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Gesagt ist nicht getan Adherence Arzt und Patient in gemeinsamer ...

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<strong>Gesagt</strong> <strong>ist</strong><br />

<strong>nicht</strong> <strong>getan</strong><br />

<strong>Adherence</strong><br />

<strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong> <strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>samer Verantwortung<br />

VORSTELLUNG DER PREISTRÄGER<br />

Berl<strong>in</strong>er<br />

Ges<strong>und</strong>heitspreis<br />

2008<br />

B<strong>und</strong>esweiter Innovationswettbewerb der AOK <strong>und</strong> der Ärztekammer Berl<strong>in</strong><br />

Das AOK-Forum für Politik, Praxis <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

Spezial 5/2009, 12. Jahrgang


Glossar Inhalt<br />

VORWORT<br />

<strong>Gesagt</strong>, <strong>getan</strong>: So gel<strong>in</strong>gt <strong>Adherence</strong><br />

von Herbert Reichelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

WISSENSCHAFT<br />

<strong>Adherence</strong>: Therapietreue neu gedacht<br />

Das Ende der Folgsamkeit<br />

von Norbert Schmacke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

1. PREIS – ARRIBA<br />

Entscheidungshilfe für Ärzte <strong>und</strong> <strong>Patient</strong>en<br />

Punkt, Punkt, Komma, Strich ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

2. PREIS – ADHERENCE-THERAPIE<br />

Psychotherapeutische Kurz<strong>in</strong>tervention<br />

E<strong>in</strong> dünner Schutzfilm im Alltag<br />

von Jörn Hons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

■ <strong>Adherence</strong> oder Adhärenz bezeichnet<br />

das Ausmaß, <strong>in</strong> dem das Verhalten e<strong>in</strong>es<br />

<strong>Patient</strong>en mit den Behandlungszielen <strong>und</strong><br />

-wegen übere<strong>in</strong>stimmt, die er zuvor mit<br />

dem <strong>Arzt</strong> geme<strong>in</strong>sam beschlossen hat.<br />

Der Begriff <strong>Adherence</strong> trägt dem veränderten<br />

Rollenverständnis zwischen <strong>Arzt</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Patient</strong> Rechnung, <strong>in</strong>dem er e<strong>in</strong>e<br />

partnerschaftliche Verständigung über<br />

Art <strong>und</strong> Umfang der Therapie voraussetzt<br />

<strong>und</strong> den <strong>Patient</strong>en e<strong>in</strong>e aktive <strong>und</strong> eigenverantwortliche<br />

Rolle <strong>in</strong> der Therapie<br />

zubilligt. Der Begriff ersetzt zunehmend<br />

den älteren Begriff Compliance, dem e<strong>in</strong>e<br />

asymmetrische <strong>Arzt</strong>-<strong>Patient</strong>en-Beziehung<br />

zugr<strong>und</strong>e liegt.<br />

■ Compliance bedeutet schlicht „Folgsamkeit“.<br />

Üblicherweise wird mit diesem<br />

Begriff die Bereitschaft e<strong>in</strong>es <strong>Patient</strong>en<br />

bezeichnet, ärztliche Anweisungen, beispielsweise<br />

bei der Medikamentene<strong>in</strong>nahme<br />

oder dem E<strong>in</strong>halten e<strong>in</strong>er Diät,<br />

konsequent zu befolgen. Bei dieser Betrachtungsweise<br />

wird dem <strong>Patient</strong>en die<br />

alle<strong>in</strong>ige Verantwortung für den Behandlungserfolg<br />

aufgebürdet.<br />

■ Concordance (Konkordanz) beschreibt<br />

<strong>nicht</strong> das Verhalten des <strong>Patient</strong>en, sondern<br />

die Beziehung zwischen <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong>.<br />

Der Begriff bezeichnet e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>kunft<br />

zwischen <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong> darüber, ob <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong> welcher Weise e<strong>in</strong>e Therapie durchge-<br />

führt wird. E<strong>in</strong> wesentliches Element der<br />

Concordance <strong>ist</strong> die ausdrückliche Zustimmung<br />

des <strong>Patient</strong>en zu den ärztlichen<br />

Empfehlungen.<br />

■ Intelligente Non-Compliance liegt vor,<br />

wenn e<strong>in</strong> <strong>Patient</strong> aufgr<strong>und</strong> rationaler<br />

Überlegungen bewusst gegen e<strong>in</strong>e ärztliche<br />

Verordnung verstößt, <strong>in</strong>dem er etwa<br />

e<strong>in</strong> Medikament wegen auftretender<br />

Nebenwirkungen oder ausbleibender Therapieerfolge<br />

absetzt <strong>und</strong> so möglicherweise<br />

sogar Schaden von sich abwendet.<br />

■ Outcome bezeichnet im mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Sprachgebrauch das anhand von Zielgrößen<br />

oder Endpunkten objektiv messbare<br />

Ergebnis, das durch e<strong>in</strong>e präventive Maßnahme<br />

oder Therapie erreicht wurde.<br />

■ Shared Decision Mak<strong>in</strong>g<br />

(SDM) <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> Modell der partnerschaftlichen<br />

Entscheidungsf<strong>in</strong>dung, bei dem <strong>Arzt</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Patient</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tensiven Diskurs,<br />

<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Verantwortung <strong>und</strong> im<br />

gegenseitigen E<strong>in</strong>vernehmen Therapieziele<br />

<strong>und</strong> Behandlungswege def<strong>in</strong>ieren<br />

<strong>und</strong> vere<strong>in</strong>baren. Im Rahmen der partnerschaftlichen<br />

Entscheidungsf<strong>in</strong>dung<br />

kommt dem <strong>Arzt</strong> die Rolle e<strong>in</strong>es Experten<br />

für das Wissen zu, das er dem <strong>Patient</strong>en <strong>in</strong><br />

verständlicher Form darlegen muss. Der<br />

<strong>Patient</strong> wird als gleichberechtigter Experte<br />

für die eigenen Präferenzen anerkannt.<br />

EHRENPREIS – FIXPUNKT<br />

Modernes W<strong>und</strong>management<br />

Zu jeder W<strong>und</strong>e gehört e<strong>in</strong> Mensch . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

ANERKENNUNGSPREISE<br />

Ärztliche Gesprächsführung<br />

Der Nächste, bitte! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

Therapietreue bei Brustkrebs<br />

Gezielte Hilfe an kritischen Punkten . . . . . . . . . . . . . 12<br />

INTERVIEW<br />

»Entscheidend <strong>ist</strong> der <strong>Patient</strong>enwille«<br />

Interview mit Günther Egidi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

IN DER ENGEREN WAHL<br />

Die nom<strong>in</strong>ierten Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Die Jury<br />

Dr. med. Günter Egidi, Facharzt für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>,<br />

Hausarzt <strong>in</strong> Bremen, Pre<strong>ist</strong>räger des<br />

Berl<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitspreises 2004<br />

Dr. med. Hans Georg Faust, CDU-B<strong>und</strong>estagsabgeordneter<br />

<strong>und</strong> stellvertrender Vorsitzender<br />

des Ges<strong>und</strong>heitsausschusses des Deutschen<br />

B<strong>und</strong>estages<br />

Dr. med. Leonard Hansen, Vorsitzender des<br />

Vorstands der Kassenärztlichen Vere<strong>in</strong>igung<br />

Nordrhe<strong>in</strong><br />

Dr. rer. pol. Volker Hansen, alternierender Vorsitzender<br />

des Verwaltungsrates der AOK Berl<strong>in</strong><br />

Dr. med. Günther Jonitz, Präsident der<br />

Ärztekammer Berl<strong>in</strong><br />

Helga Kühn-Mengel, Beauftragte der B<strong>und</strong>esregierung<br />

für die Belange der <strong>Patient</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

<strong>Patient</strong>en<br />

Wolfgang Metschurat, alternierender Vorsitzender<br />

des Verwaltungsrates der AOK Berl<strong>in</strong><br />

Prof. Dr. med. Norbert Schmacke, Leiter der<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Koord<strong>in</strong>ierungsstelle Ges<strong>und</strong>heitsversorgungsforschung<br />

an der Universität Bremen<br />

Fritz Schösser, alternierender Vorsitzender des<br />

Verwaltungsrates des AOK-B<strong>und</strong>esverbandes<br />

Prof. Dr. med. Ulrich Schwantes, Facharzt für<br />

Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> Psychotherapie am Institut<br />

für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong> der Charité Berl<strong>in</strong><br />

Dr. med. Marlies Volkmer, SPD-B<strong>und</strong>estagsabgeordnete,<br />

Mitglied im Ges<strong>und</strong>heitsausschuss<br />

des Deutschen B<strong>und</strong>estages


Foto: Roman März<br />

Gr<strong>und</strong> zur Freude hatten Gew<strong>in</strong>ner, Initiatoren <strong>und</strong> Laudatoren bei der Verleihung des Berl<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitspreises 2008: Bereits zum<br />

siebten Mal zeichneten der AOK-B<strong>und</strong>esverband, die Ärztekammer Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> die AOK Berl<strong>in</strong> zukunftsweisende Modelle für e<strong>in</strong>e bessere<br />

Versorgung von <strong>Patient</strong>en mit dem mit <strong>in</strong>sgesamt 50.000 Euro Preisgeld dotierten Innovationspreis aus.<br />

BERLINER GESUNDHEITSPREIS 2008<br />

<strong>Gesagt</strong>, <strong>getan</strong>: So gel<strong>in</strong>gt <strong>Adherence</strong><br />

Wenn <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong> geme<strong>in</strong>sam über die Behandlung entscheiden, wächst die Therapietreue <strong>und</strong><br />

damit der Behandlungserfolg. Mit dem Berl<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitspreis 2008 wurden darum Projekte<br />

ausgezeichnet, die die <strong>Patient</strong>en besonders <strong>in</strong>tensiv <strong>in</strong> die Therapieentscheidungen e<strong>in</strong>beziehen.<br />

Die Ges<strong>und</strong>heitspolitik hat <strong>in</strong> diesem Jahrzehnt viel dazu<br />

beigetragen, dass die Bedürfnisse der <strong>Patient</strong>en besser<br />

berücksichtigt werden. Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für<br />

die <strong>Patient</strong>en s<strong>in</strong>d besser geworden. Aber <strong>ist</strong> der Versorgungsalltag<br />

<strong>in</strong> den Praxen <strong>und</strong> Kl<strong>in</strong>iken dem auch „gefolgt“? Ist es<br />

schon gelebte Praxis, dass Ärzte den <strong>Patient</strong>en ihre fachliche<br />

E<strong>in</strong>schätzung verständlich erklären? Fragen sie den <strong>Patient</strong>en<br />

nach se<strong>in</strong>er Sicht der D<strong>in</strong>ge? Entsteht daraus e<strong>in</strong> Dialog, der zu<br />

geme<strong>in</strong>sam vere<strong>in</strong>barten Utersuchungs- <strong>und</strong> Behandlungszielen<br />

führt? Diese Fragen verdeutlichen die Unterschiede zwischen<br />

dem geläufigen Begriff „Compliance“ <strong>und</strong> dem weniger<br />

bekannten „<strong>Adherence</strong>“-Ansatz. Während beim Compliance-<br />

Begriff das „Befolgen“ oder das „Nicht-Befolgen“ im Vordergr<strong>und</strong><br />

steht, betont <strong>Adherence</strong> die Bedeutung der Kommunikation<br />

zwischen <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong> <strong>und</strong> fordert mehr Verständnis<br />

für die Sichtweise des <strong>Patient</strong>en.<br />

Natürlich prägen „antiquierte Befehlsmuster“ <strong>nicht</strong> mehr<br />

durchgängig die <strong>Arzt</strong>-<strong>Patient</strong>en-Beziehung. Doch noch immer<br />

erkennen zu wenig Ärzte <strong>und</strong> Therapeuten, wie entscheidend<br />

die partnerschaftliche Kommunikation mit ihren <strong>Patient</strong>en <strong>und</strong><br />

geme<strong>in</strong>sam vere<strong>in</strong>barte Therapieziele für den Behandlungserfolg<br />

s<strong>in</strong>d. Weil das so <strong>ist</strong>, wollten wir mit dem Berl<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>-<br />

Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

VORWORT<br />

heitspreis 2008 dazu beitragen, dass dem Thema „<strong>Adherence</strong>“ e<strong>in</strong><br />

größeres Augenmerk zukommt. Wir haben nach praxiserprobten<br />

Ideen gesucht, die von <strong>und</strong> mit den Beteiligten im Therapieprozess<br />

entwickelt wurden, Projekte <strong>und</strong> Konzepte, die den<br />

<strong>Patient</strong>en befähigen <strong>und</strong> dabei unterstützen, sich aktiv <strong>in</strong> den<br />

Behandlungsprozess e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Die e<strong>in</strong>gereichten Wettbewerbsbeiträge<br />

zeigen, dass es erfolgreiche Ansätze gibt, die den<br />

<strong>Adherence</strong>-Gedanken ernst nehmen <strong>und</strong> <strong>in</strong> ganz unterschiedlichen<br />

Versorgungssituationen anwenden. Die Jury des Berl<strong>in</strong>er<br />

Ges<strong>und</strong>heitspreises hat aus den über 60 Bewerbungen fünf beispielhafte<br />

Projekte ausgewählt.<br />

Ich b<strong>in</strong> optim<strong>ist</strong>isch, dass die Gew<strong>in</strong>ner des Berl<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitspreises<br />

2008 <strong>und</strong> andere Wettbewerbsbeiträge viele<br />

Nachahmer f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>gedanken von <strong>Adherence</strong><br />

zukünftig die Beziehung zwischen <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong>en prägen<br />

werden.<br />

Dr. Herbert Reichelt<br />

Geschäftsführender Vorstandsvorsitzender des AOK-B<strong>und</strong>esverbandes<br />

3


WISSENSCHAFT<br />

ADHERENCE: THERAPIETREUE NEU GEDACHT<br />

Das Ende der Folgsamkeit<br />

<strong>Patient</strong>en befolgen ärztliche Ratschläge oft entweder gar <strong>nicht</strong> oder zum<strong>in</strong>dest <strong>nicht</strong> auf<br />

