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Die Revolution Gottes - Fundamente einer neuen ... - Plough

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DIE REVOLUTION GOTTES<br />

Eberhard Arnold<br />

AUS SEINEM LEBENSZEUGNIS<br />

Herausgegeben von den<br />

<strong>Plough</strong> Publishing House


<strong>Die</strong>ses Buch sollten Sie nicht für sich behalten.<br />

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“Copyright © 2012 The <strong>Plough</strong> Publishing House.<br />

Veröffentlicht mit Genehmigung des Urhebers.”<br />

This e-book is a publication of The <strong>Plough</strong> Publishing<br />

House.<br />

Copyright © 2012<br />

by The <strong>Plough</strong> Publishing House<br />

Rifton, New York<br />

Robertsbridge, England<br />

www.plough.com<br />

All Rights Reserved


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Einführung<br />

<strong>Die</strong> zerfallende Welt und <strong>Gottes</strong> kommende Ordnung<br />

1. Am Rande der Katastrophe<br />

2. Das Hereinbrechen des <strong>Gottes</strong>reiches<br />

3. Jesus und die Bergpredigt<br />

4. Das Reich <strong>Gottes</strong><br />

Gestaltung <strong>einer</strong> <strong>neuen</strong> Ordnung<br />

5. <strong>Die</strong> Gemeinde<br />

6. <strong>Die</strong> Einheit und der Heilige Geist<br />

7. Lebensgemeinschaft<br />

8. Buße und Taufe<br />

9. Das Abendmahl<br />

10. <strong>Gottes</strong>dienst und Anbetung<br />

11. Sendung<br />

Der Einzelne und die Gemeinschaft<br />

12. <strong>Die</strong> Gesamtheit der Glaubenden<br />

13. Führung und Hirtendienst<br />

14. Anrede, Gemeindezucht und Vergebung<br />

15. Der Einzelne in der Gemeinschaft


16. Ehe und Familie<br />

17. Erziehungsgemeinschaft<br />

18. Einfaches Leben<br />

Frieden und <strong>Gottes</strong>herrschaft<br />

19. Gewaltlosigkeit und Waffendienstverweigerung<br />

20. Einstellung zur Regierung<br />

21. Weltleid und Armut<br />

22. <strong>Die</strong> Weltrevolution und die <strong>Revolution</strong> <strong>Gottes</strong>


E INfühRUNG<br />

B R ü DER, WAS SOLLEN WIR DENN T u N ? “<br />

(ApG . 2:37)<br />

Emmy Arnold stand vor der Tür des kleinen Arbeitszimmers<br />

ihres Gatten Eberhard und wartete darauf,<br />

Gestapobesuch zu empfangen. Eberhard lag mit einem kom-<br />

plizierten Beinbruch auf <strong>einer</strong> Couch; Schwester Monika,<br />

seine Schwägerin, verbrannte eifrigst in dem eisernen Öfchen<br />

Papiere, die Verdacht erregen könnten. 140 Nazis, Landjäger,<br />

S.A., S.S. und Geheime Staatspolizei, durchsuchten die kleine<br />

Bruderhofgemeinschaft (auch etwa 140 Personen zählend)<br />

nach Waffen und Antinaziliteratur. Das war am 16. November<br />

1933, morgens um 8 Uhr.<br />

<strong>Die</strong> Frage: „Was sollen wir denn tun? Wie können wir unser<br />

Leben unserem Glauben entsprechend führen?“ hatte Eberhard<br />

und Emmy Arnold seit 26 Jahren immer wieder beschäftigt.<br />

Eberhard war <strong>einer</strong> der wenigen Menschen, die das, was sie<br />

schreiben, zu leben versuchen und mit anderen die Freuden<br />

und Nöte eines praktischen Lebens in radikaler Jesusnachfolge<br />

auf sich nehmen.<br />

Wir veröffentlichen diese Auszüge aus seinen Reden und Aufsätzen<br />

und sind uns bewusst, dass die völlige Hingabe unseres<br />

gemeinsamen Lebens dahinter stehen muss. Wie Eberhard es<br />

einmal einem befreundeten Verleger schrieb: “Schließlich ist<br />

bei der Auswahl des Stoffes der Gesichtspunkt entscheidend,


dass die religiöse Verantwortlichkeit des Lesers so geweckt wird,<br />

dass er sich nicht <strong>einer</strong> geschichtlichen Persönlichkeit, sondern<br />

Gott gegenübergestellt fühlt.“<br />

„Was sollen wir denn tun“ in <strong>einer</strong> Zeit, in der die Welt in<br />

allen Fugen erzittert? Sind wir Christen einig im Einstehen<br />

für den Frieden gegen den Hass und gegen die Zerstörung<br />

durch Atomwaffen? Sind wir einig in der Liebe zu Jesus und<br />

s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit angesichts des Rassenhasses, der Machtgier<br />

und des Großkapitalismus? Stehen wir für Reinheit ein<br />

in <strong>einer</strong> Zeit, in der Perversion und Ehebruch nicht mehr als<br />

Sünde bezeichnet werden? Stehen wir für die Wahrheit ein in<br />

einem relativistischen Zeitalter?<br />

Und wo stehen die Kirchen? „Was an der etablierten Christenheit<br />

verkehrt ist, ist eben das, dass sie etabliert ist. Sie<br />

hat sich dadurch etabliert, dass sie mit den staatlichen, politischen<br />

und wirtschaftlichen Ordnungen eine Allianz eingegangen<br />

ist.“<br />

Jedoch der Ruf, in christlicher Bruderschaft zu leben, ist erklungen<br />

und findet Echo. In den letzten zwanzig Jahren sind<br />

zahlreiche Gemeinschaften entstanden, in denen Jesus der<br />

Mittelpunkt ist. Gott bewegt die Herzen und spricht zu uns.<br />

Möge dieses Buch allen Kreisen, die nach völliger Nachfolge<br />

trachten, zur Ermutigung dienen!<br />

<strong>Die</strong>s ist die eigentliche <strong>Revolution</strong>: die Schaffung <strong>einer</strong> klar<br />

umrissenen Gemeinschaft mit ihrer Umwertung aller Werte<br />

und ihrer logischen Art und Weise, diese praktisch zu verwirklichen.<br />

Eine solche Gruppe ist nicht nur durch ihr Bestehen


ein neues Element im Leben der Gesellschaft; wenn sie treu<br />

bleibt, ist sie das kraftvollste Werkzeug für eine Umwandlung<br />

der sozialen Verhältnisse.<br />

Eberhard Arnold wurde am 26. Juli 1883 in Königsberg,<br />

Ostpreußen, geboren. Sein Vater wurde in den Vereinigten<br />

Staaten (Williamsfield, Ohio) geboren, wuchs aber in Deutschland<br />

auf; er studierte auch dort und übernahm später eine<br />

Professur für Kirchengeschichte an der Universität Breslau.<br />

Eberhards Mutter stammte aus akademischen Kreisen und<br />

wurde in Riga geboren.<br />

Mit sechzehn Jahren hatte Eberhard eine tiefgehende Bekehrung<br />

erlebt. Er erfuhr den Ruf Jesu, ihm freudig und<br />

gehorsam zu dienen und für ihn Zeugnis abzulegen. Eine<br />

brennende Liebe zu seinem Meister Jesus Christus war lebenslänglich<br />

in allem, was Eberhard tat, die treibende Kraft.<br />

Einmal setzte er seine Eltern damit in Verlegenheit, dass er<br />

Landstreicher nach Hause brachte. Ein anderes Mal, als die<br />

Eltern eine Gesellschaft gaben, erinnerte er seinen Vater daran,<br />

dass Jesus geboten hätte, die Ärmsten der Armen zum<br />

Fest zu laden, solche, die es nicht vergelten können. Sein Vater<br />

wurde ärgerlich und verbannte ihn auf sein Zimmer. Noch als<br />

Gymnasiast wollte Eberhard sich der Heilsarmee mit ihrem<br />

<strong>Die</strong>nst an den Allerärmsten anschließen; das Mitempfinden<br />

für diese hat ihn nie verlassen.<br />

Als Eberhard sich am Karfreitag 1907 mit Emmy von Hollander<br />

verlobte, waren beide in der evangelischen Allianzbewegung<br />

engagiert; diese war von <strong>einer</strong> Erweckungsbewegung<br />

in England und Nordamerika angeregt und hatte große Teile


Deutschlands erobert. Charles Finney hatte diese Bewegung<br />

ins Leben gerufen, und später war sie von Dwight L. Moody<br />

weitergeführt worden. In Deutschland gewann sie neue Stoßkraft.<br />

In Halle/Saale, wo Emmy zu Hause war, war Eberhard<br />

in der Leitung der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung<br />

(DCSV) tätig. Ein tiefes Verlangen, ihr Leben für eine<br />

radikale Jesusnachfolge einzusetzen, lebte in Eberhard und<br />

Emmy. Am Ostersonntag 1907 schrieb Eberhard s<strong>einer</strong> Braut:<br />

„Ich freue mich so sehr, dass Du es auch so liebst, immer<br />

Jesus im Mittelpunkt zu sehen. Das allein ist gesundes Christentum.<br />

Nicht Lehre, sondern Jesus, nicht Gefühl, sondern<br />

Jesus, nicht Anstrengung, sondern Jesus! Nur immer Sein<br />

Wille, Sein Friede und Seine Kraft!“<br />

Sie heirateten im Dezember 1909. In ihrem Buch „Gegen<br />

den Strom“ gibt Emmy Arnold einen anschaulichen Bericht<br />

sowohl über ihr gemeinsames Suchen als auch über die Geschichte<br />

des Bruderhofes in Deutschland bis 1937.<br />

Eberhard studierte in Breslau, Halle und Erlangen Theologie<br />

und Philosophie. Da er sich für die Glaubenstaufe (Erwachsenentaufe)<br />

entschieden hatte und die Trennung von<br />

Staat und Kirche betonte, wurde ihm das theologische Examen<br />

verweigert. So musste er noch ein weiteres Jahr studieren, um<br />

den Doktorgrad statt in der Theologie in Philosophie zu erlangen.<br />

Eberhard war von Natur ein Gelehrter und hatte die<br />

entsprechende Ausbildung erhalten; er stellte aber sein Leben<br />

völlig in den <strong>Die</strong>nst Jesu und folgte in schlichtem Gehorsam<br />

den radikalen Anforderungen der Nachfolge.<br />

Im Jahre 1915 wurde Eberhard von der DCSV als literarischer<br />

Leiter des Furche Verlags nach Berlin gerufen. <strong>Die</strong>


entsetzlichen Zustände in Deutschland während des ersten<br />

Weltkrieges bestärkten ihn in s<strong>einer</strong> Überzeugung, dass Jesus<br />

ebenso für das körperliche Wohl der Menschen wie für das<br />

Heil ihrer Seelen gekommen war, und dass er im Sinne der<br />

Propheten des Alten Testaments gegen die soziale Ungerechtigkeit<br />

Protest erhob. Gegen Ende des Krieges, 1918, waren<br />

Eberhard und Emmy sich gewiss, dass das Töten oder Verwunden<br />

eines Mitmenschen mit dem Evangelium Jesu nicht<br />

in Einklang zu bringen ist. Von nun an bekannten sie sich<br />

entschieden zur Gewaltlosigkeit und zur Feindesliebe, die<br />

sich auf das Kreuz gründet.<br />

Auf Eberhard gewann damals die Jugendbewegung starken<br />

Einfluss, wie sie in ihrer reinsten und echtesten Form seit Anfang<br />

des Jahrhunderts existierte, bis dann die Nazis sich ihrer<br />

bemächtigten und sie gründlich verdarben. <strong>Die</strong> Jugendbewegung<br />

war ein Protest gegen die Herrschaft des Materialismus,<br />

der Profitsucht, der sklavischen Bindung an konventionelle<br />

Gesellschaftsformen und erstarrte Formen des religiösen Lebens.<br />

Freudig nahm jeder die eigene Verantwortung auf sich<br />

und suchte das Leben in innerer Wahrhaftigkeit zu gestalten,<br />

in echter, natürlicher Freundschaft, auf Reinheit in den Beziehungen<br />

der Geschlechter gegründet, verbunden mit der Freude<br />

an der Natur, am Wandern, am Volkslied und Volkstanz.<br />

<strong>Die</strong>ser Ausdruck <strong>einer</strong> Zusammengehörigkeit deutete auf<br />

tiefere geistige Werte hin, die in der abgegriffenen herkömmlichen<br />

religiösen Sprache nicht mehr zur Geltung kamen.<br />

Vor allem aus der Freideutschen Jugend und aus religiös<br />

sozial interessierten Kreisen entstand nach dem ersten Weltkrieg,<br />

um 1919, die Neuwerkbewegung bei Schlüchtern in<br />

0


Hessen, die sich in vielen Teilen Deutschlands verbreitete.<br />

Eberhard Arnold war bei dem Anfang dieser Bewegung eine<br />

der einflussreichsten Persönlichkeiten; er beeindruckte besonders<br />

die studentische Jugend durch seinen Radikalismus und<br />

seine Begeisterungsfähigkeit. Von 1920 22 war er Leiter des<br />

Neuwerkverlages und Mitherausgeber der Zeitschrift „<strong>Die</strong><br />

Furche“. Auch Karl Barth war anfangs mit führend und hatte<br />

starken Einfluss in der Neuwerkbewegung.<br />

Der Aufbruch der Neuwerkbewegung wäre niemals<br />

denkbar gewesen ohne Eberhard Arnold. Ihm allein ist<br />

es gelungen, innerhalb kurzer Zeit in ganz Deutschland so<br />

viele junge Menschen für seine Sache zu entflammen.<br />

Alle, die Eberhard Arnold kannten, berichten von der außerordentlichen<br />

Ausstrahlungskraft s<strong>einer</strong> Person, dem Enthusiasmus<br />

seines Glaubens, der der Glaube der Bergpredigt war,<br />

von s<strong>einer</strong> Radikalität im Durchführen der Aufgabe, zu der er<br />

sich berufen wusste.<br />

(Antje Vollmer, “<strong>Die</strong> Neuwerkbewegung, 1919-1935. Ein<br />

Beitrag zur Geschichte der Jugendbewegung, des Religiösen<br />

Sozialismus und der Arbeiterbildung“. Inaugural-Dissertation,<br />

vorgelegt an der Freien Universität Berlin, S. 54.)<br />

Eberhard wurde verschiedentlich zu Tagungen der DCSV<br />

als Sprecher gebeten. Ein Teilnehmer schrieb damals:<br />

Im Blickpunkt alles Redens und aller Gedanken stand die<br />

Bergprede Jesu, die uns in ihrer ganzen Wucht, ihrer uneingeschränkten,<br />

ungeschmälerten Tragweite, ihrer Unbedingtheit<br />

und Absolutheit von unserem Eberhard Arnold mit tiefster<br />

Innerlichkeit und Inbrunst in die Herzen gebrannt und mit


prophetischer Kraft und dem ungeheuren Schwung s<strong>einer</strong> ganzen<br />

Persönlichkeit in den Willen gehämmert wurde.<br />

Das Schrifttum der beiden Blumhardts, Johann Christoph<br />

und dessen Sohn Christoph Friedrich, hatte einen starken Einfluss<br />

auf Eberhard. Johann Christoph Blumhardt hatte einen<br />

entscheidenden Kampf gegen dämonische Mächte in einem<br />

s<strong>einer</strong> Pfarrkinder durchgeführt. Für ihn stand dieser Kampf<br />

mit der Befreiung der Menschheit von der Macht des Bösen<br />

und mit der Erwartung des Hereinbrechens des <strong>Gottes</strong>reiches<br />

im Zusammenhang und hatte im 19. und 20. Jahrhundert<br />

in weiten Kreisen Mittel Europas eine tiefgehende Wirkung.<br />

Das Zeugnis seines Sohnes Christoph war grundlegend das<br />

gleiche. Allerdings hatte dieser sich, getrieben von der Liebe<br />

Jesu zu den Armen, eine Zeitlang politischer Betätigung in<br />

der sozialdemokratischen Partei zugewandt. Er wandte sich<br />

aber bald von der Politik ab und konzentrierte seine ganze<br />

Energie auf das radikale Jesuszeugnis: „Sterbet, so wird Jesus<br />

leben!“<br />

Seit ihrer Verlobung 1907 hatten Eberhard und Emmy sich<br />

im gemeinsamen Suchen dem Bibelstudium zugewandt.<br />

Sie forschten in den Schriften der ersten Christen, wie Justin,<br />

Tertullian, Origenes u.a., was über das Urchristentum bezeugt<br />

wurde. Später beschäftigten sie sich mit den Mystikern<br />

wie Meister Eckhardt, den frühen Pietisten, Johann Arndt,<br />

auch mit Jakob Böhme. Sie entdeckten, dass es in allen Jahrhunderten<br />

der Kirchengeschichte Glaubensgemeinschaften<br />

gegeben hatte:


…im ersten Jahrhundert im Urchristentum, im zweiten<br />

Jahrhundert in der allgemein christlichen Gemeinde Krisis des<br />

prophetischen sogenannten Montanismus, in den nächsten<br />

Jahrhunderten im ursprünglichen Mönchstum, dann weiter in<br />

den <strong>Revolution</strong>s Bewegungen der Gerechtigkeit und der Liebe<br />

um Arnold von Brescia, in den Waldenser Bewegungen,<br />

in dem ursprünglichen Gemeinschafts Wandertum des Franz<br />

von Assisi, in den böhmischen und mährischen Brüdern, in<br />

den Brüdern des gemeinsamen Lebens, in den Beghinen und<br />

Begharden, besonders in den sittenreinen Urtäufern des 15.<br />

und 16. Jahrhunderts, in ihrem Bruder Kommunismus und<br />

in ihrer Waffendienstverweigerung, in ihrer bäuerlichen und<br />

bürgerlichen Arbeit auf ihren Bruderhöfen, wie sie in anderer<br />

Art bei den Quäkern, wie sie auch im 17. und 18. Jahrhundert<br />

bei den Labadisten, in der Brudergemeine Zinzendorfs und in<br />

anderen Benennungen auftreten.<br />

Eberhard Arnold, „Warum wir in Gemeinschaft leben“, <strong>Plough</strong> Publishing<br />

House, 1976, S. 8.<br />

Für viele junge Menschen Europas, die den materiellen<br />

und geistigen Zusammenbruch nach dem Ersten<br />

Weltkrieg erlebt hatten, waren die Jahre 1919 und 1920 Jahre<br />

des Suchens und der Entscheidung. Damals versammelten sich<br />

in der Arnoldschen Wohnung in Berlin an offenen Abenden<br />

oft bis an 100 Menschen aus den verschiedensten Kreisen: aus<br />

der Jugendbewegung, aus christlichen, anarchistischen, atheistischen<br />

Kreisen, Quäker, Baptisten, Künstler, Erweckungsprediger,<br />

Arbeiter und Besitzende. Sie alle führte die Frage<br />

zusammen: „Was sollen wir denn tun? So kann es nicht weitergehen.“<br />

K<strong>einer</strong> hatte eine klar umrissene Antwort. Bücher<br />

von Tolstoy und Dostojevsky wurden gelesen – vor allem aber<br />

die Bergpredigt Jesu. Schließlich war es das Pfingstereignis


(Apg. 2 und 4) mit s<strong>einer</strong> Botschaft: „Sie hatten alles gemein-<br />

sam“ in der Liebe des Heiligen Geistes, das zur Entscheidung<br />

drängte.<br />

<strong>Die</strong> Frage <strong>einer</strong> Gemeinschaftssiedlung wurde akut. Nur<br />

sehr wenige waren bereit, mit Eberhard und Emmy um die<br />

Sonnenwende 1920 einen bescheidenen Anfang zu machen.<br />

Mit ihren fünf kleinen Kindern, Emmys Schwester Else von<br />

Hollander und vier anderen Erwachsenen fingen Arnolds an,<br />

im Dorf Sannerz einen kleinen gemeinsamen Haushalt aufzubauen,<br />

in Armut, aber mit großer Begeisterung. Eberhard<br />

gab mehr auf, als seine gesellschaftliche Position, als die Aussicht<br />

auf eine gesicherte Lebensstellung in Berlin oder in der<br />

Staatskirche. Er war damals bereits ein anerkannter öffentlicher<br />

Redner und sprach neben anderen Männern von Einfluss,<br />

wie Karl Barth oder Paul Tillich. Mit anderen betonte<br />

er: Der Worte sind genug gewechselt; wir wollen endlich Taten<br />

sehen. Er erkannte die Gefahr eines Christentums, das die<br />

Transzendenz <strong>Gottes</strong> überbetont und dadurch von radikalem<br />

Handeln abhält:<br />

Schnell wuchs die Zahl der Sannerzer Hausgemeinschaft<br />

auf etwa 40 Menschen an, und mehr als tausend Besucher<br />

gingen jährlich durch das Haus. Doch im Jahre 1922 kam es<br />

zu <strong>einer</strong> ernsten Spaltung. Eberhard kannte keine Kompromisse.<br />

Das gesamte Leben, auch das wirtschaftliche, müsse<br />

ausschließlich auf den Glauben gegründet sein. Nach dieser<br />

Krise blieben nur noch sieben Erwachsene zurück. Aber Gott<br />

stand bei. <strong>Die</strong> Gemeinschaft wuchs stetig und übersiedelte<br />

1926 auf den in der Nähe von Sannerz gelegenen Rhönbruderhof,<br />

einen Bauernhof in den Rhönbergen.


<strong>Die</strong>ser felsenfeste Glaube und seine tiefe, persönliche Liebe<br />

zu Jesus kennzeichnen Eberhards ganze Lebenshaltung. Als<br />

er 1925 zu <strong>einer</strong> Studententagung in der Nähe von Dresden<br />

eingeladen wurde, erschien er dort in der üblichen Tracht der<br />

Jugendbewegung: Kniehosen, lose Jacke und Hemd mit offenem<br />

Kragen, statt der üblichen steifen, bürgerlichen Kleidung.<br />

Durch seinen kurzen Vortrag angeregt entwickelte<br />

sich mit den stark von Karl Barths Theologie beeinflussten<br />

Studenten eine lebhafte Diskussion; <strong>einer</strong> von ihnen sagte,<br />

zwar respektvoll, aber sehr bestimmt: „Den letzten Rest von<br />

Pietismus, den wir noch spüren, muss Eberhard auch noch<br />

ausrotten.“ Da schoss Eberhard wie ein Pfeil in die Höhe,<br />

schwieg einen Augenblick und sagte dann mit fester, aber eindringlicher<br />

Stimme: „Und auf diesem letzten Rest ruht meine<br />

ganze Lebensarbeit!“<br />

Es wäre völlig falsch, sich Dr. Eberhard Arnold als „frommen“<br />

Theologen oder Professor vorzustellen. Er war ein aufrechter<br />

Mensch, von kindlichem Wesen, dessen dunkle Augen<br />

gütigen Humor ausstrahlten. Doch wenn es nötig war,<br />

konnten sie auch vor Entrüstung sprühen. Das bezeugen seine<br />

eigenen Kinder, aber auch wie die Versöhnung und die<br />

herzliche Umarmung gewöhnlich bald darauf folgte. Auch die<br />

Gemeinschaftsmitglieder haben das erlebt. Eberhard freute<br />

sich an der Natur, er liebte die Land und Gartenarbeit ebenso<br />

wie die wissenschaftliche und die Verlagsarbeit. Des öfteren,<br />

wenn in Sannerz oder auf dem Rhönbruderhof ein Gast um<br />

ein Gespräch gebeten hatte und Eberhard eine intellektuelle<br />

Auseinandersetzung kommen sah, pflegte er ihn einzuladen,


ihm beim Umsetzen des Komposthaufens zu helfen; und da-<br />

bei hatten sie dann ihr Gespräch.<br />

Als Hitler 1933 in Deutschland zur Macht kam, kam der<br />

Rhönbruderhof in ernste Schwierigkeiten. Eberhard achtete<br />

jede Regierung als von Gott eingesetzt, aber er sprach offen<br />

über seine Bedenken gegen die Haltung des Nationalsozialismus:<br />

gegen die Rassenpolitik, den heidnischen Nationalismus,<br />

gegen die brutalen diktatorischen Methoden. Sowohl<br />

in Eingaben an die Behörden, als auch bei persönlichen Besuchen<br />

auf der Gestapo brachte er seine Befürchtungen zum<br />

Ausdruck; er setzte dabei sein Leben aufs Spiel.<br />

[Es] bedrängt uns eine äußerste und quälendste Gewissensnot,<br />

ob durch die heute herrschende Volksbewegung der Mensch<br />

und seine Geltung, der Staat und sein Gebot über Gott und<br />

seinen Geist zu stehen komme, während alle berufenen Christen<br />

Gott über alles ehren und Gott mehr als den Menschen<br />

gehorchen sollen.<br />

(Eingabe vom 6. Dezember 1933 an den Regierungspräsidenten des<br />

Regierungsbezirks Kassel, an die Leitung der Geheimen Staatspolizei zu Kassel,<br />

und an den Landrat des Kreises Fulda.)<br />

Ende Oktober, auf dem Heimweg von einem solchen Besuch<br />

bei der Gestapo, glitt Eberhard aus brach ein Bein , ein komplizierter<br />

Bruch, der nie völlig heilen sollte.<br />

Am 16. November, einige Tage nach <strong>einer</strong> Volksabstimmung,<br />

bei der jeder Bruderschaftler, statt Ja oder Nein anzukreuzen,<br />

seinen Glaubensstandpunkt auf den Stimmzettel<br />

geschrieben hatte, wurde der Rhönbruderhof von 140 Mann<br />

Polizei, SS, SA und Gestapo umstellt und nach Waffen und<br />

belastendem Material durchsucht. An diesem Morgen ließ<br />

Eberhard eine Menge Papiere, die Verdacht erregen könnten,


in seinem Studierzimmer verbrennen. Emmy Arnold schreibt<br />

darüber in „Gegen den Strom“ folgendes:<br />

„Eberhard selbst lag mit seinem frisch operierten Bein auf dem<br />

Divan, während diese Leute eindrangen und suchten. Sie hätten<br />

wohl damals gern Eberhard mitgenommen und ihn in ein<br />

Konzentrationslager überführt. Doch was sollten sie mit diesem<br />

kranken Mann anfangen?“<br />

Am 31. Dezember 1933 traf die Nachricht ein, dass das Kinderheim<br />

und die Schule geschlossen seien. <strong>Die</strong> Schulbehörden<br />

hatten geplant, Anfang 1934 einen nationalsozialistischen<br />

Lehrer für die Bruderhofkinder zu schicken, der diese in dem<br />

10 Minuten vom Hof entfernten Saal eines Wirtshauses, das<br />

keinen guten Ruf hatte, unterrichten sollte. Aber die Bruderschaft<br />

hatte bereits sämtliche Schulkinder in kleinen Gruppen<br />

zuerst in die Schweiz geschickt und etwa zwei Monate später<br />

auf den Almbruderhof im Fürstentum Liechtenstein, der inzwischen<br />

um der Kinder willen gegründet worden war.<br />

Im März 1935 kam Eberhard zu Ohren, dass die Einführung<br />

der Militärdienstpflicht unmittelbar bevorstünde. Am<br />

gleichen Abend war eine lange Bruderschaftsversammlung,<br />

um <strong>Gottes</strong> Führung zu erbitten. War die Stunde gekommen,<br />

dass sie um der Überzeugung willen leiden müssten - Konzentrationslager<br />

oder den Tod? - oder sollten die jungen Männer bei<br />

dem Aufbau des Almbruderhofes mithelfen? Letzteres wurde<br />

einstimmig als <strong>Gottes</strong> Wille erkannt, und vor Sonnenaufgang<br />

hatten alle militärpflichtigen jungen Männer den Rhönbruderhof<br />

verlassen, mit der Bahn, mit dem Fahrrad oder sogar<br />

zu Fuß, um über die Grenze zu gelangen.


<strong>Die</strong>se Trennung der Gemeinschaft, die jetzt auf zwei Plätzen<br />

lebte, war unorganisch. So musste Eberhard häufig, immer noch<br />

auf Krücken und gegen ärztlichen Rat, von einem Bruderhof<br />

zum andern reisen. Nach <strong>einer</strong> nochmaligen Operation des<br />

gebrochenen Beines wurde Eberhard am 22. November 1935<br />

im Elisabeth-Krankenhaus zu Darmstadt in die Ewigkeit abberufen.<br />

Das war ein unerwarteter und tieferschütternder<br />

Schlag, ein unermesslicher Verlust für die kleine kämpfende<br />

Schar auf den zwei Bruderhöfen und für alle, die ihn liebten.<br />

Aber seine Lebenshaltung und sein Lebenszeugnis konnte<br />

nicht ausgelöscht werden; denn Eberhard hatte nur eines bezeugt:<br />

die Nachfolge Jesu.<br />

Am 26. Juli 1933, zu seinem fünfzigsten Geburtstag, hatte<br />

Eberhard an die Rhönbruderhof-Gemeinschaft folgende<br />

Worte gerichtet:<br />

Mir ist am heutigen Tage besonders die Unfähigkeit und das<br />

ungeeignete eigene Wesen zum Bewusstsein gekommen, wenn<br />

ich daran denke, wie Gott mich schon in meinem sechzehnten<br />

Lebensjahr gerufen hatte, und wie ich ihm im Wege gestanden<br />

habe, so dass vieles von dem, was Gott zweifellos durch seine<br />

Werkzeuge hat tun wollen, nicht hat getan werden können.<br />

Ein Seufzer aus der Tiefe eines wahrhaft demütigen<br />

Herzens! Kurz vor seinem Tod (14. November 1935)<br />

schrieb Eberhard an die Mitglieder des Bruderhofes:<br />

Ich halte die innerste und äußerste Vereinigung echten Althuttertums<br />

mit der Glaubenshaltung beider Blumhardt und mit<br />

der Lebenshaltung wahrhafter Jugendbewegung als eine wahrhaft<br />

wunderbare Fügung für Eure Zukunft fest.


<strong>Die</strong> nationalsozialistische Regierung beschlagnahmte den<br />

Rhönbruderhof im April 1937; alle Bewohner mussten das<br />

Land innerhalb 48 Stunden verlassen. Sie durften mitnehmen,<br />

was sie tragen konnten. Dass gerade zu der Zeit zwei<br />

hutterische Brüder aus Nordamerika zu Besuch gekommen<br />

waren, bedeutete eine unschätzbare Hilfe. Ihrem Einfluss war<br />

es wohl zu verdanken, dass die Gestapo den ausländischen<br />

und auch den deutschen Staatsbürgern erlaubte, zusammen,<br />

als Gruppe, Deutschland zu verlassen. Einige fuhren auf den<br />

Almbruderhof; die meisten reisten über Holland nach England<br />

auf den 1936 gegründeten Cotswold-Bruderhof. Aus der<br />

Zeit stammt die englische Bezeichnung: „Society of Brothers“.<br />

Bald nach Beginn des zweiten Weltkrieges wanderte die<br />

Gemeinschaft, mit Ausnahme von drei Mitgliedern,<br />

nach Paraguay/Südamerika aus. Paraguay war damals das einzige<br />

Land, das Freiheit vom Militärdienst gewährte. Durch<br />

harte Pionierarbeit und Unterstützung durch die dort lebenden<br />

Mennoniten wurden drei Bruderhöfe im subtropischen<br />

Urwald aufgebaut. <strong>Die</strong> Gemeinschaft lebte von 1941 1961<br />

in Paraguay. Aber schon bald nach Kriegsende unternahmen<br />

Brüder von Paraguay aus Reisen nach den USA, wo sie zahlreichen<br />

Menschen begegneten, die sich für das Leben und<br />

die Glaubenshaltung der Bruderhöfer interessierten. 1954<br />

wurde der Woodcrest Bruderhof bei Rifton, im Staate New<br />

York, gegründet. Bald darauf entstanden zwei weitere Gemeinschaften,<br />

eine 1957 in Pennsylvania, eine andere 1958 in<br />

Connecticut. Seit 1971 gibt es auch wieder einen Bruderhof<br />

in England.


[Inzwischen ist die Bruderhof-Bewegung weiter gewachsen. Heute – 2008 – gibt<br />

es insgesamt zehn „Höfe“ in den USA, in England und Australien, sowie mehr<br />

als zehn kl<strong>einer</strong>e Aussenstellen weltweit. Daher – und auch um Verwechslungen<br />

auszuschließen – wurde der offizielle Name geändert in „Christian Community<br />

International“.]<br />

* * *<br />

<strong>Die</strong>ser kurze Überblick über Eberhard Arnolds Leben<br />

und die Geschichte des Bruderhofes wird zweifellos<br />

bei manchen Lesern Fragen wachrufen: Wie steht es heute<br />

mit dem Bruderhof? Besteht dieses gemeinsame Leben noch<br />

heute, 1983? Steht es noch auf derselben Grundlage, wie einst<br />

ihr geistiger Vater? Oder haben die heutigen Bruderhöfer an<br />

die Gedankenwelt und die Lebensformen unserer Zeit, des<br />

Jahrhundert Endes, Konzessionen gemacht?<br />

Wir antworten, dass wir auf derselben Grundlage wie die<br />

1920 in Deutschland gegründete Gemeinschaft auch jetzt zusammen<br />

leben. Uns begegnen heute viele der gleichen Probleme,<br />

wie damals; aber durch die wachsende Beunruhigung für die<br />

Zukunft der Menschheit sind neue Fragen und Probleme hinzugekommen,<br />

die von der einzig sicheren Grundlage aus die<br />

eine klare Stellungnahme fordern: das Zeugnis Jesu und sein<br />

Leben.<br />

Es steht uns nicht zu, über Menschen ein Urteil zu fällen,<br />

die in ihrer Ratlosigkeit oder weil ihnen nie ein anderer Weg<br />

gezeigt wurde, zu Geburtenregelung, Abtreibung, Ehescheidung,<br />

zu Alkohol und Drogen oder zur Gewalt Zuflucht nehmen.<br />

Im Gegenteil; die verheerende geistige und seelische Not<br />

solcher Menschen erweckt in uns tiefes Mitempfinden. Ebensolches<br />

Mitgefühl erfüllt uns für die Opfer der zersetzenden<br />

0


Sekten, für die Gescheiterten: Menschen, die aus zeitweilig<br />

populären Bewegungen abgesprungen, einst von religiösem<br />

Eifer oder Traumgebilden utopischen Gemeinschaftslebens<br />

mitgerissen, den Boden unter den Füßen verloren haben.<br />

Durch die drohende Katastrophe eines Atomkrieges scheinen<br />

sich die Umrisse zweier entgegengesetzter Richtungen immer<br />

schärfer abzuzeichnen: <strong>einer</strong>seits zunehmende Gewalttätigkeit,<br />

wachsender Wohlstand, Vergnügungssucht und Unsittlichkeit,<br />

und Ehrfurchtslosigkeit vor dem Leben in jeder<br />

Hinsicht; andererseits aber ein Anwachsen der Bestrebungen<br />

für Frieden und Brüderlichkeit und das Verlangen, dass Gott<br />

selbst die Katastrophe abwende und die Menschen sich Ihm<br />

nahen möchten. Auf diese Seite sehen wir Bruderhöfer uns<br />

gestellt - dank des göttlichen Geistes, der uns immer wieder<br />

zur ersten Liebe, zu Jesus, zurückführt.<br />

Der Geist will die Materie durchdringen, sich in anschaulicher<br />

Gestalt offenbaren. Aber die Form und Gestaltung des<br />

gemeinsamen Lebens ist nicht unser erstes Anliegen. Statistische<br />

Angaben über unser Leben, der Tageslauf auf dem<br />

Bruderhof, die Art unserer Zusammenkünfte, die Lösung<br />

alltäglicher Probleme, die verschiedenen Arbeitsgebiete und<br />

deren Besetzung – dies alles ist nur das Knochengerüst; das<br />

braucht Fleisch und Blut, Muskeln und Sehnen, um einen<br />

Leib zu bilden. Aber auch hierfür gilt es, dass die äußere Gestaltung<br />

unseres gemeinsamen Lebens ein Geschenk ist, das<br />

uns täglich durch die Gegenwärtigkeit des Geistes neu gegeben<br />

werden muss. Jeder menschliche Versuch, ein geordnetes Gemeinschaftsleben<br />

aufzubauen, muss scheitern, wenn der Geist<br />

nicht die Materie des täglichen Lebens durchdringt.


Folglich kann man von den praktischen und den geistigen<br />

Belangen des Bruderhoflebens nicht gesondert sprechen; sie<br />

sind eins. Es hat sich sogar erwiesen, dass es keinen besseren<br />

und schnelleren Weg gibt, sich gegenseitig kennenzulernen<br />

und im andern den gleichen Drang zur hingebenden Liebe<br />

und wahren Geistesgemeinschaft zu entdecken, als bei gemeinsamer<br />

Arbeit. Das gilt für uns alle: für uns, die wir seit<br />

Jahren in Gemeinschaft leben ebenso wie für unsere herzlich<br />

willkommenen Gäste.<br />

Der Kreis <strong>einer</strong> Bruderhof -Hausgemeinschaft besteht aus<br />

den vollen Mitgliedern, den Novizen, den Kindern und nicht<br />

zuletzt den vielen Gästen, die für längere oder kürzere Zeit<br />

zu uns kommen. Wir können nur dankbar staunen, wie viele<br />

Einzelstehende und Familien bereit sind, ihren Besitz, ihre<br />

sogenannten Vorrechte, alles, was ihnen bisher Werte waren,<br />

aufzugeben, um mit uns ein Leben des Friedens in der Nachfolge<br />

Jesu zu wagen. Der Verzicht auf jegliches Privateigentum<br />

ist auf dem Bruderhof zwar eine unbedingte Notwendigkeit,<br />

aber dies ist nicht der Hauptpunkt. Es wird mehr gefordert:<br />

unsere ganze Arbeitskraft einzusetzen, die zweite Meile zu gehen,<br />

wenn die erste gefordert ist und einander in Offenheit<br />

anzuhören.<br />

<strong>Die</strong> Bruderhöfer sind von verschiedenartigster Herkunft.<br />

Viele kommen von Seminaren und Universitäten, aus dem<br />

Geschäftsleben und der Industrie, aus wohlhabenden Familien;<br />

andere haben ihr Studium vorzeitig abgebrochen; wieder<br />

andere kommen aus ärmlichen Verhältnissen, schlechtbezahlten<br />

Stellungen oder gar Arbeitslosigkeit. Manche kommen<br />

mit sozialen und politischen Idealen. Viele haben christliche


Erweckungsbewegungen und Gemeinschaftsgruppen verlas-<br />

sen oder gehörten zu Quäkerkreisen und Brüdergemeinden,<br />

zur evangelischen oder katholischen Kirche. Moderne Skeptiker,<br />

Vegetarier, entschiedene Atheisten und solche, die mit der Bibel<br />

nichts mehr anzufangen wussten, sind auch darunter. Nie und<br />

nimmer können Menschen von solch grundverschiedener<br />

Herkunft als eine Konsumgenossenschaft oder als eine Sympathie<br />

Gemeinschaft oder aus Idealismus zusammengeschmolzen<br />

werden. Nur durch das völlig unverdiente Wirken <strong>Gottes</strong><br />

ist es möglich, Menschen so mannigfaltiger Herkunft in jene<br />

tiefste Einheit des Glaubens, des Lebens und des täglichen<br />

<strong>Die</strong>nstes in <strong>einer</strong> Gemeinschaft, in der Jesus der Mittelpunkt<br />

ist, zusammenzuführen.<br />

Wie können so viele verschiedenartige Menschen nun von<br />

Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag jahrein und jahraus zusammen<br />

leben und arbeiten? Wie lösen sie die vielen Fragen, die<br />

aus einem so engen Zusammenleben zweifellos entstehen? die<br />

Probleme, die aus der Erziehung so vieler Kinder erwachsen,<br />

von denen jedes einzelne als ein besonderes Geschenk <strong>Gottes</strong><br />

empfangen wird?<br />

Unser Leben besteht nicht nur aus strammer Arbeit; Ausspannung<br />

und gemeinsame Freude haben ihren Platz im<br />

täglichen Leben. Wir bewegen uns nicht nur in hohen geistigen<br />

Sphären; wir sind ganz gewöhnliche Menschen, die mit<br />

beiden Füßen auf der Erde stehen, mit ganz gewöhnlichen,<br />

oft allerliebsten, aber oft auch Unfug anstiftenden, ja wirklich<br />

ungezogenen Kindern. Aber das ganze Leben steht unter<br />

der Herrschaft dessen, dem wir uns zum <strong>Die</strong>nst verpflichtet<br />

haben; es ist ein Leben in großem Ernst und zugleich tiefer


Freude, ein Leben, das nicht um unserer selbst willen aufgebaut<br />

wurde. <strong>Die</strong> Welt mit ihrer zum Himmel schreienden Not, oft<br />

in unserer nächsten Nähe, drängt uns dazu zu versuchen, so<br />

viele Menschen wie möglich zu erreichen: durch Aussendung,<br />

durch Bücher und Schriften, durch Briefaustausch. Am liebsten<br />

aber heißen wir jeden, der das Bruderhofleben bei einem persönlichen<br />

Besuch kennenlernen möchte, mit offenen Armen<br />

willkommen!<br />

<strong>Die</strong> Gemeinde ist ein lebendiger Bau. <strong>Die</strong> Menschen darin<br />

sind lebendige Bausteine. <strong>Die</strong>se lebendigen Steine haben nichts<br />

Vollkommenes an sich selbst, sondern müssen beschlagen und<br />

zugerichtet werden, dass sie mehr und mehr in den Bau hineinpassen.<br />

Dennoch ist der Bau ein vollkommener Bau. Das eben<br />

ist das Geheimnis, dass das Leben dieses Baus nicht aus seinen<br />

Teilen besteht, sondern vielmehr aus dem lebendigen zusammenfassenden<br />

heiligen Geist.<br />

Eberhard Arnold<br />

Wir alle, die wir heute dem Bruderhof angehören, bereuen tief<br />

unser häufiges Versagen im <strong>Die</strong>nst der Sache, die Eberhard<br />

Arnold so glühend im Herzen brannte. Von 1920 an hatte<br />

die Gemeinschaft immer wieder gegen aufkommenden Stolz,<br />

gegen Ehrgeiz und gegen das Bauen auf die eigene Kraft zu<br />

kämpfen. Dass solche Durchschnittsmenschen wie wir diesen<br />

radikalen Weg der Nachfolge gehen dürfen, ist reine Gnade.<br />

Immer wieder hat Gott uns durch Buße und die Vergebung<br />

durch Jesus auf den Weg zurückgeführt. Wir vertrauen allein<br />

auf seine Kraft und seinen endgültigen Sieg. Möge Gott uns<br />

und Euch die Gnade schenken, seinen Weg zu gehen.<br />

Church Communities International<br />

Darvell, Robertsbridge,<br />

Sussex, TN32 5DR, England<br />

oder:<br />

Sannerzhaus, Lindenstr. 13,


<strong>Die</strong> zerfallenD e Welt<br />

unD <strong>Gottes</strong> kommenD e<br />

o r D nunG


1. Am RANDE DER K ATASTROphE<br />

Man hat Den erschreckenDen Eindruck, dass wir vor <strong>einer</strong> Ge-<br />

richtskatastrophe stehen. Wenn diese Katastrophe nicht eintre-<br />

ten sollte, so ist sie doch so nahe gerückt, dass sie nur durch ein<br />

unmittelbares Eingreifen <strong>Gottes</strong> verhindert werden kann.<br />

1935<br />

Mit Maschinen, autos unD Flugzeugen wird fast unendlich<br />

Erstaunliches geleistet, vor allem in der Bewältigung des<br />

Raumes und der Zeit. Jedoch werden Tausende und Abertausende<br />

dadurch getötet. In den Großstädten wird Gewaltiges<br />

erreicht, aber die meisten großstädtischen Familien sterben in<br />

der dritten oder vierten Generation aus. Das Unheimlichste an<br />

dieser Zivilisation sind die drei gewaltigen Organisationen der<br />

Staaten, der Armeen und des Kapitalismus. <strong>Die</strong>se drei Organisationen<br />

sind das Beste, was der Erdgeist hervorgebracht hat.<br />

Wir können nicht genug über den gewaltigen Aufbau staunen,<br />

der auf diesen Gebieten mit <strong>einer</strong> gefallenen Schöpfung geleistet<br />

wurde. Aber dies alles endet im Tod. Wie groß ist diese<br />

gewaltige Macht! Wie unbedingt erscheint ihre Geltung!<br />

1934


Wenn <strong>Die</strong> Menschheit sich selbst in immer erneutem Wahnsinn<br />

zerstört und verdirbt, so muss dieser finsteren Wirklichkeit des<br />

Heute das weit wirklichere Licht des Morgen gegenübertreten,<br />

in welchem der Mensch zu ganz anderem berufen ist als zu<br />

Verrat und Lüge, zu Mord und Hass, zu Tod und Untergang<br />

(1.Thess.5,4-5). Aber wir werden der Gewissheit dieses kommenden<br />

Aufgangs fernbleiben, solange wir nicht die Dunkelheit<br />

der Nacht in ihrer undurchdringlichen Finsternis und in<br />

all ihrem unergründlichen Leid gefasst haben.<br />

1919<br />

<strong>Die</strong> herrschaft Des Bösen wirkt sich in allen Menschen aus<br />

und gelangt in den heutigen Verhältnissen zu <strong>einer</strong> in ihrer<br />

Massenwirkung unerhörten Steigerung. Man trifft auf sie in<br />

jeder Staatsform, in jeder Kirche, in jeder noch so frommen<br />

Versammlung, in allen Parteien und Arbeitsgruppen, selbst<br />

in der Familie und in der Bruderschaft. Der Charakter ihrer<br />

Dämonie offenbart sich in all diesen Gebilden, wenn sie auch<br />

noch so verschieden auftritt. Er zeigt sich in ihrem Hang zu<br />

eigensinniger Selbstbestimmung, in ihrer Neigung, die eigene<br />

Person, das eigene Volk, den eigenen Staat, die eigene Kirche, die<br />

eigene Sekte, die eigene Partei oder Arbeitsgruppe, die eigene<br />

Familie oder Bruderschaft, oder wenigstens den eigenen Gedanken<br />

als die Sache hinzustellen, auf die es allein ankommt.<br />

1926<br />

es ist Wohl kauM jemals eine Zeit gewesen, in der es den Men-<br />

schen so klar werden konnte, wie in der unsrigen, dass Gott<br />

mit s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit und Liebe noch nicht herrscht. Wir


sehen es an uns selbst und an den geschichtlichen Ereignissen<br />

unserer Tage. Wir sehen es an dem Schicksal der Verlorenen,<br />

der Millionen und Abermillionen von Arbeitslosen. Wir sehen<br />

es an der ungerechten Verteilung der Güter, obwohl die Erde<br />

ihre Fruchtbarkeit und alle ihre Kräfte aufs reichste hergibt.<br />

Während notwendigste Arbeiten getan werden müssten, um<br />

der Menschheit zu helfen, ist das alles durch die ungerechte<br />

Weltordnung verhindert und zerstört. Wir stehen mitten in<br />

<strong>einer</strong> Kulturzerstörung. Kultur ist nichts anderes als die geordnete<br />

Arbeit des Menschen an der Natur. Und diese Arbeit ist<br />

Unordnung geworden, die in ihrer Ungerechtigkeit gen Himmel<br />

schreit.<br />

Hunderte von Anzeichen sind dafür da: Es soll etwas geschehen<br />

in unsern Tagen. Es kann aber nichts geschehen, was<br />

wirklich Geschichte wäre, wenn es nicht von Gott aus geschieht.<br />

Dazu nun versammeln wir uns, ihn zu bitten, dass er Geschichte<br />

mache, dass er seine Geschichte mache, die Geschichte s<strong>einer</strong><br />

Gerechtigkeit. Und wir haben alle Ursache, mit allen anderen<br />

Menschen zu erbeben, wenn Gott seine Geschichte macht.<br />

Denn so wie die Dinge liegen, kann Gott seine Geschichte<br />

nicht machen, wenn er nicht zuerst in seinem Zorn dahinfährt<br />

über all die Ungerechtigkeit und Unliebe, über all den Unfrieden<br />

und Ungeist, der die Welt beseelt. Sein Zorn muss als ein<br />

Tag des Gerichts seine Geschichte beginnen, und dann erst darf<br />

der Tag der Freude, der Liebe, der Gnade und der Gerechtigkeit<br />

anbrechen. Und wenn wir Gott darum bitten wollen, dass<br />

er eingreift, so gilt es, ihm die Brust hinzuhalten, damit sein<br />

Blitz uns trifft. Denn wir alle sind schuldig, und niemand ist ohne<br />

Schuld an der Ungerechtigkeit des heutigen Weltzustandes.<br />

1933


nieManD kann es verkennen, dass in Verbindung mit revo-<br />

lutionären Bewegungen den menschlichen Geist eine gewal-<br />

tige Gewissensregung erschüttert hat. Nicht eher kann sie zur<br />

Ruhe kommen, als bis ihr Mahnruf allen ins Leben gegriffen<br />

hat. Der Angriff, den der Sozialismus und der Kommunismus<br />

gegen die bisherige Gesellschaftsordnung unternimmt,<br />

ist ein Gewissensappell an uns, die wir uns Christen genannt<br />

haben. Er mahnt uns stärker als alle Predigten an unsere Aufgabe,<br />

im wirkenden Protest allem dem entgegenzuleben, was<br />

in dieser Welt dem Wesen <strong>Gottes</strong> entgegengesetzt ist. <strong>Die</strong>ser<br />

Aufgabe sind wir Christen so wenig nachgekommen, dass die<br />

Entscheidungsfrage gestellt werden muß: Sind wir überhaupt<br />

Christen?<br />

1919<br />

JeDe erWeckung Des geMeinsaMen Gewissens der Menschen<br />

ist von elementarer Bedeutung. Es gibt ein Weltgewissen. Es<br />

ist ein Menschheitsgewissen. Es erhebt sich gegen Krieg und<br />

Blutvergießen, gegen Geldgier und soziale Ungerechtigkeit,<br />

gegen Gewalttat jeder Art.<br />

1919<br />

<strong>Die</strong> Bereitschaft Des glauBens sollte in letzter Stunde die<br />

Herzen für die Kräfte der zukünftigen Welt, das heißt für den<br />

Geist des oberen Jerusalem aufschließen (Offb.3,10-12).<br />

Bis an die Enden der Erde soll die Welt aufmerken, dass das<br />

letzte Reich naht. Sie wird dies aber nur dann tun, wenn die<br />

Gemeinde Jesu Christi die Einheit und Gerechtigkeit dieses<br />

Reiches in Wahrheit vertritt und tatsächlich verwirklicht. Durch


den Glauben wird die Einheit wirkliche Tatsache werden, so<br />

oft und wo nur immer das Leben der glaubenden Liebe eine<br />

letzte und aktivste Bereitschaft beweist.<br />

0<br />

1934<br />

<strong>Die</strong>ses ist Das leBen, zu dem er uns gerufen hat: dass wir nicht<br />

unser Leben lieben und pflegen, auch nicht das Leben unserer<br />

Mitmenschen; dass wir also nicht für die Menschen leben,<br />

sondern für <strong>Gottes</strong> Ehre und für sein Reich. Wir dürfen uns<br />

nicht hinaufsteigern, nicht hinaufpflegen und nicht hinauflieben,<br />

sondern der Weg zum Reich <strong>Gottes</strong> führt durch den Tod,<br />

durch den wirklichen Tod. Unser Leben muss geopfert werden<br />

für Gott und sein Reich (Mark.8,35).<br />

Wenn wir die heutige Zeit begreifen, wie sie wirklich ist,<br />

dann ist es offenbar, dass diese Forderung uns überaus nahegerückt<br />

ist. Wir brauchen vielleicht nicht gerade an den<br />

so überaus nahegerückten Krieg zu denken. Aber die öffentliche<br />

Lage der Dinge erfordert, dass wir jeden Augenblick bereit<br />

sind, unser Leben um der Sache willen zu verlieren. Und<br />

wehe denen, die immer wieder ihr Leben erhalten wollen!<br />

(Joh.12,25)<br />

1935<br />

„Wache auf, Der Du schläfst, und stehe auf, so wird dich Chri-<br />

stus erreichen!“ (Röm.13,11) Wer irgendwie in die Dämmerung<br />

seines Herzens zurückgeraten ist, der wird aufgerufen:<br />

„Wache auf und stehe auf von den Toten! Christus als das<br />

wahre Licht steht vor dir!“ (Eph.5,14) Er will dir wieder Kraft<br />

geben, dass du wieder die kräftigen Werke hervorbringst, welche<br />

die Werke der Liebe sind und einzig und allein aus dem<br />

Glauben an Christus geboren werden können.


