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Berufsrechtliche Rechtsprechung - BRAK-Mitteilungen

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230 Pflichten und Haftung des Anwalts <strong>BRAK</strong>-Mitt. 5/2005<br />

Das aktuelle Urteil<br />

Beweisfragen im hypothetischen Vorprozess<br />

a) ImAnwaltshaftungsprozess darf der Richter bereits vorliegende<br />

Beweisergebnisse nicht deshalb außer Betracht lassen, weil der<br />

Richter des Vorprozesses auch ohne Verfahrensfehler zu diesen<br />

Erkenntnissen nicht gelangt wäre.<br />

b) Hat der Rechtsanwalt es versäumt, ein gerichtliches Gutachten<br />

durch Vorlage eines bereits erstatteten, zu gegenteiligen Ergebnissen<br />

kommenden Privatgutachtens anzugreifen, und dadurch seine<br />

Mandatspflichten verletzt, bedeutet der materiell-rechtlich nicht<br />

gerechtfertigte Verlust dieses Prozesses für den Mandanten keinen<br />

Schaden imRechtssinne, wenn das Gericht des Vorprozesses<br />

bei sämtlichen von der Zivilprozessordnung ermöglichten Verfahrensweisen<br />

notwendigerweise zum Nachteil des Mandanten hätte<br />

entscheiden müssen.<br />

c) Die Ungewissheit, ob der Vorprozess trotz der anwaltlichen<br />

Pflichtverletzung bei allen rechtlich möglichen Verfahrensweisen<br />

zum Nachteil des Mandanten hätte ausgehen müssen, geht zu<br />

Lasten des Rechtsanwalts.<br />

BGH, Urt. v. 16.6.2005 –IX ZR 27/04, BB 2005, 1813<br />

Besprechung:<br />

Bei Fehlern des Anwalts im Rahmen gerichtlicher Verfahren,<br />

insbesondere auch der Versäumung prozessualer Fristen, stellt<br />

sich regelmäßig die Frage, wie der Prozess bei pflichtgemäßer<br />

Prozessführung verlaufen wäre. Die hier zu besprechende Entscheidung<br />

des BGH demonstriert einmal mehr, wie schwierig<br />

der Umgang mit dem Schadensbegriff und der hypothetischen<br />

Kausalität ist.<br />

Die Pflichtverletzung der beklagten Rechtsanwälte lag darin,<br />

dass sie ein für die Mandantschaft ungünstiges Sachverständigengutachten<br />

nicht ausreichend angegriffen und ein zu diesem<br />

Zwecke eingeholtes Privatgutachten nicht rechtzeitig dem<br />

Gericht vorgelegt hatten. Konkret ging es um die Frage, ob eine<br />

von der Mandantschaft, einem Bauträger,erstellte Terrasse, die<br />

gleichzeitig das Dach der Tiefgarage bildet, den Regeln der<br />

Technik entsprechend abgedichtet war.<br />

Der im selbstständigen Beweisverfahren beauftragte Sachverständige<br />

D stellte hierzu fest, dass die Abdichtung einer<br />

bestimmten DIN nicht entsprach. Der Bauträger wurde daraufhin<br />

erstinstanzlich zur Zahlung eines Vorschusses für Abdichtungsmaßnahmen<br />

verurteilt. In der Folge wurde ein Privatgutachten<br />

des Sachverständigen Q eingeholt, welches die<br />

Anwendbarkeit einer anderen DIN unterstellte, weil wasserundurchlässiger<br />

Beton verwendet worden sei. Danach wäre<br />

die Abdichtung ausreichend. Dieses Gutachten wurde dem<br />

OLG aber erst am Tage der Urteilsverkündung vorgelegt, die<br />

Berufung daher ohne Berücksichtigung des Gutachtens zurückgewiesen.<br />

Das aktuelle Urteil<br />

Pflichten und Haftung des Anwalts<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk und Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Allianz Versicherungs-AG, München,<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