Dauer. E<strong>in</strong> neuer Ansatz im Umgang mit den <strong>Patient</strong>en soll für mehr Therapietreue sorgen.<br />

Was sich h<strong>in</strong>ter <strong>Adherence</strong> verbirgt, erklärt Norbert Schmacke.<br />

Am Problem mangelnder Therapietreue hat sich über<br />

Jahrzehnte die sogenannte Compliance-Forschung abgearbeitet.<br />

Compliance heißt schlicht »Folgsamkeit«:<br />

<strong>Patient</strong>en sollen mehr oder weniger kunstvoll dazu überredet<br />

werden, zu gehorchen. Eigentlich sagt schon der ges<strong>und</strong>e Menschenverstand,<br />

dass das <strong>nicht</strong> funktionieren kann. Im schlimmsten<br />

Fall wird den Kranken so die Schuld am Missl<strong>in</strong>gen von<br />

Behandlungen <strong>und</strong> der Vergeudung von Mitteln zugeschoben.<br />

Non-Compliance erfordert Umdenken. Sozialwissenschaften<br />

<strong>und</strong> Psychologie haben lange um Verständnis für die Gründe<br />

fehlender Compliance geworben; die Mediz<strong>in</strong> hat lange weggehört.<br />

Nun taucht e<strong>in</strong> neuer, etwas spröde kl<strong>in</strong>gender Begriff<br />

Ärztliche Fragen, die helfen könnten, mehr<br />

Adhärenz zu erzeugen<br />

Die Erwartungen des <strong>Patient</strong>en klären<br />

■ Was, hoffen Sie, kann ich heute für Sie tun?<br />

■ Sie haben ja schon Erfahrungen mit Ärzten – was denken Sie,<br />

wie Sie am besten klarkommen?<br />

Unterschiedliche Bewertungen ansprechen<br />

■ Ich f<strong>in</strong>de es schwierig fortzufahren, wenn ich weiß, dass Sie<br />

e<strong>in</strong>e andere Sicht der Situation haben als ich.<br />

■ Ich frage mich, ob wir so gut zusammenarbeiten wie es viel-<br />

leicht möglich wäre.<br />

■ Gibt es irgendetwas an diesem Punkt, was ich tun könnte,<br />

damit wir besser zusammenarbeiten?<br />

Empathie <strong>und</strong> Verständnis ausdrücken<br />

■ Das muss sehr schwierig für Sie se<strong>in</strong>. Das tut mir leid.<br />

■ Es fällt Ihnen offenbar schwer, darüber zu sprechen. Kann ich<br />

es irgendwie e<strong>in</strong>facher für Sie machen?<br />

Über e<strong>in</strong>e Diagnose sprechen<br />

■ Ich habe jetzt e<strong>in</strong>e Erklärung dafür gef<strong>und</strong>en, was das Problem<br />

<strong>ist</strong> (Vorstellen der ärztlichen Diagnose). Wie passt das zu dem,<br />

was Sie bisher darüber gedacht haben?<br />

Nach Mary S. Stone <strong>und</strong> Sheryl J. Bronkesh: »Mesh<strong>in</strong>g patient and physician goals«, 1998<br />

(www.hsmgroup.com/<strong>in</strong>fo/compli/compli.html) – Übersetzung durch den Autor.<br />

auf: Adhärenz. Damit <strong>ist</strong> etwas pr<strong>in</strong>zipiell anderes geme<strong>in</strong>t als<br />

schlichte Folgsamkeit. Am Beg<strong>in</strong>n der Adhärenz-Debatte steht<br />

das E<strong>in</strong>geständnis, dass neue Wege <strong>in</strong> der Verständigung über<br />

Behandlungsziele <strong>und</strong> -wege beschritten werden müssen.<br />

Denn: S<strong>in</strong>nvolle Behandlungsansätze nützen <strong>nicht</strong>s, wenn sie<br />

<strong>nicht</strong> umgesetzt werden. Schon vor zehn Jahren gab es Schätzungen,<br />

dass diese Form von Vergeudung <strong>in</strong> der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

bis zu zehn Milliarden Euro jährlich kostet.<br />

E<strong>in</strong>e neue Philosophie. E<strong>in</strong>en wichtigen Anstoß lieferte die Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation<br />

im Jahre 2003 mit ihrem Bericht »<strong>Adherence</strong><br />

to long term therapy«, <strong>in</strong> dem es frei übersetzt heißt:<br />

»Adhärenz bezeichnet das Ausmaß, <strong>in</strong> dem das Verhalten e<strong>in</strong>er<br />

Person, verordnete Arzneimittel e<strong>in</strong>zunehmen, Ernährungsempfehlungen<br />

zu folgen <strong>und</strong>/oder den eigenen Lebensstil zu<br />

ändern, mit wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Empfehlungen von<br />

Behandlern übere<strong>in</strong>stimmt.«<br />

Die neue Philosophie lautet: Ärzte, Pfleger <strong>und</strong> andere Fachkräfte<br />

<strong>in</strong> der mediz<strong>in</strong>ischen, pflegerischen <strong>und</strong> psychosozialen<br />

Versorgung erläutern den <strong>Patient</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong> <strong>Patient</strong>en ihre fachlich<br />

begründete Sicht der D<strong>in</strong>ge – <strong>und</strong> erfragen zugleich deren<br />

Me<strong>in</strong>ung. Im Idealfall entsteht aus diesem Dialog e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>barung<br />

über Untersuchungs- <strong>und</strong> Behandlungsziele, die bei längerem<br />

Krankheitsverlauf immer wieder angepasst werden kann.<br />

Wie sehen ganz konkrete Bauste<strong>in</strong>e des neuen Adhärenz-<br />

Modells aus?<br />

√ Es beg<strong>in</strong>nt damit, dass die Therapeuten Interesse an den<br />

Me<strong>in</strong>ungen <strong>und</strong> Wertvorstellungen der <strong>Patient</strong>en zeigen.<br />

Ärzte können (<strong>und</strong> müssen) Experten <strong>in</strong> Sachen Diagnostik<br />

<strong>und</strong> Therapie se<strong>in</strong>, aber nur der Kranke <strong>ist</strong> Experte se<strong>in</strong>er<br />

Lebensführung. Professionelles Handeln, also auch Therapieempfehlungen,<br />

bleibt der besten vorhandenen Evidenz verpflichtet;<br />

die professionellen Helfer müssen sich aber stärker<br />

fragen, wie sie die <strong>Patient</strong>en dabei unterstützen können, s<strong>in</strong>nvolle<br />

Behandlungsziele <strong>in</strong> ihren Alltag aufzunehmen.<br />

√ Es geht weiter darum, sich um die Verständlichkeit mediz<strong>in</strong>ischer<br />

Botschaften Gedanken zu machen. E<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Wissensvermittlung<br />

ohne Berücksichtigung der emotionalen Seite<br />

4 Spezial 5, 12. Jahrgang


Foto: BMG<br />

des <strong>Patient</strong>en führt oft <strong>nicht</strong> weiter. Hier s<strong>in</strong>d Kompetenzen<br />

<strong>in</strong> Gesprächsführung <strong>und</strong> Kommunikation erforderlich.<br />

√ Stimmen die ärztliche <strong>und</strong> die <strong>Patient</strong>enperspektive <strong>nicht</strong><br />

übere<strong>in</strong>, dann geht es <strong>nicht</strong> darum, den <strong>Patient</strong>en zu überreden,<br />

sondern darum, ihn besser zu verstehen. Können die<br />

Vorbehalte <strong>nicht</strong> aus dem Weg geräumt werden, <strong>ist</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Haltung zu akzeptieren, wenn <strong>nicht</strong> e<strong>in</strong>e (krankheitsbed<strong>in</strong>gte)<br />

E<strong>in</strong>schränkung des Beurteilungsvermögens mit massiver<br />

Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt.<br />

Das alles gilt für wohl begründete ärztliche Empfehlungen.<br />

Gelegentlich stimmt aber auch die Erfahrung, schlecht beraten<br />

worden zu se<strong>in</strong>, die <strong>Patient</strong>en skeptisch. Adhärenz hat <strong>nicht</strong><br />

nur etwas mit Unterversorgung zu tun, etwa wenn Infarktpatienten<br />

<strong>nicht</strong> die aus ärztlicher Sicht notwendigen Medikamente<br />

e<strong>in</strong>nehmen. Bei Über- <strong>und</strong> Fehlversorgung, etwa den<br />

zum Teil grotesk anmutenden Mehrfach-Verschreibungen für<br />

alte Menschen, kann fehlende Folgsamkeit sogar nützlich se<strong>in</strong>.<br />

Die Bedeutung des Adhärenz-Konzeptes wird noch klarer,<br />

wenn man sich vergegenwärtigt, dass es bei akuten wie chronischen<br />

Erkrankungen ke<strong>in</strong>eswegs immer nur den e<strong>in</strong>en Königsweg<br />

der Behandlung gibt. Werden <strong>Patient</strong>en <strong>nicht</strong> sorgfältig<br />

über den jeweiligen Nutzen unterschiedlicher Wege <strong>in</strong>formiert<br />

»Das Wissen über Erkrankungen muss verbessert werden.«<br />

Viele <strong>Patient</strong>en halten sich <strong>nicht</strong> an die<br />

Empfehlungen ihres <strong>Arzt</strong>es. Welche Folgen<br />

hat das für das Ges<strong>und</strong>heitssystem?<br />

Wenn ärztlich verordnete Medikamente<br />

<strong>nicht</strong> e<strong>in</strong>genommen werden, kann das<br />

den Genesungsprozess verzögern, mitunter<br />

auch e<strong>in</strong>e Erkrankung verschlimmern.<br />

Manche <strong>Patient</strong>en halten sich <strong>nicht</strong><br />

an die Empfehlungen des <strong>Arzt</strong>es, weil sie<br />

vom <strong>Arzt</strong> oder Apotheker <strong>nicht</strong> richtig<br />

aufgeklärt wurden. Lesen sie im Beipackzettel,<br />

welche Nebenwirkungen e<strong>in</strong><br />

Medikament hat, bekommen sie möglicherweise<br />

Angst, brechen die Therapie<br />

ab oder beg<strong>in</strong>nen sie erst gar <strong>nicht</strong>. Hier<br />

muss man ansetzen. Auch den Krankenkassen<br />

kann das <strong>nicht</strong> gleichgültig se<strong>in</strong>,<br />

denn höhere Kosten für das Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />

s<strong>in</strong>d die Folge.<br />

Internationale Studien machen unter<br />

anderem hohe Medikamentenzuzahlungen<br />

Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

für mangelnde Therapietreue verantwortlich.<br />

Wird hier am falschen Ende gespart?<br />

Deutschland hat e<strong>in</strong>en umfangreichen<br />

Le<strong>ist</strong>ungskatalog für Arzneimittel. Unsere<br />

Zuzahlungen s<strong>in</strong>d im Vergleich niedrig<br />

<strong>und</strong> sozial verträglich. Die maximale<br />

Belastung liegt bei zwei Prozent des<br />

E<strong>in</strong>kommens. Chronisch kranke Menschen<br />

zahlen sogar nur maximal e<strong>in</strong><br />

Prozent zu.<br />

Laut Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation<br />

hat das Ges<strong>und</strong>heitssystem e<strong>in</strong>es Landes<br />

großen E<strong>in</strong>fluss auf die Therapietreue der<br />

<strong>Patient</strong>en. Welche Impulse kann die<br />

Ges<strong>und</strong>heitspolitik hier setzen?<br />

Das Wissen über Erkrankungen, angemessene<br />

Therapien <strong>und</strong> den bestmöglichen<br />

Umgang damit muss verbessert<br />

werden. Das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong><strong>ist</strong>erium für Ges<strong>und</strong>heit<br />

hat deshalb e<strong>in</strong>en Workshop zur<br />

Sensibilisierung der <strong>Patient</strong>en veranstaltet<br />

<strong>und</strong> erfahren auf anderen Wegen von Alternativen, kann dies<br />

ihre Skepsis gegenüber fachlich begründeten Ratschlägen steigern.<br />

Auch <strong>ist</strong> es ke<strong>in</strong>eswegs zw<strong>in</strong>gend, dass Therapeuten <strong>und</strong><br />

<strong>Patient</strong>en den Nutzen e<strong>in</strong>er Behandlung gleich bewerten.<br />

Sehr neu <strong>und</strong> sehr aufregend. Gelegentlich wird <strong>in</strong> Publikationen<br />

der Begriff »Adhärenz« nur gewählt, weil »Compliance«<br />

<strong>in</strong> Verruf geraten <strong>ist</strong>. Wenn Adhärenz aber im Dreiklang von<br />

Erfragen der <strong>Patient</strong>enperspektive, Suche nach Verständlichkeit<br />

<strong>und</strong> emotionaler Akzeptanz sowie Respekt vor der Haltung<br />

des <strong>Patient</strong>en verstanden wird, dann <strong>ist</strong> dieses Konzept<br />

immer noch sehr neu <strong>und</strong> sehr aufregend.<br />

Übrigens: Auch die Forschung muss ihre Hausaufgaben noch<br />

besser machen <strong>und</strong> Adhärenz für unterschiedliche Bereiche der<br />

Versorgung gut def<strong>in</strong>ieren. Der Berl<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitpreis <strong>ist</strong><br />

e<strong>in</strong> Signal, dem Thema e<strong>in</strong>er gel<strong>in</strong>genden Kommunikation <strong>in</strong><br />

der Versorgung auf dem Boden des vorhandenen Wissens <strong>und</strong><br />

Könnens zu höherer Aufmerksamkeit zu verhelfen. √<br />

Professor Dr. Norbert Schmacke lehrt am Fachbereich Human- <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitswissenschaften der Universität Bremen <strong>und</strong> leitet die dortige<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Koord<strong>in</strong>ierungsstelle Ges<strong>und</strong>heitsversorgungsforschung.<br />

Ulla Schmidt <strong>ist</strong> seit 2001<br />

B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong><strong>ist</strong>er<strong>in</strong> für<br />

