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Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Zur Politik der klinisch-psychologischen Standesverbände 393<br />

analyse — gilt zudem nur <strong>für</strong> wenige Patienten aus privilegierten<br />

Schichten. Somit entfällt bestenfalls, ein Psychiater bzw. Psychotherapeut<br />

auf ca. 400 000 Bundesbürger. Wenn man aufgrund dieser<br />

Zahlen überhaupt noch von einer Psychiater- bzw. Psychotherapeutendichte<br />

sprechen kann, so ist sie in geschäftlich lukrativen Wohnbezirken<br />

am höchsten 27 . Die wenigen öffentlichen Versorgungseinrichtungen<br />

stellen keine Entlastung dar, wenn man bedenkt, daß es<br />

z. B. nur 1 Erziehungsberatungsstelle auf 150 000 Einwohner gibt mit<br />

einer durchschnittlichen Wartezeit von 6 bis 12 Monaten 28 .<br />

Wenn auch die Mängel der Psychiatrie besonders kraß sind, so<br />

spiegeln sie in den wesentlichen Zügen doch nur die allgemeinen<br />

Mängel der Krankenversorgung im Rahmen der kapitalistischen Sozialpolitik<br />

in der BRD wider. Wie in jedem Sektor des westdeutschen<br />

Gesundheitswesens wird auch im Bereich der Psychiatrie von dieser<br />

Politik am härtesten die Arbeiterklasse betroffen, und zwar in doppeltem<br />

Sinne. Obwohl Arbeiter den größten Anteil am Gesamtaufkommen<br />

der GKV 2 9 aufbringen und zudem am häufigsten wie auch<br />

am schwersten psychisch erkranken 30 , wird gerade ihnen keine entsprechende<br />

Behandlung zuteil. Der Klassencharakter der psychiatrischen<br />

Versorgung ist bedingt durch die Ökonomie des Kapitals 31 und<br />

hängt wesentlich mit der Tatsache zusammen, daß die Lohnabhängigen<br />

überhaupt keinen effektiven Einfluß auf die Verteilung und<br />

Verwendung der Sozialausgaben haben, die sie jährlich in steigender<br />

Milliardenhöhe aufbringen müssen.<br />

Ihre Beiträge zur medizinischen und psychiatrischen Versorgung<br />

fließen zu immer größeren Summen in die Taschen der niedergelassenen<br />

Ärzte, die ihre Dienstleistungen aufgrund ihrer bislang behaupteten<br />

Monopolstellung 38 sowie straffen Organisation 33 weit<br />

über Wert verkaufen können 34 . Einen ebenfalls steigenden Löwen-<br />

27 Vgl. KSV-Zelle Medizin der FU Berlin: Gesundheitswesen im Klassenkampf.<br />

Berlin-West 1973, S. 236.<br />

28 Vgl. Duhm, E. In: Bundestagsdrucksache VI/474, Protokoll Nr. 37,<br />

1971, S. 10.<br />

29 GKV = Gesetzliche Krankenversicherung.<br />

30 s. Anm. 13.<br />

31 Näheres dazu s. Ripke, T.: Warenproduktion, Kapitalismus und<br />

Gesundheitswesen. In: <strong>Das</strong> <strong>Argument</strong>, Nr. 60, 1970, S. 30—70.<br />

32 Durch den sogenannten Sicherstellungsauftrag von 1955 (vgl. § 368<br />

der Reichsversicherungsordnung).<br />

33 Eine ausführliche Darstellung und Analyse der ärztlichen Standesorganisation<br />

gibt Thelen, W.: Numerus Clausus & Ärzteschaft. Zur Kritik<br />

der ärztlichen Interessenpolitik. Gießen 1974.<br />

34 Vgl. Gaedt, Ch. und Schagen, U.: Medizin auf dem Wege zur Vergesellschaftung?<br />

In: <strong>Das</strong> <strong>Argument</strong>, AS 4, 1974, S. 1: „Für den Durchschnitt<br />

aller niedergelassenen Ärzte werden <strong>für</strong> 1973 nach Abzug der Praxiskosten<br />

als Reinerlös vor Steuern 137 000,— DM angegeben (1971 waren<br />

es noch 115 600,— DM). <strong>Das</strong> ist etwa das Drei- bis Vierfache dessen, was<br />

angestellte Ärzte verdienen."<br />

DAS ARGUMENT <strong>91</strong>/1975 ©

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