Konferenzbericht (PDF-Dokument, 3 MB) - SID

Konferenzbericht (PDF-Dokument, 3 MB) - SID Konferenzbericht (PDF-Dokument, 3 MB) - SID

05.01.2013 Aufrufe

Wissen wandert anspruchsvolle Medien und Forschungsinstitutionen pflegen dieses Vorurteil. Wenn selbst das renommierte Handelsblatt unter Berufung auf das Institut der Deut- schen Wirtschaft berichtet, dass die Arbeitslosenquote unter Ausländern doppelt so hoch ist wie unter Deut- schen, dann zeigt dies, wie undifferenziert diese Nega- tivdiskussion inzwischen geführt wird. Denn selbstver- ständlich kann man die Arbeitslosenquote der Ausländer in Deutschland genauso wenig mit der der deutschen Bevölkerung vergleichen wie die Arbeitslosenquote von Gelsenkirchen mit der von Freising. Die Zuwanderung in Deutschland hat in ungelernte Industriearbeiterpositio- nen stattgefunden. Vergleichbar wären also nur die Arbeitslosenquoten in diesem speziellen Segment der Wirtschaft (dazu reicht nicht eine Arbeitslosenstatistik nach Bildungsabschlüssen, weil diese auch die ländliche Bevölkerung mit einschließt). Das Handelsblatt hätte sich besser einmal auf die Suche nach einer solchen wirklich aussagekräftigen Statistik machen sollen. Und hätte sich dann Gedanken machen sollen, warum sie eine solche nicht findet. Es war die private Hertie-Stiftung, die mit dem START- Programm, das besonders erfolgreiche Schüler und Studenten mit Migrationshintergrund ideell und finanziell fördert, zum ersten Mal eindrucksvoll auf die Potentiale junger Migranten in der Ausbildung hingewiesen hat. Dieses Beispiel hat noch viel zu wenig Nachahmer ge- funden. Warum befasst sich die Society for International Deve- lopment, eine Vereinigung, die sich normalerweise mit Fragen der Entwicklungspolitik befasst, mit dieser Fra- gestellung? Warum hat Frau Prof. Fahrenhorst Vertreter deutscher und internationaler Entwicklungsorganisatio- nen und Vertreter afrikanischer NGOs gebeten, zu ei- nem solchen Thema zu sprechen? Was haben diese zu berichten, was auch in Berlin von Interesse sein könnte? Ich vermute, dass dies daran liegt, dass gerade in der Entwicklungspolitik in den letzten Jahren beobachtet werden konnte, wie ein Prozess der Umorientierung von 14 knowledge migrates den Defiziten der Migration zu den mit ihr verbundenen Potentialen stattgefunden hat. Angefangen hat dies mit einigen der wirtschaftlich besonders erfolgreichen Län- der, wie China und Indien. Sie haben schon vor gerau- mer Zeit in der Frage, wie sie mit der massenhaften Auswanderung ihrer hochqualifizierten Fachkräfte um- gehen sollen, eine erstaunliche Kehrtwendung gemacht. Während in der westlichen Entwicklungsszene in den immer gleichen Konferenzen über den Brain Drain ge- klagt wurde und völlig unrealistische und deswegen auch erfolglose Kompensationsforderungen berechnet wurden, haben Chinesen und Inder aus dem angebli- chen Problem kurzerhand ein Potential gemacht. Sie haben alles in die Wege geleitet, dieses Potential so gut als möglich zu nutzen. Natürlich waren die in die USA ausgewanderten ca. 500000 indischen IT-Experten zunächst ein großer Verlust von Personalressourcen. Aber zugleich waren sie auch die entscheidende Res- source für den Aufbau einer indischen IT-Wirtschaft. Und ein großer Teil der Direktinvestitionen in China ging auf das Konto der Auslandschinesen. Indern und Chine- sen und inzwischen auch anderen Ländern ist es gelun- gen, aus einer im Ergebnis unfruchtbaren Problemdis- kussion auszusteigen und damit aus einem halb leeren Wasserglas ein halb volles zu machen. v.l.n.r.: Volkmar Strauch, Dieter Ernst, Prof. Rita Süssmuth, Dr. Hans Werner Mundt, Günter Piening In der deutschen EZ haben wir im Jahre 2003 damit begonnen, uns nach den speziellen Potentialen der Migranten in Deutschland für die EZ umzuschauen. Im gleichen Jahr wies die Weltbank zum ersten Mal auf die

