Kostüm,<br />
sehr fantasievoll wie alle anderen Kostüme,<br />
19
20<br />
erscheint so, als ob zwei Personen darin<br />
steckten: die Füße sind ganz weit vom Kopf<br />
entfernt. Die Hofschranzen bemühen sich<br />
um den kranken König; offensichtlich sind<br />
Yin und Yang nicht im Gleichgewicht.<br />
Etliche Ärzte erscheinen, der Zuschauer<br />
erhält einen Kurzkurs in traditioneller chinesischer<br />
Medizin, leicht ironisiert, weil man<br />
die unendlich vielen kleinen Anteile nicht<br />
etwa in einem großen Topf mit genügend<br />
Wasser, sondern mit genau 1,8 Liter Wasser<br />
abkochen muss und dann 20, 30 oder 40<br />
mal nehmen muss. Das hilft dem König<br />
aber nicht, obwohl ein gläsernes Tablett mit<br />
vielen Medizinfl achen plötzlich frei in der<br />
Luft schwebt und man beiläufi g erfährt, dass<br />
es in diesen Breiten nicht etwa vier, sondern<br />
fünf Himmelrichtungen gibt.<br />
Die Einnahme der Leber eines Hasen<br />
soll das Mittel sein, das den Drachenkönig<br />
heilen kann. So einer lebt aber dummerweise<br />
auf der Erde. Jemand muss also hin und<br />
ihn bewegen, zum König zu kommen und<br />
seine Leber zu opfern. Keiner der höheren<br />
Hofschranzen will das tun. Also kommt<br />
hier die dritte Hauptperson ins Spiel:<br />
Buchhalter Schildkröte wird bemüht und<br />
erklärt sich auch bereit. Da erscheint aber<br />
seine warnende Mutter, die ihn tränenreich<br />
abhalten will, sich auf die gefährliche Reise<br />
zu begeben, er sei schließlich Einzelkind in<br />
der dritten Generation (kleiner Seitenhieb<br />
auf die chinesische Bevölkerungspolitik). Als<br />
die Schildkröte sich aber weiter entschlossen<br />
zeigt und auf den Ruhm verweist, den<br />
sie erringen wird, erscheint auf einmal die<br />
komplette Familie Sumpfschildkröte und<br />
schickt ihn begeistert auf die weite Reise.<br />
Da im Südmeer aber keiner weiß, wie ein<br />
Hase aussieht, werden in einer ironischen<br />
Aktualisierung alle mögliche Maler bemüht,<br />
neben zwei Hofmalern Ai Weiwei, Andy<br />
Warhol, Dürer und Picasso. Alle versagen,<br />
Weiwei bringt nur ein großes X zustande,<br />
erst Picasso gelingt es, einen erkennbaren<br />
Hasen auf die Leinwand zu bringen, den die<br />
Schildkröte dann auch mitnimmt, um oben<br />
auf der Erde das richtige Tier erkennen zu<br />
können.<br />
Oben, in der Oberwelt, (wir sind<br />
immer noch im ersten Teil!) stellen sich die<br />
Tiere vor und suchen einen König, werden<br />
aber vom Tiger gestört. Der ist besonders<br />
fantasievoll dargestellt, nämlich durch zwei<br />
Personen, eine bildet Kopf und Vorderleib,<br />
die zweite das Hinterteil, vorne ist der herausragende<br />
Penis, hinten der Schwanz mit<br />
einer Art Morgenstern wie bei einem Dinosaurier.<br />
Die Schildkröte muss, bis sie beim<br />
Hasen angelangt ist, allerlei lebensgefährliche<br />
Abenteuer bestehen. Auch der Tiger würde<br />
sie zu gern (als Sumpfschildkrötensuppe!)<br />
fressen. Und wie gewinnt die Schildkröte?<br />
Indem sie dem Tiger androht, ihn kräftig in<br />
sein edelstes Teil zu beißen.<br />
Der Hase lässt sich dann von der<br />
Sumpfschildkröte bereden, mit in die Unterwasserwelt<br />
zu kommen. Dass seine Leber
gebraucht wird, wird ihm natürlich nicht<br />
gesagt. Gelockt wird er mit der Aussicht, unten<br />
ausgerechnet militärischer Ausbildungsleiter<br />
zu werden, in einer Welt, in der es<br />
keine Waffen oder Gewalt geben soll, anders<br />
als in der Oberwelt. Der Hase rudert bei der<br />
Fahrt nach unten zu schnell und muss von<br />
der Schildkröte korrigiert werden, damit die<br />
beiden überhaupt voran kommen.<br />
Inzwischen geht es dem Drachenkönig<br />
immer schlechter und er verlangt die Hasenleber.<br />
(Übrigens unterbricht erst an dieser<br />
Stelle eine Pause das Stück.) Und als der<br />
Hase angekommen ist, ist er sehr erstaunt,<br />
dass er nicht militärischer Ausbildungsleiter<br />
wird, sondern in einer Welt, die keineswegs<br />
so friedlich ist wie versprochen, sein Leben<br />
für eine Medizin hergeben soll.<br />
Der Hase, überall wenig geachtet und<br />
immer auf der Flucht, beweist jetzt seine<br />
Schlauheit und seinen Einfallsreichtum.<br />
Zuerst behauptet er, kein Hase, sondern<br />
ein Hund zu sein, das fi nden König und<br />
Untertanen aber viel besser (noch ein kleiner<br />
Seitenhieb: es wird ja immer wieder behauptet,<br />
dass Chinesen alles essen, was vier Beine<br />
hat.). Es verfängt auch nicht, als er vorgibt,<br />
ein Kalb oder ein Fohlen zu sein. Dann legt<br />
sich der Hase auf den Tisch und bittet den<br />
Henker, ihn aufzuschneiden; der könne<br />
dann lange suchen, denn er habe gar keine<br />
Leber. Der Henker und die mit überdimensionalen<br />
Esswerkzeugen am Tisch sitzenden<br />
Hofschranzen stimmen dem begeistert zu,<br />
doch der König, dem es ständig besser zu gehen<br />
scheint, lehnt das ab, auch weil ihm der<br />
Hase immer sympathischer wird. Er bietet<br />
ihm sogar das Du an, so dass es weitergeht<br />
mit „Drägi“ und „Hasi“. Dieser wird immer<br />
kühner und behauptet, seine Leber in der<br />
Oberwelt gelassen zu haben, eingewickelt<br />
in ein Blatt und an einem Baum hängend,<br />
um dort in der Sonne zu trocknen. Den<br />
Einwand, das gäbe es nicht, kontert er mit<br />
dem Hinweis: Ich habe drei Löcher, eins fürs<br />
große Geschäft, eins fürs kleine Geschäft<br />
und eins, um die Leber rein- und raus zu<br />
nehmen. Auch der mehrfach wiederkehrende<br />
Henker und die hungrig ihre Messer<br />
und Gabeln schwingenden Hofschranzen<br />
können nicht verhindern, dass der Drachenkönig<br />
den Hasen und die Schildkröte wieder<br />
nach oben schickt, im die am Baum hängende<br />
Leber zu holen. Oben angekommen,<br />
triumphiert Hasi und verhöhnt die brave<br />
Schildkröte. Als diese nicht glauben kann,<br />
getäuscht worden zu sein und den Hasen<br />
mehrfach bittet, ihm doch seine Leber zu<br />
geben, wird sie von diesem, der vorher so<br />
schöne hehre Geschichten erzählen konnte,<br />
als „inzestuöser Hurensohn“ beschimpft.<br />
Schließlich entleert sich der Hase geräuschvoll<br />
aus allen drei Löchern (die Leber bleibt<br />
aber im Hasen!), packt alles in einen Sack<br />
und wirft es der Schildkröte zu. „Damit<br />
kannst du deinen König heilen!“ Ob es<br />
damit gelungen ist?<br />
Damit ist das Stück zu Ende. Unterschiedliche<br />
Sprachebenen werden<br />
21
22<br />
gemischt. Vor allem im zweiten Teil dominieren<br />
Witz und Derbheit, das Tempo<br />
steigert sich und auch das Vergnügen des<br />
(leicht gelichteten) Publikums.<br />
Über die Musik, z.T. übernommen,<br />
z. T. von Freyer in Auftrag gegeben, lässt<br />
sich wenig sagen, weil sie unbekannt und<br />
ungewohnt ist. Für meine Ohren verband<br />
sie sich aber zunehmend mit der Sprache<br />
und den Aktionen auf der Bühne. Zudem<br />
war die Handlung durch die punktgenaue<br />
Übertitelung (auf deutsch und koreanisch)<br />
hervorragend nachzuvollziehen, so dass<br />
man sich voll auf das koreanische „Gesamtkunstwerk“<br />
konzentrieren konnte.<br />
Wer nicht da war, hat ein wundervolles<br />
und anregendes Theaterereignis verpasst.<br />
Der Wuppertaler Musikintendanz<br />
ist sehr zu danken, dass sie dieses Stück<br />
nach Wuppertal geholt hat.<br />
Fritz Gerwinn<br />
Unsere Kulturförderung<br />
ist gut für die Sinne.<br />
Sparkassen-Finanzgruppe<br />
Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nicht-staatliche Kulturförderer<br />
Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für<br />
die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de<br />
Sparkasse. Gut für Wuppertal.<br />
S
Skulpturen der Nachkriegszeit und<br />
Räume der Gegenwartskunst<br />
Museum Ludwig Köln<br />
bis zum 22. April 2012<br />
Andreas Siekmann<br />
Dante und Vergil gehen durch die Welt,<br />
2011<br />
Ausdrucke auf Papier und Multiplex,<br />
Modell, Mechanik<br />
Maße variabel<br />
Im Besitz des Künstlers<br />
Foto: Achim Kukulies<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />
Vor dem Gesetz<br />
Die Frage nach den grundlegenden Bedingungen<br />
des Menschseins ist von zeitloser<br />
und gleichsam dringlicher Bedeutung.<br />
Tagtäglich sind Menschenrechtsverletzungen<br />
und Angriffe auf die menschliche Würde zu<br />
beobachten - die medialen Bedingungen erlauben<br />
dabei einen scheinbar immer gründlicheren<br />
Blick. Die Ausstellung Vor dem<br />
Gesetz widmet sich in ebenso konzentrierter<br />
wie umfassender Weise dem zentralen<br />
Thema der menschlichen Existenz und ihrer<br />
Verletzlichkeit. Mit großer Unmittelbarkeit<br />
verbildlichen die Skulpturen der Nachkriegszeit<br />
und Räume der Gegenwartskunst die<br />
Auseinandersetzungen mit der Conditio<br />
Humana.<br />
Die gemeinsam mit der Siemens<br />
Stiftung organisierte Schau ist die letzte programmatische<br />
Ausstellung von Kasper König<br />
am Museum Ludwig.<br />
Titelgebende Parabel und Metapher für<br />
das Thema der Ausstellung ist Kafkas gleichnamige<br />
Kurzgeschichte. Sie erzählt, wie ein<br />
Mann vom Lande um Einlass in das Gesetz<br />
bittet. Ein Türhüter verwehrt ihm den<br />
Zugang und vertröstet ihn immer wieder auf<br />
einen möglichen späteren Zeitpunkt. Der<br />
Mann vom Lande bleibt sein ganzes Leben<br />
lang in wartender Position vom Gesetz<br />
ausgeschlossen. Der sich über die Jahre nicht<br />
verändernde Türhüter ist dabei die überzeitliche<br />
statuenhafte Gegenfi gur zum alternden<br />
Individuum, das der Mann vom Lande<br />
verkörpert.<br />
Bemerkenswert ist im Vergleich zu<br />
anderen Defi nitionen Kafkas Entwurf des<br />
Gesetzes als Raum, der betretbar und endlich<br />
ist, zu dem es einen Zugang oder von dem es<br />
einen Ausschluss gibt. Die Ausstellung greift<br />
dieses Gedankenbild auf und entwickelt<br />
eine die gesamte zweite Etage umspannende<br />
Raumsituation, in der die 28 künstlerischen<br />
Positionen sehr dezidiert ihren eigenen Ort<br />
defi nieren.<br />
Vor dem Gesetz vereint fi gurative<br />
Skulpturen der Nachkriegszeit mit aktuellen<br />
Positionen und spannt damit einen Bogen<br />
über die vergangenen sechzig Jahre. Die<br />
Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stellt<br />
eine zentrale Zäsur im Hinblick auf Menschenrechte<br />
und Menschenwürde dar, die<br />
ausschlaggebend für das heutige Verständnis<br />
wurde und Niederschlag im ersten Artikel<br />
des Deutschen Grundgesetzes fand. Vor<br />
23
diesem Hintergrund bilden die Werke der<br />
Nachkriegszeit, die den geschundenen,<br />
verletzten und gefährdeten Menschen in<br />
großer Direktheit zeigen, den argumentativen<br />
Kern der Ausstellung. Statuen von<br />
Germaine Richier, Gerhard Marcks oder<br />
Alberto Giacometti geben dem traumatisierten<br />
Menschen Gesicht und Körper und<br />
fi nden eine künstlerische Ausdrucksform für<br />
die Sprachlosigkeit der Zeit. Sie bilden den<br />
Ausgangspunkt für die Betrachtung der zeitgenössischen<br />
Installationen von Künstlern<br />
wie Phyllida Barlow, Paul Chan oder Zoe<br />
Leonard. Im Gegensatz zu ihren historischen<br />
‚Vor-Bildern' haben diese Werke die<br />
fi gürliche Darstellung des Menschlichen<br />
weitgehend aufgegeben. In häufi g räumlicher<br />
Dimension und unter Verwendung der<br />
unterschiedlichsten Materialien nähern sich<br />
Bruce Nauman<br />
Carousel, 1988<br />
Stahl und Aluminium<br />
Höhe: 213,4 cm, Durchmesser: 550,5 cm<br />
Gemeentemuseum Den Haag<br />
Foto: Achim Kukulies<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />
Pawel Althamer<br />
Bródno People, 2010, Verschiedene<br />
Materialien, 252 x 600 x 165 cm<br />
Sammlung Goetz, Foto: Achim Kukulies<br />
© Pawel Althamer, Courtesy Samml. Goetz<br />
linke Seite:<br />
Marko Lehanka<br />
Ohne Titel (Bauerndenkmal), 1999<br />
Verschiedene Materialien (Holz bemalt,<br />
Elektrik, Glühlampen, Möbelhund,<br />
Kugelschreiber, Bootslack, Bergwiesenheu,<br />
Sense, Kompostgabel, Ton, Draht, Hirse,<br />
Stoffzigaretten, Montierlampe, Stoff,<br />
Kunsthaare, Kunstleder, Einmachglas,<br />
<strong>KG</strong>-Rohr), 453 x 80 x 88 cm<br />
Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin<br />
Foto: Achim Kukulies, © Marko Lehanka<br />
die Künstler den immer weiter aufgesplitterten<br />
und komplexen Bedingungen der<br />
menschlichen Gegenwart.<br />
Die Ausstellung Vor dem Gesetz zeigt<br />
nicht nur die anhaltende Aktualität und<br />
Aussagekraft fi gurativer Nachkriegsskulptur,<br />
sondern schärft durch den historischen<br />
Kontext vor allem den Blick für das humanistische<br />
Potential für Gegenwartskunst. In<br />
einer Zeit zunehmender Verunsicherung<br />
und Schnelllebigkeit scheint die Auseinandersetzung<br />
mit einer Kunst notwendig, die<br />
mit Ernsthaftigkeit auf der Kategorie des<br />
Menschlichen insistiert.<br />
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher<br />
Katalog im Verlag der Buchhandlung<br />
Walther König mit Beiträgen von Penelope<br />
Curtis, Friedrich Wilhelm Graf, Kasper König,<br />
Thomas Macho und Thomas D. Trummer.<br />
KünstlerInnen: Pawel Althamer, Carl<br />
Andre, Phyllida Barlow, Joseph Beuys, Karla<br />
Black, Monica Bonvicini, Reg Butler, Paul<br />
Chan, Fritz Cremer, Jimmie Durham, Katharina<br />
Fritsch, Alberto Gia-cometti, Candida<br />
Höfer, William Kentridge, Marko Lehanka,<br />
Wilhelm Lehmbruck, Zoe Leonard,<br />
Giacomo Manzù, Gerhard Marcks, Marino<br />
Marini, Henry Moore, Bruce Nauman, Germaine<br />
Richier, Ulrich Rückriem, Thomas<br />
Schütte, George Segal, Andreas Siekmann,<br />
Andreas Slominski, Ossip Zadkine<br />
Eine gemeinsame Ausstellung des<br />
Museum Ludwig Köln und der<br />
Siemens Stiftung bis 22. April 2012<br />
Weitere Informationen unter<br />
www.museum-ludwig.de<br />
25
26<br />
Das CaféADA als Ort<br />
der Begegnung<br />
Mitten in Wuppertal, in einer der<br />
„ungeschminkten“ Gegenden am Fuße der<br />
Nordstadt, hat sich seit zwanzig Jahren ein<br />
Ort der besonderen Art etabliert,<br />
das CaféADA.<br />
Mein Leben ist ein Tango<br />
Kaum habe ich die unscheinbare Türe des<br />
Windfangs geöffnet, fühle ich mich aufgenommen<br />
in eine andere Welt: Eine Bar,<br />
schlichte dunkle Holztische mit Teelichtern,<br />
Caféhausstühlen und einer Tanzfl äche,<br />
an deren Rückwand auf einer kleinen<br />
Empore, wie aus einem Stück von Pina<br />
Bausch vergessen, ein Klavier lehnt. Nur<br />
wenige Gäste sind zu sehen <strong>–</strong> noch ist die<br />
Tanzfl äche leer. Mehmet Dok probiert<br />
am Mischpult den Sound, die wehmütige<br />
Stimme eines Tangosängers klagt durch<br />
den Raum. Jetzt habe ich Gelegenheit,<br />
Menschen zu sprechen, denen es tatsächlich<br />
gelungen ist, sich ihren Traum zu<br />
verwirklichen: Mehmet Dok, der sich für<br />
einen Augenblick zu uns gesellt, aus der<br />
Türkei, Inhaber des CaféADA, Jean Lau-<br />
rent Sasportes aus Frankreich, Mitglied<br />
des Tanztheaters Pina Bausch, der einen<br />
Teil des Kulturprogramms gestaltet, der<br />
Mitinitiator Yener Sözen, aus der Türkei,<br />
Jurist, Carmen aus Andalusien und César<br />
aus Argentinien, beide seit fast zwei Jahren<br />
als professionelles Tanzlehrerpaar für<br />
Tango Argentino engagiert.<br />
Farbige Scheinwerfer rücken dezent ins<br />
Licht worum sich hier alles dreht <strong>–</strong> den<br />
Tanz, sei es argentinischer Tango, Salsa,<br />
oder Rembetika. Heute ist Tangosalon,<br />
allmählich füllt sich die Tanzfl äche mit<br />
Paaren, die sich dem Argentinischen Tango<br />
hingeben, und das auf hohem Niveau.<br />
Man spürt sofort, hier geht es weniger<br />
ums Essen oder Reden, sondern um den<br />
Tanz.