Ges<strong>und</strong>heit.<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Merkblatt mit Informationen zu<br />

e<strong>in</strong>er sichereren Arzneimitteltherapie<br />

erarbeitet. Außerdem wurde das Modellprojekt<br />

»<strong>Patient</strong> als Partner im mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Entscheidungsprozess« gefördert.<br />

Die Auswirkungen s<strong>in</strong>d positiv. <strong>Patient</strong>en<br />

s<strong>in</strong>d besser <strong>in</strong>formiert, real<strong>ist</strong>ischer <strong>in</strong><br />

Bezug auf den Behandlungsverlauf, zuverlässiger<br />

bei der Umsetzung der Therapiepr<strong>in</strong>zipien<br />

<strong>und</strong> <strong>nicht</strong> zuletzt auch zufriedener.<br />

Das verbessert die Wirksamkeit<br />

e<strong>in</strong>er Behandlung. ■<br />

5


1. PREIS – arriba<br />

ENTSCHEIDUNGSHILFE FÜR ÄRZTE UND PATIENTEN<br />

Punkt, Punkt, Komma, Strich ...<br />

Muss sich e<strong>in</strong>e 47-jährige Nichtraucher<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em Gesamtcholester<strong>in</strong>wert von 260 Sorgen<br />

machen? Die Entscheidungshilfe »arriba« hilft Ärzten <strong>und</strong> <strong>Patient</strong>en dabei, <strong>in</strong>dividuelle Risiken<br />

e<strong>in</strong>zuschätzen <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>sam angemessene Behandlungsstrategien zu entwickeln.<br />

D<br />

ie Entscheidungshilfe »arriba«, die seit 2001 <strong>in</strong> der Abteilung<br />

für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong> an der Universität Marburg<br />

entwickelt wurde, verknüpft verschiedene Risikofaktoren<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Patient</strong>en zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividuellen Gesamtrisiko für e<strong>in</strong>e<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankung. Seit gut e<strong>in</strong>em Jahr ermöglicht es<br />

nun e<strong>in</strong>e neu entwickelte computergestützte Fassung namens<br />

»e-arriba« dem Hausarzt, dieses <strong>in</strong>dividuelle Gesamtrisiko mit<br />

wenigen Klicks am Praxiscomputer zu berechnen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en<br />

<strong>Patient</strong>en entsprechend zu beraten: »arriba« steht für »absolute<br />

<strong>und</strong> relative Risiko-Reduktion – <strong>in</strong>dividuelle Beratung <strong>in</strong> der<br />

Allgeme<strong>in</strong>arztpraxis«.<br />

Brücke zwischen Theorie <strong>und</strong> Praxis. Zwei Überlegungen standen<br />

bei der Entwicklung im Vordergr<strong>und</strong>, er<strong>in</strong>nert sich der<br />

Marburger Professor Dr. Norbert Donner-Banzhoff, der »arriba-Herz«<br />

ursprünglich aus der Taufe gehoben hat: »E<strong>in</strong>e Therapie<br />

<strong>ist</strong> aufwendig, sie br<strong>in</strong>gt Nebenwirkungen <strong>und</strong> Kosten<br />

mit sich. Darum <strong>ist</strong> es s<strong>in</strong>nvoll, sie vor allem denjenigen <strong>Patient</strong>en<br />

zukommen zu lassen, die auch wirklich davon profitieren.<br />

Die Ergebnisse aus großen kl<strong>in</strong>ischen Studien s<strong>in</strong>d da sehr<br />

nützlich. Aber die abstrakten Zahlen müssen übersetzt <strong>und</strong> für<br />

die Praxis handhabbar gemacht werden. Außerdem müssen die<br />

Ärzte etwas <strong>in</strong> der Hand haben, das den <strong>Patient</strong>en anschaulich<br />

<strong>und</strong> verständlich sagt: Hier steht ihr. Das s<strong>in</strong>d eure Aussichten<br />

für die nächsten zehn Jahre. Und das <strong>und</strong> das könnt ihr daran<br />

ändern.«<br />

In der praktischen Anwendung sieht das heute so aus:<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage des Blutdrucks, der Werte für Gesamt- <strong>und</strong><br />

HDL-Cholester<strong>in</strong> sowie e<strong>in</strong>iger Angaben zu Alter, Geschlecht<br />

<strong>und</strong> Zusatzrisiken wie Rauchen, Diabetes <strong>und</strong> familiäre Vorbelastung<br />

ermittelt der Computer auf der Basis der bestmöglichen<br />

verfügbaren Evidenz blitzschnell das <strong>in</strong>dividuelle<br />

Risiko des jeweiligen <strong>Patient</strong>en <strong>und</strong> stellt es auf Wunsch<br />

grafisch dar: Punkt, Punkt, Komma, Strich – auf dem Computermonitor<br />

ersche<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> Reihen angeordnet, h<strong>und</strong>ert<br />

Smileys. Sie stellen 100 <strong>Patient</strong>en dar, die die gleiche Risikokonstellation<br />

aufweisen wie der <strong>Patient</strong>, der gerade beraten<br />

wird. Je mehr lächelnde gelbe Smileys zu sehen s<strong>in</strong>d, desto weniger<br />

besteht Gr<strong>und</strong> zur Sorge. Leuchten dagegen etliche der<br />

kreisr<strong>und</strong>en Gesichter rot <strong>und</strong> lassen die M<strong>und</strong>w<strong>in</strong>kel traurig<br />

hängen, s<strong>in</strong>d therapeutische Maßnahmen ratsam: Jeder rote<br />

Smiley steht für e<strong>in</strong>en »Risiko-Doppelgänger«, der re<strong>in</strong><br />

stat<strong>ist</strong>isch betrachtet <strong>in</strong>nerhalb der nächsten zehn Jahre e<strong>in</strong>en<br />

Herz<strong>in</strong>farkt oder e<strong>in</strong>en Schlaganfall erleiden wird. Leuchten<br />

bei der e<strong>in</strong>gangs erwähnten Beispielpatient<strong>in</strong> nur drei<br />

Smileys rot, besteht also trotz des erhöhten Gesamtcholester<strong>in</strong>wertes<br />

ke<strong>in</strong> Behandlungsbedarf.<br />

Die abstrakten Zahlen aus großen Studien<br />

müssen übersetzt <strong>und</strong> für die Praxis<br />

handhabbar gemacht werden.<br />

Das Risiko vor Augen führen. »Besonders gut gefällt den <strong>Patient</strong>en,<br />

dass arriba das <strong>in</strong>dividuelle Risiko so transparent, so<br />

erfassbar macht«, weiß Dr. Arm<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z, der im hessischen<br />

Korbach als Hausarzt praktiziert <strong>und</strong> bereits die alte Papierversion<br />

gern nutzte. Auch die kam bei den <strong>Patient</strong>en gut an, ergab<br />

e<strong>in</strong>e Studie mit über tausend Teilnehmern. Die me<strong>ist</strong>en waren<br />

mit »arriba« wesentlich zufriedener als mit e<strong>in</strong>er herkömmlichen<br />

Beratung.<br />

»Das Schöne an der elektronischen Fassung <strong>ist</strong> jetzt, dass<br />

man verschiedene Behandlungsoptionen durchspielen kann«,<br />

so Ma<strong>in</strong>z weiter. In Sek<strong>und</strong>enschnelle können <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong><br />

am Bildschirm sehen, wie sich e<strong>in</strong>e medikamentöse Behandlung,<br />

e<strong>in</strong> Rauchstopp oder regelmäßige Bewegung Sport auf<br />

die Risikoprognose auswirken: Orangefarbene Smileys zeigen<br />

an, wie viele von h<strong>und</strong>ert <strong>Patient</strong>en mit gleichem Ausgangsrisiko<br />

von diesen Maßnahmen profitieren würden. Alle Ergebnisse<br />

s<strong>in</strong>d wissenschaftlich untermauert <strong>und</strong> auf dem neuesten<br />

Stand der Forschung.<br />

Risikoadäquate Beratung. Auf dieser gesicherten Gr<strong>und</strong>lage<br />

können <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong> <strong>Patient</strong> dann geme<strong>in</strong>sam die weiteren<br />

Schritte planen <strong>und</strong> sich für oder gegen bestimmte Therapieoptionen<br />

entscheiden. »Gr<strong>und</strong>sätzlich kann arriba immer dann<br />

6 Spezial 5, 12. Jahrgang


Foto: Andreas Tessendorf<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden, wenn <strong>Patient</strong><br />

oder <strong>Arzt</strong> oder beide Entscheidungsbedarf<br />

sehen. Immer dann,<br />

wenn etwa der <strong>Patient</strong> sagt:<br />

Müssen denn diese vielen Tabletten<br />

se<strong>in</strong>? Oder wenn der <strong>Arzt</strong> das<br />

Gefühl hat, hier müssen wir angesichts<br />

e<strong>in</strong>er erheblichen Risikokonstellation<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensivere Behandlung<br />

zum<strong>in</strong>dest mal besprechen«,<br />

erläutert Professor Norbert<br />

Donner-Banzhoff.<br />

Das Konzept geht dabei weit<br />

über die re<strong>in</strong>e <strong>Patient</strong>en<strong>in</strong>formation<br />

h<strong>in</strong>aus. »arriba« liefert darüber<br />

h<strong>in</strong>aus auch e<strong>in</strong>e hausärztliche Beratungsstrategie<br />

zur patientenzentrierten<br />

Prävention, e<strong>in</strong>schließlich<br />

Tipps zur Gesprächsführung <strong>in</strong><br />

sechs Schritten. Die partizipative<br />

Entscheidungsf<strong>in</strong>dung wird dadurch<br />

erleichtert, bestätigt Hausarzt Arm<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z: »Die Beratung<br />

orientiert sich sehr stark am jeweiligen Sicherheitsbedürfnis<br />

des <strong>Patient</strong>en, an se<strong>in</strong>en Sorgen <strong>und</strong> Ängsten.«<br />

Zuverlässig <strong>und</strong> unabhängig. Die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> das <strong>Arzt</strong>-<br />

<strong>Patient</strong>-Verhältnis lag den »arriba«-Entwicklern von Anfang an<br />

am Herzen: »Risikorechner gibt es ja <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>ige«, sagt<br />

Norbert Donner-Banzhoff. »Aber arriba <strong>ist</strong> primär für die<br />

Unterstützung des Gesprächs zwischen <strong>Patient</strong> <strong>und</strong> <strong>Arzt</strong> gedacht.<br />

Man braucht Laborwerte, die mediz<strong>in</strong>ische Vorgeschichte<br />

spielt e<strong>in</strong>e Rolle, es s<strong>in</strong>d Emotionen im Spiel – das <strong>ist</strong><br />

im Gespräch mit dem <strong>Arzt</strong> optimal aufgehoben.«<br />

Auch die Ärzte selbst profitieren von dieser Entscheidungshilfe,<br />

ergänzt Hausarzt Arm<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z: »arriba <strong>ist</strong> wissenschaftlich<br />

f<strong>und</strong>iert, sehr <strong>in</strong>teger <strong>und</strong> <strong>in</strong>teressensneutral. Ich habe das<br />

gute Gefühl, den <strong>Patient</strong>en jeweils auf dem Stand der Wissenschaft<br />

zu beraten. Und auch wenn ke<strong>in</strong>e Behandlung nötig <strong>ist</strong>,<br />

bleibt das zufriedene Gefühl, dieses Thema erschöpfend behandelt<br />

zu haben, sodass bei der nächsten Konsultation mehr Zeit<br />

für andere Fragen bleibt.«<br />

Große Ziele für die Zukunft. »Wir haben den E<strong>in</strong>druck, dass<br />

arriba <strong>in</strong>zwischen zum Selbstläufer mit ‘viraler Ausbreitung’<br />

geworden <strong>ist</strong>«, freut sich Norbert Donner-Banzhoff. Mit der<br />

AOK Baden-Württemberg wurde bereits vere<strong>in</strong>bart, dass<br />

»arriba« dort <strong>in</strong>tegraler Bestandteil der hausarztzentrierten<br />

Versorgung wird.<br />

Großen Wert legt Norbert Donner-Banzhoff auf die Tatsache,<br />

dass das Erfolgsmodell e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftswerk <strong>ist</strong>: Die<br />

Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

»arriba« <strong>in</strong> der Praxis: Der Marburger Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>er Professor Dr. Norbert Donner-Banzhoff (re.) bespricht<br />

mit se<strong>in</strong>em <strong>Patient</strong>en Hans-Ludwig Schäfer, welche Verhaltensweisen das Herz-Kreislauf-Risiko wie bee<strong>in</strong>flussen.<br />

ursprüngliche Papierversion wurde mit f<strong>in</strong>anzieller Unterstützung<br />

des B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong><strong>ist</strong>eriums für Bildung <strong>und</strong> Forschung<br />

<strong>in</strong> der Abteilung für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong> der Universität<br />

Marburg entwickelt. In die aktuelle Fassung s<strong>in</strong>d die Erfahrungen<br />

von H<strong>und</strong>erten von Hausärzten e<strong>in</strong>geflossen. Die Software-Version<br />

hat e<strong>in</strong> Team um Dr. Attila Alt<strong>in</strong>er an der<br />

Universität Düsseldorf entwickelt. Die weitgehend selbsterklärende<br />

Java-Anwendung läuft auf jedem Betriebssystem<br />

<strong>und</strong> kann von der Projekt-Homepage www.arriba-hausarzt.de<br />

kostenlos heruntergeladen werden. Mussten die Ärzte bei der<br />

alten Papierversion noch vieles im Kopf rechnen, erledigt dies<br />

jetzt Kollege Computer.<br />

»Da sie leicht zu bedienen <strong>ist</strong> <strong>und</strong> Fehler reduziert, wird sich<br />

die Software gegenüber der Papierversion durchsetzen«, davon<br />

<strong>ist</strong> der Marburger Wissenschaftler überzeugt. Für die Zukunft<br />

haben er <strong>und</strong> die vielen anderen »Macher« von »arriba« noch viel<br />

vor: »Unsere Vision <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e ganze Bibliothek von <strong>in</strong>tegrierten<br />

elektronischen Entscheidungshilfen, die <strong>in</strong> der hausärztlichen<br />