„Ihr steht in der vorletzten Zeit. Es ist die letzte Stunde“<br />

(1.Joh.2,18). „Seht zu, dass ihr fürsorglich wandelt.“ Das be-<br />

deutet, die Zukunft vorauszusehen, die im Herannahen ist,<br />

und euer Leben so zu gestalten, wie es der Zukunft <strong>Gottes</strong><br />

entspricht. „Ergreift den Augenblick, denn es ist eine böse<br />

Zeit!“ <strong>Die</strong> Stunde der letzten Gefährlichkeit ist gekommen.<br />

Jetzt müssen die Menschen erwachen, damit sie im kommenden<br />

Gericht bewahrt werden können. „Darum werdet nicht<br />

unverständig, sondern lernt verstehen, welches der Wille des<br />

Herrn ist in dieser Zeit“ (Eph.5,15-17). Werdet verständig,<br />

weil die Zeit so überaus böse und gefährlich ist, damit ihr<br />

in der Stunde der Anfechtung nicht im Gericht verbleiben<br />

müsst. <strong>Die</strong> törichten Jungfrauen wurden unaufmerksam. So<br />

werdet auch ihr dem kommenden Gericht verfallen, wenn ihr<br />

das Öl in euren Lampen nicht geborgt oder geschenkt bekommen<br />

könnt (Matth.25,1-13).<br />

1931


2. DAS hEREINb REchEN DES<br />

G OTTESREIchES<br />

Wenn all unser tun nur auf das eine abzielt, dass sein Reich<br />

kommt, also, dass sein Wollen Tatsache wird, so kommt es<br />

und wird es, worum wir gebeten haben (Matth. 6,33). Gott<br />

wird sich größer zeigen als es unser Herz fassen kann. Es wird<br />

weit mehr geschehen, als wir in Worte zu fassen wagen. <strong>Gottes</strong><br />

Erfüllung wird das kühnste Bitten übersteigen. Und damit wir<br />

erkennen, dass es Gott ist, der alles tut, wird es geschehen,<br />

während wir noch rufen oder ehe wir unsre Bitte aussprechen<br />

konnten (Jes. 65, 24). Wer bei Gott anklopft – wer nichts anderes<br />

sucht als Gott und nur Gott allein – bekommt, was er<br />

erbittet, ehe er sich umsehen kann (Matth.7,7-11).<br />

1929<br />

Wir können nur gott bitten, dass sein Geist mit neuer Macht<br />

und Vollmacht sich aufmacht mit <strong>neuen</strong> Gedanken, die aus der<br />

Tiefe und Weite des Herzens <strong>Gottes</strong> hervorbrechen und die<br />

weit, weit hinausgehen über die Gedanken unserer schwachen<br />

Vorstellungen. Wir wollen also darum bitten, dass er etwas<br />

Übermächtiges, etwas Gewaltiges tut – etwas von uns vollkommen<br />

Unabhängige – dass seine Herrschaft wirklich hereinbricht,<br />

dass seine Liebe sich offenbart, dass das Reich deutlich wird für<br />

den herabkommenden Heiligen Geist und seinen herniederkommenden<br />

Jesus Christus. Und dafür wollen wir uns hingeben, und


wenn es auch unser Leben kostet. Dafür wollen wir einstehen,<br />

dass das geschieht über uns hinweg und durch uns hindurch<br />

– dass das geschieht für die Errettung aller Völker.<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> WunDerkräfte gottes WerDen offenbar werden, die Wirk-<br />

lichkeit des Reiches <strong>Gottes</strong> wird in eurer Mitte offenbar werden,<br />

weil es der Heilige Geist ist, der euch ergreift und durchdringt<br />

und hineinnimmt in die Sphäre des Reiches <strong>Gottes</strong>, das im<br />

Kommen ist (Apg. 2,17-21). Der Wind, der einem Unwetter<br />

vorausgeht, gehört zum Unwetter. Der Heilige Geist gehört<br />

zu dem Gerichtstag und Erlösungstag, zu dem Tag des hereinbrechenden<br />

Reiches, obgleich er als Sturm, als Stimme <strong>Gottes</strong>,<br />

dem Ergreifen der Herrschaft <strong>Gottes</strong> vorausgeht. So oft sich<br />

nun dieses Ereignis bewahrheitet, das wir in der Apostelgeschichte<br />

als Gründung der apostolischen Gemeinde in Jerusalem<br />

erfassen, so oft geschieht etwas für die ganze Welt.<br />

1935<br />

Wir sinD 150 verschieDene große und kleine Menschen. Jeder<br />

hat seine besondere Führung. Alle diese verschiedenen Lebensfäden<br />

führen zum gemeinsamen Leben. Und dieses gemeinsame<br />

Ziel ist bei uns allen gleich. Es entspricht der Zukunft<br />

des Reiches <strong>Gottes</strong>. Wir verstehen darunter etwas ebenso Irdisches<br />

wie Himmlisches. Wir glauben an das jenseitige, ewige<br />

Leben, aber zugleich auch an das diesseitige Leben der Zukunft<br />

<strong>Gottes</strong>, dass also die ewigen Kräfte hier hereinbrechen,<br />

um das Erdreich für das zukünftige Reich <strong>Gottes</strong> zu erobern.


Wir bekennen die Gemeinde Christi als eine Gesandtschaft<br />

der zukünftigen Reichsverfassung <strong>Gottes</strong>. Also das, was ein-<br />

mal die Konstitution des Reiches <strong>Gottes</strong> sein wird, soll die<br />

Gemeinde Christi heute schon vertreten. Und wir sagen: Das,<br />

was der Zukunft <strong>Gottes</strong> vorausgeschickt ist, ist der Heilige<br />

Geist. Der Heilige Geist ist das Element der großen Zukunft.<br />

Deshalb empfängt die Gemeinde den Heiligen Geist, nicht<br />

um äußerlich sich eine Landkarte des Reiches <strong>Gottes</strong> oder<br />

eine Zeittafel <strong>Gottes</strong> auszurechnen, gar nicht; sondern um<br />

dem Geiste nach das ganze Leben durch die völlige Liebe bestimmen<br />

zu lassen.<br />

Das bedeutet freilich, dass wir in schärfsten Gegensatz zum<br />

Zeitgeist treten. Ob es ein liberalistischer Geist ist, der dem<br />

Bösen, der Sünde, gewissermaßen freien Lauf lässt und die<br />

Menschen sich in ihren Sinnen austoben lässt, oder ob es ein<br />

diktatoris her Geist ist: Beides ist abwegig, so dass wir unter<br />

allen Umständen unzeitgemäß sind.<br />

1935<br />

keine geBote unD verBote, keine Gebotstafeln und keine Ge-<br />

setzestafeln werden in diesem Reich vonnöten sein. Hier wird<br />

alles durch die innere Geburt und durch die innere Eingebung<br />

geordnet werden, nämlich durch das Regiment des Geistes<br />

Jesu Christi.<br />

1935<br />

Jesus hat uns iMMer wieder zur Arbeit aufgerufen: zu wirken,<br />

solange es Tag ist (Joh.9,4). Er hat sein Reich mit der Arbeit auf<br />

einem Weingut, mit der Anlage anvertrauter Gelder, mit der


Verwertung aller Talente verglichen. Wenn das Reich <strong>Gottes</strong><br />

dieses “Jammertal” zu einem Freudenreich umgestalten soll,<br />

so muss es ein Reich der Arbeit sein. Nur die Arbeit entspricht<br />

der Bestimmung des Menschengeistes. Der Mensch ist seinem<br />

Urwesen nach zum Schaffen berufen. Nur in gemeinsamer Arbeit<br />

innerhalb der ungetrübten Liebesgemeinschaft kann er zu<br />

gesunder Lebensfreude gelangen.<br />

1919<br />

in DeM ungeheuerlichen kaMpf zweier Gegensätze ist uns eine<br />

wesentliche Berufung gegeben. Wir sind weltfremd insofern,<br />

als wir die gegenseitige Verdrängung und Vernichtung nicht<br />

anerkennen. Wir sind ganz weltnahe und naturnahe, indem<br />

wir die aufbauende, soziale Kraft der gegenseitigen Hilfe, der<br />

Zusammengehörigkeit, anerkennen. Und wir schließen niemanden<br />

davon aus. Sondern wir glauben, dass alle Menschen,<br />

wie sie auch seien, zusammengebracht werden durch dies innerste<br />

Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gegenseitigen<br />

<strong>Die</strong>nstes.<br />

Wir glauben daran, dass alle Menschen, so tief sie auch in<br />

die Verdüsterung gesunken sein mögen, dennoch einen Lichtfunken<br />

in der Tiefe ihres Herzens haben. Wir glauben daran,<br />

dass dieser Lichtfunke, der in allen Menschen ist, schließlich<br />

sie alle zusammenbringen muss in einem gewaltigen Lichtmeer<br />

der Gemeinschaft <strong>Gottes</strong>.<br />

1935<br />

Man spricht heute gern davon, dass man nichts vorwegneh-<br />

men dürfe von <strong>Gottes</strong> Reich. Das ist richtig. Menschen dürfen


und können nichts vorwegnehmen von dem, was Gott tun<br />

wird. Aber dieses Wort, dass man nichts vorwegnehmen dürfe,<br />

verbirgt oft, nur allzuoft Unglauben gegenüber dem Heiligen<br />

Geist. Menschen können nichts vorwegnehmen von <strong>Gottes</strong><br />

Reich; aber Gott kann etwas voraussenden von seinem Reich,<br />

und das ist der Heilige Geist. Der Heilige Geist ist das vorausgeschickte<br />

Wesen des Zukunftsreiches, das vorauseilende<br />

Hereinbrechen der kommenden Herrschaft.<br />

1934<br />

Wohl sinD viele Menschen aufgestanden, die die Not der Welt<br />

auf ihrem Herzen gefühlt haben und die darum gewusst haben:<br />

Es muss Gerechtigkeit kommen. Aber k<strong>einer</strong> von ihnen<br />

außer Jesus allein hat uns – zugleich mit dieser Sehnsucht nach<br />

Gerechtigkeit – das umfassende Reich, die umfassende Klarheit<br />

der Ordnung und der Gerechtigkeit gegeben und den<br />

Weg dazu gezeigt.<br />

1931<br />

Das relativ Beste in der Finsternis ist der Staat und die ihn<br />

inspirierende Kirche. Wenn dies relativ Beste, das die Finsternis<br />

aufzuweisen hat, gestürzt ist, dann erst kommt das Reich<br />

<strong>Gottes</strong>. Das absolut Beste ist die Hochzeit des Lammes und<br />

sein Abendmahl (Offb. 19,7-9). Wir brauchen nicht darüber zu<br />

reflektieren, in welcher Gestalt es kommt. <strong>Die</strong>ses buchstabische<br />

oder photographische Interesse geht uns ab. Unser Interesse<br />

besteht darin, dass seine Freude und seine Vereinigung über<br />

dem ganzen Horizont offenbar wird. <strong>Die</strong> ganze Erde wird eine<br />

Gemeinde Christi sein. <strong>Die</strong> ganze Erde wird ein Hochzeitsfest


Christi sein. <strong>Die</strong> ganze Erde wird ein Friedensreich sein. Chri-<br />

stus wird überall gegenwärtig sein! Und nun ist unser Gemein-<br />

deleben dazu da, um in dieser Erwartung treu zu sein und treu<br />

zu arbeiten. Dafür sollen auch die Hochzeit und das Hochzeitsmahl<br />

ein Symbol sein. Jede gemeinsame Mahlzeit soll ein<br />

Symbol und ein Zeichen für die Gemeinschaft sein.<br />

1934<br />

christus vollBringt alles, Weil er alles bereits vollbracht<br />

hat. In der Abkehr vom Alten, in der Vergebung des Alten,<br />

in der Hinkehr zum Neuen und in dem Wagnis des Neuen<br />

ist uns eine unendliche Freude geschenkt. Es ist die Freude<br />

des Evangeliums – die Freude des Heiligen Geistes, die Freude<br />

im Herrn – die alles umfasst, weil sie von dem unendlichen<br />

Gott ausgeht (Phil.4,4-5). Es ist die Freude der Zuversicht,<br />

dass allen Menschen dasselbe Glück gehört, dass die Zukunft<br />

dennoch <strong>Gottes</strong> ist.<br />

1920/21<br />

Das heraBkoMMen Des reiches <strong>Gottes</strong>, wenn Christus die Erde<br />

in einem <strong>neuen</strong> Schöpfungstag in <strong>Gottes</strong> Herz zurückgibt, ist<br />

noch etwas anderes. Unser Gebet soll es herbeirufen, dass Gott<br />

es tue. Nicht wir können es tun, auch nicht durch unseren<br />

Glauben. Allein Gott kann es tun.<br />

Es muss eine Erweckung kommen; aber es muss noch etwas<br />

Größeres kommen. Kannst du das fassen, dass auch noch<br />

etwas Größeres kommen muss als es das Urchristentum war,<br />

das apostolische Christentum? Nämlich das Reich <strong>Gottes</strong>,<br />

welches die ganze Welt verändert.


3. JESUS UND DIE bERGp REDIGT<br />

Wir sollten uns stänDig damit befassen, wer Jesus ist, was er<br />

gesagt hat, wie er gelebt hat, wie er gestorben ist, in welchem<br />

Sinn er auferstanden ist. Es gilt, den Inhalt s<strong>einer</strong> Bergpredigt<br />

– s<strong>einer</strong> Worte und Gleichnisse (Matth Kap.5-7) – ganz in uns<br />

aufzunehmen, damit wir vor aller Welt dasselbe vertreten, was<br />

er gelebt hat.<br />

1935<br />

Der inhalt Des reiches <strong>Gottes</strong> wird in der Bergpredigt klar<br />

und wird deutlich einmal im Vaterunser und in dem Wort:<br />

Gehet hinein durch die enge Pforte! Das heißt: Tut allen Leuten<br />

das, was ihr wünscht, das sie euch tun möchten! Das wird<br />

gewöhnlich übersehen. Den Weg geht ihr erst, wenn ihr für<br />

alle Menschen dasselbe tut, was ihr für euer Leben von Gott<br />

erbittet. Das heißt: absolute soziale Gerechtigkeit und die<br />

Friedenshaltung des Reiches <strong>Gottes</strong>. Wir sind Gesandte des<br />

kommenden Reiches <strong>Gottes</strong>, nur dem einen Gesetz dienend,<br />

dem Geistesgesetz des Reiches <strong>Gottes</strong>.<br />

Wie das praktisch aussieht, sagt uns die Bergpredigt. Wer<br />

ehrlich und aufrichtig ist, sieht den Weg deutlich vor sich.<br />

<strong>Die</strong>ser Weg allerdings ist nicht gangbar ohne die Gnade. Das<br />

deutet Jesus an, indem er in der Bergpredigt von dem Baum


spricht und von der lebendigen Lebenskraft im Baum. Und<br />

weiter spricht er vom Salz: Das ist die Wesenheit, die vollkommen<br />

neue Natur, die uns mitgeteilt wird in Christus und<br />

in dem Heiligen Geist. Deshalb sagt Jesus: „Wenn eure Gerechtigkeit<br />

nicht besser ist, als die der Moralisten und Theologen,<br />

so könnt ihr nicht in das Reich <strong>Gottes</strong> kommen.“<br />

Gleichzeitig sagt er: „Trachtet zuerst nach dem Reich <strong>Gottes</strong><br />

und s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit!“<br />

Hineingetaucht sein in den Wind des Heiligen Geistes –<br />

das ist das neue Leben. Und die Wirkung wird eine sein, die<br />

die ganze Welt umfasst. Dazu gehört sicherlich der Glaube,<br />

dass wir in <strong>einer</strong> Gnadenzeit leben, denn die Wirkung des<br />

Baumes will sich ja über die ganze Erde erstrecken. Und unter<br />

dem Schutz dieses lebendigen Baumes sammelt sich die ganze<br />

Menschheit.<br />

Es ist nicht genug, dass wir sagen, wir haben erkannt, dass<br />

Jesus der Freund unseres Herzens ist, sondern wir sollen unsere<br />

Liebe beweisen. Und Jesus sagt uns, wie wir diese Liebe beweisen<br />

sollen: „Wer mich liebt, der hält mein Wort!“ (Joh.14,15).<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> Bereitschaft auf Das Reich <strong>Gottes</strong> bedeutet nicht, dass<br />

man aufhört zu essen und zu trinken oder dass man die Ehe<br />

verwirft; sondern die Bereitschaft auf das Reich <strong>Gottes</strong> bedeutet,<br />

dass man den Zeichen der Zeit entsprechend jetzt schon so<br />

lebt, wie das Reich <strong>Gottes</strong> sein wird. Was aber wird das Zeichen<br />

der Ankunft des Reiches <strong>Gottes</strong> sein? Das sagt uns Matthäus 24,<br />

31 und Markus 13, 27: „Und er wird seine Boten senden; die<br />

sollen die Posaunen blasen, dass es weithin schallt: so werden


sie seine Auserwählten zu ihm sammeln von allen Himmelsge-<br />

genden aus aller Welt.“ Das ist das Zeichen der Wiederkunft<br />

Christi. Das Zusammenführen ist das Zeichen Jesu Christi:<br />

„Wie oft habe ich euch sammeln wollen, wie eine Henne ihre<br />

Küchlein unter ihre Flügel sammelt“ (Matth 23, 37).<br />

0<br />

1934<br />

Jesus sagt: eure Worte müssen eure Taten sein, euer Zukunfts-<br />

glaube muss eure Gegenwart sein, das Heil Jesu Christi muss<br />

euer Leben sein! So werdet ihr die rechte Haltung gewinnen<br />

zu allen Menschen und Dingen. Ihr werdet nicht richten können,<br />

sondern ihr werdet fühlen, dass die Menschen zugrunde<br />

gehen durch die soziale Ungerechtigkeit; ihr werdet fühlen,<br />

dass alle Schuld ein moralischer Niedergang der Menschen ist.<br />

Ihr werdet euch deshalb hüten, die heiligsten Dinge preiszugeben<br />

vor Augen und Ohren, die nicht verstehen. Euer Wille<br />

wird nur der sein: Was ich für mich wünsche, will ich allen<br />

anderen Menschen zukommen lassen. Hast du ein Haus oder<br />

ein Bankkonto nötig, gut, schaffe es allen. Was die Leute dir<br />

tun sollen, das tu du ihnen! Liebe deinen Nächsten wie dich<br />

selbst: Das ist die Wahrheit, das ist die Wirklichkeit, das ist die<br />

Wirklichkeit Jesu. Und unmittelbar danach sagt er: Geht ein<br />

in die enge Pforte, geht den schmalen Weg! Hütet euch vor<br />

dem Weg der Kompromisse, den so viele, allzuviele gehen! Das<br />

ist der breite Weg. Hütet euch vor den falschen Propheten! Sie<br />

sprechen von Frieden und arbeiten für den Frieden, aber sie<br />

sind nicht frei von der Raubtiernatur des Geldes; sie sind nicht<br />

frei von der Lüge und der Unreinheit in der ganzen Welt. Wer<br />

nicht völlig frei geworden ist vom Mammon, der soll nicht


von Frieden reden, sonst ist er ein falscher Prophet. Der Mam-<br />

mon ist der Mörder von Anfang an. Wer mit ihm nicht ganz<br />

gebrochen hat, soll nicht von Frieden reden, denn er hat Teil<br />

an dem ewigen Krieg, der die besitzlosen Klassen zugrunde<br />

richtet durch den Besitz der Vermögenden.<br />

So schließt Jesus mit dem Aufruf: Es nützt nichts, diese<br />

Worte zu hören, wenn ihr sie nicht tut! Der schönste Friedenspalast<br />

wird zusammenstürzen, wenn er nicht in allen Dingen<br />

den Willen Jesu verkörpert. Und deshalb geht der Ruf Jesu<br />

immer in den Kern des Herzens: Verlass alles und geh meinen<br />

Weg! „Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen! Geh<br />

mit mir!“ (Matth 19, 21; Luk 5, 27)<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> persönliche heilserfahrung Muss Hand in Hand gehen<br />

mit der sachlichen Erwartung für die ganze Welt. Sonst sind<br />

wir nicht ganz mit Gott einig geworden. Wir sind es erst dann,<br />

wenn wir in den Interessen einig geworden sind, die der allmächtige,<br />

allgewaltige, helfende Gott hat. Erst dann sind wir<br />

richtig einig geworden.<br />

Wer sind die Glückseligen? Das sind die, die als Bettler vor<br />

Gott stehen, als Bettler dem Geist gegenüber – die Bettler<br />

geworden sind, im materiellen wie im geistlichen Sinn. Es<br />

sind die, die bettelarm sind an Dingen und an Sachen, an<br />

Gütern und Gnaden. Nur die Bettelarmen wissen: Wer da<br />

hungert und dürstet, ist gequält in diesem Verlangen. Und<br />

das sind die wahrhaft Glückseligen, die von diesem Hunger<br />

und Durst nach der Gerechtigkeit gepeinigt sind, die einen<br />

tiefen Schmerz tragen, die die letzte Not durchkosten, so wie


Jesus die letzte Not durchkostet hat. So wie er in dem tiefsten<br />

Weltleid und in der bittersten Gottverlassenheit das Leid getragen<br />

hat, sind nur die die Glückseligen, die bis an den Rand<br />

des Todes leiden um die Not der Welt; die ein reines, klares,<br />

strahlendes Herz haben; die ganz ungeteilten Herzens gesammelt<br />

sind auf <strong>Gottes</strong> Sache; die mit dem Herzen <strong>Gottes</strong> eins<br />

geworden sind; die so aus dem Herzen leben, wie Gott aus<br />

dem Herzen lebt. Deshalb sind es die, die den Frieden wirken<br />

mitten in <strong>einer</strong> friedlosen und verderbten Welt.<br />

1935<br />

Das neue testaMent sagt, dass der Glaube von Zeichen und<br />

Wundern unabhängig ist. <strong>Die</strong> Zeichen und Wunder sind nach<br />

den Worten Christi in der Verborgenheit zu halten, denn die<br />

Menschen halten sich gern an die Zeichen und Wunder. Deshalb<br />

warnt Jesus, von Zeichen und Wundern zu sprechen oder<br />

sie zu zeigen. Er will, dass die Menschen zu einem Glauben<br />

kommen, der gänzlich frei ist von Zeichen und Wundern<br />

(Luk.8, 56).<br />

1935<br />

Das kalte licht Der sogenannten klaren Verstandeserkennt-<br />

nis, die fortwährend scheidet und unterscheidet, war bei den<br />

ersten Christen nicht zu finden, sondern vielmehr der Geist,<br />

der das Herz durchglüht und die Seele lebendig macht (Kol<br />

2,8-10).<br />

1919


unD Jetzt entscheiDet sich alles daran: Glaubst du an Christus?<br />

Liebst du Christus?<br />

Was nützt es, wenn wir unsere Sünde beklagen. Nur das<br />

eine ist entscheidend: dass wir an Christus glauben und dass<br />

wir Christus lieben. Wenn wir jetzt fühlen, wie unglücklich<br />

die ganze Welt zugrunde geht und wie wahnsinnig die Worte<br />

vom Glauben und von Menschheit und Menschlichkeit<br />

anmuten, so müssen wir es doch fühlen: Es gibt nur einen<br />

einzigen Menschen, der sich „Menschensohn“ nannte, das<br />

Menschenkind! Es gibt nur Christus, der uns übrigbleibt.<br />

Ich habe nichts anderes, an das ich mich halten könnte für<br />

mein Leben und Sterben, nichts woran ich glauben könnte<br />

für meine Nächsten, für die Menschen, die meinem Herzen<br />

nahestehen, worauf ich vertrauen könnte für unseren Bruderhof;<br />

ich habe nichts anderes, woran ich mich halten könnte<br />

für eine untergehende Welt. Ich muss es bekennen: Ich habe<br />

ganz und gar nichts, als Christus allein! (Phil 3, 8)<br />

1935


4. DAS R EIch GOTTES<br />

Das reich gottes – was heißt das? Ein Reich ist ein Staats-<br />

gebilde. Ein Reich ist die Ordnung eines Volkes in s<strong>einer</strong> Ar-<br />

beit und in seinen gegenseitigen sozialen Beziehungen. Ein<br />

Reich ist die Zusammenfassung <strong>einer</strong> Volksgemeinschaft in<br />

Gerechtigkeit, in Zusammengehörigkeit. Ein solches Staatsgebilde<br />

schwebt dem Propheten Jesaiah vor, wenn er vom<br />

Reich <strong>Gottes</strong> spricht (Jes 9, 6-7). Es ist nur da, wo es zu <strong>einer</strong><br />

bleibenden, bindenden Gerechtigkeit der gegenseitigen Beziehungen<br />

kommt, zu <strong>einer</strong> <strong>neuen</strong> Ordnung aller Verhältnisse<br />

und Zustände.<br />

Damit erweist sich dieser Weg, den Jesus zeigt, als ein Weg,<br />

auf dem Gott allein Geltung hat. Niemand anders hat auf<br />

diesem Weg etwas zu sagen. So hat man mit Recht übersetzt:<br />

Königsherrschaft <strong>Gottes</strong>! Gott allein hat die Herrschaft! Nur<br />

Gott ist der König! Das ist Reich <strong>Gottes</strong>!<br />

Nun wissen wir, dass in der heutigen Welt dieses Reich noch<br />

nicht Gestalt gewonnen hat. Neben Gott haben die gewaltigen<br />

Staatsregierungen noch sehr viel zu sagen. Neben Gott<br />

hat die Lüge und Unreinheit noch sehr viel zu sagen. Neben<br />

Gott haben die Gewalten noch viel zu sagen, die durchaus<br />

nicht zu Gott passen. Heute ist das Reich <strong>Gottes</strong> noch nicht


verwirklicht, denn die Verwirklichung müsste bedeuten, dass<br />

nichts anderes mehr gilt.<br />

Wir sind uns klar darüber: Das kann nur geschehen durch<br />

das persönliche Eingreifen <strong>Gottes</strong> durch Jesus Christus, durch<br />

die Welterneuerung, die Wiedergeburt des Planeten Erde.<br />

Petrus sagt: „<strong>Die</strong> Erde wird im Feuer vergehen und dann<br />

vollkommen neu da sein“ (2.Petr 3,12-13). Und Johannes:<br />

„<strong>Die</strong>se Erde wird in dem <strong>neuen</strong> Herrschaftsgebiet <strong>Gottes</strong> so<br />

verwandelt sein, dass sie keine Sonne mehr braucht; denn sie<br />

wird vollkommen Licht sein“ (Offb 21, 23).<br />

1934<br />

ich glauBe, Dass Da wirklich Strahlen von Jesus ausgegangen<br />

sind und sehr dankbar aufgenommen worden sind zur persönlichen<br />

Rettung und Heilung, dass man sich aber damit begnügt<br />

hat. Das Verlangen ist dann sehr rasch abgekühlt und<br />

man war glücklich, dass man nun ein seligwerdender Mensch<br />

geworden war, während eigentlich hier die Sache erst anfängt.<br />

Denn Jesus sagt, dass wir von neuem geboren werden müssen,<br />

um in das Reich <strong>Gottes</strong> einverleibt zu werden, und er zeigt,<br />

was das Reich <strong>Gottes</strong> bedeutet.<br />

Und da stirbt das eigene Interesse ab. Man sucht eine ständige<br />

Bestätigung dessen, was man schon erhalten hatte an<br />

Gnade, anstatt zu sagen: <strong>Die</strong>ses subjektive Erlebnis ist mir<br />

geschenkt, damit ich für den ganzen Christus und das Reich<br />

<strong>Gottes</strong> Klarheit bekomme, eine Klarheit, die mein Leben hineinstellt<br />

in das Leben für das Reich <strong>Gottes</strong>.<br />

Wenn das Reich <strong>Gottes</strong> ebenso Gegenwart wie Zukunft ist,<br />

so muss den Glaubenden jetzt ein Leben gegeben werden, das


dem zukünftigen Reich <strong>Gottes</strong> wirklich entspricht. Ebenso<br />

entspricht es dann dem historischen Leben Jesu Christi. Jesus<br />

Christus ist derselbe gestern, heute und in alle Ewigkeit. Und<br />

wir müssen einig werden mit seinem Leben und s<strong>einer</strong> Zukunft,<br />

indem wir jetzt so leben, wie das Reich <strong>Gottes</strong> in Zukunft in<br />

Erscheinung treten wird.<br />

1935<br />

Wer aBer Das reich <strong>Gottes</strong> außerhalb der eigentlichen Ge-<br />

schichte der ganzen Menschheit verlegen wollte – als ob es nur<br />

in wenigen Bekehrten seine Zubereitung fände – müsste durch<br />

die gewaltige Sprache <strong>Gottes</strong> in der heutigen Geschichte zu<br />

<strong>einer</strong> <strong>neuen</strong> umfassenderen Einsicht gelangt sein.<br />

<strong>Die</strong> Zuspitzung der Zeitlage fordert gebieterisch, dass alle,<br />

die an die Wahrheit glauben, in der Heiligen Schrift Bedingung<br />

und Wirkung des Reiches <strong>Gottes</strong> erforschen und erfassen.<br />

Wir brauchen eine erneute Vertiefung in die biblische<br />

Wahrheit vom Reich <strong>Gottes</strong>, um auf die Zeichen der Zeit<br />

achthaben zu können, damit wir treu erfunden werden, wenn<br />

er kommt (Matt. 16, 3).<br />

1915<br />

<strong>Die</strong> ökonoMie gottes – sein Plan für sein <strong>Gottes</strong>reich – soll in<br />

der wirtschaftlichen Gestaltung der Gemeinde einen solchen<br />

praktischen Ausdruck finden, dass auch die blindesten Menschen<br />

empfinden: Hier kann man etwas erfahren von der Liebe<br />

und Freude, welche das Reich <strong>Gottes</strong> am Ende der Zeiten über<br />

alle Menschen bringen wird (Eph 1,10; 3,9-11). Dann können<br />

wir auf die Frage, ob dieses der einzige Weg ist, den Menschen


sich auswählen, um das Reich <strong>Gottes</strong> herbeizuführen, antwor-<br />

ten: <strong>Die</strong>ses ist nicht ein Weg, den wir uns aussuchen, um das<br />

Reich <strong>Gottes</strong> herbeizuführen, sondern es ist ein Weg, der von<br />

Gott aus zu uns herniederkommt. <strong>Die</strong> Ökonomie <strong>Gottes</strong> für<br />

die Menschheit, die er in die Menschheit hineingibt, ist der<br />

höchste und allein mögliche Weg. Wir Menschen haben keinen<br />

Weg zum Reich der Gerechtigkeit. Der einzig mögliche<br />

Weg ist der, dass Gott sich zu uns hingibt. Das geschieht in der<br />

Gemeinde dadurch, dass die Ausgießung des Heiligen Geistes<br />

uns die Verwirklichung der Gemeinde bringt. Es geschieht dadurch,<br />

dass diese mütterliche, jungfräuliche Brautgemeinde zu<br />

uns kommt und das gesamte Leben mitsamt s<strong>einer</strong> wirtschaftlichen<br />

Gestaltung unter uns vollbringt (Apg 2,1-4; 4,32-37).<br />

l933<br />

in Der uMgeBung Jesu wird das Reich <strong>Gottes</strong> offenbar. Des-<br />

halb beginnt der erste Johannesbrief auch mit diesem Zeugnis:<br />

Was wir gesehen und gehört, was wir mit den Händen berührt<br />

haben, das verkündigen wir euch von dem Worte des Lebens,<br />

damit ihr mit uns in demselben Glauben einig werden könnt.<br />

Das Leben ist erschienen; es ist offenbar geworden. Das verkündigen<br />

wir euch, damit ihr mit uns Gemeinschaft habt. <strong>Die</strong><br />

Gemeinschaft mit uns ist Gemeinschaft mit dem Vater und<br />

dem Sohn!…<br />

An dem, was geschieht, muss offenbar werden, dass das<br />

Reich <strong>Gottes</strong> verkündigt wird, dass die Herrschaft Christi<br />

deutlich wird. Und deshalb wurde es Johannes dem Täufer<br />

gesagt: “Was brauchst du zu fragen und zu drängen? Hier<br />

geht es einfach darum zu sehen, was geschieht, zu hören, was


gesagt wird, und das anzunehmen. Und dies sind die Gescheh-<br />

nisse, die hier geschehen: „Blinde werden sehend, Lahme gehen<br />

wieder, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt“<br />

(Matth 11,5).<br />

Jesus antwortet dem Täufer: Wollt ihr glauben, was jetzt<br />

geschieht, dann wird euch Christus offenbar werden, dann<br />

ist euch die Frage nach dem Reich <strong>Gottes</strong> offenbar geworden.<br />

Das ist der Glaube, der apostolische Glaube. Und weil<br />

Johannes der Täufer diesen Glauben noch nicht ganz fassen<br />

konnte, darum sagte Jesus: „Er ist zwar der größte von allen<br />

Söhnen, die von Weibern geboren sind; der Kleinste aber<br />

im Reich <strong>Gottes</strong> ist größer als er!“ (Matth 11,11) Denn der<br />

Kleinste im Reich <strong>Gottes</strong>, der Einfachste in der Gemeinde,<br />

der versteht was geschieht, im Glauben…<br />

<strong>Die</strong> Apostel gingen hinaus und erklärten den Menschen:<br />

Jetzt ist das Wort der Propheten wahr geworden, jetzt kommt<br />

es, und ihr seht, was geschieht. Zu diesem Geschehen in Jerusalem<br />

gehörte es, dass die Gemeinschaft aufgerichtet wurde.<br />

Und zu diesem Zeugnis, dass das Reich <strong>Gottes</strong> ahe herangerückt<br />

sei, gehörte auch die Heilung aus dem Glauben.<br />

Als es sich dann darum handelte aufzuschreiben, was mit<br />

den Aposteln und durch sie geschehen war, wurde dieses Buch<br />

überschrieben: „<strong>Die</strong> Apostelgeschichte.“ Und so finden wir in<br />

der Geschichte der Apostel, dass sich dort dieselben Wunderkräfte,<br />

Tatsachen und Geschehnisse ereignen wie im Leben<br />

Jesu. Und auch das war das Entscheidende: Es wird das Reich<br />

<strong>Gottes</strong> verkündigt. Und weil das Reich <strong>Gottes</strong> nahe herbei<br />

gekommen ist, darum geschehen viele Zeichen und Wunder.<br />

1935


GestaltunG <strong>einer</strong> <strong>neuen</strong><br />

o r D nunG


5. DIE G E m EINDE<br />

D ER RuF Z u R S A mmL u NG<br />

<strong>Die</strong> Menschheit ist DaDurch in ein so unendliches Elend ge-<br />

raten, weil sie in Feindseligkeit gefallen ist. Sie ist zerklüftet,<br />

zerrissen. <strong>Die</strong>ser Riss ist die unheilvollste Offenbarung dessen,<br />

bis zu welcher Feindseligkeit und Herzenskälte die Zerspaltung<br />

der Menschheit fortgeschritten ist.<br />

Das ist aber nicht immer so gewesen, sondern im Uranfang<br />

der Menschheit steht eine Geburtsstunde, in welcher die<br />

Menschen im Frieden mit Gott und untereinander lebten.<br />

Es ist gar kein Zweifel: Das Paradies steht im Uranfang der<br />

Menschheit (1.Mos. 2,8-15).<br />

Was ist das Paradies? Das Paradies ist Frieden. <strong>Die</strong>ses Zusammenwirken<br />

der Kräfte in einem Geist, in einem Klang,<br />

ist das Geheimnis des Friedens. Hier werden, wie von einem<br />

Prisma, alle Farben in dem reinen Weiß der Sonne zusammengefasst,<br />

um sie wieder herausstrahlen zu lassen in den<br />

reichen Farben ihres Spektrums. Das ist der Friede, der den<br />

Einklang aller Kräfte und Gaben in der Aktivität des <strong>Gottes</strong>dienstes<br />

offenbart. Und dieser Friede steht im Uranfang der<br />

Menschheit.<br />

0


Deshalb lesen wir, dass den Menschen der Auftrag gegeben<br />

wurde, die Erde zu bebauen, zu bewahren, die Dinge zu be-<br />

nennen, die Tiere zu beherrschen (1.Mos. 2,15-19; 1,26-28).<br />

Weiter ist die Menschheit auch heute noch nicht gekommen.<br />

Ja, sie hat dieses Ziel der Paradiesesaufgabe noch nicht erreicht.<br />

Das also ist eine aktive Harmonie, eine Tätigkeit im<br />

Einklang des Friedens – Arbeitsaufgabe, Arbeitsgemeinschaft,<br />

schöpferische Schaffensgemeinschaft – die der Menschheit<br />

von Anfang an aufgegeben war.<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> Welt fällt üBerall auseinander. Sie zerbröckelt, sie ver-<br />

west. Ihr Prozess ist das Auseinanderlaufen. Das ist ihr Tod.<br />

Und mitten in dieser furchtbaren Zeit stellt nun Christus<br />

durch seinen Heiligen Geist seine Stadtgemeinde mit ihrer bedingungslosen<br />

Einheit in die Welt hinein (Joh.17,11 u. 23;<br />

Matth.15,14). Das ist die einzige Hilfe, die der Welt gegeben<br />

werden kann: dass hier eine Sammlungsstelle, ein Wille des Zusammenbringens<br />

und Zusammenkommens, der Vereinigung zu<br />

finden ist, der absolut ist und k<strong>einer</strong>lei Bedenken mehr kennt.<br />

1932<br />

paulus sagt, Dass alle Völker der Welt zusammengefasst wer-<br />

den sollten in dieser Gemeinde, dass alle Zäune und Mauern<br />

niedergebrochen werden sollten, die zwischen den Völkern,<br />

Nationen, Klassen, Ständen und Schichten der Menschen<br />

aufgerichtet sind (Kol.3,11). Nicht nur die ganze Welt sei für<br />

Gott zu erobern, sondern mitten in der Welt soll die Gemeinde<br />

das Leben in der vollen Einheit offenbaren.<br />

1934


so ist es in der jetzigen Weltstunde äußerster Not hohe Zeit<br />

der Entscheidung, dass wir das Leben der Gemeinde und ihrer<br />

Einheit als von Gott verliehene Gabe ergreifen.<br />

1933<br />

es hanDelt sich nicht einfach darum, dass wir eine Kolonisa-<br />

tionsgesellschaft sind, die eine neue Dorfkolonie anlegt, (als<br />

wenn es nicht schon genügend Dörfer gäbe,) in welchem die<br />

Menschen einander ebenso nah und ebenso fern gegenüberstehen<br />

wie in allen anderen Dörfern. Wir stehen nicht auf<br />

dem Standpunkt, dass wir eine allgemeine Menschheitsgemeinschaft<br />

suchen, dass wir die Menschen, so wie sie sind, in<br />

Gemeinschaft zusammenfassen wollen.<br />

Dann hätte jeder an seinem Platze bleiben können, wenn<br />

uns daran läge, diese Gemeinschaft gleichsam auf Gegenseitigkeit<br />

zu gewinnen. Und wir finden auch hier nicht bessere<br />

Menschen als woanders, auch nicht schlechtere Menschen.<br />

Wenn wir nur die Gegenseitigkeit der Beziehungen unter den<br />

Menschen als Gemeinschaft suchten, dann hätten wir nicht<br />

auf den Bruderhof zu gehen brauchen. Wir hätten das überall<br />

finden können. Es wäre uns aber auch überall missglückt.<br />

Denn alle diese Versuche, die auf dem augenblicklichen Zustand<br />

des Menschen beruhen, müssen scheitern; sie sind von<br />

vornherein bankrott.<br />

1933


W IE HAT G E m EINDE BEGONNEN?<br />

<strong>Die</strong> BilDung Der urgeMeinDe konnte von niemandem gemacht<br />

werden. Keine noch so große rednerische Leistung, keine noch<br />

so flammende Begeisterung hätte das Aufwecken der damals<br />

ergriffenen Scharen für Christus bewirken und die Lebenseinheit<br />

der Urgemeinde hervorbringen können. <strong>Die</strong> Freunde Jesu<br />

waren sich dessen klar bewusst, hatte ihnen doch der Auferstandene<br />

befohlen, in Jerusalem auf die Erfüllung des großen<br />

Versprechens zu warten (Luk.24, 49). Johannes hatte alle, die<br />

auf ihn hörten, ins Wasser untergetaucht. <strong>Die</strong> Urgemeinde<br />

sollte in den heiligen Wind des Christusgeistes hineingetaucht<br />

werden, von ihm umweht, durchdrungen und erfüllt sein<br />

(Apg. 2, 1-2).<br />

1920<br />

Den aposteln WirD Der Auftrag gegeben, in Jerusalem zu blei-<br />

ben, bis sie angetan werden mit der Kraft aus der Höhe. Das<br />

ist die Gründung der Gemeinde, die wiederum allein möglich<br />

ist durch die Tatsache der Auferstehung. Denn was war die erste<br />

Verkündigung der Apostel? „<strong>Die</strong>sen einen Reinen, den ihr<br />

umgebracht habt, den hat Gott auferweckt!“ (Apg. 2, 22-24)<br />

1933<br />

es koMMt Darauf an, dass die Apostel Jesu plötzlich so in den<br />

Herzen der anderen lebten, dass ihre Worte ganz und gar dem<br />

Urwesen, der Muttersprache und der letzten Bestimmung<br />

der Zuhörer entsprachen und so von ihnen innerlich aufgenommen<br />

wurden. Es kommt allein darauf an, dass die große


Menge von demselben Geist bewegt war, den die Führer zum<br />

Ausdruck brachten, so dass sie dasselbe überwältigende Erlebnis<br />

hatten wie die Redner (Apg.2,4-11).<br />

Jedenfalls war es keine Hypnose – keine Überredung durch<br />

Menschenkraft – ,sondern es war das Erleiden <strong>Gottes</strong>, das<br />

Überwältigtwerden und Erfülltwerden durch seinen Geist. Es<br />

geschah hier die Gestaltung der einen wirklichen Kollektivseele,<br />

nämlich der organischen Einheit des geheimnisvollen<br />

Leibes Christi, der Gemeinschaft der Gemeinde…<br />

In der Pfingsterweckung mußten alle Versammelten aus den<br />

verschiedensten Völkergruppen und Nationen ihre Erlebnisse<br />

in dem einen Ausruf ausklingen lassen: „Wir hören sie mit unsern<br />

Zungen von den Großtaten <strong>Gottes</strong> reden“ (Apg. 2,11).<br />

Um die Großtaten <strong>Gottes</strong> – und nur um die Großtaten <strong>Gottes</strong><br />

handelte es sich. Gott in seinem allumfassenden Wirken auf<br />

sein zukünftiges Reich hin, seine Botschaft der Gerechtigkeit,<br />

die zu allen Völkern ging, das Wesen der Großtaten <strong>Gottes</strong><br />

an allen Menschen und für die gesamte Menschheit – das war<br />

der Inhalt des Pfingsterlebnisses…<br />

Aus der Gegenüberstellung unbedingter Wahrhaftigkeit,<br />

die die Mörder Jesu vor die Augen des lebendigen Christus<br />

stellte, ergab sich das Bedürfnis der Sündenvergebung – die<br />

Bedürftigkeit innerer Armut, die nur durch die Gabe des Heiligen<br />

Geistes befriedigt werden konnte. <strong>Die</strong> erste Wirkung des<br />

entscheidenden Geisteseinflusses äußerte sich in der aus dem<br />

Herzen dringenden Frage: „Was sollen wir tun?“ (Apg.2,37).<br />

<strong>Die</strong> völlige Umgestaltung des Inneren, die Umformung des<br />

Lebens, die hieraufhin eintrat, war eben jene Veränderung


des Sinnes und der Lebenshaltung, die schon Johannes als die<br />

Vorbedingung des kommenden Umschwungs aller Verhältnisse<br />

verkündet hatte. <strong>Die</strong> persönliche Wiedergeburt kann<br />

von der Umgestaltung aller Dinge durch Christus nicht abgetrennt<br />

oder ausgeschaltet werden.<br />

1920<br />

Worauf es ankoMMt, ist Gemeinschaft, und zwar Gemein-<br />

schaft unter der Herrschaft <strong>Gottes</strong> im Sinne des prophetischen<br />

Reiches <strong>Gottes</strong>.<br />

Was ist Reich <strong>Gottes</strong>? Reich <strong>Gottes</strong> ist Gemeinschaft in<br />

Gott, ist Gemeinschaft in der Gerechtigkeit <strong>Gottes</strong>, Gerechtigkeit<br />

vor Gott, Gerechtigkeit in Gott, Gerechtigkeit brüderlicher<br />

Gemeinschaft. Liebe Gott! Liebe deinen Nächsten!<br />

Das ist Gerechtigkeit (Matt. 22, 37-40). Liebe Gott so, dass<br />

du mit ihm eins wirst. Liebe deinen Nächsten so, dass du mit<br />

ihm eins wirst! So betet Jesus, dass doch an den Jüngern erkannt<br />

werden möge, wer er ist und was die Liebe ist. Erkannt<br />

werden kann es nur an der völligen Einheit der Jünger Jesu!<br />

Gerechtigkeit, Friede, Freude strömt zusammen in der völligen<br />

Einheit der Gemeinde und des Reiches <strong>Gottes</strong>.<br />

Dazu ist Jesus gestorben und wieder lebendig geworden;<br />

dafür hat er seine Worte geredet, dafür hat er seine Taten getan<br />

und sein Leben gelebt. Deshalb war diese Einheit im Geist<br />

da, sobald der Heilige Geist ausgegossen wurde in den Tagen,<br />

die wir Pfingsten nennen. Und so waren die ersten Christen<br />

einig. Sie waren einig in der Lehre der Apostel. Sie wussten,<br />

dass den Aposteln der Heilige Geist gegeben war; sie wussten,


dass auch ihnen der Heilige Geist gegeben war. Deshalb be-<br />

stand völlige Einigkeit in der Wahrheitserkenntnis zwischen<br />

den Aposteln und ihnen.<br />

Und wenn wir einig sind mit demselben Geist der Offenbarung<br />

<strong>Gottes</strong>, dann sind wir völlig einig mit der apostolischen<br />

Zeit und ihrem Gemeindezeugnis, mit den Schriften der Apostel<br />

und Propheten. Das ist unsere Stellung zur Bibel, weil sie ein<br />

Bekenntnis zum Geist der Einheit <strong>Gottes</strong> ist.<br />

1935<br />

Wir stehen iM schroffsten Gegensatz zu der gegenwärtigen<br />

Gesellschaftsordnung, indem wir eine andere Ordnung der<br />

Dinge zu vertreten haben. <strong>Die</strong>se andere Ordnung ist die Gemeinde,<br />

wie sie in Jerusalem gewesen ist bei der Ausgießung<br />

des Heiligen Geistes. Dort ist die Menge der Gläubigen ein<br />

Herz und eine Seele geworden; und nun wurden sie eine<br />

Einheit, die sich auch auf dem Gebiet der sozialen Ordnung<br />

als absolute Brüderlichkeit ergab; auf dem Gebiet der wirtschaftlichen<br />

Ordnung als Eigentumslosigkeit und völlige Gütergemeinschaft,<br />

frei von aller Gewalt und allem Zwang. So<br />

glauben wir, dass wir der heutigen Weltordnung gegenüber<br />

einen ebensolchen Auftrag haben, der uns naturnotwendig<br />

in Konflikte bringen muß. <strong>Die</strong>se Lage der Dinge können wir<br />

niemandem zumuten, es sei denn, dass jemandem die Größe<br />

und der Inhalt des Reiches <strong>Gottes</strong> über alles geht, so dass sich<br />

ihm die innerste Gewissheit erschließt, es ist kein anderer Weg<br />

mehr möglich.<br />

1933


Wir feiern <strong>Die</strong> ausgiessung des Heiligen Geistes und die An-<br />

richtung der völligen Gemeinschaft, denn dadurch ist das<br />

Paradies wieder hineingestellt worden mitten in eine unfriedliche,<br />

feindliche Umgebung. Jesus hatte diesen Geisteskampf<br />

eröffnet gegen die Ungerechtigkeit des Mammons, gegen die<br />

Unreinheit der menschlichen Beziehungen, gegen die Mörderei<br />

des Krieges. So war nun die Gemeinde Jesu Christi mitten<br />

in diese Welt hineingestellt als eine Stätte des Friedens,<br />

der Freude und der Gerechtigkeit, als ein Ort der Liebe und<br />

der Einheit. Das ist die Aufgabe der Gemeinde. Und deshalb<br />

muss der Apostel sagen: Das Reich <strong>Gottes</strong> besteht nicht darin,<br />

dass man sich dieser oder jener Nahrung enthält, sondern das<br />

Reich <strong>Gottes</strong> besteht in Gerechtigkeit und Friede und Freude<br />

im Heiligen Geist (Röm.14,17). Das ist in Jerusalem Wirklichkeit<br />

geworden! Bei Jesus war es auch schon Wirklichkeit<br />

gewesen, in einem ganz kleinen Kreis von zwölf Menschen.<br />

Hier wurde es Wirklichkeit unter einigen Tausend, mit <strong>einer</strong><br />