Mehrmals in der Woche kommen sie<br />
hierher aus dem gesamten Ruhrgebiet, ja,<br />
aus Holland <strong>–</strong> Verkäufer, Intellektuelle,<br />
Vertreter, Lehrer, sogar Pfarrer, Menschen<br />
aller Altersstufen, Anfänger und Fortgeschrittene.<br />
Wuppertal ist zur Hochburg des Tango<br />
geworden, seit Mehmet Dok, Jean Laurent<br />
Sasportes und Yener Sözen 1992 das<br />
CaféADA eröffnet haben.<br />
Jean Laurent Sasportes und Mehmet Dok<br />
hatten sich bereits im Vorgängercafé des<br />
ADA kennengelernt. Schon damals kamen<br />
sie gern hierher, „wir haben uns wie<br />
auf einer Insel gefühlt, man dachte, man<br />
sei geographisch weit weg.“ Jean Laurent<br />
Sasportes hat die obere Etage als Probenraum<br />
genutzt und ihm war klar, dass<br />
dies der ideale Raum für Aufführungen,<br />
Konzerte und Ausstellungen sei. Als Mehmet<br />
Dok das Lokal übernahm, sahen sie<br />
die Zeit gekommen, ihre Vorstellungen<br />
von einem Ort der Begegnung in die Tat<br />
umzusetzen: Die Idee war ein Tangosalon.<br />
Die Initiatoren waren sicher, dass<br />
Wuppertal gerade wegen seiner Offenheit<br />
der geeignete Ort sei, ihre Träume<br />
Wirklichkeit werden zu lassen, und so<br />
war es <strong>–</strong> „Diese Stadt hat uns das möglich<br />
gemacht“, meint Mehmet Dok. ADA<br />
ist türkisch und bedeutet „Insel“, das<br />
Inselgefühl, die Vorstellung, an einem<br />
ganz und gar außergewöhnlichen Ort zu<br />
sein, hat man noch immer, obgleich oder<br />
gerade weil der Raum so schlicht ist. Es<br />
liegt an der besonderen Atmosphäre des<br />
CaféADA und an den Menschen, die man<br />
dort treffen kann.<br />
Ursprünglich befand sich hier in der<br />
Wiesenstraße ein Möbellager mit einer<br />
Diskothek und einem darüber liegenden<br />
Veranstaltungssaal. Man tanzte auf unebenem<br />
Betonboden mit herausstehenden<br />
Eisenträgern, während das Regenwasser<br />
vom Dach in bereitgestellte Wassereimer<br />
tropfte. Das alles konnte der Begeisterung<br />
für den Tango wenig anhaben, doch als<br />
das CaféADA einem Supermarkt weichen<br />
sollte, wussten dies namhafte Persönlichkeiten<br />
der Stadt Wuppertal zu verhindern.<br />
Mit Landesmitteln konnte das ADA bis<br />
2007 seine Räumlichkeiten erweitern und<br />
professionalisieren, ohne sein besonderes<br />
Flair zu verlieren. Ein öffentlicher Platz<br />
27
28<br />
mit Parkfl ächen, Boulebahn und Außengastronomie<br />
entstand, und wenn es das<br />
wuppertaler Wetter zulässt, kann man<br />
sogar draußen tanzen.<br />
So hat der Tango seinen Platz im CaféA-<br />
DA gefunden: Die ersten Tangokurse<br />
waren schnell ausgebucht. Pina Bausch<br />
kam oft mit ihren Tänzern, „hier war sie<br />
immer entspannt, hier konnte sie ganz<br />
privat sein“, sagt Yener Süzen. In ihrem<br />
Stück „Bandoneon“ 1980 wurde zwar<br />
Tango musiziert, aber nicht getanzt. Als<br />
sie für „Nur Du“ 1996 den berühmten<br />
argentinischen Tangotänzer Tete Rusconi<br />
engagierte, gab es im CaféADA die ersten<br />
Tangoworkshops. Carsten Heveling erinnert<br />
sich an den Humor und an den Stolz<br />
von Tete Rusconi, der seine Herkunft als<br />
echter „Porteno“ nie verleugnete und nicht<br />
mehr zu bremsen war, wenn er sich eine<br />
Tanguera geschnappt hatte und zu tanzen<br />
begann, und alle hingerissen waren.<br />
Mein Leben ist ein Tango<br />
Tango tanzen ist Ausdruck eines Lebensgefühls,<br />
einer Überzeugung, einer<br />
Philosophie. „Mein Leben ist ein Tango“,<br />
zitiert Carmen eine argentinische Redensart.<br />
Tatsächlich spiegelt der Tango<br />
das Leben <strong>–</strong> das eines Einzelnen, eines<br />
Paares oder der Gesellschaft. Parallel zum<br />
Blues und zum Jazz in New Orleans hat<br />
sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in<br />
den fi nstersten Hafenvierteln von Buenos<br />
Aires und Montevideo entlang der Mündung<br />
des Rio Plata aus dem Elend und<br />
der Einsamkeit der Einwanderer aus aller<br />
Welt der Tango Argentino entwickelt.<br />
Und deshalb kann man weder beim Blues<br />
noch beim Tango fragen, welcher denn<br />
nun der ursprüngliche sei.<br />
Die Einwanderer brachten ihre eigenen<br />
Tänze und ihre Instrumente mit, und so<br />
haben zum Beispiel Einfl üsse afrikanischer<br />
Musik, die kubanische Habanera<br />
oder der deutsche Walzer Eingang gefunden<br />
in den Tango. Die ursprünglichen<br />
Instrumente waren Geige, Flöte und<br />
Gitarre, bis aus Deutschland das Bandoneon<br />
hinzu kam.<br />
Weil unter den Einwanderern erheblicher<br />
Frauenmangel herrschte, wurde der Tango<br />
häufi g von Männern getanzt. César<br />
erzählt, dass daher einer der Männer die<br />
Rolle der Frau übernehmen musste <strong>–</strong> und<br />
erst, wenn dieser sich bedingungslos führen<br />
ließ, konnte er zum wahren Tanguero<br />
aufsteigen. Es war wohl auch so, dass<br />
Männer vorsichtshalber untereinander<br />
übten, um sich vor den Frauen nicht<br />
bloßzustellen. Argentinischer Tango ist<br />
eine wehmütige, melancholische Musik<br />
und wie der Blues Ausdruck von Gefühlen<br />
wie Verlassenheit, Liebesschmerz oder<br />
Heimweh. Doch wie im Blues ist die<br />
Melancholie nie hoffnungslos oder Selbstzweck,<br />
sondern immer zugleich Ausdruck<br />
ungebrochener Hoffnung und Lebenslust<br />
<strong>–</strong> irgendwie muss es weitergehen.<br />
Während der Militärdiktatur war in
Argentinien das Tangotanzen verboten,<br />
da den Machthabern das enge Miteinander<br />
von Menschen aller Schichten<br />
auf der Tanzfl äche bedrohlich erschien,<br />
doch seit etwa fünfzig Jahren erlebt der<br />
Argentinische Tango weltweit ungeahnten<br />
Aufschwung. Er unterscheidet sich vom<br />
Tango als Standardtanz durch den weichen<br />
Fluss der Bewegungen, die choreographische<br />
Freiheit und die Tanzhaltung.<br />
Wie der Jazz entwickelt er sich ständig<br />
weiter und spiegelt durch immer neue<br />
Stilarten gesellschaftliche Veränderungen.<br />
Auch wenn „Tango“ sich nicht aus dem<br />
lateinischen tangere = berühren ableitet,<br />
was umstritten ist, bedeutet dieser Tanz<br />
ebenso die reale körperliche Berührung<br />
wie deren strengste Stilisierung. César<br />
ist sich sicher, dass allein schon die enge<br />
Umarmung, in der Tango Argentino<br />
getanzt wird, für viele Menschen „ein<br />
Schritt ins Ungewisse ist. Wir alle sehnen<br />
uns nach körperlicher Nähe, doch fällt es<br />
uns zugleich schwer, die sichere Distanz<br />
aufzugeben. Wer umarmen kann, kann<br />
auch Tango tanzen.“<br />
Die Umarmung zweier Menschen birgt<br />
Möglichkeit und Herausforderung zugleich.<br />
Sie ist elementarer Ausdruck nach<br />
emotionalen Bedürfnissen wie Ruhe,<br />
Wärme, Nähe, Trost, Freude, Lust, Liebe,<br />
sie kann am Beginn einer Beziehung<br />
stehen aber auch an deren Ende. Sie kann<br />
sogar Ausdruck von In-Besitznahme,<br />
Feindschaft, Kampf, ja, Tod sein. Der<br />
Reiz des Tango Argentino liegt in den<br />
Gegensätzen wie intensiver körperlicher<br />
Nähe und zugleich disziplinierter Körperhaltung,<br />
Selbstbewusstsein bei gleichzeitiger<br />
Selbstvergessenheit, geladener<br />
Spannung bei gleichzeitiger Leichtigkeit,<br />
oder dem Fluss der großen Bewegung<br />
und deren Verzögerung bis zum abrupten<br />
Innehalten, von Virtuosität und Intimität.<br />
Diese Gegensätze in Harmonie zu überführen,<br />
bewirken die herbe Eleganz und<br />
den erotischen Zauber des Tango Argentino.<br />
Carmen und César möchten nichts<br />
von der viel zitierten Leidenschaft wissen,<br />
die sich angeblich im Tango ausdrückt,<br />
schon gar nicht im Tango Argentino;<br />
hoch geschlitzte Kleider und eitle Effekte<br />
sind dessen Sache nicht, zumal dieser nur<br />
ein kleiner Teil der umfassenden Kultur<br />
des Tango in Argentinien ist. Mit Sexualität<br />
hat der Tango Argentino nichts zu tun.<br />
„Tango Argentino bedeutet eine ständige<br />
Suche nach der Vervollkommnung von<br />
Bewegungen, das wird nie langweilig und<br />
dauert ein ganzes Leben“, ergänzt César.<br />
Tango tanzen vollzieht sich in bestimmten<br />
Ritualen: Carmen sagt, dass früher<br />
selbstverständlich immer der Mann<br />
geführt hat, die Frau folgte seinen Vorgaben.<br />
Heute, im Zeitalter der Emanzipation<br />
ist das anders, auch im Tanz<br />
gibt die Frau nicht unbedingt nach, sie<br />
darf sogar eigene Vorschläge einbringen.<br />
Umgekehrt muss der moderne Mann<br />
Carmen und César<br />
29
30<br />
unter Umständen erst wieder lernen, seine<br />
Dame zu führen. César meint, als Lehrer<br />
entdecke man schnell die Persönlichkeit<br />
des Tänzers und könne ihm helfen, sich<br />
zu befreien und Selbstvertrauen zurückzugewinnen,<br />
selbst wenn das zuweilen viel<br />
Zeit und Geduld erfordert.<br />
Ein Tangotänzer, der das CaféADA von<br />
Anbeginn begleitet hat, erzählt, dass<br />
natürlich der Mann die Frau auffordert,<br />
doch „besonders in argentinischen Tangosalons<br />
steht das auch der Frau zu, allerdings<br />
gilt es für den Mann, blitzschnell<br />
auf einen Wimpernschlag zu reagieren.<br />
Wer in ein Tangolokal kommt, signalisiert<br />
Tanzbereitschaft. Früher, als hier noch<br />
alle an einem langen Tisch saßen, war das<br />
einfacher, man tanzte mit verschiedenen<br />
Partnern. Allerdings muss man erst die<br />
Tänze mit dem Kavalier der Dame abwarten<br />
und dann herausfühlen, ob man mit<br />
ihr tanzen darf. Sie schon nach ein oder<br />
zwei Tänzen an den Tisch zurückzuführen<br />
wäre sehr unhöfl ich. Wie eine Frau sich<br />
anfühlt weiß man vorher nie, sie kann<br />
gut trainiert aber ganz hart sein oder sehr<br />
wohlbeleibt und trotzdem tanzen wie eine<br />
Feder.“<br />
Tango Argentino ist eine Kommunikation<br />
besonderer Art, es gibt weder Smalltalk<br />
noch Keep Smiling. Die Tänzer geben sich<br />
der Musik und dem Fluss der Bewegung<br />
schweigend hin. „Wenn man Glück hat,<br />
so erlebt man für ganz kurze Augenblicke<br />
das Gefühl der vollkommenen Übereinstimmung,<br />
dann kann man eigentlich<br />
nach Hause gehen,“ sagt der Tangotänzer.<br />
Aber diesen Moment der Seligkeit möchte<br />
man immer wiederfi nden, auch dann,<br />
wenn es viel Mühe und Enttäuschungen<br />
kostet. Doch dafür gibt es ja die Kurse<br />
und die professionellen Lehrer!<br />
Der Tango verbindet zwar die Menschen,<br />
aber gerade deshalb kann er manchmal<br />
auch zum Prüfstein für Beziehungen werden.<br />
Carmen und César beobachten, dass<br />
die Paare schnell merken, ob es stimmig<br />
ist oder nicht. Der Tangotänzer sagt dazu:<br />
„Ich kann mit einer Frau frühstücken und<br />
Kinder großziehen, aber es kann sein, dass<br />
ich mit ihr keinen Tango tanzen kann.“ So<br />
kann es passieren, dass Beziehungen zerbrechen<br />
oder entstehen. Auf dem Parkett<br />
zählen weder Alter, Geschlecht, Herkunft<br />
oder Einkommen, sondern allein die<br />
Qualität des Tanzens.<br />
Im Laufe der letzten 15 Jahre haben<br />
immer wieder namhafte Lehrer unterrichtet,<br />
und jeder von ihnen hat den Tango<br />
weitergebracht, so dass sich das CaféADA<br />
den Ruf als Kulturstätte für die Entwicklung<br />
des Tango erworben hat. Dazu<br />
trägt auch das inzwischen zur Tradition<br />
gewordene Tangofestival in der Historischen<br />
Stadthalle bei, dessen Veranstalter<br />
Carsten Heveling ist. Mit dem CaféADA<br />
und neuerdings dem Barmer Bahnhof<br />
als weitere Austragungsorte ist es eins der<br />
größten Festivals der Welt. Immerhin<br />
kommen fast 90% der Besucher von<br />
weit her, und darauf darf Wuppertal stolz<br />
sein. Heveling ist übrigens einer der ganz<br />
wenigen Fachleute für die Restaurierung<br />
des klassischen Tango-Bandoneons und<br />
war im ADA einer der Organisatoren der<br />
ersten Stunde.<br />
1998 wurde der Verein „Mare“ e.V.<br />
gegründet. Vorsitzender ist Yener Sözen;<br />
der verstorbene Musiker Peter Kowald war<br />
einer der Gründungsmitglieder. „ADA“<br />
ist also die „Insel“, gleichsam umgeben<br />
vom „MARE“ der kulturellen Vielfalt. Es<br />
war die Idee von Mehmet Dok und Jean<br />
Laurent Sasportes, über die Tanzkurse<br />
hinaus ein breites kulturelles Programm<br />
anzubieten. Sasportes hat die künstlerische<br />
Leitung für Theater- und Tanzveranstaltungen<br />
inne. Sein Vorrat an Ideen ist<br />
unerschöpfl ich! Neben den etablierten<br />
Häusern wünschte er sich eine kleinere<br />
Bühne, auf der man experimentieren<br />
kann, etwa wie im Tanzhaus in Düsseldorf.<br />
So bietet das CaféADA jungen<br />
Tänzern und Choreographen ein Forum<br />
für interdisziplinäres Arbeiten. Die Reihe<br />
„Ikonoclaste“ (Bildersturm) meint das<br />
Ausbrechen aus künstlerischen Normen.<br />
Der Höhepunkt des vierten „Ikonoclaste“<br />
2011 war die Aufführung „carte blanche“<br />
mit Choreographien von und mit Tänzern<br />
des Tanztheaters Pina Bausch.<br />
Neben Aufführungen gibt es Jazzkonzerte,<br />
Ausstellungen, und vieles mehr. Unlängst<br />
hat die WDR-Bigband unmittelbar<br />
nach ihrem ersten Konzert den Wunsch<br />
geäußert, einen neuen Termin zu erhalten;<br />
Peter Brötzmann tritt hier auf, und man<br />
arbeitet mit der Musikschule zusammen.<br />
Leider fehlt es immer an Geld, und immer<br />
gibt es zu viel Bürokratie. So ist der Verein<br />
dankbar, dass ehrenamtlichen Mitarbeiter<br />
helfen, das Programm zu bewältigen und<br />
die technische Abteilung des Wuppertaler<br />
Tanztheaters Unterstützung leistet, - und<br />
zuweilen fi nden sich Sponsoren.<br />
Mehmet Doks Haus ist multikulturell,<br />
man spricht Deutsch, Englisch, Spanisch<br />
und natürlich Türkisch, denn die<br />
Mitarbeiter kommen aus verschiedenen<br />
Ländern. Auf meine Frage, wie sich Tango<br />
und muslimischer Glaube vereinbaren<br />
lassen, schaut er mich überrascht an:<br />
“Eigentlich sind alle Religionen mehr oder<br />
weniger körperfeindlich, Religionen spielen<br />
im CaféADA überhaupt keine Rolle.“<br />
Immerhin ist der Tango 2009 zum Weltkulturerbe<br />
ernannt worden. Kulturarbeit<br />
