05.01.2013 Aufrufe

Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

Das Argument 91 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Normalität und Pathologie des Psychischen 485<br />

funktionale System des Psychischen als „relativ normal" oder als<br />

„realtypisch" (versus „idealtypisch") präzisieren. Es handelt sich dabei<br />

nicht um terminologische Spitzfindigkeiten. Einmal kommt darin<br />

die „Intaktheit", die Funktionalität eines psychischen Systems gemessen<br />

an der „Rationalität" einer historisch überlebten Gesellschaftsordnung<br />

zum Ausdruck; zum andern ist die Relativität der<br />

historischen Perspektive dieser bestimmten Ordnung und der ihr<br />

eigenen psychischen Organisation bezüglich der letzten Endes notwendig<br />

(quasi naturhaft) sich vollziehenden gesellschaftlichen Entwicklung<br />

hervorgehoben 64 , und drittens — ein sehr bedeutsamer<br />

Aspekt — wird auf jene Funktionssysteme Bezug genommen, die als<br />

Produkte der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung und der mit<br />

ihr vermittelten biologisch-evolutionären Entwicklung in die Widerspiegelungs-<br />

und Regulationstätigkeit des Psychischen im Sinne des<br />

allgemeinmenschlichen Psychischen eingehen. Weitgehend invariant<br />

gegenüber der jeweiligen Formbestimmtheit der gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse machen sie quasi die „natürliche Gesellschaftlichkeit"<br />

des Menschen aus. Als solche sind sie sowohl <strong>für</strong> die eingeschränkte<br />

Lebenspraxis unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen als<br />

auch <strong>für</strong> die volle Entfaltung der gesellschaftlichen Potenzen im einzelnen<br />

Subjekt unter sozialistischen Verhältnissen vorausgesetzt.<br />

Bezugspunkt der Beurteilung des Psychischen ist mithin nicht das<br />

abstrakt isolierte Individuum, sondern dessen Austausch mit seiner<br />

stofflichen und ideellen Umwelt, in dem es bestimmte gesellschaftliche<br />

Verhältnisse eingeht: Ausgangs- und Endpunkt des Psychischen<br />

und damit Grundlage seiner mittelbaren Beurteilung ist der wirkliche<br />

Lebensprozeß des Menschen, das System seiner Tätigkeiten.<br />

Dieses bezieht seine Struktur primär aus der Struktur der Gegenstandsbedeutungen<br />

gemäß den historisch erarbeiteten Aneignungsweisen<br />

und Kenntnissen. Hieraus läßt sich objektiv bestimmen, ob<br />

eine Tätigkeit der Beschaffenheit der symbolischen und stofflichen<br />

Objektwelt und ihrer gewordenen praktischen wie ideellen Widerspiegelung<br />

angemessen ist oder nicht.<br />

In allgemeinster Charakteristik leiten sich die Beurteilungskriterien<br />

also aus dem gesellschaftlichen Verhältnis von aufgegebenen<br />

Bedeutungsstrukturen und individueller Aneignungstätigkeit her.<br />

Dabei ist zu berücksichtigen, daß die den Individuen aufgegebenen<br />

materiellen und ideellen Tatbestände nicht „verdichtet" sind zu sich<br />

ewig gleichen „Seinsbeständen" — vielmehr unterliegen sie eigenen<br />

Entwicklungsnotwendigkeiten, die zu erkennen gesellschaftliche Aufgabe<br />

und die zu lenken gesellschaftliche Notwendigkeit und Freiheit<br />

ist (im o. g. Sinne). Im Zuge der erweiterten gesellschaftlichen Reproduktion<br />

verändert sich das gesamtgesellschaftliche System der<br />

Tätigkeit; die Aufgabe des Individuums liegt darin, die eigene Tätigkeit<br />

diesem steten Strukturwandel anzumessen.<br />

54 Im Sinne der „transsozialen Relativierung" bei Haug, a.a.O.<br />

DAS ARGUMENT <strong>91</strong>/1975 ©

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!