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8 - Entwicklungsraum Billstedt-Horn, Hamburg

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DIE „JutE“: ARBEItSStättE<br />

füR 1.500 mEnSchEn<br />

Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich Schiffbek zum Industriestandort.<br />

Allein die Jute-Spinnerei verfügte über 304 Webstühle.<br />

1883/84 wurde Schiffbek auf einen Schlag zum Fabrikort. In diesen Jahren errichtete<br />

die in <strong>Hamburg</strong> ansässige „Norddeutsche Jute-Spinnerei und Weberei<br />

A.G.“ am Ufer der Bille einen Großbetrieb für die Verarbeitung von Jute. In einer<br />

zeitgenössischen Publikation wird das Werk wie folgt beschrieben: „Die Bauten<br />

sind durchweg nur eingeschossig, die großen Säle der Spinnerei und Weberei<br />

mit Sheddächern, das Kesselhaus, die Appretur und der Batschraum mit Bogendächern<br />

aus Holzlatten. Die Fußböden sind aus schweren Sandsteinplatten<br />

hergestellt. Vier Galloway-Kessel zu je 120 Quadratmeter Heizfläche und ein<br />

Economiser, Betriebsmaschine von 800 Pferdekräften mit Haftseiltransmission.<br />

Schornstein 50 Meter hoch, 1,75 Meter Durchmesser. Dampfheizung in allen<br />

Räumen, Beleuchtung theils durch Oelgas, theils elektrisch.“<br />

Zu Beginn wurde der Betrieb mit 500 Arbeitskräften aufgenommen, 1890 waren<br />

es bereits 1150, bald noch der Wende zum 20. Jahrhundert mehr als 1500. Ein<br />

Großteil der Belegschaft waren Frauen und Jugendliche. Zum einen verfügten<br />

sie häufig über eine größere Fingergeschicklichkeit, die bei der Bedienung der<br />

Spinn- und Webmaschinen von Vorteil war. Zum anderen waren sie ausgesprochen<br />

günstige Arbeitskräfte. Gut lässt sich das an einem Tarif vom Ende des<br />

Jahres 1923 ablesen: Handwerker 36 Pfennige pro Stunde, Männer 30 Pfennige,<br />

Frauen 17 Pfennige und Jugendliche 6 Pfennige. Nachdem die wöchentliche<br />

Arbeitszeit noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei 60 Stunden gelegen hatte,<br />

sank sie in den 20er Jahren auf 48 Stunden.<br />

1890 verfügte das Werk über 5600 Spindeln, 304 Webstühle und 75 Dampfnähmaschinen.<br />

Im Vollbetrieb produzierte es zu dieser Zeit etwa 30.000 Säcke,<br />

40-45.000 Meter Gewebe und 22-25.000 Kilogramm Garn am Tag.<br />

Für die Arbeitskräfte errichtete die Jute eine große Arbeiterkolonie<br />

Die Jute konnte ihre Belegschaft zu Beginn unmöglich aus Schiffbek selbst re-<br />

<strong>Entwicklungsraum</strong> BillstEdt i <strong>Horn</strong><br />

krutieren. 1880 zählte der gesamte Ort nur 980 Einwohner. Deshalb engagierte<br />

man Agenten, die vor allem in Osteuropa, insbesondere in polnischen, tschechischen<br />

und ungarischen Gebieten, junge Leute anwarben. Unter anderem<br />

begründeten diese Zuwanderer die noch heute große katholische Gemeinde<br />

Schiffbeks. Waren es 1885 erst drei Familien, so machte sie 1910 mit 3262<br />

Personen etwa ein Drittel der gesamten Bevölkerung des Ortes aus.<br />

Zur Unterbringung der Arbeitskräfte errichtete die Jute eine große Arbeiterkolonie.<br />

Neben zahlreichen Arbeiterwohnungen gehörte zu ihr auch ein großes<br />

zweigeschossiges Gebäude. Es diente als Kindergarten und Warteschule und<br />

zielte darauf, die Frauen ein Stück weit von ihren familiären Pflichten zu entbinden<br />

und als Arbeitskräfte zu gewinnen.<br />

Die Jute galt zwar als recht sozialer Arbeitgeber, doch auch hier gab es immer<br />

wieder Arbeitskämpfe. Besonders lange dauerte ein Streik im Sommer 1911:<br />

Damals ruhte der gesamte Betrieb für mehr als sieben Wochen.<br />

Bereits nach dem ersten Weltkrieg litt das Werk unter der Konkurrenz durch<br />

neue Fabriken, die in Indien, einem der Hauptanbaugebiete der Jute, entstanden<br />

waren. Daran änderte auch die Fusion mit mehreren anderen Betrieben im Jahr<br />

1923 nur wenig. Nach Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs baute<br />

man die Anlagen 1952 noch einmal auf. Doch schon sechs Jahre später schloss<br />

das Werk für immer seine Tore.<br />

1958 schloss die Jutespinnerei und -weberei endgültig ihre Tore<br />

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