ist im ADA die Begegnung mit sich selbst<br />
und mit anderen, die durch den Tango<br />
vermittelt wird. „Die Symbiose war von<br />
Anfang an da, der Geist des Hauses und<br />
der Tango gehören zusammen“, sagt Yener<br />
Sözen. So erzählt Mehmet Dok stolz, das<br />
CaféADA sei gleichsam Pinas Bauschs<br />
Wohnzimmer gewesen, und man habe<br />
sich wie eine kleine Familie gefühlt.<br />
Tatsächlich ist die Tangogemeinde wie<br />
eine Familie, jeder ist willkommen, jeder<br />
hilft jedem, jeder kann hier tun was er<br />
möchte, schweigen, reden, lesen, spielen,<br />
arbeiten, essen oder eben tanzen. Für<br />
einen Stammgast der ersten Stunde, der<br />
nicht zum Tanzen sondern als passionierter<br />
Zuschauer kommt, ist dieses Haus „ein<br />
Ort hoher künstlerischer Qualität und<br />
Authentizität, der jenseits ausgetretener<br />
Kulturpfade künstlerische Besonderheiten<br />
bietet, die sonst nirgends zu haben<br />
sind. Man wird sofort von der einmaligen<br />
Atmosphäre des Hauses umfangen und<br />
verlässt es nie ohne bereichert worden zu<br />
sein. Hier treffen die verschiedenartigsten<br />
Menschen zusammen, man muss sich nur<br />
einlassen, dann passiert immer etwas.“<br />
Das alles macht der Tango möglich. Von<br />
diesem Tanz hat Tete Rusconi gesagt: „Wir<br />
verlieren den Tango, wenn wir ihn nicht<br />
respektieren.“ Darum braucht man im<br />
CaféADA keine Sorgen zu haben, man<br />
braucht nur hinzugehen.<br />
Informationen unter www.cafeada.de<br />
Marlene Baum<br />
Fotos CaféADA
Magischer Heiler und Erzähler<br />
Axel Munthe und der Traum von<br />
San Michele<br />
Etruskische Sphinx / Loggia der Villa<br />
Axel Munthe<br />
Er verfügte über einen inneren Kompass,<br />
der ihn mit untrüglicher Sicherheit<br />
durch seinen Lebensweg leitete.<br />
Wie nur wenige Menschen hörte er<br />
auf seine innere Stimme, der er mit<br />
unbedingter Konsequenz folgte. Nur so<br />
konnte er den unglaublich erscheinenden<br />
Lebenstraum verwirklichen, „seine“<br />
Villa San Michele in Anacapri wider<br />
alle praktische Vernunft zu errichten.<br />
Die Verwirklichung seines Lebenstraumes<br />
glaubte er durch den frühen<br />
Verlust seines Augenlichtes bezahlen zu<br />
müssen. Tragischerweise konnte er aufgrund<br />
dieser Erkrankung nicht soviel<br />
Lebenszeit auf seiner Traum-Insel Capri<br />
verbringen, wie er es sich erhofft hatte.<br />
Als Axel Munthe 1949 in Stockholm<br />
im Alter von 92 Jahren starb, fand<br />
man in seiner Tasche ein Ticket nach<br />
Capri, so als habe er geahnt, dass der<br />
Tod, gegen den er als Arzt gekämpft<br />
und mit dem als Autor gerungen hatte,<br />
ihn bald ereilen würde. Er wollte wohl<br />
dort sterben, wo er das größte Glück<br />
seines Lebens gefunden hatte: 1875<br />
hatte er im Alter von nur 18 Jahren die<br />
Insel besucht und war ihrem Charme<br />
erlegen. Er hatte die Vision, auf der<br />
Insel eine Villa zu errichten und dort zu<br />
leben. Zwölf Jahre und eine erfolgreiche<br />
Karriere als „Modearzt“ später hatte<br />
er sich diesen Traum verwirklicht: ein<br />
lichtdurchfl utetes Haus in schwindelerregender<br />
Lage, hart am Abgrund und<br />
mit Blick auf Neapel, Sorrent und den<br />
Vesuv.<br />
Eng verwandt mit der Gabe, auf die<br />
eigene innere Stimme hören und ihr<br />
folgen zu können, ist die Fähigkeit,<br />
die Triebfedern und Lebensmotive<br />
anderer Menschen zu erkennen. Sein<br />
Erfolg als Arzt beruhte zu großen<br />
Teilen auf diesem „tiefen Blick“, mit<br />
dem er in die Seelen der Menschen<br />
schaute und das komplexe Zusammenspiel<br />
von Körper und Psyche<br />
intuitiv ergründete. Er konnte sich<br />
ebenso in seine Patienten aus der<br />
Hautevolee <strong>–</strong> darunter gekrönte<br />
31
32<br />
Häupter <strong>–</strong> versetzen wie in diejenigen,<br />
die aus den untersten und ärmsten<br />
Schichten kamen und die er ohne Bezahlung<br />
behandelte. So gelangen ihm<br />
auf geradezu magische Weise unerwartete<br />
Heilerfolge, die seinen Namen<br />
als „Modearzt“ begründeten. Gerade<br />
aus Perspektive der Faszination für<br />
ein einfaches und bäuerliches Leben<br />
konnte er die Überspanntheiten und<br />
Neurosen seiner Patienten aus der<br />
High Society verstehen und heilen.<br />
Nicht nur wissenschaftliche Methode,<br />
sondern vor allem die magische<br />
Fähigkeit zur Einfühlung machten ihn<br />
zu einem überaus erfolgreichen Arzt.<br />
Magisch war auch sein Verhältnis<br />
zur Natur und insbesondere zu den<br />
Tieren, die er über alles liebte. Die<br />
Hunde und Affen, mit denen er lebte,<br />
waren ihm Freunde und Wegbegleiter,<br />
zu denen er eine größere Nähe<br />
empfand als wohl zu irgendeinem<br />
Menschen. Und unter den Menschen<br />
waren ihm die vermeintlich einfachsten<br />
die liebsten. Diese hatte er auf<br />
Capri gefunden.<br />
Dieser tiefe Blick und das Gefühl für<br />
die Beseeltheit der Natur, die er sich<br />
als Mensch und Arzt in einer Zeit<br />
zunehmender Wissenschaftsgläubigkeit<br />
bewahren konnte, machten ihn<br />
zugleich zu einem Schriftsteller, der<br />
hinter die Fassaden der „objektiven“<br />
Wirklichkeit schauen konnte. Er<br />
war ein großer Fabulierer und noch<br />
hinter seinen unwahrscheinlichsten<br />
Geschichten, die er erzählte, steckte<br />
ein großes Körnchen Wahrheit. Wohl<br />
deshalb konnte „Das Lied von San<br />
Michele“ mit weltweit etwa 30 Millionen<br />
verkauften Exemplaren eines<br />
der erfolgreichsten Bücher der ersten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts werden.<br />
So wie „seine“ Villa San Michele<br />
zwischen Himmel und Erde schwebt,<br />
so schwebt auch dieses Buch zwischen<br />
Dichtung und Wahrheit. Doch gerade<br />
in diesem Schwebezustand enthält die<br />
Autobiographie Axel Munthes einen<br />
reichen Schatz an Weisheit und Poesie.<br />
Er war weder der größte Arzt noch<br />
der größte Schriftsteller, den die Welt<br />
je gesehen hat; aber er war einer der<br />
Menschen, die wie nur wenige andere<br />
<strong>–</strong> durch alle Wechselfälle des Lebens <strong>–</strong><br />
sich selbst treu geblieben sind. Leben,<br />
Beruf und schriftstellerisches Werk<br />
sind bei ihm eins, verschmelzen zu<br />
einem Gesamtkunstwerk. Gerade in<br />
unseren postmodernen Zeiten, in der<br />
wir uns selbst in der Beliebigkeit des<br />
„Anything goes“ zu verlieren drohen,<br />
kann daher das „Das Buch von<br />
San Michele“ für den heutigen Leser<br />
Kompass und Orientierung sein, den<br />
Mut und die Konsequenz zu haben,<br />
den ganz eigenen Weg zu gehen.<br />
Heiner Bontrup<br />
Text und Fotos<br />
Hermes / Loggia der Villa Axel Munthe
Museum Ludwig Köln<br />
Exponate aus dem Wohnhaus<br />
von Irene und Peter Ludwig<br />
bis zum 24. Juni 2012<br />
Candida Höfer<br />
Eupener Strasse Aachen IV 2011<br />
2011, C-Print, 152 x 189,6 cm<br />
© Candida Höfer, VG Bild-Kunst,<br />
Bonn 2011<br />
Im Andenken an Irene Ludwig<br />
Vor einem Jahr, am 28. November 2010,<br />
starb unerwartet Frau Prof. Dr. h.c. mult.<br />
Irene Ludwig. In ihrem Testament verfügte<br />
sie aus ihrem Nachlass spektakuläre Schenkungen<br />
und Dauerleihgaben für das Museum<br />
Ludwig und das Museum Schnütgen.<br />
Insgesamt 528 Werke aus dem Besitz von<br />
Prof. Ludwig bereichern nun auf Dauer<br />
die Kölner Sammlungen.<br />
Neben dem herausragenden Konvolut<br />
von Werken der Russischen Avantgarde<br />
verfügte Irene Ludwig auch, neun Werke<br />
aus ihrem privaten Haus als Dauerleihgabe<br />
an das Museum Ludwig zu geben.<br />
Darunter befi ndet sich der erste Ankauf<br />
des Ehepaars Ludwig im Bereich der<br />
Klassischen Moderne: ein Frühwerk von<br />
Karl Hofer, „Nach dem Bade“, aus dem<br />
Jahr 1912. Außerdem Werke von August<br />
Macke, Fernand Léger, Henri Matisse,<br />
Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky,<br />
Roy Lichtenstein, Jasper Johns und Jackson<br />
Pollock.<br />
Anlässlich ihres ersten Todestages hat<br />
das Museum Ludwig einen Raum mit<br />
jenen Werken eingerichtet, die aus<br />
dem Privathaus von Peter und Irene<br />
Ludwig stammen und nun erstmals<br />
der Öffentlichkeit präsentiert werden.<br />
Ergänzt wird diese Präsentation durch<br />
drei Werke von Candida Höfer, die die<br />
privaten Räume des Ehepaars Ludwig<br />
dokumentieren.<br />
„Von 1957 an hat es uns angespornt,<br />
in Museen durch unsere Erwerbungen Akzente<br />
zu setzen, und vollends nach 1968<br />
wurde uns bewusst, was uns vorantrieb:<br />
Mit unseren Taten wollten wir Informationslücken<br />
schließen. Wir wollten in die<br />
Öffentlichkeit bringen, was Bewegung<br />
auslöste und den Blick erweiterte“, so<br />
beschrieb Peter Ludwig die Motivation<br />
des Ehepaars. Diese Sammelleidenschaft<br />
prägte aber auch ihr direktes privates<br />
Umfeld. Im 1953 gebauten Wohnhaus<br />
waren die sich heute im Museum Ludwig<br />
33
efi ndlichen Kunstwerke Teil eines<br />
beeindruckenden Gesamtensembles von<br />
Kunstschätzen aus allen Kontinenten<br />
und aus den unterschiedlichsten Zeiten.<br />
Darüber hinaus ließen Peter und Irene<br />
Ludwig beim Bau alte Türen, Glasscheiben,<br />
Gitter und Keramikkacheln als<br />
Spolien in die Architektur einsetzen.<br />
Bevor die Kunstwerke in ihren neuen<br />
Aufenthaltsort im Museum Ludwig<br />
gebracht wurden, beauftragte die Peter<br />
und Irene Ludwig Stiftung die Kölner<br />
Künstlerin und Fotografi n Candida Höfer,<br />
die Innenräume des Hauses in ihrem<br />
Originalzustand zu dokumentieren. Drei<br />
dieser Aufnahmen hat Candida Höfer in<br />
einem repräsentativen Format vergrößert.<br />
Diese Werke wurden von der Peter und<br />
Irene Ludwig Stiftung für das Museum<br />
Ludwig erworben und sind ebenfalls erstmals<br />
zu sehen.<br />
Seit den frühen 1980er Jahren<br />
fotografi ert Candida Höfer (geb. 1944)<br />
öffentliche Räume wie Museen, Bibliotheken,<br />
Wartesäle, Zoos und Kurhäuser.<br />
Die Aufgabe solcher Räume ist es<br />
normalerweise, mit ihrer Einrichtung,<br />
Architektur und Beleuchtung zu repräsentieren.<br />
Zwar ändert Höfer keines der<br />
drei Elemente bei ihrer Arbeit, aber sie<br />
wechselt die Perspektive auf die in der<br />
Regel menschenleeren Räume. Auf diese<br />
Weise vermeidet sie, die Repräsentationsfunktion<br />
fotografi sch zu wiederholen,<br />
sondern deckt stattdessen die Geschichte<br />
und die heutige Wertschätzung der Orte<br />
auf. In ihrer Reihe „Sammlerräume im<br />
Rheinland“, die sie seit mehr als zehn<br />
Jahren verfolgt, zeigt Höfer darüber<br />
hinaus, wie Privatleute mit ihren Kunstwerken<br />
leben. Der unverwechselbare<br />
Stil von Candida Höfer macht auch den<br />
besonderen und außergewöhnlichen<br />
Umgang der Eheleute Peter und Irene<br />
Ludwig mit ihrer Kunst sichtbar, wählten<br />
sie doch immer bewusst Konstellationen,<br />
in denen die Werke in den Dialog<br />
mit anderen Kunstobjekten geraten:<br />
Die kristalline Struktur eines Feininger-<br />
Gemäldes korrespondiert mit perspektivischen<br />
Konstruktionen auf niederländischen<br />
Kacheln des 17. Jahrhunderts,<br />
oder Mackes „Elisabeth und Walterchen<br />
mit Wolf“ hängt in unmittelbarer Nähe<br />
einer Madonna mit Kind aus dem 12.<br />
Jahrhundert.<br />
Roy Lichtenstein<br />
Still Life with Pitcher and Apple<br />
1972<br />
Öl und Magna auf Leinwand<br />
152 x 114 cm<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />
Alexej von Jawlensky<br />
Stilleben mit braunem Krug<br />
1909<br />
Öl auf Pappe<br />
71 x 58 cm<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />
Karl Hofer<br />
Interieur (Nach dem Bade), 1912<br />
Öl auf Leinwand, 146,5 x 114 cm<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />
linke Seite:<br />
Candida Höfer<br />
Eupener Strasse Aachen II 2011<br />
2011, C-Print, 152 x 123 cm<br />
© Candida Höfer, VG Bild-Kunst,<br />
Bonn 2011<br />
bis 24. Juni 2012<br />
Öffnungszeiten:<br />
Dienstag bis Sonntag: 10 <strong>–</strong> 18 Uhr<br />
jeden 1. Donnerstag im Monat: 10 - 22 Uhr<br />
http://www.museum-ludwig.de/<br />
35
Begegnung von Kunst- und Naturschönem<br />
Die Musikreihe Klangart ging<br />
erfolgreich in die dritte Runde<br />
Linke Seite:<br />
Mola Sylla und Childo Thomas<br />
unten:<br />
Omar Sosa 'Afreecanos'<br />
Mitten im Herzen Wuppertals, in den 70er und 80er Jahren eines der Zentren des<br />
europäischen Free Jazz, hat sich nun schon im dritten Jahr mit „Klangart“ eine außergewöhnliche<br />
Musikreihe etabliert, die auf magische Weise das Publikum anzieht.<br />
Es ist die wohl einmalige Melange aus Kunst, Musik und Natur, die die Besucher von<br />
Klangart so in ihren Bann zieht.<br />
Hoch über dem Tal mit einem wunderbaren<br />
Blick bis hin zu den gegenüberliegenden<br />
Höhenzügen liegt inmitten eines<br />
großen Parks die im anthroposophischen<br />
Stil erbaute Villa des Industriellen Kurt<br />
Herberts. Nach dem Tode des Großunternehmers<br />
lagen Villa und Park lange<br />
in einem Dornröschenschlaf <strong>–</strong> bis der in<br />
Wuppertal lebende britische Bildhauer<br />
Tony Cragg diesen Ort für sich entdeckte.<br />
Zwischen altem Baumbestand und<br />
exotischen Pfl anzen begegnen Besucher<br />
heute Skulpturen Craggs und anderer<br />
international renommierter Künstler. Besonders<br />
intim und fein sind die Konzerte<br />
im gläsernen Pavillon, in dem Musik auf<br />
Bildende Kunst trifft. Die gläserne Haut<br />
des Kubus wirkt wie eine Membran, die<br />
den Austausch von Kunst- und Naturschönem<br />
ermöglicht.<br />
Vom Frühjahr bis zum Spätsommer<br />
spannte die von Dieter E. Fränzel kuratierte<br />
Musikreihe mit insgesamt neun<br />
Konzerten einen musikalisch weiten<br />
Bogen von Jazz über Improvisierte bis<br />
hin zur Weltmusik. Den Auftakt bildete<br />
das Konzert des New Yorker Avantgarde<br />
Saxofonisten Rob Brown. Ekstatisch<br />
und kompromisslos energetisch lotete er<br />
im Zusammenspiel mit dem Cellisten<br />
Daniel Levin die klanglichen Spektren<br />