Strahlungsenergie in die ganze damals erreichbare Welt.<br />

Im Laufe der Jahrhunderte ist diese Sendung niemals verloren<br />

gegangen. In Kleinasien hat sie geleuchtet; nach Südfrankreich,<br />

dem südwestlichen Gebiet der Alpen: nach Nordafrika,<br />

in die oberitalienische Hochebene: den Rhein entlang, bis<br />

nach Holland und England: und bis in die Ostalpen, bis<br />

Mähren, bis Böhmen ist sie vorgedrungen. Eine Ausstrahlung<br />

dieser völligen Gemeinschaft ist zu allen Jahrhunderten<br />

wirksam gewesen. Immer wieder ist dieser heilige Funke zu<br />

<strong>einer</strong> heiligen Flamme entfacht worden. Und niemals wird<br />

dieser Funke verlöschen. Denn der Heilige Geist zieht sich<br />

von der Erde nicht wieder zurück, bis das Reich <strong>Gottes</strong> über


aller Welt seine Siege feiern wird, und Frieden, Gerechtigkeit,<br />

Freude der Liebe und der Einheit in der ganzen Welt herrschen<br />

werden.<br />

1933<br />

nur an DeM einen kann die Welt die Sendung Jesu erkennen: an<br />

der Einheit der Gemeinde. Aber diese Einheit der Gemeinde<br />

muss eine völlige Gemeinschaft sein. Jesus sagt, wie völlig die<br />

Einheit zwischen seinem Vater und ihm ist. Und das ist nun<br />

seine Bitte für uns, dass wir ebenso eins sein sollen (Joh.17,21-<br />

22). Gibt es dann noch ein Mein und Dein zwischen uns?<br />

Nein! Was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein. Alles,<br />

was uns gegeben ist, kommt im Geist der Gemeinde allen zu.<br />

So haben wir zuerst Gemeinschaft an den innersten Gütern<br />

des gemeinsamen Lebens. Haben wir aber an den Gütern des<br />

Geistes Gemeinschaft – die doch die Größeren sind – wie können<br />

wir sie dann in dem Geringeren verweigern?<br />

B EVOLLmäCHTIGu NG Z u R S ENDu NG<br />

1934<br />

für <strong>Die</strong>se Mission Musst du eine Bevollmächtigung haben und<br />

eine Kraftstation, an der du deinen inneren Rückhalt hast, die<br />

dir rechte Hilfe und Korrektur und innere Stütze und innere<br />

autoritative Stärkung verleiht. Und das ist die Gemeinde.<br />

Letztlich nicht die hier lebende Gemeinde, sondern die droben<br />

ist, das Jerusalem das droben unser aller Mutter ist (Gal.4,26).<br />

<strong>Die</strong>se höchstgelegene Stadt <strong>Gottes</strong> sendet ihre Lichter auf die


kleinen Scharen, die hier im Glauben vereinigt sind. Je völliger<br />

sie eins sind, um so mehr Vollmacht empfangen sie.<br />

1934<br />

es ist etWas grosses, wenn wir einzelne Menschen anspre-<br />

chen und ihnen dieses und jenes vom Reich <strong>Gottes</strong> sagen;<br />

aber es ist etwas viel Größeres, wenn eine historische Tatsache<br />

vor die Welt hingestellt wird, die unvergesslich in die Blätter<br />

der Geschichte eingebrannt wird als ein Zeugnis der Wahrheit<br />

des Evangeliums. Es ist etwas viel Größeres als die kleine<br />

Bekehrungsarbeit an einzelnen Menschen, wenn wir zu dem<br />

geschichtlichen Akt berufen sein dürfen; wenn wir in <strong>einer</strong><br />

waffenstarrenden, feindseligen, verlogenen, ungerechten Welt<br />

den Weg der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit – unbeirrt<br />

und unbeeinflusst – mitten in der wildesten Brandung<br />

geschichtlicher Ereignisse durch Tat und Haltung vertreten<br />

dürfen. Das ist die wahre Berufung der Gemeinde.<br />

D IE G ESANDTSCHAFT G OTTES<br />

1933<br />

Wohl erkennt <strong>Die</strong> geMeinDe die Notwendigkeit der heute<br />

herrschenden Gewalten an: nämlich als Notwendigkeit für<br />

die Ungerechtigkeit der großen Welt. Aber was der Gemeinde<br />

selbst anvertraut ist, ist etwas durchaus anderes als die Herrschaft<br />

dieser ihr fremden Gewalten. <strong>Die</strong>ses und jenes königliche<br />

Reich unterhält seine Gesandtschaft in Paris, Petersburg, Berlin,<br />

Rom oder sonstwo. Wo das Gesandtschaftsgebäude ist, ist<br />

extraterritorialer, sakrosankter Boden. Dort kann niemand den<br />

Gesetzen desjenigen Staates untergeordnet werden, in dem der


Gesandte lebt, sondern in dem Gebäude der Gesandtschaft<br />

gilt vielmehr allein das Gesetz des Landes, welches diese Gesandtschaft<br />

ausgesandt hat.<br />

Gerade so ist es mit der Gesandtschaft Jesu Christi durch<br />

den Heiligen Geist s<strong>einer</strong> Gemeinde. Hier gilt allein das Lebensgesetz<br />

des letzten Reiches. Deshalb darf die Gemeinde<br />

Christi sich nicht einfach den Gesetzen der heute geltenden<br />

Staatsgewalt unterordnen und unterwerfen. Sie hat sie zu ehren,<br />

aber sie hat ihr nicht knechtisch oder sklavisch unterworfen<br />

zu sein (Apg.5,27-29).<br />

0<br />

1934<br />

auch iM 20. JahrhunDert bleibt es die Wahrheit: Der Pfad ist<br />

schmal, der Weg ist schmal, und wenige sind es, die ihn finden!<br />

(Matth.7,14) Aber es ist nicht nur ein Weg. Es ist nicht nur ein<br />

Gebirgspfad; es ist schon eine Bergstadt, die allen sichtbar ist.<br />

Und weil sie allen sichtbar ist, ist sie von Bedeutung für alle,<br />

auch für die, die diesen Weg nicht gehen wollen und nicht in<br />

diese Stadt kommen wollen. Denn sie sehen die Möglichkeit,<br />

und dadurch wird ihr Blick auf das kommende Reich gelenkt.<br />

Und sie müssen sich sagen: “Ja, wenn <strong>Gottes</strong> Liebe so auf uns<br />

alle herabkäme, dann würden wir alle in Frieden und Einheit<br />

und Gerechtigkeit miteinander leben” (Matth.5,14-16). Das<br />

ist der <strong>Die</strong>nst, den wir an der Welt zu tun haben. Das ist das<br />

praktische Resultat der Nachfolge Jesu.<br />

1934<br />

gott hat geDulD Mit den Menschen. Deshalb hat er die Ge-<br />

meinde dazwischengeschoben, damit in dieser Zeit einzelne


herausgerufen werden könnten, damit in dieser Zeit der Ge-<br />

duld ein lebendiges Denkmal mitten in die Welt hineingestellt<br />

werden könnte, damit in dieser Geduld die Kreuzesgemeinschaft<br />

dargestellt werden könnte. Was es heißt, mit ihm zu<br />

sterben, kann nur die Blutsgemeinschaft, die Kreuzesgemeinschaft<br />

zeigen. Das kann einzig und allein gezeigt werden in<br />

der erniedrigten Gemeinde, in der Zeit zwischen dem Kreuz<br />

Christi <strong>einer</strong>seits und der Wiederkunft Christi andererseits.<br />

1934


6. DIE E INh EIT UND DER hEILIGE G EIST<br />

Das leBen soll eine solche Stadtgemeinde werden, dass das<br />

Licht aus den Fenstern der Stadt hinausleuchtet in das Land,<br />

so dass an diesem Licht das Land erkennt: Es gibt eine einige<br />

Stadtgemeinde! (Matth.5,14) Und das ist der Auftrag Jesu in<br />

unserer Zeit, dass solche Stadtgemeinden entstehen, die dieses<br />

Licht der völligen Einheit in Gerechtigkeit, Friede und Freude<br />

im Heiligen Geist der Welt offenbaren.<br />

E INIGk EIT IST möGLICH<br />

1935<br />

Wir sinD nicht optiMistisch gestimmt für die Politik der Welt,<br />

sondern wir sind gläubig gestimmt für das Zeugnis der Einheit<br />

der Gemeinde, dass dieses Zeugnis den besten <strong>Die</strong>nst an<br />

den Menschen tun kann: Völlige Gemeinschaft und Übereinstimmung<br />

ist möglich! Sie ist möglich durch den Glauben an<br />

Gott, an Christus und an den Heiligen Geist. Das ist unsere<br />

Lebensaufgabe.<br />

1935<br />

Wir stehen so, Dass in der Arbeitsgemeinschaft (ob nun ein<br />

Haus gebaut wird, oder was es auch sein mag) die ungebrochene<br />

Einstimmigkeit der ganzen Gemeinschaft Voraussetzung zu je-


der Handlung ist. <strong>Die</strong>se Einstimmigkeit kann nur auf dem re-<br />

ligiösen Weg zustande kommen, nämlich dadurch, dass Gott<br />

durch seinen Geist zu jedem einzelnen dasselbe sagt, was er zu<br />

den anderen sagt. <strong>Die</strong>se Einstimmigkeit kommt nicht durch<br />

Überreden zustande. Anstelle der gegenseitigen Überredung<br />

muss der Zuspruch <strong>Gottes</strong> durch den Heiligen Geist kommen.<br />

<strong>Die</strong>ser Geist versichert uns nicht nur des Heils, – dass er<br />

uns angenommen hat –, sondern dieser Zuspruch versichert<br />

uns auch der sogenannten „Kleinigkeiten“. Er gibt uns auch<br />

gemeinsame Beschlüsse ein, über den Kauf <strong>einer</strong> Wiese, oder<br />

was es sonst sei. <strong>Die</strong> Einstimmigkeit ist das erste Zeichen.<br />

Das zweite Zeichen ist die Arbeit selbst. Im allgemeinen<br />

wird im Wirtschaftszusammenhang Arbeit getrieben um der<br />

Existenzerhaltung der Familie willen, aus dem gesunden Lebensbedürfnis<br />

des Menschen heraus. <strong>Die</strong> Menschen haben<br />

oft nur die eine Beziehung zu ihrem Beruf, dass sie sich so ihr<br />

Brot verdienen können. Im übrigen ist ihr Leben unabhängig<br />

von ihrem Beruf. Wir bekämpfen das. Ebenso wie Einstimmigkeit<br />

zwischen Menschen sein muss und gegeben wird, so<br />

auch Einstimmigkeit zwischen Arbeit und Berufung: es muss<br />

eine solche Arbeit geleistet werden, dass sie dieser Berufung<br />

entspricht (Kol.3,17 u.23). Der Mensch muss seine Gaben<br />

und seine Kräfte einsetzen, diese Arbeit zu tun. Er tut sie aus<br />

dem Geist der Gemeinschaft heraus.<br />

1929


E INHEIT, NICHT E INFö R m IGk EIT<br />

Wir glauBen Daran, Dass nur auf dem Boden der Freiwilligkeit,<br />

der Freimütigkeit und Offenherzigkeit, eine Überzeugung in<br />

Einmütigkeit entstehen kann. Uns ist es niemals unangenehm<br />

gewesen, wenn in unserer Mitte ausgesprochen entgegengesetzte<br />

Überzeugungen vertreten wurden. Im Gegenteil, wir halten<br />

das für sehr viel fruchtbarer, als wenn wir nicht die Gelegenheit<br />

hätten, die entgegengesetzte Meinung zu hören. Wir glauben,<br />

dass der freie Austausch der Meinungen zum Ziel führen<br />

kann, dass ein überlegener Geist der Wahrheit, der nicht von<br />

uns Menschen herrührt, die letzte Überzeugung schenkt. Dann<br />

möge die Verschiedenheit der Meinungen noch so entgegengesetzt<br />

gewesen sein; durch die letzte, tiefste Wahrheit werden<br />

alle einig werden, und ein jeder wird aus der Vorratskammer<br />

s<strong>einer</strong> früheren Überzeugung alle Wahrheitselemente mitbringen<br />

und wiederfinden. Und gerade dann, wenn der Kreis sich<br />

aus Menschen recht verschiedener geistiger Herkunft zusammensetzt,<br />

wird die verschiedenartigste Betonung um so reicher<br />

zur Geltung kommen.<br />

Nicht von der mit Gewalt erzwungenen Unterwerfung<br />

aus kommt man zu gemeinsamer Überzeugung; sondern von<br />

der Freiheit der Meinungen kommt man durch die innerlich<br />

überzeugende Kraft des Heiligen Geistes zur völligen Überzeugungseinheit<br />

und wahrhaften Gemeinschaft.<br />

1933<br />

es ist etWas MerkWürDiges, wenn Menschen zur Einstimmig-<br />

keit kommen. Sie ist das Gegenteil von Majoritätsbeschlüssen.


Sie bedeutet, dass niemand, auch nicht im Geheimen, mehr<br />

einen Widerspruch, ein Dagegensein in sich hat (1.Kor.1,10).<br />

1929<br />

es ist eine ungeheure Bindung, wenn man an die Einheit<br />

glaubt. Das gerade ist das Furchtbare, dass man im sogenannten<br />

Christentum so uneinig ist, nicht nur in den verschiedenen<br />

Kirchen, sondern auch unter denen, die mit Ernst Christen<br />

sein wollen. Und es bedeutet absolut keine Hilfe, wenn man<br />

sich vornimmt, über alle die Fragen, in denen man sich nicht<br />

einig ist, zu schweigen. Oft ist es so: Hier ist der <strong>Gottes</strong>dienst,<br />

hier diene ich Gott, und dort ist mein Beruf, dort lebe ich für<br />

mich und meine Familie. Wie ist da die Einheit und Einigkeit<br />

mit sich selbst und den anderen zu finden?<br />

Es gibt nichts Größeres und Höheres als die völlige Einheit.<br />

Das ist das Geheimnis <strong>Gottes</strong>, die Freude und die Einheit<br />

in seinem schöpferischen Geist. Nun ist die Frage offen:<br />

Glauben wir wirklich an Gott? Glauben wir, dass er seinen<br />

Einheitswillen zum Sieg bringt und dass er ihn jetzt und hier<br />

zum Sieg bringt, wenn wir nur nichts anderes mehr wollen als<br />

ihn und sein Wesen?<br />

kEINE m ENSCHLICHE B INDu NG<br />

1933<br />

Weil <strong>Die</strong> flaMMe aus der anderen Welt uns erst recht erfüllt,<br />

so dürfen wir sagen: Es genügt uns nicht, wenn wir eine gedankliche<br />

Übereinstimmung in unseren Meinungen finden; es<br />

genügt uns nicht, wenn wir in unseren Willensstrebungen ein<br />

gemeinsames Ziel feststellen, wenn wir in unseren seelischen


Schwingungen ein gemeinsames gegenseitiges Gefühlserleb-<br />

nis feststellen können. Sondern wir fühlen, dass etwas anderes<br />

über uns kommen muss, was uns über dieses rein menschliche<br />

Niveau hinaushebt.<br />

1932<br />

Wie <strong>Die</strong> strahlung Der Sonne beständig unsere Erde durch-<br />

dringt, wie der Blitz aus den oberen Wolken die Lichtsendung<br />

und Feuersendung herabbringt, so muss in unsere Mitte ein<br />

Element hereinbrechen, das nicht von uns stammt – auch<br />

nicht von unserem edelsten Empfinden –, das auch nicht von<br />

dem Allerheiligsten in unserem Wesen herrührt; sondern es<br />

muss wirklich über uns kommen. Es ist etwas, was wir uns gegenseitig<br />

nicht geben können. Da ist unser Bekenntnis, dass dieses<br />

Überwältigtwerden eine Bewusstseinseinheit unter uns wirkt,<br />

die eine völlige Übereinstimmung aller unserer Gedanken,<br />

Willenskräfte und seelischen Erlebnisse bringt (Eph.3,14-19).<br />

1933<br />

Wenn Man fragt, Wie die obere Gemeinde der himmlischen<br />

Welten (Gal.4,26; Offb.21,2) auf die <strong>Die</strong>sseitigkeit der Erde<br />

und auf das Leben ihrer Menschenkinder einwirkt, so kann der<br />

Glaube nur antworten: Der Heilige Geist ist es, der in dem Heranbringen<br />

der Gemeinde Jesu Christi immer wieder dasselbe<br />

bewirkt, welches er in der Urgemeinde Jerusalems bewirkt hat,<br />

als er zum ersten Mal über alles Fleisch ausgegossen wurde. Wo<br />

die Gemeinde sich in der Wirklichkeit des Heiligen Geistes<br />

herabsenkt, ist ihre Wirkung soziologisch dieselbe, wie sie es<br />

zum Pfingstfest in Jerusalem war.<br />

1933


D ER H EILIGE G EIST SAmmELT<br />

es hanDelt sich uM die Tatsache, dass Gott – der alle Dinge ge-<br />

schaffen hat und ohne den nichts ist, was geworden ist – seinen<br />

Heiligen Geist über die Erde zu allen Menschen gesandt hat,<br />

und dass dieser Geist alle zu sammeln sucht, alle zusammenzubringen<br />

sucht. Durch diesen Geist wurde Jesus unter die<br />

Menschen in diese Welt gestellt, und wiederum hat er diese<br />

sammelnde Kraft des Heiligen Geistes bezeugt und hat gesagt:<br />

„Wie oft habe ich eure Kinder versammeln wollen, aber ihr<br />

habt nicht gewollt“ (Matth.23,37). Und er wurde hinweggenommen<br />

von denen, die sich nicht sammeln lassen wollten; er<br />

wurde getötet durch den Geist der Zerstreuung, der auseinandertreibenden<br />

Macht.<br />

Und als der Lebendige kam er wieder zu den Seinen:<br />

„Nehmet hin den Heiligen Geist! Wie mich der Vater gesandt<br />

hat, so sende ich euch“ (Joh.20, 21-22). Und: „Was ihr auf<br />

Erden zusammenbringen werdet, das wird zusammengebracht<br />

sein, und was ihr lösen werdet, wird gelöst sein; was<br />

ihr binden werdet, wird gebunden sein“ (Matth.18,18). Von<br />

diesem Augenblick an trieb es die von diesem Geist ergriffenen<br />

Herzen dazu, zusammen zu sein. Sie waren zunächst<br />

zusammen in heiliger Erwartung und in gespanntester Not,<br />

aber doch lange Wochen. Und diese gespannteste Erwartung,<br />

sie war und ist und bleibt die Vorbedingung für die völlige<br />

Vereinigung. Denn die völlige Vereinigung kommt nicht zustande<br />

durch das Zusammensetzen der menschlichen Geister<br />

in eine Einheit der geistigen Wesenheiten, die die Menschen<br />

ein jeder in sich tragen, sondern vielmehr einzig und allein


durch das Herniederkommen, Hereinbrechen, Hinunterfah-<br />

ren jenes Geistes, der kein Menschengeist ist.<br />

1932<br />

Wir Wollen Den heiligen Geist darum bitten, dass die Lichtge-<br />

meinde der Liebe aus allen Jahrhunderten – aus allen Ewigkeiten<br />

– zu uns herniederstrahlt und wir völlig mit ihr verbunden<br />

werden. Wir wollen darum bitten, dass der Gemeindegeist<br />

mit all seinen Gaben und Kräften über uns kommt und uns<br />

entzündet, und dass auch wir an unserem bescheidenen Platz<br />

mit eingesetzt werden dort, wo er uns hin haben will: nicht,<br />

wo wir uns hin haben wollen – als ob wir unser Schwert selbst<br />

gürten könnten –, sondern dahin, wo <strong>Gottes</strong> geschichtliche<br />

und übergeschichtliche Weltregierung uns jetzt haben will.<br />

Wir wollen bitten, so von ihm geführt zu werden, dass das in<br />

uns angezündete Feuer seine Aufgabe erfüllen kann.<br />

1933<br />

vor allen Dingen Müssen wir zur Ehrfurcht vor der Tatsache des<br />

Heiligen Geistes hindurchdringen, so dass wir die kleinlichen<br />

Angelegenheiten der persönlichen Interessen, der körperlichen<br />

Gesundheitszustände und der seelischen Herzensbedürfnisse<br />

völlig in dieser großen Flamme opfern. Es wird alles darauf ankommen,<br />

ob die große Stunde ein Geschlecht findet, welches<br />

dieser Größe entspricht. Auf Seiten des Menschen gibt es nur<br />

eins, was der Größe des Reiches <strong>Gottes</strong> entspricht, das ist die<br />

Todesbereitschaft. <strong>Die</strong>se aber müssen wir in dem Kleinkram<br />

des täglichen Lebens beweisen, sonst werden wir sie auch nicht<br />

in der kritischen Stunde der historischen Wende aufbringen.


Was wir für unser jetziges gemeinsames Leben brauchen,<br />

ist die völlige Überwindung aller kleinlichen Gesichtspunkte<br />

und Gefühle, die gänzliche Drangabe aller rein persönlichen<br />

Betrachtungsweise: die Angst, die Sorge, die innere Unsicherheit,<br />

kurz gesagt, die Ungläubigkeit. Und anstelle dessen<br />

müssen wir einen Glauben haben, der so klein aber auch<br />

so triebfähig ist, wie ein Saatkorn (Luk.17,6). Wir brauchen<br />

nicht mehr und nicht weniger. <strong>Die</strong>ser Glaube aber ist in Christus<br />

und in seinem Heiligen Geist in unserer Mitte wirksam.<br />

Wir haben das empfunden, aber wir haben nicht danach<br />

gelebt. Wenn dieser Heilige Geist sich nun von uns zurückziehen<br />

müsste, weil wir ihn betrübt und verscheucht haben,<br />

weil wir ihn ohne Ehrfurcht gering angesehen haben, weil<br />

wir unsere eigenen Angelegenheiten höher eingeschätzt haben<br />

als den Heiligen Geist, so können wir nur bitten: Lass dein<br />

Gericht über uns ergehen in d<strong>einer</strong> bis aufs letzte gehenden<br />

Barmherzigkeit. Und wir wollen glauben, dass dieses Gericht in<br />

Barmherzigkeit, dass diese Barmherzigkeit im Gericht uns endlich<br />

für die Sendung zubereitet, so dass wir befreit und losgelöst<br />

von allem Eigenen zu diesem <strong>Gottes</strong>willen verfügbar werden.<br />

üBER DAS pERSö NLICHE HINAu S<br />

1928<br />

es ist sehr viel persönliche Frömmigkeit verbreitet worden,<br />

leider aber nur im Sinne des sogenannten rein religiösen Einzelgebietes,<br />

das es natürlich vor Gott nicht gibt: Rein religiöse<br />

Bewegungen, die sich auf Predigt und Glaubensbekenntnis beschränken,<br />

die sich auf private Heilandserfahrung und kleinste


persönliche Heiligung beschränken und einengen. Solche Be-<br />

wegungen sind in den letzten Jahren viel aufgekommen.<br />

So sehr wir uns freuen, dass Menschen für die Liebe zu<br />

Jesus und für die Erfahrung der Sündenvergebung in seinem<br />

Kreuzestod erweckt werden, so sehr müssen wir doch demgegenüber<br />

feststellen, dass die Liebe Christi und die Bedeutung<br />

seines Kreuzestodes nicht erfasst ist, wenn man ihre Auswirkung<br />

einfach auf die subjektive Heilserfahrung beschränken<br />

will. Es war schon seit Jahren vorauszusehen, dass der Einfluss<br />

der neueren Theologie hier verheerend wirken musste. Auch<br />

daran war etwas Großes, dass gezeigt wurde: Gott ist ganz<br />

anders als Bewegungen sozialer Tätigkeit und persönlicher<br />

Frömmigkeit. Aber die einseitige Betonung dieser Tatsache,<br />

die den lebendigen Gott in weite Ferne entrückte, musste<br />

die soziale Verantwortung herabdrücken oder zum Erlöschen<br />

bringen.<br />

0<br />

1934<br />

in <strong>Die</strong>ser evangeliuMsverkünDigung Des begnadigten Sünders,<br />

der nun ein Heiligungsleben führen darf, um immer mehr<br />

Christus anzugehören, ist etwas wirklich christliches, was<br />

in der ganzen Bibel und im Neuen Testament enthalten ist<br />

(Kol.1,28). Deshalb sind wir dankbar, dass solche Bewegungen<br />

immer wieder aufgetaucht sind, um sich von Jesus als ihrem<br />

Heiland für Gott reinigen zu lassen. Das ist eine große Gnade,<br />

dass solche Strömungen innerer Belebung und Erweckung immer<br />

wieder über die Menschen kommen. Und wir sind dankbar,<br />

dass sehr viele von uns in ähnlichen Strömungen etwas von<br />

Christus erfahren und gespürt haben. Aber es ist eine ebenso


wichtige Beobachtung, dass diese rein persönliche Betrach-<br />

tungsweise nicht auf lange Zeit befriedigt. Es ist so, dass dieses<br />

Erfahrungs-Christentum, das sich auf die einzelne Seele konzentriert,<br />

nicht lange ertragbar ist.<br />

1934<br />

für <strong>Die</strong> offenBarung Des Geistes gibt es keine Grenze, am we-<br />

nigsten die Grenze, die Geist und Materie voneinander trennt.<br />

Der Heilige Geist ist ein schöpferischer Geist; er sucht den<br />

Weg vom Herzen <strong>Gottes</strong> aus bis in die Gegenstände hinein.<br />

Wir glauben daran, dass der Wille des Heiligen Geistes und<br />

die Gemeinschaft in der Wahrheit gerade in der Materie erwiesen<br />

werden muss, auch in der Arbeit der Menschen am Stoff<br />

der Erde.<br />

Wir glauben daran, dass in dem allen – in dem scheinbar<br />

Äußersten des Daseins – sich die Einheit des Geistes ebenso<br />

erweist wie in den innersten Dingen des Glaubens. Der<br />

Glaube will in der Liebe tätig sein; das bedeutet, dass der<br />

Glaube durch die Liebe die Gegenstände umgestalten will im<br />

Sinne des Reiches <strong>Gottes</strong> und s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit. Deshalb<br />

muss unsere Einheit sich auch auf die rein materiellen Dinge<br />

erstrecken. Und je mehr wir vom Geist inspiriert sind, umso<br />

mehr werden wir die Materie bewältigen.<br />

1935<br />

in unserer alten natur können wir nichts Vollkommenes,<br />

nichts Gutes darstellen, auch wenn sie noch so klar biblisch<br />

orientiert ist. Aber in der Neuschöpfung, in Christus – in seinem<br />

Geiste, überall wo sein Geist ungebrochen, ohne Verzerrung und


Karikatur ist – enstand diese unzerstörbare Gemeinschaft unter<br />

den Menschen. Fass es, wer es fassen kann! <strong>Die</strong> biblische Wahrheit<br />

ist nicht verstandesmäßig, nicht logisch, sondern überlogisch.<br />

Nur dem Glaubenden wird sie zuteil (1. Kor. 2, 12-13).<br />

<strong>Die</strong> praktische Frage ist die: Wir wollen glauben, dass der<br />

Heilige Geist in vermehrtem Maße über die Gemeinde ausgegossen<br />

wird. Wir wollen glauben, dass Jesus unter uns tritt<br />

und uns sein Herz aufschließt, damit wir so leben wie er und<br />

das öffentliche Leben ebenso beeinflussen, wie er es tat. Wir<br />

wollen es versuchen, in seinem Zukunftsstaat als Gemeinde<br />

den Auftrag zu erfüllen, das Korrektiv zu leben aus der Gnade<br />

des innewohnenden Christus heraus. Wir wollen seine volle<br />

Liebe wagen mitten in der Welt, unter Drangabe der eigenen<br />

Rechte bis auf das letzte Vorrecht – des Leibes, des Gutes<br />

– und wollen bis zur letzten Wehrlosigkeit Jesus folgen.<br />

1929


7. LE b ENSGEm EINSchA f T<br />

GüTERGEm EINSCHAFT A u F L IEBE GEGRü NDET<br />

Jesus zeigte es, Was Liebe bedeutet: dass sie keine Grenzen<br />

kennt und vor keinen Schranken haltmacht. Niemals kann sie<br />

dadurch zur Ruhe gebracht werden, dass irgend welche Verhältnisse<br />

ihre Betätigung als unmöglich erscheinen lassen. Für<br />

den Glauben der Liebe war nichts unmöglich und ist nichts<br />

unmöglich (1.Kor.13,7-8). Deshalb macht Jesus mit seinem<br />

Liebesdrang auch nicht vor dem Besitz, vor dem Eigentum<br />

halt. Als er ainen reichen Jungen liebgewann und dieser viele<br />

Güter aufzuweisen hatte, schaute ihm Jesus ins Herz und sagte<br />

ihm: “Es fehlt dir noch eines: Verkaufe alles, was du hast und<br />

gib es den Armen, und komm, geh’ mit mir” (Mark.10, 21).<br />

1919<br />

so kaM es, Dass die erste Gemeinde in Jerusalem sofort alle<br />

Güter verteilte. Sobald der Geist Christi über sie kam, konnte<br />

niemand mehr sein Eigentum behalten. <strong>Die</strong> Liebe trieb sie<br />

dazu, alles zu den Füßen der Apostel zu legen. Und die Apostel<br />

mit Hilfe der Verwalter der Existenzmittel verteilten alles<br />

(Apg.6,2-6). <strong>Die</strong> Liebe Christi führt zum Aufgeben des Eigentums<br />

und zur Gemeinschaft der Güter (Apg.4, 32-37). Denn<br />

da wird der Egoismus an der Wurzel getroffen.<br />

1935


Das geBen Des Mantels, wenn nur der Rock gefordert wurde,<br />

entspricht wirklich der Liebe. Aber stärker ist das Einsetzen der<br />

zweiten Arbeitstunde, wenn die erste gefordert wird (Matth. 5,<br />

38-42)! Das Bekämpfen des Eigentums setzt als Tieferes die<br />

Tötung des Eigennutzes, der Eigenliebe, des Eigenwillens und<br />

der Ichbetonung voraus.<br />

1929<br />

religion unD fröMMigkeit versagen, wenn sie sich nicht in Tat<br />

und Wahrheit als wirkliche Gemeinschaft ausprägen (1.Joh.<br />

3,17-18). Jesus sagt: Liebe Gott! Und das andere ist dem völlig<br />

gleich: Liebe deinen Nächsten! Es gibt keine wahrhafte Liebe<br />

zu Gott, wenn sie nicht eine wahrhafte Liebe zu den Menschen<br />

ist, und umgekehrt (Matth. 22, 36-39). Das ist auch unsere<br />

Erfahrung: Gemeinschaft ist durch den Geist, der von Gott<br />

her zu uns kommt, möglich. Und wenn dieser Geist uns erfüllt,<br />

ist wirkliche Nächstenliebe und vollkommene Gemeinschaft<br />

unter uns.<br />

N ICHT VON mENSCHEN A u FGEBAu T<br />

1935<br />

geWiss ist es richtig, dass Gott an den Menschen wirkt, an allen<br />

Menschen. Aber sobald dieser Glaube sich dahin übersteigert,<br />

dass man an sich selbst und an andere Menschen glaubt, ist<br />

man auf dem Holzweg. Wir müssen so an Gott glauben, dass<br />

es nicht auf den einzelnen Menschen ankommt, sondern auf<br />

Gott; und dass die einzelnen Menschen sich gemeinsam diesem<br />

Willen hingeben, der in uns, aber auch durch uns hindurch<br />

wirkt. Wir selbst sind gleichsam das Transparent, so dass unser


eigenes Wesen dabei gar nicht in Betracht kommt, sondern<br />

dass das Wirken <strong>Gottes</strong> das ein und alles der Sache ist. So allein<br />

wird Gemeinschaft. Ich glaube nicht, dass auf anderem Wege<br />

Gemeinschaft werden kann. Auch wenn ein Mensch noch so<br />

demütig, zurücktretend und hingegeben ist, aus s<strong>einer</strong> eigenen<br />

Kraft kann Gemeinschaft nicht werden (2.Kor. 12, 9).<br />

1933<br />

unser glauBe an gott ist kein Wunschgebilde unseres Her-<br />

zens. <strong>Die</strong> Grundlage, auf der unsere Gemeinschaft beruht und<br />

allein bestehen kann, ist Gott. Andererseits können wir nicht<br />

sagen: Wir haben die Grundlage gekauft. So ist es nicht. Wir<br />

sind keine Besitzenden in diesem Sinne. Wir haben keinen<br />

religiösen Besitz, sondern es muss uns täglich neu geschenkt<br />

werden. Wir müssen diesen furchtbaren Gedanken offen aussprechen:<br />

Es kann uns jeden Tag verloren gehen. Wir können<br />

nur sagen: Wir werden durch <strong>Gottes</strong> Gnade auf diese Grundlage<br />

gestellt. Denn wir glauben nicht durch unsere natürlichen<br />

Eigenschaften, sondern wir müssen durch den Heiligen Geist<br />

zum Glauben gebracht werden.<br />

1933<br />

Wir sinD keine haBenDen! Und wenn wir gedacht hatten, wir<br />

hätten die Gemeinschaft, so haben wir jetzt gesehen, wir haben<br />

sie nicht. Das ist gut, dass wir das gesehen haben. Gemeinschaft<br />

ist einzig und allein in Christus und in seinem<br />

lebendigmachenden Geist. Vergessen wir ihn und verlieren wir<br />

seinen Einfluß – gehen wir s<strong>einer</strong> Einwirkung verlustig –, so ist<br />

es aus mit der Gemeinde und der Gemeinschaft (Joh.15,5).<br />

1935


kANN DIE u NSICHTBARE G E m EINDE SICHTBAR<br />

WERDEN?<br />

<strong>Die</strong> unsichtBare kirche Muss sichtbar werden. Dazu ist die<br />

Gemeinsamkeit der Güter und die Tisch und Arbeitsgemein-<br />

schaft nötig. <strong>Die</strong> Kirche Christi ist überall unsichtbar wirksam<br />

– überall, wo Menschen vom Geist Jesu Christi ergriffen und<br />

bewegt sind. Das Leben in völliger Gemeinschaft aber ist eine<br />

sichtbare Darstellung dieser unsichtbaren Einheit im Geist. Sie<br />

ist es im ganzen Leben, nicht nur in kultischer Verkörperung.<br />

1935<br />

aus Den Quellkräften Des Geistes geht der Strom der Einheit<br />

auf alle Lebensgebiete über. Zunächst in das seelische Verhältnis<br />

der Gemeindeglieder von Herz zu Herz. Und weiter ergreift<br />

dieselbe Kraft der Einheit auch das Materielle, das uns umgibt.<br />

<strong>Die</strong> Geistesgemeinschaft wird Erziehungs und Arbeitsgemeinschaft,<br />

und die Arbeitsgemeinschaft ist natürlich auch Gütergemeinschaft<br />

ohne Privateigentum. Denn die Macht, aus der<br />

wir leben, ist Liebe. Liebe ist Freude aneinander. <strong>Die</strong>se Freude<br />

aus der tiefen Quelle der Einheit macht es uns möglich, alles<br />

hinzugeben. Das Hingeben <strong>einer</strong> Geldsumme bedeutet nichts<br />

gegenüber der Hingabe aller Kräfte (Luk.9,23 24). Vermögen<br />

entsteht aus Gütern der Erde und der menschlichen Arbeit.<br />

Wir teilen beides, die Güter der Erde und die Kräfte der Arbeit.<br />

Aber in dem allen wollen wir nicht für uns selbst leben im Kollektivegoismus,<br />

um uns selbst als Gemeinschaft zu erhalten. Sondern<br />

wir bezeugen die Möglichkeit: Man kann in Gemeinschaft<br />

leben! Wir bezeugen die Wirklichkeit: Man lebt wirklich in


Gemeinschaft! Wir bezeugen die Quellkraft dieser Möglich-<br />

keit und dieser Wirklichkeit, die im zukünftigen Reich <strong>Gottes</strong><br />

liegt.<br />

1934<br />

Das sinD alles hinDernisse: Empfindlichkeit, Rechthaberei,<br />

Ichsucht, Denken an sich selbst. Sich selbst anders einschätzen<br />

als die anderen ist tödliches Gift (Phil. 2,3). Wer noch so steht,<br />

ist durchaus gemeinschaftsunfähig. Er wird nicht in der Lage<br />

sein, die Einheit der großen Sache zu erleben. Hier ist der entscheidende<br />

Punkt. Wohl ist es schon eine Hilfe, wenn wir an<br />

den Zustand der anderen Menschen denken und das Beste in<br />

ihnen zu schauen suchen. Man sieht vielleicht die Fehler anderer<br />

in einem ungewöhnlich krassen Lichte und vergisst, dass man<br />

selbst ein schwacher Mensch ist. Man sollte nicht versuchen, das<br />

besser zu machen, was der andere verkehrt macht. Wir müssen<br />

uns mit den Unvollkommenheiten der Menschen abfinden.<br />

I ST G E m EINSCHAFT G OTTES W ILLE?<br />

1933<br />

gast: Du Meinst also, der Bruderhof sei <strong>Gottes</strong> Wille?<br />

Eberhard: Nicht der Bruderhof, aber die völlige Gemeinschaft.<br />

Was wir als wichtig erkannt haben, ist das, was Jesus mit seinen<br />

Jüngern gelebt hat und die erste Jerusalemer Gemeinde.<br />

Und ferner ist das alttestamentlich prophetische Wort ebenfalls<br />

als Wort <strong>Gottes</strong> empfunden (Ps.133), dass wir als Gemeinde<br />

– dem Wort <strong>Gottes</strong> entsprechend – in Frieden und<br />

Gerechtigkeit und Freude zusammenleben sollen, wie es der


Apostel Paulus sagt (Röm. 14,17). Unser ganzes Leben soll nur<br />

den Weg bescheiden andeuten.<br />

1935<br />

Wir glauBen an <strong>Die</strong> Barmherzigkeit <strong>Gottes</strong> für alle Menschen.<br />

Aus diesem Grunde haben wir nicht das Bedürfnis, alle Menschen<br />

zu Bruderhöfern zu machen. Wir freuen uns über jeden,<br />

der mit uns in Gemeinschaft tritt. Es ist nicht so, dass wir die<br />

Meinung hätten: Wer nicht zu uns kommt, den geben wir verloren.<br />

Sondern der Auftrag an die Menschheit ist es, der uns<br />

bestimmt, bis an unser Lebensende so zu leben. <strong>Die</strong>ser Auftrag<br />

wird nicht dadurch erfüllt, dass recht viele einzelne mit uns in<br />

Gemeinschaft treten möchten. <strong>Die</strong>ser Auftrag heißt einfach,<br />

so zu leben, dass die Liebe <strong>Gottes</strong> in unserem Zusammenleben<br />

als Einheit offenbar wird. Wenn immer wieder mit Recht auf<br />

das entscheidende Wort der Bibel hingewiesen wird: „Gott ist<br />

die Liebe,“ so ist das weil wir davon durchdrungen sind, dass<br />

es so ist; auch umgekehrt: „Wo wahre Liebe ist, da ist Gott“<br />

(1.Joh.4,8 u.11 12).<br />

Und nun ist es uns klar, dass diese wahre Liebe Einheit und<br />

Gemeinschaft bedeutet, gegenseitige Hilfe, <strong>Die</strong>nst, Verzicht<br />

auf das Eigene und Freude aneinander! So wird uns die Liebe<br />

zur Einheit! So können wir sagen: Gott ist die Einheit! Und<br />

wer in der Einheit bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm<br />

(1.Joh.4,16).<br />

1935


W ELTFLu CHT?<br />

Der ursprung unserer leBensgeMeinschaft hat seine Wurzel<br />

in der allgemeinen Not. Wir sind nicht aus den Großstädten<br />

fortgegangen, um uns zurückzuziehen. Wir haben nicht den<br />

scheinbar so einsamen Berg aufgesucht, um uns dem Werk der<br />

öffentlichen Verantwortung zu entziehen. Sondern wir haben<br />

geglaubt, dass die gemeinsame Konzentration der beste Weg<br />

zur öffentlichen Wirkung ist. <strong>Die</strong> Auswirkung auf das Ganze<br />

ist noch heute das erste und letzte Motiv unseres Gemeinschaftslebens<br />

(Joh.17,20 23).<br />

1932<br />

nun WunDern Wir uns immer wieder darüber, dass die Men-<br />

schen die Meinung vertreten, wir lebten nicht mehr in der<br />

Welt, wenn wir auf einem Bruderhof oder in <strong>einer</strong> anderen<br />

Lebensgemeinschaft vereinigt sind. Wir leben ebenso mitten<br />

in der Welt wie irgend jemand anders. Wir sind keine Gespenster,<br />

sondern Menschen von Fleisch und Blut, mitten auf<br />

der Erde. Und auch wir müssen bitten, dass wir mitten in der<br />

Welt bewahrt werden vor dem Bösen, sonst sind wir verloren<br />

(Joh.17,15 16). Wir haben es also hier mit <strong>einer</strong> Vergeistigung<br />

der Worte Jesu zu tun, die einen falschen Geist enthüllt. Es ist<br />

eine Umbildung des biblischen Realismus in ein Dämmerlicht<br />

von Unklarheit.<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> erfüllung Des apostolischen Wortes, dass niemand auf<br />

den eigenen Nutzen sehe, sondern nur auf den des anderen<br />

(1.Kor.10,24), kann nur im Gemeinschaftsleben der völligen


Hingabe gefunden werden, wenn Gemeinschaftseigentum<br />

hergestellt wird. Freilich darf dieses Gemeinschaftseigentum<br />

keinen Kollektivegoismus verkörpern. Es soll nicht eine Nutzungsgesellschaft<br />

eines gemeinsamen Unternehmens sein,<br />

nicht ein Kompanie Geschäft einiger Kompagnons. Sondern<br />

das, was das Gemeinschaftseigentum verkörpert, muss hineingegeben<br />

sein in den <strong>Die</strong>nst an allen Menschen, an die völlige<br />

Gemeinschaft des zukünftigen <strong>Gottes</strong>reiches für die ganze<br />

Menschheit, an den Glauben, der sich in positivem Christentum<br />

der ganzen Menschheit zukehrt.<br />

D IE mACHT DES G ELDES<br />

0<br />

1935<br />

Der sünDenfall BestanD in folgendem: Der Mensch eignete<br />

sich das an, was ihm nicht von Gott gegeben war, sondern was<br />

ihm der Teufel gab. <strong>Die</strong>ses Sichaneignen des Eigentums ist die<br />

Wurzel der Sünde. <strong>Die</strong>ser begehrliche Wille, etwas für sich haben<br />

zu wollen, ist das Wesen des Bösen. Das ist die Geschichte<br />

vom Apfel (obgleich von einem Apfel in der Bibel nicht<br />

die Rede ist). Und das, was dem Menschen von Gott gegeben<br />

war, das verschmähte der Mensch, das verwarf der Mensch,<br />

nämlich die Gemeinschaft mit Gott. Das von Gott Gegebene<br />

verachtete er. Das nicht von Gott Gegebene eignete er sich an.<br />

Und deshalb ist der Mammon der Teufel (Matth.6,24ff).<br />

1935<br />

Das Böse ist nicht nur eine Idee, sondern eine Wirklichkeit.<br />

Der Tod und das, was zum Tode führt – was zur Zerstörung,<br />

zur Zertrennung, zu Misstrauen und Zerspaltung führt – ist


öse. Das Zerstörende an der Prostitution ist das Böse. Das<br />

Böse besteht nicht einfach in der Abwesenheit des Guten, dass<br />

man abseits von <strong>Gottes</strong> Leben steht. Man darf es sich nicht<br />

so denken, dass das Böse nur eine Negation des Guten ist,<br />

dass das Böse nur ein Manko, ein Defizit ist. Der Tod ist eine<br />

Macht, der Mammon ist eine Macht. Das Geld ist eine Verkörperung<br />

des Satans, es ist der verkörperte Teufel. Ebenso ist<br />

es mit dem Mord und der Unreinheit; das ist eine Macht, die<br />

da vorhanden ist, eine ungeheure Gewalt (Joh.8,44). Wenn<br />

das Geld nichts anderes wäre als ein Tauschmittel für die Güter<br />

der Erde und die Arbeit der Menschen, dann wäre es nichts<br />

Böses. Aber es ist nicht wahr, wenn man behauptet, das Geld<br />

wäre nur ein Tauschmittel, sondern es ist ein Machtmittel.<br />

Darin liegt das Satanische, dass es ein Machtmittel ist über die<br />

Menschen. Innerhalb <strong>einer</strong> Gemeinschaft braucht man kein<br />

Geld. Innerhalb eines wirklich gemeinsamen Lebens ist Geld<br />

absolut unnötig; es ist ganz und gar gemeinschaftswidrig.<br />

1935<br />

in unreiferen MoMenten Des Anfangs hat auch Sannerz an<br />

„Taschengeld“ gedacht. Heute wissen wir, dass jedes Einzelgeld<br />

den Tod des Bruderschaftskommunismus mit sich bringt.<br />

Juni 1930.<br />

Jesus hat Den kaMpf gegen das Eigentum eröffnet. Er hatte ja<br />

das Eigentum verlassen – alle Vorrechte hatte er verlassen, all<br />

sein Eigentum hatte er aufgegeben –, um den Weg der Liebe<br />

und des Opfers zu beschreiten (Matth.8,20).


Er war das Beispiel darin, dass er kein Eigentum haben<br />

wollte. Von der Krippe bis zum Kreuz war er der Ärmste.<br />

Sammelt euch keinen Schatz, sammelt euch kein Vermögen,<br />

sondern spart euch lieber etwas anderes auf: nämlich die<br />

Liebe eurer Mitmenschen. Lasst doch das vergängliche Vermögen<br />

des vergänglichen Geldes und nehmt statt dessen das<br />

unvergängliche Vermögen; dann werdet ihr reiche Menschen<br />

werden (Matth.6,19-20).<br />

1931<br />

Jetzt aBer WirD ein Neues von euch gefordert, nämlich, dass<br />

ihr diese übelste Ausgeburt der gottverlassenen Materie, das<br />

Geld, auch treu verwalten könnt, damit ihr auch mit diesen<br />

euch innerlich fremden Dingen etwas tut, was Reich <strong>Gottes</strong><br />

ist. Das fordert selbstverständlich, dass das Geld sofort ausgegeben<br />

wird. Wenn ihr es weggebt, wird alles darauf ankommen,<br />

dass ihr es am rechten Fleck weggebt; nicht dass ihr es beliebig<br />

irgendwelchen Kapitalisten in den Rachen werft, sondern dass<br />

ihr dieses Geld so weggebt, dass andere Werte geschaffen werden,<br />

die nicht mehr finanziellen Charakter tragen – die nicht<br />

mehr dem Geist, der euch beseelt, fremd sind – Werte, die vor<br />

der Ewigkeit bestehen können…<br />

Wenn der Mensch zur Einsicht der persönlichen Sünde<br />

kommt, dann durchfährt ihn ein eisiger Schrecken. Es<br />

scheint ihm unmöglich, dass er durch Christus mit dem Herzen<br />

des Vaters und der Gemeinde Jesu Christi vereinigt werden<br />

könnte, und gerade weil es ein solcher letzter Schrecken<br />

und eine solche Unfassbarkeit ist, fängt an diesem Punkt der<br />

Glaube an.


Und geradeso ist es mit den wirtschaftlichen Dingen. Wenn<br />

wir in die letzten Schrecken dieser Dinge geführt werden, und<br />

wenn wir vor der völligen Unfassbarkeit stehen, wie denn ein<br />

überirdischer Geist diese irdischen Dinge bewältigen könnte,<br />

gerade dann fängt der Glaube an. Und nur der Glaube ist der<br />

Weg, der uns gegeben ist. Einen anderen Weg haben wir nicht<br />

(Matth.6,24 34). Und dieser Glaube ist Treue, Vertrauen. So<br />

ist das Glaubensgeheimnis dieses, dass wir an Geld , Arbeits<br />

, Acker und Werkstättenfragen, Hausbauten, Büroarbeiten,<br />

Geldeinnahmen, Geldausgaben für alle diese Dinge so herantreten,<br />

dass der Heilige Geist das Werk gestaltet. Deshalb ist<br />

es so gesund, wenn wir uns unsere Wirtschaftslage so klar wie<br />

möglich vor Augen halten, damit dieser Schrecken und diese<br />

Unfassbarkeit des göttlichen Geschehens uns wirklich bis ins<br />

Tiefste ergreift.<br />

G E m EINSCHAFT IST A RBEIT<br />

1934<br />

Wir glauBen an Das Christsein der Tat. In der gemeinsamen<br />

Arbeit erkennt man am besten und schnellsten, ob man in<br />

lebendigem Glauben zu wirklicher Liebe und zu wahrer Gemeinschaft<br />

bereit ist. <strong>Die</strong> Arbeit gilt als das entscheidende<br />

Kennzeichen, ob der Glaube echt ist.<br />

1934<br />

Das praktische glauBensgeheiMnis <strong>einer</strong> Lebensgemeinschaft<br />

besteht in den Beziehungen zwischen den Dingen des Glaubens<br />

und der Arbeit (Kol.3,23 24). <strong>Die</strong> meisten Menschen finden<br />

keine Beziehungen zwischen diesen beiden Lebensgebieten.