Praxis zur Verfügung stehen. Die nächsten Schritte s<strong>in</strong>d Vorhofflimmern,<br />

manifeste koronare Herzkrankheit <strong>und</strong> Diabetes mellitus.<br />

Arriba <strong>ist</strong> sehr lebendig <strong>und</strong> wird weiter wachsen.« √<br />

ANSPRECHPARTNER:<br />

Professor Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff, MHSc<br />

Philipps-Universität Marburg<br />

Abteilung für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>,<br />

Präventive <strong>und</strong> Rehabilitative Mediz<strong>in</strong><br />

Robert-Koch-Straße 5, 35032 Marburg, Telefon: 06421 2865119<br />

E-Mail: norbert@staff.uni-marburg.de, www.arriba-hausarzt.de<br />

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2. PREIS – ADHERENCE-THERAPIE<br />

PSYCHOTHERAPEUTISCHE KURZINTERVENTION<br />

E<strong>in</strong> dünner Schutzfilm im Alltag<br />

Psychisch erkrankte <strong>Patient</strong>en vere<strong>in</strong>baren mit Ärzten <strong>und</strong> Pflegenden ihre Therapieziele »auf<br />

Augenhöhe« – die <strong>Adherence</strong>-Therapie soll so zu mehr Behandlungserfolgen bei psychischen<br />

Erkrankungen beitragen. E<strong>in</strong>e Reportage von Jörn Hons<br />

Zurückhaltend, konzentriert, kontrolliert. Se<strong>in</strong>e Sätze<br />

kommen schnell, e<strong>in</strong> leichtes Lächeln umspielt die<br />

M<strong>und</strong>w<strong>in</strong>kel, er wirkt fast locker. Nur se<strong>in</strong>e rechte Hand umklammert<br />

die Armlehne des Besucherstuhls, was die Anspannung<br />

<strong>in</strong> dem Mann spürbar macht. Abrupt löst sich die Spannung,<br />

wenn er irgendetwas genauer erklären will: Dann wirbeln<br />

plötzlich beide Hände durch die Luft. Aber genauso<br />

schnell umklammert die rechte Hand wieder die Armlehne,<br />

während die l<strong>in</strong>ke auf der Tischplatte ruht.<br />

Stefan Rücker* gibt Auskunft – <strong>und</strong> verrät se<strong>in</strong>er Bezugspflegekraft<br />

doch nur so viel, wie er unbed<strong>in</strong>gt muss. Se<strong>in</strong>e<br />

Krankheit nennt der 45-Jährige e<strong>in</strong>e »schwere Depression«.<br />

»Ich konnte halt <strong>nicht</strong> mehr e<strong>in</strong>schlafen«, erzählt er dem<br />

psychiatrischen Krankenpfleger Klaus He<strong>in</strong>e. Beide wissen,<br />

dass da mehr <strong>ist</strong>. E<strong>in</strong>e schwere Psychose nämlich, e<strong>in</strong>e schizophrene<br />

Erkrankung, wegen der Stefan Rücker vor vier Wochen<br />

zum zweiten Mal <strong>in</strong> der Station AL02 der Kl<strong>in</strong>ik für Psychiatrie<br />

<strong>und</strong> Psychotherapie des Landschaftsverbandes Westfalen-<br />

Lippe (LWL) <strong>in</strong> Lippstadt aufgenommen wurde. Ganz<br />

schlimm wurde es, als er drei oder vier Tage h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander<br />

<strong>nicht</strong> geschlafen hatte <strong>und</strong> sich die Realität endgültig mit se<strong>in</strong>en<br />

Wahnvorstellungen vermischte.<br />

Medikamente e<strong>in</strong>fach abgesetzt. »Ich habe die Frühwarnzeichen<br />

als solche <strong>nicht</strong> erkannt. Ich dachte, ich b<strong>in</strong> ges<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

habe die Medikamente komplett abgesetzt«, gibt Rücker offen<br />

zu. Zum ersten Mal war er vor vier Jahren wegen e<strong>in</strong>er schizophrenen<br />

Psychose <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik. Der kaufmännische Angestellte<br />

<strong>ist</strong> e<strong>in</strong> sportlicher Typ, e<strong>in</strong> durchtra<strong>in</strong>ierter Mann. Er<br />

wirkt ehrgeizig <strong>und</strong> kontrolliert. Umso härter trifft ihn die<br />

zweite Krise <strong>in</strong> diesem Frühjahr: »Nach dem ersten Mal habe<br />

ich versucht, mich selbst zu therapieren, mit Naturheilverfahren,<br />

<strong>und</strong> das hat letztlich überhaupt <strong>nicht</strong> funktioniert.« Krankenpfleger<br />

Klaus He<strong>in</strong>e nickt <strong>und</strong> macht sich Notizen <strong>in</strong> dem<br />

Fragebogen, den er zusammen mit Stefan Rücker durcharbeitet.<br />

Seit 2007 arbeitet Klaus He<strong>in</strong>e mit den <strong>Patient</strong>en mit der<br />

neuen »<strong>Adherence</strong>«-Therapie, die außer <strong>in</strong> der LWL-Kl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong><br />

* Name von der Redaktion geändert<br />

Lippstadt <strong>und</strong> Warste<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik für Psychiatrie <strong>und</strong><br />

Psychotherapie Bethel angewendet <strong>und</strong> noch bis Juni 2009 im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Studie überprüft wird. Sie<br />

soll dabei helfen, die zwischen <strong>Arzt</strong>, Pflegenden <strong>und</strong> <strong>Patient</strong>en<br />

»auf Augenhöhe« vere<strong>in</strong>barten Therapieziele auch zu erreichen.<br />

<strong>Adherence</strong>-Therapie bei Schizophrenie<br />

Wie funktioniert Disease Management <strong>in</strong> der Praxis?<br />

Schizophrenie: Etwa 800.000 B<strong>und</strong>esbürger s<strong>in</strong>d m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im<br />

Leben von dieser teuersten psychiatrischen Erkrankung betroffen. Über<br />

50 Prozent der Angehörigen s<strong>in</strong>d selbst psychisch belastet oder psychiatrisch<br />

erkrankt. Die Psychose beg<strong>in</strong>nt bei den me<strong>ist</strong>en im zweiten Lebensjahrzehnt<br />

<strong>und</strong> prägt sich <strong>in</strong> der dritten Lebensdekade aus. Es gibt<br />

zwar Therapiemöglichkeiten, doch die Quote des Behandlungsabbruchs<br />

<strong>ist</strong> mit 50 Prozent im ersten beziehungsweise 75 Prozent im zweiten<br />

Jahr nach e<strong>in</strong>em Kl<strong>in</strong>ikaufenthalt erschreckend hoch.<br />

Etwa 120 an Schizophrenie erkrankte <strong>Patient</strong>en haben bisher am <strong>Adherence</strong>-Projekt<br />

der psychiatrischen Kl<strong>in</strong>iken <strong>in</strong> Bielefeld, Lippstadt <strong>und</strong><br />

Warste<strong>in</strong> teilgenommen. Das noch bis Juni 2009 laufende Projekt soll<br />

die Therapietreue entscheidend verbessern. Bestandteile des mehrstufigen<br />

Programms, das von Dr. Richard Gray am Londoner Institute of<br />

Psychiatry entwickelt <strong>und</strong> von dem Bielefelder Pflegewissenschaftler Dr.<br />

Michael Schulz auf deutsche Verhältnisse übertragen wurde, s<strong>in</strong>d geme<strong>in</strong>sam<br />

von <strong>Patient</strong> <strong>und</strong> Behandlungsteam verhandelte Therapiepläne,<br />

e<strong>in</strong>e abgestimmte Pharmakotherapie sowie drei Hausbesuche, die sich <strong>in</strong><br />

größeren zeitlichen Abständen an den Kl<strong>in</strong>ikaufenthalt anschließen. Speziell<br />

geschulte Pflegende s<strong>in</strong>d eng <strong>in</strong> den Behandlungsverlauf e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en.<br />

Ziel dieses Ansatzes <strong>ist</strong> es, e<strong>in</strong>e Behandlung zu vere<strong>in</strong>baren, die sich<br />

an den Alltagsumständen, aber auch an den <strong>in</strong>neren E<strong>in</strong>stellungen der<br />

Betroffenen orientiert, sich deshalb leichter umsetzen lässt – <strong>und</strong> damit<br />

von den <strong>Patient</strong>en auch langfr<strong>ist</strong>ig e<strong>in</strong>gehalten werden kann.<br />

Dr. rer. medic. Michael Schulz, Kl<strong>in</strong>ik für Psychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie<br />

<strong>in</strong> Bethel, Abt. Forschung, Qualitätssicherung <strong>und</strong> Dokumentation<br />

Remterweg 69/71, 33617 Bielefeld, Telefon: 0521 77278022,<br />

E-Mail: michael.schulz@evkb.de<br />

8 Spezial 5, 12. Jahrgang


Fotos: Trstan Vankann<br />

Das betrifft ausdrücklich <strong>nicht</strong><br />

nur die E<strong>in</strong>nahme der Medikamente.<br />

Die <strong>Patient</strong>en sollen auch<br />

lernen, besser mit Stress umzugehen,<br />

sich e<strong>in</strong> soziales Netz aus<br />

Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Familie zu erhalten<br />

<strong>und</strong> Frühwarnzeichen der Krankheit<br />

zu erkennen, um sich dann<br />

Hilfe zu holen. All dies <strong>ist</strong> ke<strong>in</strong><br />

leichtes Unterfangen, wenn sie aus<br />

der Kl<strong>in</strong>ik wieder <strong>in</strong> den häuslichen<br />

Alltag zurückkehren. An<br />

Schizophrenie Erkrankte, aber<br />

auch <strong>Patient</strong>en mit anderen, <strong>nicht</strong><br />

psychiatrischen Krankheiten setzen zum Beispiel ihre Arzneimittel<br />

relativ bald wieder ab – die Hälfte von ihnen schon im<br />

ersten, r<strong>und</strong> 75 Prozent im zweiten Jahr.<br />

Ganz banale H<strong>in</strong>dernisse. Das liegt jedoch <strong>nicht</strong> alle<strong>in</strong> an den<br />

Nebenwirkungen der Arzneimittel, sagt Projektleiter <strong>und</strong> Pflegewissenschaftler<br />

Dr. Michael Schulz, der das <strong>Adherence</strong>-Projekt<br />

<strong>in</strong> Bielefeld, Lippstadt <strong>und</strong> Warsten <strong>in</strong>itiiert hat. »Die langfr<strong>ist</strong>ige<br />

Therapie, zu der auch Medikamente gehören können,<br />

scheitert im Alltag eigentlich immer an ganz banalen D<strong>in</strong>gen.«<br />

Etwa daran, dass jemand Fernfahrer <strong>ist</strong> <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Tabletten wegen<br />

des Jobs <strong>nicht</strong> viermal täglich e<strong>in</strong>nehmen kann, weil sie sehr<br />

müde machen. Oder daran, dass Jugendliche fürchten, durch<br />

die Tabletten zu dick zu werden oder ihre Potenz zu verlieren –<br />

was tatsächlich zu den gravierenden Nebenwirkungen gehören<br />

kann. Oder dass sie am Wochenende <strong>nicht</strong> <strong>in</strong> der Disco tanzen<br />

können, weil sich die Tabletten <strong>nicht</strong> mit Alkohol vertragen.<br />

Und jetzt? Würde er die Medikamente wieder absetzen,<br />

wenn er wieder draußen <strong>ist</strong>? »Ne<strong>in</strong>, wie wichtig die E<strong>in</strong>nahme<br />

der Medikamente <strong>ist</strong>, habe ich ja gesehen.« Stefan Rücker versucht<br />

e<strong>in</strong> Lächeln <strong>und</strong> wird gleich wieder ernst: »Ich konnte<br />

monatelang <strong>nicht</strong> mehr strukturiert denken. Es drehte sich alles<br />

nur noch um die Firma. Ich konnte zuletzt <strong>nicht</strong> mal mehr<br />

e<strong>in</strong>en Text lesen.« Der Abteilungsleiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mittelständischen<br />

Unternehmen sieht sich selbst als Workaholic mit dem<br />

Risiko, durch se<strong>in</strong>en Beruf wieder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Burn-out-Kreislauf<br />

zu geraten, der e<strong>in</strong>en erneuten schizophrenen Schub auslösen<br />

könnte. »Ich habe monatelang nur noch gedacht: Du kämpfst<br />

dich noch bis zum Wochenende durch – aber am Wochenende<br />

habe ich auch nur noch an die Arbeit gedacht.« Familie,<br />

Fre<strong>und</strong>e, Frau <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der wurden zur völligen Nebensache.<br />

Strategien gegen Nebenwirkungen. Vom Kl<strong>in</strong>ikflur dr<strong>in</strong>gen<br />

gedämpfte Stimmen <strong>in</strong> das helle Besprechungszimmer. Klaus<br />

He<strong>in</strong>e notiert sich weitere Stichworte auf dem Fragebogen.<br />

Dann die nächste Frage: »Welche aktuellen Nebenwirkungen<br />

Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

Bei der Behandlung ihrer Krankheit stehen den <strong>Patient</strong>en <strong>in</strong> Lippstadt, Warste<strong>in</strong> <strong>und</strong> Bethel<br />

verschiedene Wege offen. Wofür sie sich auch entscheiden – ihre Wahl wird respektiert.<br />

spüren Sie jetzt?« »Na ja, vor allem die Müdigkeit <strong>und</strong> den vermehrten<br />

Appetit«, sagt Stefan Rücker. »Ich b<strong>in</strong> von 87 schon<br />

auf 92 Kilo hochgegangen.« Doch gegen die Nebenwirkungen<br />

hat er bereits Strategien parat: Mit mehr Obst <strong>und</strong> Gemüse<br />

könnte er se<strong>in</strong> Gewicht wohl <strong>in</strong> den Griff bekommen. Und gegen<br />

die bleierne Müdigkeit am Morgen hat er die Dosis schon<br />

leicht reduziert <strong>und</strong> nimmt die Tabletten abends e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e<br />

früher e<strong>in</strong>. »Das funktioniert ganz gut, damit kann ich leben«,<br />

stellt der 45-Jährige sachlich fest.<br />

Medikamente zu akzeptieren, ihre Wirkung <strong>und</strong> ihre Nebenwirkungen<br />

auf Dauer <strong>in</strong> Kauf zu nehmen <strong>ist</strong> für die me<strong>ist</strong>en<br />