ihrer Instrumente bis an den jeweils<br />
äußersten Rand aus. Mit Saadet Türköz,<br />
Conny Bauer und Martin Schütz begegneten<br />
einander drei herausragende artistische<br />
Musiker <strong>–</strong> und dennoch bot ihr<br />
Konzert mit dem treffenden Titel „Song<br />
Dreaming“ weit mehr als Instrumentalakrobatik,<br />
sondern war getragen von<br />
der Magie des Gesangs Saadet Öztürks,<br />
die Weisen aus ihrer Heimat Kasach-<br />
37
38<br />
Marilyn Mazur<br />
stan sowie traditionelle Gesänge aus<br />
Armenien und der Türkei in freie Improvisation<br />
transponierte und zugleich<br />
in musikalische Poesie verwandelte.<br />
Artistisch und <strong>–</strong> im Wortsinne <strong>–</strong> atemberaubend<br />
waren die Soli des Posaunisten<br />
Conny Bauer, die sicherlich in den<br />
Grenzbereich des technisch Machbaren<br />
führten. So wie Saadet Türköz waren<br />
auch die Pianistin Irène Schweizer<br />
und der Perkussionist Pierre Favre<br />
musikalische Wegbegleiter des viel zu<br />
früh verstorbenen Wuppertaler Wegbereiters<br />
des Free Jazz Peter Kowald.<br />
1968 gründeten Favre und Schweizer<br />
gemeinsam mit Peter Kowald und dem<br />
englischen Saxophonisten Evan Parker<br />
ein Quartett. Ihrem gemeinsamen<br />
Freund Kowald widmeten die beiden<br />
Protagonisten der Freien Improvisierten<br />
Musik ihr Konzert. „Man muss nur<br />
lang genug das Gleiche machen“, sagte<br />
Pierre Favre schmunzelnd angesichts<br />
des lang anhaltenden und begeisterten<br />
Applaus’. In den späten 60er Jahren<br />
war diese Musik noch auf Unverständnis<br />
und zum Teil auf offene Ablehnung<br />
gestoßen. Doch es war sicherlich nicht<br />
nur der lange Atem, sondern auch die<br />
herausragende musikalische Qualität<br />
der beiden Musiker, die sie und ihre<br />
Art der Musik erfolgreich machten;<br />
im Skulpturenpark beeindruckte<br />
insbesondere, wie sich der Dialog der<br />
beiden zu einer rhythmischen Strömung<br />
von hoher Dichter und Energie<br />
vereinigte.<br />
Auf den Spuren John McLaughins und<br />
Joe Zawinuls, die Anfang der 1970er<br />
Jahre die Fusion von Jazz und Rock<br />
vorantrieben und damit unzählige<br />
Crossover-Projekte initiierten, wandelte<br />
das „Radio.String.Quartett.Vienna“.<br />
Das Streichquartett <strong>–</strong> allesamt klassisch<br />
ausgebildete Musiker <strong>–</strong> arrangiert Kompositionen<br />
der Jazzrock-Veteranen so,<br />
dass sie wie kammermusikalische Ausfl<br />
üge in die Neue Musik klingen: eine<br />
zum Teil frappierende Balance zwischen<br />
klassisch stringenter Klangarchitektur<br />
und improvisatorischer Fantasie, in der<br />
Geist und Swing des Originals zuweilen<br />
noch nachschwingt. Äußerst fein gewoben<br />
waren auch die Arrangements einer<br />
der zurzeit wohl interessantesten und<br />
innovativsten deutschen Jazzformationen.<br />
Das Nils Wogram Septet schaffte<br />
einen gewaltigen Spagat zwischen zum<br />
Teil mit feiner Ironie formulierten musikalischen<br />
Kopfgeburten und wilden<br />
Bebop-Explosionen.<br />
Ein Hauch des großen alten Jazz<br />
durchwehte den Skulpturenpark beim<br />
Auftritt des Open Air-Konzerts der<br />
großen Perkussionistin Marylin Mazur,<br />
bekannt durch ihre Zusammenarbeit<br />
mit Giganten des Jazz wie Miles Davis,<br />
Gil Evans, Wayne Shorter und Jan<br />
Gabarek. In ihrem Konzert mit ihrer<br />
derzeitigen Formation „Marylin Mazur’s<br />
Group“ entführte sie die Zuhörer in ihren<br />
„Celestial Circle“ und übersetzte die<br />
Rhythmen der Natur <strong>–</strong> Schmetterlings-
schlag und Vogelfl ug <strong>–</strong> in Perkussion<br />
und Jazz. Rhythmisch komplex, fi ligran<br />
und energiegeladen zugleich, setzte<br />
Mazur Drumset und Schlagwerk nicht<br />
nur perkussiv, sondern auch melodiös<br />
ein, ein wunderschöner Herzschlag, der<br />
die Gruppe zu einem im besten Sinne<br />
einfachen und zu Herzen gehenden<br />
musikalischen Ausdruck trieb. Marylin<br />
Mazurs Spiel wirkte zugleich hoch<br />
artistisch und tief inspiriert.<br />
Ein absoluter Höhepunkt war der zu<br />
Recht sowohl von Publikum und Kritik<br />
gefeierte Auftritt des kubanischen<br />
Tastenmagiers Omar Sosa, der tags<br />
zuvor in Dresden mit dem „Echo Jazz“<br />
für seine gemeinsam mit der NDR<br />
Bigband eingespielte CD „Ceremony“<br />
ausgezeichnet worden war. Im Skulpturenpark<br />
präsentierte er mit seinem<br />
Quintett „Afreecanos“ eine magische<br />
musikalische Mixtur, zusammengebraut<br />
aus afrokubanischer Musik und World<br />
Musik. Ein das Publikum immer wieder<br />
in Erstaunen versetzendes, mitreißendes<br />
instrumentales und vokales Gefl echt,<br />
in denen die Klangwelten Kubas, New<br />
Yorks, des Senegals und Mozambiks<br />
aufstrahlten. Selten hat der Rezensent<br />
„Round Midnight“ schöner und „jetziger“<br />
gehört. Der senegalesische Sänger<br />
Mola Sylla intonierte im Falsett die Melodielinie<br />
des Standards im Duett mit<br />
dem Saxofonisten Leando Saint-Hill<br />
sanft und zu Herzen gehend, getragen<br />
von wenigen und sparsam gesetzten Akkorden<br />
Omar Sosas, der das Entscheidende<br />
aussparte und gerade so innerlich<br />
hörbar machte. Große Kunst.<br />
Nach einem Ausfl ug mit dem englischen<br />
Portico Quartett in einen ebenso<br />
poppigen wie exotisch angehauchten<br />
„Post Jazz“ fand Klangart einen überaus<br />
würdigen Abschluss mit dem Auftritt<br />
der Fado-Sängerin Cristina Branco. Von<br />
allen Sängerinnen, die auf den Spuren<br />
des portugiesischen Blues wandeln,<br />
erinnert ihre Stimme am stärksten an<br />
die der 1999 verstorbenen ungekrönten<br />
Königin des Fado, an Amália Rodriguez,<br />
die Melancholie und durchbrechende<br />
Lebensfreude so unnachahmlich miteinander<br />
verbinden konnte. Branco knüpft<br />
an diese Fado-Tradition an, entwickelt<br />
aber das musikalische Erbe ihres Heimatlandes<br />
behutsam weiter, indem sie<br />
ihn mit Elementen des Bossa Nova und<br />
des Tangos kombiniert. Die Sängerin beeindruckte<br />
das Publikum nicht nur mit<br />
ihrem Gesang, sondern auch durch ihren<br />
ganz eigenen Charme, mit dem sie die<br />
Zuhörer (und hier darf man wohl auch<br />
sagen: Zuschauer) in den Bann zog.<br />
Heiner Bontrup<br />
Fotos: Karl-Heinz Krauskopf<br />
Omar Sosa<br />
Cristina Branco<br />
39
40<br />
Das Tor zur Welt<br />
Die Fluxus-Bewegung in der<br />
Rückschau<br />
Eine verlockende Lektüre<br />
»Ich denke, hier ist Happening, da kann<br />
man machen, was man will«, meinte ein<br />
Gast, den man höfl ich aus der Galerie<br />
führte. Er hatte Happening verwechselt mit<br />
einer willkommenen Gelegen heit, bei der<br />
man alles kurz und klein schlagen kann.<br />
Die Happeningbewegung entwickelte sich<br />
in New York in Opposition zur akademisch<br />
erstarrten Attitüde des »Informel«. Die jungen<br />
Künstler hassten »malerische Qualität«<br />
und »edle Lichtführung«. Sie entdeckten<br />
stattdessen die Ästhetik der Au tofriedhöfe,<br />
der Schrotthalden und der Slums. Sie<br />
stellten das hergebrachte Schöne in Frage<br />
und die gewohnten Normen auf den Kopf.<br />
Ihre Kunst war nicht mehr das, was sie sein<br />
sollte, näm lich »schön«, sondern schockierend,<br />
obszön, grausam, politisch, langweilig,<br />
aggressiv und immer interessant. Die<br />
Happeningkunst erweiterte das Bewusstsein<br />
eines jeden, der sich auf sie einließ. Auch in<br />
der unerwarteten Entwicklung der Musik<br />
war sie ein eye-opener. Dazu ein Beispiel:<br />
Der Ungar György Ligeti sagte ein Konzert<br />
von acht Minuten Dauer an. Das geladene<br />
Publikum saß gespannt, als er sich an den<br />
Flügel setzte. Doch statt zu spielen, blieb er<br />
unbeweglich sitzen. Die Leute fi ngen an zu<br />
tuscheln, zu kichern, zu krähen, zu scharren<br />
und zu pfeifen. Schließlich wurde wütend<br />
geschimpft, und die Türen knallten. Pünktlich<br />
nach acht Minuten war das Konzert<br />
beendet. Die Musik hatte nicht Ligeti<br />
gemacht <strong>–</strong> sondern das Publikum.<br />
Bazon Brock forderte 1962 den berühmten<br />
Zoodirektor Grzi mek auf, ihn gleich den<br />
anderen Primaten auszustellen (Säugetier,<br />
aufrecht …). Bedingung war: Gute<br />
Behandlung, dreimal täglich Futter, Unrat<br />
’raus, Schreibmaschine/Papier und zehn<br />
Zigaret ten. Der Professor, dem der Sinn<br />
dieser Aktion verborgen blieb, lehnte ab.<br />
Wuppertal wurde durch Rolf Jährling ein<br />
wichtiger Platz für Happenings. Angetan<br />
mit einer elenden Jacke, auf deren Rücken<br />
in fetten Lettern »PRISONER OF WAR«<br />
gedruckt stand, stran dete er 1945 in Wuppertal.<br />
Er war Architekt und fand zunächst<br />
bei seinem großen Kollegen Heinz Rasch<br />
Arbeit und in den Trümmern von Elberfeld<br />
ein armseliges Zimmer. Schnell lernte er<br />
Freunde, Autoren, Tänzer und Schauspieler<br />
kennen, und sein Zimmer wurde zum Ort<br />
heißer Diskussionen, Lesungen und bald<br />
auch Ausstellungen. Aus dieser ungezwungenen<br />
Situation heraus ergab sich nach und<br />
nach eine nebenberufl iche Galerietätigkeit,<br />
und Jährlings unsterbliches Verdienst war<br />
es, dass er als erster Galerist in Deutschand<br />
junge ausländische Künstler einlud, um hier<br />
ihre Werke vorzustellen <strong>–</strong> in der Galerie<br />
Parnass. Man kann sich heute unseren<br />
Hunger nach internationaler Kunst gar<br />
nicht mehr vorstellen.<br />
Der erste Künstler war 1950 der Amerikaner<br />
Todd Webb, Shin kichi Tajiri 1951 der<br />
nächste, 1952 folgte mit Alexander Calder<br />
ein Höhepunkt. Die Galerie Parnass war<br />
das Tor zur Welt für uns, al lerdings für die<br />
Mehrzahl der Kritiker ein Ort des Schreckens.<br />
Jährling kam mit der Happening-Bewegung<br />
1957 in Köln mit Karlheinz Stockhausen in<br />
Berührung. Er lernte den jungen Koreaner<br />
Nam June Paik kennen, der gerade bei<br />
Wolfgang Fort ner sein Musikstudium beendet<br />
hatte. Die Examensarbeit hatte er in ein<br />
Happening umfunktioniert: Vier Stunden<br />
saß er medi tierend vor seinen Heften, dann<br />
stand er auf, klatschte ein rohes Ei an die<br />
Wand, gab die leeren Blätter ab und war<br />
durchgefallen. Der deutsch/französische<br />
homme de lettre, Jean-Pierre Wilhelm,<br />
schrieb über Paik: » … er befreit die Musik<br />
von jeder Systematik, er gibt uns den reinen<br />
Klang; dazu gehört auch das Scheppern<br />
von leeren Blechdosen auf Asphalt.« Paik<br />
sagte in den frühen 60er Jahren voraus, dass<br />
Künstler sehr bald »mit Transistoren, Kondensatoren<br />
und mit Laser arbeiten werden,<br />
wie heute mit Pinsel und Violine.«<br />
Jährling erkannte Paiks Qualität und lud ihn<br />
zu einer Schau, die 1963 stattfand und für<br />
die er ein Jahr Vorbereitung brauchte. Die<br />
Firma Ibach spendierte ihm damals zwei alte<br />
Klaviere, die er total umbaute. Eines dieser<br />
Instrumente heißt »Klavier Inté gral«, es steht<br />
heute im Museum für Moderne Kunst in<br />
Wien. Auf das andere Klavier musste Joseph<br />
Beuys während der Eröff nung der Schau mit<br />
einem Hammer einschlagen. Das Publikum<br />
war entsetzt und wollte ihn daran hindern,<br />
bis man merkte, dass diese Zerstörung Teil<br />
des Konzeptes war. Die Ausstellung hieß<br />
»Exposition of Music-Electronic Television«.<br />
Paik hatte Jährlings großes Haus mit<br />
Objekten vollgestopft, in der Badewanne<br />
von Jährlings Mutter lag zum Beispiel eine<br />
grausig zugerichtete Schau fensterpuppe<br />
unter Wasser, die Beine mit hochhackigen<br />
Schuhen ragten heraus. Vor der Haustür<br />
hing ein blutiger Kuhkopf, und ein Journa-
list schrieb: »Gründlich schockiert der Koreaner<br />
N. J. Paik die Gäste der exzentrischen<br />
›Galerie Parnass‹ schon am Eingang mit<br />
einem bluttriefenden Stierschädel, an dem<br />
vorbei man sich ins Innere der Gruselhöhle<br />
winden muss. Kommt man später heraus,<br />
wirkt er schon vertraut.« Auch war von<br />
»Kunst terrorismus« die Rede, sogar die Polizei<br />
wurde bemüht. Für Paik jedoch wurde<br />
die Schau zum internationalen Durchbruch.<br />
Seine Arbeiten fi nden sich in allen<br />
bedeutenden Museen der Welt. Die Schau<br />
stand <strong>–</strong> wie üblich <strong>–</strong> vier Wochen. In dem<br />
Durcheinander empfi ng Jährling ungerührt<br />
seine Bauherren, und die Angestellten saßen<br />
wie immer an ihren Tischen.<br />
Im selben Jahr folgte Wolf Vostells<br />
berühmtestes Happening. Er hatte diese<br />
Kunstrichtung in New York kennen gelernt<br />
und wurde zu einem ihrer einfallsreichsten<br />
Vertreter. Die geplanten Aktionen für<br />
»9 Nein-Décoll/agen« waren sehr schwer<br />
zu reali sieren, denn sie fanden an sieben<br />
verschiedenen Orten statt und mussten mit<br />
diversen Behörden abgestimmt werden. Der<br />
große Konvoi (Akteure und Gäste) wurde<br />
von der Polizei durch die Stadt begleitet.<br />
Der Präsident der Bundesbahndirektion<br />
erteilte die Erlaubnis, dass zwei Lokomotiven<br />
auf dem Rangierbahnhof in Vohwinkel<br />
einen quer zum Gleis stehenden Mercedes<br />
zerquet schen durften. Und in der Abenddämmerung<br />
kletterten wir in Küllenhahn<br />
einen Steinbruch herunter und erschraken<br />
tief, als mit ohrenbetäubendem Knall ein<br />
im Fels postierter Fernseher zerschossen<br />
wurde. Später wurden wir in einer düsteren<br />
Fabrik hinter Gitter gesperrt, während<br />
Wachhunde aufgeregt durch die Gänge<br />
hechelten. Ungewohnte und makabre<br />
Erlebnisse schüt telten unsere Gemüter<br />
durcheinander. Einige waren auch sehr<br />
komisch: In einem Gartenhäuschen wurde<br />
die (vielgehasste) bild-Zeitung mit Pfeffer<br />
und Parfüm gewürzt, im Starmixer gerührt,<br />
und der Akteur versuchte den grauen Brei<br />
zu essen.<br />
Vor genau 30 Jahren fand dann das wohl<br />
berühmteste europä ische Happening statt:<br />
»24 Stunden«. In die Galerie Parnass hatte<br />
Jährling geladen: Joseph Beuys, Bazon Brock,<br />
Eckart Rahn, Nam June Paik mit Charlotte<br />