Wissen wandert Bedeutung der Rücküberweisungen hin. Von den Poten- tialen war bis zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt. Inzwi- schen wissen wir schon eine Menge mehr über sie und haben in einem Pilotprogramm erste Erfahrungen mit einer konkreten Vernetzung der EZ mit Aktivitäten von Diasporagruppen in Deutschland gewonnen. Wir werden im Laufe dieser Veranstaltung an anderer Stelle noch mehr von diesem Projekt hören. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass die meisten dieser Potentiale aus den transnationalen Aktivitäten der Migranten herrühren, also den Aktivitäten, die eine Brückenfunktion zwischen Herkunfts- und Aufnahmeländern haben. Voraussetzung für dieses Potential ist eine wie auch immer geartete fortbestehende Bindung an das Herkunftsland mit den daraus resultierenden sprachlichen und sozialen Kom- petenzen. Das bemerkenswerte an diesem Befund ist, dass gerade diese Potentiale bei einer vollständigen Assimilation verloren gehen. Könnte es also sein, dass diejenigen, die Integration sagen, aber eigentlich Assimi- lation meinen, die Bedeutung fortbestehender kultureller Bindungen von Migranten und der daraus resultierenden transnationalen Netzwerke in einer globalisierten Welt nicht so ganz verstanden haben? Zwei illustrative Beispiele aus dem Bereich der interna- tionalen Zusammenarbeit möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen. Denken Sie an Afghanistan. Täglich lesen wir über das westliche und speziell deutsche mili- tärische Engagement und über die Entwicklungshilfe, die zur Stabilisierung dieses Landes aufgewendet werden. Aber wo liest man über die Leistungen der afghanischen Migranten? Wo sind die Statistiken der Rücküberwei- sungen aus Deutschland, die Berichte über dank kollek- tiver Anstrengungen der afghanischen Diaspora wieder aufgebaute Schulen, wiederhergestellte Wasser- und Energieversorgungen usw.? Sicher, das militärische Engagement mag zur Wiederherstellung der Sicherheit notwendig sein, aber davon wird noch keine afghanische Familie satt. Es war die unmittelbare Hilfe der afghani- schen Migranten an ihre Familien und ihre Heimatge- meinden, die den größten und schnellsten Beitrag zur knowledge migrates Linderung der Not und damit zur Stabilisierung des Landes geleistet haben. Warum berichten die deutschen Zeitungen, die so regelmäßig über die militärischen Aktivitäten und deren Bedeutung für den Frieden in diesem Teil der Welt schreiben, über diese Leistungen der Migranten, sehr viele von ihnen in Deutschland, nicht? Stattdessen lesen wir von afghanischen illegalen Einwanderern, Drogenhändlern und Abschiebungen. Gerade in Deutschland sollten wir wissen, wohin eine solche verzerrte Berichterstattung führen kann. Das zweite Beispiel ist Bosnien. Einen großen Teil der Nothilfe hätte sich die Bundesregierung sparen können, wenn sie den 300 000 Asylanten während des Bürger- krieges erlaubt hätte zu arbeiten. Der Rest wäre über die Steuern, die sie dann gezahlt hätten, reingekommen. Aber damals sprach noch nicht einmal die Weltbank über die Rücküberweisungen als eine der größten ex- ternen Quellen der Entwicklungsfinanzierung. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit war es ein langer Weg, diese Potentiale zu erkennen, und es wird noch länger dauern, bis sie wirklich genutzt werden. Aber es ist schon einiges auf den Weg gebracht worden. Ich habe mir diesen Exkurs in die EZ erlaubt, um an ihm den Prozess der Umorientierung von den Defiziten zu den Potentialen zu verdeutlichen. Vielleicht kann die Innenpolitik in diesem Fall einmal von der Entwicklungs- politik lernen. Mein Wunsch an diese Veranstaltung ist es jedenfalls, dass sie in Berlin, wo diese Umorientierung auf die Po- tentiale schon ein wenig begonnen hat, ein Signal für eine solche Umorientierung geben kann. In diesem Sinne freue ich mich auf die Veranstaltung und wünsche uns Allen zwei spannende Tage. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 15

