Berufsrechtliche Rechtsprechung - BRAK-Mitteilungen
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218 Aufsätze <strong>BRAK</strong>-Mitt. 5/2005<br />
Lachmann, Effektivität des Rechtsschutzes vor den Schiedsgerichten und den staatlichen Gerichten<br />
II. Effektivitätskriterien „Kundenzufriedenheit“ und<br />
„Selbsteinschätzung“<br />
Wer die Effektivität der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit mit der<br />
der Schiedsgerichtsbarkeit vergleichen will, darf eigentlich das<br />
Kriterium der jeweiligen „Kundenzufriedenheit“ nicht übergehen.<br />
Jedoch ist das hierzu erforderliche statistische Material<br />
entweder nicht verlässlich oder nicht zugänglich. In Berlin ist<br />
zwar eine Befragung durchgeführt worden, durch die die Zufriedenheit<br />
mit der Justiz gemessen werden sollte, jedoch wird<br />
die Sachgerechtigkeit dieser Untersuchung von Seiten der Anwaltschaft<br />
vehement (und plausibel) bestritten. Im Bereich der<br />
institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit fragt die ICC die Parteien<br />
nach dem Abschluss des jeweiligen Verfahrens detailliert nach<br />
deren Einschätzung der administrativen sowie der schiedsrichterlichen<br />
Leistungen. Sie gewinnt damit wertvolle Einblicke,<br />
behandelt das Material jedoch vertraulich.<br />
Die Methode, aus der Selbsteinschätzung der Mitglieder des<br />
Spruchkörpers Aufschlüsse über die Verfahrenseffektivität zu<br />
erhalten, führte ohnehin nicht weiter. Staatliche Richter und<br />
Schiedsrichter neigen gleichermaßen dazu, ihre eigene Tätigkeit<br />
selbst dann positiv zu werten, wenn die Parteien übereinstimmend<br />
Unzufriedenheit signalisieren. Wir müssen also auf<br />
andere Effektivitätskriterien ausweichen.<br />
III. Effektivitätsvergleich imnationalen Bereich<br />
Ich greife einige Effektivitätskriterien heraus, die üblicherweise<br />
der Erörterung der Vor- und Nachteile der Schiedsgerichtsbarkeit<br />
zugrunde liegen. 4<br />
A. Rahmenbedingungen<br />
1. Begründung und Umfang der Zuständigkeit<br />
Die umfassende Zuständigkeit der staatlichen Gerichte besteht,<br />
soweit sie nicht (wirksam) abbedungen wird.<br />
Die Zuständigkeit der Schiedsgerichte muss dagegen vereinbart<br />
werden. Die hierzu erforderlichen Schiedsvereinbarungen setzen<br />
auf Seiten der Verfasser elementare Kenntnisse des<br />
Schiedsverfahrensrechts voraus. Diese sind nicht immer vorhanden.<br />
Auf diese Weise kommt es leicht zu Zuständigkeitslücken<br />
oder auch zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarungen.<br />
Die Liste „pathologischer“ Schiedsklauseln ist nahezu<br />
endlos.<br />
Aber auch kompetent abgefasste Schiedsklauseln können sich<br />
unter bestimmten Konstellationen als unbefriedigend erweisen.<br />
Die <strong>Rechtsprechung</strong> versucht hier zwar, mit dem Prinzip zu<br />
helfen, dass Schiedsvereinbarungen weit auszulegen sind, aber<br />
auch dann bleiben gelegentlich kaum vermeidbare Lücken, so<br />
dass für Ansprüche aus eng beieinander liegenden Sachverhalten<br />
unterschiedliche Zuständigkeiten bestehen. Beispiel: Ein Insolvenzverwalter<br />
macht gegen die Gesellschafter einer GmbH<br />
vor einem Schiedsgericht Zahlungsansprüche mit der Begründung<br />
geltend, sie hätten einverständlich daran mitgewirkt, dass<br />
die Gesellschaft von einem Mitgesellschafter einen defizitären<br />
und nicht überlebensfähigen Betrieb gekauft habe; dieser Erwerb<br />
habe zwangsläufig zur Überschuldung geführt. Die in<br />
Gesellschaftsverträgen übliche Schiedsklausel, wonach über<br />
4 Ausführlichere Darstellung z.B. in Lachmann, Handbuch für die<br />