Moorman, Tomas Schmit und Wolf Vostell<br />
als Akteure. »24 Stunden« ging in die Kunstgeschichte<br />
ein und ist nach wie vor Gegenstand<br />
von Studien und Publikationen.<br />
Man muss sich hüten, Happening mit<br />
Chaos und spontaner Zerstörungswut zu<br />
assoziieren. Wenn etwas zerstört wird, so ist<br />
es geplant. So gaben wir für »24 Stunden«<br />
einen alten Staubsau ger her. Unerwartet<br />
kam er später nicht nur zurück, er war sogar<br />
repariert!<br />
Jeder der sechs Akteure hatte einen eigenen<br />
Raum, das Pub likum wanderte hin und her<br />
oder setzte sich auf den Boden und sah zu.<br />
Vostell hatte im Gartensaal hohe Gestelle<br />
bis unter die Decke gebaut, in denen junge<br />
Leute eingepfercht lagen. Er selbst hantierte<br />
auf dem Boden liegend mit ekelhaften<br />
Fleischbrocken <strong>–</strong> zusammen ergab dies die<br />
Simulation einer KZ-Situation.<br />
Bazon Brocks Aktion hieß »Spuren des<br />
Lebens«. Aus Alltags gegenständen der<br />
Familie Jährling schuf er ein Environment,<br />
an der Wand schrieb ein unsichtbares Gerät<br />
während der 24 Stun den einen Satz. Brock<br />
selbst saß auf Jährlings Schreibtisch und<br />
plauderte angeregt mit den Besuchern, falls<br />
er nicht zufällig auf dem Kopf stand.<br />
Beuys hockte auf einem unbequemen<br />
Kasten, umgeben von Knochen, Drähten,<br />
einem Notenständer, einer Brottrommel<br />
voll Fett <strong>–</strong> lauter Dingen, mit denen er<br />
arbeitete. Auffallend war ein giftgrüner Hase<br />
aus Puddingpulver. Tags zuvor musste seine<br />
Eva den Pudding kochen. Beuys wurde<br />
kribbelig, weil er nicht fest werden wollte.<br />
Schließlich rief er wütend, was damals ganz<br />
unge hörig war: »Oetker ist Scheiße!« Seine<br />
Aktion hieß: » … und in uns … unter uns<br />
… landunter, 24 Stunden.« Das Publikum<br />
drängte sich um ihn und verfolgte seine<br />
Handlungen <strong>–</strong> auch eine unserer Töchter,<br />
die sich »wegen Grippe« in der Schule abgemeldet<br />
hatte. Leider entdeckte ihr Lehrer sie<br />
im Regionalfernsehen …<br />
Paik hatte sich in der Diele der Villa eingerichtet.<br />
Er arbeitete zusammen mit der<br />
amerikanischen Cellistin Charlotte Moorman,<br />
die zwei Jahre vorher in New York das<br />
Annual Festival der Avantgarde gegründet<br />
hatte.<br />
Die Instrumente, die Paik zum Musizieren<br />
benötigte, lagen um das Klavier verstreut:<br />
Stacheldraht, Löffel, Sirenen, Papiere, ein<br />
altes Kofferradio, ein Küchensieb, Dosen,<br />
enorme Büstenhalter, ein gerupftes Huhn<br />
und andere Gegenstände.<br />
Das Happening dauerte von 0 Uhr bis 24<br />
Uhr; die ganze Zeit durchwacht hat vermutlich<br />
nur Beuys. Eventuell noch die junge<br />
Wuppertaler Fotografi n Ute Klophaus, für<br />
die das Ereignis zum Beginn einer einzigartigen<br />
Karriere wurde: Sie heftete sich an die<br />
Fersen von Beuys und dokumentierte fortan<br />
jede seiner europä ischen Ausstellungen,<br />
Installationen und Aktionen.<br />
Für die Galerie Parnass bedeutete das<br />
aufregende Ereignis zu gleich das Ende.<br />
Büro, Galerie und Wohnung wurden aufgelöst<br />
und das Haus verschlossen. Jährling<br />
ging nach Afrika, Wuppertal hatte einen<br />
Glanzpunkt verloren! Die einst brisante,<br />
geschmäh te und verhöhnte Kunstform<br />
interpretiert man heute gelassen und<br />
erkennt die fruchtbaren Spuren, die sie<br />
in Musik, Literatur, in Theater, Kino und<br />
Tanz hinterlassen hat. Wir in Wuppertal<br />
brauchen nur an Pina Bausch zu denken.<br />
Vor 30 Jahren war jedes Happening noch<br />
Anstoß zu wütenden Diskussionen. Ein<br />
Journa list brachte die Stimmung auf den<br />
Punkt mit dem Ausruf: »Den Unfug sollte<br />
man verbieten!«<br />
Textauszug<br />
mit freundlicher Genehmigung TOP Magazin<br />
Stella Baum<br />
Kunst ist unwiderstehlich<br />
Feuilletons<br />
NordPark<br />
Stella Baum<br />
Kunst ist unwiderstehlich<br />
Feuilletons<br />
Herausgegeben von Marlene Baum und<br />
Donat de Chapeaurouge<br />
November 2011, Euro 15,00 [D]<br />
Englische Broschur, 188 S.<br />
Nordpark Verlag<br />
ISBN: 978-3-935421-76-8<br />
41
42<br />
Stella Baum, 1921 in Porz bei Köln<br />
geboren, ist in Köln und Wuppertal<br />
aufgewachsen. Nach dem Abitur arbeitete<br />
sie im Forschungslabor von Gerhard<br />
Domagk bei I. G. Farben. 1944 heiratete<br />
sie Gustav Adolf Baum, das Ehepaar hatte<br />
vier Kinder. In den 50er Jahren begannen<br />
TANZ ANZ TRÄUM TRÄUME<br />
Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch.<br />
Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal, 2011<br />
120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover<br />
ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Friedrich-Engels-Allee 122<br />
42285 Wuppertal - Telefon 0202 - 28 10 40<br />
verlag@hpnackekg.de<br />
die Baums eine avantgardistische Kunstsammlung<br />
aufzubauen, wozu selbstverständlich<br />
Kontakte zu Künstlern, Galeristen,<br />
Museen und Sammlern gehörten.<br />
Von 1970 bis 1979 war Stella Baum im<br />
Vorstand des Kunst und Museumsvereins<br />
Wuppertal. 1976 und 1980 publizierte<br />
sie die Bücher »Der verborgene Tod.<br />
Auskünfte über ein Tabu« und »Plötzlich<br />
und unerwartet. Todesanzeigen«. In der<br />
Folgezeit schrieb sie regelmäßig für das<br />
Frankfurter Allgemeine Magazin und<br />
andere Zeitschriften. 1976 wurden Stella<br />
und Gustav Adolf Baum zu den ersten<br />
Ehrenbürgern der neu gegründeten Bergischen<br />
Universität in Wuppertal ernannt.<br />
Stella Baum starb 2006.<br />
Stella Baum <strong>–</strong> eine Frau voll Witz und<br />
Ironie und einem beneidenswerten Schreibtalent,<br />
das sie erst in fortgeschrittenem Alter<br />
nutzte. Dann aber gleich für die FRANK-<br />
FURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, den<br />
SPIEGEL, EMMA und den Fischer Verlag.<br />
Mit Neugierde schaute sie in die Nischen<br />
der Gesellschaft, hinterfragte Tabuisiertes<br />
und Ungewöhnliches, schrieb über Tod<br />
und Prostitution.<br />
Entscheidend waren die Begegnungen<br />
mit der zeitgenössischen Kunst, die<br />
Freundschaft mit Künstlern der Avantgarde,<br />
ihren Galeristen und Museumsleitern.<br />
Stella und Gustav Adolf Baum<br />
förderten Künstler wie Joseph Beuys und<br />
Klaus Rinke <strong>–</strong> nicht nur durch Ankäufe<br />
<strong>–</strong>, als deren Werke noch weitgehend<br />
unbekannt waren.<br />
Der Kauf von Kunst war Stella Baum<br />
wichtiger als der Erwerb einer ersten<br />
Waschmaschine. Die Erlebnisse mit<br />
Künstlern und Galeristen sind höchst<br />
amüsant zu lesen. Sie vermitteln einen<br />
lebendigen Blick auf die Zeit der sechziger<br />
und siebziger Jahre, als die deutsche<br />
Kunstavantgarde, sowohl die heutigen<br />
»Großmeister« als auch ihre Galeristen,<br />
laufen lernte.
Annäherungen an ein Porträt von<br />
Eberhard Robke<br />
Mäzen, Unternehmer, Politiker<br />
An Fabrikanten, die sich für Kunst interessieren,<br />
an Politiker, die in die Wirtschaft<br />
gehen, oder an Kultur-Politiker ist<br />
man gewöhnt. Warum soll ein Mensch<br />
nur eindimensional gestrickt sein? Aber<br />
jemanden zu fi nden, der sein Leben<br />
lang, wenn auch mit unterschiedlichen<br />
Gewichtungen, ein erfolgreicher Unternehmer,<br />
ein geachteter Kunstmäzen und<br />
ein homo politicus war und ist, geschieht<br />
nicht alle Tage.<br />
Ein Wuppertaler, der sich in der Welt<br />
auskennt und immer wieder in die<br />
Heimatstadt zurückgekehrt ist: Eberhard<br />
Robke wurde am 25. November 1936<br />
in Wichlinghausen geboren und lebt<br />
heute am Katernberg. Sein Vater, der als<br />
Kriegsgefangener 1945 auf einem Transport<br />
in die UdSSR verhungerte, besaß<br />
ein Malergeschäft. 1957 starb die Mutter.<br />
Eberhard Robke geht, familiär bedingt,<br />
mit der Mittleren Reife vom Gymnasium<br />
ab, studiert aber berufsbegleitend Volks-<br />
und Betriebswirtschaft an einer Wuppertaler<br />
Akademie. „Berufsbegleitend“ heißt<br />
in diesem Fall, dass er 1958 bis 1960 als<br />
rechte Hand und Prokurist von Johannes<br />
Rau tätig war, dem damaligen Geschäftsführer<br />
des Jugenddienst- (und heutigen<br />
Peter-Hammer-) Verlages. Mit dem<br />
befreundeten „Bruder Johannes“ kreuzen<br />
sich noch oft die Wege: Robke ist Raus<br />
Nachfolger als Jungsozialistenchef, beide<br />
gingen in die damalige Gesamtdeutsche<br />
Volkspartei und erhielten am selben Tag,<br />
dem 1. Juni 1957, vom SPD-Ortsverein<br />
Wichlinghausen ihr Parteibuch überreicht,<br />
Rau war sein Trauzeuge, der Altbundespräsident<br />
besucht 2002 das von<br />
Robke nach der Wende übernommene<br />
und konsolidierte Glaswerk Ernstthal.<br />
Aber wir greifen vor.<br />
Gemeinsam mit Dr. Willfried Penner<br />
kommt Robke 1969 in den Rat der<br />
Stadt, dem er 15 Jahre angehören wird,<br />
davon 1982 bis 1984 in herausgehobener<br />
43
44<br />
Funktion als Vorsitzender der SPD-<br />
Fraktion. Drei Jahrzehnte, von 1964<br />
an, besitzt er im Kulturausschuss des<br />
Rates Sitz und Stimme. Beim Amtsverzicht<br />
von Oberbürgermeister Gottfried<br />
Gurland 1984 trägt ihm die SPD dessen<br />
Nachfolge an, doch Robke, zu sehr<br />
eingespannt in den Verpackungsbetrieb<br />
Pohli, sagt ab.<br />
Irgendwann Mitte der 1960er Jahre<br />
<strong>–</strong> Rau strebte ja ebenfalls nach Höherem<br />
<strong>–</strong> war Robke der Verlag, bei dem er<br />
Persönlichkeiten wie Helmut Thielecke,<br />
Hermann Ehlers, Gustav Heinemann<br />
und Adolf Scheu kennenlernte, „zu klein“<br />
geworden. Erfolgreich und ausgewählt<br />
unter 40 Bewerbern, trat er 1963 bei<br />
dem Verpackungsgroßhändler Pohli ein.<br />
„Seniorpartner sucht Nachfolger“ stand<br />
über der in der FAZ, der „Welt“ und dem<br />
„Generalanzeiger“ geschalteten Anzeige.<br />
Der neue Mitgesellschafter bewies eine<br />
glückliche Hand: Betrug der Umsatz<br />
1966 rund 2,7 Millionen DM, beläuft er<br />
sich heute auf 136 Millionen Euro.<br />
1981 lässt sich Robke bei Pohli als<br />
alleiniger Geschäftsführer in die Pfl icht<br />
nehmen, als der Seniorpartner verstirbt.<br />
Das Unternehmen wächst und wächst.<br />
Dann die Wende. Hat er bisher nur mit<br />
Glasfl aschen gehandelt, steigt er nun in<br />
deren Produktion ein und übernimmt<br />
1993 den in die roten Zahlen gewirtschafteten<br />
Volkseigenen Betrieb (VEB)<br />
Glaswerk Ernstthal in der gleichnamigen<br />
thüringischen Gemeinde. Es wird eine<br />
Erfolgsstory für Robke, seine Tochter<br />
Bettina, die am Aufbau des Unternehmens<br />
von Anfang an beteiligt ist, die<br />
Belegschaft und die ganze Region.<br />
Als glücklich erweist sich auch Robkes<br />
Engagement für den Kunst- und Museumsverein,<br />
den er 21 Jahre geleitet hat.<br />
Zu seiner Verabschiedung am 22. August<br />
2009 fanden Oberbürgermeister Peter<br />
Jung, der Direktor des Von-der-Heydt-<br />
Museums, Dr. Gerhard Finckh, und der<br />
Nachfolger im Amt des KMV-Vorsitzenden,<br />
Dr. Joachim Schmidt-Hermesdorf,<br />
lobende Worte für den Kunstkenner.<br />
Auf dem Cover der Einladungskarte sieht<br />
man Eberhard Robke vor dem Gemälde<br />
„Harlekin“ von Alfred Leithäuser, einem<br />
Künstler, der, 1898 in Barmen geboren,<br />
in München lebte und arbeitete, 1978<br />
den Von-der-Heydt-Preis der Stadt<br />
Wuppertal erhielt, bevor er ein Jahr<br />
später starb. Bereits Robkes Eltern <strong>–</strong> die<br />
Mutter war weitläufi g mit dem Maler<br />
verwandt <strong>–</strong> besaßen einen Leithäuser.<br />
Mittlerweile hat die Renate und Eberhard<br />
Robke Stiftung eine ganze Reihe von<br />
Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen<br />
dem Museum oder dem Kunstverein<br />
übereignet, zuletzt noch, in der (Kunst-)<br />
Öffentlichkeit stark beachtet, Arbeiten er<br />
Georgierin Tamara K. E. und des Dänen<br />
Per Kirke<strong>by</strong>.<br />
Der Geschichten sind viele. Wie diejenige,<br />
in der die hochbetagte Inge Erbslöh,<br />
Tochter von Adolf Erbslöh, dem Vonder-Heydt-Museum<br />
rund 200 Grafi ken<br />
des Meisters schenken wollte. Also<br />
machen sich die damalige Direktorin<br />
Sabine Fehlemann und der seinerzeitige<br />
KMV-Vorsitzende Robke aus Wuppertal<br />
beziehungsweise aus Italien auf den Weg<br />
nach München. Wir schreiben das Jahr<br />
1997. Eberhard Robke kann lebhaft<br />
schildern, wie nervös die Museumschefi n<br />
wurde und darauf bestand, „dass wir<br />
die Mappen gleich mitnehmen“. In der<br />
bayerischen Landeshauptstadt wurden<br />
dann zwei Koffer erstanden, die groß<br />
genug waren, die wertvollen Grafi ken<br />
aufzunehmen, und ab ging es im Flieger<br />
nach Düsseldorf.<br />
Sicherlich ist Eberhard Robkes Leben in<br />
den letzten Jahren ruhiger und beschaulicher<br />
geworden. Manchen Abend sitzen<br />
Waltraud und Eberhard Robke im<br />
Wohnzimmer und lesen sich abwechselnd<br />
Romane und Abhandlungen vor<br />
<strong>–</strong> zur Zeit von Giuseppe Tomasi di Lampedusa<br />
bis Heinrich Heine. Seit 2007 ist<br />
er zum zweiten Mal verheiratet, nachdem<br />
zwei Jahre zuvor seine erste Frau<br />
verstorben war. Aber noch heute lässt er<br />
sich werktäglich die Umsatz- und weitere<br />
Zahlen von Pohli und der Glashütte auf<br />
seien iPad spielen, verfolgt die Politik<br />
in Wuppertal und darüber hinaus über<br />
die Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften,<br />
lässt sich, so er sich zu Hause<br />
aufhält, keine größere Vernissage in<br />
seiner Heimatstadt entgehen. Man kennt<br />
ihn: im Rathaus, im SPD-Ortsverein, als<br />
Unternehmer und als Mäzen. Bleib uns<br />
noch lange erhalten, Eberhard.<br />
Matthias Dohmen
Neue Kunstbücher<br />
Ein Thema, knapp gefasst<br />
Vorgestellt von Thomas Hirsch<br />
Manche Kunstbücher haben etwas ausgesprochen<br />
Pragmatisches, das sich fast konträr<br />
zur Erwartung des Bilderreichen, fein<br />
Gestalteten gerade in diesem publizistischen<br />
Genre verhält. Die Bilder sind dann eher als<br />
