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Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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486 Wolf gang Maiers<br />

Psychische Gesundheit ist in Abhängigkeit vom Erreichen „voller<br />

Gesellschaftlichkeit" zu definieren, d. h. nach dem Grad der Ausbildung<br />

von Systemen äußerer und innerer Tätigkeit, die das empirische<br />

Subjekt zum Träger der fortschreitenden gesellschaftlichen Erfahrungskumulation<br />

befähigen. ,<br />

Eine solche Bestimmung des Normalen, Gesunden der individuellen<br />

Entwicklung aus der Logik gesellschaftlicher Entwicklung ist als<br />

abstraktes Rahmenkonzept völlig unangreifbar; die Abstraktheit<br />

verhindert aber zugleich seine Anwendbarkeit auf die „psychische<br />

Störung" bzw. das „psychisch gestörte Individuum" als empirische<br />

Sachverhalte, die in ein Netz konkreter Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten<br />

eingespannt sind.<br />

Sollen real verankerte psychologische Analysen und v. a. ein<br />

reflektierter praktisch-psychologischer Umgang mit „lebendigen"<br />

Menschen möglich sein, so ist die Konkretisierung des Entwicklungsprinzips<br />

erforderlich. D. h. unter den Bedingungen der Epoche des<br />

weltweiten Kampfes des sozialistischen und des imperialistischen<br />

Gesellschaftssystems: im transsozialen Vergleich den Gegensatz und<br />

die Einheit (Gemeinsamkeit) beider gesellschaftlichen Formationen<br />

herauszuarbeiten, um so einen Begriff der unterschiedlichen Qualität<br />

der ihnen inhärenten Tätigkeitssysteme zu gewinnen. Ebenso sind<br />

die unterschiedlichen Stellungen der Individuen zum gesellschaftlichen<br />

Produktionsprozeß hinsichtlich der Tätigkeitserfordernisse und<br />

-möglichkeiten (intrasozial) vergleichend zu beurteilen.<br />

Es ist ferner die Grenze der tätigen Entäußerung der Individuen<br />

gemäß dem aktuellen Entwicklungsstand seiner sozial bestimmten<br />

bisherigen Aneignungsgeschichte zu beurteilen: so dürfte ungeachtet<br />

des sozialen Standortes beispielsweise die Nichterkenntnis der Invarianz<br />

der Menge verformbarer Objekte der Erkenntnistätigkeit<br />

eines, sagen wir, Siebenjährigen nicht mehr adäquat sein, während<br />

sie der möglichen Realitätsauffassung eines Fünfjährigen modal<br />

entspricht. 65<br />

In der Integration der genannten Bezugsebenen ist eine Konzeption<br />

der Persönlichkeitsentwicklung zu gewinnen, die diese im angegebenen<br />

historisch spezifizierenden Sinne begreift als einen wesentlich<br />

über Lernen vermittelten Prozeß der Entwicklung qualitativ<br />

unterschiedener, in ihrer Abfolge im allgemeinen nicht beliebiger<br />

und in ihrem Zusammenhang hierarchisch aufeinanderbezogener<br />

Phasen der Tätigkeit. (Hierarchisch meint im doppelten Sinne, daß<br />

jede Stufe die ihr vorhergehende in sich aufhebt und daß die jeweils<br />

höchste zugängliche Stufe normalerweise zum Tragen kommt.<br />

Aus der Bewegungslogik des je betrachteten Tätigkeitssystems<br />

läßt sich so ein — standortabhängiger, aber eindeutiger — Beurtei-<br />

55 Vgl. etwa Piagets Studien zum Übergang von der „präoperationalen"<br />

zur „konkret operationalen" Phase der kognitiven Entwicklung.<br />

DAS ARGUMENT, <strong>91</strong>/1975 ©

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