Auch bei solchen, die wirklich ein Erfahrungschristentum be-<br />

zeugen können, klafft beides gänzlich auseinander.<br />

Auf der einen Seite steht man in seinem inneren Leben in<br />

den heiligsten Bereichen und sucht sie festzuhalten; auf der<br />

anderen Seite wird das praktische Leben der menschlichen<br />

Arbeit immer weiter dem Heiligen Geist entrückt. In dieser<br />

Gefahr stehen auch wir, denn wir sind Menschen, genau wie<br />

alle anderen. Wir unterscheiden uns von anderen Menschen<br />

in k<strong>einer</strong> Weise. Aber eins ist uns gegeben in der Gemeinde wahrhaft<br />

gemeinsamen Lebens, dass wir das Geheimnis geahnt<br />

und geschaut haben, welches diese beiden Lebensgebiete in<br />

eine Beziehung zueinander gebracht hat, die uns vorher gänzlich<br />

unbekannt war. Und diese tiefe Beziehung dieser beiden<br />

Lebensgebiete ergibt sich aus dem apostolischen Glauben.<br />

Wir glauben an den Schöpfer der ersten Natur ebenso, wie an<br />

den, der uns zur <strong>neuen</strong> Schöpfung erlöst, und an den Geist,<br />

der uns dieser <strong>neuen</strong> Schöpfung zuführt.<br />

1934<br />

Das geBet Darf nieMals die Arbeit im Reiche <strong>Gottes</strong> und in<br />

s<strong>einer</strong> Gemeinde verdrängen. Wenn wir Gott ernsthaft bitten,<br />

dass sein Wille auf der Erde Tat wird, dass sein Charakter in<br />

Werken offenbar wird, dass seine Herrschaft die Menschen zu<br />

Einheit, Gerechtigkeit und Liebe führen soll, so wird unser Leben<br />

Arbeit sein. „Der Glaube ohne Werke ist tot“ (Jak.2,17).<br />

Gebet ohne Arbeit ist Heuchelei. Das Vaterunser ohne die Lebenshaltung<br />

des <strong>Gottes</strong>reiches ist Lüge. Das Gebet Jesu will<br />

uns dahin stellen, wo sein Inhalt geschieht, also Ereignis und<br />

Geschichte wird. Das gemeinsame Leben unserer Bruderhöfe


ist der gottgewiesene Platz, an welchem wir unsere gesamte Ar-<br />

beitskraft dafür hingeben dürfen, dass Gott geehrt wird, dass<br />

sein Wille getan wird, und dass sein Reich kommt. Ohne die<br />

Tat und Arbeit der Gemeinschaftsliebe würde der Baum unseres<br />

Lebens totkrank und gerichtet sein.<br />

1929<br />

Das natürlichste glück Des Menschen besteht in der Lust ge-<br />

sunder Schaffenskraft, in der Freude am Gelingen der Arbeit.<br />

Freilich muss in dem Reich beglückender Arbeit jeder Mensch<br />

s<strong>einer</strong> Anlage und s<strong>einer</strong> inneren Interessen nach diejenige Tätigkeit<br />

entfalten, die ihm am nächsten liegt und ihm die größte<br />

Freude macht.<br />

Der übliche Einwand gegen eine solche „Utopie“, dass k<strong>einer</strong><br />

ohne Zwang die niedrigsten Arbeiten in Angriff nehmen<br />

würde, beruht auf den falschen Voraussetzungen der verdorbenen<br />

Menschheit. Heute fehlt gewiss den meisten Menschen<br />

jener Geist der Liebe, der uns die geringste und äußerlichste<br />

Arbeit zur beglückenden Freude macht. Wenn wir aber einen<br />

geliebten Menschen zu pflegen oder zu versorgen haben, verschwindet<br />

uns sicherlich der Unterschied zwischen ehrender<br />

und erniedrigender Arbeit. <strong>Die</strong> Liebe hat ihn aufgehoben und<br />

macht uns alles zur Ehre, was wir für den Geliebten tun.<br />

Es ist Tatsache, dass die ungesunde Entwicklung unserer<br />

Kultur vielen die körperliche Arbeit als minderwertige Betätigung<br />

erscheinen lässt, an der man keine Freude haben könne.<br />

Aber in Wahrheit ist der Mensch gar nicht darauf gerichtet,<br />

sich unausgesetzt mit den idealsten Gegenständen des Geistes<br />

zu befassen. Wenn der Mensch gesund ist, sehnt er sich nach


körperlicher Bewegung – nach der schlichten Arbeit des<br />

Landes, nach der Freude an Sonne und Licht, an Berg und<br />

Wald, an Pflanze und Tier, an Acker und Garten. Zu gesunder<br />

Freude am Dasein, an Gott und s<strong>einer</strong> Schöpfung kann<br />

er nur gelangen, wenn er auch die Naturlust an körperlicher<br />

Betätigung kennt.<br />

V EREINIGu NG<br />

1919<br />

keine geMeinschaft, <strong>Die</strong> für sich selbst da ist, kann bestehen<br />

(Joh.15,4). Sie ist Sekte in dem Sinn des Abgeschnittenen. Sie<br />

ist verloren in Vereinzelung, auch wenn sie noch so sehr Gemeinschaft<br />

üben sollte.<br />

1929<br />

Wir hatten <strong>Die</strong> geschichte der Jahrhunderte und Jahrtausen-<br />

de, die Länder und die Erdteile planmäßig und gründlich nach<br />

Menschen durchsucht, die in völliger Gemeinschaft – in völliger<br />

Liebe und in völligem Frieden, in völliger Freiheit des Geistes<br />

und in völliger Einheit desselben Geistes – zusammenlebten.<br />

Immer hatten wir nach Gefährten des Weges, nach erprobten<br />

und bewährten Fahrtengruppen und Wandergemeinschaften<br />

desselben Weges gesucht. Niemals lag uns das Geringste daran,<br />

eine eigene Sache zu gründen oder ein eigenes Werk zu erhalten.<br />

Niemals kam es uns auch nur im geringsten darauf an, eine sogenannte<br />

Selbständigkeit eines eigenen Unternehmens zu behaupten<br />

oder den Namen eines eigenen Lebenswerkes zu gewinnen.<br />

Hinweg mit allem Eigenen! Nur auf das eine kam es uns an:<br />

auf die Klarheit des Rufes, den wir überkommen hatten, auf


die Reinheit der Freiheit und auf die Wirklichkeit der Einheit!<br />

Nur dieses eine sollte erhalten und vertieft werden! So suchten<br />

wir nach Menschen und nach Menschenscharen, nach Menschengruppen<br />

und nach Menschenvölkern, die uns das Leben<br />

dieses Rufes zur Freiheit, zur Reinheit und zur Einheit besser<br />

vorleben könnten, als es uns gegeben war.<br />

Und wirklich trafen wir auf manche Gemeinschaftsversuche<br />

größerer und kleinster Kreise, ältesten und neuesten Ursprungs.<br />

Wie freuten wir uns an jedem Tröpfchen Leben, das<br />

zum größeren Leben strömte, an jedem kleinsten lebendigen<br />

Organ, das die Einheit eines größeren Organismus erwiesen<br />

hatte! Alle kleinen Lebensgruppen unserer eigenen und benachbarten<br />

Länder waren freilich jungen und schwachen Ursprungs.<br />

Zugleich aber fanden wir einige Bewegungen, die in<br />

großer Kraft zwei oder drei oder vier Jahrhunderte in völliger<br />

Gemeinschaft durch den befreienden und einigenden Geist<br />

gelebt hatten und heute noch leben!<br />

1935


WAS IST SüNDE?<br />

8. bUß E UND TAUf E<br />

<strong>Die</strong> Mehr als sternenWeite Gottentfremdung des menschlichen<br />

Geschlechts ist die alleinige Ursache der absteigenden Verdor-<br />

benheit der Menschen, auch ihrer Verdorbenheit im physiolo-<br />

gischen Sinne (Röm.1,18 32). Leben heißt, von sich abstossen,<br />

was sterben will. Wir sind in unserer Sünde hoffnungslos krank<br />

– aussichtslos Sterbende – wenn wir nicht von ihr, von dem Bösen<br />

frei gemacht werden (Röm.6,20-23). Hass und Mord, Lüge<br />

und feige Unlauterkeit, unreine Gier und perverse Entartung<br />

der Sinne erweisen sich als lebenzerstörende Mächte. Sie töten<br />

mit langsamer Sicherheit die letzte Lebenskraft in uns, während<br />

sie uns gesteigerte Lebenslust vortäuschen.<br />

1919<br />

ist JeDe sünDe eine Krankheit? <strong>Die</strong> Gefahr bei dieser Ausdrucks-<br />

weise ist, dass die Verantwortlichkeit abgeschwächt wird. Das ist<br />

überaus gefährlich. Dass der Tod über der Menschheit liegt, ist<br />

eine Krankheit; aber die Offenbarung der Wahrheit geht dahin,<br />

dass die Sünde das Gift des Todes ist. Wenn wir nicht durch die<br />

Sünde verhaftet wären, würden wir nicht sterben (Röm.5,12).<br />

Und die Sünde ist eine Tathandlung des Menschen, ist Loslösung<br />

von der Gemeinschaft mit Gott, ist Anknüpfung <strong>einer</strong>


schlechten Gemeinschaft mit Gott feindlichem, Anknüpfung<br />

<strong>einer</strong> Giftverbindung. Es ist das Lebenzerstörende, was die Gemeinschaft<br />

<strong>Gottes</strong> – den Lebenszusammenhang mit Gott, den<br />

lebendigmachenden Geist – verlässt. Für diese Willenshandlung<br />

sind wir verantwortlich, auch wenn wir die Erkenntnis<br />

haben, dass das mit der Krankheit des Todes zusammenhängt.<br />

Wir bleiben dennoch verantwortlich.<br />

1933<br />

Wir Dürfen Das leBen nicht so hinnehmen wie es ist. Wir müs-<br />

sen vielmehr zu den Freuden und Leiden des Lebens Stellung<br />

nehmen. Wenn auch das Feindseligste irgendeinen Sinn im<br />

Laufe des Geschehens hat, so muss doch ein von Gott ergriffener<br />

Mensch dagegen Stellung nehmen. Er muss diese Dinge<br />

aus seinem Leben ausschalten und für alle Menschen zu<br />

überwinden suchen. Trotzdem ist gerade diese kämpferische<br />

Haltung die rechte Lebensbejahung; denn alles, was zu Unwahrheit,<br />

Untreue, Unwahrhaftigkeit, Feindseligkeit und zur<br />

Herrschaft des Geldes und der äußeren Dinge führt, all das ist<br />

ja kein wahres Leben, sondern eine Versklavung – im Grunde<br />

eine Vernichtung. Nur wo der Geist das Leben ergreift gibt es<br />

eine wirkliche Bejahung des Lebens, indem das Größte – die<br />

Liebe – bejaht und alles andere abgelehnt wird.<br />

1933


Buß E<br />

Buße ist Das gefühl des Ekels und Überdrusses, in welchem dem<br />

Menschen die gesamte Sündhaftigkeit mit allen Einzelsünden<br />

von Herzen widerwärtig wird; der Schmerz, in dem ihm diese<br />

Dinge verleidet sind; das Reuegefühl, dass er sein Leben dafür<br />

lassen möchte, wenn er alle diese Dinge dadurch ungeschehen<br />

machen könnte; das durchbohrende Gefühl des Abscheus, in<br />

dem der Mensch lieber sterben will, als dass er nur im geringsten<br />

in diese Dinge von neuem einwilligen könnte; die Reue<br />

als gefühlsmäßig vollendeter Bruch mit dem verkehrten Leben,<br />

das den dämonischen Menschen an die Stelle <strong>Gottes</strong> setzen<br />

wollte.<br />

0<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> Busse Besteht zuerst darin, dass man die Schwere der<br />

Handlung, den Fluch der begangenen Handlung vollständig<br />

erkennt und anerkennt, dass das Mörderische der Handlung,<br />

das Zerstörende und Verderbende der begangenen Handlung<br />

eindeutig bekannt wird. Dann kommt schrittweise das andere.<br />

Es ist wichtig, dass man nicht auf einem Gebiet von Freiheit<br />

spricht, wenn man nicht zu gleicher Zeit auf allen anderen<br />

Gebieten von der Freiheit spricht.<br />

Man kann sich nicht in der politischen Lage fest fühlen<br />

oder behaupten, dass man von der sozialen Ungerechtigkeit<br />

radikal frei sein wird, wenn man nicht zu gleicher Zeit von<br />

der Lüge und der Unreinheit und Zuchtlosigkeit frei ist. Man<br />

kann nicht das eine scharf bekämpfen und verurteilen, während<br />

man gegen das andere weich und schlapp ist.<br />

1933


<strong>Die</strong> WieDergeBurt, von Der Jesus zu dem Mann, der in der<br />

Nacht zu ihm kam, geredet hat (Joh.3,1ff.) – die Wiederge-<br />

burt ist die Buße als Umwälzung: die Wiedergeburt in der<br />

Rechtfertigung von aller unserer Sünde, die Wiedergeburt in<br />

der rettenden Sündenvergebung und Sündenüberwindung<br />

durch Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. <strong>Die</strong> Umwälzung,<br />

um die es sich hier handelt, ist zunächst eine völlige<br />

Veränderung unseres sittlichen Lebens. <strong>Die</strong> Buße als Umwälzung<br />

setzt nur da wirklich ein, wo man alles aufgibt, was böse<br />

ist. Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Wer aus Gott<br />

geboren ist, der sündigt nicht.<br />

V ERGEBu NG D u RCH Buß E<br />

1917<br />

es ist unser Bekannter Glaube, dass wir nicht sündlos sind<br />

oder werden können. Wir bleiben vielmehr Menschen, die der<br />

Vergebung bedürfen und darum auch um die Vergebung bitten<br />

müssen. Ebenso haben wir auch die Vergebung zu üben, da<br />

wir ihrer stets selbst bedürfen. Und dazu will uns Christus die<br />

Kraft geben, er, der vom Himmel gekommen ist, um uns auf<br />

Erden zu helfen.<br />

Und das ist die Botschaft, die wir zu verkündigen haben:<br />

nämlich, dass wir unser eigenes Fleisch, unseren Eigenwillen<br />

verlieren dürfen, damit wir befähigt werden, die Menschen<br />

so zu lieben, dass wir aus dieser Liebe heraus wirklich von<br />

Herzen den Menschen ihre Schuld vergeben können, die sie an<br />

uns haben; und damit wir ein Herz bekommen, das in seinem<br />

Wesen, in s<strong>einer</strong> Haltung eindeutig ist im Bekennen der Gerechtigkeit<br />

des Reiches <strong>Gottes</strong>.<br />

1935


Jesus hat seinen geist den Aposteln – das heißt, der Einheit der<br />

Gemeinde – als entscheidende Vollmacht für die Vertretung<br />

seines Reiches gegeben. Ihre Bevollmächtigung zum Lösen<br />

und zum Binden, zum Vergeben und zum Liegenlassen, gewährleistet<br />

die Möglichkeit gänzlicher Entlastung und Befreiung<br />

für den Eintritt in das Reich <strong>Gottes</strong>. Ohne die Vergebung<br />

der Sünde kann kein Gewissen leben. Ohne sie kann niemand<br />

das Reich <strong>Gottes</strong> sehen. <strong>Die</strong> im Glauben und Leben vereinigte<br />

Gemeinde verwaltet die Vergebung vor dem Gewissen aller,<br />

weil ihr das Leben Jesu und seine zukünftige Herrschaft für die<br />

jetzige Zeit anvertraut ist und vorbehalten bleibt.<br />

I NNENLAND<br />

Wir Wollen gott Danken für die Vergebung der Sünde: Ohne<br />

Vergebung der Sünde können wir keinen Tag vor Gott bestehen;<br />

ohne Vergebung der Sünde können wir keinen Tag in<br />

Gemeinschaft leben. Ohne Vergebung der Sünde gibt es keine<br />

Freude und keine Liebe; denn nur wem viel vergeben ist, der<br />

liebt viel (Luk.7,47). Wir wollen Gott danken, dass das Sakrament<br />

der Vergebung unter uns kräftig ist.<br />

Wir bitten um die Kraft des Heiligen Geistes, dass wir alle<br />

jede Stunde und jeden Augenblick vergeben können, wenn<br />

<strong>einer</strong> dem andern gegenüber etwas schuldig bleibt oder hinter<br />

dem Ziel der Vollkommenheit zurückbleibt. Wenn wir Gott<br />

bitten: „Vergib uns unsere Schuld“, so können wir das nur<br />

dann tun, wenn wir allen denen vergeben haben, die an uns<br />

schuldig geworden sind (Matth.6,12).<br />

1933


TA u FE<br />

<strong>Die</strong> taufe führt in den Tod Jesu hinein, damit wir seine Auf-<br />

erstehung erleben, den innersten Kern der Erlösung. <strong>Die</strong> Er-<br />

lösung dieser Natur geht durch den Tod hindurch. Durch die<br />

Auferstehung aber wird diese alte Natur zu wahrer Lebendigkeit<br />

geführt, damit sie neue Schöpfung werde. Das ist der<br />

Glaube, der in der Taufe bezeugt wird, dass der Heilige Geist<br />

ausgegossen wird über den, der getauft wird, damit er ergriffen<br />

werde von der Liebe <strong>Gottes</strong> (Apg.2,38).<br />

1935<br />

Wir Möchten uns DarüBer erklären, dass es uns durchaus fern-<br />

liegt, irgend jemanden in ganz bestimmte Wortformen pressen<br />

zu wollen, irgend einen Menschen zu ganz bestimmten<br />

Worten des Bekenntnisses nötigen zu wollen. Das liegt uns<br />

völlig fern. Gerade, weil wir wirklich an Gott, an Christus und<br />

seinen Geist glauben, können wir gar kein Interesse daran haben,<br />

jemanden zu nötigen, dass er denselben Glauben ebenso<br />

aussprechen soll, wie wir. Denn das, was wir damit bekennen,<br />

ist uns Menschen so völlig überlegen, dass gar nicht die Notwendigkeit<br />

besteht, Menschen dazu zu überreden, sie möchten<br />

das auch bekennen. Gott wird dadurch nicht verändert,<br />

dass du dich nicht zu ihm bekannt hast.<br />

1935<br />

Wir glauBen an gott, der unser Vater ist, dadurch, dass wir<br />

seinen kindlichen Geist empfangen haben. Wir haben ihn erkannt<br />

als Schöpfer des Himmels und der Erde, so dass wir


keines s<strong>einer</strong> Geschöpfe – weder in der Geisterwelt noch in<br />

der Natur – als Gott verehren können.<br />

Und wir haben ihn gefunden in Jesus Christus, dem König<br />

des kommenden Reiches, in dem Christus, der unser Herr und<br />

Gebieter geworden ist, auf dessen Wort wir hören und nach<br />

dessen Geist wir leben. Wir wissen, dieser Christus ist völlig<br />

identisch mit dem historischen Jesus, der von der Jungfrau<br />

Maria geboren wurde und vom römischen Staat durch Pontius<br />

Pilatus hingerichtet wurde. Wir wissen, dass seine Sendung<br />

hinuntergeht bis in die Hölle und bis in die Gräber der Toten.<br />

Wir wissen, dass er dort sein Evangelium ebenso verkündet<br />

hat und verkündet, wie er es unter den Menschen tut, die<br />

heute auf Erden leben. Und wir wissen, dass er, der im Grabe<br />

gelegen hat, wahrhaft auferstanden ist von den Toten, und dass<br />

er seinen Platz eingenommen hat auf dem himmlischen Herrschaftsthron<br />

in der Majestät des Reiches <strong>Gottes</strong>. Wir erwarten<br />

ihn von dort zum Gericht über alle Menschen, wenn einst<br />

die Bücher des Lebens aufgeschlagen werden, wenn das letzte<br />

Gericht über alles ergehen wird, was den Menschen erhöhen<br />

will, so dass allein Gott die Herrschaft hat in seinem kommenden<br />

Reich.<br />

Und wir glauben an den Heiligen Geist, der ein wirklich<br />

Heiliger Geist ist, weil er nicht befleckt ist mit Bösem und<br />

keine Gemeinschaft hat mit dem Bösen, sondern uns einigt<br />

in der Einheit der einen allgemeinen Gemeinde.<br />

Nicht an eine pantheistische Einheit des Guten und des Bösen<br />

glauben wir. Sondern durch den Heiligen Geist glauben wir allein<br />

an die Einheit der Gemeinde, an jene Gemeinde, in der die<br />

Vergebung der Sünden lebendig ist, in der man anerkennt,


dass die Sünde Sünde ist und dass sie weggenommen und<br />

ausgetilgt wird durch diesen verwaltenden, machtvollen Geist<br />

der Gemeinde. Und so glauben wir an das ewige Leben, an<br />

das bleibende Leben, welches durch diese Liebe Christi Jesu<br />

in dieser Gemeinde des Heiligen Geistes, in dieser Vergebung<br />

der Sünde offenbar wird.<br />

1935<br />

zWei hauptsyMBole Der hanDlung und der Tatsache sind von<br />

Jesus her besonders bekannt und eindeutig. Das eine ist das<br />

gemeinsame Essen und Trinken, und das andere ist die Waschung,<br />

die Übergießung oder die Untertauchung. Das eine<br />

ist die Nahrung, und das andere ist die Reinigung. Und die<br />

Reinigung verbindet sich dann noch mit dem Begräbnis, mit<br />

der Beerdigung, mit dem Zeichen des Todes und des Begrabenwerdens<br />

und des Auferstehens. Das Taufsymbol enthält<br />

also zwei Bildlinien: einmal die Reinigung und Waschung und<br />

Übergießung, und zum zweiten den Tod, das Begräbnis und<br />

die Auferstehung.<br />

J ESu S BRING NEu ES L EBEN<br />

1933<br />

Das neue leBen ist Christus. Er tritt uns Menschen an jeder<br />

Wende unseres Daseins in den Weg. Er zeigt allen, die sich<br />

seinem Einfluss überlassen, dass alles, was wir an Gutem und<br />

Gerechten gewollt oder gar geschafft haben, schwarz und finster,<br />

schlecht und ungerecht ist gegenüber der einen einzigen<br />

Reinheit, gegenüber der einen einzigen Liebe, der <strong>Gottes</strong>gerechtigkeit,<br />

die er selber ist. Er führt uns zur Buße, die in allem


umdenkt und sich durch nichts täuschen lässt, als könne man<br />

das Schwarze weiß oder das Schmutzige rein sprechen.<br />

Aber Jesus ist mehr als Johannes der Täufer. In seinem<br />

Kreuz ist der Herzpunkt des Herzens <strong>Gottes</strong> offenbar geworden.<br />

In seinem Sterben ist die alles umfassende <strong>Gottes</strong>liebe als<br />

Vergebung und ungetrübte Vereinigung erschlossen worden.<br />

Der Gekreuzigte bringt uns durch das Einswerden mit ihm zu<br />

einem stets erneuten Bruch mit allem Bisherigen, mit allem,<br />

was wir bis zu dieser Stunde waren und getan haben. Er deckt<br />

uns die schmachvolle Unwürdigkeit und fluchwürdige Lieblosigkeit<br />

auf, in die unser Leben bis zum gegenwärtigen Augenblick<br />

verquickt ist. Er nimmt uns die Nebel und Wolken<br />

weg, so dass wir in einem Augenblick den Abgrund sehen,<br />

der zwischen unserem verdorbenen Wesen und dem Herzen<br />

<strong>Gottes</strong> klafft. Aber in demselben Augenblick schließt er selbst<br />

diese unendliche Kluft mit der unendlichen Kraft s<strong>einer</strong> ausgebreiteten<br />

Arme und s<strong>einer</strong> durchbohrten Hände und macht in<br />

s<strong>einer</strong> Vergebung unser Herz eins mit dem Herzen <strong>Gottes</strong>.<br />

W IEDERGEBu RT u ND ZukuNFTSREICH<br />

1920/21<br />

Wir alle lieBen Das dritte Kapitel des Johannes-Evangeliums,<br />

aber wir vergessen oft, dass dort die persönliche Wiedergeburt<br />

in den überpersönlichen Zusammenhang des Reiches <strong>Gottes</strong><br />

gestellt ist. Das kommende Reich ist das Bestimmende in der<br />

Bibel. Von diesem Zukünftigen müssen wir ganz überwältigt<br />

und ganz erfüllt werden (Jes.11,1 10). Der Heilige Geist will<br />

uns überkommen und erfüllen, damit wir durch ihn in das


Zukünftige geführt werden. Er soll uns die Worte Jesu für die<br />

zukünftige Welt lebendig machen; er soll uns dahin führen,<br />

dass wir ein lebendiges Beispiel, ein Gleichnis, ein Anschauungszeugnis<br />

des kommenden Reiches werden.<br />

1935<br />

Wir gehören DeM könig des Himmelreiches an. Deshalb müs-<br />

sen wir so leben, wie dieser König des Himmelreiches lebt. Es<br />

ist die Frage: Willst du den Weg des Kreuzes gehen oder nicht?<br />

„Willst du mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft<br />

bin? Willst du den Kelch trinken, den ich getrunken habe?“<br />

(Mark.10,38 39)<br />

D ER B R u CH m IT DEm BESTEHENDEN<br />

1934<br />

Der auferstanDene gaB ihnen den Auftrag, in alle Welt hinaus-<br />

zugehen, das Evangelium aller Kreatur auszurufen, die Buße<br />

auszurufen, die Menschen zu taufen, sie mit dem Zeichen des<br />

Bruches zu versehen, dass sie gebrochen haben mit allen Mächten<br />

dieser Welt und einverleibt sind in die Todes und Auferstehungsgemeinschaft<br />

des <strong>neuen</strong> Reiches (Matth.28,19 20).<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> taufe Bezeugt Den Bruch mit den bestehenden Machtver-<br />

hältnissen: dass wir dem verkehrten Leben des Gewaltgeistes<br />

um uns her absterben; dass wir diesem Leben, welches sich<br />

durch Macht und Gewalt ausbreiten will, entsagen und absterben<br />

wollen; dass wir dem Lebenstrieb, der Machtwille ist, der<br />

Gewaltwille ist, absagen und absterben; dass wir dem Reich-


tums und Eigentumswillen dieser Welt absterben und absagen;<br />

dass wir dem begehrlichen Willen dieser Welt – auch dem<br />

sexuellen Begehrlichkeitswillen – absagen und absterben; dass<br />

wir alle dem, was das wahre göttliche Leben durch ein fleischliches,<br />

unreines Leben zerstört, absagen und absterben.<br />

1935<br />

Das ist ein so radikaler Bruch, dass von hier aus Kompromisse<br />

überhaupt gar nicht möglich sind (Jak.4,4). Es ist der Bruch<br />

mit allem Bestehenden, und die Sendung des ganz Anderen<br />

und ganz Neuen mitten in das Bestehende und Entgegengesetzte<br />

hinein (Eph.4,22 24). Das ist der Auftrag der Taufe. Deshalb<br />

ist die Taufe mit dem Auftrag der Aussendung verbunden<br />

und mit der Verheißung und Zusicherung, dass der Herrscher<br />

der kommenden Welten seine Vollmacht dort beweisen wird,<br />

wo diese Taufe geübt wird und wo diese Aussendung getätigt<br />

wird.<br />

B RAu CHEN kINDER DIE TA u FE?<br />

1933<br />

Wir Wissen, Dass <strong>Die</strong> kleinen Kinder nicht verflucht und ver-<br />

dammt sind, sondern wir sind uns gewiss, dass sie durch<br />

Christus und seine allumfassende Liebe und durch das Opfer<br />

seines Lebens vereinigt sind mit Gott, der alles liebt, was Kind<br />

heißt und den kindlichen Geist hat im Himmel und auf Erden<br />

(Matth.19,13 15). Er will, dass alle Menschen voll kindlichen<br />

Geistes werden, Kinder im Geist Jesu Christi.<br />

Deshalb brauchen die Kinder keine Taufe; denn sie ist ein<br />

Zeichen der Buße, der Vergebung und Umkehr, ein Zeichen


des Empfangs des Heiligen Geistes, den man vorher – in<br />

einem Leben der Ungerechtigkeit – nicht gehabt hat.<br />

Und die Taufe ist ein klares Bekenntnis innerster Einsicht,<br />

deutlicher Erkenntnis und Bewusstwerdens und Bekennens<br />

dieses Bewusstwerdens in der Gnade <strong>Gottes</strong>, in der Vergebung<br />

der Sünde, in der Buße von der Ungerechtigkeit, im<br />

Glauben an das kommende Reich und die völlige Umgestaltung<br />

aller Welten.<br />

Das alles soll einem Kindchen nicht auferlegt werden. Es<br />

steht noch jenseits dieser Kämpfe zwischen dem Satan und<br />

dem <strong>Gottes</strong>geist, zwischen dem Friedensgeist und dem Geist<br />

der Feindschaft. Noch ist es geborgen in dem kindlichen Geist<br />

Jesu Christi.<br />

1935<br />

Dagegen WirD eingeWenDet, Das Kind – freilich persönlich un-<br />

schuldig – lebe aber dennoch unter der Erbsünde. Jawohl, das<br />

tut es. Aber die Erbsünde in dem kleinen Kind ist nichts anderes<br />

als ererbte Anlage: einmal diese ererbte Anlage als natürliche<br />

Neigung zum Bösen wie auch zum Guten; zum anderen<br />

aber nichts anderes als die ererbte Anlage zum leiblichen Tode<br />

– die Sterblichkeit des Menschen. Denn durch die Sünde –<br />

durch das Abweichen von dem Lebendigen, von Gott – sind die<br />

Krankheit und der Tod in die Welt gekommen. Das zunächst<br />

ist es, was zu unserem Schmerz alle unsere Kinder geerbt haben:<br />

dass sie sterblich sind! Wäre der Mensch völlig in Gemeinschaft<br />

mit dem ewig Lebendigen, mit Gott; wäre er in lebendiger<br />

Freiheit, in lebendiger Bewegung, in der Bewegtheit zum Guten<br />

und nur zum Guten, wie sie der lebendige Geist wirkt; wäre er


in <strong>Gottes</strong> Leben, in s<strong>einer</strong> Liebe geblieben, ohne eine Trübung<br />

dieser lebendigen Beziehung der <strong>Gottes</strong>kraft, so wäre er nicht<br />

sterblich. <strong>Die</strong> Menschen wären unsterblich.<br />

00<br />

1935<br />

Das kinD ist nicht imstande, den Glauben zu bekennen und<br />

mit Bewusstsein und Willensentscheidung und Einsicht den<br />

Weg Christi zu erwählen.<br />

So kann von einem Taufbund bei diesen kleinen Wesen gar<br />

keine Rede sein, denn sie können ja noch nicht einmal in das<br />

Wesen der Schöpfung mit Bewusstsein hineinschauen. Wieviel<br />

weniger können sie erfassen, dass diese Schöpfung zerbrochen ist.<br />

Wieviel weniger könnten sie es erfassen, dass Christus wirklich<br />

gekommen ist und dass in ihm die volle Befreiung und<br />

Wiederherstellung gegeben ist.<br />

Wieviel weniger könnten sie den Heiligen Geist erfassen,<br />

der über die Gemeinde kommt und die gänzliche Einstimmigkeit<br />

der Gemeinde bewirkt.<br />

<strong>Die</strong> Kinder bedürfen auch k<strong>einer</strong> Taufe; denn, wie wir gehört<br />

haben, beruht der Bund der Taufe auf der Buße, auf der<br />

Abkehr von dem verdorbenen Leben der heutigen Menschen,<br />

auf dem Bruch mit allen bestehenden Verhältnissen – mit der<br />

Sünde und Ungerechtigkeit dieser Welt. Von dem allen wissen<br />

die Kinder aber rein gar nichts. Sie können ja diesen Bruch<br />

nicht vollziehen – können nicht zur Buße gelangen – weil sie<br />

das alles noch nicht kennen.<br />

So kommt das dritte und tiefste Geheimnis, was wir dem<br />

kleinen Kind gegenüber empfinden: Christus Jesus ist gestorben<br />

für unsere Sünden – für die Sünden der ganzen Welt


– und hat ein Sühnopfer, eine Versöhnung, eine Vereinigung<br />

vollendet, die die ganze Welt umfasst (Joh.1,29). Deshalb<br />

brauchen wir täglich die Auswirkung der Vergebung unserer<br />

Sünden, die Jesus Christus durch seinen Tod erwirkt hat als<br />

gänzliche Vereinigung mit Gott.<br />

Nun hat ein kleines Kind überhaupt noch nichts Gewolltes<br />

vollbracht. Es lebt gänzlich aus dem unbewussten Lebensinstinkt.<br />

So ist das Wort, dass Jesus Christus die Vereinigung für<br />

alle Welt vollbracht hat, absolut gültig für alle kleinen Kinder.<br />

Das ist eine hoch bedeutsame Erkenntnis der Wahrheit, die<br />

in den großen Kirchen verleugnet wird; denn die großen Kirchen<br />

behaupten, dass die kleinen Kinder durch den Fluch der<br />

Erbsünde verdammt sind. Das glauben wir nicht, denn Jesus<br />

Christus hat die kleinen Kinder auf den Arm genommen und<br />

hat sie geherzt und geküsst und hat gesagt: „Solchen kleinen<br />

Kindern gehört das Reich <strong>Gottes</strong>. Wenn ihr nicht so werdet,<br />

wie diese kleinen Kinder, so könnt ihr nicht in das Himmelreich<br />

kommen!“ (Matth.18,3; Mark.10,14)…<br />

es ist also klar: die kleinen Kinder gehören aus sich selbst<br />

heraus – aus der Tatsache ihres Daseins, ihres Soseins heraus<br />

– zum Reich <strong>Gottes</strong>. Und wenn sie in ihrem jungen Alter sterben<br />

sollten, sind sie unmittelbar Glieder des Reiches <strong>Gottes</strong> geworden,<br />

denn die Versöhnung ist ihr Teil. Sie sind hineingenommen in<br />

das Reich.<br />

0<br />

1934


9. DAS AbENDm A h L<br />

„TuT DIES Z u mEINEm GEDä CHTNIS!“<br />

Das aBenDMahl ist Der Ausdruck für das zentrale Erlebnis in<br />

Jesus, der Ausdruck dafür, dass wir Jesus nicht vergessen wollen.<br />

Wie leicht vergessen wir ihn! Wir bedürfen der stärksten Erinnerung<br />

an ihn. Deshalb brauchen wir das heilige Abendmahl,<br />

denn es ist ein Gedächtnismahl (1.Kor.11,23 25).<br />

Worauf führt das Abendmahl? Es bedeutet, dass Jesus nicht<br />

vergessen wird, sondern sein Tod verkündigt wird. Denn hier<br />

soll der Leib der Gemeinde – die Einheit der Gemeinde – unterschieden<br />

werden von jedem anderen Leib, von jedem anderen<br />

Organismus, von jedem äußeren Verein. Hier soll die<br />

Lebendigkeit, die Göttlichkeit, die Jesus Art dieses Gemeindeorganismus<br />

erkannt und anerkannt werden.<br />

0<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> lehre Der zWölf Apostel wurde zu Anfang des zweiten<br />

Jahrhunderts niedergeschrieben. Sie wollte uralte Erinnerungen<br />

aus der Apostelzeit festhalten. Es wird dort in <strong>einer</strong><br />

Danksagung beim Abendmahl gesagt und erinnert: <strong>Die</strong> Saatkörner<br />

werden ausgestreut über viele Äcker. Dann kommt die<br />

Zeit der Ernte. Und es ist nicht immer so, dass das Getreide von<br />

einem Acker für ein Brot zusammengebracht wird, sondern


es ist oft so, dass das Getreide von vielen Äckern aus verschie-<br />

denen Ländern in ein Brot zusammengebacken wird. So sind<br />

wir viele aus vielen Völkern und Nationen, aus vielen Standesschichten<br />

und Volksklassen, aus den verschiedensten Weltanschauungen<br />

und Gebräuchen zusammengekommen (Offb.5,9<br />

10). Wir kommen von verschiedenen Äckern, aber wir sind<br />

zusammengebacken in ein Brot…<br />

Wenn nun das Brot gebacken werden soll, wenn nun die<br />

Körner von den verschiedenen Äckern der verschiedenen<br />

Länder zusammengebracht sind, müssen die Körner zermahlen<br />

werden. Das gibt kein Brot, wenn die Körner nicht gemahlen<br />

werden, sondern jedes Korn muss gemahlen werden. Wenn<br />

eins nicht zermahlen wird, bleibt es als ein Ganzes im Brot.<br />

Wenn ein solches auf den Tisch kommt, nimmt man ein Messer<br />

und sticht es heraus. Es passt nicht ins Brot. Es hat sein eigenes<br />

Wesen, sein Einzeldasein, seine Eigenbehauptung beibehalten.<br />

Dann kommt das gemahlene Getreide, das Mehl, in die<br />

Hitze. Es wird in die Glut gebracht, und nur so wird Brot<br />

daraus. Und dann kommt es auf den Tisch. Und wenn es ein<br />

rechter Tisch der Gemeinschaft ist, ist es ein Brot für alle.<br />

Dann können wir nicht beten: „Mein Brot gib mir heute“,<br />

sondern wir bitten alle für die Gemeinschaft: „Unser nötiges<br />

Brot gib uns alle Tage!“ Uns allen! Uns alle Tage! (Matth.<br />

6,11)<br />

Dann wird das Brot gebrochen und geteilt. Und so kommt<br />

die Gemeinschaft zum zweitenmal – jetzt in dem Verteilen<br />

des Brotes – abermals zur Geltung. Auch daran erkannte man<br />

Jesus, den Auferstandenen, wie er das Brot brach und am gemeinschaftlichen<br />

Tisch verteilte(Luk. 24, 30-31).<br />

0


Vom Wein wird dann dasselbe gesagt: wie auch die Wein-<br />

beere in der Kelter zerdrückt werden muss und wie es den<br />

Wein verderben würde, wenn eine Weinbeere ihre eigene Existenz<br />

für sich selbst behalten wollte. Es muss alles ein Wein<br />

werden. Deshalb muß jede Beere sich in letzter Opferung ganz<br />

in die Einheit des Weines hingeben; denn es ist – ebenso wie e<br />

i n Brot – ein Kelch, den die ganze Gemeinschaft teilt…<br />

Das Abendmahl ist die Erinnerung an das vollkommene<br />

Opfer dieses einen zermahlenen, entscheidenden Korns, dieser<br />

einen entscheidenden Weinbeere. Es ist die Verkündigung<br />

seines Todes bis er kommt, also in der Erwartung der letzten<br />

Zukunft, in welcher er abermals das Brot mit uns essen und<br />

den Wein mit uns teilen wird, wenn er kommen wird in seinem<br />

Reich (Matth.26,29).<br />

ZuR SymBOLIk DES A BENDm AHLS<br />

0<br />

1934<br />

feuergeMeinschaft unD essgeMeinschaft ist das Zeichen der<br />

Menschen, und daraus wird dann die Arbeitsgemeinschaft<br />

und die Hausgemeinschaft, die sich um das Feuer her bildet.<br />

In dem Abendmahl Jesu nun sind diese einfachen, selbstverständlichen<br />

Dinge auf die letzte Wahrheit hin vertieft. Zunächst<br />

wird das Einfachste und Kräftigste und das Schönste,<br />

Edelste und Feurigste der menschlichen Nahrung vereinigt:<br />

Brot und Wein; nicht, wie es Asketen tun würden: Brot und<br />

Wasser. Jesus ist kein Asket, auch nicht dem Alkohol gegenüber.<br />

Er will, dass wir die letzte Einfachheit auch in der Nahrung


verbinden mit der letzten Freude an allem dem, was Gott den<br />

Menschen gegeben hat. Das Brot wird herumgegeben nach<br />

dem altertümlichen Gebrauch einfacher Menschen, und jeder<br />

bricht sich vom Brot ab und gibt es weiter. Und der Krug<br />

wird herumgegeben, und jeder trinkt daraus und gibt den<br />

Krug weiter. <strong>Die</strong> Gemeinschaftlichkeit der Handlung kann<br />

nicht stärker zum Ausdruck kommen, als durch diesen altertümlichen<br />

Gebrauch des Brotlaibes und des herumgegebenen<br />

einen Kruges.<br />

Wir wollen jetzt einmal nur von dem Symbol und dem<br />

Bild sprechen: die Einheit des Leibes; und nun die Einheit des<br />

Weines; und schließlich auch die rote Farbe des Weines, die<br />

an das Blut des menschlichen Leibes und des menschlichen<br />

Lebens erinnert. Das alles zusammen ist die Symbolkraft des<br />

Gemeinschaftsmahles: Der Leib wird gebrochen. Der Wein<br />

fließt in Strömen. <strong>Die</strong> Einheit wird offenbar. <strong>Die</strong> Vereinigung<br />

ist eine vollkommene: <strong>Die</strong>s ist mein Leib und dies ist mein<br />

Blut (1.Kor.11, 24 - 26).<br />

Das ist allerdings eine Verkündigung von <strong>einer</strong> Einfachheit<br />

und von <strong>einer</strong> Gründlichkeit, die sie für stolze, hohe Geister<br />

untragbar macht; denn hier wird offenbar, was Gott will. Gott<br />

will die Einheit, das Zerbrochenwerden für die Einheit. Wie<br />

Jesus seinen Leib zerbrochen und sein Blut vergossen hat, so will<br />

er, dass du nicht mehr ein eigenes Weizenkorn und nicht mehr<br />

eine eigene Weinbeere bist, sondern dass du dich hingibst an<br />

die Einheit des Leibes, an die Einheit des strömenden Weines,<br />

durch den Tod Christi hindurch; dass die Einheit geschaffen<br />

wird und dass der neue Geist fließt, der den Leib beseelt und in<br />

0


Bewusstseinseinheit zusammenfasst. Hier ist das Geheimnis<br />

Christi, der Gemeinde, der völligen Vereinigung. Das ist das<br />

Abendmahl.<br />

0<br />

1933<br />

Bei DeM einsetzen Des Abendmahls verwies Jesus auf sein hin-<br />

gegebenes Leben, das heißt auf sein hingegebenes Blut und<br />

seinen hingegebenen Leib. Das Essen von Brot, das Trinken<br />

von Wein und das Essen des Opferlammes hing also mit der<br />

Verkündigung der Vergebung, der Einheit und der Zukunft<br />

zusammen. Es gehörte ganz zusammen.<br />

Jesus nahm das Opfer dieses Tieres an, um an s<strong>einer</strong> Tischgemeinschaft<br />

zu verkünden, was das Opfer für das Reich <strong>Gottes</strong><br />

ist. So verkündete er sein Todesopfer (1.Kor.5,7; Apg.8,32<br />

33). Und so wird – wie im Urchristentum – alles was wir essen<br />

zu <strong>einer</strong> Dankssagung für ein Opfer. So wird jedes Essen zum<br />

gemeinsamen Liebesmahl, zum Dankopfer, zum Abendmahl!<br />

So sollte es sein, dass wir jedesmal Gott großen Dank sagen,<br />

wenn wir uns zu <strong>einer</strong> Mahlzeit versammeln dürfen. Und wir<br />

sagen nicht dafür Dank, dass unserem eigenen Interesse durch<br />

die Sättigung der Mahlzeit Genüge getan wird. Sondern wir<br />

danksagen für das Opfer der Pflanzen und Tiere, die Gott uns<br />

schenkt, damit wir für die Einheit leben können, die Gott<br />

will, damit wir für das Lebenszeugnis des Reiches <strong>Gottes</strong> in<br />

der Gemeinde auch weiterhin am Leben bleiben dürfen.<br />

1934


10. GOTTESDIENST UND A N b ETUNG<br />

<strong>Die</strong> schWeigenDe anDacht ist eine tiefe Notwendigkeit für<br />

jede Gemeinde, besonders in solchen Zeiten, in denen es über<br />

uns hingeht, in denen der Wind <strong>Gottes</strong> über uns hinweg weht.<br />

Denn es gilt, dass wir es erkennen lernen, was Gott uns sagen<br />

will. Wir müssen seine Stimme vernehmen in den Geschehnissen<br />

um uns her und in unserer Mitte. Wir müssen seine Stimme<br />

vernehmen in unseren Herzen. Und mitten in der Dunkelheit<br />

solcher Zeiten wie der jetzigen Nacht, die sich über die Erde<br />

gesenkt hat, müssen wir sein Licht wahrnehmen.<br />

0<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> schWeigenDe anDacht, <strong>Die</strong> schweigende Sammlung gehört<br />

zu den wesentlichsten Dingen unseres gemeinsamen Lebens.<br />

Das gemeinsame Schweigen bedeutet für uns nicht, dass wir<br />

eine Zeit zusammen sein müssen, in der nichts gesungen oder<br />

gesprochen werden darf. Im Gegenteil glauben wir daran, dass<br />

auch in der gemeinsamen Stille das Wort des Glaubens und<br />

der Liebe und die Tat des Glaubens und der Liebe geboren<br />

wird. Wenn wir schweigen, so wollen wir vor Gott schweigen.<br />

Was zur Stille gebracht werden soll, ist das eigene Wort und die<br />

eigene Tat. Alles, was aus unserem eigenen Willen enstanden<br />

ist oder entstehen könnte, soll in der schweigenden Andacht<br />

niedergelegt sein.<br />

1935


unser geMeinsaMes schWeigen ist zu innerst verwandt mit der<br />

schweigenden Andacht der Quäker. Es liegt uns dabei daran,<br />

dass Gott selbst zu uns spricht, dass die Stimme Christi unter<br />

uns spricht, dass der Heilige Geist unmittelbar unsere Herzen<br />

bewegt. Und dafür ist uns die schweigende Stille so ungemein<br />

wichtig, weil das Reden der Menschen sehr oft den Geist verscheucht.<br />

In dem gemeinsamen Schweigen aber spricht Gott<br />

innerlich unmittelbar zu uns. Und das möchten wir als die<br />

tiefste Erfahrung unseres gemeinsamen Lebens bezeugen: Wir<br />

werden vollständig einstimmig, wenn wir auf die Stimme<br />

<strong>Gottes</strong> in uns lauschen; und wir werden von derselben Wahrheit<br />

und Liebe ergriffen, wenn wir bis ins Innerste hören, was<br />

der Geist der Gemeinde sagt. Dann wird es auch das rechte<br />

Wort sein. Dann wird aus der Tiefe der Geistesoffenbarung<br />

laut, was Gott in der Stille zu uns sagt.<br />

0<br />

1935<br />

Wir sollen Bereit sein, Gott zu vertrauen. Dann kann es sein,<br />

dass aus der schweigenden Sammlung auch von uns aus Worte<br />

kommen, Worte, die aus dem tiefsten Herzen, aus der letzten<br />

Wahrheit und Wahrhaftigkeit kommen. Wenn Menschen<br />

zusammen schweigen können, kann daraus ein Wort letzter<br />

Wahrheit kommen. Wenn Menschen vor Gott schweigen<br />

können und von ihm angeredet werden, kann es sein, dass sie<br />

ein Wort aussprechen, das ihnen gesagt wurde, das ihnen eingegeben<br />

worden ist, das sie nicht aus sich selbst haben.<br />

1935


es ist MerkWürDig, Dass gerade dasjenige Gebet, von dem<br />

Jesus redet und das er seinen Schülern ans Herz legt, wiede-<br />

rum von dem buchstabischen Geist in sein Gegenteil verkehrt<br />

wurde. Jesus hat gerade diese knappe Zusammenfassung des<br />

<strong>Gottes</strong>willens gegeben um zu zeigen: Macht nur ja nicht so<br />

viele Worte und denkt nicht, dass ein künstlicher Aufwand zu<br />

eurem Gebet gehört.<br />

0<br />

1935<br />

Der MissBrauch BeDeutenDer gesänge oder auch nur das<br />

mangelnde Verständnis und Mitfühlen bei ihrem gemeinschaftlichen<br />

Singen hat eine verheerende Wirkung. Das gilt<br />

von allen wesentlichen Liedern, bei denen wir – in rechter<br />

Geistesgemeinschaft – das innerste Heiligtum erzittern fühlen,<br />

von Liedern, die nur in einem ganz bestimmten Geisteszusammenhang,<br />

nur in einem von Gott gegebenen Erlebnis gesungen<br />

werden dürfen. Wenn man dann Lieder, die einst vom Geist<br />

eingegeben wurden, singen lassen will, um dadurch eine nicht<br />

vorhandene Stimmung zu erzielen – wenn wir etwa das Lied<br />

„Gott ist gegenwärtig“ singen lassen, während kein Mensch<br />

spürt, dass Gott wirklich gegenwärtig ist; wenn wir etwa zu<br />

singen wagen „Großer Gott, wir loben Dich!“, während von<br />

wirklicher Ehrung des großen <strong>Gottes</strong> bei der gegebenen Gemütsverfassung<br />

gar keine Rede sein kann – so grenzt dieser<br />

Missbrauch an die Sünde gegen den Heiligen Geist.<br />

1935<br />

Jesus sagt: „es koMMt die Zeit und ist schon jetzt, dass die<br />

Menschen den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten“<br />

(Joh.4,23). Er setzt in Gegensatz zum Geist die Kirchenhäuser,


die Glockengebäude und die Kuppelsynagogen aller Art, als<br />

ob er sagen wollte: Bis jetzt haben die Menschen hier und da<br />

angebetet, in diesem Tempel oder auf jenem Berge oder unter<br />

jenen „heiligen“ Bäumen. Von nun an aber werden die Menschen<br />

im Geist und in der Wahrheit anbeten. Ein merkwürdiger<br />

Gegensatz!<br />

Warum sollen die Menschen nicht an den festlich geweihten<br />

Plätzen und in den geweihten Räumen Gott im Geist und<br />

in der Wahrheit anbeten? Eben deshalb nicht, weil diese geweihten<br />

Plätze und Räume sich seit Jahrtausenden mit einem<br />

Missbrauch des Namens <strong>Gottes</strong> verbunden haben, weil sie einen<br />

geheimen Götzendienst in sich tragen, der sich entweder<br />

buchstabisch an ein Buch klammert oder sich bildhaft an ein<br />

Götzenbild oder irgendeinen anderen götzenhaften Vorgang<br />

klammert. Der Kultus der geweihten Räume und Stätten ist<br />

gefährlich für die Anbetung im Geist und in der Wahrheit. Je<br />

mehr Weihrauch, je mehr Bildwerk, je mehr überlieferte Tradition<br />

und festgelegte Vokabeln, je mehr Buchstabendienst<br />

und Anhängung an die gegenständliche Darstellung, desto<br />

weniger Geist und Wahrheit.<br />

0<br />

1935<br />

Wir Bekennen uns ganz zum Gebet, zur Anrufung und Anbe-<br />

tung. Aber im größeren Kreis sind wir vorsichtig, aus Ehrfurcht<br />

vor dem Gebet. Deshalb halten wir Anbetung und Anrufung<br />

im geschlossenen, einigen Kreis.<br />

1935


Wenn <strong>einer</strong> einen streit mit einem s<strong>einer</strong> Mitbrüder oder<br />