Teil des Ganzen reproduziert und die Grenze<br />
zwischen Feuilleton und Wissenschaft ist<br />
mitunter schwer zu ziehen. Dem Metier des<br />
Kunstbuches hat nur bedingt gut getan, dass<br />
die Grafi ker eine solche Macht über ihren<br />
Look gewonnen haben und die Museumsleute<br />
und Kunsthistoriker wohl bereitwillig<br />
ihre Begeisterung für das Einzelbild aus der<br />
Hand gegeben haben.<br />
Das scheint auch dem Katalogbuch<br />
„Gesamtkunstwerk Expressionismus“,<br />
erschienen bei Hatje Cantz anlässlich<br />
einer Ausstellung auf der Mathildenhöhe<br />
Darmstadt, zugrunde zu liegen. Aber hier<br />
basiert die Integration der Bildenden Kunst<br />
in den Text- und den grafi schen Korpus auf<br />
einer profunden inhaltlichen Idee. Vorgestellt<br />
wird die Epoche des Expressionismus<br />
in Deutschland mit allen ihren Gattungen,<br />
neben der Bildenden Kunst mit der Literatur,<br />
dem Theater, dem Film, dem Tanz und<br />
der Architektur, auch der Musik und dem<br />
Design. Eine Intention ist, die Wechselwirkungen<br />
und Parallelentwicklungen der<br />
Gattungen herauszuarbeiten. Als Maß dient<br />
die Zeitspanne von 1905 bis 1925, also die<br />
Zeit vor und zwischen den Kriegen, der<br />
wirtschaftlichen Zusammenbrüche und<br />
der glanzvollen Feste des großstädtischen<br />
Bürgertums zwischen Neuerfi ndung des<br />
Gesamtkunstwerk Expressionismus, 512 S.<br />
mit 467 Abb., geb. mit Schutzumschlag,<br />
31 x 25,6 cm, Hatje Cantz, 58,<strong>–</strong> Euro<br />
Individuums und rauschhafter Erfahrung.<br />
Strukturiert wird das Buch durch 16<br />
Textbeiträge, die sich auf einzelne Aspekte<br />
konzentrieren. Die Abbildungen aus den<br />
unterschiedlichen Genres verhalten sich als<br />
atmosphärischer Bilderbogen, integriert sind<br />
auch Beispiele der Literatur. Auch wenn die<br />
Artikel, die meisten von echten Spezialisten,<br />
gelungen sind und die Auswahl der<br />
Abbildungen hilfreich ist, so wirkt das Buch<br />
im ganzen doch leicht chaotisch. Bei aller<br />
Stringenz im komparativistischen Ansatz<br />
und der Hinwendung zum Lese-Buch: Vielleicht<br />
hätte man den Bildern mehr Raum<br />
lassen sollen: als Struktur, zur Beruhigung,<br />
zur visuellen Verdeutlichung, als Werke für<br />
sich...<br />
Demgegenüber zeichnet sich das Katalogbuch<br />
„Die Entdeckung des Menschen“<br />
im Hirmer Verlag durch Gelassenheit und<br />
Großzügigkeit aus <strong>–</strong> auch wenn es selbst<br />
ebenfalls nur bedingt den Kunstwerken<br />
den hinreichenden Platz einräumt, diese<br />
vielmehr in den Text eingliedert. Als Abschiedsausstellung<br />
von Karl Schütz, dem<br />
bisherigen Direktors des Kunsthistorischen<br />
Museums Wien, konzipiert, widmet sie<br />
sich dem Porträt in der deutschen Kunst<br />
um 1500 mit den Meistern Lucas Cranach,<br />
Albrecht Dürer und Hans Holbein im<br />
Gravitationszentrum, um das herum weitere<br />
Künstler mit exzellenten Werken vorgestellt<br />
sind. Auch hier folgt der Ablauf einzelnen<br />
Texten; zu den Autoren gehören Stephan<br />
Kemperdick und Johannes Sander <strong>–</strong> also auf<br />
das Hochkarätige der Kunstwerke wird mit<br />
der Liste maßgeblicher Experten reagiert.<br />
Tatsächlich setzt das Buch an einem zentralen<br />
Thema der Kunstgeschichte an: an der<br />
Emanzipation der Kunst an der Schwelle<br />
von der Gotik zur Renaissance. Das Porträt<br />
erweist sich nun als wichtiges Genre;<br />
dargestellt sind nicht mehr ausschließlich<br />
biblische Szenen und kirchliche Persönlichkeiten,<br />
sondern auch die weltlichen Fürsten<br />
und reichen Patrizier als Auftraggeber sowie<br />
wissenschaftliche, gesellschaftliche Größen<br />
und (vor allem bei den Zeichnungen) das<br />
Bürgertum. Zum Ausdruck kommt das<br />
erstarkte Selbstbewusstsein des Bürgertums<br />
und die weitere Etablierung des Künstlers<br />
als autonomer Berufsstand. In diesen<br />
Kunstwerken nun ist der Mensch Individuum;<br />
festgehalten werden Wahrheit und<br />
Idealisierung, im Hinblick auf die spätere<br />
Erinnerung. Oder gesellschaftlicher Stand<br />
Dürer <strong>–</strong> Cranach <strong>–</strong> Holbein, Das deutsche<br />
Porträt um 1500, 350 S. mit ca. 340<br />
Farbabb., geb., Hardcover, 28,5 x 24,5 cm,<br />
Hirmer, 39,90 Euro<br />
wird vor Augen geführt; dann wieder zeigen<br />
die Künstler Schönheit und die Schönheit<br />
und Weisheit des Alters. Zwischen idealtypischer<br />
Stilisierung vor neutralem Grund<br />
und präzisem Realismus entfaltet sich um<br />
1500 ein Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten.<br />
Das Buch zur Ausstellung trägt<br />
Züge einer Enzyklopädie, auch weil es<br />
sich nicht auf Malerei beschränkt, sondern<br />
Skulptur, Zeichnung, den Kupferstich und<br />
die Glyptik einbezieht <strong>–</strong> und mit einem<br />
Mal wird deutlich, was für einen Schatz an<br />
Kunst man hier, zusammengefasst zwischen<br />
zwei Buchdeckeln, vor sich hat. Ausgestellt<br />
waren die Meisterwerke <strong>–</strong> mit etwas unterschiedlicher<br />
Gewichtung <strong>–</strong> außer in Wien<br />
in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung<br />
in München 2011/12. Der Spagat zwischen<br />
ästhetischer Anschaulichkeit und Präzision<br />
der wissenschaftlichen, aber verständlichen<br />
Vermittlung gelingt nun im Buch.<br />
Aber sind es nicht vielleicht doch die<br />
Themenausstellungen heutiger Kunst, die<br />
sich ganz den schönen Dingen widmen<br />
können, bei denen Opulenz und grafi sche<br />
Finesse einen weiteren <strong>–</strong> inhaltlichen <strong>–</strong> Sinn<br />
machen könnten? Freilich sind die Ausstellungen<br />
selbst oft eine zweischneidige Sache.<br />
Auch Künstler, die eigentlich zu einem<br />
Thema wenig bis nichts zu sagen haben<br />
und dieses vielleicht nur mit einer Arbeit<br />
aufgreifen, werden zu einer derartigen Schau<br />
eingeladen. Und dies führt in der Folge<br />
45
46<br />
dazu, dass wir bestimmte Künstler lediglich<br />
von Themenausstellungen zu sehr unterschiedlichen,<br />
manchmal auch schwammig<br />
formulierten Themen bzw. Fragestellungen<br />
kennen. Die Gefahr der Beliebigkeit ist also<br />
groß.<br />
Dem ist auch die Ausstellung „Weltraum.<br />
Die Kunst und ein Traum“ <strong>–</strong> gleichfalls zu<br />
einer Ausstellung in Wien, und zwar in der<br />
dortigen Kunsthalle <strong>–</strong> ausgesetzt. Aber im<br />
Katalog nimmt die zeitgenössische Kunst<br />
nur einen Teil der Darstellung ein. In der<br />
multimedial angelegten Ausstellung müssen<br />
sich die Arbeiten der Künstler von Michael<br />
Snow bis Mariko Mori und Björn Dahlem<br />
gut gemacht haben und die verschiedenen<br />
Aspekte zum Kontext zwischen Recherche<br />
und Einfühlung, Ironie und Utopie verdichtet<br />
haben. Zwar sind Charles & Ray Eames<br />
hier vertreten, aber die ZERO-Künstler<br />
oder, für die jüngere Kunst, Björn Melhus<br />
sind ausgelassen, vielleicht auch vergessen<br />
worden... Wichtig ist die Kontextualisierung<br />
im Katalog, der noch der Mythisierung<br />
der Astro- und Kosmonauten oder den<br />
Aspekten der Aufhebung der Schwerkraft<br />
nachgeht und eine Anthologie literarischer<br />
Texte bereithält. Der Clou aber ist die<br />
Gestaltung. Attraktiv im Goldumschlag mit<br />
dunkelblauer Schrift, entspricht das Buch<br />
instinktiv dem Themenbereich Weltraum<br />
und Raumfahrt. Und es gehört mit zu den<br />
schönsten Kunstbüchern des vergangenen<br />
Jahres.<br />
Weltraum. Die Kunst und ein Traum, 320<br />
S., üwg. farb. Abb., geb., Broschur mit<br />
Siebdruck, 25 x 20 cm, Verlag für Moderne<br />
Kunst, 40,- Euro<br />
Oceanomania:<br />
Souvenirs of Mysterious Seas. A Mark<br />
Dion Project, 192 S. mit farbigen Papieren<br />
und durchgehend Farb- und s/w-Abbildungen,<br />
geb., Hardcover mit Prägung,<br />
30,4 x 22 cm, Mack, 50,- Euro<br />
Schöner ist (nur) „Oceanomania“ <strong>–</strong><br />
schon im Titel dieses Buches steckt das ganze<br />
Programm zwischen Akkuratheit und der<br />
Besessenheit, die zur Durchsetzung nötig ist.<br />
Die Ausstellung, die im ozeanographischen<br />
Museum und dem Nationalmuseum in<br />
der Villa Paloma in Monte Carlo zu sehen<br />
war, und das Buch sind ein Kunstprojekt<br />
des Amerikaners Mark Dion, das nicht mit<br />
Reizen und Attraktionen geizt. Es verwebt<br />
Kulturgeschichte mit zeitgenössischer<br />
bildender Kunst, es stammt aus der Welt<br />
der Wunderkammern und Schatzkisten und<br />
ist doch eine Sache der Forschungslabore<br />
unserer Tage. Gewiss ist es fast eine Umkehrung<br />
von „Der Weltraum“ <strong>–</strong> nun geht es in<br />
die Tiefe und hier wird die Idee der Ästhetik<br />
weiter getrieben, auch hier wird Gold<br />
eingesetzt, als geprägte Schriftfarbe und als<br />
Goldschnitt. Mark Dion, der selbst zu den<br />
wichtigen Künstlern an der Schnittstelle von<br />
Naturwissenschaft und Transformation der<br />
Natur gehört, hat ein ernstes Anliegen thematisiert,<br />
die Ausbeutung der Meere und das<br />
Aussterben der Tierrassen. Schönheit und<br />
Zerstörung sind das zentrale Begriffspaar,<br />
vorgetragen von Künstlern wie Bernard Buffet,<br />
Matthew Barney und Katharina Fritsch<br />
und auch mit reichlich Referenztexten, leider<br />
alles nur auf englisch. Aber „Oceanomania“<br />
ist fabelhaft. Es ist wahrscheinlich das<br />
schönste Buch des vergangenen Jahres.
Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />
Vorgestellt von Matthias Dohmen<br />
1.300 Stichwörter auf rund 350 Seiten:<br />
„Das Politiklexikon“ von Klaus Schubert,<br />
Professor für Politikwissenschaft in<br />
Münster, und Martina Klein, Historikerin<br />
aus Datteln, informiert den politisch<br />
interessierten Bundesbürger kurz, knapp<br />
und präzise. Das Werk enthält Begriffe<br />
aus der aktuellen Politik, der jüngeren<br />
Geschichte und der Ideengeschichte.<br />
Leider fehlt ein Register, so dass man<br />
etwa den „kalten Krieg“ oder die Friedensbewegung<br />
vergeblich sucht und bei<br />
„verwandten“ Begriffen fündig werden<br />
muss. Eine gedrängte, nützliche Übersicht<br />
verschaffen die „Zeitleisten“ zur<br />
Geschichte Deutschlands „ab 1945“<br />
beziehungsweise „ab 1949“ sowie zur europäischen<br />
Integration. Das arge Problem<br />
der Proportionen: Der FDP widmen die<br />
Autoren zwei Drittel des Raums, den die<br />
SPD einnimmt.<br />
Klaus Schubert/Martina Klein, Das Politiklexikon.<br />
Begriffe, Fakten, Zusammenhänge,<br />
Bonn: J. H. W. Dietz 5. erw. Aufl . 2011.<br />
349 S., 19,90 Euro<br />
Grandios: Ein Rahmenthema sowie<br />
Forschungsberichte und Sammelrezensionen<br />
vereinigt auch der 51. Band (2011)<br />
des „Archivs für Sozialgeschichte“<br />
der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.<br />
21 Autoren beschäftigen sich mit dem<br />
Schwerpunkt „Säkularisierung und Neuformierung<br />
des Religiösen“. Der Bogen<br />
wird weit gespannt, sowohl thematisch<br />
als auch regional und oft vergleichend.<br />
So stehen Beiträge über die „katholische<br />
Welle der ‚Stunde Null‘“ im Nachkriegs-<br />
Deutschland, -Italien und -Frankreich<br />
und dem „Wandel des katholischen<br />
Friedensengagements in den USA und<br />
der Bundesrepublik“ neben Aufsätzen<br />
über „Kirchliche Präsenz in der Fabrik:<br />
Das Experiment der französischen<br />
Arbeiterpriester“ und der „kirchlichen<br />
Wahrnehmung ‚des Islam‘ seit den<br />
1960er Jahren“.<br />
Bemerkenswert: die Sammelrezension zur<br />
deutschen Vereinigung aus den „Jubiläumsjahren“<br />
2009 und 2010 sowie der<br />
Forschungsbericht „Zur Geschichte des<br />
Hörens“.<br />
Archiv für Sozialgeschichte. Bd. 51 (2011),<br />
Bonn: J. H. W. Dietz 2011. 782 S., 68,00<br />
Euro<br />
Mitunter etwas umständlich und<br />
langatmig, aber dennoch verdienstvoll<br />
ist die feministisch inspirierte Arbeit<br />
der fi nnischen Autorin Katriina Lehto-<br />
Bleckert über Ulrike Meinhofs „Weg<br />
zur Terroristin“. Der Historikerin ging<br />
es darum zu zeigen, dass Meinhofs<br />
„Leben noch aus etwas anderem bestand<br />
als ‚nur‘ der Mitgliedschaft in der<br />
berühmt-berüchtigten RAF“ (S. 13).<br />
Die bisherige Wahrnehmung „einer intellektuellen<br />
Frau“ sei nicht zuletzt im<br />
Gefolge der immer wieder nachgebeteten<br />
Darstellung ihres Ex-Ehemannes<br />
Klaus Rainer Röhl zu sehr männlich<br />
geprägt.<br />
Über zehn Jahre hat sich Lehto-Bleckert<br />
mit Meinhof beschäftigt. Ihrem<br />
Anspruch, deren Leben nach entscheidenden<br />
Momenten wie dem Sprung<br />
aus dem Fenster (und in die Illegalität)<br />
1970 aufzuarbeiten, wird sie nur eingeschränkt<br />
gerecht. Gleichwohl: So viel<br />
Ulrike Meinhof war noch nie.<br />
Katriina Lehto-Bleckert, Ulrike Meinhof<br />
1934-1976. Ihr Weg zur Terroristin, Marburg:<br />
Tectum 2011 (= Wissenschaftliche<br />
Beiträge, Reihe Geschichtswissenschaft, Bd.<br />
12). 714 S., 29,90 Euro<br />
47
48<br />
TANZTRÄUME<br />
Jugendliche tanzen „Kontakthof“<br />
von Pina Bausch.<br />
Das Buch zum Film von Anne<br />
Linsel und Ulli Weiss.<br />
TANZ ANZ TRÄUM TRÄUME<br />
JUGENDLICHE TANZEN<br />
KONTAKTHOF<br />
VON<br />
PINA BAUSCH<br />
DAS BUCH ZUM FILM<br />
VON ANNE LINSEL UND ULLI WEISS<br />
VERLAG <strong>HP</strong> NACKE WUPPERTAL<br />
Tanzträume<br />
Jugendliche tanzen „Kontakthof“<br />
von Pina Bausch.<br />
Das Buch zum Film von Anne Linsel<br />
und Ulli Weiss<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal, 2011<br />
120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover<br />
ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro<br />
Tanzträume<br />
Ein Jahr nach seiner Premiere legt die<br />
Wuppertaler Kulturjournalistin Anne Linsel<br />
nun das Buch zu ihrem Film „Tanzträume.<br />
Jugendliche tanzen ‚Kontakthof’ von Pina<br />
Bausch“ mit Fotografi en von Ulli Weiss vor.<br />
Zahlreichen Aufnahmen, die während der<br />
Proben entstanden, sind Originalzitate aller<br />
Beteiligten zur Seite gestellt. Zusammen<br />
mit Szenefotografi en des von Jo Ann Endicott<br />
