Konferenzbericht (PDF-Dokument, 3 MB) - SID
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Wissen wandert wicklung“ so zusammenzuführen, dass die Menschheit im Sinne von Sustainability überlebens- und zukunftsfä- hig bleibt. Wenn ich vor dem Hintergrund dieser Leitbilder die Berliner Situation skizziere, dann haben wir in Berlin sicher eine starke Basis wissenschaftlicher Wissens- grundlagen und Wissensproduktion. Ein paar Zahlen, die in der Kürze nur Splitter des Gesamtbildes sein können, sollen das belegen: Wir haben drei Universitä- ten, die Humboldt Universität, die Freie Universität und die Technische Universität und eine wie ich immer gern sage, Möchtegern-Universität, die UdK, früher HdK, die Hochschule der Künste. Darüber hinaus gibt es noch 18 weitere Hochschulen. Das ist der Bereich, der insbeson- dere die Verbindung von Forschung, Lehre und Dienst- leistungen repräsentiert. Der zweite Bereich, der mindestens genauso stark in Berlin vertreten ist und wahrscheinlich in der internatio- nalen Wissenschaftsentwicklung heute eine weitaus größere Rolle spielt, das sind die über 500 Forschungs- institute und wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt. Dazu gehören die bekannten Institute der großen For- schungseinrichtungen der Leibniz-, Helmholtz-, Fraun- hofer- und Max-Planck-Gesellschaft. Es gehören aber auch viele wichtige kleine und mittlere Institute dazu, die höchst innovativ sind und die zum Teil gar nicht im re- gionalen Bereich eine so große Rolle spielen, aber international häufig eine weit größere Bedeutung haben als manche Universitäts-Institute. Und es gehören auch die wissenschaftlichen Einrichtun- gen der zahlreichen Bibliotheken, der Sammlungen, Dokumentationseinrichtungen und der Museen dazu. Das Weltkulturerbe, die Berliner Museumsinsel, ist ja nur die Spitze einer breiten wissenschaftlichen Kultur- und Museumslandschaft. In Berlin gibt es auch eine große Anzahl wissenschaftli- cher Netzpartnerschaften, insgesamt wurden 460 trag- fähige Partnerschaften ausgemacht. Viele kleine wis- 82 knowledge migrates senschaftliche Netzwerke sind hier noch gar nicht mit- gezählt. Die Universitäten hatten schon immer ein hohes Poten- tial an ausländischen Studierenden. Die HU und die FU haben etwa 12 %, die TU 18 % Anteil ausländischer Studenten und Studentinnen. Die Fachhochschulen haben besonders hohe Quoten afrikanischer und asiati- scher Studierender. Diese wenigen Quantitäten vorausgesetzt, kann man durchaus sagen, dass Berlin eine Stadt der Wissen- schaft ist. Aber Herr Strauch hat zu Recht die Frage gestellt: „Sind wir auch eine Stadt der Wissensvorsprün- ge?“ Da ich hier nicht nur Propaganda für Berlin machen möchte, sollen auch die Defizite aufgezeigt werden. Die Defizite knüpfen vor allem dort an, wo Frau Süß- muth in ihrem Beitrag gefordert hat: Im Rahmen der Bildung, Ausbildung, Qualifizierung und Weiterqualifizie- rung - vom Kindergarten über die Schulen, die Berufs- schulen bis zu den Universitäten - brauchen wir ange- sichts der Globalisierung, des rasanten Strukturwandels und der Informationsfluten mehr Orientierungs- und besseres Handlungswissen. In einer Welt der kulturellen Vielfalt brauchen wir eine hochqualifizierte Bildung aller Menschen, die neben dem grundlegend notwendigen Fachwissen auch vernetztes Wissen, Praxis- und Hand- lungswissen sowie Schlüsselqualifikationen für die Nut- zung neuer Technologien vermittelt. Darüber hinaus sind immer mehr auch soziale Kompetenz, Sprachen und kulturelle Kompetenz für andere Länder und Regionen, Religionen und Mentalitäten unabdingbare Bildungsin- halte. Wir stehen hier in Berlin, wie auch in vielen ande- ren Regionen, vor der wichtigen Aufgabe, wie wir diese Kompetenzen in unsere Wissenschafts- und Ausbil- dungsbereiche am besten integrieren können. Noch sind wir diesbezüglich viel zu unflexibel und es wird in der Regel viel zu wenig global und vernetzt gedacht und gehandelt. Typisch dafür sind die Ausbildungsgänge in den Ingenieur- und Naturwissenschaften, die weithin