Mitschwestern hat und es besteht noch eine Spannung zwischen<br />

ihnen, dann gilt das Wort: „Bevor du deine Gabe auf dem<br />

Altar opferst, gehe zuvor hin und vereinige dich mit deinem<br />

Widersacher, und alsdann komme und opfere deine Gabe“<br />

(Matth.5,23 24). Denn die völlige Vereinigung bedeutet ja das<br />

Wesen des Geistes der Gemeinde, und das Gebet der Gemeinde<br />

setzt voraus, dass die versammelte Gemeinde unter sich und<br />

mit dem Geist der Gemeinde völlig einig ist. Besteht nun eine<br />

Spannung zwischen zweien oder mehreren Gliedern, so ist es<br />

die Pflicht eines jeden, das sofort in Ordnung zu bringen; und<br />

er kann es spätestens in der Zeit tun, in welcher sich die Gemeinschaft<br />

zusammenfindet.<br />

1932<br />

es koMMt Darauf an, was der Gegenstand ist, für den wir uns<br />

vereinigen. Deshalb sagt Jesus: „Wenn zwei oder drei unter<br />

euch eins werden über den Gegenstand, den sie von Gott erbitten<br />

wollen, so wird ihnen dieser Gegenstand gegeben werden“<br />

(Matth.18,19 20). Wenn zwei unter euch einig werden über<br />

etwas, das sie von Gott erbitten wollen, so wird es geschehen.<br />

Es kommt nicht so sehr auf die Worte an, die diesen Gegenstand<br />

umkleiden, sondern es kommt auf die Einheit des Willens<br />

in diesem Gegenstand an. Wenn eine Gemeinde über den<br />

Gegenstand einig wird, so ist es nicht notwendig, dass dieser<br />

Gegenstand genau umschrieben und mit zahlreichen Sätzen<br />

dargestellt wird; denn Gott bedarf nicht unserer Erklärungen.<br />

Es kommt darauf an, dass alle Versammelten, bevor sie sich


zum Gebet vereinigen, sich vollständig einig sind über das,<br />

was sie von Gott erbitten wollen.<br />

1935<br />

Wir Wollen Den heiligen Geist um seine Geistesgaben bitten,<br />

und zwar so, wie er in der Gemeinde entscheidet. Nicht etwa,<br />

dass der eine oder andere gern diese oder jene Gabe haben<br />

möchte und für sich persönlich darum bittet, sondern dass er<br />

dem Geist zugewiesen wird, und dass dieser das Füllhorn ausschüttet<br />

über seine Gemeinde und einem jeden das gibt, was<br />

er ihm zugedacht hat von Urbeginn der Welt an (1.Kor.12,<br />

27ff.).<br />

Wir wollen alle Eigenwilligkeit niederlegen und bereit sein,<br />

die uns gewiesene Gabe zu empfangen und zu verwalten. Wir<br />

wollen dankbar sein, wenn wir in der Schlichtheit der Jesusnachfolge<br />

leben dürfen, ohne durch große Gaben in große<br />

Versuchungen geführt zu werden. Und schließlich wollen wir<br />

für uns alle ohne Unterschied um diejenige Gabe bitten, die<br />

allen Gliedern am Leibe Christi zugedacht ist, um die höchste<br />

der Gaben: die Gabe der Liebe. Und damit erbitten wir die<br />

Gabe des Heiligen Geistes (1.Kor.13,13).<br />

1934


J ETZT IST DIE S T u NDE<br />

11. SENDUNG<br />

in Der ungeheuren not der heutigen geschichtlichen Stunde<br />

ist die Berufung nähergerückt, den Menschen wegweisend die<br />

Nachricht zu bringen.<br />

Wir spüren, dass die Zeit naht, in welcher die Gemeinde<br />

in der völligen Gemeinschaft ein Licht auf dem Leuchter und<br />

eine Stadt auf dem Berge werden muss (Matth.5,14 15). <strong>Die</strong><br />

Wirklichkeit des unter uns gewirkten Lebens aus Gott muss<br />

auf viele Menschen einwirken und letztlich alle Menschen erreichen.<br />

Wir spüren es seit langem, dass wir die Nachricht<br />

vom Reiche <strong>Gottes</strong> – die Nachricht von der Wirklichkeit der<br />

Gerechtigkeit, der Brüderlichkeit und der Liebe – hinaustragen<br />

müssen zu allen Menschen. Nun sind wir überaus<br />

schwach und unser Kreis ist diesem Auftrag gegenüber klein,<br />

sehr klein…<br />

Wir können uns dem Ruf Jesu nicht entziehen, und auch<br />

dem Drang unserer Herzen können wir uns nicht entziehen.<br />

<strong>Die</strong>ser Ruf geht zu allen Menschen, und besonders zu allen<br />

Menschen in Not. Und wenn die Not einen Gipfel erreicht<br />

- wie augenblicklich - so ist der Ruf, der von Christus ausgeht,<br />

um so dringender, dringender als jemals: “Geht hin in alle


Welt!” (Mark.16,15) Geht hinaus, geht ans Werk, ruft, sam-<br />

melt! Jetzt ist die Stunde!<br />

S ENDu NG Z u ALLEN mENSCHEN<br />

1932<br />

Wenn nun Der geMeinDe Christi eine so große Botschaft anver-<br />

traut ist, so ergeht ihr Auftrag an alle Menschen, niemanden<br />

ausgenommen. Alle Menschen sollen davon erreicht werden.<br />

Damit ist nicht etwa gemeint, dass in diesem geschichtlichen<br />

Augenblick schon alle Menschen in der Gemeinde Christi leben<br />

sollten. Es ist vielmehr so gemeint, dass alle Menschen<br />

unter den zeugenden Eindruck der Wahrheit kommen müssen,<br />

was das letzte Ziel der Menschheitsgeschichte ist: nämlich<br />

diese Einheit Christi, die in der Gesandtschaft der Gemeinde<br />

Christi offenbar wird (Joh.17,20 23). <strong>Die</strong>se Tatsache trifft alle<br />

Menschen im Innersten ihres Herzens, wenn sie auch nicht alle<br />

heute und jetzt schon für die Gemeinde Christi bereit sind.<br />

1934<br />

ein JeDer in Der Gemeinde muss so leben und so sein, wie er<br />

den Blick auf das kommende Reich richtet.<br />

<strong>Die</strong> Verkaufs und Studienaussendung hat demnach nicht<br />

die angespannte Absicht, von ihr fixierte Menschen zur persönlichen<br />

Wende zu bringen. Das ihr Gebotene ist allein die<br />

hinausschauende Hinsicht, der große Ausblick auf das kommende<br />

Reich, ohne dass jemand daraufhin bedrängt werden<br />

dürfte. Wir sind Botschafter des letzten Reiches. Wir stehen da<br />

und gehen hinaus als Sachträger, als Gesandte des Reiches


<strong>Gottes</strong>: <strong>Die</strong> Wende aller Dinge ist nahe. Alles andere muss<br />

stürzen, allein <strong>Gottes</strong> Liebe wird triumphieren! Mit diesem<br />

Auftrag müssen wir der Außenwelt so zugewandt bleiben,<br />

dass wir ihr ein weltgeschichtliches Wort zu sagen haben; ein<br />

Wort <strong>Gottes</strong>, welches auf die jetzige geschichtliche Lage gemünzt<br />

und abgewogen ist; ein Wort, das allen Ländern eine<br />

allen geltende Botschaft des überpolitischen <strong>Gottes</strong>reiches<br />

verkündet.<br />

1934<br />

nun glauBen Wir, Dass in jedem Menschen die Sehnsucht nach<br />

der wahren Gerechtigkeit, nach der wahren Liebe und Einheit<br />

vorhanden ist. Deshalb halten wir auch die offene Tür der Gemeinschaft<br />

für jeden Menschen offen. Es ist uns aber gleichzeitig<br />

klar, dass die einzelnen Menschen nicht in jedem Abschnitt<br />

ihres Lebens, nicht in jedem Augenblick ihrer Entwicklung dazu<br />

reif sind. Man kann das nicht von jedermann in jedem Augenblick<br />

erwarten. Ich kann nicht einfach auf die Leipzigerstraße in<br />

Berlin oder sonst wohin gehen und den Leuten zurufen: Jetzt<br />

kommt ihr alle auf den Bruderhof! Es ist nicht Feigheit, was<br />

uns davon abhält, sondern es wäre Torheit, das zu tun; denn die<br />

meisten Menschen werden gar nicht in der Lage sein, diesen Ruf<br />

zu fassen. Sie werden in ihrer inneren Entwicklung gar nicht reif<br />

sein, diesem Ruf folgen zu können. Sie müssen erst von Gott<br />

gerufen sein. Ich habe gar kein Recht, jemanden zu rufen, wenn<br />

ihn nicht der Geist selbst gerufen hat.<br />

1933


vielleicht könnte uns eine Sendung gegeben werden, die sich<br />

gerade an diejenigen wendet, die keine Heimat haben, oder<br />

die in furchtbarer Not leben und dem Verhungern nahe sind,<br />

so dass in besonderer Weise den Armen das Evangelium gepredigt<br />

wird. Ich glaube, dass wir zu jedem Samariterdienst<br />

verpflichtet sind, vor den die Stunde uns stellt. Ich glaube aber<br />

auch, dass es <strong>einer</strong> besonderen Weisung bedarf, diejenigen aufzusuchen,<br />

von denen wir wissen, dass sie in Not leben und von<br />

denen wir mehr oder weniger wissen, dass sie zunächst nicht<br />

die Gerufenen sind, und dass es ein Auftrag der Erbarmung<br />

sein muss (Jes.61,1).<br />

1935<br />

Wenn Wir nicht Mehr für alle Menschen da sein können, wenn<br />

wir uns nicht mehr mit der Not der ganzen Welt beschäftigen<br />

können, dann verliert unser Leben seine Existenzberechtigung.<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> Mächte Der Blutigen Gewalt, der unreinen Untreue, der<br />

Lüge und der Geldgier sind gewachsen und haben an Macht<br />

gewonnen wie noch niemals zu <strong>einer</strong> anderen Zeit. Und jetzt<br />

gilt das Wort Jesu: „Es wird aber nicht eher der letzte Tag kommen,<br />

als bis das Evangelium aller Kreatur verkündigt ist in<br />

aller Welt“ (Matth.24,14). Es ist das Evangelium der <strong>neuen</strong><br />

Schöpfung, des herannahenden <strong>neuen</strong> Schöpfungstages.<br />

Jetzt ist die höchste Zeit, dass dieses Evangelium zu allen<br />

Menschen und allen Völkern kommt! <strong>Die</strong> Gemeinde ist dazu<br />

beauftragt, dass dieses geschieht. <strong>Die</strong> Apostel sind von der<br />

Gemeinde ausgesandt worden. Wie können sie hinausgehen,


wenn sie nicht gesandt sind? Wie könnten sie gesandt wer-<br />

den, wenn nicht eine Instanz da wäre, die sie gesandt hat?<br />

Wie könnten sie den Frieden verkünden, wenn sie nicht von<br />

<strong>einer</strong> Stätte des Friedens ausgegangen sind und von ihr aus<br />

den Frieden bringen? (Röm.10,15)<br />

„WENN DAS S ALZ SEINE kRAFT VERLIERT…“<br />

1935<br />

Man hört so allgeMein, dass der Einwand gegen den Bruderhof<br />

immer wieder der ist: Wir seien doch das Salz der Erde, und<br />

das Salz streue man doch nicht in großen Klumpen sondern in<br />

feinster Zerreibung. So müsste auch eben das Salz der vereinzelten<br />

Christen überall hingestreut werden.<br />

Das klingt sehr überzeugend. Es ist nur zweierlei einzuwenden:<br />

Erstens irrt man sich darin, dass die geschlossene<br />

Gemeinschaft keine Salzwirkung nach außen hätte; vielmehr<br />

sendet sie ja auch beständig die einzelnen zu den Menschen.<br />

Zweitens könnte man fragen, ob nicht manche ihre Salzkraft<br />

verlieren durch die kompromisshafte Situation, in der<br />

sie sich als einzelne befinden, durch die Gefahr der sich vermischenden<br />

Wesenheiten und Geistigkeiten, in die sie eingebettet<br />

sind. <strong>Die</strong> Klarheit und Bestimmtheit der anvertrauten<br />

Salzkraft geht dabei oft verloren (Matth.5,13). <strong>Die</strong> Dinge<br />

verwischen sich. Dadurch, dass man sich daran gewöhnt, mit<br />

den verschiedenen Strömungen irgendwann gegenseitige Vereinbarungen<br />

zu schließen, wird die Klarheit des Zeugnisses<br />

mehr und mehr aufgelöst.<br />

1934


so Begreifen Wir auch, warum das gemeinsame Leben so un-<br />

geheuer bedeutend ist. Wir begreifen, warum es falsch ist,<br />

wenn viele sagen: „Ihr würdet viel mehr bewirken, wenn jeder<br />

von euch allein in <strong>einer</strong> anderen Stadt wäre. Dann würdet ihr<br />

viel mehr Ansatzpunkte haben.“ Das Geheimnis des gemeinsamen<br />

Lebens besteht nicht in der Addition von Menschen,<br />

die zusammentreten. Und diese Menschen sind auch nicht in<br />

sich selbst tüchtig, das zu wirken, was das gemeinsame Leben<br />

bewirkt. Das Geheimnis des gemeinsamen Lebens ist die Vereinigung<br />

mit der Geisteswolke, die auf die Menschen kommt,<br />

die da warten können – warten auf Gott, der das ein und alles<br />

ihres Lebens ist.<br />

D ER W EG DER S ENDu NG<br />

1935<br />

so ist <strong>Die</strong> senDung der Apostel zu den Menschen: Nichts<br />

drängen sie auf; nichts erreichen sie durch Überredung oder<br />

Vergewaltigung der Sinne, nichts durch ein Bezwingen der<br />

Gemüter, nichts durch ein Eindringen der Willenskräfte des<br />

einen auf den anderen. Sie kommen arglos und harmlos wie<br />

die Tauben. So ist ihre Sendung. So sind sie zu den Menschen<br />

gesandt (Matth.10,16). So kommen sie in der schlichtesten<br />

Gestalt des einfachsten Opfertieres und des bescheidensten<br />

Opfervogels. So kommen sie in ihrer Sendung wie ein Lamm<br />

und wie eine Taube.<br />

Dennoch sollen sie klug sein wie die klügsten Tiere, soweit<br />

diese Klugheit, Behendigkeit und Geistesgegenwart<br />

nicht im Gegensatz zu jener arglosen und harmlosen Güte<br />

steht. Deshalb sollen sie wissen, wohin sie kommen. Jesus sagt:


„Richtet nicht!“ (Matth.7,1) Spielt euch niemals als Richter<br />

auf, die ein Endurteil abgeben über die Menschen. Und doch<br />

sagt er: Beurteilt alles aus dem Geist und werdet euch über alles<br />

klar! „Prüft die Geister, ob sie von Gott sind!“ (1.Joh.4,1). An<br />

den Früchten sollt ihr alles erkennen! Ihr sollt klar werden über<br />

alles, vor allem über die falschen Propheten, die, in Schafsgewänder<br />

gehüllt, inwendig reißende Wölfe sind, und die sehr bald ihre<br />

Raubtiernatur an euch offenbaren wollen. Seid auf der Hut vor<br />

allem, was Menschenantlitz trägt! Denn auch aus der Reihe derer,<br />

zu denen ihr in Harmlosigkeit Vertrauen haben werdet – aus<br />

der Reihe eurer besten Freunde – wird der Verrat kommen. Aus<br />

dem Kreise derer, von denen ihr es am wenigsten für möglich<br />

gehalten habt, wird die Anzeige kommen, die Verhaftung und<br />

die Auslieferung an die Gewalten der Obrigkeit.<br />

1935<br />

Wir haBen nicht Mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern<br />

mit der Atmosphäre (Eph.6,12). Das ist das Entscheidende,<br />

dass eine Luft von dir ausgeht, die stärker ist, die r<strong>einer</strong> ist<br />

und deshalb siegreicher als die unreine Atmosphäre, die unter<br />

den Menschen zu herrschen pflegt. Es darf niemand unter die<br />

Menschen gehen ohne die Gemeinde und ohne dass er ausgerüstet<br />

ist mit dem Geist der Gemeinde (Mark.13,11; Apg.13,2 4).<br />

1934<br />

Wie Jesus Mit seinen Zwölfen den inneren Kreis der innersten<br />

Gemeinschaft bildete, um zugleich mit diesem Kreis zu den<br />

Menschen zu gehen, so ist es auch bei uns mit dem Gemeinschaftsleben<br />

und s<strong>einer</strong> Aussendung. Einer unserer jüngsten


Mitglieder fühlte den Auftrag, zu den Menschen in den Städ-<br />

ten und Dörfern zu gehen. Und wir haben bereits Briefe von<br />

ihm bekommen, dass er auf dieser Fahrt zu den Menschen<br />

wunderbare Begegnungen erlebt hat. So sind in den meisten<br />

Wochen des Jahres drei oder vier Brüder unterwegs. Auch diese<br />

kleine Sendung zu den Menschen geschieht durch die unmittelbare<br />

Inspiration des Betreffenden in der Übereinstimmung<br />

mit der ganzen Gemeinde.<br />

0<br />

1935<br />

Wir sinD alle eins in dem innersten Anliegen, dass du von<br />

Christus selbst ausgesandt bist, von Schritt zu Schritt, von<br />

Aufgabe zu Aufgabe (Matth.9,38). Wir bitten darum, dass du<br />

festgehalten wirst, dass weder dein Herz noch deine Zunge<br />

aus einem Überschwang der Gefühle und des Wortschatzes<br />

mit dir durchgehen; dass du vielmehr inspiriert wirst, das entscheidende<br />

Wort zur entscheidenden Stunde zu sprechen, in<br />

welcher der Mensch, dem du begegnest, gerade herangereift<br />

ist und voller Erwartung ist, gerade dieses Wort endlich zu hören<br />

und zu empfangen. Dass du so geleitet und geführt wirst,<br />

das ist unser innerstes Anliegen, in dem wir Tag für Tag und<br />

Abend für Abend hinter dir stehen und so im Geist bei dir sein<br />

wollen…<br />

Es gibt Gefahren auf dem Weg <strong>einer</strong> solchen Aussendung,<br />

zum Beispiel die Gefahr des hochfliegenden jugendlichen<br />

Idealismus. Das ist das eine, was ich dir wünsche: dass du nur<br />

das vertrittst, was in deinem Leben und in unserem Leben<br />

Wirklichkeit ist (1.Joh.1,3).<br />

1934


<strong>Die</strong> geMeinDe ist eineM Laternenkasten vergleichbar, und in<br />

dieser Laterne brennt und strahlt das Licht; und die Licht-<br />

strahlen, die durch das Glas der Laterne hinausgehen, errei-<br />

chen alle Welt. <strong>Die</strong> ausgesandten Brüder und Schwestern sind<br />

die Lichtstrahlen. Sie sind Boten <strong>Gottes</strong>, Boten des Lichtes,<br />

Apostel des Lichtes, ausgesandte Lichtstrahlen des Evangeliums,<br />

des Gemeinde Lichtes, des Liebes Lichtes <strong>Gottes</strong> in Christus<br />

Jesus in seinem Heiligen Geist. Und so sehen wir, dass<br />

die ausgesandten Boten nicht auf sich selbst gestellt sind und<br />

nichts für sich selbst unternehmen; dass auch die Gemeinde<br />

nicht in sich selbst verschlossen ist und nichts für sich selbst<br />

unternimmt. Ihr Wesen ist es, zu leuchten, ihr Licht hinauszusenden.<br />

kLEINE S CHRITTE<br />

1935<br />

in <strong>Die</strong>seM ungeheuren zusaMMenhang der großen Weltnot er-<br />

scheint uns unsere Arbeit als sehr bescheiden. Und das halte<br />

ich für wichtig, dass wir uns dieser Bescheidung der großen<br />

Weltnot und den geschichtlichen Tatsachen gegenüber bewusst<br />

sind. Um so mehr sind wir auf das Gebet angewiesen,<br />

dass der Tausend Millionen Menschenwelt gegenüber der kleine<br />

Holzwarenhandel und Bücherhandel dennoch eine weltbewegende<br />

Wirkung haben möchte, auf Wegen, die allein Gott<br />

weiß (Luk.10,2).<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> Mission kann nur so sein, dass wir die Menschen, die schon<br />

in gewissem Grade von Gott gezogen werden, aufrufen und


auffordern. Es kann niemand zu ihm kommen, es ziehe ihn<br />

denn der Vater (Joh.6,44). Gott ist der große Erwecker. Durch<br />

die Geschichte schlägt er mit Hammerschlägen ein in das, was<br />

geschieht. Wir aber sind nicht die, die mit Hammerschlägen<br />

die Gewissen der Menschen zertrümmern sollen, sondern wir<br />

sind diejenigen, die innerlich bewegte Menschen und Gruppen<br />

aufsuchen, finden und sammeln sollen.<br />

1931<br />

Wir WenDen uns an alle: Wer mit Ernst Christ sein will, wer<br />

sein kurzes Leben der Liebe hingeben will, wer ein letztlich<br />

nutzloses Dasein aufgeben und alle Weltvermischung verlassen<br />

will, wer Jesus und niemand anderem als Jesus folgen will,<br />

ist hier von Herzen willkommen.<br />

1934<br />

es giBt einen verBorgenen Christus in solchen, die sich selbst<br />

als ungläubig erklären. Wir haben es erlebt, dass eine ganz starke<br />

Christuswirkung bereits da sein kann, während der Betreffende<br />

mit dem Mund Christus noch leugnet. Wir sahen daran, dass<br />

Christus viel größer ist, als unser Kopf es sich ausdenken kann,<br />

dass Christus viel mehr Liebe hat, als unser Herz es fassen kann<br />

(1.Joh.3,20). Und doch kann uns das nicht wundernehmen;<br />

denn wenn wir mit den Menschen zusammenkommen – wir,<br />

die wir ein klein wenig von dem Geist Christi gespürt haben<br />

–, so fragen wir sie auch nicht, ob sie schon ganz mit uns einig<br />

sind. Vielmehr ist das der Sinn unserer Liebe, dass wir sie besuchen<br />

und anerkennen, bevor sie mit uns einig sind, indem<br />

wir zu erspüren suchen, was gerade in ihnen lebt.<br />

1935


I N DEN SpuREN DES mEISTERS<br />

<strong>Die</strong> einfache apostolische aussenDung ist nicht darauf be-<br />

dacht, große Säle zu mieten und feine Vorträge zu halten. Sie<br />

ist viel schlichter und einfacher. Es kann sich nur darum handeln,<br />

den lebendigen Faden von Mensch zu Mensch, von Haus<br />

zu Haus, von Ort zu Ort zu finden, die Fährte Jesu Christi zu<br />

finden, zu sehen wohin er gegangen ist, dass man auch dorthin<br />

geht und nirgendwoanders als dahin, wohin er gerade gegangen<br />

ist in dem betreffenden Ort. Und das zu finden ist Sache unmittelbarer<br />

Gnade…<br />

Es sei das noch gesagt: <strong>Die</strong>ses Sammeln der einzelnen oder<br />

der kleinen Schar für das Leben der völligen Gemeinschaft ist<br />

nicht die Hauptsache. Es würde nicht der Größe <strong>Gottes</strong> entsprechen.<br />

<strong>Die</strong> Hauptwirkung der Aussendung muss die sein,<br />

dass die ganze Menschheit aufmerksam wird darauf, wer Gott<br />

ist und was er will, auf die Tatsache, dass er in Jesus Christus<br />

völlige Liebe wirkt (Joh.17,26), und dass diese in wahrhafter<br />

Gemeinschaft heute möglich ist. Und dass heute Einheit gelebt<br />

wird in völliger sozialer Gerechtigkeit und Brüderlichkeit<br />

in einem Geist innerster Einstimmigkeit. <strong>Die</strong> Hauptaufgabe<br />

wird die sein, dass die ganze Welt, die oberen Klassen ebenso<br />

wie die Masse der Erniedrigten, aufmerksam wird: Das,<br />

was wir beinahe schon vergessen haben, ist doch wirklich und<br />

dennoch möglich.<br />

1934


Der e inzelne<br />

unD D ie Gemeinschaft


12. DIE G ESAm T h EIT DER G LAUb ENDEN<br />

Das leBen aus gott ist Zusammenbringen (Joh.12,32). Sein<br />

Leben will uns in den einen Organismus <strong>Gottes</strong> zusammen-<br />

bringen, in einem lebendigen, beseelten Leib will es uns ver-<br />

einigen, und dieser Leib ist beseelt durch den Heiligen Geist<br />

(1.Kor.12,13 14). So drängt uns diese Einheit im Geist durch<br />

das Band des Friedens in das wirkliche praktische Leben. Es<br />

geht um die Verleiblichung dieser Einheit.<br />

1935<br />

Wir glauBen <strong>Die</strong> offenBarung des Heiligen Geistes in der le-<br />

bendigen Gemeinschaft. Das unterscheidet uns sehr von einem<br />

reinen Privatchristentum. Natürlich muss das einzelne Herz<br />

von dem Heiligen Geist besucht werden, aber die eigentliche<br />

Wirkung des Heiligen Geistes beginnt erst in der Gemeinde.<br />

Denn wenn das, was das einzelne Herz erlebt, in der Gemeinschaft<br />

der Überzeugung erlebt wird, dann erst offenbart sich<br />

das Reich <strong>Gottes</strong>.<br />

1935<br />

Wenn JeManD uns fragt, ob wir in dieser Zusammensetzung<br />

einiger schwacher, armseliger Menschen die Gemeinde <strong>Gottes</strong><br />

sind, so müssen wir antworten: „Nein, das sind wir nicht.<br />

Wir sind ein Gegenstand der Liebe <strong>Gottes</strong> mit allen anderen


Menschen; wir sind ein Zielpunkt der Liebe <strong>Gottes</strong> mit allen<br />

anderen Menschen, und wir sind unwürdig und unfähig und<br />

ungeeignet für die Anrichtung des Heiligen Geistes, für den<br />

Aufbau der Gemeinde und für die Aussendung in alle Welt<br />

– ebenso und mehr als alle anderen Menschen.“<br />

Aber wenn man die Frage so an uns richtet: “Ist die Gemeinde<br />

<strong>Gottes</strong> bei euch? Kommt die Gemeinde <strong>Gottes</strong> dort, wo ihr<br />

seid, zu den Menschen, ist dort die Gemeinde <strong>Gottes</strong> im<br />

Sinne des Heiligen Geistes, der allein die Gemeinde <strong>Gottes</strong> zu<br />

bringen vermag?“ – dann müssen wir antworten: „Ja, das ist<br />

so.“ Überall, wo glaubende Menschen versammelt sind, die<br />

keinen anderen Willen mehr haben, als den einen einzigen<br />

Willen, dass das Reich <strong>Gottes</strong> komme und dass die Gemeinde<br />

Christi offenbar werde als die völlige Einheit seines Geistes,<br />

überall dort ist die Gemeinde, weil dort Heiliger Geist ist<br />

(1.Joh.3,24).<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> geMeinDe ist ein lebendiger Bau. <strong>Die</strong> Menschen darin sind<br />

lebendige Bausteine. <strong>Die</strong>se lebendigen Steine haben nichts<br />

Vollkommenes in sich selbst, sondern müssen beschlagen<br />

und zugerichtet werden, so dass sie mehr und mehr in den<br />

Bau hineinpassen. Dennoch ist der Bau ein vollkommener<br />

Bau. Das eben ist das Geheimnis dieses Baues, dass sein Leben<br />

nicht aus seinen Teilen besteht, sondern vielmehr aus dem<br />

lebendigen, zusammenfassenden Heiligen Geist. Es ist nicht<br />

so, dass die herzugebrachten Teile die Einheit des Baues darstellen<br />

– etwa durch die Übereinstimmung von Meinungen<br />

–, sondern so, dass in diesen von Natur geistig toten Steinen


durch ihr Zusammenfügen lebendiges neues Leben erweckt<br />

wird; nicht aus den Teilen, sondern aus dem zusammenfassenden,<br />

vereinigenden Element geboren, durch den Heiligen<br />

Geist (1.Petr.2,5).<br />

1933<br />

als george fox zuM zweiten Mal zu Oliver Cromwell kam,<br />

forderte er ihn auf, seine Krone vor dem Thron Jesu Christi<br />

niederzuwerfen. Auch uns müsste das gegeben werden, dass<br />

wir das den Diktatoren der heutigen Zeit sagen dürfen. Aber<br />

zuerst müssen wir alle unsere kleinen Kränze niedergelegt haben<br />

vor dem Thron Christi, auch den schillernden Eigenwillen<br />

unserer eigenen Wünsche und Anmaßungen. Und die Stätte<br />

der Gemeinde ist der Platz der Einheit, an welchem uns das<br />

leicht gemacht wird, weil es unmöglich ist, dass angesichts der<br />

Gemeinde eigenes Wesen triumphieren könnte; weil es unmöglich<br />

ist, dass in der Einstimmigkeit eigene Begehrlichkeit<br />

sich durchsetzen könnte. In der Einheit der Gemeinde sollen<br />

wir erlöst und befreit werden von all den Wahngebilden, zu<br />

welchen wir so oft geneigt sind. In der Gemeinde Jesu Christi<br />

verstummt alle Wichtigtuerei und erlischt alle Wichtignehmerei<br />

des eigenen Wesens (Eph.4,17 24).<br />

1933<br />

Dass Man sich iM Laufe der Jahre wandelt, ist gewiss mensch-<br />

lich; mehr als das, es ist <strong>Gottes</strong> Wille. Denn da wir auf k<strong>einer</strong><br />

Stufe der Vollkommenheit <strong>Gottes</strong> entsprechen, müssen wir uns<br />

ununterbrochen wandeln. <strong>Die</strong> Entscheidung für unser Leben<br />

liegt nur darin, in welcher Richtung wir uns wandeln. Und


die Richtung, die uns gesetzt ist, ist die, dass wir dem Eben-<br />

bild <strong>Gottes</strong> näherkommen, dass wir in Christus dieses Ebenbild<br />

immer tiefer erfassen, dass es uns durchwirkt und verwandelt<br />

(2.Kor.3,18). Das Ebenbild <strong>Gottes</strong> kann nicht von einem einzelnen<br />

Menschen widergespiegelt werden, sondern es wird vielmehr<br />

in <strong>einer</strong> organischen Einheit – in einem lebendigen Körper<br />

vieler zu einem Ganzen verbundenen Glieder – widergespiegelt,<br />

die in gegenseitiger Hilfe zueinander stehen: in der Gemeinde<br />

<strong>einer</strong> geistigen Beseeltheit durch den Heiligen Geist. Der Leib<br />

Christi als solcher ist das Ebenbild <strong>Gottes</strong> in unserer Zeit.<br />

1933<br />

nun Darf Der Mensch in s<strong>einer</strong> Kleinheit auf dieser Erde in<br />

der Gemeinde sein und des Vaters Wesen in Wort, Leben und<br />

Werk widerspiegeln. Nicht der einzelne Gläubige, sondern die<br />

wirkliche Gemeinde – in ihrer von Gott durch seine Werkzeuge<br />

gegebenen Ordnung – ist der neue Leib des Christus, die<br />

neue Verleiblichung und Gestaltung des menschgewordenen<br />

Wortes. Das Gebet zu Gott, dem herrschenden, gebietenden,<br />

helfenden und liebenden „Du“, unterwirft das widerstrebende<br />

„Ich“ des Menschen in dem „Wir“ der Gemeinde in vollem<br />

Vertrauen und Glauben dem allgewaltigen, alle vereinigenden<br />

Gott. Denn er bleibt immer und überall der ganz Andere, der<br />

allein Große und Gute – er, der durch seinen Geist die Gemeinde<br />

immer wieder anspricht, beruft, begnadigt, ausrüstet<br />

und beauftragt.<br />

1929


Wie Jesus seine nächsten Freunde – die wir seine Jünger nen-<br />

nen – immer in s<strong>einer</strong> Nähe haben wollte (Mark.3,14), so<br />

drängte sein Geist die ersten Christen nahe zueinander, damit<br />

sie miteinander das Leben Jesu lebten und dasselbe täten, was<br />

er getan hatte (Apg.2,42 47). Weil es sich hier um letzte innere<br />

Notwendigkeit handelte, mussten sich in allen Fragen des<br />

Zusammenlebens Gestaltungsformen ergeben, die ganz <strong>einer</strong><br />

vollendeten Liebeseinheit entsprachen.<br />

1919<br />

<strong>Die</strong> gegenWart Des üBerMächtigen Christus in der Gemein-<br />

de war das Geheimnis der ersten Gemeinde (Kol.1,26 27).<br />

Das Wunderbare dieses Geheimnisses ist, dass Christus nicht<br />

in <strong>einer</strong> Vision erscheint, sondern er offenbart sich als gegenwärtig<br />

im Heiligen Geist. <strong>Die</strong> Gegenwart Christi ist in der<br />

Ausgießung des Heiligen Geistes gegeben. In demselben Augenblick,<br />

in dem die Gemeinde bekennt: „<strong>Die</strong> Liebe <strong>Gottes</strong><br />

ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“,<br />

bekennt sie: „Er ist da! Christus ist hier!“ Er ist der Sieger über<br />

alle Sünde, über alle unreinen Geister und über alles seelische<br />

Wesen, über alle Empfindlichkeiten, über alle Ichsucht! Er ist<br />

gegenwärtig – der König, der Gekreuzigte und Auferstandene<br />

– in dem machtvollen Geist s<strong>einer</strong> Gemeinde.<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> BinDung an <strong>Die</strong> Bruderschaft ist uns also keine mensch-<br />

liche Bindung eines gegenseitigen Versprechens. <strong>Die</strong> Bindung<br />

an die Bruderschaft ist uns vielmehr notwendiger Ausdruck<br />

der Glaubenshingabe an den Willen <strong>Gottes</strong> zur vollkommenen


Einheit und an den Heiligen Geist, der uns diese Einheit er-<br />

wirkt und immer von neuem verwirklicht.<br />

0<br />

1933<br />

Wir sinD hier nicht ein zusammengesetzter Kreis von Men-<br />

schen, von denen jeder einen guten Willen zur Einheit hat,<br />

und die Zusammensetzung dieser vielen guten Willensrichtungen<br />

ergäbe dann so etwas wie eine Geisteseinheit. Das ist<br />

nicht unser Glaube. Wir glauben vielmehr, dass trotz unserer<br />

Gemeinschaftsunfähigkeit, trotz unserer menschlichen Charakterschwächen<br />

und Begabungsmängel – trotzdem wir also<br />

so sind wie wir sind –, der Geist der völligen Einheit, welcher<br />

der Geist Jesu Christi ist, uns zum Zusammenkommen und<br />

Zusammenbringen gerufen hat.<br />

1932<br />

nicht irgenDein einzelner Mensch gebietet über andere Men-<br />

schen; das wäre ja schon eine Zweiteilung zwischen Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer. <strong>Die</strong> gibt es bei uns nicht. Nicht eine geistige<br />

Gruppe von Menschen gebietet über andere, körperlich arbeitende<br />

Menschen. Das wäre ja eine Teilung von Gruppen, die übereinander<br />

stehen würden. Jeder Rest von Kasten, Klassen und<br />

Ständeschichtung ist bei uns mit der Wurzel ausgerottet. Alles,<br />

was an Organisation der Arbeit unter uns geschieht, wird aus<br />

der Einstimmigkeit der Gemeinde geboren. <strong>Die</strong> allein übergeordnete<br />

Größe ist die Einstimmigkeit, Einhelligkeit, Einmütigkeit,<br />

die völlige Übereinstimmung aller Glaubenden und<br />

Liebenden der Gemeinde…


es giBt ausführenDe organe, die als Wortführer, Haushalter,<br />

Geschäftsführer der Gemeinschaft, als Arbeitsführer, Haus-<br />

mutter, Erziehungsleiter und vieles ander tätig sind. <strong>Die</strong>se<br />

aber können ihren ausführenden Arbeitsdienst nur ausrichten,<br />

soweit sie von der gänzlichen Übereinstimmung der Gemeinschaft<br />

getragen werden. <strong>Die</strong> Organisation, die sich daraus<br />

ergibt, enthält für den, der in der Gemeinschaft lebt, keine<br />

Probleme. Jeder, der in die Gemeinschaft eintritt, bringt alles,<br />

was er ist und hat, in die Einheit. Er behält nichts für<br />

sich, weder irgendeine Arbeitsstunde, noch irgendein noch so<br />

kleines Sparkassenbuch oder irgend ein noch so kleines Kästchen,<br />

in dem irgendwelche Werte enthalten sind. Ihm gehört<br />

absolut nichts (Luk.12,32 34). Es ist ihm nur zum Gebrauch und<br />

zur Benutzung, also zum Besitz übergeben, solange es für seine<br />

Arbeit ratsam ist. Es gibt hierfür also keine Uniformierung, keine<br />

Egalisierung. Man soll sich jetzt nicht die Gemeinschaftsorganisation<br />

so vorstellen, dass alles in einem einzigen Ton endet,<br />

sondern es führt zu reicher Harmonie.<br />

Was für die fruchtbare Arbeit des einzelnen erforderlich<br />

ist, wird durch die Gemeinschaft geschafft. So werden<br />

Landwirtschaft und Garten, Handwerk und Kunsthandwerk,<br />

Buchverlag und Druckerei, Schule, Kinderhort, Kindergarten<br />

und Säuglingsabteilung, Küchenwirtschaft, Hauswirtschaft<br />

aller Art, sämtlich gemeinschaftlich ausgeübt und bewältigt.<br />

Alles, was getan wird, wird von Gemeinschaftskräften für die<br />

ganze Gemeinschaft bewältigt.<br />

1932


Wir Müssen Bekennen, es ist wirklich ein Wunder, dass wir di-<br />

ese zwölf Jahre in Gemeinschaft leben dürfen und dass wir die<br />

Kraft des befreienden und erlösenden und gesundmachenden<br />

Geistes erlebt haben und bezeugen dürfen. Es ist ein Wunder,<br />

das niemals von uns kommt.<br />

Aber wie kommen wir in die Atmosphäre dieses Wunders<br />

hinein? Da bekennen wir uns zu dem alten Sannerzer Lied:<br />

„Wir sind im heil’gen Warten zu Haus.“ In der aktiven Hingabe<br />

sind wir zu Haus, in der Gewissheit: Jetzt kommt der Heilige<br />

Geist, der völlige Charakter Jesu zu uns. Was geschah dann,<br />

als der Heilige Geist kam? Niemanden darf es verdrießen, dass<br />

man lange warten muss. <strong>Die</strong> kleine Schar in Jerusalem hat<br />

eine sehr schwere und ihr fast unendlich dünkende Wartezeit<br />

durchleben müssen. Und dann kam es, dass der Heilige Geist<br />

über sie ausgegossen wurde (Apg.1,4 5;2,1 4). Da ereignete<br />

sich das Entscheidende. Und wir glauben daran, dass sich das<br />

Entscheidende immer wieder ereignen muss.<br />

193l<br />

Wir haBen uns heute wieder daran erinnert, dass wir keines-<br />

wegs unsere Bruderschaft als das Ziel ansehen, sondern als den<br />

Einsatz auf das Ziel hin. Wir denken gar nicht daran, die Bruderschaft<br />

um der Bruderschaft oder den Bruderhof um des<br />

Bruderhofes willen neu zu festigen. Wir wünschen vielmehr,<br />

dass unsere Bruderschaft für den Frieden und die Einheit eingesetzt<br />

wird. Wir wünschen, dass die ganze Welt mit allen Völkern<br />

zum Reich der Gerechtigkeit und des Friedens gelangt.<br />

Besser gesagt, wir wünschen, dass das Reich der Gerechtigkeit


und des Friedens in der ganzen Welt anlangt. Den ungeheuren<br />

Kräften der Feindseligkeit und Erbitterung muss eine wenn<br />

auch noch so kleine Schar gegenüberstehen, die Einheit, Friede,<br />

Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit in die<br />

Welt hinausstrahlen lässt: das heißt, Strahlen der <strong>Gottes</strong>liebe<br />

und Christusliebe, der Reich <strong>Gottes</strong> Kraft. Dafür wollen wir<br />

leben, und dafür ist eure Vereinigung mit uns eingesetzt.<br />

1935


13. f ühRUNG UND hIRTENDIENST<br />

WAS IST EIN D IENER?<br />

es giBt keinen herrn in dieser Gemeinde als einzig und al-<br />

lein Christus; es gibt keinen Führer als einzig und allein das<br />

Haupt, welches ist Jesus Christus. Wir alle sind Brüder untereinander;<br />

wir alle sind Glieder, von denen jedes dem anderen<br />

dient (Matth. 23,8 12); wir sind lebendige Zellen. Wer in diesem<br />

Leib gebietet durch die Kraft des Heiligen Geistes ist Jesus<br />

Christus, der Sohn des lebendigen <strong>Gottes</strong>.<br />

1933<br />

in Der neutestaMentlichen zeit waren als <strong>Die</strong>ner der römisch<br />

griechischen und orientalischen Sklavenkultur durchaus nicht<br />

nur Speisediener, Kammerdiener, Küchendiener und Hausdiener<br />

tätig. Auch die gelehrtesten Männer – Dichter und<br />

Sprachlehrer, Geschäftsführer und Buchhalter – waren <strong>Die</strong>ner<br />

des Sklavenstaates ihrer Herrschaft, bis zum „maior domus“<br />

nichts anderes als frei dienende Sklaven ihres Haushaltes. Daran<br />

dachten die Apostel, als sie von den <strong>Die</strong>nern der Gemeinde<br />

sprachen (Gal.5,13)…<br />

Was ist die Bedeutung des <strong>Die</strong>nstes aller derer, die berufen<br />

sind, wirkliche <strong>Die</strong>ner der Gemeinde zu sein? Das apostolische<br />

Wort bezeichnet alle mit größter Verantwortung belasteten


Brüder der Gemeinde als <strong>Die</strong>ner. „<strong>Die</strong>ner“ ist jetzt auch für<br />

unser Gemeinschaftsleben das beste Wort für alle Träger jeder<br />

besonderen Gemeindeverantwortung. <strong>Die</strong>ner sind die, die in<br />

starker Verantwortung für so vieles den untersten Platz im<br />

Gemeindeleben einnehmen.<br />

Der Platz der <strong>Die</strong>ner ist wahrhaftig ein belasteter und<br />

überbelasteter Platz. Sie tun diesen <strong>Die</strong>nst in der Liebe der<br />

Wahrheit und in der Wahrheit der Liebe (1.Tim.6 11). Sie<br />

tun ihn im Geist der Brüderlichkeit und Ebenbürtigkeit aller<br />

Brüder und Schwestern.<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> erste unD letzte Hauptverantwortung für den ganzen<br />

Bruderhof trägt der Älteste. Ihm ist der <strong>Die</strong>nst am Wort,<br />

die persönliche Betreuung aller Bruderhöfer, die erzieherische<br />

Hauptverantwortung und die Verwaltung der Kindergemeinde,<br />

auch die Betreuung der Gäste anvertraut; ebenso die Hauptverantwortung<br />

für die Güter und Gelder, für die Wohlfahrt<br />

des Bruderhofes und die Erhaltung und Durchführung der<br />

gesamten Arbeit des Bruderhofes im <strong>Die</strong>nst nach innen und<br />

im <strong>Die</strong>nst nach außen, auch in der Aussendung und in der<br />

Schriftenverbreitung…<br />

<strong>Die</strong> Hausmutter hat unter der Führung des Ältesten und<br />

in Gemeinschaft mit dem Haushalter nach innen und außen<br />

die Aufgabe, die mütterliche Fürsorge für alle Bruderhöfer<br />

zu tragen. Zugleich hat sie als Haushalterin die gesamte<br />

Hauswirtschaft zu verantworten und die Arbeit der Frauen<br />

und Mädchen zu überwachen. Da die im Geist und in der<br />

Zukunft Christi zu uns kommende Gemeinde <strong>Gottes</strong> unsere


Mutter genannt wird, ist der liebende <strong>Die</strong>nst der Gemeinde,<br />

der der Hausmutter an allen ihren Gliedern und Gästen<br />

anvertraut ist, von einzigartiger Bedeutung.<br />

1929<br />

ach! es ist eine schwere und quälende Last, Ältester oder ähn-<br />

liches sein zu müssen. Wer danach noch krampfhaft verlangt,<br />

kennt die Tragik und Not dieses für uns schwache Menschen<br />

allzu heiligen Müssens noch nicht (1.Kor.9,16). Glücklich<br />

und selig sind die, denen es nicht auferlegt ist, wenn – ja, allerdings<br />

nur wenn sie es nicht mit heimlicher Begehrlichkeit<br />

ungereinigten Wollens ersehnen!<br />

1930<br />

ich Bin Bereit, ohne einen Anspruch Ältester zu sein oder eine<br />

Titulierung zu haben, einfach mit euch zu leben. Wenn der<br />

Ausdruck „Ältester“ als Titel empfunden wird, lege ich ihn nieder;<br />

als gesellschaftlichem Rang sage ich diesem Rang hiermit<br />

als einem Teufelswerk ab. In diesem Sinne müssen wir unser<br />

Gewissen reinigen von den toten Werken (Hebr.9,14).<br />

AuTORITä T ALS G ABE DES G EISTES<br />

1935<br />

ein <strong>Die</strong>ner Des geistes muss vom Heiligen Geist bestellt sein.<br />

Vom Heiligen Geist muss er erwählt, berufen und gesandt sein;<br />

freilich zugleich auch von einem Volk, das von diesem Geist<br />

erfüllt ist (Apg.13,2 3). Er soll von Gott selbst und von s<strong>einer</strong><br />

Gemeinde selbst in seine Ernte hinausgeschickt sein. Selbst<br />

Christus ist durch den Heiligen Geist gesandt und gesalbt


worden (Luk.4,18 19). <strong>Die</strong> Apostel durften nicht eher zum<br />

Wortdienst hinausgehen, als bis sie mit der Kraft aus der Höhe<br />

angetan waren durch das lebendige Wort, das nur aus der lebendigen<br />

Bibel des Herzens verkündigt wird. Darum hatte das<br />

Wort der Apostel eine solche Gewalt, einen solchen Laut, eine<br />

solche Kraft, einen solchen Nachdruck. Ihre Rede zerschnitt<br />

wie ein Messer, es durchstach die Herzen, es durchdrang Mark<br />

und Bein.<br />

1933<br />

DeshalB Mussten auch <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>ner der Versorgung, die in die-<br />

ser Gemeinde als Diakone wirken sollten – die die wirtschaftliche<br />

und soziale Gerechtigkeit führen sollten – voll Heiligem<br />

Geist und Weisheit sein (Apg.6,3), wie es Stephanus war, der<br />

bis zum letzten Augenblick seines Märtyrertodes als ein Mann<br />

voll Heiligen Geistes bezeugt wird.<br />

1933<br />

Wir haBen hier gar kein festes Amt, sondern nur die <strong>Die</strong>n-<br />

ste, die sich durch den Strom der Liebe und den Strom des<br />

Geistes ergeben. In demselben Augenblick, wo diese <strong>Die</strong>nste<br />

ohne diesen Strom der Liebe und des Geistes noch etwas sein<br />

wollten, wären sie eine Lebenslüge, eine Unmöglichkeit. Hier<br />

hat kein Mensch etwas zu sagen, niemand, und wäre es der<br />

begabteste, wenn er an sich selbst glaubt.<br />

1935<br />

Der heilige geist Will es in uns so licht machen, dass wir nicht<br />

nur dem folgen, was er in uns selbst offenbart hat, sondern dass<br />

wir weiter schauen und zugleich empfinden und erfassen, was


derselbe Geist gerade jetzt und hier in den anderen Gliedern<br />

der Gemeinde – auch besonders in den kindlichsten unter ihnen<br />

– anregt und in Bewegung bringt. Fast möchte ich sagen:<br />

Für den <strong>Die</strong>nst am Wort ist es wichtiger, in den anderen die<br />

gerade in diesem Augenblick wirkende Stimme und Lichtwerdung<br />

und die durch sie in den anderen erstehende Bewegtheit<br />

wahrzunehmen und zum klärenden Ausdruck zu bringen, als<br />

auf das eigene Herz zu achten.<br />

1934<br />

keine geMeinDe hat geBärenDe Kraft in sich selbst für die<br />

Wiedergeburt des <strong>neuen</strong> Lebens. Kein <strong>Die</strong>ner am Wort vermag<br />

Menschen die Möglichkeit und die Kraft eines <strong>neuen</strong> Lebens<br />

zu vermitteln. Würde er auch nur mit einem Fünkchen<br />

daran glauben, dass er das könnte, so wäre sein ganzer <strong>Die</strong>nst<br />

verloren und müsste niedergelegt werden. Das ist das Geheimnis:<br />

das obere Jerusalem, das unser aller Mutter ist mit der Geburtskraft<br />

alles Geburtengrundes (Gal.4,26; Offb.21,2). Von<br />

dort kommt das neue Leben, die neue Gerechtigkeit, die neue<br />

Liebe, die neue Lebenskraft.<br />

1935<br />

Das persönliche ergehen Der einzelnen ist den <strong>Die</strong>nern am<br />

Wort in erster Linie anvertraut. Hier hat vor allem ein Vertrauensverhältnis<br />

zu herrschen, so dass die Gäste und Jugendlichen<br />

und Novizen alle ihre inneren, geistigen Nöte und auch<br />

sonstigen Schwierigkeiten dann, wenn es notwendig ist, aussprechen.<br />

Nicht etwa so, dass der einzelne seine eigene Person<br />

und sein eigenes Empfinden den <strong>Die</strong>nern am Wort vor Augen


führen sollte, sondern dass überall dort, wo seelische Schwie-<br />

rigkeiten und Geistesnöte den <strong>Die</strong>nst am Reich <strong>Gottes</strong> – die<br />

Hingabe an die Sache – stören, die Hilfe vom <strong>Die</strong>ner am Wort<br />

in Anspruch genommen wird (Hebr.13,17).<br />

1932<br />

nieMals Darf Der <strong>Die</strong>ner am Wort der ihm anvertrauten Ge-<br />

meinde etwas mit Gewalt aufzwingen oder einprägen. Denn<br />

dazu ist er nicht der Gemeinde vorangestellt, dass er sie vergewaltige,<br />

sondern zu ihrer Freude (2.Kor.1,24).<br />

uNTERSCHEIDu NG DER G EISTER<br />

1931<br />

ein lenker Des schiffes ist immer im vollen Einvernehmen<br />

mit der ganzen Schiffsmannschaft. <strong>Die</strong>se Gabe berührt sich<br />

nahe mit der Unterscheidung der Geister. Man kann nur an<br />

den Klippen vorbeifahren, wenn man sie als solche erkannt<br />

hat. <strong>Die</strong> Gabe der Steuerung ist eine besondere Geistesgabe,<br />

sie sollte gerade jedem <strong>Die</strong>ner am Wort gegeben sein. Aber<br />

nicht nur den <strong>Die</strong>nern am Wort, sondern ihr <strong>Die</strong>nst sollte<br />

von vielen anderen unterstützt werden, wie auf jedem Schiff<br />

Ersatzleute da sind. Auch diese Gabe muss möglichst vielen in<br />

der Gemeinde gegeben werden: den rechten Kurs zu halten in<br />

allen den Dingen des Geistes wie in der Wirtschaft.<br />

1935<br />

nur eine üBeraus Wache Gemeinde kann diese gefährliche Zeit<br />

überstehen (1.Kor.16,13). Jetzt ist kein Augenblick frei zur<br />

Müdigkeit, zum Matt und Müdewerden, zur Selbstbeschäftigung.