Schiedsgerichtspraxis, 2.Aufl. 2002, Rdnrn. 89 ff. mit weiteren<br />
Nachweisen.<br />
alle Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern oder diesen<br />
und der Gesellschaft ein Schiedsgericht entscheiden soll, deckt<br />
Ansprüche, die der Insolvenzverwalter aus den Kapitalerhaltungsvorschriften<br />
ableiten kann, zweifelsfrei ab. Ansprüche aus<br />
dem höchstrichterlich entwickelten Rechtsinstitut des existenzvernichtenden<br />
Eingriffs kann der Insolvenzverwalter zwar<br />
ebenfalls geltend machen, sie fallen jedoch, weil es sich um<br />
Gläubigerforderungen handelt, eindeutig nicht unter die beschriebene<br />
Schiedsvereinbarung.<br />
Weitere (und häufigere) Zuständigkeitsprobleme bestehen in<br />
der Schiedsgerichtsbarkeit bei Aufrechnungen mit nicht unter<br />
die Schiedsvereinbarung fallenden Gegenforderungen sowie<br />
bei der Beteiligung Dritter (Mehrparteienverfahren, Streitverkündung<br />
etc.).<br />
2. Eignung für Eilverfahren<br />
Das staatliche Gericht ist „schon da“ und zudem inEilentscheidungen<br />
im Allgemeinen routiniert. Es erlässt, Sachgerechtigkeit<br />
des Vortrages des Antragstellers unterstellt, die einstweilige<br />
Verfügung häufig binnen weniger Stunden. Dies gilt jedenfalls<br />
für die von Spezialkammern bearbeiteten Bereiche. 5<br />
Im schiedsrichterlichen Verfahren ist das Schiedsgericht zu<br />
dem Zeitpunkt, zu dem man Eilentscheidungen am ehesten benötigt,<br />
also regelmäßig zu Beginn der Kontroverse, noch nicht<br />
gebildet. Die Methode, sich die Eilentscheidung vom staatlichen<br />
Gericht zu holen, um die Hauptsache vor dem Schiedsgericht<br />
auszutragen,ist im Zehnten Buchder ZPO vorgesehen, jedoch<br />
mit so vielen rechtlichen Zweifelsfragen behaftet, dass sie<br />
faktisch nicht oder kaum praktiziert wird. 6<br />
Selbst wenn das Schiedsgericht gebildet ist und trotz zahlreicher<br />
noch ungeklärter Fragen eine Eilentscheidung (Anordnung<br />
vorläufiger oder sichernder Maßnahmen) erlässt, bedarf<br />
deren Vollziehung der Mitwirkung der staatlichen Gerichtsbarkeit.<br />
3. Zügigkeit der Arbeitsaufnahme<br />
Das staatliche Gericht kann die Arbeit (theoretisch) unmittelbar<br />
nach Verfahrenseinleitung aufnehmen, das Schiedsgericht dagegen<br />
muss im Normalfall erst gebildet werden. Legt man die<br />
gesetzlichen Fristen zugrunde, dauert das Verfahren bis zur<br />
Konstituierung eines Dreier-Schiedsgerichts zwei Monate. Dabei<br />
sind Komplikationen nicht berücksichtigt. Um die Besetzung<br />
des Schiedsgerichts wird gelegentlich heftig gerangelt. 7<br />
Wird es gar erforderlich, dass Schiedsrichter vom staatlichen<br />
Gericht oder einer privaten Institution benannt werden, kann<br />
von der Einleitung des Verfahrens bis zum Zeitpunkt, zu dem<br />
das Schiedsgericht die Arbeit aufnimmt, mehr Zeit vergehen als<br />
sie eine gut geführte Kammer für Handelssachen zur Sachentscheidung<br />
benötigt.<br />
Das Ziel der Ausgewogenheit gebietet aber auch den Hinweis,<br />
dass Schiedsverfahren, in denen die Konstituierung des<br />
Schiedsgerichts und das weitere Verfahren reibungslos klappen,<br />
deutlich überwiegen. Wenn alle Beteiligten mit der „Szene“<br />
und dem Verfahrensrecht vertraut sind und ihnen an einer<br />
5 Zu denken ist dabei an den gewerblichen Rechtsschutz und das<br />
Presserecht.<br />
6 Umso ausgiebiger wird sie in der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur<br />
behandelt.<br />
7 Spätestens, wenn es um die Bestellung des Vorsitzenden geht, erscheinen<br />
dem einen parteiernannten Schiedsrichter Vorschläge bisweilen<br />
schon deswegen suspekt, weil sie vom anderen kommen.