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Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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488 Wolf gang Maiers<br />

Perspektive das Ertragen der Spannung voraus, die sich dürch den<br />

Gegensatz von <strong>kritische</strong>r Praxis und dem als fremd erlebten, aufgenötigten<br />

bzw. partiell sich naturwüchsig durchsetzenden herrschenden<br />

sachlichen und zwischenmenschlichen Umgang immer wieder<br />

herstellt.<br />

Insofern stellt die psychische Störung keine gesellschaftlich sinnvolle<br />

und damit keine normale Lösung des konflikthaften Niederschlags<br />

gesellschaftlicher Widersprüche im Subjekt dar. Der psychisch<br />

Gestörte mag u. U. der Modalpersönlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft<br />

insofern „voraus" sein, als er gegenüber den aufbrechenden<br />

Widersprüchen, die er als persönlich bedeutsame erlebt, die angeeigneten<br />

(oder ihm zwecks Lebenserhaltung der bestehenden Ordnung<br />

zur Aneignung aufgegebenen) Strategien der Widerspruchseliminierung<br />

verweigert. Er weigert sich damit, sich der scheinhaften<br />

Natürlichkeit dieser Widersprüche auszuliefern, sie zu introjizieren<br />

— und entgeht damit der gesellschaftlich modalen Form von Realitätsverlust.<br />

56 Er erkauft dies jedoch — da er die transitorische Notwendigkeit<br />

dieser Widersprüche nicht erkennt — um den Preis seines<br />

subjektiven Leidens an ihnen. <strong>Das</strong> heißt, letztlich liefert er sich den<br />

Widersprüchen doch aus, fällt er ihnen zum Opfer. Diese „Lösimg"<br />

des Widerspruchs ist ohne Perspektive — sie ist nicht nur stagnativ<br />

(wie im Falle des gesellschaftlichen Durchschnitts), sondern regressiv.<br />

Fazit<br />

Ich habe vorstehend versucht, Rahmengesichtspunkte eines historisch-konkretisierten<br />

entwicklungslogischen Konzeptes zu diskutieren,<br />

das der Bestimmung psychischer Qualitäten als „normal" bzw.<br />

„gestört" alternativ zum Fehlansatz der Verhaltenstherapie zugrunde<br />

zu legen sei. Dieses Konzept zeichnet sich zunächst dadurch<br />

aus, daß es über einen Begriff der gesellschaftlichen Natur des Menschen<br />

und ihrer individualgeschichtlichen Tradierung im Prozeß der<br />

individuellen Aneignung der gesellschaftlichen Vergegenständlichungen<br />

verfügt, der die „formalistisch-organismischen Befangenheiten"<br />

57 der Begriffsbildung in der bürgerlichen Psychologie weit hinter<br />

sich läßt.<br />

Die Kenntnis des naturgeschichtlich Gewordenen erlaubt es diesem<br />

Ansatz prinzipiell, in Abhebung von den allgemeinen Resultaten der<br />

56 Kosik (Die Dialektik des Konkreten, Frankfurt/M., 1967; nach<br />

Holzkamp, a.a.O., S. 336 ff.) kennzeichnet diese gesellschaftliche Wirklichkeit,<br />

wie sie der Alltagserfahrung des Individuums gegeben ist, deskriptiv<br />

als „Pseudokonkretheit" und „utilitaristische Praxis": Der Schein des Unmittelbaren,<br />

Selbstverständlichen, der den Verkehrtheiten, Widersprüchen<br />

der bürgerlichen Gesellschaft anhaftet, erzeugt jene spezifische Form<br />

praktischer Orientierung des Menschen und wird durch sie stets aufs<br />

Neue befestigt.<br />

57 Holzkamp, a.a.O., S. 20.<br />

DAS ARGUMENT, <strong>91</strong>/1975 ©

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