Menschen sehr schwer, weiß Hubert Lücke, Pflegedienstleiter<br />

der LWL-Kl<strong>in</strong>iken <strong>in</strong> Lippstadt <strong>und</strong> Warste<strong>in</strong>. »Die<br />

Krankheit <strong>ist</strong> ja auch e<strong>in</strong>e Kränkung, an die ich jedes Mal,<br />

wenn ich das Arzneimittel nehmen muss, wieder er<strong>in</strong>nert<br />

werde – dass me<strong>in</strong> Gehirn oder me<strong>in</strong> Körper ohne diese Mittel<br />

<strong>nicht</strong> so funktionieren, wie sie eigentlich sollen.« Bei an Schizophrenie<br />

Erkrankten sollen durch die Therapie neue psychotische<br />

Schübe vermieden werden. »Jede Episode <strong>ist</strong> schwerer zu<br />

behandeln als die vorigen, weil sich bei jedem Mal die Dysbalance<br />

der Botenstoffe im Gehirn weiter verfestigt <strong>und</strong> damit<br />

e<strong>in</strong>e Langzeitbehandlung immer schwieriger wird«, so Hubert<br />

Lücke, der das Teilprojekt <strong>in</strong> Lippstadt <strong>und</strong> Warste<strong>in</strong> leitet. Im<br />

Laufe der Jahre verändert sich die Persönlichkeit, oft resignieren<br />

die Betroffenen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d für weitere Therapien kaum noch<br />

ansprechbar. Allerd<strong>in</strong>gs: Ob e<strong>in</strong>e jahre- oder sogar lebenslange<br />

Therapie mit Neuroleptika richtig <strong>ist</strong> <strong>und</strong> den me<strong>ist</strong>en <strong>Patient</strong>en<br />

hilft, darüber streitet die Wissenschaft derzeit heftig. E<strong>in</strong>ig<br />

<strong>ist</strong> man sich dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige pharmakologische Behandlung<br />

<strong>in</strong> der Regel <strong>nicht</strong> zum Ziel führt.<br />

Auf dem falschen Weg. Die hohen Abbruchquoten legen aber<br />

nahe, dass der bisher übliche Therapieweg – den <strong>Patient</strong>en <strong>in</strong><br />

der Kl<strong>in</strong>ik auf e<strong>in</strong> Medikament e<strong>in</strong>zustellen, das später niedergelassene<br />

Ärzte weiter verordnen, <strong>und</strong> zu hoffen, dass der <strong>Patient</strong><br />

die Anordnung befolgt – falsch <strong>ist</strong>, me<strong>in</strong>t Michael Schulz.<br />

9


2. PREIS – ADHERENCE-THERAPIE<br />

»Wir müssen uns schon fragen, ob<br />

wir <strong>in</strong> der Vergangenheit <strong>nicht</strong> die<br />

falschen Probleme bearbeitet <strong>und</strong><br />

zu wenig Augenmerk auf die Beziehung<br />

zum <strong>Patient</strong>en <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en<br />

persönlichen Umgang mit der<br />

Krankheit gelegt haben«, betont<br />

der Pflegewissenschaftler. Erstaunlicherweise<br />

<strong>ist</strong> es e<strong>in</strong>e recht neue<br />

Erkenntnis, dass gerade auf diesem<br />

Gebiet den Pflegekräften e<strong>in</strong>e<br />

Schlüsselrolle zukommt, weil sie<br />

mit dem Alltag ihrer <strong>Patient</strong>en oft<br />

vertrauter s<strong>in</strong>d als die Mediz<strong>in</strong>er.<br />

Michael Schulz hat die <strong>Adherence</strong>-Therapie<br />

2003 im Rahmen<br />

e<strong>in</strong>es Studienaufenthaltes bei dem<br />

britischen Pflegewissenschaftler<br />

Dr. Richard Gray am Institut für<br />

Psychiatrie am K<strong>in</strong>gs College <strong>in</strong> London kennengelernt <strong>und</strong><br />

diesen Behandlungsansatz anschließend auf deutsche Verhältnisse<br />

übertragen. Kern des Projekts <strong>ist</strong>, dass Ärzte, Pflegende<br />

<strong>und</strong> <strong>Patient</strong>en quasi gleichberechtigt über die weitere Therapie<br />

verhandeln.<br />

Es <strong>ist</strong> von entscheidender Bedeutung, dass die <strong>Patient</strong>en<br />

ihre sehr <strong>in</strong>dividuellen Krisensymptome <strong>und</strong> -auslöser erkennen<br />

<strong>und</strong> möglichst gut darauf reagieren. Auch deshalb legt das<br />

Wenn e<strong>in</strong> <strong>Patient</strong> für sich entscheidet,<br />

trotz se<strong>in</strong>er Krankheit ke<strong>in</strong>e Medikamente<br />

zu nehmen, akzeptieren wir das.<br />

Behandlungsteam mit dem <strong>Patient</strong>en geme<strong>in</strong>sam fest, unter<br />

welchen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Dosierung er die Medikamente<br />

e<strong>in</strong>nehmen kann. »Natürlich wägen wir geme<strong>in</strong>sam<br />

mit dem <strong>Patient</strong>en ab, was für <strong>und</strong> was gegen das Absetzen e<strong>in</strong>es<br />

Medikamentes spricht <strong>und</strong> worauf e<strong>in</strong> <strong>Patient</strong> sich dann<br />

e<strong>in</strong>lässt«, betont Schulz. Aber: »Wenn e<strong>in</strong> <strong>Patient</strong> für sich entscheidet,<br />

trotz se<strong>in</strong>er Krankheit ke<strong>in</strong>e Medikamente zu nehmen,<br />

akzeptieren wir das.« Auch das, so betonen Schulz <strong>und</strong><br />

Lücke unisono, <strong>ist</strong> für viele <strong>Patient</strong>en <strong>in</strong> dem <strong>Adherence</strong>-Projekt<br />

neu: dass sie jemand nach ihrem ganz persönlichen Erleben<br />

fragt – <strong>und</strong> dass diese Gefühle <strong>in</strong> der Therapie auch berücksichtigt<br />

werden.<br />

Stefan Rücker <strong>und</strong> Bezugspfleger Klaus He<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d fast am<br />

Ende des Fragebogens angelangt. He<strong>in</strong>e liest die nächste Frage<br />

vor: »Ich nehme Medikamente nur, weil ich von anderen Per-<br />

Punkt für Punkt geht Klaus He<strong>in</strong>e mit se<strong>in</strong>em <strong>Patient</strong>en den Fragebogen durch: Wie<br />

kommt er mit der Therapie zurecht? Wie störend s<strong>in</strong>d die Nebenwirkungen der Tabletten?<br />

sonen unter Druck gesetzt werde?« »Stimmt <strong>nicht</strong>«, antwortet<br />

Rücker <strong>und</strong> setzt leise h<strong>in</strong>zu: »Aber ich weiß auch, dass ich Verantwortung<br />

für me<strong>in</strong>e Familie, me<strong>in</strong>e Frau <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der<br />

habe.«<br />

Aus der Erkrankung lernen. Nach dem ersten Krankheitsschub<br />

habe er noch geme<strong>in</strong>t: »Das <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> Ausrutscher, das passiert<br />

mir <strong>nicht</strong> noch mal.« Beim zweiten Mal habe er nur noch gedacht:<br />

»Jetzt kommst du wieder <strong>in</strong> die Klapse.« Diese Niederlage<br />

macht dem so kontrolliert wirkenden Mann lange zu<br />

schaffen. »Aber ich kann diese Stoffwechselstörungen <strong>nicht</strong> mit<br />

natürlichen Mitteln bekämpfen, das weiß ich jetzt.« Klaus<br />

He<strong>in</strong>e bestärkt ihn <strong>in</strong> dieser Erkenntnis: »Es <strong>ist</strong> ganz wichtig,<br />

dass Sie aus dieser ersten Erkrankung lernen.« Unter Medikamenten<br />

fühle er sich wieder le<strong>ist</strong>ungsfähig, so Rücker. Er könne<br />

wieder arbeiten <strong>und</strong> sich an schönen D<strong>in</strong>gen freuen. »Ich habe<br />

das Gefühl, das gibt mir e<strong>in</strong>en Schutzfilm für den Alltag.«<br />

An e<strong>in</strong>em der nächsten Tage, das vere<strong>in</strong>baren beide jetzt,<br />

werden sie Rückers Probleme mit se<strong>in</strong>er Arbeit diskutieren. Innerhalb<br />

von drei Monaten nach der Entlassung wird Klaus He<strong>in</strong>e<br />

ihn noch dreimal zuhause besuchen <strong>und</strong> mit Stefan Rücker besprechen,<br />

wie er mit der Krankheit zurechtkommt <strong>und</strong> wie er<br />

e<strong>in</strong>en neuen Rückfall vermeiden kann. Der erfahrene Krankenpfleger<br />

weiß, dass se<strong>in</strong> Bezugspatient ihm <strong>in</strong> diesem Gespräch<br />

längst <strong>nicht</strong> alles offenbart hat. E<strong>in</strong>e schwere Depression oder<br />

e<strong>in</strong> stressbed<strong>in</strong>gtes Burn-out-Syndrom s<strong>in</strong>d für die me<strong>ist</strong>en<br />

Kranken e<strong>in</strong>facher zu akzeptieren <strong>und</strong> auch anderen Menschen<br />

gegenüber leichter zuzugeben als die Diagnose Schizophrenie.<br />

Der Schutzfilm <strong>ist</strong> noch sehr dünn. √<br />

Jörn Hons schreibt regelmäßig für Ges<strong>und</strong>heit + Gesellschaft.<br />

10 Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

Fotos: Tr<strong>ist</strong>an Vankann


MODERNES WUNDMANAGEMENT<br />

Zu jeder W<strong>und</strong>e gehört e<strong>in</strong> Mensch<br />

Die Behandlung chronischer W<strong>und</strong>en <strong>ist</strong> schwierig <strong>und</strong> langwierig, der Leidensdruck der<br />

Betroffenen hoch. In Berl<strong>in</strong> behandelt das Team des Vere<strong>in</strong>s »Fixpunkt« Drogenabhängige<br />

nach den Methoden des modernen W<strong>und</strong>managements.<br />

eit mehr als zwanzig Jahren <strong>ist</strong> das Kottbusser Tor e<strong>in</strong> etablierter<br />

Treffpunkt der Drogenszene im Berl<strong>in</strong>er Bezirk<br />

Kreuzberg. An drei Nachmittagen <strong>in</strong> der Woche werden hier<br />

Suchtkranke im Ges<strong>und</strong>heitsmobil des geme<strong>in</strong>nützigen Vere<strong>in</strong>s<br />

»Fixpunkt – Vere<strong>in</strong> für suchtbegleitende Hilfe« von jeweils e<strong>in</strong>er<br />

Pflegefachkraft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Ärzt<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>em <strong>Arzt</strong> versorgt. E<strong>in</strong><br />

wesentliches Ziel dieses Angebots <strong>ist</strong>, die Suchtkranken wieder <strong>in</strong><br />

die fachärztliche Regelversorgung zu <strong>in</strong>tegrieren. Von den 20<br />

bis 30 <strong>Patient</strong>en, die pro Nachmittag das Ges<strong>und</strong>heitsmobil aufsuchen,<br />

kommt etwa jeder Zweite wegen chronischer W<strong>und</strong>en –<br />

das s<strong>in</strong>d W<strong>und</strong>en, die <strong>nicht</strong> <strong>in</strong>nerhalb von acht Wochen abheilen.<br />

Term<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Absprachen. Seit Anfang 2007 versorgt das Fixpunktteam<br />

solche W<strong>und</strong>en nach den Standards des modernen<br />

W<strong>und</strong>managements mit hochwertigen W<strong>und</strong>auflagen <strong>und</strong> beobachtet<br />

<strong>und</strong> dokumentiert den Behandlungsverlauf. Diese<br />

Form der Therapie setzt e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Mitarbeit des <strong>Patient</strong>en<br />

voraus. Längst <strong>nicht</strong> jeder der oft mehrfach Drogenabhängigen<br />

kommt dafür <strong>in</strong>frage. »Der <strong>Patient</strong> muss <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, zu<br />

verstehen, was wir ihm erklären. Das <strong>ist</strong> abhängig vom Grad der<br />

Intoxikation«, erläutert Pflegefachkraft Doreen Böttcher, die<br />

ebenso wie ihre Kolleg<strong>in</strong> Elfriede Schulte zertifizierte W<strong>und</strong>expert<strong>in</strong><br />

<strong>ist</strong>. Weitere Voraussetzungen s<strong>in</strong>d Krankheitse<strong>in</strong>sicht<br />

bezüglich der W<strong>und</strong>e, Akzeptanz der Begleittherapie, aktive Mitarbeit<br />

bei der Umsetzung sowie das E<strong>in</strong>halten von Term<strong>in</strong>en <strong>und</strong><br />

Absprachen (etwa ke<strong>in</strong>e Manipulation an Verband oder W<strong>und</strong>e).<br />

Die me<strong>ist</strong>en <strong>Patient</strong>en wissen, worauf sie sich e<strong>in</strong>lassen: »Oft<br />

wurde schon Jahre an den W<strong>und</strong>en herumgedoktert«, erläutert<br />

die W<strong>und</strong>expert<strong>in</strong>. »Wir machen ihnen Mut <strong>und</strong> fordern sie zur<br />

aktiven Mitarbeit auf. So e<strong>in</strong>e Vorgehensweise kennen unsere<br />

<strong>Patient</strong>en <strong>nicht</strong> – das macht sie oft sprachlos, aber neugierig.«<br />

Respekt <strong>und</strong> Toleranz. »Zu jeder W<strong>und</strong>e gehört auch e<strong>in</strong><br />