Wissen wandert noch in relativ schmalen Fachgebieten verhaftet sind. Das hat an der TU Berlin dazu geführt, dass nach einer Phase der Kooperation zwischen den Disziplinen nun- mehr wieder eine Phase der Vernachlässigung der So- zial- und Geisteswissenschaften eingesetzt hat, anstatt die Disziplinen weiter zu vernetzen. So stellt man leider fest, dass hinter den Beschwörungen zur Interdisziplina- rität, Multi- und Transdisziplinarität in der Realität wenig Substantielles zu finden ist. Mit ihren Zielstellungen und Inhalten sind zahlreiche Disziplinen noch weit von der Notwendigkeit entfernt, das Leitbild der nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklung wissenschaftlich und wissenschaftsorganisatorisch auf- zunehmen. Das sieht in einigen zukunftsorientierten außeruniversitären Forschungs- und Entwicklungsein- richtungen zum Glück besser aus, die hier eine Vorrei- ter- und Führungsrolle eingenommen haben. Nicht nur Politik und Wirtschaft, auch zahlreiche relevan- te Wissenschaftseinrichtungen – an vorderster Stelle die wirtschaftswissenschaftlichen Institute – hängen noch immer dem Ziel „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ an und versprechen, dann alle weiteren sozialen, ökologi- schen und kulturellen Probleme zu lösen. Prof. Dr. Rolf Kreibich Der Mainstream in den Wirtschaftswissenschaften glaubt immer noch, dass allein über wissenschaftlich- technologische Grundlagen die ökonomischen Weichen in die richtige Richtung, das heißt in Richtung wirtschaft- liches Wachstum, gestellt werden können, woraus dann mehr oder weniger automatisch eine Verbesserung der knowledge migrates Lebensqualität resultiert. Wie sehr diese Vorstellung in die Irre weist, beweisen die Entwicklungen der Lebens- qualitäts-Indizes von UNO und Weltbank. Bei mehr als 145 bzw. 132 Indikatoren kommen beide Indizes zu dem Ergebnis, dass die Lebensqualität in den meisten Län- dern, insbesondere den Industrieländern, seit etwa Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts abnimmt – trotz permanenten Wirtschaftswachstums, das wir im Durchschnitt in allen Ländern hatten. Was ist das für eine Entwicklungslogik, wenn trotz anhaltenden Wirt- schaftswachstums die Lebensqualität für die Menschen abnimmt? Und weil das so ist müssen unsere wissenschaftlichen Einrichtungen mit ihren Arbeiten und Ergebnissen viel stärker auf die heute dringendsten Fragen der Weltent- wicklung hinzielen, und zwar auf Fragen und Lösungen, die die Zerstörung der Biosphäre und der natürlichen Lebensgrundlagen verhindern. Da geht es um die Ursa- chen und Folgen des Klimawandels, um die Verbesse- rung der Ressourceneffizienz und die Erhaltung der biologischen Vielfalt – wir haben im Mai die große Kon- ferenz zur Biodiversität in Bonn. Wenn wir jeden Tag 100 bis 200 Tier- und Pflanzenarten vernichten, dann müssen wir uns unverzüglich und nachhaltig dieser katastrophalen Entwicklung stellen. Wenn wir jeden Tag 63.000 Fußballfelder tropischen Regenwald abholzen, dann ist das ein ganz entscheidendes Problem dieser Welt und der Wissenschaft. Wir vernichten damit ja nicht nur unsere Sauerstoffproduktionsquelle, sondern auch unsere wichtigste CO2-Rückbildungsmaschine. Wir sind dabei, die Ressourcen unserer Erde in einer scham- losen Weise auszubeuten und dadurch unsere Lebens- und Produktionsgrundlagen zu vernichten. Deshalb müssen sich - und das wollte ich nur andeuten - unsere wissenschaftlichen Einrichtungen sehr viel stärker die- sen Themen stellen, d.h. den Problemen Ressourcenef- fizienz, Ressourceneinsparung, Kreislaufwirtschaft und neue Material- und Produktentwicklung im Sinne biologi- scher und ökologischer Verträglichkeit. Das findet nach 83