und Bénédicte Billiet einstudierten<br />
Stücks geben sie ein berührendes Zeugnis<br />
eines der letzten großen Projekte der 2009<br />
verstorbenen Choreographin wieder. Im<br />
Zentrum der aufwendig gestalteten Dokumentation<br />
steht der Abdruck des letzten<br />
Interviews von Pina Bausch vor ihrem<br />
Tod. Ein Überblick über die wichtigsten<br />
Presse-Stimmen zur Filmpremiere während<br />
der Biennale im Jahr 2010 vermittelt die<br />
deutschlandweite Begeisterung von „Tanzträume“,<br />
die Festivalliste dokumentiert den<br />
großen weltweiten Erfolg des Films.<br />
„Etwas von sich selber zeigen, sich überwinden...“<br />
Dieses Grundprinzip ihrer choreographischen<br />
Arbeit forderte Pina Bausch<br />
mit Gewinn auch von ihren jugendlichen<br />
Tänzern. Das 1978 uraufgeführte Stück<br />
über das stets prekäre Verhältnis zwischen<br />
Männern M und Frauen wurde im Jahr 2000<br />
mit m Laien, mit Damen und Herren ab 65<br />
Jahren J einstudiert, bevor 2007 die Arbeit<br />
mit m Schülerinnen und Schülern verschiedener<br />
n Wuppertaler Schulen und Schulformen<br />
begann. b „Ihr müsst Ihr selbst bleiben, mit<br />
all a den Qualitäten und Raffi nessen, die ein<br />
Mensch M hat,“ ermutigte die Choreographin<br />
die d über 40 Jugendlichen aus Wuppertal,<br />
ihre i Ängste zu überwinden, etwas auszuprobieren<br />
b und das Stück zu ihrem eigenen zu<br />
machen. m Am Ende der Proben war aus den<br />
Jugendlichen J - teilweise mit Migrationshintergrund<br />
t -, die sich vorher kaum kannten,<br />
<strong>–</strong> eine feste freundschaftlich verbundene<br />
Gemeinschaft G geworden.<br />
Pina Bausch kam 1973 auf Bitten<br />
des d damaligen Generallintendanten der<br />
Wuppertaler W Bühnen nach Wuppertal. Von<br />
Beginn B an begleitete Anne Linsel die Arbeit<br />
Pina Bauschs journalistisch; „Kontakthof“<br />
war immer eines ihrer Lieblingsstücke.<br />
Das Vertrauen, das in der langjährigen<br />
Zusammenarbeit gewachsen war, bildete<br />
die Basis für die äußerst sensible fi lmische<br />
Begleitung der Proben zu „Kontakthof“.<br />
Zusammen mit Kameramann Rainer<br />
Hoffmann hatte Anne Linsel ein Jahr lang
50<br />
Flutra Ajvazi, Kira Clemens, Philipp<br />
Danisch, Timo Dieckmann, David Erler,<br />
Maria Färber, Margarita Fast, Anastasia<br />
Friesen, Marvin George, Soeren Keup, Jonas<br />
Kieran Kosmoll, Lydia Kumi, Jan Lade,<br />
Kim Christin Lörken, Katja Manke, Safet<br />
Mistele, Jaqueline Palilla, Lennard Pfennig,<br />
Jonas Quatuor, Mona Remfort, Ramona<br />
Rexfort, Alexandros Sarakasidis, Katharina<br />
Schüller, Andy Sichui, Björn Tappert, Joy<br />
Wonnenberg<br />
exklusiv die Arbeit der Jugendlichen begleitet.<br />
Den großen Erfolg der Premiere von<br />
„Tanzträume“ erlebte Pina Bausch indes<br />
nicht mehr.<br />
Die überwiegend farbigen Fotografi -<br />
en von Ulli Weiss spiegeln nicht minder<br />
eindrucksvoll die Intensität der Arbeit mit<br />
den Jugendlichen wider. Nahaufnahmen<br />
der Tanzfi guren sprechen von aufbrechenden<br />
Gefühlen; Porträtstudien der konzentrierten<br />
Gesichter wechseln mit Ansichten<br />
des Ensembles. In ihnen entfaltet sich der<br />
große Spielraum zwischen zarter Erotik<br />
und kindlicher Verspieltheit, Anmut und<br />
Gewalt, Angst und Vitalität, den die jungen<br />
Protagonisten überzeugend auszuloten<br />
wissen. Nicht zuletzt zeigt die Dokumentation<br />
der Inszenierung, wie „Nähe und sogar<br />
körperliche Berührungen unter Schülern<br />
und zwischen Schülern und Lehrern“, die<br />
„fühlbare, einfühlsame Zuneigung [...]<br />
ohne jede Zudringlichkeit, Überwältigung<br />
oder gar Machtmissbrauch“ (Peter von<br />
Becker) möglich sind und trägt damit nicht<br />
unerheblich zu einer aktuellen Debatte bei.<br />
Anne Linsel lebt in ihrer Geburtstadt<br />
Wuppertal. Nach dem Studium der Kunst<br />
und Kunstgeschichte arbeitet sie bis heute<br />
regelmäßig für den Hörfunk. Sie war für<br />
„Die Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“<br />
tätig und moderierte von 1984-1989 das<br />
Magazin „aspekte“ im ZDF. Sie drehte über<br />
20 Dokumentarfi lme für WDR, ARD,<br />
ZDF und ARTE. Anne Linsel ist Mitglied<br />
des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik<br />
Deutschland und Gründungsmitglied der<br />
Kulturpolitischen Gesellschaft. Sie war<br />
Mitglied in diversen Literaturjurys u. a. des<br />
Kultusministeriums NRW <strong>–</strong> Förderpreis<br />
NRW Literatur, Künstlerdorf Schöppingen,<br />
Ernst-Meister-Lyrikpreis Hagen, Nelly-<br />
Sachs- Preis Dortmund. 2007 erhielt sie<br />
den Preis der Enno-und-Christa-Springmann-Stiftung.<br />
Ulli Weiss ist in Bonn geboren und im<br />
Rheinland aufgewachsen. Von 1961-1969<br />
hat sie als Angestellte der Deutschen Lufthansa<br />
in Bonn und München gearbeitet.<br />
1970 wurde sie Assistentin von Otto<br />
Steinert, bei dem sie von 1971-1976 an<br />
der Folkwangschule für Gestaltung Essen-<br />
Werden Fotografi e studierte. Ihr Examen<br />
machte Weiss über Freie Theater-Ensemble<br />
in Europa. Sie zog nach Berlin, wo sie als<br />
freiberufl iche Fotografi n und Bildjournalistin<br />
arbeitete. Im Herbst 1976 holte Pina<br />
Bausch sie erstmals für Aufnahmen ihres<br />
Tanzabends „Die sieben Todsünden“ zum<br />
Tanztheater Wuppertal. Seitdem vielfältige<br />
kontinuierliche Zusammenarbeit im<br />
Bereich Fotografi e und Publikationen.<br />
2010 erhielt sie den Enno-und-Christa-<br />
Springmann-Preis.<br />
Fotos: Ulli Weiss
Kulturnotizen<br />
Wuppertaler Autoren bilden auch im<br />
Frühjahr/Sommersemester 2012 einen<br />
Schwerpunkt im Programmangebot<br />
der Friedrich-Spee-Akademie (FSA)<br />
Wuppertal. Das Gesamtprogramm wird<br />
wiederum im Arcadia-Hotel neben der<br />
Historischen Stadthalle und zwar am 11.<br />
März, 16 Uhr, vorgestellt.<br />
Den Anfang macht am Dienstag, 20.<br />
März, 16 Uhr, Hans Werner Otto. Seine<br />
Lesung fi ndet, wie auch alle weiteren, im<br />
Kaminzimmer der Mundus- Seniorenresidenz<br />
am Laurentius- Platz statt. Es folgt<br />
am 10. April, ebenfalls ein Dienstag, am<br />
gleichen Ort zur gleichen Zeit Christiane<br />
Gibiec, die mit ihrem Krimi „Türkischrot“,<br />
der im 19. Jahrhundert in Barmen<br />
spielt, seit Anfang 2008 Furore macht.<br />
Dritter im Bunde der heimischen Autoren,<br />
die im Rahmen der FSA-Reihe zur<br />
Lesung eingeladen wurden, ist am 8. Mai<br />
der 1956 in Köln geborene Ulrich Land,<br />
der in Hattingen lebt. Schließlich kommt<br />
am 12. Juni Falk Andreas Funke in der<br />
Mundus- Seniorenresidenz zu Wort.<br />
Die Lesenachmittage, deren Besuch<br />
wie alle FSA-Veranstaltungen kostenlos<br />
ist, sind im laufenden Frühjahr-/Sommersemester<br />
am zweiten Dienstag in den<br />
Monaten März bis Juni 2012, jeweils um<br />
16 Uhr. Im abgelaufenen zweiten Halbjahr<br />
2011 lasen auf Einladung der FSA<br />
und auf Anregung des Verbands Wuppertaler<br />
Schriftsteller bereits Karl-Otto<br />
Mühl, Safeta Obhodjas, Michael Zeller<br />
und Hermann Schulz.<br />
Ein weiterer literarischer Höhepunkt<br />
im FSA- Frühjahrsprogramm 2012 ist am<br />
Donnerstag, 10. Mai, 16 Uhr, ebenfalls<br />
in der Mundus- Seniorenresidenz, ein<br />
Kamingespräch zwischen dem Vorsitzenden<br />
der FSA, Jochen Zoerner-Erb und<br />
Marlene Baum. Dabei geht es um das<br />
von Marlene Baum mitherausgegebene<br />
Buch „Kunst ist unwiderstehlich“ ihrer<br />
Mutter Stella Baum. Texte aus diesem<br />
Buch, das bereits in der „ausverkauften“<br />
City-Kirche vorgestellt wurde, werden<br />
von dem Schauspieler Peter Hoffmann<br />
gelesen. (Joachim Krug).<br />
Brecht-Bearbeitung der Wuppertaler<br />
Autorin Dorothea Müller<br />
„So nett“<br />
Unter diesem Titel hat die Wuppertaler<br />
Autorin Dorothea Müller, Mitglied des<br />
Verbands deutscher Schriftsteller, das siebte<br />
Sonett von Bertholt Brecht bearbeitet.<br />
Heraus kam ein nicht ganz so netter, eher<br />
sarkastischer Text, den „Die Zeit“ kürzlich<br />
unter der Rubrik „Klassische Lyrik, neu<br />
verfasst“ veröffentlichte, in der Ausgabe<br />
43 vom 20. Okt. 2011. Ganz anderer<br />
Natur ist der Prosatext „Begegnung“,<br />
den die Autorin zur Anthologie „Alles ist<br />
möglich - auch das Unmögliche“ beisteuerte.<br />
Er schildert einen Aufenthalt in der<br />
Rehaklinik für Krebskranke. Das Buch ist<br />
vor kurzem im St. Benno Verlag, Leipzig<br />
erschienen.<br />
Verband Deutscher Schriftsteller in<br />
ver.di, Bezirksgruppe Wuppertal - Bergisches<br />
Land<br />
Museum Ludwig Köln<br />
Ichundichundich.<br />
Picasso im Fotoporträt<br />
24.09.2011 bis 22.01.2012<br />
An der Legende von Picassos schillernder<br />
Persönlichkeit haben Fotografi en einen<br />
großen Anteil. Das Antlitz des Jahrhundertkünstlers<br />
ist fast bekannter als sein<br />
OEuvre. Trotz der Fülle der existierenden<br />
Porträts wurde bislang nicht die Frage<br />
nach der Spannung zwischen Picassos<br />
Wunsch nach kontrollierter Selbstdarstel-<br />
Brassai, Picasso vor Henri Rousseaus Portrait<br />
„Jadwiga“, 1932 © bpk-Bildagentur<br />
für Kunst, Kultur und Geschichte<br />
lung und den Ansprüchen und Vorstellungen<br />
der Fotografen gestellt. Erstmals<br />
untersucht diese Ausstellung den konzeptionellen<br />
Anteil Picassos an den Aufnahmen<br />
seiner Person: Wie wirkungsvoll waren<br />
die Strategien eines Künstlers, der seine<br />
Frauen und seine Arbeit, seine Scharaden<br />
und seine politische Haltung öffentlich<br />
machte und sein Privatleben in von ihm<br />
bestimmten Ausschnitten zur Konsolidierung<br />
eines Personenkults benutzte? Ob<br />
und in welchem Maß vermochten sich die<br />
Fotografen mit ihrer je eigenen fotografi -<br />
schen Bildsprache gegen die dominierende<br />
Präsenz des Porträtierten durchzusetzen?<br />
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag:<br />
10 <strong>–</strong> 18 Uhr<br />
jeden ersten Donnerstag im Monat:<br />
10 <strong>–</strong> 22 Uhr<br />
http://www.museum-ludwig.de/<br />
Museum für Kunst<br />
und Kulturgeschichte Dortmund<br />
1 m³ <strong>–</strong> Fotografi en von<br />
Christian Diehl<br />
28.01.2012 - 15.04.2012<br />
© Christian Diehl: Fotografi e aus dem<br />
Projekt 1m³ Halde<br />
Wie ein Maulwurf gräbt sich Christian<br />
Diehl durch Erde. Nicht irgendwelche<br />
Erde, sondern einen Kubikmeter Acker,<br />
Wald, Halde und Watt. Er hat jeweils genau<br />
einen Kubikmeter Erdreich ausgehoben<br />
und durchforstet nun den gesamten<br />
Bereich nach Fotoobjekten. Nach und<br />
nach entsteht so aus einer „repräsentativen<br />
Stichprobe“ ein Überblick zu den<br />
Wesensmerkmalen des Bodens.<br />
Welche Pfl anzen und -teile, welche<br />
Lebewesen, welche Gesteinsbrocken<br />
und welche anderen Details sind dort<br />
51
52<br />
verborgen? Diehl inszeniert mit seiner<br />
Kamera eine komplette Durchleuchtung<br />
des Fotogegenstandes. Nach den Prinzipien<br />
einer sachlichen Fotografi e fi ndet eine<br />
Art wissenschaftliche Dokumentation<br />
mit künstlerischen Obertönen statt. Sie<br />
beleuchtet und streift dabei viele Nachbargebiete<br />
wie Geologie, Botanik und<br />
Zoologie.<br />
Die einzelnen Bilder sind Versatzstücke<br />
aus einem Ganzen, die wie ein Gefüge<br />
direkt und assoziativ aufeinander zugeordnet<br />
sind, da als verbindende Klammer<br />
immer der Ausgangs- und Sammelpunkt<br />
in dem einen, präzisen und nach Lage<br />
und Herkommen genau identifi zierbaren<br />
Erdblock gegenwärtig ist. Jede der Fotografi<br />
en ist jedoch nicht nur Fragmentbild,<br />
sondern gleichzeitig ein herausgehobenes<br />
Einzelstück mit allen ästhetischen Aspekten,<br />
wie sie zu einem Kunstwerk gehören.<br />
28.01.2012 - 15.04.2012<br />
http://www.dortmund.de<br />
Museum Ostwall<br />
Das Drama der Farben und Formen<br />
Zum 100. Geburtstag Harry Fränkels im<br />
Rahmen der Sammlungspräsentation<br />
„Der zweite Blick<br />
27.11.2011 - 10.06.2012<br />
Harry Fränkel, Siebdruck VI/68, 1968<br />
Zum 100. Geburtstag Harry Fränkels<br />
präsentiert das Museum Ostwall ein<br />
Kabinett mit ausgewählten Werken des<br />
Dortmunder Künstlers. In zwei aufeinander<br />
folgenden Ausstellungen werden vom<br />
27. November 2011 bis 26. Februar 2012<br />
vor allem Holz- und Linolschnitte aus der<br />
Nachkriegszeit bis zum Beginn der 1960er<br />
Jahre gezeigt. Vom 28. Februar bis 10.<br />
Juni 2012 sind Siebdrucke aus den Jahren<br />
1968/69 zu sehen.<br />
In seinen frühen, expressiven Holzschnitten<br />
verarbeitet Fränkel die Gräuel des<br />
Krieges. Nach und nach werden seine Arbeiten<br />
jedoch abstrakter; seine Bildsprache ent-<br />
wickelt einen eigenen Rhythmus. Mitte der<br />
1950er Jahre vollzieht Fränkel den Wechsel<br />
von der abstrakten zur absoluten Malerei<br />
und setzt Farben und Formen zu spannungsreichen<br />
oder harmonischen Kompositionen<br />
zusammen. In den Jahren vor seinem<br />
Tod entstehen farbintensive Siebdrucke, in<br />
denen er u. a. mit optischen Phänomenen<br />
und Variationen experimentiert.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.dortmund.de<br />
Stilblüte Schloss Lüntenbeck.<br />
Knospe, Spaten und Feines<br />
Erstmalig wird am 24./25. März 2012<br />
in Wuppertal der Markt für Gartenkultur,<br />
Lebensart & Feines stattfi nden. Aus<br />
dem Winterschlaf erwachend richten sich<br />
die Sinne in den Freiraum. Der Schnee<br />
schmilzt, die Pfl anzzeit beginnt und die<br />
ersten Knospen strecken sich der Sonne<br />
entgegen. Die Stilblüte bietet alles, um<br />
sich in Haus und Garten auf die kommende<br />
Saison einzurichten. Das Angebot<br />
des Marktes reicht von Blühendem,<br />
Grünem und Dekorativem bis hin zu<br />
Möbeln, Werkzeug und Kulinarischem.<br />
Die Originalität der Ware ist, neben<br />
der Qualität, übrigens das wesentliche<br />
Kriterium zur Auswahl der Händler. Die<br />
Stilblüte Schloss Lüntenbeck präsentiert<br />
hochwertige Produkte zum Thema<br />
Gartenkultur aus den Bereichen Pfl anzen,<br />