Mensch«, so lautet das Leitmotiv der Behandlung. Im Rahmen<br />

des niedrigschwelligen Ansatzes akzeptiert das Fixpunktteam<br />

die Lebenswelt der <strong>Patient</strong>en <strong>und</strong> toleriert darum auch schon<br />

e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e offene Bierflasche im Ges<strong>und</strong>heitsmobil. »Lässt<br />

der <strong>Patient</strong> die Flasche draußen, <strong>ist</strong> sie nach der Behandlung<br />

Foto: Senatsverwaltung für Ges<strong>und</strong>heit, Umwelt <strong>und</strong> Verbraucherschutz, Berl<strong>in</strong> S<br />

Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

EHRENPREIS – FIXPUNKT<br />

<strong>nicht</strong> mehr da«, erklärt Doreen Böttcher pragmatisch. Bei<br />

Frauen, die sich prostituieren, werden die Verbände so angelegt,<br />

dass sie trotzdem noch anschaffen gehen können.<br />

Der Erfolg gibt den W<strong>und</strong>experten von »Fixpunkt« Recht: Seit<br />

der E<strong>in</strong>führung des modernen W<strong>und</strong>managements suchen <strong>Patient</strong>en<br />

mit chronischen Geschwüren das Ges<strong>und</strong>heitsmobil doppelt<br />

so häufig auf wie vorher. »Neben der eigentlichen W<strong>und</strong>behandlung<br />

<strong>ist</strong> die stabile, partnerschaftliche <strong>und</strong> respektvolle<br />

Beziehung zwischen dem Team <strong>und</strong> den <strong>Patient</strong>en wesentlich für<br />

den therapeutischen Erfolg«, davon s<strong>in</strong>d die W<strong>und</strong>expert<strong>in</strong>nen<br />

überzeugt. Dass so selbst unter widrigsten Umständen e<strong>in</strong> hohes<br />

Maß an <strong>Adherence</strong> erreicht werden kann, zeigt das Beispiel e<strong>in</strong>es<br />

mehrfach abhängigen <strong>Patient</strong>en: Trotz vielfältiger Rückschläge<br />

durch selbstschädigendes Verhalten ersche<strong>in</strong>t er seit Monaten<br />

getreulich zweimal pro Woche zum Verbandswechsel. √<br />

ANSPRECHPARTNERINNEN: Elfriede Schulte, Doreen Böttcher,<br />

Fixpunkt e.V., Boppstraße 7, 10967 Berl<strong>in</strong>, Telefon: 030 6932260<br />

E-Mail: e.schulte@fixpunkt.org, www.fixpunkt.org<br />

Innovative Konzepte zur Schadensm<strong>in</strong>imierung<br />

Fixpunkt e. V. <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> seit vielen Jahren sehr aktiver<br />

Träger für wichtige Angebote der Berl<strong>in</strong>er Drogenhilfe.<br />

Dazu gehören unter anderem Busse, die an<br />

Szenetreffpunkten mediz<strong>in</strong>ische Hilfe anbieten,<br />

<strong>und</strong> diverse Modellprojekte zur Infektionsprophylaxe<br />

<strong>und</strong> zur Prävention von Drogennot- <strong>und</strong><br />

-todesfällen. Der Vere<strong>in</strong> hat immer wieder <strong>in</strong>novative<br />

Konzepte im Bereich der »Schadensm<strong>in</strong>imierung«<br />

entwickelt. Se<strong>in</strong>e jahrelange Erfahrung <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Drogenhilfe<br />

gewährle<strong>ist</strong>et dabei stets e<strong>in</strong>e verlässliche <strong>Adherence</strong> <strong>und</strong> unterstützt<br />

so nachhaltig die mediz<strong>in</strong>ische Hilfe für die Drogenkonsumenten.<br />

Katr<strong>in</strong> Lompscher <strong>ist</strong> Senator<strong>in</strong> für Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Umwelt <strong>und</strong> Verbraucherschutz <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />

11


ANERKENNUNGSPREISE<br />

ÄRZTLICHE GESPRÄCHSFÜHRUNG<br />

Der Nächste, bitte!<br />

R<strong>und</strong> 200.000 <strong>Patient</strong>engespräche führt e<strong>in</strong> <strong>Arzt</strong> im Laufe se<strong>in</strong>es Berufslebens.<br />

Damit diese erfolgreich verlaufen, steht für Mediz<strong>in</strong>studenten<br />

<strong>in</strong> Ulm regelmäßig »Ärztliche Gesprächsführung« auf dem St<strong>und</strong>enplan.<br />

W<br />

eil e<strong>in</strong>e real<strong>ist</strong>ische E<strong>in</strong>schätzung<br />

des <strong>Patient</strong>en durch den <strong>Arzt</strong> <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende <strong>Arzt</strong>-<strong>Patient</strong>-Kommunikation<br />

die Gr<strong>und</strong>lage jeder erfolgreichen<br />

Behandlung bilden, ziehen sich Pflichtveranstaltungen<br />

zu Theorie <strong>und</strong> Praxis<br />

der Gesprächsführung wie e<strong>in</strong> roter Faden<br />

durch das Mediz<strong>in</strong>studium <strong>in</strong> Ulm.<br />

Die Studierenden analysieren Videos<br />

mit <strong>Arzt</strong>-<strong>Patient</strong>en-Gesprächen sowie ihr<br />

eigenes Gesprächsverhalten, entwickeln<br />

THERAPIETREUE BEI BRUSTKREBS<br />

ie Brustkrebsbehandlung endet <strong>nicht</strong><br />

mit der Operation. Für optimale<br />

Heilungschancen muss die anschließende<br />

Therapie manchmal bis zu fünf<br />

Jahre lang fortgesetzt werden. Viele<br />

Frauen brechen sie aber <strong>in</strong> den ersten<br />

Jahren ab«, erklärt Dr. Mart<strong>in</strong>a Dombrowski,<br />

die das Brustzentrum des Waldkrankenhauses<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Spandau leitet.<br />

Sie <strong>und</strong> ihr Team konnten wiederkehrende<br />

Problemsituationen im Behandlungsverlauf<br />

identifizieren <strong>und</strong> entwickelten<br />

daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Therapiekonzept,<br />

Leitfäden für unterschiedliche <strong>Patient</strong>entypen<br />

<strong>und</strong> tra<strong>in</strong>ieren <strong>in</strong> Rollenspielen die<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der Gesprächsführung. Dr.<br />

Lucia Jerg-Bretzke, die das Ulmer Curriculum<br />

zusammen mit Fachkollegen entwickelt<br />

hat, erläutert: »Wir veranstalten<br />

e<strong>in</strong>e Hausarztpraxis mit e<strong>in</strong>em Wartezimmer,<br />

aus dem die Studenten (Simulations-)<strong>Patient</strong>en<br />

aufrufen <strong>und</strong> dann circa<br />

acht M<strong>in</strong>uten Zeit für das Gespräch, e<strong>in</strong>e<br />

Diagnose <strong>und</strong> den Behandlungsplan ha-<br />

Gezielte Hilfe an kritischen Punkten<br />

E<strong>in</strong>e Brustkrebstherapie <strong>ist</strong> langwierig <strong>und</strong> hat viele Nebenwirkungen.<br />

Das Waldkrankenhaus <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Spandau setzt auf e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Begleitung,<br />

um den betroffenen Frauen das Durchhalten zu erleichtern.<br />

D<br />

das die <strong>Patient</strong><strong>in</strong>nen an diesen »kritischen<br />

Punkten« gezielt unterstützt.<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Rolle spielt dabei die<br />

Breast Nurse, e<strong>in</strong>e speziell ausgebildete<br />

Pflegekraft, die die <strong>Patient</strong><strong>in</strong> vom<br />

Diagnosemitteilungsgespräch über die<br />

Akutbehandlung bis <strong>in</strong> die Nachsorge<br />

kont<strong>in</strong>uierlich begleitet. Die Erfahrung<br />

zeigt: Mit der Breast Nurse sprechen die<br />

Frauen auch über Fragen, die sie sich<br />

<strong>nicht</strong> trauen, den Ärzten zu stellen.<br />

E<strong>in</strong> frei zugänglicher Informationsraum,<br />

ausführliche Gespräche mit den<br />

ben. Die geschulten <strong>Patient</strong>en geben den<br />

Studenten Feedback.«<br />

Im Laufe des Studiums lernen die angehenden<br />

Ärzte außerdem zwei wertvolle<br />

Hilfsmittel für die ärztliche Praxis<br />

kennen, die ebenfalls an der Ulmer Universität<br />

entwickelt wurden: E<strong>in</strong> standardisierter<br />

<strong>Patient</strong>enfragebogen ermöglicht<br />

E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Ängste, Erwartungen<br />

<strong>und</strong> Wünsche der Ratsuchenden, <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e <strong>Patient</strong>entypologie dient als Leitfaden,<br />

um besser auf die Bedürfnisse der<br />

unterschiedlichen <strong>Patient</strong>enpersönlichkeiten<br />

e<strong>in</strong>zugehen. √<br />

ANSPRECHPARTNERIN:<br />

Dr. biol. hum. Lucia Jerg-Bretzke,<br />

Universitätskl<strong>in</strong>ik für Psychosomatische<br />

Mediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> Psychotherapie Ulm, Sektion<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Psychologie, Am Hochsträß 8,<br />

89081 Ulm, Telefon: 0731 50061916<br />

E-Mail: lucia.bretzke@uni-ulm.de<br />

behandelnden Ärzten <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Behandlungsordner,<br />

den die <strong>Patient</strong><strong>in</strong> selbst<br />

führt, s<strong>in</strong>d weitere Kernelemente des<br />

Spandauer Konzepts, das die aktive<br />

Rolle der <strong>Patient</strong><strong>in</strong> im Behandlungsprozess<br />

stärken soll. »Je besser die <strong>Patient</strong><strong>in</strong><br />

verstanden hat, was auf sie zukommt,<br />

desto eher schafft sie es, durchzuhalten«,<br />

weiß Mart<strong>in</strong>a Dombrowski. Steigende<br />

Behandlungszahlen <strong>und</strong> die Ergebnisse<br />

e<strong>in</strong>er Befragung unter 102 <strong>Patient</strong><strong>in</strong>nen<br />

zeigen, dass dieses Konzept aufgeht: 98<br />

Prozent der Befragten würden sich erneut<br />

für e<strong>in</strong>e Brustkrebsbehandlung im<br />

Waldkrankenhaus entscheiden. √<br />

ANSPRECHPARTNERIN:<br />

Dr. med. Mart<strong>in</strong>a Dombrowski,<br />

Brustzentrum im Waldkrankenhaus Spandau<br />

Stadtrandstraße 55, 13589 Berl<strong>in</strong><br />

Telefon: 030 37021202<br />

E-Mail:<br />

m.dombrowski@waldkrankenhaus.com<br />

www.waldkrankenhaus.com -> Brustzentrum<br />

12 Spezial 5, 12. Jahrgang


Fotos: privat; BMG/Geschäftsstelle der Ptientenbeauftragten<br />

Dr. med. Günther Egidi praktiziert<br />

als Hausarzt <strong>in</strong> Bremen <strong>und</strong><br />

<strong>ist</strong> der Vorsitzende der<br />

dortigen Akademie für<br />

hausärztliche Fortbildung.<br />

»Entscheidend <strong>ist</strong> der <strong>Patient</strong>enwille«<br />

Warum tun <strong>Patient</strong>en oft e<strong>in</strong>fach <strong>nicht</strong>, was der <strong>Arzt</strong> ihnen sagt? Die Frage <strong>ist</strong> falsch gestellt,<br />

f<strong>in</strong>det Günther Egidi. Der Bremer Hausarzt lässt se<strong>in</strong>e <strong>Patient</strong>en seit Jahren über ihre Behandlung<br />

mitentscheiden – mit Erfolg.<br />

Mehr Sport treiben, Tabletten regelmäßig<br />

e<strong>in</strong>nehmen – warum fällt es<br />

<strong>Patient</strong>en so schwer, zu tun, was ihr<br />

<strong>Arzt</strong> ihnen sagt?<br />

Entscheidend <strong>ist</strong>, was die <strong>Patient</strong>en wollen.<br />

Wollen sie überhaupt Sport treiben?<br />

Wollen sie die Tabletten nehmen? Dar<strong>in</strong><br />

liegt der Schlüssel dafür, dass sie es auch<br />

tun. <strong>Adherence</strong> bedeutet <strong>nicht</strong> Compliance.<br />

Compliance <strong>ist</strong> das Befolgen dessen,<br />

was der <strong>Arzt</strong> anordnet. <strong>Adherence</strong> <strong>ist</strong><br />

die Treue zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>sam gefassten<br />

Beschluss. Man muss also sehen, dass<br />

man geme<strong>in</strong>same Ziele formuliert.<br />

Was tun Sie, um das Durchhaltevermögen<br />

Ihrer <strong>Patient</strong>en zu stärken?<br />

Die Behandlung muss zum <strong>Patient</strong>en<br />

passen: E<strong>in</strong> Mensch mit krankhaftem<br />

Übergewicht <strong>ist</strong> mit dem Rat, jeden Tag<br />

e<strong>in</strong>e halbe St<strong>und</strong>e zu joggen, völlig überfordert.<br />