Jeder Moment ist einzusetzen für das Wachsein der ganzen<br />

Gemeinde, mit den Waffen des Reiches zur Rechten und zur<br />

Linken. Ist das klar? Deshalb müssen wir Gott bitten um den<br />

wachen Geist, um den Heiligen Geist. Denn wir wissen, dass<br />

wir müde Menschen sind mit einem matten Fleisch; dass wir<br />

uns nicht selbst die Kraft zu geben vermögen, allen diesen Gefahren<br />

zur Rechten und Linken rechtzeitig zu begegnen und<br />

in allen diesen Nöten schlagfertig und geistesgegenwärtig nach<br />

vorn und hinten zu bleiben.<br />

Aber gerade darin sollen die <strong>Die</strong>ner am Wort bewährt und<br />

erweckt werden, dass sie ihre Standhaftigkeit in wahrer Kraft<br />

beweisen, in eigenem Wachsein nach allen Seiten hin, so dass<br />

die Gemeinde hindurchgesteuert wird durch den wehenden,<br />

frischen Wind, den frischen Atem <strong>Gottes</strong>, durch den Odem<br />

des Heiligen Geistes. In solchen Zeiten der Gefahren genügt<br />

kein lauer, süßlicher Wind. In solchen Zeiten muss ein<br />

frischer, kalter Sturm kommen. Um den müssen wir bitten,<br />

wenn es nicht lau unter uns sein soll.<br />

0<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> gefahren, <strong>Die</strong> uns umgeben, sind einmal das Bonzentum,<br />

das Beamtentum, die Überhebung der beamteten Brüder, die<br />

ihren <strong>Die</strong>nst als Überhebung der eigenen Person auffassen, die<br />

aus Pflichtbewusstsein heraus die freie Regung des Geistes<br />

unterdrücken und die übrige Gemeinschaft zu versklaven drohen.<br />

Zum anderen ist es die Neigung zum überheblichen Moralismus,<br />

die Dreistigkeit, in welcher man sich selbst mit seinem moralischen<br />

Empfinden über die anderen Menschen stellt und infolgedessen<br />

mit <strong>einer</strong> gewissen Geringschätzung von anderen


Menschen redet und über andere Menschen denkt, die nicht<br />

auf derselben moralischen Höhe stehen.<br />

<strong>Die</strong> dritte Gefahr ist ein geschäftstüchtiger Sinn, so dass<br />

wir beständig an das Geldverdienen denken, an die Ernte,<br />

an die Leistung im täglichen Leben, an die Arbeit, die<br />

mit großem Fleiß und großer Anstrengung geleistet wird.<br />

Und schließlich ist es – in Verbindung mit dem allen und<br />

durchaus logisch dazugehörend – die Neigung zu einem ganz<br />

gewöhnlichen Hochmut, der sich selbst für den tüchtigsten<br />

und kritischsten Menschen hält und die anderen für weniger<br />

geeignet. Oder aber es ist die Schwermut, die merkt, dass alle<br />

diese Tendenzen, wie sie im Beamtentum, im Moralismus, in<br />

dem geschäftstüchtigen und leistungsfähigen Sinn enthalten<br />

sind, von dem Betreffenden selbst nicht wirklich geschafft<br />

und erreicht werden können.<br />

NuR DER G EIST SOLL S p RECHEN<br />

1935<br />

Wenn Wir auf DeM heiligen Weg der Gemeinde stehen, hat nie-<br />

mand das Recht drauflos zu werken, hat niemand das Recht<br />

drauflos zu wirken. Wir haben vielmehr so zu reden und zu<br />

werken und zu wirken, wie es der Geist <strong>Gottes</strong> in uns anregt<br />

und hervorbringt. Nur dann kann Gemeinde sein. Und deshalb<br />

kann nicht nur bei dem <strong>Die</strong>nst am Wort, sondern auch<br />

bei jedem Rundgespräch, bei jeder Bruderschaft, bei jeder<br />

Arbeit der bewegende Geist das allein bestimmende Element<br />

sein, aus dem wir sprechen und handeln.<br />

Wenn wir das aber wirklich ganz erfassen, dann werden wir<br />

auch vor dem gesprochenen Wort in der Gemeindestunde, in


der Bruderschaftsstunde oder beim Rundgespräch die tiefste<br />

Ehrfurcht haben. Dann werden wir nicht den Menschen in<br />

seinen menschlichen Eigenschaften vor uns sehen, sondern<br />

wir werden merken: Hier ist eine Stimme, aus welcher nur<br />

das spricht, was Gott sagen will, was Gott zu reden hat, was<br />

Gott sagen muss, was Gott jetzt wirklich sagt. Und dasselbe<br />

gilt vom Wirken. Sobald wir von dieser Heiligkeit des Weges,<br />

von dieser Göttlichkeit des Weges in noch so gut gemeinter<br />

seelischer Art abweichen – auch nur um ein Haar breit –, sind<br />

wir sofort in äußerster Gefahr, im Menschlichen zu ertrinken.<br />

Und damit ist die Gefahr verbunden, dass die ganze Stadt auf<br />

dem Berge im Sumpf untergeht.<br />

1934<br />

Das Möchte ich auch für den <strong>Die</strong>nst am Wort sagen, wenn wir<br />

zur Aussendung kommen wollen: Wir dürfen nur sprechen, wenn<br />

wir durch den Heiligen Geist angeregt sind. Sonst schweigen<br />

wir. Wenn wir etwas lesen wollen, sollen wir es nicht tun, wenn<br />

wir nicht ganz bewegt werden durch den Heiligen Geist. Ich<br />

verstehe darunter keine besondere Erhabenheit der Stimme,<br />

der Sprache oder der Gebärde. <strong>Die</strong>se Anregung des Heiligen<br />

Geistes kann ein Angeregtsein in der Sache sein, auch für unsere<br />

Drechselei oder Gartenanlage. Es kann sein, was es will,<br />

auch etwas Menschliches: Es kann die Heiratsfrage betreffen. Es<br />

kann alles und jedes betreffen, was zum Leben gehört. Es soll<br />

nur aus dem Herzen <strong>Gottes</strong> heraus geboren sein, und es soll<br />

uns wirklich von Gott selbst eingegeben sein. Sonst wollen wir<br />

stillsc weigen (1.Kor.2,13).<br />

1935


14. ANREDE, GE m EINDEz U chT<br />

UND V ERGEb UNG<br />

A LLE G E m EINDEGLIEDER BRAu CHEN H ILFE<br />

Der geist Der freuDe ist zugleich der Geist des Aufbaus, der<br />

Ordnung und der Zucht. Dass es sich bei dieser Geistesord-<br />

nung um keine Disziplin menschlicher Gesetze handeln kann<br />

– dass es hier k<strong>einer</strong>lei Strafe geben kann, die der moralische<br />

Wille des einen Menschen dem anderen Menschen gegen dessen<br />

Willen auferlegen könnte – hat sich aufs klarste herausgestellt.<br />

Wenn also alle derartigen Bestrafungen ausgeschlossen sind,<br />

so kann auch keine Furcht vor Strafe aufkommen. Was hier<br />

und da als Furcht erscheint, muss etwas anderes sein, was als<br />

ernstestes Bedauern, ja als innerster Schmerz nach jedem Versagen<br />

im Herzen aufsteigt.<br />

Solange man in der Atmosphäre des Geistes lebt, wird man<br />

niemals aus freiem Willen das Böse tun, wird man also mit<br />

geplanter Absichtlichkeit nichts herbeiführen, das die Einheit<br />

und Ordnung des Geistesaufbaus stören könnte (1.Joh.3,6).<br />

Aber wie kommt es, dass man Fehler begehen und in<br />

Abweichungen geraten kann, die man nicht gewollt und nicht<br />

einmal recht vorausgesehen hat? Der Mensch ist schwach<br />

und dumm. Oft sieht man das Übel kaum herankommen.


Schlimmer schon ist das Aufgeben der Widerstandskraft<br />

gegen das aufkommende Übel. Noch schwerer ist die leiseste<br />

Annäherung, in der man sich mit der entstehenden Unordnung<br />

abfinden oder gar befreunden will.<br />

Wenn ein Glied der Gemeinde in eine solche Not hineingerät,<br />

so schaut er nach Hilfe aus; denn er weiß, dass alle<br />

Bruderschafter dieselben und ähnliche Schwächen sehr wohl<br />

an sich selbst kennen und sofort zu jeder Hilfe bereit sind. <strong>Die</strong><br />

Schwäche im Keim zu überwinden ist der Wille der ganzen<br />

Bruderschaft. Ein jeder hat den Glauben, dass der Geist Jesu<br />

Christi in allen Gliedern der Gemeinde wirkt und niemanden<br />

in s<strong>einer</strong> Not verlassen wird (1.Kor.10,13). Ein jeder, der von<br />

Schwäche befallen wird, weiß, dass die Gemeinde Christi ihn<br />

wie alle anderen trägt, um ihm zurechtzuhelfen.<br />

Deshalb ist es nicht richtig zu sagen, man empfinde die<br />

Fehler nur im eigenen Herzen und Gott strafe sie dort.<br />

<strong>Die</strong>ser Gedanke ist ein Irrtum, weil das rein individualistisch<br />

empfunden ist. Er steht im Gegensatz zur Gemeinde Christi<br />

und zum Reich <strong>Gottes</strong>. Richtig ist, dass ein jeder, der vom Geist<br />

berührt ist, seine Fehler in seinem eigenen Herzen empfindet,<br />

und dass ein jeder, der zur Gemeinde Christi gehört, <strong>Gottes</strong><br />

Stimme in seinem Herzen empfindet, besonders dann, wenn<br />

er einen Fehler gemacht hat. Aber zugleich fühlt ein lebendiges<br />

Glied der Gemeinde, dass die ganze Gemeinde mitbetroffen<br />

ist, mitfühlt und mitverantwortlich ist für alles, was auch<br />

geschah (1.Kor.12,25 26). Niemals fühlt sich ein Glied der<br />

Gemeinde allein vor Gott gestellt, sondern immer weiß es die<br />

ganze Gemeinde mit ihm vor Gott (Gal.6,1 2).<br />

1934


<strong>Die</strong> Buße soll Dazu führen, dass eine Gesinnungsänderung,<br />

eine Willensveränderung, eine Richtungsveränderung statt-<br />

findet. Der Ausschluss aus der Gemeinde ist nicht um des<br />

Ausschlusses willen da – ist niemals dazu da, dass eine Strafe<br />

verhängt wird – sondern nur dazu gegeben, dass wir in <strong>einer</strong><br />

tieferen Besinnung unser Leben grundlegend verändern.<br />

G E m EINDEZu CHT H ä LT DIE G E m EINDE REIN<br />

1933<br />

Der heilige geist üBerzeugt die Menschen vom Gericht. Und<br />

das ist das Entscheidende. Das Gericht besteht darin, dass der<br />

Fürst dieser Welt gerichtet wird; nicht darin, dass Menschen<br />

gerichtet werden (Joh.16,8 11). Der scharfe Kampf des<br />

Gemeindegerichtes richtet sich also keineswegs gegen die betroffenen<br />

Glieder der Gemeinde, sondern ausschließlich gegen<br />

den Fürsten der Menschenwelt, der immer wieder – auch<br />

über die Menschen der Gemeinde – Herrschaft gewinnen will<br />

(2.Tim.2,24-26).<br />

1935<br />

auch ihr Wollt, Dass das Gute siegt und das Böse unterliegt.<br />

Aber ihr denkt dabei vielleicht zu viel an die menschlichen<br />

Personen, die betroffen sind. Sie erscheinen euch als das Objekt,<br />

als die Instrumente, als der maßgebende Faktor. Das ist falsch.<br />

Es geht um Kämpfe zwischen Geistern, und die Person ist in<br />

diesem Kampf nur so weit betroffen, als sie ein Kampfplatz<br />

dieser beiden Geistesmächte ist. Solange der Mensch im Mittelpunkt<br />

steht, denken wir, den Menschen zu schonen und<br />

ihm zu helfen; was schief ist, weil wir nicht die Hauptsache


sehen, nämlich dass zwei Mächte um uns kämpfen: der gute,<br />

reinigende Geist <strong>Gottes</strong> und die dämonischen Mächte.<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> geMeinschaft Muss in Strenge und Disziplin rein und ei-<br />

nig gehalten werden (2.Kor.11,2). Jeder Fluch unr<strong>einer</strong>, besitzwollender,<br />

lügnerischer, mörderischer oder götzendienerischer<br />

Geister muss ausgeschieden werden. <strong>Die</strong> brüderliche Zurechtweisung<br />

und das schärfste Gemeindegericht sind die Waffen<br />

dieser Zucht.<br />

1929<br />

<strong>Die</strong> geMeinDe hat <strong>Die</strong> Vollmacht der Sündenvergebung auf der<br />

einen Seite und des Ausschlusses auf der anderen (Joh.20,23).<br />

So kann diese Gemeinde wirklich in Einheit bewahren, was<br />

ihr gegeben wird durch die Mitteilung des Heiligen Geistes<br />

und der <strong>Gottes</strong>gemeinde, die aus den himmlischen Welten zu<br />

ihr kommt. Und der Auftrag der Bewahrung ist nur durch diese<br />

beiden schärfsten Mittel möglich: die Vergebung und der<br />

Ausschluss. <strong>Die</strong> Vergebung bedeutet, dass das Böse hinweggenommen<br />

wird bei der inneren Wandlung. Der Ausschluss bedeutet,<br />

dass das Böse hinweggeräumt wird mitsamt dem von<br />

ihm betroffenen Menschen.<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> vollMacht Der vergeBung der Sünde, die Aufhebung<br />

des Ausschlusses, die Aufnahme in den Bund der Gnade, die<br />

reale Wirklichkeit der Buße und des Glaubens ist etwas unsagbar<br />

Großes, vor dem wir nur anbetend verstummen können<br />

(Matth.18,18). Insbesondere ist der Bund des Glaubens, wenn


er im Herzen ankommt, das Anbetungswürdigste. Und ich<br />

wünsche so von Herzen, dass in jedem von uns der Glaube<br />

erneuert wird, dass der Glaube ankommt in unseren Herzen,<br />

dass Christus offenbar wird in unserer Mitte, dass die Macht<br />

<strong>Gottes</strong> uns erschlossen wird.<br />

G E m EINDEZu CHT muSS FREIWILLIG SEIN<br />

1935<br />

zuWeilen koMMt es Dazu, dass jemand aus unserem Kreis ge-<br />

meinsam mit den anderen die Notwendigkeit erkennt, eine<br />

Zeitlang eine tiefstinnere Stille der Einsamkeit zu suchen.<br />

Das geschieht natürlich niemals ohne seine eigene Einsicht,<br />

sondern es geschieht auf seine eigene Anregung hin. Und er<br />

sowohl wie alle anderen freuen sich auf den Augenblick, an<br />

dem die Frucht dieser Einsamkeit in <strong>einer</strong> um so erfüllteren<br />

Gemeinsamkeit mit uns allen offenbar werden wird.<br />

1935<br />

Wer Davon spricht, Weggehen zu wollen, dem können wir nur<br />

sagen: Dann gehe. Nur wenn er in wahrer Buße wirklich bereit<br />

ist, ein klares Wort zu sagen, gut, so komme er. Es ist unter uns<br />

gänzliche Freiwilligkeit.<br />

Es kann nicht ein Mann um eines geliebten Mädchens willen,<br />

oder eine Frau um eines geliebten Mannes willen, Eltern um<br />

ihrer Kinder willen oder Kinder um ihrer Eltern willen, oder<br />

Freunde um ihrer Freunde willen, diesen Weg beschreiten. <strong>Die</strong><br />

Freiwilligkeit ist der für Gott und sein Reich frei gewordene<br />

Wille. <strong>Die</strong>se Freiwilligkeit führt zu dem freien Gehorsam,<br />

der aus dem Glauben und aus der göttlichen Liebe entsteht.


Alle Eigensinnigkeit und Eigenmächtigkeit wird aufgegeben.<br />

Deshalb ist jeder bereit, ein offenes Wort anzunehmen und<br />

Gemeindezucht auf sich zu nehmen (Spr.3,11-12). Jeder ist<br />

dazu bereit, Zeiten der Besinnung auf sich zu nehmen, damit<br />

aus unserem Inneren alles hinausgenommen wird, was zum<br />

bösen Geist gehört.<br />

O FFENES W ORT IN DER L IEBE<br />

1933<br />

es giBt kein gesetz als das der Liebe (2.Joh. 5,6). <strong>Die</strong> Liebe ist<br />

die Freude an den anderen. Was ist also der Ärger über sie?<br />

Das Weitergeben der Freude, die das Hiersein der anderen<br />

bringt, bedeutet Worte der Liebe. Deshalb sind Worte<br />

des Ärgers und der Sorge über Glieder der Bruderschaft<br />

ausgeschlossen. Es darf in Sannerz niemals deutlich oder<br />

versteckt gegen einen Bruder oder eine Schwester – gegen<br />

ihre Charaktereigenschaften – geredet werden, unter keinen<br />

Umständen hinter ihrem Rücken. Auch das Reden in der<br />

eigenen Familie bildet hierfür keine Ausnahme.<br />

Ohne das Gebot des Schweigens gibt es keine Treue,<br />

also keine Gemeinschaft. <strong>Die</strong> einzige Möglichkeit ist die<br />

direkte Anrede, der unmittelbare Bruderdienst an dem,<br />

gegen dessen Schwächen etwas in uns aufsteigt. Das offene<br />

Wort direkter Anrede bringt Vertiefung der Freundschaft<br />

und wird nicht übelgenommen. <strong>Die</strong> geeeinsame Aussprache<br />

beider mit einem Dritten, dem man vertrauen kann, dass er<br />

zur Lösung und Einigung im Höchsten und Tiefsten führt,<br />

wird nur dann notwendig, wenn man sich auf direktem<br />

Wege unmittelbar nicht gefunden hat (Matth.18,15 16).


<strong>Die</strong>se Ermahnung hänge sich jeder der Hausgemeinschaft an<br />

seinem Arbeitsplatz auf, wo er sie stets vor Augen hat.<br />

Das erste Gesetz in Sannerz” in: Aufbau u.Ordnungen,1929<br />

Wehe uns, Wenn Wir „richtig“ werden, ohne die Liebe zu haben<br />

(1.Kor.13,1). Wehe uns, wenn wir Richtiges sagen, ohne die<br />

Liebe zu haben. Dann lasst uns lieber schweigen. Das ist besser.<br />

Man darf einem Menschen erst dann die Wahrheit sagen,<br />

wenn der Heilige Geist dem Sprechenden die Gewissheit gibt:<br />

du liebst ihn von ganzem Herzen, deshalb darfst du es ihm<br />

sagen (Eph.4,15). Wehe dem, der seinem Bruder oder s<strong>einer</strong><br />

Schwester die Wahrheit sagen wollte, ohne ihn von Herzen zu<br />

lieben. Er ist ein Totschläger. Denn Wahrheit ohne Liebe tötet,<br />

wie die Liebe ohne Wahrheit lügt.<br />

1933<br />

Jesus Will uns sagen: Wenn ihr wesenhaft lebt, dann seid ihr<br />

wahrhaft in all euren Worten, dann seid ihr knapp und klar<br />

und bestimmt und deutlich und tapfer in all eurer Rede. Dann<br />

werdet ihr euch nicht verbergen, sobald ihr etwas Ungünstiges<br />

über euch selbst wisst, sondern ihr werdet tapfer hervortreten<br />

und das auf euch nehmen, was ihr getan habt. Ihr werdet euch<br />

bekennen zu dem, was ihr seid. In Echtheit und Schlichtheit<br />

werdet ihr euch zu eurer eigenen Schwäche bekennen und zu<br />

<strong>Gottes</strong> Kraft und Wesenheit (1.Kor.13,4 7). Deshalb wird es<br />

euch auch recht sein, wenn ihr selbst in eurer Schwäche offenbar<br />

werdet, denn ihr sucht nicht mehr eure eigene Ehre.


Uns liegt nichts mehr an der eigenen Geltung, vielmehr an<br />

<strong>Gottes</strong> Ehre, an <strong>Gottes</strong> Geltung. Deshalb können wir wahr<br />

sein.<br />

0<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> lieBe sieht in dem anderen den guten Geist und das in-<br />

nere Licht und freut sich an ihm (Röm.12,9 10). Sobald diese<br />

Liebe wieder in uns das Regiment hat, können wir uns wieder<br />

freuen an dem, über den wir uns eben geärgert haben. Wir<br />

werden also in dem Grad diese Schwierigkeiten überwinden<br />

können, in welchem wir in einander die Wirkung des guten<br />

Geistes sehen und anerkennen und uns daran freuen.<br />

Augustinus geht noch weiter und sagt: Wir sollen uns nicht<br />

so sehen, wie unser jetziger Zustand ist, sondern in der Liebe<br />

einander so sehen, wie wir sein werden und sein sollen; wie<br />

wir brauchbar sein werden, wenn <strong>Gottes</strong> Geist uns ganz erfüllt<br />

haben wird (2.Kor.5,16 17): eine prophetische Schau der<br />

Liebe, in der wir einander so sehen, wie aus dem harten Holz<br />

– oder aus dem allzu weichen Holz – das geschnitzt werden<br />

soll, was Gott daraus machen will (1.Kor.13,4 8)<br />

1933


15. DER E INz ELNE IN<br />

DER G E m EINSchA f T<br />

J EDER mENSCH IST EINZIGARTIG<br />

Was Wir alle gesucht haben, ist ein Leben in freiwilliger Brü-<br />

derlichkeit – nicht in Gleichmacherei sondern in Ebenbürtig-<br />

keit – wobei die Menschen sehr verschieden sein können. Je<br />

origineller der einzelne ist, desto lieber ist es uns.<br />

Je verschiedener die Menschen voneinander sind, um so<br />

näher kommen sie sich im Geist. Das ist unser Erlebnis.<br />

Insofern bejahen wir auch das Individuelle ganz und gar,<br />

dass wir jedes Kind, auch jeden Erwachsenen, seinem Wesen<br />

nach als ganz einzigartig ansehen und insofern individuelle<br />

Erziehung treiben.<br />

Aber das, was wir meinen, muss so bis zur letzten Tiefe<br />

verfolgt werden, dass es zur Gemeinde führt. Wenn wir alle in<br />

die Tiefe gehen, werden wir alle eins. Je origineller und echter<br />

wir sind, um so völliger werden wir eins.<br />

1935<br />

Wir Dürfen auf DeM Gebiet des Glaubens und der Liebe nie-<br />

manden überrumpeln, sondern wir müssen mit großer Beständigkeit<br />

auf die Stunde <strong>Gottes</strong> für jeden Menschen warten.<br />

Es muss alles ausreifen für die heilige Sache. Es muss sich alles


so entfalten, wie es Gott zur Entfaltung bringt, und wir dürfen in<br />

diese von Gott gewirkte Entfaltung nicht eigenwillig eingreifen.<br />

Das ist <strong>einer</strong> der schwersten Fehler, der in vielen religiösen<br />

Kreisen gemacht wird, dass sie mit ihrem menschlichen Willen<br />

hineintappen in das innere Werden dessen, was Gott durch<br />

Christus in den Menschen wirkt. Bei uns allen hat es seine<br />

Zeit gedauert, und nicht irgendein Mensch hätte da hineinpfuschen<br />

und dazwischenfahren dürfen. Es musste alles durch<br />

<strong>Gottes</strong> Licht geklärt und durchleuchtet und durch sein Feuer<br />

geläutert werden, bis das innere Wesen reif und fähig wurde,<br />

die Wahrheit Christi, die Liebe <strong>Gottes</strong> und den Frieden seines<br />

Reiches anzunehmen und aufzunehmen.<br />

1934<br />

Der Moralische zWang scheiDet in der Gemeinde völlig aus.<br />

Was ist er? Aller Zwang ist ein Druck, der von einem Menschen<br />

auf den anderen ausgeht. Gott übt keinen Zwang aus.<br />

Es gibt keinen böseren Gegenspieler gegen <strong>Gottes</strong> Wort als<br />

das Menschengesetz. Jesus aber ist deshalb gegen die falsche<br />

Prophetie und gegen ihre Schriftgelehrten aufgetreten, weil<br />

er ihnen den Vorwurf machen musste: Ihr löst <strong>Gottes</strong> Wort<br />

durch Menschengebote auf (Matth.15,6 9). Es gibt keinen böseren<br />

falschen Propheten als den, der seinen eigenen ebenso<br />

menschlichen wie moralistischen Willen anderen Menschen<br />

aufzwingen will. Insofern kann man sagen: Moralischer Zwang<br />

wirkt ähnlich wie physische Gewalt, deren letzte Steigerung<br />

der Mord ist. Unter Umständen kann der Moralzwang verderblicher<br />

sein, als die äußere Gewalt. In s<strong>einer</strong> gefährlichsten<br />

Steigerung vergewaltigt er alles Leben der Seele.<br />

1934


Z um DIENEN BERu FEN<br />

es genügt Jesus nicht, wenn wir ihm einen kl<strong>einer</strong>en oder grö-<br />

ßeren Teil unserer Kraft einräumen. Er will uns ganz haben. Er<br />

ist nicht zufrieden, wenn wir in der Religion nur Herzensruhe<br />

und Seelentrost suchen. Er will vielmehr, dass wir uns ihm<br />

hingeben für den <strong>Die</strong>nst, für die Arbeit! Eine Glaubensstellung,<br />

die sich nicht in den Konsequenzen des Lebens auswirkt,<br />

hat vor ihm keinen Wert.<br />

Er fordert deutlich den völligen Glaubensgehorsam,<br />

der auf sein Wort hin alles wagt. Darum täuschen wir uns<br />

nicht! Unsere Worte und Gebete, unser Kirchengehen und<br />

Versammlungsbesuch, unsere Wohltätigkeit und Humanität<br />

sind nur dann die Äußerung eines Lebens aus Gott, wenn<br />

wir mit entschlossenem Gehorsam unserem Gott ausgeliefert<br />

sind in wahrhaftigem Glauben. Nicht unsere Worte und<br />

Gefühle, sondern die Proben der Tat entscheiden über unseren<br />

Glaubensstand (Matth.7,21).<br />

1907<br />

iMMer WieDer Muss <strong>Die</strong>ses klar erkannt werden: Wir leben<br />

nicht in Gemeinschaft, damit die einzelnen Glieder eine möglichst<br />

hohe Vollkommenheit finden. Wir leben in Gemeinschaft,<br />

weil wir den bestimmten Glauben haben, dass in der<br />

heutigen Zerrissenheit und Ungerechtigkeit und Not der Welt<br />

kein besserer <strong>Die</strong>nst erwiesen werden kann, als der, die völlige<br />

Gemeinschaft zu leben und vorzuleben. Alle Menschen, die<br />

unter der Ungerechtigkeit der heutigen Weltordnung seufzen<br />

und stöhnen, müssen es sehen: Eine völlige Gemeinschaft der<br />

Liebe ist möglich!


Vielleicht sind die einzelnen jetzt und hier nicht berufen,<br />

auch ihrerseits gerade jetzt in völliger Gemeinschaft zu<br />

leben. Vielleicht fühlen sie eine andere, besondere Berufung.<br />

Vielleicht glauben sie, auf einem anderen Weg der Menschheit<br />

in ihrer Arbeit helfen zu müssen. Und auch bei ihnen ist es<br />

vielleicht die Liebe, die sie zu diesem individuellen <strong>Die</strong>nst an<br />

der Menschheit treibt.<br />

1935<br />

Wir glauBen nicht an Menschen, wir glauben nicht an die Güte<br />

von Menschen. Ich glaube nicht an meine Güte und nicht an<br />

deine Güte (Jes.64,6; Röm.3,23). Dass in jedem Menschen<br />

das Gute und das Böse in ungeheurer Gewalt wirkt, das ist die<br />

einzige Basis des Vertrauens.<br />

1932<br />

Wir Denken so leicht, der Treubund besteht nur in unserer<br />

Treue. Das ist falsch. Der Treubund besteht in <strong>Gottes</strong> Treue<br />

(Eph. 2,8).<br />

Der Felsen, auf dem die Gemeinde gegründet werden sollte,<br />

war nicht Petrus selbst, sondern sein Glaube. Jesus sagte ihm:<br />

„<strong>Die</strong> Festigkeit d<strong>einer</strong> Haltung beruhte auf d<strong>einer</strong> eigenen<br />

Zurüstung. Du warst es, der sich fest gemacht hat und sich<br />

gegürtet hat. Jetzt wird es ein anderer sein, der dich fest macht<br />

und deine Lenden gürtet, auch zum Tod gürtet. Folge mir<br />

nach! Gehe meinen Weg!“ (Joh.21,18-19)<br />

1935<br />

Wir könnten nieMals sagen, wir sind stark im Glauben. Das ist<br />

unmöglich. Im Glauben wachsen heißt ja gerade: sich schwach


fühlen (2.Kor.12,9+10), hungern und dürsten nach der Ge-<br />

rechtigkeit <strong>Gottes</strong>, die man nicht hat.<br />

1932<br />

Wir WerDen nur Dann bestehen können und durch diese so<br />

überaus gefährlichen Zeiten weiterhin durchkommen können,<br />

wenn es unter uns geistig wach zugeht, wenn unter uns geistige<br />

Wachheit herrscht, wenn wir alle miteinander so anteilnehmend<br />

und so interessiert sind, dass wir auf das aktivste mitarbeiten,<br />

mitringen, mitverlangen. Wir müssen alle miteinander<br />

teilnehmen an allem Geschehen um uns her, an der geistigen,<br />

politischen, wirtschaftlichen Welt unserer Tage.<br />

Das alles ist nur möglich, wenn unser gemeinschaftliches<br />

Leben immer tiefer verankert wird in geistgewirkter Ordnung.<br />

Dazu muss alles Individuelle, Persönliche, Private mehr<br />

und mehr zurücktreten. Auch das eigene, selbstgewählte<br />

Heiligungsstreben geht in der Sache auf und wird gerade<br />

dadurch neugeboren. Vor allem verschwindet auch völlig das<br />

selbsterniedrigende Vergleichen, das Nichtigkeitsgefühl der<br />

eigenen Person. Es verschwindet der Neid und der begehrliche,<br />

empfindliche Trotz und Stolz der einzelnen; ebenso alle<br />

Gleichgültigkeit und Sattheit, aller Trägheit, Schläfrigkeit,<br />

Teilnahmslosigkeit und Unbeweglichkeit.<br />

DIE BEGABu NG DER EINZELNEN<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> natürliche BegaBung eines Menschen ist zunächst weder<br />

Hindernis noch Förderung der Sache. Zunächst gilt es einfach,<br />

dass wir frei werden, ganz gleich ob wir in unserer Begabung be-


vorzugt oder benachteiligt sind. Wir müssen von dieser ganzen<br />

Fragestellung erlöst werden, so davon erlöst werden, dass es<br />

überhaupt gar keinen Stolz auf die hohe Begabung und kein<br />

Minderwertigkeitsgefühl über die geringe Begabung mehr<br />

gibt, sondern stattdessen eine überschwengliche Freude an der<br />

Begnadigung durch Jesus Christus, die einen, so wie man ist,<br />

angenommen und hineingenommen hat.<br />

1934<br />

Bei Der verschieDensten BegaBung stellt man in der Erlösung<br />

vom Eigenleben alle seine körperlichen Kräfte der Gemeinschaft<br />

zur Verfügung. Alle Geisteskräfte braucht man nunmehr<br />

im <strong>Die</strong>nst der Sache. Jeder soll das geben, was er hat,<br />

und tun, was er kann. Wer viel hat, gebe das viele; wer wenig<br />

hat, gebe alles, was er hat. Und wenn jemand eine noch so geringe<br />

Arbeitskraft hat, er soll alles das tun und leisten, was ihm<br />

gegeben ist. Wer ein großes Vermögen hat oder über große<br />

Kraft verfügt, soll ebenso alles geben, was ihm gegeben ist.<br />

1933<br />

JeDer Mensch sollte Bereit sein, jeden Tag, der ihm körperlich<br />

Gesundheit schenkt, einige Stunden der praktischen Arbeit zu<br />

widmen. Gerade die einseitig Geistigen würden die heilsame<br />

Wirkung solchen Tuns spüren. Und so wird es möglich sein,<br />

die besondere Begabung, die einem jeden Menschen geschenkt<br />

ist – das besondere kleine Licht, das in jedem glimmt – zum<br />

Entfachen zu bringen. Ob dieses Feuer nun in Gaben gelehrter<br />

Forschung oder musikalischer Tonkunst, ob es in Kräften der<br />

Wortgestaltung oder der bildenden Kunst an Holz, in Stein


oder in Farben seine verborgene Glut ahnen lässt; oder ob es<br />

als das Einfachste und Beste, als Liebe zur Natur in Land und<br />

Gartenarbeit seine Kraft beweist: <strong>Die</strong> Arbeit in den Freistunden<br />

wird den Charakter der Lebensfreude eines jeden Menschen<br />

offenbaren. Hier zeigt es sich, wie weit die Bereitschaft<br />

zu helfen, die Freiwilligkeit für das Ganze – die Liebe – sein<br />

ganzes Leben bestimmt. Nur der Tod kennt Beschäftigungslosigkeit<br />

und Langeweile. Wo Leben ist, bleibt der gestaltende<br />

Geisteswille wach und wirkt sich kraft der gegenseitigen Hilfe<br />

als <strong>Die</strong>nst am Ganzen aus. Das ist nicht etwa ein Phantasiebild<br />

<strong>einer</strong> unerreichbaren Zukunft, sondern es ist vielmehr heute<br />

schon stille Wirklichkeit in <strong>einer</strong> werdenden Gemeinde.<br />

WAS IST FREIHEIT?<br />

1921 oder 1922<br />

als <strong>Die</strong> ersten anfänge des Luftverkehrs vorbereitet wurden,<br />

begann man mit dem Fesselballon. Ein gasgefüllter Ballon<br />

hing an einem Stahltau. Menschen hielten ihn unten fest: Das<br />

ist das moralische Gesetz, Menschensatzung und stählerner<br />

Menschenzwang. Da gibt es keinen freien Willen. Das ist die<br />

Gesetzlichkeit, die es in der Gemeinde des Geistes nicht geben<br />

kann.<br />

Dann wagte man es und ließ den gasgefüllten Ballon<br />

ungehemmt aufsteigen. Man überließ ihn den Winden und<br />

Stürmen der freien Luftschichten. Wie ein naiver Mensch<br />

unüberlegt vom freien Willen des Menschen spricht, nannte<br />

man dieses Fahrzeug „Freiballon“. War er wirklich frei? War<br />

seine Gondel frei, wenn sie vom Sturm gefasst aufs Meer


hinausgetrieben wurde, wenn sie die Insassen herauswarf, so<br />

dass sie ertranken, oder wenn sie dieselben über die Wüste<br />

hinaustrieb, so dass sie in ihr scheiterten und in ihrer Hitze<br />

sterben mussten? <strong>Die</strong> vermeintliche Freiheit war nichts als<br />

gefährliche Haltlosigkeit.<br />

Ein junger Mann geht durch die Straßen der Großstadt.<br />

Lichtreklame umgibt ihn. Plakate der Kinos, der Varietes,<br />

Kabaretts und anderer Lokale locken ihn. Frauen rufen<br />

ihn an. Eine aufgeregt marschierende politische Masse ruft<br />

ihn zum Mord auf. Von allen Seiten umgibt ihn ein Sturm<br />

unr<strong>einer</strong> Geister und blutiger Gewalten, Winde der Lüge<br />

und der Täuschung. Ein dunkler Schleier senkt sich über sein<br />

Herz; das wahre Gesicht der Dinge verhüllt sich. Er verfällt<br />

der großen Täuschung verdorbenen, entfesselten Lebens.<br />

Wenn dieser junge Mann mit einem Ruck seines Willens<br />

einem dieser Winde und Stürme folgt, ist er dann frei? Hat er<br />

nach freiem Willen gehandelt? Er wird vielleicht Ja sagen, und<br />

selbst wenn er es später beklagt und bereut, wird er vielleicht<br />

immer noch denken, er hätte getan, was er wollte. Mag es so<br />

sein. Zum Bösen war er wohl frei. Aber zum Guten war er<br />

nicht frei, als er das tat, was er bereuen musste. Wille war es<br />

wohl, aber kein freier Wille. Sein Wille war ebenso geknechtet<br />

und unterworfen, wie der Freiballon der über das Meer oder<br />

über die Wüste dahintreibt.<br />

Was die wahre Freiheit unter der Lenkung des Geistes ist,<br />

soll uns der heutige Zeppelin oder das Flugzeug deuten. Mag<br />

der Wind gehen wie er will, der Flieger fliegt, wie es sein<br />

geistig bestimmter Wille will. Was ihn beseelt und begeistert,<br />

was sein Herz erfüllt, was seine geistigen Pläne sind, will


er mit diesem Flug erreichen. <strong>Die</strong>selbe Situation kennt die<br />

Menscheit seit Jahrtausenden bei dem Schiff, das vom Steuer<br />

aus durch den geistigen Willen gelenkt wird. Wenn Christus<br />

im Schiff ist, wird es durch den Heiligen Geist geführt. Der<br />

<strong>Die</strong>ner am Wort oder der Älteste vertritt ihn am Steuer.<br />

Und wenn sowohl er wie alle anderen im Schiff keine andere<br />

Steuerung wollen, als nur die eine des rechten Geistes, dann<br />

sind sie alle wahrhaft frei.<br />

1934<br />

gottes Wille ist es, sich des kleinsten Menschen anzunehmen,<br />

und er wartet auf die Bereitschaftserklärung des kleinsten und<br />

geringsten Menschen. Er will nicht eingreifen in unser Leben,<br />

wenn wir nicht unsere Bereitschaft erklären. Denn gerade so<br />

wie er die Atome erschaffen hat, so hat er auch den kleinen,<br />

winzigen Menschen als eine winzige Schöpfungswelt geschaffen.<br />

Und an dieser soll das ganze große Schöpferwesen <strong>Gottes</strong> offenbar<br />

werden. Deshalb muss in ihr der freie Wille, die freie Bewegtheit<br />

der Kräfte leben. Gott will nicht, dass da irgend etwas<br />

steifleinenes, hartes, verkalktes, irgend etwas im Stil unbewegtes<br />

sei, sondern er will, dass da freie Herzensbewegung sei.<br />

Und so will er eine innerste Freiwilligkeit des Menschen.<br />

Das gerade ist das Wesen s<strong>einer</strong> Liebe zu uns, dass er unsere<br />

Freiwilligkeit wünscht. Seine Liebe enthielte kein Fünkchen<br />

Achtung vor dem Geheimnis des menschlichen Wesens,<br />

wenn er unsere Freiwilligkeit nicht achten würde. Deshalb<br />

will er das Gebet. Nun ist der menschliche Wille sehr wenig<br />

befestigt. Er ist schwach, denn er ist nicht Gott, er ist Mensch.<br />

Deshalb bedürfen wir der immer erneuten Bereitschaft und


Bereitschaftserklärung. Deshalb bedürfen wir des täglichen<br />

Gebets. Gott will handeln. Er ist bereit. Er will immer<br />

eingreifen. Er will immer Bewegung. Und nun sollen wir<br />

bereit sein und unsere Bereitschaft erklären.<br />

DAS p ERSö NLICHE GEBET<br />

0<br />

1935<br />

Wer sich selBst, sein Heil oder sein Innenleben mit Mühe über<br />

Wasser zu halten sucht, ist mit sich selbst beschäftigt und hat<br />

keine Kraft zum Lieben. Wer aber, vom Tod des abgetrennten<br />

Ichs errettet, an der umfassenden Lebenskraft der <strong>Gottes</strong>einheit<br />

teilhat, wird diese Kraft als allen geltende Liebe seinem<br />

Befreier schenken, damit in dieser Einheit alle, alle befreit werden,<br />

die in Jesus das Wort aufnehmen wollen. Deshalb ist und<br />

bleibt die Liebe zu Jesus – diese heiße persönliche Liebe zu<br />

dem uns aufgeschlossenen Gott – der lebendige Einheitsbeweis<br />

umfassenden Lebens. <strong>Die</strong>se Liebe findet als Herzenssache<br />

persönlicher Beziehung im Anrufen dessen, den man liebt, ihren<br />

lebendigen Ausdruck.<br />

1929<br />

eine herzinnige Bitte haBe ich noch an jeden von euch, an<br />

mich selbst und an jeden, dass wir in dieser Zeit das stille Gebet<br />

in unserer Kammer – und wo wir auch sein mögen – mit tiefer<br />

Inbrunst suchen (Matth.6,6). Des Morgens beim Aufstehen<br />

und des Abends und des Nachts sollte unser erster und letzter<br />

Gedanke am Tag das Herbeirufen des Größten sein, was es im<br />

Himmel und auf Erden gibt, so dass wir durch diese innerste<br />

Einkehr und durch dieses innerste Beugen der Knie unseres


Herzens und das Öffnen der Hände unseres Gemütes in der<br />

Stille der Einsamkeit und der Zweisamkeit unser Bitten hinaufsenden.<br />

Lasst uns darum bitten, dass alles vorbereitet wird, was<br />

in der Adventszeit zu uns kommen soll. Vielleicht ist es das Beste<br />

wie es auf den alten hutterischen Bruderhöfen Brauch ist, dass<br />

jeder an seinem Fenster niederkniet und die Hände erhebt und<br />

ganz still betend sich zu seinem Gott bekennt. So tat es Daniel,<br />

der Prophet, als er niederkniete und sein Gesicht wandte nach<br />

der Richtung, wo die Stadt Jerusalem lag. So wollen wir uns alle<br />

rufend und anbetend vor Gott bekennen und bitten, dass das<br />

himmlische Jerusalem zu uns herabkommt (Hebr.12,22).<br />

1935<br />

Wenn Wir vor gott treten, so wollen und müssen wir ihm<br />

nicht nur sagen, was wir von ihm erbitten, sondern vor allem<br />

müssen wir still werden um zu hören, was er uns sagt. Und er<br />

sagt uns das durch das Wort der Apostel und Propheten, durch<br />

das Wort der Urgemeinde, durch die innere Stimme und das<br />

innere Licht in unseren Herzen. Er sagt es uns mit den Kräften<br />

der zukünftigen Welt und mit der völligen Gerechtigkeit, die<br />

<strong>Gottes</strong> Reich über der Erde ausbreiten wird.<br />

1933<br />

Das Wahrhaftige unD aufrichtige Gebet, das im praktischen<br />

Leben, in Tat und Werk der Bittenden mit dem Willen <strong>Gottes</strong><br />

wirklich eins ist, dringt in die nächste Nähe <strong>Gottes</strong> vor. Es<br />

erreicht sein Herz, das ja nur darauf gewartet hat, dass endlich<br />

dieser ersehnte Menschenwille solche Erklärung des Einverständnisses<br />

mit seinem Willen vorbringen sollte. So antwortet


Gott sofort mit seinem klaren Bescheid: Dein Gebet ist erhört!<br />

(1.Joh.5,14+15)<br />

Er ist und bleibt also seinem Volk erreichbar, so oft es ihn so<br />

anruft, wie er es will. Er ist – in unserer Sprache geredet – ganz,<br />

ganz nahe, wenn die Not uns so bedrängt, dass wir nicht mehr<br />

auf eigene Macht und Menschenhilfe sinnen; er ist nahe, sehr,<br />

sehr nahe, so oft wir ihn wirklich und wahrhaftig nur für die<br />

Ehre seines Namens, einzig und allein um sein, also <strong>Gottes</strong><br />

Eingreifen, um sein Feuer, um seinen Regen, um die Gluten<br />

und Ströme s<strong>einer</strong> Liebeskraft anrufen und bitten.<br />

1929<br />

Jeder hat erlebt, dass Gott immer bereit war zu helfen, zu<br />

retten, zu heilen, aufzurichten, Buße, Glauben und Kraft und<br />

neues Leben zu schenken.<br />

Aber jeder von uns hat auch das Weitere erfahren, dass<br />

Gott dieses alles nicht tut, solange unser Herz halbherzig ist,<br />

solange unsere Seele gespalten ist, solange wir nicht wahrhaft<br />

und wirklich bereit sind, ihn, Gott, schalten und walten zu<br />

lassen wie er will. Wenn unser Wille mit <strong>Gottes</strong> Willen nicht<br />

völlig einig ist, wird Gott uns mit seinem Willen nicht gegen<br />

unseren Willen bezwingen. Denn das ist das Wesen <strong>Gottes</strong>,<br />

dass er niemanden vergewaltigt.<br />

EINSAmkEIT u ND GEm EINSAmkEIT<br />

1935<br />

Jesus suchte <strong>Die</strong> einsaMkeit (Mark.1,35). Er ging auf die Höhe<br />

des Berges, oder er suchte die Stille des Sees. Jesus ging besonders


des Nachts in die Einsamkeit, um dort allein seinem Gott zu<br />

begegnen. Bevor er in seine große Wirksamkeit eintrat, ging er<br />

gar vierzig Tage in die Einsamkeit der Wüste (Luk.4,1+2). Nie<br />

aber ist er in der Einsamkeit geblieben, sondern in der Einsamkeit<br />

empfing er die Kraft, zu den Menschen zurück zu gehen.<br />

So sammelte er seine zwölf Jünger um sich und blieb mit<br />

ihnen im gemeinsamen Leben, in gemeinsamer Bruderschaft.<br />

<strong>Die</strong>ses gemeinsame Leben wurde aber nicht zu dem Zweck<br />

gebildet, damit Jesus nur mit den Zwölfen in gemeinsamer<br />

Einsamkeit zusammen wäre; sondern die Sammlung mit den<br />

Zwölfen trug das Ziel in sich, mit um so größerer Kraft zu<br />

allen Menschen zu gehen.<br />

Gerade so ist es mit dem Auftrag unseres gemeinsamen<br />

Lebens. Gerade in einem Familienverband wie ihn der<br />

Bruderhof bildet, kommt es auf das Geheinmis dieses<br />

Rhythmus an. Und ebenso ist es mit jedem einzelnen Glied<br />

der Gemeinschaft. Auch bei ihm muss es zu diesem rechten<br />

Verhältnis zwischen Einsamkeit und Gemeinsamkeit kommen,<br />

so dass das rechte Verhältnis zwischen dem Begegnen mit Gott<br />

für sich allein und in der ganzen Bruderschaft da ist.<br />

EIN NEu ER p R ü FSTEIN<br />

1935<br />

kann Man sich Wirklich für die Wahrheit nur auf sein eigenes<br />

Herz berufen? Wird nicht jede tiefste Berufung auf das eigene<br />

Herz dahin führen, was die Apostelgeschichte von der Gemeinde<br />

bezeugt, nämlich, dass sie alle, alle einig waren?<br />

Das ist die Grundfrage für uns, auch für die Erkenntnis der<br />

Bibel. Hier liegt ein tiefer Unterschied in der Stellungnahme


vor. Der einzelne fühlt sein Gewissen und seine Inspiration<br />

und seine Erleuchtung, und von dieser s<strong>einer</strong> Erfahrung aus<br />

beurteilt er alle Dinge, also auch die Bibel. Das ist die eine<br />

Position. In der zweiten Position ist diese Stellungnahme auch<br />

mit enthalten. Aber die Hauptsache der zweiten Position ist<br />

der Glaube an den Geist, der alle, die einig sind im Geist – alle,<br />

die einstimmig sind, – in dieselbe Wahrheit und in die Liebe<br />

leitet (1.Kor.1,10). Dann ergibt sich ein ganz neues Kriterium<br />

für die Wahrheit, ein neuer Maßstab der Unterscheidung.<br />

1935


D IE E HE IST HEILIG<br />

16. EhE UND fAm ILIE<br />

<strong>Die</strong> ehe ist ein Sakrament (Mark.17.7 9). Ein Sakrament ist<br />

eine heilige Sache, an welcher die Hauptsache klar wird, um<br />

die es geht, wie bei Abendmahl und Taufe. Unser ganzes Leben<br />

ist ein Sakrament, weil es die Hauptsache erkennen lässt.<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> einheit unD reinheit der Ehe, wie sie Jesus und seine<br />