Gartengerät, -möbel und -accessoires.<br />
Öffnungszeiten: 24./25. März 2012,<br />
Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr.<br />
Eintritt: 4.<strong>–</strong> Euro.<br />
www.schloss-luentenbeck.de<br />
Käthe Kollwitz Museum Köln<br />
„WO IST DIE NEUE FORM FÜR DEN<br />
NEUEN INHALT?"<br />
12. Januar bis 25. März 2012<br />
Der Zusammenhang von Technik<br />
und Motiv im Werk von Käthe<br />
Kollwitz<br />
Das Käthe Kollwitz Museum Köln öffnet<br />
seine Graphik-Schubladen für eine rund 50<br />
Arbeiten umfassende Schau, die auf spannende<br />
Weise den für Kollwitz elementaren<br />
Zusammenhang von Medium und Motiv<br />
nachvollziehbar macht. Präsentiert werden<br />
vor allem äußerst seltene Zustandsdrucke in<br />
allen von ihr verwandten Techniken <strong>–</strong> von<br />
der Radierung über die Lithographie bis<br />
zum Holzschnitt. Die Aufl agen der Druckgraphikerin<br />
Käthe Kollwitz sind weltweit<br />
einem großen Publikum bekannt. Doch<br />
darüber hinaus existieren zahlreiche Probedrucke<br />
<strong>–</strong> viele davon Einzelexemplare <strong>–</strong> mit<br />
denen sie die schrittweise Entwicklung eines<br />
Motivs über verschiedene Stadien hinweg<br />
dokumentierte.<br />
Die Frage nach einer dem Inhalt angemessenen<br />
Form stellte sich die Künstlerin<br />
vor allem gegen Ende des Ersten Weltkrieges.<br />
Fast keine Druckgraphik entstand<br />
während der erschütternden Kriegserlebnisse,<br />
was ihre Ratlosigkeit in diesem<br />
Punkt belegt. Erst nach Kriegsende macht<br />
sie sich wieder auf die Suche nach der<br />
„richtigen“ Technik. So arbeitete sie sich<br />
bei dem Gedenkblatt für Karl Liebknecht,<br />
dessen Ermordung sich am 19. Januar<br />
jährt, oder den Blättern der Folge Krieg<br />
über zum Teil mehrere Jahre förmlich an<br />
allen Techniken ab, dem Tief-, Flach- und<br />
Hochdruck, ehe sie zu einer endgültigen<br />
Fassung fand.<br />
Die in diesem Prozess entstandenen<br />
Zustandsdrucke bilden einen Sammlungsschwerpunkt<br />
des Kölner Kollwitz<br />
Museums. Die Arbeitsweise der Künstlerin<br />
zu erforschen und für Besucher nicht nur<br />
nachvollziehbar, sondern wirklich erfahrbar<br />
zu machen, betrachtet das Museum als eine<br />
seiner wichtigsten Aufgaben. Zu diesem<br />
Zweck sind über Jahre hinweg aus aller<br />
Welt Zustandsreihen in allen Techniken<br />
zusammengeführt worden, die nun erstmals<br />
in dieser Gänze zu sehen sein werden.<br />
Zwei Tote, 1920, Holzschnitt Kn 158 IV
Kulturnotizen<br />
Mütter. Blatt 6 der Folge „Krieg“, 1921 <strong>–</strong><br />
Anfang 1922, Holzschnitt Kn 176 III<br />
Die Witwe I, Blatt 4 der Folge „Krieg“<br />
1921 <strong>–</strong> Anf. 1922, Holzschnitt Kn 175 Vb<br />
für alle Werke der Künstlerin: © VG Bild-<br />
Kunst, Bonn 2012<br />
The art of tool making<br />
Durch die spannende Nebeneinanderreihung<br />
der Zustände, die dadurch ersichtlichen<br />
Verwerfungen und Hinzufügungen,<br />
die Veränderungen im Ausdruck, die sich<br />
durch unterschiedliche Techniken ergeben <strong>–</strong><br />
durch all dies erschließt sich dem Besucher<br />
das endgültige Werk der Künstlerin in<br />
seiner ganzen Tiefe.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
http://www.kollwitz.de/<br />
Museum für Kunst-<br />
und Kulturgeschichte Dortmund<br />
500 Jahre Gerhard Mercator<br />
Vom Weltbild der Renaissance zum<br />
Kartenbild der Moderne<br />
Der Universalgelehrte Mercator<br />
(1512<strong>–</strong>1594) war der erste Kartograph,<br />
der die Welt in ihrer Gesamtheit betrachtete<br />
und Karten für große Räume<br />
wie z.B. Staaten oder Erdteile hochgenau<br />
selbst erstellte. Seine bemerkenswerten<br />
Fähigkeiten im Kupferstich schufen Globen,<br />
Welt- und Detailkarten in bis dahin<br />
nie gekannter Qualität. Sein Atlas prägte<br />
unser heutiges Kartenverständnis maßgeblich.<br />
Die Sonderausstellung ist einzelnen<br />
Aspekten Mercators Schaffens und seinen<br />
Auswirkungen auf die Kartographie und<br />
Navigation bis heute gewidmet.Neben<br />
originalen Globen wird an weiteren<br />
Exponaten die Entwicklung zum heutigen<br />
Globusbild aufgezeigt. Der Mercatoratlas<br />
aus dem Jahre 1595 bildet ein zentrales<br />
Ausstellungsstück und erschließt sich dem<br />
Gerhard Mercator<br />
Besucher als virtueller Atlas. Spätere Karten<br />
dokumentieren die Veränderung der Landschaft,<br />
die Verstädterung, die Ausbreitung<br />
der Großindustrie sowie den Rückbau<br />
und das gegenwärtige Flächenrecycling.<br />
Auf der Zeitachse von 1835 bis heute soll<br />
dem Betrachter die Karte als Zeitdokument<br />
nahe gebracht werden. Stadtpläne<br />
spielen spätestens seit der Verbreitung des<br />
„Navis“ eine wichtige Rolle im Alltag. Der<br />
Wandel der Stadt vom Mittelalter über die<br />
Industrialisierung bis zum gegenwärtigen<br />
Strukturwandel wird mit Kartenbeispielen<br />
nachvollziehbar gemacht.<br />
Im alltäglichen Leben kommen<br />
Menschen immer wieder mit Karten als<br />
Informationsmedium in Kontakt. Dabei<br />
53
54<br />
dient die Karte als Orientierungsmedium,<br />
als Zeitdokument, als Kunstobjekt und natürlich<br />
die elektronische Karte als aktuelles,<br />
technisches Hilfsmittel. Die Entstehung<br />
und Entwicklung dieses Mediums wird in<br />
der Sonderausstellung anhand originaler<br />
Exponate und vielen Mitmachstationen<br />
verdeutlicht und widmet sich auch neuesten<br />
Trends wie dem GEO-Caching.<br />
Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs,<br />
freitags und sonntags von 10.00-<br />
17.00 Uhr, donnerstags von 10-20 Uhr<br />
sowie samstags von 12-17 Uhr geöffnet.<br />
Internet: www.museendortmund.de/mkk<br />
Max Ernst Museum<br />
Niki de Saint Phalle - Spiel mit mir<br />
15.1. <strong>–</strong> 3.6.2012<br />
Niki de Saint Phalle (1930-2002) zählt<br />
mit ihrem umfangreichen Schaffenswerk<br />
wohl zu den bedeutendsten Künstlerinnen<br />
des 20. Jahrhunderts. Sie hat ein faszinierendes<br />
Werk hinterlassen, dessen Einfalls-<br />
und Abwechslungsreichtum seinesgleichen<br />
sucht. Bereits die frühen Gemälde der<br />
1950er Jahre, die sich u.a. an naiver Malerei<br />
orientieren, sowie die Assemblagen,<br />
in denen die Künstlerin Anfang der 60er<br />
Jahre alltägliche Gegenstände zu bunten<br />
Klebebildern kombiniert, sind Ausdruck<br />
dafür. Ausgehend davon entwickelt sie die<br />
sogenannten Schießbilder, in denen sie<br />
ihre bewegte Biografi e verarbeitet. Die mit<br />
Farbbeuteln präparierten und mit einem<br />
Gewehr beschossenen Reliefs sind jedoch<br />
nicht nur ein aggressiver Akt der Zerstö-<br />
Niki de Saint Phalle, Nathalie,1965, Privatsammlung,<br />
© 2012 Niki Charitable<br />
Art Foundation, Foto: © André Morain<br />
rung, sondern bilden zugleich Möglichkeiten<br />
neuer Bildfi ndungen.<br />
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />
von 11 - 18 Uhr geöffnet.<br />
Internet: www.maxernstmuseum.lvr.de<br />
Museum Abteiberg Mönchengladbach<br />
— MONICA BONVICINI<br />
DESIRE DESIESE DEVISE <strong>–</strong><br />
Zeichnungen 1986 <strong>–</strong> 2012<br />
4. März - 20. Mai 2012<br />
Monica Bonvicini (*1965 in Venedig,<br />
lebt in Berlin) hat im Laufe von<br />
rund 25 Jahren ein gewaltiges Konvolut<br />
an Zeichnungen produziert. Es sind<br />
Skizzen, Entwürfe, Konzepte, aus denen<br />
ihre weltweit bekannten skulpturalen,<br />
installativen oder medialen Werke hervor<br />
gingen, sowie viele freie Arbeiten, die einen<br />
völlig eigenen Part in ihrem Oeuvre<br />
ausmachen.Bonvicinis Werk zeichnet<br />
generell eine große Varianz zwischen<br />
kraftvollen, aggressiven Ausdrucksformen<br />
und intimen psychologischen Inhalten<br />
wie Verletzbarkeit, Nacktheit, Isolation<br />
oder unterdrückter Gewalt aus. Zu diesen<br />
Themen tritt eine grundlegende Auseinandersetzung<br />
mit der menschlichen<br />
Beziehung zu Raum und Architektur. Ihre<br />
zeichnerischen Arbeiten intensiveren diese<br />
Zusammenhänge zwischen Sexualität,<br />
Macht und psychologischem Erleben, indem<br />
sie den Körper und den Menschen in<br />
die Darstellung einbeziehen, der in ihren<br />
großen räumlichen Installationen fehlt.<br />
Die Ausstellung zeigt eine Auswahl<br />
aus mehr als 1000 Blättern. Die Größe<br />
variiert von kleinen Din A6 Zetteln bis<br />
zu großformatigen Bögen. Die Zeichenmaterialien<br />
sind Bleistift, Tusche,<br />
Deckweiß, wenige Farben und häufi g<br />
Schablonen. Hinzu treten Collagematerialien,<br />
Fotografi en und gefundene<br />
Drucksachen, die in die Zeichnungen in<br />
der für Bonvicini typischen, expressiven<br />
Poetik einmontiert sind.<br />
Die Ausstellung wird gemeinsam vom<br />
Museum Abteiberg in Mönchengladbach<br />
und den Deichtorhallen Hamburg /<br />
Sammlung Falckenberg vorbereitet.<br />
Weite Informationen: www.museumabteiberg.de<br />
KLANG_ART im Skulpturenpark <strong>–</strong><br />
Programm-Vorschau 2012<br />
Im vierten Jahr bietet die Konzertreihe<br />
> KlangArt im Skulpturenpark < erneut<br />
ein Klangspektrum von zeitgenössischem<br />
Jazz und Weltmusik, aktuell mit dem<br />
Programmschwerpunkt „Klanglandschaften<br />
Afrikas“ *:<br />
Fr. 11. Mai: Ablaye Cissoko (Senegal)<br />
& Volker Goetze (New York) *<br />
Sa. 2. Juni: CHIWONISO Trio<br />
(Zimbabwe) *<br />
So. 3. Juni: HAZMAT MODINE<br />
(New York)<br />
Sa. 14. Juli: ANA MOURA (Portugal)<br />
So. 15. Juli: FATOUMATA DIAWARA<br />
& Band (Mali, Elfenbeinküste) *<br />
Sa. 18. August: SQUEEZEBAND<br />
Chico Freeman sax. (USA) <strong>–</strong> Dany Martinez<br />
git. (Cuba) <strong>–</strong> Michel Alibo bass<br />
(Martinique) - Nino G. vocal (Italien) <strong>–</strong><br />
Reto Weber percussion (Schweiz)<br />
So. 19. August: JASPER VAN’T HOF<br />
PILI PILI *<br />
Fatoumata Diawara<br />
© Foto Engelhardt Promotion
(Südafrika, Mali, Niederlande, Rußland,<br />
Rumänien)<br />
Jasper van‘t Hof - keyboards, Smagele<br />
Khumalo - vocal, Dra Diarra - percussion,<br />
Vasile Darnea - violin, Anton<br />
Peisakhov - cello, Eric van der Westen -<br />
bass, Tineke Postma - sax<br />
Information:<br />
www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />
Lothar Baumgarten<br />
Abend der Zeit <strong>–</strong><br />
Señores Naturales Yanomami<br />
Museum Folkwang 26. November 2011<br />
<strong>–</strong> 27. Mai 2012<br />
Am Ende der 1970er Jahre lebte Lothar<br />
Baumgarten unter den Yãnomãmi des Oberen<br />
Orinoco, in den Wäldern der Wasserscheide<br />
zwischen Venezuela und Brasilien.<br />
Während 18 Monaten teilte er das Leben<br />
der Indianer von Kashorawë- und Yapitawëtheri,<br />
zwei Yãnomãmi Gemeinschaften die<br />
zu klein geworden waren um sich noch gegen<br />
ihre zunehmend feindlichen Nachbarn<br />
verteidigen zu können. Dieser Umstand<br />
machte sie sehr beweglich. Baumgarten<br />
kam in Kontakt mit diesen halbsesshaft<br />
lebenden Gruppen, als sie gerade näher<br />
an den Orinoco gezogen waren um dort<br />
gemeinsam ihren neuen, großen Shapono<br />
zu bauen und umfangreiche Pfl anzungen<br />
anzulegen. Er begleitete die jagend und<br />
sammelnd durch die Wälder ziehende Gemeinschaft<br />
der 84 Yãnomãmi bei ihren täglichen<br />
Unternehmungen: Besuchen anderer<br />
Shapono zu festlichen Ritualen, der aufwendigen<br />
Pfl ege ihrer politischen Allianzen,<br />
dem ihnen bis dahin fremden Bootsbau,<br />
Urihiwë,Yanomami, © Foto L. Baumgarten<br />
Links: Pfeilspitzen (rahaka), rechts: Zeichnung<br />
in einem Skizzenbuch von Lothar<br />
Baumgarten, 1979, Wasserfarbe auf Papier<br />
© Foto Lothar Baumgarten, Museum<br />
Folkwang<br />
der täglichen Praxis der Schamanen und<br />
kriegerischen Rachezügen gegen ihre neuen<br />
und alten Nachbarn. Durch den latent praktizierten<br />
Tauschhandel unter den Yãnomãmi<br />
entstanden schon bald Notwendigkeiten<br />
des Gebens und Nehmens, die Baumgarten<br />
von ersten Objekten, zum umfangreichen<br />
Konvolut, der hier in Teilen erstmalig<br />
gezeigten Sammlung führten. Die während<br />
jener Zeit vor Ort gegen Naturalien<br />
getauschten ethnographischen Gegenstände<br />
und die ganz unerwartete Fülle entstandener<br />
24. und 25. März 2012<br />
Stilblüte<br />
Schloss Lüntenbeck Knospe, Spaten und Feines<br />
Zeichnungen der Yãnomãmi auf Papier, wie<br />
auch die umfangreichen Ton- und Filmdokumente<br />
werden in der Präsentation von<br />
fotografi schen Sequenzen begleitet, die die<br />
erlittene Nähe des erlebten Unbekannten<br />
sichtbar werden lassen. Wir sehen keine<br />
gekauften oder modellierten Bilder, sondern<br />
die Unmittelbarkeit des Vertrauten, denn<br />
neben aller Fremdheit ist ihnen menschliche<br />
Nähe offensichtlich eigen.<br />
Diese Ausstellung erzählt von einer<br />
Einlassung, der Begegnung und dem<br />
Austausch in einem gerade erst dreißig Jahre<br />
zurückliegenden Zeitraum. Sie versucht ein<br />
Bild einer Gesellschaft zu zeichnen, deren<br />
Befi ndlichkeit und Existenz von unserer<br />
Einsicht in ihre Notwendigkeiten abhängt.<br />
Auf anschauliche Weise eröffnet und<br />
führt diese außergewöhnliche Schenkung<br />
der Sammlung Baumgarten / Sugai, an<br />
die Stiftung für das Museum Folkwang im<br />
Jahre 2010, einen vormals durch Karl Ernst<br />
Osthaus, dem Begründer des Museums,<br />
aufgenommenen Dialog zwischen alter und<br />
außereuropäischer Kunst, durch Kohärenz<br />
und Umfang, wie auch in ihrer künstlerischen<br />
und kunsthistorischen Würdigung<br />
fort.<br />
http://www.museum-folkwang.de<br />
Öffnungszeiten: 11 bis 18 Uhr | Tageskarte: 4 € | Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de<br />
Foto: iStock, Josef Muellek<br />
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Der Tipp für alle<br />
ab 60<br />
Mit dem BärenTicket sind Sie im ganzen<br />
VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und<br />
in der 1. Klasse.<br />
Weitere Infos im MobiCenter<br />
Tel.: 0202 569-5200<br />
www.wsw-online.de<br />
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