Da muss man kle<strong>in</strong> anfangen:<br />

»Legen Sie die Fernbedienung Ihres Fernsehers<br />

weg, stehen Sie zum Umschalten<br />

auf!« Auch die Ziele müssen real<strong>ist</strong>isch<br />

se<strong>in</strong>. Wenn e<strong>in</strong> 140-Kilo-Mann 50 Kilo<br />

abnehmen möchte, sage ich: »Lassen Sie<br />

uns mal überlegen, bis wann Sie die ersten<br />

beiden Kilo schaffen könnten.«<br />

Dann gucken wir, ob’s geklappt hat <strong>und</strong><br />

entscheiden, wie es weitergeht.<br />

Die Kommunikation zwischen <strong>Arzt</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Patient</strong> spielt für die <strong>Adherence</strong><br />

e<strong>in</strong>e zentrale Rolle. Wie sprechen Sie<br />

mit Ihren <strong>Patient</strong>en?<br />

Als <strong>Arzt</strong> muss ich akzeptieren, dass der<br />

<strong>Patient</strong> auch sagen kann: »Ich will das<br />

<strong>nicht</strong>.« Nur wenn man den <strong>Patient</strong>en<br />

pr<strong>in</strong>zipiell die Möglichkeit e<strong>in</strong>räumt,<br />

sich auch dagegen zu entscheiden, besteht<br />

zum Beispiel die Chance, dass Me-<br />

Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

dikamente überhaupt e<strong>in</strong>genommen<br />

werden. Wenn e<strong>in</strong> <strong>Patient</strong> sagt: »Ich<br />

nehme jede Pille, aber mit dem Rauchen<br />

höre ich <strong>nicht</strong> auf«, dann rede ich mit<br />

ihm <strong>nicht</strong> weiter übers Rauchen. Wenn<br />

man <strong>nicht</strong> vernünftig mit den <strong>Patient</strong>en<br />

kommuniziert, dann wird e<strong>in</strong>fach <strong>nicht</strong><br />

gemacht, was notwendig wäre. Vor allem<br />

bei ernsthaft erkrankten <strong>Patient</strong>en <strong>ist</strong> es<br />

entscheidend, dass man ihnen alles besonders<br />

gut erklärt. Da <strong>ist</strong> es ganz wichtig,<br />

nachzufragen, was beim <strong>Patient</strong>en<br />

überhaupt angekommen <strong>ist</strong>.<br />

Ist das <strong>nicht</strong> sehr aufwendig?<br />

Doch. Aber ich sehe <strong>in</strong> unserer Praxis:<br />

Wenn der <strong>Patient</strong> <strong>und</strong> ich geme<strong>in</strong>sam<br />

e<strong>in</strong>e Entscheidung entwickelt haben,<br />

dann <strong>ist</strong> die Therapietreue hoch, die Ergebniseffektivität<br />

<strong>ist</strong> hoch, <strong>und</strong> auch<br />

me<strong>in</strong>e Berufszufriedenheit <strong>ist</strong> höher.<br />

Wie kommen die <strong>Patient</strong>en damit<br />

zurecht, dass sie über ihre Behandlung<br />

mitentscheiden sollen?<br />

Manche f<strong>in</strong>den das gut, andere weniger.<br />

Menschen mit sehr traditionellen Rollenbildern<br />

sagen schon mal: »Sie s<strong>in</strong>d<br />

doch der <strong>Arzt</strong>.« Wenn e<strong>in</strong> <strong>Patient</strong> bewusst<br />

mir die Verantwortung übertragen<br />

will, dann akzeptiere ich das auch.<br />

Was <strong>ist</strong>, wenn e<strong>in</strong> <strong>Patient</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Therapie möchte, die Sie mediz<strong>in</strong>isch<br />

für unnötig erachten?<br />

Entscheidend <strong>ist</strong> der <strong>Patient</strong>enwille.<br />

Aber der hat natürlich Grenzen: Wenn<br />

ich sicher weiß, dass etwas Uns<strong>in</strong>n <strong>ist</strong>,<br />

dann bekommt der <strong>Patient</strong> das bei mir<br />

<strong>nicht</strong>. Sucht er sich dann e<strong>in</strong>en anderen<br />

<strong>Arzt</strong>, <strong>ist</strong> auch das <strong>in</strong> gewisser Weise e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same Entscheidung. √<br />

INTERVIEW<br />

»Es besteht Handlungsbedarf«<br />

Als <strong>Patient</strong>enbeauftragte<br />

der<br />

B<strong>und</strong>esregierung<br />

setze ich mich sehr<br />

für e<strong>in</strong> gleichberechtigtes<br />

<strong>und</strong><br />

partnerschaftliches<strong>Arzt</strong>-<strong>Patient</strong>en-Verhältnis<br />

e<strong>in</strong>.<br />

<strong>Patient</strong><strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

<strong>Patient</strong>en müssen<br />

als Experten <strong>in</strong> eigener Sache aktiv <strong>in</strong> den Entscheidungsprozess<br />

e<strong>in</strong>bezogen werden.<br />

Die Sechs-Länder-Studie des Commonwealth<br />

F<strong>und</strong> hat gezeigt, dass es <strong>in</strong> Deutschland<br />

<strong>in</strong>sbesondere an ausreichender Kommunikation<br />

zwischen Ärzten <strong>und</strong> <strong>Patient</strong>en mangelt.<br />

61 Prozent der Befragten geben an, <strong>nicht</strong><br />

immer über Behandlungsalternativen aufgeklärt<br />

<strong>und</strong> nach ihrer Me<strong>in</strong>ung gefragt worden<br />

zu se<strong>in</strong>. 38 Prozent sagen, sie seien selten oder<br />

nie über Nebenwirkungen von Medikamenten<br />

aufgeklärt worden.<br />

Es <strong>ist</strong> bereits viel passiert, um <strong>Patient</strong>en<br />

aktiver <strong>in</strong> den Behandlungsprozess e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den,<br />

etwa die <strong>Patient</strong>envertretung im<br />

Geme<strong>in</strong>samen B<strong>und</strong>esausschuss oder die<br />

durch das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong><strong>ist</strong>erium für Ges<strong>und</strong>heit<br />

geförderte Initiative «<strong>Patient</strong> als Partner<br />

im mediz<strong>in</strong>ischen Entscheidungsprozess«.<br />

Wir haben viel erreicht, aber es besteht<br />

noch Handlungsbedarf: <strong>Patient</strong>en, aber auch<br />

Ärzten s<strong>in</strong>d ihre Rechte zu oft unklar. Daher<br />

arbeite ich derzeit an den Eckpunkten für e<strong>in</strong><br />

<strong>Patient</strong>enrechtegesetz.<br />

Helga Kühn-Mengel <strong>ist</strong> die <strong>Patient</strong>enbeauftragte<br />

der B<strong>und</strong>esregierung.<br />

13


IN DER ENGEREN WAHL<br />

√ DAS LEBEN GEMEINSAM MEISTERN<br />

Der Leitgedanke e<strong>in</strong>es vertrauensvollen<br />

Umgangs mit den <strong>Patient</strong>en<br />

bestimmt die Arbeit von Dr. Anna<br />

Wenn<strong>in</strong>g-Jokisch <strong>und</strong> ihrem Team <strong>in</strong><br />

ihrer Asbacher Praxis für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>.<br />

Die beiden gegensätzlich anmutenden<br />

Schwerpunkte der Praxis –<br />

Prävention <strong>und</strong> Palliativmediz<strong>in</strong> –<br />

stecken dabei den Rahmen ab, <strong>in</strong>nerhalb<br />

dessen das Prax<strong>ist</strong>eam daran<br />

arbeitet, mit den <strong>Patient</strong>en »das Leben<br />

geme<strong>in</strong>sam zu me<strong>ist</strong>ern«. Zu diesem<br />

patientenzentrierten Ansatz gehört<br />

neben der langjährigen Begleitung<br />

auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive E<strong>in</strong>beziehung <strong>in</strong><br />

die Therapieentscheidungen, umfassende<br />

Informationen <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuell auf<br />

den <strong>Patient</strong>en abgestimmte Angebote,<br />

Kurse <strong>und</strong> Selbsthilfegruppen. Die<br />

<strong>Patient</strong>en werden dabei immer wieder<br />

gezielt zur aktiven Mitarbeit motiviert.<br />

Dr. med. Anna Wenn<strong>in</strong>g-Jokisch<br />

Praxis für Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong><br />

Hospitalstraße 15 a, 53567 Asbach<br />

Telefon: 02683 91530<br />

√ HAART – ADHERENCE NURSE<br />

BEGLEITET AIDS-THERAPIE<br />

Das am Otto Wagner Spital <strong>in</strong> Wien<br />

angesiedelte Projekt zielt auf die Steigerung<br />

der Adhärenz bei Menschen mit<br />

HIV/AIDS unter hochaktiver antiretroviraler<br />

Therapie (HAART). Die regelmäßige<br />

<strong>und</strong> pünktliche E<strong>in</strong>nahme der<br />

Medikamente <strong>ist</strong> bei diesen <strong>Patient</strong>en<br />

von entscheidender Bedeutung für<br />

Lebensqualität <strong>und</strong> -erwartung. Im<br />

Rahmen des Projektes wurde e<strong>in</strong>e<br />

»<strong>Adherence</strong> Nurse« schrittweise <strong>in</strong> die<br />

kl<strong>in</strong>ische Versorgung <strong>in</strong>tegriert, die sich<br />

um e<strong>in</strong>e zielgenaue Unterstützung der<br />

<strong>Patient</strong>en <strong>und</strong> die Integration der Medikamentene<strong>in</strong>nahme<br />

<strong>in</strong> den Alltag<br />

kümmert. Aufgr<strong>und</strong> der positiven Erfahrungen<br />

wird jetzt e<strong>in</strong> Schulungsprogramm<br />

für die verschiedenen beteiligten<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufe entwickelt.<br />

Mag. Günter Geyer<br />

Otto Wagner Spital<br />

Stipcakgasse 18–22/4/2<br />

A-1230 Wien<br />

Telefon: 0043 (0)676 4739114<br />

geyergue@gmx.at<br />

√ GESUNDES KINZIGTAL:<br />

AKTIVE EINBINDUNG DER PATIENTEN<br />

In diesem auf vier Jahre angelegten<br />

Modellprojekt der Integrierten Versorgung,<br />

das die Ges<strong>und</strong>es K<strong>in</strong>zigtal<br />

GmbH geme<strong>in</strong>sam mit der AOK <strong>und</strong><br />

der LKK Baden-Württemberg betreibt,<br />

sollen Risikopatienten vorbeugend zur<br />

Änderung ihres Lebensstils motiviert<br />

werden. An dem Projekt beteiligen sich<br />

44 Praxen <strong>und</strong> knapp 4000 überwiegend<br />

multimorbide Versicherte. Die<br />

Ärzte ermitteln anhand e<strong>in</strong>es Fragebogens<br />

Risikopatienten <strong>und</strong> legen mit<br />

ihnen geme<strong>in</strong>sam Therapieziele fest.<br />

Zum Erreichen dieser Ziele stehen den<br />

Versicherten verschiedene zielgruppenspezifische<br />

Krankheitsmanagement-<br />

Programme zur Verfügung. Die beteiligten<br />

Ärzte wurden an der Universität<br />

Freiburg im Shared-Decision-Mak<strong>in</strong>g<br />

geschult.<br />

Helmut Hildebrandt<br />

Ges<strong>und</strong>es K<strong>in</strong>zigtal GmbH<br />

Strickerweg 3 d, 77716 Haslach<br />

Telefon: 07832 974890<br />

office@ges<strong>und</strong>es-k<strong>in</strong>zigtal.de<br />

www.ges<strong>und</strong>es-k<strong>in</strong>zigtal.de<br />

√ KASSELER STOTTERTHERAPIE<br />

Bei der Kasseler Stottertherapie, die<br />

e<strong>in</strong> selbst Betroffener entwickelt hat,<br />

wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiwöchigen Intensivkurs<br />

e<strong>in</strong> neues Sprechmuster erlernt,<br />

das die <strong>Patient</strong>en anschließend durch<br />

tägliches <strong>in</strong>tensives Üben mithilfe e<strong>in</strong>er<br />

speziellen Feedback-Software beibehalten<br />

<strong>und</strong> verfestigen sollen. An der<br />

Erarbeitung der Therapiemodule waren<br />

<strong>Patient</strong>en beteiligt. Die Therapiemotivation<br />

erfolgt hauptsächlich über Erfolgserlebnisse.<br />

Als wirkungsvoller f<strong>in</strong>anzieller<br />

Anreiz zum <strong>in</strong>tensiven Üben hat sich<br />

auch e<strong>in</strong>e Übernahme der Kosten für<br />

die Software durch die Krankenkasse<br />

erwiesen, die nur beim Nachweis der<br />

regelmäßigen Anwendung erfogt.<br />

Dr. med. Alexander Wolff<br />

von Gudenberg<br />

Institut der Kasseler Stottertherapie<br />

Feriendorfstraße 1, 34308 Bad Emstal<br />

Telefon: 05624 921-0<br />

<strong>in</strong>fo@kasseler-stottertherapie.de<br />

www.kasseler-stottertherapie.de<br />

√ NACHHALTIGE INFORMATION<br />

PER PATIENTENBRIEF<br />

Das geme<strong>in</strong>same Projekt des Universitätkl<strong>in</strong>ikums<br />

Hamburg-Eppendorf <strong>und</strong><br />

der Rheumakl<strong>in</strong>ik Bad Bramstedt dient<br />

der nachstationären Sicherung der<br />

OP-Ergebnisse nach Wirbelsäulenoperationen.<br />

Zu diesem Zweck werden mit<br />

dem <strong>Patient</strong>en geme<strong>in</strong>sam die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Schritte des Entlassungsmanagements<br />

entwickelt <strong>und</strong> geplant. Zentrale<br />

Elemente des Konzepts, die auch auf<br />

andere Krankheitsbilder übertragbar<br />

wären, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gehendes Abschlussgespräch<br />

vor der Entlassung <strong>und</strong> e<strong>in</strong><br />

umfangreicher <strong>Patient</strong>enbrief, der<br />

neben <strong>in</strong>dividuell angepassten Empfehlungen<br />

auch Protokollbögen zur<br />

täglichen Selbstkontrolle enthält.<br />

Dr. med.Karl D. Vitt<br />

Vere<strong>in</strong> zur Förderung sozialmediz<strong>in</strong>ischer<br />

Gr<strong>und</strong>satzfragen<br />

Annenstraße 11<br />

24939 Flensburg<br />

Telefon: 0171 8187870<br />

karlvitt@yahoo.de<br />

www.sic-<strong>in</strong>stitut.de<br />

√ DIABETES-MOBIL:<br />

COACHING FÜR ZUCKERKRANKE<br />

Im Rahmen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong> Jahr andauernden,<br />