Im Haftpflichtprozess wurden die RAe erstinstanzlich zu Schadensersatz<br />

verurteilt. In der Berufungsinstanz legten sie ein<br />

weiteres Privatgutachten des Sachverständigen K vor, welcher<br />

ausführte, dass durch das Gutachten des Q das ursprüngliche<br />

Gutachten des Dnicht widerlegt wäre, die Abdichtung also<br />

mangelhaft war.Nach Zurückverweisung an das LG holte dieses<br />

nun ein weiteres Gutachten des Sachverständigen Fein,<br />

welches wiederum im Wesentlichen dem Gutachten des Q<br />

folgte, wonach das Gewerk ausreichend abgedichtet war. Ein<br />

kausaler Schaden wurde dementsprechend wiederum bejaht.<br />

Das erneut angerufene OLG hingegen hielt das Gutachten Ffür<br />

irrelevant, weil es im Vorprozess nicht eingeholt worden wäre.<br />

Vielmehr wäre imVorprozess aufgrund eines rechtzeitig eingereichten<br />

Privatgutachtens Qder gerichtlich bestellte Sachverständige<br />

D zur Ergänzung bzw. Erläuterung seines Gutachtens<br />

aufgefordert worden. Da dieser ausweislich seiner Vernehmung<br />

als sachverständiger Zeuge im Haftpflichtprozess auch inAnsehung<br />

des Gegengutachtens Q aus verschiedenen Gründen nicht<br />

von seiner Auffassung abgewichen wäre, hätte das Gericht im<br />

Vorprozess diese zugrunde legen und der Klage stattgeben müssen.<br />

Ein kausaler Schaden wäre dann nicht entstanden.<br />

Das Ergebnis sowohl des Vor-als auch des Haftpflichtprozesses<br />

hing, wie sich zeigt, davon ab, welche Gutachten das Gericht<br />

jeweils zugrunde legte. Nach dem Motto „4Sachverständige –<br />

5Meinungen“ gibt es in vielen Fällen keine „objektiv richtige“<br />

Lösung. Die Erkenntnismöglichkeiten im Haftpflichtprozess<br />

sind allein durch den Zeitablauf von i.d.R. mehreren Jahren<br />

nicht mehr dieselben wie im Vorprozess. Welche Erkenntnisse<br />

dürfen also maßgeblich sein?<br />

§287 ZPO, der für die haftungsausfüllende Kausalität einschlägig<br />

ist, gibt dem Regressgericht hierzu einige Freiheit. Dennoch<br />

besteht der Zwiespalt: Einerseits soll der Mandant so gestellt<br />

werden, als wäre die Pflichtverletzung nicht geschehen. Andererseits<br />

soll der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor der wirklichen<br />

Kausalität gebühren. Was bedeutet das konkret? Im<br />

Grundsatz soll der Vorprozess fiktiv durchgespielt werden.<br />

Allerdings kann im Nachhinein nie mit Sicherheit gesagt werden,<br />

wie das Gericht tatsächlich entschieden hätte, da weder<br />

dem Gericht noch den anderen Verfahrensbeteiligten ein<br />

bestimmtes Verhalten unterstellt werden kann. Aufgrund dieser<br />

Unsicherheiten hat sich die Kausalitätsprüfung im Regressprozess<br />

daran auszurichten, wie der Ausgangsprozess richtiger<br />

Weise zu entscheiden gewesen wäre (BGH, NJW 1996, 2501).<br />

Eine falsche, aber dem Mandanten günstige Rechtsauffassung<br />

des Ausgangsgerichts schlägt also nicht durch.<br />

Dennoch muss sich das Regressgericht an der Sach- und<br />

Rechtslage zum Zeitpunkt des Vorprozesses ausrichten. So ist<br />

die damals geltende <strong>Rechtsprechung</strong> (BGH, NJW 2001, 146)<br />

und Verwaltungspraxis (BGH, NJW-RR 2001, 1351) zugrunde<br />

zu legen. Die Beweislastverteilung im Regressprozess ist dieselbe<br />

wie im Vorprozess (BGH, NJW 2001, 2169). In einem<br />

Urteil vom 14.1.1978 (NJW 1979, 819) hat der BGH allerdings

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