05.01.2013 Aufrufe

Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

492 Wolf gang Maiers<br />

ziell die stagnative Lebenspraxis in die revolutionäre, „kämpferische"<br />

Praxis zu überführen und voraussetzungs- wie folgemäßig die<br />

Erkenntnisweise, die Struktur der Gefühle, Einstellungen und Antriebe<br />

— den Typ des Psychischen — zu entwickeln, ist primär der<br />

praktische Zusammenhang von Menschen in objektiv gleicher (Klassen-)Lage:<br />

die gesellschaftliche Produktion.<br />

Ein solcher Zusammenhang ist im Wirklichkeitsausschnitt der temporären<br />

Therapiezusammenkunft prinzipiell nicht gegeben, auch<br />

dann nicht, wenn innerhalb dieser <strong>Institut</strong>ion der Verwertungszusammenhang<br />

der kapitalistischen Gesellschaft partikular aufgehoben<br />

sein sollte. Therapie ist nicht, das kann nur einmal mehr wiederholt<br />

werden, kurzschlüssig mit Politisierung im oben gekennzeichneten<br />

Sinne gleichzusetzen. Allerdings: In dem Maße, wie die Pseudokonkretheit<br />

der Alltagsrealität bürgerlicher Lebensverhältnisse<br />

selbst unmittelbar und formbestimmt (formbestimmend) pathogen<br />

wirkt, ist es therapeutisches Erfordernis (formal: eine Frage therapeutischer<br />

Effizienz!), die Schein-Naturhaftigkeit der Pseudo-Konkretheit<br />

und die widerspruchsblinde Orientierung im Rahmen utilitaristischer<br />

Praxis umfassend zu thematisieren.<br />

Es wäre hier eine Struktur der Therapiesituation analog zum von<br />

Holzkamp propagierten „Widerspruchsexperiment" vorstellbar. 62<br />

Hierin würden sowohl die „Verarbeitungstechniken" des Individuums<br />

gegenüber den objektiven Widersprüchen, d. h. die selbst zum<br />

Konflikt führende Ausgrenzung von Konflikten im Bewußtsein,<br />

eruiert — diagnostische Phase —, wie andererseits ein emanzipatorischer<br />

Impetus praktisch realisiert, indem in der Behebung der Störung<br />

durch das Lehren von widerspruchserkennenden Orientierungsstrategien<br />

zugleich die Perspektive auf <strong>kritische</strong> Praxis angelegt wäre.<br />

Es wäre dies eine denkbare Konkretisierung der zu entwickelnden<br />

Beratungsform, die durch die spezifische Definition der Beziehung<br />

von Therapeut und Klient „dem Gesichtspunkt Rechnung trägt, daß<br />

sich beide über den therapeutischen Arbeitszusammenhang hinaus<br />

als Subjekte (des gesellschaftlichen Prozesses, W. M.) gegenüberstehen.<br />

(...) Es geht also darum, den Zusammenhang und die Wechselwirkung<br />

dieser beiden Momente innerhalb der therapeutischen<br />

Praxis nicht zu verlieren. Die Einsicht in die Wechselbeziehung zwischen<br />

Individuum und Gesellschaft kann es dem Therapeuten nicht<br />

erlauben, bei der Entschlüsselung des subjektiven Sinns der Tätigkeit<br />

des Patienten zu verharren und zu versuchen, allein hier, im<br />

Bereich seiner Individualität, ihm zu sinnvoller Tätigkeit zurückzuverhelfen.<br />

Hier geht es gerade um die Rekonstruktion eines Sinnzusammenhanges,<br />

der aus der Subjektivität von Patient wie Therapeut<br />

nicht erschlossen werden kann, eben weil er sich wesentlich aus<br />

dem gesellschaftlichen Zusammenhang ergibt. Der Bezug der Tätigkeit<br />

des kranken Individuums zur gesellschaftlichen Praxis, d. h. die<br />

62 a.a.O., S. 216 ff.<br />

DAS ARGUMENT, <strong>91</strong>/1975 ©

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!