<strong>in</strong>tensiven <strong>und</strong> systematischen Betreuung<br />

durch e<strong>in</strong>en Diabetes-Coach lernen<br />

an Diabetes erkrankte <strong>Patient</strong>en, ihre<br />

bisherigen Lebensgewohnheiten konsequent<br />

<strong>und</strong> langfr<strong>ist</strong>ig zu verändern. Die<br />

Zielvere<strong>in</strong>barungen werden dabei mit<br />

den <strong>Patient</strong>en geme<strong>in</strong>sam entwickelt.<br />

E<strong>in</strong> Buch mit e<strong>in</strong>em 40-Wochen-Programm<br />

unterstützt die Verhaltensmodifikation.<br />

Ziel <strong>ist</strong> es, zu zeigen, dass auch<br />

Menschen, die bereits an Typ-II-Diabetes<br />

leiden, im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Sek<strong>und</strong>ärprävention<br />

von e<strong>in</strong>er Änderung des Lebensstils<br />

profitieren können. E<strong>in</strong>e Untersuchung<br />

bestätigte bereits <strong>in</strong> den Jahren<br />

2006/2007 den Erfolg dieses therapiebegleitenden<br />

Angebots.<br />

Gabriele Faber-He<strong>in</strong>emann<br />

Prof. Dr. med. Lutz He<strong>in</strong>emann<br />

Geme<strong>in</strong>nützige Diabetes-MOBIL GmbH<br />

Kehler Straße 24, 40468 Düsseldorf<br />

Telefon: 0211 2926900<br />

gaby.he<strong>in</strong>emann@diabetes.mobil.de<br />

14 Spezial 5, 12. Jahrgang


√ CHAMP: INDIVIDUELLES<br />

GESUNDHEITS-COACHING<br />

Das <strong>in</strong>dividualisierte präventive Versorgungskonzept<br />

CHAMP wird seit 2007<br />

an der Berl<strong>in</strong>er Charité implementiert<br />

<strong>und</strong> evaluiert. Ziel des Ges<strong>und</strong>heitscoach<strong>in</strong>gs<br />

<strong>ist</strong> die nachhaltige Verbesserung<br />

des Ges<strong>und</strong>heitszustandes bei<br />

chronisch Kranken <strong>und</strong> Menschen mit<br />

hohem Erkrankungsrisiko. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividueller<br />

Ges<strong>und</strong>heitsplan mit kurz- <strong>und</strong><br />

langfr<strong>ist</strong>igen Zielen hilft beim Erreichen<br />

der geme<strong>in</strong>sam erarbeiteten Therapieziele.<br />

Während der gesamten Therapie<br />

wird der <strong>Patient</strong> immer wieder durch<br />

motivierende Gesprächsführung<br />

(Motivational Interview<strong>in</strong>g) dar<strong>in</strong> bestärkt,<br />

die eigenverantwortlich getroffenen<br />

Entscheidungen dauerhaft umzusetzen.<br />

Wenn e<strong>in</strong>e geplante randomisierte<br />

Studie die Wirksamkeit des<br />

Konzepts belegt, soll es rasch <strong>in</strong> die<br />

Regelversorgung überführt werden.<br />

E<strong>in</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramm für Ges<strong>und</strong>heitstra<strong>in</strong>er<br />

wird derzeit erprobt.<br />

Miriam Ortiz<br />

CHAMP-Ambulanz<br />

Luisenstraße 13, 10117 Berl<strong>in</strong><br />

Telefon: 030 450529234<br />

E-Mail: miriam.ortiz@charite.de<br />

www.champ-<strong>in</strong>fo.de<br />

√ ZURÜCK VOM MARS: PATIENTEN-<br />

INFORMATION PER JUGENDROMAN<br />

Neue Wege <strong>in</strong> der <strong>Patient</strong>en<strong>in</strong>formation<br />

beschreitet der Psychologe Gerd He<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem Epilepsiezentrum<br />

Berl<strong>in</strong>-Brandenburg: E<strong>in</strong> Jugendroman,<br />

dessen Hauptfigur an Epilepsie<br />

erkrankt, soll sowohl jungen Epileptikern<br />

als auch <strong>nicht</strong> erkrankten Altersgenossen<br />

Denkanstöße zur Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der Krankheit <strong>und</strong> der<br />

damit häufig verb<strong>und</strong>enen sozialen<br />

Stigmatisierung geben. Der Roman,<br />

der Anfang 2009 auf der Leipziger<br />

Buchmesse vorgestellt wurde, <strong>ist</strong> Teil<br />

e<strong>in</strong>es themenspezifischen Materialpakets,<br />

zu dem auch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teraktiver<br />

Ratgeber für Jugendliche <strong>und</strong> e<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Modulen aufgebauter Ges<strong>und</strong>heitskurs<br />

gehören. Das Konzept richtet sich an<br />

junge Erwachsene <strong>und</strong> soll die <strong>Adherence</strong><br />

<strong>in</strong> dieser schwierigen Alters- <strong>und</strong><br />

Entwicklungsstufe fördern, um zu ver-<br />

Spezial 5, 12. Jahrgang<br />

h<strong>in</strong>dern, dass sich e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipiell gut<br />

behandelbare Epilepsie zu e<strong>in</strong>er chronischen<br />

Erkrankung entwickelt.<br />

Gerd He<strong>in</strong>en, Dipl.-Psych.<br />

Psychotherapiepraxis am Epilepsiezentrum<br />

Berl<strong>in</strong>-Brandenburg<br />

Herzbergstraße 79, 10365 Berl<strong>in</strong><br />

Telefon: 030 54723034<br />

g.he<strong>in</strong>en@keh-berl<strong>in</strong>.de<br />

√ »MÜNCHNER MODELL«<br />

FÜR MEHR THERAPIETREUE<br />

Das Münchner Modell wurde mit dem<br />

Ziel gestartet, e<strong>in</strong> prax<strong>ist</strong>augliches,<br />

patientengerechtes <strong>und</strong> wirtschaftliches<br />

Programm zur Verbesserung der Therapietreue<br />

zu entwickeln. Gleichzeitig<br />

strebten die Initiatoren e<strong>in</strong>e Optimierung<br />

der Kommunikation zwischen den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Le<strong>ist</strong>ungsträgern an. E<strong>in</strong>e<br />

Schlüsselrolle <strong>in</strong> diesem Modellprojekt<br />

spielt e<strong>in</strong> <strong>Adherence</strong> Coach, der<br />

zunächst 400 <strong>Patient</strong>en mit psychiatrischen<br />

Erkrankungen im Großraum<br />

München therapieunterstützend<br />

begleitete. Diese Zielgruppe wurde<br />

ausgewählt, weil hier Therapietreue<br />

besonders wichtig, aber auch besonders<br />

schwierig <strong>ist</strong>. Das nach Paragraf<br />

140 SGB anschubf<strong>in</strong>anzierte »Münchner<br />

Modell« wird aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er guten<br />

Ergebnisse künftig <strong>in</strong> 40 weiteren<br />

Regionen umgesetzt <strong>und</strong> soll auch auf<br />

weitere Krankheitsbilder ausgedehnt<br />

werden.<br />

Dr. med. Werner Kissl<strong>in</strong>g<br />

Centrum für Disease Management<br />

Kl<strong>in</strong>ik <strong>und</strong> Polikl<strong>in</strong>ik für Psychiatrie<br />

<strong>und</strong> Psychotherapie<br />

Technische Universität München<br />

Möhlstraße 26, 81675 München<br />

Telefon: 089 41404207<br />

w.kissl<strong>in</strong>g@lrz.tum.de<br />

√ EPIVISTA: ELEKTRONISCHER<br />

BEHANDLUNGSKALENDER<br />

Das Norddeutsche Epilepsiezentrum <strong>in</strong><br />

Raisdorf, das auf die Behandlung therapieschwieriger<br />

Epilepsien bei K<strong>in</strong>dern<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen spezialisiert <strong>ist</strong>, stellt<br />

se<strong>in</strong>en <strong>Patient</strong>en <strong>und</strong> deren Familien<br />

e<strong>in</strong>en elektronischen Kalender zur Doku-<br />

mentation des Anfallsgeschehens zur<br />

Verfügung. Dieser arbeitet auf der Basis<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternetbasierten Kommunikations-<br />

<strong>und</strong> Dokumentationsplattform, die<br />

alle an der Behandlung Beteiligten mite<strong>in</strong>ander<br />

verb<strong>in</strong>det. Verlaufsdiagramme<br />

veranschaulichen den E<strong>in</strong>fluss der<br />

Behandlung auf die Anfälle. Erste Auswertungen<br />

deuten darauf h<strong>in</strong>, dass das<br />

neue Medium die Motivation der Beteiligten,<br />

den Krankheitsverlauf zu dokumentieren<br />

<strong>und</strong> aktiv an der Therapie<br />

mitzuwirken, stärkt.<br />

Norddeutsches Epilepsiezentrum<br />

für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche<br />

Henry-Dunant-Straße 6–10<br />

24223 Schwent<strong>in</strong>ental/Raisdorf<br />

Telefon: 04307 909201<br />

www.drk-epilepsiezentrum.de<br />

√ GUT INFORMIERT ZUM ARZT –<br />

DER TK-PATIENTENDIALOG<br />

Seit 2006 erprobt die Universität<br />

Freiburg geme<strong>in</strong>sam mit der Techniker-<br />

Krankenkasse e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teraktives Informationssystem<br />

für <strong>Patient</strong>en. Das System,<br />

das über die homepage der Krankenkasse<br />

zugänglich <strong>ist</strong>, <strong>in</strong>formiert die<br />

<strong>Patient</strong>en <strong>in</strong> verständlicher Weise über<br />

evidenzbasierte Behandlungsoptionen<br />

bei akuten Kreuzschmerzen oder<br />

Depression. Es soll zum e<strong>in</strong>en der<br />

Vorbereitung des <strong>Arzt</strong>besuches <strong>und</strong> der<br />

Therapieentscheidung dienen <strong>und</strong> zum<br />

anderen den <strong>Patient</strong>en zu real<strong>ist</strong>ischen<br />

Erwartungen bezüglich Wirksamkeit,<br />

Verträglichkeit <strong>und</strong> Nützen verschiedener<br />

Therapien verhelfen. Monatlich<br />

nutzen r<strong>und</strong> 1500 Versicherte diesen<br />

Service. Aufgr<strong>und</strong> der positiven Resonanz<br />

<strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e Ausweitung auf die<br />

Themen »chronische Kreuzschmerzen«<br />

<strong>und</strong> »Diabetes Typ II« geplant.<br />

Daniela Simon, Dipl. Psych.<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Mart<strong>in</strong> Härter<br />

Universitätskl<strong>in</strong>ikum Freiburg<br />

Abteilung Psychiatrie <strong>und</strong><br />

Psychotherapie<br />

Sektion Kl<strong>in</strong>ische Epidemiologie <strong>und</strong><br />

Versorgungsforschung<br />

Hauptstraße 5, 79104 Freiburg<br />

Telefon: 0761 2909533<br />

daniela.simon@unikl<strong>in</strong>ik-freiburg.de<br />

15


AUF EINEN BLICK<br />

EIN FORUM FÜR ERFOLGSMODELLE<br />

Mediz<strong>in</strong> auf neuen Wegen<br />

Der Berl<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitspreis <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Initiative des AOK-B<strong>und</strong>esverbandes, der<br />

Ärztekammer Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> der AOK Berl<strong>in</strong>. Ausgezeichnet werden <strong>in</strong>novative Modelle, mit denen die<br />

Qualität <strong>und</strong> Wirtschaftlichkeit der ges<strong>und</strong>heitlichen Versorgung verbessert werden können.<br />

■ 1995<br />

DER MENSCH<br />

IST UNSER MAß<br />

Ausgezeichnet wurden Ideen für e<strong>in</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem, das menschlich<br />

handelt, aber dabei wirtschaftlich<br />

funktioniert.<br />

■ 2002<br />

QUALITÄTSOFFENSIVE<br />

IN MEDIZIN UND PFLEGE<br />

Um das brisante Thema »Behandlungsfehler«<br />

g<strong>in</strong>g es 2002. Gesucht<br />

wurden <strong>in</strong>novative Ansätze für e<strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>isches<br />

Risikomanagement.<br />

Mehr Informationen unter www.berl<strong>in</strong>er-ges<strong>und</strong>heitspreis.de<br />

Spezial <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e Verlagsbeilage von G+G<br />

Impressum: Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />

Rosenthaler Straße 31, 10178 Berl<strong>in</strong><br />

■ 1998<br />

GESUNDHEITSZIELE – STRATEGIEN<br />

FÜR EINE BESSERE GESUNDHEIT<br />

Ges<strong>und</strong>heitsziele <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e klare Ergebnisorientierung<br />

verbessern sowohl<br />

die Qualität als auch die Wirtschaftlichkeit<br />

von Behandlungen.<br />

■ 2004<br />

HAUSARZTMEDIZIN DER ZUKUNFT –<br />

WEGE ZUR INNOVATIVEN VERSOR-<br />

GUNGSPRAXIS<br />

Prämiert wurden zukunftsweisende<br />

Projekte, die die zentrale Rolle der<br />

Hausärzte <strong>in</strong> der Versorgung stärken.<br />

Redaktion: Dr. Silke Heller-Jung,<br />

Bett<strong>in</strong>a Nellen (KomPart-Verlag)<br />

Grafik: Kerst<strong>in</strong> Conradi (KomPart-Verlag)<br />

Verantwortlich: Erw<strong>in</strong> Dehl<strong>in</strong>ger,<br />

Monika Schneider (AOK-B<strong>und</strong>esverband)<br />

Stand: April 2009<br />

■ 2000<br />

ALTER UND GESUNDHEIT –<br />

MEHR QUALITÄT DURCH VERNETZTE<br />

VERSORGUNG<br />

Der demografischen Wandel erfordert<br />

Modelle e<strong>in</strong>er vernetzten Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<br />

für alte Menschen.<br />

■ 2006<br />

IM HOHEN ALTER ZU HAUSE LEBEN<br />

Wie die mediz<strong>in</strong>ische Betreuung alter<br />

Menschen im häuslichen Umfeld gel<strong>in</strong>gt<br />

<strong>und</strong> wie dies die Lebensqualität<br />

der <strong>Patient</strong>en steigert, zeigen die ausgezeichneten<br />

Projekte e<strong>in</strong>drucksvoll.

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