Apostel gewiesen habaen, ist in ihrer Einzigartigkeit nicht Sache<br />

der alten Natur, sondern vielmehr Sache der <strong>neuen</strong> Gemeindeordnung,<br />

die als brüderliche Gerechtigkeit den Geist<br />

der Liebe über alle Dinge herrschen lässt. Sie ist keine Sache<br />

des alten Menschen. Sie kann nur in der <strong>neuen</strong> Gemeinde<br />

des Geistes Jesu Christi durchgeführt werden. Sie gehört dem<br />

Reich <strong>Gottes</strong> an. Sie ist sein Symbol und Sakrament.<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> ehe ist ein Geheimnis. Dazu sagt Paulus: „Wenn ich von<br />

diesem Ge heimnis spreche, spreche ich von Christus und der<br />

Gemeinde“ (Eph.5,31 32). <strong>Die</strong> Gemeinde ist für Paulus etwas<br />

Verborgenes; sie wirft das Heiligtum nicht den Hunden vor.<br />

Sie gibt sich nicht preis. Sie verkündigt wohl das Evangelium,


was nach außen gehört, aber sie ist verborgen für den großen<br />

Tag. Denn sie ist die eine Gemeinde des einen Bräutigams,<br />

und sie wird aufbewahrt für ihn (Offb.19,7).<br />

So soll jeder Mensch seinen Körper aufbewahren für das<br />

Symbol der Ehe; denn daran soll die Einheit zwischen Christus<br />

und der Gemeinde offenbar werden. In der Ehe zwischen zwei<br />

Menschen soll offenbar werden, dass aus der Geisteseinheit<br />

durch die seelische Schwingung auch in der körperlichen<br />

Einheit das Geheimnis <strong>Gottes</strong> gezeigt wird; dass aus Zweien<br />

eins wird und dass diese Einheit eine schöpferische Kraft der<br />

Geburt hat; dass also an den körperlichen Dingen die ganze<br />

Schöpfung <strong>Gottes</strong> in ihrer zeugenden und gebärenden Kraft<br />

offenbar werden soll.<br />

D IE RICHTIGE G R u NDLAGE<br />

1934<br />

sehr vieles, Was sich Liebe nennt unter den Menschen, ist<br />

nichts als Begierde für sich selbst. Es ist wohl relativ zu begrüßen,<br />

wenn Menschen sagen: „Ich will nicht mehr allein<br />

leben, wir wollen zu zweien egoistisch leben.“ Das nennt Fenelon<br />

„egoisme a deux“ (Egoismus zu zweit). Und weiter muss<br />

man sagen, es ist etwas noch Schöneres, wenn die zwei für<br />

ihre Kinder und Enkelkinder leben. Aber wir sollten uns klar<br />

sein: Das ist zunächst nichts als Kollektivegoismus. Und wenn<br />

man an die Hingabe einzelner an ihr Vaterland denkt, muss<br />

man anerkennen, dass das wieder einen höheren Grad von<br />

Liebe darstellt. Aber sowohl der nationale Kollektivismus wie<br />

der Klassenkommunismus ist zunächst nichts anderes als der<br />

Zusammenschluss vieler egoistischer Bestrebungen zu einem


Kollektivegoismus. Das alles kann man mit Liebe bezeichnen:<br />

Familien , Vaterlands , Solidaritätsliebe.<br />

<strong>Die</strong> Liebe <strong>Gottes</strong> ist mehr. Denn die Gemeinschaft, welche<br />

Gott gegründet hat in Christus, geht nicht aus vom Egoismus<br />

einzelner oder Gruppen. Der Bruderhof lebt nicht um des<br />

Bruderhofes willen. Nicht der Kommunismus an und für<br />

sich, nicht der Kollektivismus an und für sich ist das, was<br />

uns bewegt. Das, worauf es allein ankommt, ist das Herz<br />

<strong>Gottes</strong> – die Einheit aus s<strong>einer</strong> Liebe: <strong>Die</strong>ses Herz <strong>Gottes</strong> ist<br />

geoffenbart in Christus.<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> glauBenseinheit ist Das einzig mögliche Fundament für<br />

das ganze Leben, also auch für die Ehe. Daran ist deutlich zu<br />

sehen: Es geht bei der Ehe nicht um die Ehe als solche, sondern<br />

um die Einheit des Reiches <strong>Gottes</strong> in Christus und in seinem<br />

Heiligen Geist. Es ist wieder das, was Jesus sagt: „Trachtet<br />

am ehesten nach dem Reich <strong>Gottes</strong> und s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit,<br />

so wird sich alles andere von selbst finden“ (Matth.6,33), auch<br />

Heirat oder Nicht Heirat. <strong>Die</strong> Ehe ist nur ein Beispiel des<br />

wirklichen Lebens. Dasselbe gilt für alle anderen Dinge.<br />

1934<br />

eine ehescheiDung oDer trennung, auf Grund derer man eine<br />

andere Ehe schließen könnte, gibt es nicht (Luk.16,18). Hier<br />

ist das, was zusammengegeben ist von dieser Geisteseinheit aus,<br />

für ewig zusammengegeben. Und solange beide am Leben sind,<br />

kann nichts geändert werden (Matth.19,3 6), auch durch die<br />

Untreue des einen Gliedes etwa kann nichts geändert werden,


weil auch das unschuldige Glied keine Freiheit hat, solange das<br />

andere Glied lebt, eine andere Ehe einzugehen. Wegen der<br />

Ewigkeit und Unveränderlichkeit in der Einheit der Gemeinde<br />

muss auch die Ehe eine unauflösliche sein.<br />

1934<br />

es geht uM <strong>Die</strong> Ökonomie <strong>Gottes</strong>, insbesondere um den Haus-<br />

halt s<strong>einer</strong> Jahrhunderte und Jahrtausende umfassenden Gemeinde.<br />

Zu dieser Ökonomie <strong>Gottes</strong> gehört, dass alle unklaren<br />

menschlichen Beziehungen geregelt werden müssen. Schulden<br />

oder Versprechungen, irgendwelche finanzielle Angelegenheiten<br />

– das muss alles geklärt sein. Ebenso muss in Ehesachen<br />

eine vollständige Klarheit geschaffen sein.<br />

mANN u ND F RAu ALS E HEpARTNER<br />

1934<br />

Wenn Man Behauptet, Dass die Liebe nur eine Episode im Leben<br />

des Mannes sei, so kann das nur von äußeren Beziehungen<br />

rein körperlicher Anziehung gelten, die der tieferen Seelengemeinschaft<br />

entbehren und vom Geist weit entfernt sind.<br />

<strong>Die</strong> ebenbürtige Liebe gemeinsamer Geistesinhalte und zusammenklingender<br />

Seelenempfindungen bedeutet wachsende<br />

gegenseitige Förderung. Sie kann niemals aufhören, weil sie<br />

aus dem ewigen Geist entspringt und von körperlichen und<br />

seelischen Zuständen unabhängig ist.<br />

1920<br />

Wir stehen heute in <strong>einer</strong> unendlich schweren Zeit, und viele<br />

Menschen befinden sich in schwerster Not. In <strong>einer</strong> solchen Zeit


einen Ehebund zu schließen, ist ein Entschluss des Glaubens.<br />

Denn Glaube ist Tapferkeit und fürchtet sich nicht. Wir wissen<br />

nicht, was dem einzelnen Menschen in der Zukunft geschehen<br />

wird. Es ist wohl möglich, dass ein großer Teil von uns oder ein<br />

kl<strong>einer</strong> Teil einen gewaltsamen Tod erleiden wird, so auch dass<br />

mancher Ehebund unerwarteterweise auf plötzliche Art auseinandergerissen<br />

wird. Umsomehr freuen wir uns daran, wenn<br />

ein junges Ehepaar zusammengeführt wird und wir feststellen<br />

dürfen: Was auch geschehen mag, sie sind ein Ehepaar. In der<br />

heutigen Weltlage kommt alles darauf an, ob hier und da noch<br />

Lichtpunkte und geistige Wirklichkeiten sind, an denen die<br />

Einheit des <strong>Gottes</strong>friedens und die Brüderlichkeit wahrer Gerechtigkeit<br />

erkannt werden kann.<br />

1935<br />

Wir Müssen gott sehr bitten, dass in allen Ehen unserer Ge-<br />

meinde wirklich die göttliche Ordnung vollständig durchgeführt<br />

werde. <strong>Die</strong> göttliche Ordnung besteht darin, dass es keine<br />

Tyrannen und keine Tyranninnen in der Gemeinde und in der<br />

Ehe in der Gemeinde geben darf. Es ist nicht möglich, dass<br />

die Frau den Mann fortgesetzt kritisiert – dadurch wird der<br />

Mann immer ungeschickter und unbrauchbarer – und ebenso<br />

umgekehrt. Der Mann hat vielmehr die Aufgabe, s<strong>einer</strong> Ehe so<br />

vorzustehen, dass er sie in der Einheit der Familie und völliger<br />

Klarheit leitet (Eph.5,21 28). Wenn man meint, die Frau ist zu<br />

dieser Aufgabe geboren und begabt und der Mann ist von vornherein<br />

so geartet, dass er s<strong>einer</strong> Frau sehr gerne folgen würde,<br />

so ist das ein Irrtum. Es ist nicht so, in k<strong>einer</strong> Familie. Das ist<br />

wirklich gegen die Natur. Das rächt sich in der Gemeinde. Das


nimmt dem Mann jede Möglichkeit, in der Gemeinde einen<br />

<strong>Die</strong>nst zu tun. Das setzt sich ihm auf die Brust und drückt ihm<br />

das Leben ab. Und umgekehrt wäre es dasselbe, wenn der Mann<br />

der Frau ein Tyrann wäre und wenn er, anstatt ihr dienend voranzugehen,<br />

ein wirklicher Herr und ein die Frau versklavender<br />

Gewaltherrscher wäre. Das wäre ebenfalls überaus vernichtend<br />

und zerstörend (Kol.3,19; 1.Petr.3,7).<br />

0<br />

1934<br />

<strong>Die</strong> frau ist zu <strong>einer</strong> Art der Liebe geschaffen, die dem Manne<br />

nicht gegeben ist. Der Mann sucht die Menschen in dem Augenblick<br />

auf, in dem er weiß, dass ein Angriff erfolgen muss,<br />

dass jetzt der Mensch erschüttert, erweckt und herumgeholt<br />

werden muss. <strong>Die</strong> Frau ist ganz anders. Sie liebt gleichmäßig,<br />

treu, beständig. Sie wird den Menschen, die ihr bereits vertraut<br />

sind, eine tiefere, geschwisterlichere, mütterlichere Hilfe<br />

zuteil werden lassen als den Fremden und Neuen, während<br />

der Mann gerade seine Energie auf die Fremden und Neuen<br />

werfen wird.<br />

Freilich wird nicht jeder Mann dieselben Gaben haben wie<br />

ein anderer Mann. Aber für uns ist ja die Arbeit – jede Arbeit<br />

– der Ausdruck der Liebe. Der Mann wird mit hervorragender<br />

Muskelkraft oder mit hervorragenden Gaben des Angriffs<br />

nach außen hin berufen sein. <strong>Die</strong> Gabe der Kampfführung,<br />

der Regierung, der Leitung, der Steuerung des Kampfschiffes<br />

werden dem Mann zugewiesen sein. <strong>Die</strong> Gaben des Mannes<br />

sind nicht wertvoller, wohl aber andersartig.<br />

Auf den Gebieten der Arbeit werden der Frau mehr diejenigen<br />

zufallen, die nicht eine besondere Muskelanstrengung von ihr


erfordern, sondern sie werden mehr mit ihrem liebenden,<br />

treuen, stillen Sinn zusammenhängen. <strong>Die</strong> Aufgabe der Frau<br />

wird eine liebende und mütterliche sein, zur Bewahrung<br />

und Behütung und Reinhaltung des vertrauten Kreises, der<br />

Erziehung und der Umhegung und der Pflege gewidmet.<br />

<strong>Die</strong>se Aufgabe kann sich in verschiedenen Berufen und<br />

verschiedenen Tätigkeiten bewähren: auf geistlichem,<br />

kulturellem oder wirtschaftlichem Gebiet, vielleicht auch auf<br />

einem Gebiet dazwischen. Das wird durchaus verschieden<br />

sein. Aber wenn sie eine echte Frau bleibt, dann wird diese<br />

den vertrauten Kreis pflegende Liebe immer in dem Beruf der<br />

Frau verborgen liegen.<br />

Man wird unter keinen Umständen die Kampfarbeit und<br />

die propagandistische Arbeit eines Menschen, der sich mit<br />

dem Draußen auseinandersetzt, höher einschätzen als die<br />

fürsorgende, innerlich aufbauende Belebung und Vertiefung<br />

der Gemeinde. Hier gibt es überhaupt keine Wertunterschiede,<br />

hier gibt es nur eine Unterscheidung der Berufung.<br />

1934<br />

christus ist Das haupt der Gemeinde in der Klarheit des<br />

Wortes und der Richtung des Weges. Der Älteste der Gemeinde<br />

hat das Wort als diesen Christus zu vertreten. Und eben<br />

dasselbe sollte der Ehemann in der Ehe tun. Deshalb kann<br />

und muss man sagen: Der Mann ist das Haupt des Weibes. Er<br />

ist es nicht an und für sich, sondern in Christus (1.Kor.11,1<br />

u.3). Man darf es also nicht buchstabisch oder gar herrisch nehmen,<br />

sondern man muss es sehr, sehr tief im Geist aufnehmen.<br />

Sonst würde in der Tat etwas Schreckliches daraus. Aber in der


echten Gemeinde, die allein unter der Leitung des Heiligen<br />

Geistes steht, wird es etwas Gottgegebenes sein und werden.<br />

Denn es wird Christus zur Geltung bringen.<br />

1935<br />

es gaB fälle in unserer Geschichte, in welcher <strong>einer</strong> der beiden<br />

Eheteile auf der rechten Glaubensgrundlage der Gemeinde<br />

angehörte. Er lebte, wirkte und arbeitete also inmitten der<br />

Bruderschaft und trug die volle Verantwortung des Bruderseins<br />

oder Geschwisterseins, während der andere Eheteil nicht<br />

zur Gemeinde gehörte, auch nicht in dem Verhältnis zur Gemeinde<br />

stand, welches wir auf unseren Bruderhöfen als Noviziat<br />

bezeichnen. Trotzdem wollten nach den Worten des<br />

Paulus (1.Kor.7,12 16) beide in der Ehe leben. Es wurde dann<br />

so eingerichtet, dass diese Familie gleichsam am Rande des<br />

Bruderhofes wohnte, so dass der eine Eheteil in dem Bruderhof<br />

und der andere Eheteil außerhalb des Bruderhofes lebte. Nach<br />

Paulus ist es das Gegebene, dass dieser Versuch gemacht werden<br />

soll, solange der Eheteil, der nicht der Glaubensgemeinschaft<br />

und dem Gemeindeleben angehört, es gern und freudig duldet,<br />

dass der andere Eheteil sich völlig und ganz für die Gemeinde<br />

und das Reich <strong>Gottes</strong> einsetzt.<br />

E HRFu RCHT VOR DEm LEBEN<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> zerstörung Der tiefsten seelischen Treuebedürfnisse beirrt<br />

das Gewissen zahlloser Zeitgenossen ebensowenig wie die Verhinderung<br />

und Vernichtung kleinster Wesen, die ins Leben<br />

gerufen sein wollen. Seelen warten vergebens darauf, aus der


Ewigkeit gerufen zu werden. Lebendige Menschenseelen warten<br />

vergebens auf den Ruf beständiger Treue. Der Lebenskreis<br />

scheint immer kl<strong>einer</strong> und kl<strong>einer</strong> zu werden, in dem das Gewissen<br />

gegen die Verachtung des schöpferischen Geistes ebenso<br />

klar und bestimmt protestiert wie gegen jede Erniedrigung des<br />

Verlangens nach Einheit, Treue und Beständigkeit.<br />

<strong>Die</strong> besten Sittenlehrer werden unlauter und ungerecht,<br />

wenn sie die Reinigung des Geschlechtslebens in <strong>einer</strong> auf<br />

vorheriger Reinheit aufgebauten und weiterhin unbefleckt<br />

bleibenden Ehe fordern, ohne die realen Grundlagen für die<br />

Erfüllung <strong>einer</strong> so hohen Forderung zu klären. Selbst der<br />

heute tausendfach potenzierte bethlehemitische Kindermord<br />

an dem auf sein Werden wartenden Leben bleibt ohne den<br />

Glauben an das Reich <strong>Gottes</strong> unangreifbar. <strong>Die</strong> vermeintlich<br />

so hohe Kultur unserer Zeit wird ihn auch weiterhin ständig<br />

verüben, solange ihre soziale Unordnung und Ungerechtigkeit<br />

bestehen bleibt. Der Kindermord kann nicht bekämpft<br />

werden, solange man das private und öffentliche Leben stehen<br />

lässt, wie es ist.<br />

Wer das gemeinschaftslose Eigentum und die Lüge der<br />

ungerechten Gesellschaftsschichtung nicht so realistisch<br />

bekämpft, dass er eine andere Lebensform als möglich und<br />

vorhanden nachweist, kann weder Reinheit in der Ehe<br />

noch ein Ende des Kindermordes fordern. Er kann nicht<br />

einmal den sittlich besten Familien den Kinderreichtum<br />

wünschen, der den schöpferischen Kräften der <strong>Gottes</strong>natur<br />

entspricht. <strong>Die</strong> christliche Ehe kann nicht außerhalb des<br />

Lebenszusammenhangs gefordert werden, der „Reich <strong>Gottes</strong>“<br />

und „Gemeinde Jesu Christi“ heißt.<br />

1935


unD in <strong>Die</strong>sen faMilien wünschen wir die Kinder, die Gott<br />

gibt, ohne irgendeine Beschränkung, dass die schöpferische<br />

Kraft <strong>Gottes</strong> hier wirklich als ein größtes Geschenk in der<br />

Kinderzahl angenommen und geehrt wird. Und wir hoffen es<br />

auch weiterhin so zu erleben, dass das Familienleben durch<br />

diese Gemeinschaftlichkeit des Zusammenwirkens sehr stark<br />

und fest gegründet ist.<br />

D IE FA m ILIE I m GE m EINSCHAFTSLEBEN<br />

1933<br />

innerhalB Der geMeinschaft nun entstehen die Familien.<br />

Unsere Sitte in Beziehung auf das Familienleben ist streng und<br />

in klarer Zucht gehalten. Unsere Jugend hält sich von allen<br />

Dingen fern, die eine spätere Ehe verunreinigen könnten. Sie<br />

lebt also in vollkommener Reinheit und Abstinenz, und die<br />

Ehe ist eine Einehe zwischen einem Mann und <strong>einer</strong> Frau.<br />

<strong>Die</strong> Familien leiden keineswegs unter diesem gemeinsamen<br />

Leben, sondern die Freude der Eheleute aneinander und<br />

an ihren Kindern ist in diesem gemeinsamen Wirken und<br />

Schaffen besonders stark und tief. Und das ist der Fall, weil<br />

wir die gesamte Erziehung unter den Geist der Gemeinde und<br />

der Bruderschaft stellen.<br />

1933<br />

Wo <strong>Die</strong> schöpferische, gottgeWirkte Liebe offenbar wird und<br />

sich in gemeinsamer Arbeitsleistung bewährt, muss Kern und<br />

Wurzel des Wesens von Gott sein. Soweit ein Kreis geistlich<br />

wahrhaft lebendig ist, kann es bei ihm zu k<strong>einer</strong> dauernden<br />

Zurückgezogenheit oder Abgeschlossenheit kommen. Das


Leben <strong>einer</strong> Familie oder eines Familienverbandes ist nur dann<br />

gesund und stark, wenn die Glieder der Familie ihre Wirksamkeit<br />

nach außen entfalten und Gemeinschaft auch mit anderen<br />

Menschen suchen. Wie die Familie stets die Urzelle eines<br />

Volkes gewesen ist, wie sie als solche die Pflegestätte konzentrierter<br />

Kraft sein musste, so wird auch von einem jeden in<br />

echtem Geist zusammengeschlossenen Familienverband eine<br />

wirkende Kraft auf die Gesamtheit ausgehen.<br />

D IE L EDIGEN<br />

1920<br />

Wenn Wir nun gefragt werden, wie es mit denen steht, die<br />

niemals das Glück der Zweiheit nach Leib, Seele und Geist<br />

finden können, so stehen wir auch hier vor dem Geheimnis<br />

edelster Berufung der <strong>Gottes</strong>liebe. Es bedarf nur eines Anstoßes<br />

aus der Welt der ewigen Kräfte; und Menschen, die sich in<br />

ihrer enttäuschten oder versagten Begierde tief unglücklich wussten,<br />

dringen zu <strong>einer</strong> Entscheidung hindurch, die sie vollkommen<br />

glücklich macht. Wer sich nach dem ihm verschlossenen Liebesgarten<br />

sehnt und an seinen versperrten Toren rüttelt, kann<br />

dieses Geheimnis nicht gewinnen…<br />

Es gibt eine völlige Befreiung von dem begehrlichen Eros,<br />

wenn der Eros sich in ewiger Treue mit der Agape vermählt.<br />

Wer so dem Sexuellen ein für allemal entrinnen kann, gehört<br />

zu den Glücklichsten unter den Menschen. Sie vermögen<br />

mehr zu lieben als die anderen alle, weil sie alle ihre Zeit<br />

und Kraft frei haben, weil die Agape als <strong>Gottes</strong>liebe alle ihre<br />

Beziehungen zu allen Menschen ausschließlich beherrscht.<br />

In ihnen kann das himmlische Reich ungehemmter auf die


Erde hereinbrechen, weil alle ihre Liebeslinien nur nach der<br />

einen einzigen Richtung verlaufen. Deshalb sprach Jesus von<br />

solchen, die um des Himmelreiches willen verschnitten sind<br />

(Matth.19,12), Paulus von solchen, für die es besser bleibt,<br />

nicht zu heiraten, weil ihre besondere Sendung eine besondere<br />

Ausrüstung erfordert (1.Kor.7).<br />

Wem auch der Weg zu der einen reinen Ehe verschlossen<br />

zu sein scheint, soll sich nicht verbittert dem Leben und der<br />

Liebe entfremden. Er darf sein Bestes nicht ertöten. Niemals<br />

darf er sich <strong>einer</strong> Lust ergeben, die nicht alle Seiten seines<br />

besten Seins – vor allem nicht das Göttliche in ihm – erwecken<br />

und entfalten kann. Er hat vielmehr die höhere Berufung<br />

bekommen, dass alle seine Liebeskräfte von der schenkenden<br />

sonnigen <strong>Gottes</strong>liebe aus belebt und entfacht werden, nimmer<br />

in besitzergreifender Lust sondern auschließlich in der<br />

verschwenderischen Begeisterung hingebender Schenkung.<br />

Hier greift eine Liebe zu vielen und zu allen Platz, die nichts<br />

für sich will, sondern glücklich ist im Verschenken.<br />

„WER IST m EINE m u TTER?<br />

W ER SIND m EINE B R ü DER?“<br />

1920<br />

<strong>Die</strong> letzte erfüllung aller zehn Gebote, zum Beispiel des<br />

Gebotes, Vater und Mutter zu ehren, besteht in der völligen<br />

Liebe der gänzlichen Einheit. Und man kann auch seinen eigenen<br />

Eltern oder Geschwistern oder seinem eigenen Weib oder<br />

Mann oder Kind keinen besseren <strong>Die</strong>nst erweisen als diesen,<br />

dass man den Weg der völligen Einheit und Liebe vorangeht<br />

und alle anderen ebenso auf diesen Weg ruft.


Hier wird oft das Verhalten Jesu zu s<strong>einer</strong> Mutter ins Feld<br />

geführt. Viermal finden wir in den Evangelien Jesus s<strong>einer</strong><br />

Mutter gegenübergestellt. Das eine Mal, als er noch ein Knabe<br />

war (Luk.2,41-51). Als zwölfjähriger Sohn verließ er Vater und<br />

Mutter, um im Hause <strong>Gottes</strong> zu sein und dort die Wahrheit<br />

zu lesen, zu erfragen und zu vertreten. Nachdem er diese<br />

Aufgabe erfüllt hatte, kehrte er zu seinen Eltern zurück, die<br />

ihn in großer Angst gesucht hatten, und war ihnen untertan,<br />

wie es einem Kind dieses Alters zukommt. Hier sehen wir<br />

den ersten Aufbruch des werdenden Erretters der Welt, einen<br />

Aufbruch, der ihn in einen sehr schweren Gegensatz zu seinen<br />

Eltern setzte, so dass die Mutter fragen musste: „Warum hast<br />

du uns das angetan?“ Aber wir sehen zugleich, dass Jesus, der<br />

ein wirkliches Menschenkind war und dem menschlichen<br />

Werden und Reifen eingeordnet war, k<strong>einer</strong>lei Frühreife oder<br />

Altklugheit vertrat, sondern sich vielmehr nach diesem ersten<br />

Aufbruch wieder so in das Elternhaus einfügte, wie es seinem<br />

unreifen Alter entsprach.<br />

<strong>Die</strong> zweite Gegenüberstellung fand bei der Hochzeit zu<br />

Kana statt (Joh.2,1-11). Hier war Jesus eben in die öffentliche<br />

Auswirkung s<strong>einer</strong> Berufung eingetreten. Es war die erste<br />

auffallende Tat, die von ihm aufgezeichnet ist, dass er bei diesem<br />

Einheitsfest auf dem Boden der ersten Schöpfungsordnung<br />

die Herrlichkeit <strong>Gottes</strong> offenbaren wollte und musste. Hier<br />

tritt der Gegensatz zu s<strong>einer</strong> Mutter schon stärker hervor als<br />

bei dem Zwölfjährigen. <strong>Die</strong> Mutter Maria glaubte, noch jetzt<br />

einen bestimmenden Einfluß auf ihn ausüben zu können und<br />

wollte ihm Rat geben, den er befolgen sollte. Ihr wurde die<br />

scharfe Antwort: „Frau, was habe ich mit dir zu tun? Meine


Stunde ist noch nicht gekommen.“ <strong>Die</strong> Stunde konnte<br />

nicht von der Mutter kommen, sondern die Stunde musste<br />

unmittelbar von Gott her kommen. Dann tat er mehr, als<br />

seine Mutter erwartet hatte.<br />

In der dritten Begegnung ist der Gegensatz in bedeutendem<br />

Grade verschärft. Jesus steht vor <strong>einer</strong> Schar von Menschen,<br />

denen er an Leib und Seele die entscheidende Kraft des Reiches<br />

<strong>Gottes</strong> beweist. <strong>Die</strong> Mutter und seine Brüder stehen draußen<br />

an der äußeren Peripherie der Menschenmasse und meinen,<br />

er habe den Verstand verloren. Sie schicken Boten zu ihm, er<br />

soll zu s<strong>einer</strong> Mutter heimkehren, und Jesus sendet ihnen die<br />

Antwort: ““Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Brüder?“<br />

(Matth.12,46-50) Nicht du, Maria, bist meine Mutter; nicht<br />

ihr anderen Söhne der Maria seid meine Brüder, wenn ihr<br />

nicht den Willen <strong>Gottes</strong> tut; sondern das ist meine Mutter:<br />

die Gemeinde derer, die den Willen <strong>Gottes</strong> tun; das sind<br />

meine Brüder, mit denen ich in brüderlicher Einheit stehe,<br />

die den Willen <strong>Gottes</strong> tun.<br />

<strong>Die</strong> vierte Begegnung nun führt alle diese Linien,<br />

die scheinbar durch diese erschütternden Gegensätze<br />

auseinandergesprengt waren, wieder in die letzte Einheit<br />

zusammen. Als Jesus hingerichtet wurde, waren seine Mutter<br />

Maria und sein geliebter jüngster Schüler Johannes bei dem<br />

Galgen, den man das Kreuz nennt, und da sagte er zu s<strong>einer</strong><br />

Mutter wie zu diesem seinem geliebten Schüler, dass sie<br />

einander aufnehmen sollten (Joh.19,25-27). Er vereinigte die<br />

Jüngerschaft, die seinen Willen tat, mit s<strong>einer</strong> Mutter, die nun<br />

auch seinen Willen tun wollte. Und so geschah es, dass seine<br />

Mutter, die sich offenbar weit von ihm entfernt hatte, nun


unter denen war, die vor der Ausgießung des Pfingstgeistes<br />

auf den Heiligen Geist und auf die Anrichtung der völligen<br />

Gemeinschaft warteten. Von nun an stand sie also ganz in<br />

dem Kreis des Glaubens an ihren Sohn (Apg.1,1).<br />

1933


17. ER z IEh UNGSGEm EINSchA f T<br />

Menschlich Betrachtet ist ein Bruderhof eine Erziehungs-<br />

gemeinschaft, aber er ist dies ebenso von der göttlichen Seite<br />

her. Mit dieser Erziehung sind wir nie fertig.<br />

Hier gilt es vor allem, in erwecklichem Sinne das Gemüt<br />

aufzuwecken, dass alles wach wird, rege, angeregt wird für den<br />

Heiligen Geist, für das innerste lebendige Empfinden. Dann<br />

werden es alle lernen, das Große vor das Kleine zu setzen und<br />

in der Hingabe aller Kräfte voranzuschreiten.<br />

0<br />

1932<br />

Das entscheiDenDe ist <strong>Die</strong> Frage: Was wird aus dem Kind,<br />

wenn es ein Mann oder eine Frau sein wird, wenn der Geist<br />

<strong>Gottes</strong> zur Wahrheit der Gemeinde über das Kind kommt?<br />

Wie wird das Kind jetzt erzogen, damit es ein recht tapferer<br />

Glaubenskämpfer und ein tapferer Märtyrer für Christus werden<br />

kann? Wie wird das Kind so erzogen, dass es sofort fühlt, dass<br />

es verschenkt ist an Gott? Es ist nicht nur nicht mehr ein Besitz,<br />

sondern es ist von seinem ersten Atemzug an hingegeben an<br />

die große Sache der Zukunft. Es ist schon hingegeben, bevor<br />

es geboren ist, nachdem es geboren ist und besonders in den<br />

ersten Jahren seines Lebens. Gerade dann kommt es darauf<br />

an, dass die Instinkte so gelenkt werden, dass das Kind nicht


auf Genuss gelenkt wird, sondern dass es von vornherein lernt,<br />

sich selbst zu überwinden und hineinzugeben in die Sache.<br />

1935<br />

Wenn Wir Den rechten <strong>Die</strong>nst an den Kindern tun, können<br />

wir sie nur so formen, wie sie in Gott bereits gedacht sind.<br />

Jedes Kind ist ein Gedanke <strong>Gottes</strong>, und wir sollen das Kind<br />

nicht so formen wollen, wie wir es nach unseren Gedanken<br />

gestaltet haben möchten. Dann wäre es kein rechter <strong>Die</strong>nst.<br />

Sondern wir werden den <strong>Die</strong>nst nur dann tun können, wenn wir<br />

in jedem Kind den Gedanken <strong>Gottes</strong> fassen, den Gott gerade für<br />

dieses Kind von Ewigkeit her gehabt hat und noch hat und<br />

festhalten wird (Ps.139,13-17).<br />

F REIHEIT u ND k INDLICHES W ESEN<br />

1934<br />

echte kinDer WerDen uns das, was sie fühlen, sofort sagen; sie<br />

werden – solange wir sie Kinder sein lassen – sagen, was ihnen<br />

nicht gefällt. Sie werden denen, die ihnen gegenüberstehen,<br />

nicht etwas verschweigen, um es dann hinter dem Rücken anderen<br />

zu sagen. Feiges, ungerades Tun ist unkindlich. Echte<br />

Kinder sind vollkommen aufgeschlossen; stets sind sie bereit,<br />

alles zu offenbaren, was in ihren Herzen ist…<br />

So wird jenes schärfste Wort klar, das Jesus ausgesprochen<br />

hat: „Einem Menschen, der eines dieser kleinen Kinder<br />

verführt“, dass es kein Kind mehr sein kann, „dem wäre es<br />

besser, dass er mit einem Mühlstein um den Hals ertränkt<br />

würde“ Wirklich, ihm wäre es besser, er lebte nicht. „Wehe<br />

dem Menschen, durch den die Verführung kommt! Wenn dich


deine Hand oder dein Fuß verführen will, so haue dein Glied<br />

ab und wirf es von dir! Wenn dich dein Auge zum Bösen reizt,<br />

reiß es heraus und wirf es weg!“ „Nehmt euch in acht, dass ihr<br />

nicht eines dieser Kinder geringschätzt; denn ich sage euch:<br />

ihre Engel haben allezeit bei meinem Vater Zutritt (Matth.<br />

18, 6-10).<br />

Welch seltsames Wort! Wie unendlich tief ist es gesehen,<br />

dass dieses Wort vom Abreißen der Hand oder des Fußes<br />

und von dem Ausreißen des Auges mitten in die Worte von<br />

den Kindern hineingestellt ist! Lieber soll in <strong>einer</strong> Gemeinde<br />

das alles überblickende Auge oder die alles leistende Hand<br />

hinweggetan werden, als dass ein Kind seinen kindlichen<br />

Geist verlöre! Für jeden, der ein Kind verführt, für den wäre<br />

es besser, er lebte nicht.<br />

Das ist Verführung, wenn ein Mensch dazu gebracht wird,<br />

nicht mehr kindlich zu sein. Alles, was das Kindsein beendet,<br />

ist Verführung. Deshalb mahnt uns Jesus: Achtet nichts höher<br />

als das Kind; liebt nichts tiefer als den kindlichen Geist!<br />

Verlangt nach nichts anderem, als dass ihr ebenso werdet<br />

wie die Kinder! Seht euch vor, dass ihr niemals ein Kind<br />

geringschätzt! Ihr schätzt es gering, wenn ihr es zu einem<br />

seelischen, sinnlichen Geschöpf macht, so dass es sich an<br />

Vater und Mutter oder an irgend einen anderen Menschen<br />

klammert. Nicht nur, wenn ihr das Kind zu <strong>einer</strong> „Sünde“<br />

verführt, sondern immer und überhaupt, wenn ihr es aus<br />

s<strong>einer</strong> kindlichen Lage herausbringt, habt ihr es verachtet.<br />

Ihr habt das Kind gering geachtet, ihr habt keine Ehrfurcht<br />

vor dem kindlichen Wesen gehabt, sobald ihr es zu eurem<br />

seelischen Eigentum machen wolltet.


Kinder sind frei! Alle Kinder sind frei! Kinder sind wahrhaft<br />

frei. Niemals dürfen sie zum Eigentum des Vaters oder der<br />

Mutter oder gar eines anderen werden!<br />

1935<br />

JeDes echte kinD Will wagen und kämpfen. Eine vertrauende<br />

Erziehungsgemeinschaft wird deshalb waghalsige Tapferkeit,<br />

auch im Erklettern der Bäume, im Zügeln, Reiten und Putzen<br />

der Pferde und im Bestehen von anderen Gefahren so wenig<br />

als möglich unterbinden. Durch diese Freiheit wird das Kind<br />

am besten geschützt. Nicht die Bewachung durch ängstliche<br />

Erwachsene, sondern vielmehr die erziehliche Führung zur Instinktsicherheit<br />

in jeder Gefahr – letztlich das Vertrauen auf<br />

eine Behütung, die nicht in unserer Macht liegt – ist wirklicher<br />

Schutz.<br />

GuT u ND BöSE IN kINDERN<br />

1927<br />

Das, Was Wir für die Kinder erbitten, ist erstens, dass in dem<br />

unschuldigen Alter, in dem sie Gut und Böse noch nicht unterscheiden<br />

– in diesem Alter der noch nicht völlig für Gut<br />

und Böse erwachten Unschuld – die ganze Atmosphäre von<br />

dem Heiligen Geist der Reinheit und der Liebe erfüllt ist. Das<br />

muss unser Hauptanliegen sein. Sonst sind wir Verbrecher an<br />

den Kindern. Zweitens, dass bei den Kindern, die langsam erwachen<br />

zur Unterscheidung von Gut und Böse und die selbst<br />

zu Willensentschlüssen und eingeprägten Bildern gelangen,<br />

der Geist <strong>Gottes</strong> als der willenserweckende Geist durchbricht,<br />

so dass sie zu einem reinen, klaren, absoluten Willen gelangen.<br />

1933


soBalD Das kinD Mit bewusstem Willen das Böse getan hat, hat<br />

es aufgehört, ein Kind zu sein… Wir Erwachsenen sind nicht<br />

fähig, den Moment zu erkennen, in welchem das noch kleine<br />

Kind zum erstenmal die wirklich bewusste Entscheidung für<br />

eine schlechte Handlungsweise trifft.<br />

<strong>Die</strong>ses Zugeständnis sollte uns von jener falschen Methode<br />

endgültig fernhalten, die das Kind bei schlechten Handlungen<br />

ertappen und strafen will. Das Misstrauen und das Einreden<br />

schlechter Absichten schwächt das Kind, statt es zu stärken.<br />

Das künstliche Bewusstmachen der bösen Triebe kann nicht<br />

der lebendige Weg sein. Ein jeder solcher Versuch verdirbt<br />

das Seelenleben des Kindes. Brutal zwingt es ihm den bösen<br />

Willen auf. <strong>Die</strong>ser moralische Gewaltakt an einem durchaus<br />

ungeeigneten Objekt macht unmoralisch. Kein Mensch hat<br />

das Recht, so zu handeln. <strong>Die</strong> falsche Voraussetzung liegt<br />

in der ausgewachsenen Schlechtigkeit des bösen Willens.<br />

Der Erzieher hat sie, nicht das Kind. Es ist hundert gegen<br />

eins zu setzen, dass das Kind bei weitem nicht so bewusst<br />

das Schlechte getan hat, wie es der an die böse Entscheidung<br />

gewohnte Erwachsene annimmt.<br />

AuTORITä T u ND S ELBSTERZIEu NG<br />

1928<br />

<strong>Die</strong> autoritätsfrage ist <strong>Die</strong> entscheidende Frage der Erzie-<br />

hung. Der Bruderhof verwirft ebenso sehr die allein auf äußere<br />

Gewalt oder Suggestion begründete Autorität, wie die<br />

schwächlich blinde und unklare Autoritätslosigkeit. <strong>Die</strong> Freiheit<br />

des Kindes und <strong>einer</strong> Kindergemeinde kann nicht darin<br />

bestehen, dass das Kind jeder Stimmung seines Gemütes und


jeder Regung s<strong>einer</strong> Gefühle ungehemmt folgen kann. Und<br />

die Autorität der Erzieher kann nicht darin bestehen, dass<br />

die Erzieher ihren eigenen Willen mit Gewalt auf das Kind<br />

einwirken lassen, ohne in dem Kind die rechte Einsicht und<br />

die innerste Entschlussfähigkeit für das Gute anzuregen und<br />

zu wecken. Am allerwenigsten darf ein Erzieher oder eine Erzieherin<br />

aus Gründen der Bequemlichkeit oder des verletzten<br />

Autoritätsstolzes schroff auftreten, um den Willen des Erwachsenen<br />

dem hilflosen Kind aufzupressen. Und doch wäre<br />

es nicht weniger verkehrt und abwegig, wenn Erzieher oder<br />

Erzieherinnen ohne leitende Aktivität darauf warten wollten,<br />

bis in dem Kind und in der Kinderschar von selbst das Gute<br />

über das Böse zur Herrschaft und Leitung käme.<br />

Nein: Erziehung ist notwendig. Sie ist die größte Liebe,<br />

die man dem Kind erweisen kann. Das Kind will geführt<br />

und geleitet, eingeführt und angeleitet werden. Es will aber<br />

nicht vergewaltigt und niedergedrängt werden (Kol.3,20-<br />

21). <strong>Die</strong> wahre Autorität verbindet sich also so mit der<br />

Entfaltung der besten Freiheit im Kinde, dass die Erzieher<br />

das Gute in dem Kind beleben und verstärken und das Kind<br />

selbst zur Entschlusskraft für das Gute führen. Dann wird das<br />

Kind aus seinem Innersten heraus das Schlechte, was in ihm<br />

auch zur Auswirkung drängt, bekämpfen und überwinden.<br />

<strong>Die</strong> Erziehungsgemeinschaft des Bruderhofes bekennt sich<br />

dazu, dass auch hier der größte Lehrer der Menschheit die<br />

entscheidenden Worte gesprochen hat, wenn er sagte: „<strong>Die</strong><br />

Kinder sollen ungehindert zu mir kommen;“ und: „Wenn ihr<br />

nicht so werdet, wie diese Kinder sind, könnt ihr nicht in das<br />

Reich <strong>Gottes</strong> kommen“ (Luk.18,16-17).


Und so war er es, der uns gezeigt hat, dass die Kinder durch<br />

das Vertrauen zu ihrem Wesen und durch die Liebe geführt<br />

werden müssen, und deshalb herzte und küsste er sie.<br />

1932<br />

BestiMMtes, kräftiges auftreten hilft dem Kampf des Kindes<br />

mit sich selbst oft weit mehr, als weiches, allzu geduldiges Eingehen<br />

auf seine Unart…<br />

Jede körperliche Züchtigung erweist sich als Bankrotterklärung<br />

der Erziehung, die nur dann denkbar ist, wenn die<br />

allein erzieherischen geistigen Einflüsse versagt haben. Freilich<br />

wird eine gewisse Anwendung von Gewalt infolge der<br />

Unvollkommenheit der Erzieher nicht immer ganz ausbleiben<br />

können. Aber sie ist durch den Einfluss, den der Geist auf<br />

die Erzieher und auf die Kinder entfaltet, auf das äußerste<br />

Mindestmaß zurückzuführen. In ihrer rohesten Form körperlicher<br />

Züchtigung ist sie für unsere Erziehung zu verwerfen.<br />

1927<br />

sehr Wichtig ist, Dass sowohl in den Familien wie auch im<br />

Kinderhaus keine zu große Weichlichkeit gegen die Launen<br />

der Kinder herrscht. <strong>Die</strong> Kinder müssen lernen, straff zu sein<br />

gegen sich selbst. <strong>Die</strong> Kinder müssen erzogen werden, knapp<br />

und fest Stellung zu nehmen zu allem, was sie getan haben. Sie<br />

dürfen nicht das Gefühl haben, dass ihnen etwas geschieht,<br />

wenn sie angeredet oder getadelt werden. Sie müssen lernen,<br />

zur Sache zu stehen, auch wenn sie blamiert werden, und nicht<br />

halbe Antworten zu geben, die so oder so aufgefasst werden<br />

können. Sie müssen fest und straff und sicher auftreten lernen.<br />

1933


allzu „artige“ kinDer sinD ganz gewiss eine höchst unan-<br />

genehme, weil unnatürliche, erzwungene und erheuchelte<br />

Erscheinung. Aber allzu „ungezogene“ Kinder sind als ehrfurchtslose,<br />

unkindliche, anmaßende und überhebliche Geschöpfe<br />

nicht minder unerfreulich. Dahin gehört auch jede Ich<br />

Betonung in kleinlichem Zank oder in dem Verlangen nach<br />

irgend einem vermeintlich großartigen und doch so törichten<br />

Vorrecht oder Besitz. Auch die chronische Undankbarkeit und<br />

stumpfe Gleichgültigkeit, die „dumme“ Kinder so oft gegen<br />

alles das zur Schau tragen, was ihnen an Gutem und Liebem<br />

zukommt und oft nur mit größten Opfern geleistet werden<br />

kann, gehört zu diesem bösen Übel.<br />

kINDER IN DER GROSSEN E INHEIT<br />

1934<br />

unsere säuglingsstuBe ist ein ungeheures Geschenk <strong>Gottes</strong>.<br />

Der Charakter auch des ersten Kindes <strong>einer</strong> Ehe hat gar nicht<br />

die Gelegenheit, seine eigene Begierde, seine eigene Genusssucht,<br />

seinen eigenen Besitzwillen durchzusetzen, sondern<br />

dieses eine Kind ist gewöhnt, in einem großen Geschwisterkreis<br />

zu sein. Als ich ein Junge von sieben Jahren war, fragte<br />

mein älterer Bruder mich, ob ich schon darüber nachgedacht<br />

hätte, wie gut es sei, dass wir zu Hause fünf Kinder wären. Er<br />

sagte, er wäre in <strong>einer</strong> Familie gewesen, da wäre nur ein Kind<br />

gewesen, das wäre kein Kind, denn es wäre allein aufgewachsen.<br />

Wenn die Kinder in <strong>einer</strong> großen Schar zusammen sind,<br />

sind sie nicht in der Lage, sich durchzusetzen, sondern sie werden<br />

<strong>einer</strong> größeren Einheit eingeordnet. <strong>Die</strong> Kindergemeinde


und Säuglingsstube ist deshalb von so entscheidender Bedeu-<br />

tung, weil dort keines der kleinen Kinder im Mittelpunkt steht.<br />

Kein Kind soll sich auch nur einen Augenblick einbilden, um<br />

dieses Kind drehe sich alles.<br />

1935<br />

es ist <strong>Die</strong>s eine unaussprechlich große Verantwortung, die allen<br />

Gliedern der Gemeinde anvertraut ist und die man in den<br />

wenigen Worten andeuten kann: Ehrfurcht vor dem Heiligen<br />

Geist.<br />

Und wenn das für alle Gebiete der Gemeinde gilt, gilt das<br />

für die Erziehung der Kinder in einem besonders heiligen<br />

Sinne: Ehrfurcht vor dem Vater als dem von Gott gesetzten<br />

Haupt; Ehrfurcht vor der Mutter, die bestimmt ist, Maria und<br />

der Gemeinde ähnlich, Christus darzustellen, wie es der Vater<br />

auch tun soll; Ehrfurcht vor dem Kinde, dem wunderbaren<br />

Geheimnis des Kindseins und Kindwerdens, und Ehrfurcht<br />

vor dem Geist, der zwischen den Eltern und den Kindern lebt;<br />

Ehrfurcht vor der Gemeinde und ihren <strong>Die</strong>nsten, das heißt<br />

Ehrfurcht vor dem Heiligen Geist, der die ganze Gemeinde<br />

erfüllt.<br />

1934<br />

Wie schWierig unD verantWortungsvoll ist die Kinder-<br />

erziehung für uns unfreie Menschen! Nur Weise und Heilige<br />

sind zur Erziehung fähig. Unsere Lippen sind unrein. Unsere<br />

Hingebung ist nicht vorbehaltlos. Unsere Wahrhaftigkeit ist<br />

gebrochen. Unsere Liebe ist nicht völlig. Unsere Güte ist nicht<br />

absichtslos. Wir sind nicht frei von liebewidrigem Eigenwillen<br />

und Eigentum. Wir sind ungerecht.