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fest, dass hinter den Beschwörungen zur Interdisziplina-<br />
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Mit ihren Zielstellungen und Inhalten sind zahlreiche<br />
Disziplinen noch weit von der Notwendigkeit entfernt,<br />
das Leitbild der nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklung<br />
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richtungen zum Glück besser aus, die hier eine Vorrei-<br />
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Nicht nur Politik und Wirtschaft, auch zahlreiche relevan-<br />
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wirtschaftswissenschaftlichen Institute – hängen noch<br />
immer dem Ziel „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ an<br />
und versprechen, dann alle weiteren sozialen, ökologi-<br />
schen und kulturellen Probleme zu lösen.<br />
Prof. Dr. Rolf Kreibich<br />
Der Mainstream in den Wirtschaftswissenschaften<br />
glaubt immer noch, dass allein über wissenschaftlich-<br />
technologische Grundlagen die ökonomischen Weichen<br />
in die richtige Richtung, das heißt in Richtung wirtschaft-<br />
liches Wachstum, gestellt werden können, woraus dann<br />
mehr oder weniger automatisch eine Verbesserung der<br />
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Lebensqualität resultiert. Wie sehr diese Vorstellung in<br />
die Irre weist, beweisen die Entwicklungen der Lebens-<br />
qualitäts-Indizes von UNO und Weltbank. Bei mehr als<br />
145 bzw. 132 Indikatoren kommen beide Indizes zu dem<br />
Ergebnis, dass die Lebensqualität in den meisten Län-<br />
dern, insbesondere den Industrieländern, seit etwa Mitte<br />
der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts abnimmt –<br />
trotz permanenten Wirtschaftswachstums, das wir im<br />
Durchschnitt in allen Ländern hatten. Was ist das für<br />
eine Entwicklungslogik, wenn trotz anhaltenden Wirt-<br />
schaftswachstums die Lebensqualität für die Menschen<br />
abnimmt?<br />
Und weil das so ist müssen unsere wissenschaftlichen<br />
Einrichtungen mit ihren Arbeiten und Ergebnissen viel<br />
stärker auf die heute dringendsten Fragen der Weltent-<br />
wicklung hinzielen, und zwar auf Fragen und Lösungen,<br />
die die Zerstörung der Biosphäre und der natürlichen<br />
Lebensgrundlagen verhindern. Da geht es um die Ursa-<br />
chen und Folgen des Klimawandels, um die Verbesse-<br />
rung der Ressourceneffizienz und die Erhaltung der<br />
biologischen Vielfalt – wir haben im Mai die große Kon-<br />
ferenz zur Biodiversität in Bonn. Wenn wir jeden Tag<br />
100 bis 200 Tier- und Pflanzenarten vernichten, dann<br />
müssen wir uns unverzüglich und nachhaltig dieser<br />
katastrophalen Entwicklung stellen. Wenn wir jeden Tag<br />
63.000 Fußballfelder tropischen Regenwald abholzen,<br />
dann ist das ein ganz entscheidendes Problem dieser<br />
Welt und der Wissenschaft. Wir vernichten damit ja nicht<br />
nur unsere Sauerstoffproduktionsquelle, sondern auch<br />
unsere wichtigste CO2-Rückbildungsmaschine. Wir sind<br />
dabei, die Ressourcen unserer Erde in einer scham-<br />
losen Weise auszubeuten und dadurch unsere Lebens-<br />
und Produktionsgrundlagen zu vernichten. Deshalb<br />
müssen sich - und das wollte ich nur andeuten - unsere<br />
wissenschaftlichen Einrichtungen sehr viel stärker die-<br />
sen Themen stellen, d.h. den Problemen Ressourcenef-<br />
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neue Material- und Produktentwicklung im Sinne biologi-<br />
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