Wissen wandert<br />

anspruchsvolle Medien und Forschungsinstitutionen<br />

pflegen dieses Vorurteil. Wenn selbst das renommierte<br />

Handelsblatt unter Berufung auf das Institut der Deut-<br />

schen Wirtschaft berichtet, dass die Arbeitslosenquote<br />

unter Ausländern doppelt so hoch ist wie unter Deut-<br />

schen, dann zeigt dies, wie undifferenziert diese Nega-<br />

tivdiskussion inzwischen geführt wird. Denn selbstver-<br />

ständlich kann man die Arbeitslosenquote der Ausländer<br />

in Deutschland genauso wenig mit der der deutschen<br />

Bevölkerung vergleichen wie die Arbeitslosenquote von<br />

Gelsenkirchen mit der von Freising. Die Zuwanderung in<br />

Deutschland hat in ungelernte Industriearbeiterpositio-<br />

nen stattgefunden. Vergleichbar wären also nur die<br />

Arbeitslosenquoten in diesem speziellen Segment der<br />

Wirtschaft (dazu reicht nicht eine Arbeitslosenstatistik<br />

nach Bildungsabschlüssen, weil diese auch die ländliche<br />

Bevölkerung mit einschließt). Das Handelsblatt hätte<br />

sich besser einmal auf die Suche nach einer solchen<br />

wirklich aussagekräftigen Statistik machen sollen. Und<br />

hätte sich dann Gedanken machen sollen, warum sie<br />

eine solche nicht findet.<br />

Es war die private Hertie-Stiftung, die mit dem START-<br />

Programm, das besonders erfolgreiche Schüler und<br />

Studenten mit Migrationshintergrund ideell und finanziell<br />

fördert, zum ersten Mal eindrucksvoll auf die Potentiale<br />

junger Migranten in der Ausbildung hingewiesen hat.<br />

Dieses Beispiel hat noch viel zu wenig Nachahmer ge-<br />

funden.<br />

Warum befasst sich die Society for International Deve-<br />

lopment, eine Vereinigung, die sich normalerweise mit<br />

Fragen der Entwicklungspolitik befasst, mit dieser Fra-<br />

gestellung? Warum hat Frau Prof. Fahrenhorst Vertreter<br />

deutscher und internationaler Entwicklungsorganisatio-<br />

nen und Vertreter afrikanischer NGOs gebeten, zu ei-<br />

nem solchen Thema zu sprechen? Was haben diese zu<br />

berichten, was auch in Berlin von Interesse sein könnte?<br />

Ich vermute, dass dies daran liegt, dass gerade in der<br />

Entwicklungspolitik in den letzten Jahren beobachtet<br />

werden konnte, wie ein Prozess der Umorientierung von<br />

14<br />

knowledge migrates<br />

den Defiziten der Migration zu den mit ihr verbundenen<br />

Potentialen stattgefunden hat. Angefangen hat dies mit<br />

einigen der wirtschaftlich besonders erfolgreichen Län-<br />

der, wie China und Indien. Sie haben schon vor gerau-<br />

mer Zeit in der Frage, wie sie mit der massenhaften<br />

Auswanderung ihrer hochqualifizierten Fachkräfte um-<br />

gehen sollen, eine erstaunliche Kehrtwendung gemacht.<br />

Während in der westlichen Entwicklungsszene in den<br />

immer gleichen Konferenzen über den Brain Drain ge-<br />

klagt wurde und völlig unrealistische und deswegen<br />

auch erfolglose Kompensationsforderungen berechnet<br />

wurden, haben Chinesen und Inder aus dem angebli-<br />

chen Problem kurzerhand ein Potential gemacht. Sie<br />

haben alles in die Wege geleitet, dieses Potential so gut<br />

als möglich zu nutzen. Natürlich waren die in die USA<br />

ausgewanderten ca. 500000 indischen IT-Experten<br />

zunächst ein großer Verlust von Personalressourcen.<br />

Aber zugleich waren sie auch die entscheidende Res-<br />

source für den Aufbau einer indischen IT-Wirtschaft.<br />

Und ein großer Teil der Direktinvestitionen in China ging<br />

auf das Konto der Auslandschinesen. Indern und Chine-<br />

sen und inzwischen auch anderen Ländern ist es gelun-<br />

gen, aus einer im Ergebnis unfruchtbaren Problemdis-<br />

kussion auszusteigen und damit aus einem halb leeren<br />

Wasserglas ein halb volles zu machen.<br />

v.l.n.r.: Volkmar Strauch, Dieter Ernst, Prof. Rita Süssmuth, Dr. Hans<br />

Werner Mundt, Günter Piening<br />

In der deutschen EZ haben wir im Jahre 2003 damit<br />

begonnen, uns nach den speziellen Potentialen der<br />

Migranten in Deutschland für die EZ umzuschauen. Im<br />

gleichen Jahr wies die Weltbank zum ersten Mal auf die

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!