So ist es das Kind, das uns zum Evangelium führt. <strong>Die</strong><br />

Aufgabe, die wir dem Kind gegenüber haben, zeigt uns, dass<br />

wir zu schlecht sind, um in diesem heiligen Sinn auch nur ein<br />

einziges Kind erziehen zu können. <strong>Die</strong>ses Bewusstsein führt<br />

uns zur Gnade. Mit Kindern kann man ohne die Atmosphäre<br />

der Gnade nicht umgehen. Nur dann kann man Kinder<br />

erziehen, nur dann kann man mit ihnen leben, wenn man<br />

selbst wie ein Kind vor Gott steht.<br />

„Ihr müsst wie die Kinder werden“ (Matth.18,3). Steht wie<br />

die Kinder vor der Gnade! Ihr müsst staunen lernen. In dem<br />

Bewusstsein eurer eigenen Kleinheit staunt über die Größe des<br />

göttlichen Geheimnisses, das in allen Dingen und hinter allen<br />

Dingen verborgen liegt! Nur so werden wir beschenkt werden<br />

können. Nur so werden wir die Anschauung des Geheimnisses<br />

gewinnen, in der wir uns selbst ganz vergessen, weil uns in<br />

ihr die große Sache ganz überwältigt. Nur Menschen mit<br />

Kinderaugen können sich in das hineingeben, worüber sie<br />

staunen!<br />

1928<br />

für <strong>Die</strong> erziehungsarBeit WirD die gleiche Bewertung aller<br />

<strong>Die</strong>nste und Fähigkeiten des Körpers und des Geistes zu <strong>einer</strong><br />

sehr bedeutenden Pflicht. Ob ein Kind vorzugsweise zu körperlicher<br />

Arbeit oder hauptsächlich zu geistiger Betätigung<br />

bestimmt ist, und welche besondere Art von Leistung ihm entspricht,<br />

muss so früh als möglich erkannt werden. Nur wenn<br />

von vornherein und überall der Wahnvorstellung entgegengewirkt<br />

wird, nach der die einen Betätigungen und Berufe höherwertig<br />

als die anderen, ebenso nutzbringend dem Ganzen


hingegebenen Arbeiten sind, wird dem Kind eine freie Kraft-<br />

entfaltung ermöglicht…<br />

Nicht das religiöse Sondergebiet der Dogmatik und der<br />

religiösen Gebräuche wird gelehrt. Von der Tatsache und der<br />

Wirkung des lebendigen <strong>Gottes</strong> aus werden vielmehr alle<br />

Gebiete des Lebens religiös – das heißt geistlich – erfasst…<br />

Hinter allem Religionsgeschichtlichen wie auch zugleich<br />

hinter allem Künstlerischen und Wirtschaftlichen – ja hinter<br />

allem Naturgegebenen und Geschichtlichen – wird vielmehr<br />

im sicher geführten Unterricht der Geist erschaut…<br />

Auf diesem Weg des Unterrichts leuchtet überall Christus<br />

auf. Er kommt dem Kinde als die Erfüllung der einheitlichen<br />

Menschheitsreligion aller Jahrtausende, aller Kulturen und aller<br />

Erdteile nahe. So werden alle religiösen Menschheitstatsachen<br />

neu lebendig. So wird die Bibel erschlossen.<br />

0<br />

1927


18. EINfAchES L E b EN<br />

es War iM Jahr 1899 und den darauffolgenden Jahren, als die<br />

Jugendbewegung an verschiedenen Plätzen Deutschlands zum<br />

Ausbruch kam. Wir waren damals als Jugend kaum den Kinderschuhen<br />

entwachsen. Es drängte uns hinaus aus den verlogenen<br />

Verhältnissen, den Kirchen und Schulverhältnissen. An<br />

verschiedenen Orten war der Kampf um Reinheit und Freiheit<br />

gewiss verschieden ausgeprägt, aber es war doch ein und derselbe<br />

Kampf. Wir sehnten uns nach natürlichem Menschentum,<br />

nach Natur.<br />

<strong>Die</strong> ganze Art der überlieferten Vorrechte und ihres<br />

Zwanges erschien uns als eine Versklavung des wirklichen<br />

Menschentums. Und so trieb es uns aus unseren Kreisen<br />

hinaus auf die Landstraßen, Felder, Wälder und Berge. Wir<br />

flohen die Großstadt so viel wir konnten.<br />

Was suchten wir in der Natur? Es war der Drang zur Freiheit,<br />

Freundschaft, Gemeinschaft. Nicht einzeln zogen wir umher<br />

wie Einsiedler, sondern zusammen. Zusammen suchten wir<br />

freie Luft und Leben.<br />

1922<br />

<strong>Die</strong> JugenD Der nachkriegszeit hatte einen Abscheu vor den<br />

Großstädten als Plätze der Unreinheit für Körper und Seele.<br />

<strong>Die</strong> Städte waren für sie der Sitz des Mammons, der Kälte, der


giftigen Luft. Sie stellten fest, dass hier die Menschen nicht<br />

nach <strong>Gottes</strong> Willen leben. <strong>Die</strong> Familien haben zwei Kinder oder<br />

ein Kind, die meisten sogar gar keine Kinder. <strong>Die</strong> ganze Atmosphäre<br />

der Stadt schien ihnen von Mordluft und Degeneration<br />

geschwängert zu sein. <strong>Die</strong> Städte wandten sich von dem, wie<br />

Gott die Menschen haben will, weit ab. Daher verließen sie die<br />

Städte. Es war nicht ganz das Gleiche wie Rousseaus Philosophie<br />

der Rückkehr zur Natur, aber doch etwas Ähnliches. Der<br />

Wille war da, zu den Stätten zurückzukehren, die der Schöpfung<br />

<strong>Gottes</strong> nahe sind, wo man von neuem fühlen konnte, dass<br />

es <strong>Gottes</strong> eigener, lebendiger Atem ist, den er dem Menschen<br />

einhauchte, und den Pflanzen und Tieren. Sie wollten fort von<br />

dem Gestank und Schmutz und Rauch, und von der Torheit<br />

der menschlichen Werke.<br />

Ihr Geist strebte zurück zur Natur, damit er sich mit dem<br />

dort wirkenden Geist verbinde. Für sie war der auf dem Land<br />

wirkende Geist und der Geist <strong>Gottes</strong> ein und dasselbe. Zuerst<br />

schuf Gott das Land und die Pflanzen und die Tiere, und<br />

dann den Menschen. Sie alle waren eine Einheit. Nun floss in<br />

dieser Bewegung der Jugend alles dies wieder zusammen.<br />

1931<br />

seit Beginn unserer BeWegung – seit den ersten Anfängen unseres<br />

gemeinsamen Lebens – war es uns überaus brennend, dass unser<br />

Leben echt sein möge. Es lag uns alles daran, dass gar nichts<br />

Unnatürliches unter uns aufkommen möge. Es war uns ein<br />

tiefstes Bedürfnis, dass nichts Gezwungenes und Aufgezwungenes<br />

möglich sein möchte. Wir wünschten, schöpfungsnahe<br />

und naturnahe zu leben. Wir hatten das Verlangen, so an Gott,


an den Schöpfer zu glauben – so natürlich seine Schöpfung zu<br />

verstehen – dass wir nicht etwa durch eine religiöse Beeinflussung<br />

aus dem natürlichen, kindlichen Leben der Schöpfung herausgebracht<br />

werden könnten. Es war uns klar, dass ein wirkliches<br />

Gemeindeleben nur möglich ist, wenn es überaus natürlich<br />

zugeht. Es war uns gewiss, dass das gemeinsame Leben verloren<br />

sein muss, sobald es in irgendeine künstliche Frömmelei hineingewiegt<br />

wird; wenn wir eine Sprache annehmen würden,<br />

die zwar nach frommen Worten klingt, die aber nicht bodenständig<br />

gewachsen ist, nicht echt aus dem innersten Herzen<br />

hervorgekommen ist.<br />

Und wie es mit der Sprache ist, ist es mit allen anderen<br />

Dingen. Das war ein Geschenk der Jugendbewegung, die<br />

Begegnung mit der Natur. Es war nicht nur romantisch, dass<br />

wir uns über die Landschaft mit ihren Wiesen, Wäldern und<br />

Bergen und ihren Blumen freuten, sondern es handelte sich um<br />

ein Naturerlebnis, das dem Ursprünglichen, der Schöpfung<br />

naheführte. Und alles, was nicht ganz ursprünglich aus der<br />

innersten Quelle kam, wurde zurückgewiesen.<br />

Das ist meine innigste Bitte, dass unser gemeinsames Leben<br />

ursprünglich aus den Quellgebieten des Herzens kommt, wie<br />

es unseren Gaben, unserer Veranlagung gegeben ist; dass<br />

schließlich jede Frömmelei und Heuchelei ausgeschlossen<br />

bleibt und das Natürliche wächst. Das erbitten wir von Gott,<br />

dass es immer lebendig zugeht in diesem innersten Sinn, so<br />

lebendig, wie es bei den Tieren und Pflanzen zugeht, wie es<br />

bei den Sternen zugeht; so lebendig, wie es bei der Geburt<br />

und bei dem Heranwachsen des Kindes zugeht. So möchte es<br />

in unser aller Leben sein. Daraus ergibt sich die Treue. Und


es ist uns ein weiteres Anliegen, dass es uns gegeben werden<br />

möge, dass wir die Arbeit in der Natur als das Echteste und<br />

Ursprünglichste des Lebens empfinden. Besonders die Arbeit<br />

im Garten und in der Landwirtschaft, die uns die Nahrung<br />

gibt aus der Schöpfung <strong>Gottes</strong>, um entsprechend alle Aufgaben<br />

des Herzens und des Kopfes zu bewältigen.<br />

1935<br />

Wenn Wir aus Der Kirche ausgetreten sind, so ist damit kein<br />

Glaube zerbrochen, sondern eine Haltung zerbrochen, die nicht<br />

aus dem Glauben gegeben war. Dass man das heiligste Wort<br />

des größten und allmächtigsten Wesens nicht gerne nennt, ist<br />

gut. Wir wollen diesen Namen nicht unnütz führen und ihn<br />

so selten wie möglich in den Mund nehmen. Aber dennoch<br />

sind wir berufen, diesen Namen zu bekennen, falls dadurch<br />

nicht die Perlen vor die Säue geworfen werden (Matth.7,6).<br />

1933<br />

nieMals WirD <strong>Die</strong> Menschheit die Sehnsucht nach einem Leben<br />

der Liebe in einem <strong>neuen</strong>, reicheren Paradies aufgeben können.<br />

Freude an der Natur und Arbeit in der Natur, Bewahrung und<br />

Vertiefung des Geisteslebens, schöpferische Liebestätigkeit aus<br />

dem <strong>Gottes</strong>erleben heraus, stehen diesem Sehnen als nächste<br />

Ziele vor Augen.<br />

1919<br />

es gaB Menschen, <strong>Die</strong> sagten: „Ihr seid Naturmenschen; denn<br />

ihr wollt zur Natur zurück!“ Nein, das wollte unsere Bewegung<br />

nicht, sondern sie erkannte immer mehr, wieviel Verdorbenes<br />

die Natur der alten Schöpfung in sich hat (Röm.8,20 22). Sie


wollte nicht die Rückkehr zur alten Natur, deshalb haben wir<br />

auch die Nacktkultur immer abgelehnt. Wir fühlten, dass hinter<br />

der Natur das Göttliche wirkt (Röm.1,20; Ps.19,1 5). Wir<br />

spürten, dass neben den Querwirkungen satanischer und dämonischer<br />

Gewalten in und hinter der Natur der innere Zusammenhang,<br />

der innere Einheitswille <strong>Gottes</strong> in s<strong>einer</strong> Schöpfung<br />

offenbar wird. <strong>Die</strong> Liebe <strong>Gottes</strong> als Einheit wurde offenbar.<br />

Das schöpferische Leben <strong>Gottes</strong> wurde offenbar. Nicht die<br />

Dinge wurden angebetet und nicht die alte Natur, sondern<br />

dieses Geheimnis des schöpferisch wirkenden <strong>Gottes</strong>.<br />

1935<br />

in Der JugenDBeWegung War eine ähnliche Gefahr vorhanden.<br />

Es war dort eine Verehrung des Geschöpfes in der romantischen<br />

Verklärung der Landschaft, auch in der romantischen<br />

Verehrung der menschlichen Schönheit gegeben, die sehr<br />

leicht zu <strong>einer</strong> Anbetung der Natur führen konnte. Deswegen<br />

konnte sie – genau so wie heute der Nationalsozialismus – den<br />

Schöpfer zugunsten des Geschöpfes verwerfen.<br />

1935<br />

<strong>Die</strong> natur ist geMischt. Sie hat Gutes und Böses nebeneinan-<br />

der, Licht und Schatten. <strong>Die</strong> Natur an sich gibt uns nicht das<br />

reine Licht, sondern einen Wechsel zwischen Licht und Finsternis.<br />

<strong>Die</strong> Nachtseite und die Sonnenseite des Lebens wechseln. Es muss<br />

also noch eine andere Offenbarung da sein, als das Buch der<br />

Natur. Das Buch der Natur ist wichtig, aber es genügt nicht.<br />

Wenn ein Mensch noch nicht an Jesus glaubt, kann man ihm<br />

nur raten zu suchen, wo in der Geschichte der Menschheit die<br />

größte Klarheit und Wahrheit <strong>Gottes</strong> offenbart ist. Wir haben


erkannt, dass es in Jesus Christus geschah (Kol.1,15 20). Wir<br />

haben erkannt, dass in ihm nur Licht ist, dass seine Liebe und<br />

sein Wort vollstes Licht gibt. Und dieses Licht ist die Liebe.<br />

Und so haben wir Gott erkannt als die Liebe. Gott ist Liebe.<br />

Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in<br />

ihm (1.Joh.4,16).<br />

1935


f rieD en unD<br />

<strong>Gottes</strong>herrschaft


19. GE wALTLOSIGKEIT UND<br />

wAffENDIENSTVERw EIGERUNG<br />

WAS SAGT DAS E VANGELIum?<br />

„Du sollst nicht töten“, war schon zu den Alten gesagt.<br />

Jesus geht weiter: Hässliche Worte sind vergiftende Dolch-<br />

stiche. Wer seinen Mitmenschen nicht als gleichberechtigt an-<br />

erkennt, ist ein Mörder in den Augen Jesu. Wer in den Krieg<br />

zieht, handelt gegen das Wort: Liebet eure Feinde! (Matth.<br />

5,43 - 48)<br />

1932<br />

Jesus sagt uns Ja, wie er sterben würde: Er musste ausgeliefert<br />

werden in die Hände der Hohen – in die Hände der Frommen<br />

und der Staatsgewalt –, und er musste sich wehrlos diesen Gewalten<br />

ausliefern. Und als seine Jünger sagten: „Dürfen wir<br />

nicht die Gewalten der uns zu Verfügung stehenden Gewaltmächte<br />

herbeirufen? Wir könnten doch Feuer vom Himmel,<br />

wir könnten doch den Blitz aus den Wolken herunterfahren<br />

lassen“, da sagte Jesus: „Wisst ihr nicht, wes Geistes Kinder<br />

ihr seid?“ (Luk.9,54 55) Ihr habt ja den Geist vergessen! Ihr<br />

habt ja den Sinn vergessen, ihr habt ja das Beste vergessen,<br />

wozu ihr gerufen seid! Und selbst wenn ihr vom himmlischen<br />

Feuer und himmlischen Blitz und himmlischen Weltwundern


sprecht: Ihr habt den Geist verlassen, sobald ihr die Gewalt<br />

statt der Liebe fordert.<br />

1931<br />

iM naMen Jesu christi kann man nur sterben, aber nicht töten.<br />

Das ist der letzte Sinn des Evangeliums. Wenn wir wirklich<br />

Christus nachfolgen wollen, dann haben wir so zu leben, wie<br />

er gelebt hat und gestorben ist. Das alles wird uns erst klar<br />

werden, wenn wir das Wort begreifen: „Ihr könnt nicht Gott<br />

und dem Mammon dienen.“<br />

1932<br />

Der theologische unsinn, Der dort zutage trat,[bei einem<br />

Vortrag in der Tübinger Universität] war kaum zu ertragen.<br />

Einmal stand eine sehr fromme Theologiestudentin auf und<br />

sagte: „Jesus hat gesagt: ‚Ich bin nicht gekommen, den Frieden<br />

zu bringen, sondern das Schwert.’“ (Matth.10,34) Worauf ich<br />

antwortete: „Ich bin sehr erstaunt, dieses Wort in diesem Zusammenhang<br />

zu hören, und begreife gar nicht, was Sie damit<br />

sagen wollen. Es ist doch hier von dem Verhältnis der Schwiegertochter,<br />

die den Weg Jesu geht, zu ihrer Schwiegermutter, die<br />

ihn nicht geht, die Rede. Glauben Sie etwa, Jesus wollte, dass die<br />

Schwiegertochter die Schwiegermutter totschlagen sollte?“<br />

1933<br />

Wer in Der geistesklarheit Jesu berufen ist, der kann keine<br />

blutige Gewalt zum Schutz anrufen. Jesus hatte alle Vorrechte<br />

und alle Gewaltschutzmaßnahmen verlassen und war auf dem<br />

niedrigsten Pfad gegangen (1.Petr.2,21-23). Und dazu ruft<br />

uns Jesus auf. Ihm sollt ihr nachfolgen. In nichts anders, in


nichts abweichend, gerade so wie er gegangen ist, müsst ihr<br />

gehen. Meint ihr nun, dass ihr in so entscheidenden Dingen,<br />

wie Eigentum und Gewalt, anders gehen könnt als Jesus, und<br />

doch beanspruchen könnt, seine Jünger zu sein?<br />

L IEBET E u RE F EINDE!<br />

00<br />

1931<br />

[anlässlich eines rauBüBerfalls auf zwei Brüder, denen die<br />

Wochenlöhne für angestellte Arbeiter gewaltsam abgenommen<br />

worden waren:]<br />

Es gibt zwei Extreme, in denen wir von der Sache hätten<br />

abweichen können. Das eine wäre dieses: Wir würden uns<br />

entweder bei dem Vorfall selbst mit Gewalt mit einem Knüppel<br />

zur Wehr gesetzt haben, oder wir würden nach dem Vorfall<br />

die Gendarmen oder die Staatsgewalt holen und ihnen die<br />

Gewalt übergeben. Das andere Extrem wäre die Meinung, dass<br />

man die Täter vor dem Zugriff der Behörden schützen müsse;<br />

dann würde man sich auf die Seite der Untat stellen. Statt dessen<br />

ist eine öffentliche Versammlung im Beisein der betroffenen<br />

Maurer und Arbeiter abgehalten worden, so dass wir uns nicht<br />

der Begünstigung dieser Untat schuldig gemacht haben.<br />

Wir müssen unseren scharfen Protest gegen diesen<br />

Raubüberfall erheben. Es ist die Aufgabe der Gemeinde <strong>Gottes</strong>,<br />

einen öffentlichen Protest gegen alle Ungerechtigkeit zu erheben.<br />

Es muss an einem solchen Beispiel das Evangelium vom Reich<br />

verkündigt werden. Es muss die Gerechtigkeit der Gemeinde<br />

und ihrer Brüderlichkeit, die Liebe zum Feind bezeugt werden.<br />

1931


kriege Müssen iMMer Durch Lügen angestachelt und aufge-<br />

bauscht werden, so dass ein Volk im anderen so wenig Gutes<br />

wie nur irgend möglich sieht. Jesus konnte dieser Täuschung<br />

niemals anheimfallen, sondern er sah in jedem Menschen das<br />

Bild <strong>Gottes</strong>, wenn auch unvollkommen und zum Teil sehr entstellt,<br />

so doch ein wirkliches Bild <strong>Gottes</strong> in jedem Menschen<br />

(1.Mos.1,27).<br />

0<br />

1932<br />

Wie haBen Wir <strong>Die</strong>sen Kampf zu führen? Wir haben ihn einzig<br />

und allein im Geist des kommenden Reiches zu führen. Wir<br />

haben diesen Kampf in der Liebe zu führen. Wir haben keine<br />

andere Waffe als die Waffe der Liebe. Und ob wir es mit einem<br />

Landjäger zu tun haben oder mit einem Arbeitsdienstler, mit<br />

einem Landrat, mit einem Hessen Prinzen, mit einem Parteiführer<br />

oder mit einem Reichspräsidenten – das macht keinen<br />

Unterschied. Wir haben sie zu lieben. Und nur wenn wir sie<br />

recht lieben werden, werden wir das Zeugnis der Wahrheit ihnen<br />

nahebringen können. Dazu sind wir da.<br />

1933<br />

es WurDe uns eine lebendige Tatsache, dass es zwei Arten der<br />

Beziehung von Menschen zueinander gibt, die beide unser<br />

Herz auf das Stärkste bewegen. <strong>Die</strong> eine Art der Beziehung<br />

ist die der Freundschaft, in der unsere Mitmenschen unseren<br />

Herzen nahestehen und uns Regungen entgegenbringen, die<br />

den tiefsten und heiligsten Gefühlen unseres Wesens und unserer<br />

Berufung verwandt sind. <strong>Die</strong> andere Art der Beziehung ist die der<br />

Feindschaft, die unsere Herzen nicht weniger auf das Tiefste


aufrührt und bewegt: Sachliche Gegner und persönliche Feinde<br />

sind es, die die <strong>Fundamente</strong> unseres Lebens erschüttern und in<br />

stärkste Bewegung bringen, die das Heiligste unseres Lebens in<br />

s<strong>einer</strong> allerheiligsten Aufgabe aufwühlen und herausfordern!<br />

0<br />

1935<br />

alle feinDe sinD ein Gegenstand der Liebe <strong>Gottes</strong> – der Name<br />

macht keinen Unterschied – und wir haben kein Recht, sie<br />

endgültig abzuurteilen. Wohl müssen wir ihre Taten verwerfen,<br />

die wir kennen gelernt haben, aber dennoch bleiben sie die<br />

Feinde, die wir aufrichtig lieben.<br />

1935<br />

Wie viel haBen Wir unseren Feinden zu danken! Wir lernten<br />

begreifen, dass es bei Jesus Christus nicht etwa ein übersteigertes<br />

Wort oder eine übertriebene Forderung war, wenn er sagte:<br />

„Liebet eure Feinde!“ Wir haben begriffen, dass das Geisteswort:<br />

„Liebe!“ für Freund und Feind in gleicher Kraft gilt.<br />

Beide Arten der Begegnung ergreifen unsere Herzen auf das<br />

Tiefste! Was aber das Herz eines Menschen bewegt, der von dem<br />

Geist Jesu Christi ergriffen ist, kann nur die eine Resonanz hervorrufen,<br />

nur das eine Echo zurückbringen: die Antwort der<br />

Liebe.<br />

1935<br />

Wir stehen in <strong>einer</strong> Zeit, in der wir uns von Feinden des christ-<br />

lichen Glaubens umgeben wissen. In solcher Zeit werden wir<br />

das Sakrament der Vergebung in besonderer Weise brauchen. Es<br />

liegt in solcher Zeit daran, dass das Sakrament der Vergebung<br />

auf das stärkste in Erscheinung tritt, denn dieser wütende Hass


fordert bei uns das Gegenteil auf den Plan: Auch gerade unsere<br />

Feinde müssen wir in besonderer Weise lieben in dem Sinne,<br />

dass wir für sie einen Glauben und ein Verständnis einsetzen,<br />

dass trotz ihrer Verblendung ein göttlicher Funke in ihnen ist,<br />

der entfacht werden muss.<br />

Aber es muss unser Anliegen sein, dass unsere Liebe auch<br />

zu unseren Feinden einen solchen Ausdruck findet, dass wir<br />

ihr Herz erreichen. Denn darin besteht die Liebe. Und wenn<br />

man das Herz erreicht, dann wird man auch den verborgenen<br />

Funken <strong>Gottes</strong> finden, auch wenn unser Feind der größte<br />

Verbrecher wäre. Also in diesem Sinne muss die Vergebung<br />

und Beseitigung auch unseren Feinden gegenüber in Kraft<br />

treten, wie Jesus für die Soldaten, die ihn ans Kreuz gehängt<br />

haben, gebeten hat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen<br />

nicht, was sie tun“ (Luk.23,34).<br />

D AS S CHWERT DES G EISTES<br />

ODER DAS S CHWERT DES Z ORNES<br />

0<br />

1935<br />

in Der geMeinDe giBt es ein Schwert des Heiligen Geistes.<br />

<strong>Die</strong>ses Schwert des Heiligen Geistes ist in jeder Beziehung<br />

völlig verschieden von dem Schwert der Obrigkeit des Staates<br />

(Eph.6,17). Gott hat das weltliche Schwert den Heiden übergeben<br />

(Röm.13,4). <strong>Die</strong> Gemeinde soll mit dem Schwert des<br />

Zornes <strong>Gottes</strong> nichts zu tun haben. <strong>Die</strong> Gemeinde soll allein<br />

durch den einigen Geist Christi regiert und geführt werden.<br />

Gott hat seinen Heiligen Geist von den Heiden zurückgezogen,<br />

weil sie ihm nicht gehorchen wollten. So hat er ihnen dafür


das Schwert des Zornes gegeben: die weltliche Regierung, das<br />

weltliche Schwert des Militärs. Er selbst aber, Christus, ist der<br />

König des Geistes. Er hat <strong>Die</strong>ner des Geistes, und diese dürfen<br />

kein anderes Schwert führen, als das Schwert des Geistes.<br />

0<br />

1930<br />

Wir können nicht zu den Landjägern oder zur Reichswehr ge-<br />

hen und sagen: Legt eure Waffen nieder und geht jetzt den<br />

Weg der Liebe und der Nachfolge Christi! Wir sind gar nicht<br />

dazu berechtigt. Berechtigt sind wir erst dann dazu, wenn wir<br />

durch den Geist das lebendige Wort im innersten Herzen eingesprochen<br />

bekommen: <strong>Die</strong>ser Mann steht jetzt in dem entscheidenden<br />

Augenblick, in dem ihm das gesagt werden muss.<br />

Dann werden wir es ihm sagen. Dann wird es ihm Gott im<br />

selben Augenblick auch sagen. Wir dürfen aber nichts sagen,<br />

außer was Gott im selben Augenblick zu dem Herzen des Angeredeten<br />

sagt.<br />

Und wenn wir die Dinge so fassen, dann wird uns klar<br />

werden, dass wir nicht mit jedermann in jedem Augenblick<br />

das tiefste Gespräch führen können. Denn der Glaube ist nicht<br />

jedermanns Ding und nicht in jedem Augenblick jedermanns<br />

Ding. Es muss die Stunde <strong>Gottes</strong> abgewartet werden.<br />

1933<br />

in Der reforMationszeit War es die Bewegung unserer Brüder<br />

(die man die hutterischen nennt), die mit Tausenden und<br />

Abertausenden aus tiefstem Herzen gegen jedes Blutvergießen<br />

protestierten; eine Bewegung, die damals von ganz besonderer<br />

Bedeutung war, weil die Barbarei in Bezug auf das Blutvergießen<br />

himmelschreiende Formen angenommen hatte, die


erst jetzt wieder modern geworden sind. <strong>Die</strong>se gewaltige Be-<br />

wegung der Brüder war überaus realistisch. Denn sie haben<br />

niemals geglaubt, es käme jetzt ein Weltfriede, eine allgemeine<br />

linde Frühlingsluft; sondern im Gegenteil, sie glaubten, dass<br />

der Tag des Gerichts nahe bevorstünde. Und sie erwarteten<br />

vom Bauernkrieg eine gewaltige Tatsache, die von Gott dazu<br />

bestimmt wäre, die Obrigkeit zu warnen.<br />

<strong>Die</strong>ser Realismus, der deutlich sah, dass die Welt das Schwert<br />

immer gebrauchen wird, verband sich mit der Festigkeit und<br />

Klarheit, dass Jesus niemals ein Henker sein kann. Er, der am<br />

Kreuz gehenkt wurde, kann niemanden henken. Er, dessen<br />

Leichnam durchbohrt wurde, kann niemanden durchbohren<br />

oder zerschinden. Er tötet niemanden; er wird getötet.<br />

Er kreuzigt niemanden; er wird gekreuzigt. <strong>Die</strong> Liebe Jesu<br />

bezeichneten die Brüder als die Liebe des Hingerichteten zu<br />

seinen Mördern, der aber niemals selbst ein Mörder oder<br />

Henker werden kann.<br />

G ENü GT pAZIFISmuS ?<br />

0<br />

1935<br />

ich glauBe, Dass Wirklich viel Gutes gesagt und getan wird<br />

für den Frieden und die Vereinigung der Nationen. Aber ich<br />

denke, dass das noch nicht des Guten genug ist. Wenn ihr<br />

euch gedrängt fühlt, einen schweren europäischen Krieg zu<br />

verhindern oder hinauszuschieben, so ist das eine große Freude.<br />

Aber es erfüllt uns mit Sorge, ob es euch möglich sein wird,<br />

den Krieg zu bekämpfen, wie er jetzt schon besteht!


Ist es kein Krieg, wenn im Hitler Deutschland bis zum<br />

30. Juni 1934 über 1000 Menschen ohne alles Recht getötet<br />

worden sind?<br />

Ist es kein Krieg, wenn Hunderttausende von Menschen<br />

in den Konzentrationslagern ihrer Freiheit beraubt und ihrer<br />

Menschenwürde entkleidet werden?<br />

Ist es kein Krieg, wenn Hunderttausende nach Sibirien<br />

gebracht werden und beim Holzfällen erfrieren?<br />

Ist das kein Krieg, wenn in China und Russland Millionen<br />

Hungers sterben, während in Argentinien und anderswo<br />

Millionen Tonnen von Weizen aufgestapelt werden?<br />

Ist es kein Krieg, wenn in der Prostitution Tausende von<br />

Frauen ruiniert werden, für Geld?<br />

Ist es kein Krieg, wenn jährlich Millionen von Kindern im<br />

Mutterleib getötet werden, ehe sie geboren sind?<br />

Ist ein kein Krieg, wenn Menschen zur Sklavenarbeit<br />

gezwungen werden, wenn sie kaum ihre Kinder mit Milch<br />

und Brot ernähren können?<br />

Ist es kein Krieg, wenn vermögende Klassen in Villen und<br />

Parkhäusern wohnen, während Familien in anderen Vierteln<br />

keine Möglichkeit haben, auch nur einen Raum für sich zu<br />

haben?<br />

Ist es kein Krieg, wenn die einen sich das Recht nehmen,<br />

hunderttausend Pfund Sterling aufzubewahren, während andere<br />

sich kaum einen Penny verdienen können für das Allernötigste?<br />

Ist es kein Krieg, wenn durch Autos, die in einem<br />

Tempo fahren, das ihren Besitzern angenehm ist, jedes Jahr<br />

sechzigtausend Menschen in den Vereinigten Staaten getötet<br />

werden?<br />

0<br />

1934


Wir vertreten nicht DenJenigen Pazifismus, der glaubt, von<br />

heute ab gibt es keinen Krieg mehr. <strong>Die</strong>se Behauptung ist nicht<br />

richtig, denn es ist Krieg bis heute. Wir vertreten auch nicht<br />

den Pazifismus, der glaubt, die besseren Völker hätten solchen<br />

Einfluss auf die schlechteren, dass der Krieg abgeschafft würde.<br />

Wir vertreten auch nicht den Völkerbund und die Völkerbundarmee,<br />

die die ungezogenen Völker in Schach halten soll.<br />

Wir vertreten auch nicht denjenigen Pazifismus, der die Wurzel<br />

des Krieges, das Eigentum, beibehält und den Kapitalismus<br />

beibehalten will und sich einbildet, in der Ungerechtigkeit<br />

Frieden stiften zu können. Wir vertreten auch nicht den Pazifismus,<br />

der durch Rechtsverträge Frieden stiften will, während<br />

die Völker sich gegenseitig bekriegen. Wir glauben nicht an<br />

den Pazifismus, welcher auf dem Wege der Konkurrenz den<br />

anderen Geschäftsmann niederzuringen versucht. Wir glauben<br />

auch nicht an denjenigen Pazifismus, deren Vertreter nicht<br />

einmal imstande sind, mit ihren eigenen Ehefrauen in Frieden<br />

und Liebe zu leben. Wir glauben an keinen egoistischen Pazifismus.<br />

Wir glauben an keinen Nützlichkeitspazifismus, der<br />

den Vorteil des Volkes oder des Geschäftes verfolgt.<br />

Weil wir an so viele Pazifismen nicht glauben, ist es besser, wir<br />

brauchen den Ausdruck Pazifismus überhaupt nicht. Aber wir<br />

sind Freunde des Friedens und wollen den Frieden bewirken.<br />

Jesus sagt: „Selig sind die Friedenswirker!“ (Matth.5,9) Wenn<br />

wir aber wirklich den Frieden wollen, müssen wir ihn auf allen<br />

Gebieten vertreten. Wir dürfen also nichts tun, was der Liebe<br />

widerspricht. Dann können wir aber keinen Menschen töten.<br />

Wir können keinen Menschen geschäftlich schädigen. Wir<br />

0


können nicht unsere Hand dazu bieten, dass der Handarbeiter<br />

schlechter lebt als der Gelehrte.<br />

0<br />

1934<br />

Wir finDen Bei Jesus kein einziges Wort, das einen theoretischen<br />

Nützlichkeitspazifismus befürwortet. Wir finden aber bei Jesus<br />

den tiefsten Sinn dafür, dass wir in völliger Wehrlosigkeit<br />

zu bleiben haben, und dass wir unseren Mitmenschen weder<br />

an Leib noch Seele verletzen oder schädigen dürfen. Woher<br />

kommt denn diese tief innere Willensrichtung Jesu Christi?<br />

<strong>Die</strong> Ursache liegt darin, dass Jesus in jedem Menschen etwas<br />

von dem Brudersein sieht, etwas von dem inneren Licht der<br />

Wahrheit, von dem inneren Licht <strong>Gottes</strong>, und von seinem<br />

Geist (1.Joh. 2,10). Da gibt es Menschen, die missverstehen<br />

Jesus völlig und meinen, es sei das bei ihm eine Weichlichkeit,<br />

eine ans weibliche Element anknüpfende Richtung gewesen.<br />

Dass das nicht wahr ist, beweisen alle seine Worte, in denen<br />

er erklärt, dass wir auf seinem Weg in den schärfsten Kampf<br />

hineingeführt werden, der uns nicht nur im geistigen Leben in<br />

die schwersten Situationen führt, sondern der uns auch leiblich<br />

in den Tod bringen muss. Das beweist sein eigener Tod,<br />

und das beweist seine gesamte Haltung – seine Sicherheit und<br />

seine Furchtlosigkeit – in der er den Gewalten des Mordes und<br />

der Unwahrhaftigkeit entgegengetreten ist (Luk.22,42 u.44).<br />

1932<br />

L IEBER uNRECHT ERLEIDEN ALS uNRECHT T u N<br />

paulus sagt: „esst, Was euch vorgesetzt wird, ohne nach dem Ur-<br />

sprung zu fragen, auch wenn es mit den hässlichen Gebräuchen


des Götzendienstes verknüpft war. Wenn ihr nur nicht aktiv<br />

beteiligt wart an dem Götzendienst“ (1.Kor.10,25 31). Das ist<br />

eine ganz einzigartige Auffassung der Dinge. Es wird bei Jesus nur<br />

die Tat gefordert, die vollständige Umstellung der Betätigung<br />

des Menschen.<br />

Es wäre nicht denkbar, dass Jesus im Gefängnis einen<br />

Hungerstreik üben würde. Das passt nicht zu Jesus. Wenn<br />

jemand ins Gefängnis geworfen wird, und die militärische<br />

Macht gibt dem Gefangenen täglich Essen, so nimmt man<br />

dieses kindlich an. Dagegen, wenn nun die militärische Macht<br />

einen <strong>Die</strong>nst innerhalb dieses Gefängnisses, eine Arbeit<br />

fordert, die für das Militär direkt oder indirekt dienstbar ist,<br />

dann tut man diese Arbeit nicht.<br />

Es ist also hier eine ganz klare Scheidung des Lebens. Man<br />

könnte es auch so ausdrücken: Erleide das Unrecht, aber tue<br />

das Unrecht nicht. Und wenn du nun hineinverwickelt bist<br />

in das Erleiden des Unrechts, dann ist es deine Aufgabe, bis<br />

zuletzt gegen das Unrecht zu wirken, wie Jesus es getan hat<br />

mit s<strong>einer</strong> Bitte: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie<br />

tun.“<br />

0<br />

1933<br />

natürlich: Der geWaltigste feinD des Lebens ist der Tod.<br />

Deshalb sind wir gegen die Tötung von Menschen. Wir wissen,<br />

dass es an und für sich wenig Bedeutung hat, ob <strong>einer</strong> heute stirbt<br />

oder nach 30 Jahren, vorausgesetzt, dass er innerlich gereift ist für<br />

die Ewigkeit. Aber wir wissen, der Tod ist etwas so Gewaltiges<br />

– etwas Hinwegfegendes und Hinwegräumendes – dass wir<br />

allein Gott die Gewalt über Tod und Leben einräumen wollen


(Röm.12,19). Wir selbst wollen uns nicht anmaßen, das Leben<br />

eines Menschen abzukürzen. Wir wollen nicht freveln an dem<br />

von Gott geschaffenen Leben. Und wenn wir glauben, dass der<br />

Tod der letzte Feind ist, und dass Christus diesen Feind überwunden<br />

hat, so werden wir dem Tod nicht die Hand bieten,<br />

ihm zu dienen, damit Menschen getötet werden.<br />

0<br />

1933


20. EINSTELLUNG z UR R EGIERUNG<br />

R ESp E k T VOR DER R EGIERu NG<br />

Wir sinD Mit DeM Staat und dem rechtlichen Bemühen des<br />

Staates durchaus einverstanden, soweit sich der Staat gegen die<br />

Sünde und das Verbrechen auf den Gebieten der Lüge, der<br />

Unreinheit, des Mordens und der Geldgier wendet. Und wir<br />

freuen uns, mit dem Staat gemeinsam zu arbeiten, soweit der<br />

Staat im Gegensatz zu diesen hässlichen Dingen etwas Gutes zu<br />

tun sucht. Denn wir erkennen den Staat als eine Obrigkeit an,<br />

die von Gott gegeben ist, soweit sie in den von Gott gegebenen<br />

Grenzen das Gute sucht und das Böse bekämpft (1.Petr. 2,13<br />

17).<br />

1932<br />

Jesus Will sagen: BeWeist eure Liebe auch der Obrigkeit ge-<br />

genüber! Rächt euch nicht, sondern begegnet ihr mit der Liebe!<br />

Im übrigen betet für die Obrigkeit (1.Tim.2,1 2). Sie ist<br />

etwas ganz anderes als der Leib Christi; aber sie ist in ihrer Art<br />

auch <strong>Die</strong>nerin <strong>Gottes</strong> auf einem ganz anderen Terrain. Sie ist<br />

notwendig, weil das Verbrechen ohne sie gar nicht gebändigt<br />

werden könnte. Deshalb erkennt ihr sie an, aber ihr seid selbst<br />

nicht Obrigkeit. Ihr selbst dagegen seid Glieder an Christus,<br />

und Christus hat es gerade abgelehnt, dass er Obrigkeit werden


sollte. Als sie ihn zum König machen wollten, ist er davon-<br />

gelaufen (Joh.6,15). Und als der Versucher zu ihm kam und<br />

sagte: „Hier, ich will dir alle Reiche der Welt geben“, hat er es<br />

abgelehnt (Matth.4, 8 10). Aber er war ehrfurchtsvoll gegen<br />

die Obrigkeit.<br />

D IE R EGIERu NG muSS kOmpROm ISSE<br />

SCHLIESSEN<br />

1935<br />

Der staat kann nicht ohne Gewalt leben. Man kann sich<br />

keinen Staat vorstellen, der nicht militärische oder polizeiliche<br />

Gewalt ausübt. Oder kurz gesagt: Es gibt keinen Staat, der<br />

nicht tötet. Und weiter: Man kann sich keinen Staat vorstellen<br />

ohne die diplomatische Lüge, das ist: ohne die Verhüllung des<br />

Tatbestandes, wie er wirklich ist. Talleyrand, <strong>einer</strong> der größten<br />

und bedeutendsten Staatsmänner (1754 1838), hat gesagt:<br />

„<strong>Die</strong> Sprache ist dazu da, die Gedanken zu verhüllen.“ Es gibt<br />

auch keinen Staat, der nicht öffentlich Kompromisse schließt<br />

mit der Prostitution und mit anderen Entwürdigungen der<br />

menschlichen Verhältnisse. Es gibt auch keinen Staat, der<br />

nicht Kompromisse schließt mit dem Kapitalismus, mit der<br />

Geldherrschaft, mit der Ungerechtigkeit.<br />

Gewiß sagt Jesus: „Gebt dem Cäsar, was des Cäsars ist“<br />

(Luk.20,22 25). Aber er meinte damit das Geld. Und Jesus<br />

nennt das Geld etwas Fremdes, womit er nichts zu tun hat.<br />

Gebt das Fremde dem Kaiser; die gehören zusammen, der<br />

Mammon und der Cäsar. Gebt das Geld dahin, wohin es<br />

gehört, aber gebt Gott, was Gott gehört. Das ist der Sinn des<br />

Wortes. Eure Seele, euer Leib, das gehört nicht dem Cäsar,


das gehört Gott und der Gemeinde! Lasst euren Mammon<br />

dem Kaiser. Euer Leben gehört Gott!<br />

Nun meint Jesus, wir sollen den Staat als eine<br />

erfahrungsgemäße, praktische Notwendigkeit anerkennen.<br />

Aber einen christlichen Staat gibt es nicht. Soweit die Liebe<br />

nicht herrscht, ist Gewaltherrschaft.<br />

1934<br />

Wir haBen Mit Der Staatspolitik und der äußeren Gewalt nichts<br />

zu tun. Wir werden ihnen keine Zugeständnisse machen; wir<br />

werden uns verweigern; und doch sind wir nicht gleichgültig. Jeder<br />

Staatsmann interessiert uns, wer er auch sei. Wir wünschten,<br />

jeder Staatsmann hörte von uns, dass es ein Leben in Gerechtigkeit,<br />

Friede und Freude aneinander gibt, damit er sich an<br />

diesem Ziel orientiert und nicht allzuweit von dem Weg des<br />

Friedens und der staatlichen Gerechtigkeit abweicht.<br />

1935<br />

natürlich sinD Wir Bereit, auch mit dem Staat etwas zu tun,<br />

wenn der Staat uns zu <strong>einer</strong> rein friedlichen Aktion braucht.<br />

Nur – man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen<br />

(Apg.5,29).<br />

E INE V ö LLIG ANDERE<br />

G ESELLSCHAFTSORDNu NG<br />

1932<br />

Wir Müssen unsere hanD herausnehmen aus allem, was Hass<br />

und Unfrieden gibt. Wir müssen so leben wie Jesus. Er half allen<br />

an Leib und Seele. Wir können nichts mitmachen, was die


Menschen schädigt. Als Friedensfreunde müssen wir unsere<br />

Hand herausziehen aus allen Geschäften und aller Politik, die<br />

nicht so ist, wie Jesus es will. Das ganze Leben muss der Liebe<br />

geweiht sein. Wir können keine obrigkeitliche Gewalt ausüben,<br />

denn wir sind berufen, das Leben Jesu zu leben, welcher<br />

nur geliebt hat und niemanden hat töten lassen.<br />

1934<br />

ich hatte zuM recht und zum Staat immer die positive Haltung,<br />

dass in der heutigen Welt diese Dinge – bis zur Macht des<br />

Schwertes – absolut notwendig sind; dass sie also keineswegs<br />

beseitigt werden sollten, sondern vielmehr zur Auswirkung der<br />

Schritte <strong>Gottes</strong> in der Geschichte gehören. Nur bin ich nach<br />

wie vor der Meinung, dass das Leben aus dem Herzen Jesu, aus<br />

dem innersten Herzen <strong>Gottes</strong> heraus – die absolute Wahrheit<br />

– anders ist. Paradox gesprochen, gehen die Schritte <strong>Gottes</strong> oft<br />

einen anderen Weg als sein Herz.<br />

1924<br />

Wir versagen Der oBrigkeit, die von Gott geordnet ist, nicht<br />

unsere Ehrfurcht (Röm.13,1). Wir haben aber einen ganz anderen<br />

Auftrag, welcher eine ganz andere Gesellschaftsordnung<br />

mit sich bringt als sie in Staat und Gesellschaft möglich ist.<br />

Deshalb verweigern wir dem Gericht den Schwur; wir verweigern<br />

dem Staat den militärischen und polizeilichen <strong>Die</strong>nst;<br />

wir verweigern den <strong>Die</strong>nst entscheidender Staatsämter, die ja<br />

alle mit Gericht, Polizei oder Militär zu tun haben.<br />

1933


D IE O RDNu NG G OTTES<br />

christus ist Des gesetzes Ende (Röm.10,4). Der Glaube ist<br />

gekommen. Der Zuchtmeister ist abgetan. Und doch bleibt<br />

der Mensch wie er ist. Sowie er aus der Geistesgemeinschaft<br />

heraustritt, fällt er wieder unter das Gesetz. Treten wir aus<br />

Christus und s<strong>einer</strong> Gemeinschaft heraus, dann verfallen wir<br />

der Obrigkeit. Gott aber ist treu; er nimmt von der Gemeinde<br />

die Obrigkeit und nimmt die Einheit der Gemeinde von der<br />

Obrigkeit.<br />

Rhönbruderhof 1931<br />

interessant ist, Dass <strong>Die</strong> sogenannten freien Bekenntnissyno-<br />

den die Parole ausgegeben haben: Kein Austritt aus der Kirche!<br />

Damit ist aber jede Energie gelähmt. Denn wenn die Kirche<br />

gottlos wird, kann man nicht sagen: „Wir protestieren, aber<br />

wir bleiben in der Kirche.“ Wenn die Kirche von Dämonen<br />

und vom Götzendienst beherrscht wird, kann man nicht sagen:<br />

„Wir protestieren, aber wir bleiben in der Kirche.“<br />

<strong>Die</strong> Ursache dieser schwachen und schwächlichen<br />

Haltung ist klar; sie ist an folgendem zu erkennen: Auch die<br />

protestierenden Kreise der katholischen und der evangelischen<br />

Kirche huldigen dem heutigen Staat bedingungslos. Sie sind<br />

bereit, an Regierungsfunktionen aktiv teilzunehmen. Also was<br />

nützt es nun, wenn sie gegen die partiellen Anwendungen dieses<br />

bösen Prinzips, die zu brutalem Mord, zur Unterdrückung<br />

der freien Meinung und zu allen übrigen Greueln führen,<br />

innerhalb des Kirchenregiments protestieren, während sie<br />

seine totale Anwendung bejahen?


Hier rächt es sich, dass die reformatorische Kirche niemals<br />

eine klare Stellung zu Staat und Gesellschaft im urchristlichen<br />

Sinn eingenommen hat. Hier rächt sich die historische<br />

Sünde während des Bauernkrieges: die Verkettung an die<br />

Fürstenherrschaft und die Frevel gegen die volkstümliche<br />

Bewegung der Täufer. Ähnlich hatte sich in England das<br />

Christentum an den Staat verkauft. <strong>Die</strong> Ursache des Irrtums<br />

liegt darin, dass das Pauluswort Römer 13 falsch verstanden<br />

wird: „Ein jeder sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über<br />

ihn hat.“ Vers 1 bis 5 ist das, was die großen Kirchen immer<br />

wieder zur Verteidigung ihrer Interessen im Staat anführen:<br />

Jeder unterwerfe sich den herschenden Gewalten! Denn<br />

es gibt keine obrigkeitliche Gewalt, die nicht von Gott<br />

wäre; sondern die bestehenden Obrigkeiten sind von Gott<br />

verordnet. Wer sich also der Obrigkeit widersetzt, der lehnt<br />

sich gegen <strong>Gottes</strong> Ordnung auf. Und solche Empörer ziehen<br />

sich selbst gerechte Strafen zu. Denn die Gewalthaber sind<br />

nicht ein Schrecken für gute Taten, sondern für böse. Willst<br />

du nicht in Schrecken leben vor der Obrigkeit? So handle gut!<br />

Dann erntest du Lob von ihr. Denn sie ist <strong>Gottes</strong> <strong>Die</strong>nerin zu<br />

deinem Besten. Tust du aber Böses, so fürchte dich! Denn sie<br />

trägt das Richtschwert nicht umsonst. Sie ist <strong>Gottes</strong> <strong>Die</strong>nerin,<br />

die den Übeltäter strafen soll. Ihr müsst deshalb der Obrigkeit<br />

gehorsam sein, nicht nur aus Furcht vor Strafe, sondern auch<br />

aus Gewissenspflicht.<br />

Vers 6 bis 7: Infolgedessen soll der Christ Steuern zahlen:<br />

Darum entrichtet auch die Steuern! Denn die Träger der Gewalt<br />

sind <strong>Gottes</strong> <strong>Die</strong>ner, und als solche sollen sie beharrlich<br />

tätig sein. So gebt denn jedem, was ihm zukommt: Gebt Steuer


dem, der darauf Anspruch hat; gebt Zoll dem, der ihn fordern<br />

darf; erweist Ehrfurcht, wem sie zukommt, und Achtung, wem<br />

sie gebührt!<br />

Dann aber kommt die Antwort des Paulus auf die Aufgaben<br />

der Obrigkeit. Von Vers 8 bis 10 zunächst die Antwort der<br />

Liebe:<br />

Bleibt niemand etwas schuldig als die gegenseitige Liebe! Wer<br />

Liebe übt, der hat auch sonst das Gesetz erfüllt. Denn die Gebote:<br />

„Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht morden, du<br />

sollst nicht ptehlen, du sollst nicht begehren“ und all die andern<br />

Gebote, die werden kurz zusammengefasst in der Vorschrift:<br />

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! <strong>Die</strong> Liebe tut<br />

dem Nächsten nichts Böses. Darum ist die Liebe des Gesetzes<br />

Erfüllung.<br />

Dann von Vers 11 und 12 die Antwort der <strong>Gottes</strong>zukunft:<br />

<strong>Die</strong>se Ermahnungen gebe ich euch, weil ihr ja wisset, in<br />

welcher Zeit wir leben: <strong>Die</strong> Stunde ist nun da, wo ihr vom<br />

Schlaf erwachen müsst. Denn jetzt ist uns die Errettung näher<br />

als damals, wo wir zum Glauben gekommen sind. <strong>Die</strong> Nacht<br />

ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Drum lasst uns ablegen die<br />

Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts!<br />

Wir sprachen über den göttlichen Ursprung des Staates (Römer<br />

13). Nun noch etwas über den teuflischen Ursprung des<br />

Staates. Jede Beziehung zum Bösen ist böse, also muss sie sich<br />

von Gott zum Teufel abwenden. Nur in Beziehung auf das<br />

Böse ist die Obrigkeit von Gott eingesetzt, so ist die Obrigkeit<br />

von Gott relativ eingesetzt und muss dem Teufel verfallen<br />

(Offb.13,bes.V.7). Das ist schwer zu verstehen. <strong>Die</strong> relative<br />

Ordnung ist nicht <strong>Gottes</strong> Wille. Aber er verlässt die Menschen


nicht ganz; darum gibt er ihnen die relative Ordnung. Wenn<br />

er sie ganz verlassen würde, würden sie nicht eine Minute<br />

mehr atmen. Wie die hutterischen Brüder sagen: „Sie hätten<br />

keinen Schnauf mehr in der Nase.“ Sie hätten auch nichts<br />

mehr zu essen.<br />

Gott läßt seine Sonne scheinen und seinen Regen regnen<br />

über Sünder und über Gute. Einen Menschen, der gar nichts<br />

mehr von Gott hat, gibt es nicht (Joh.1,9). Auch in <strong>einer</strong><br />

Straßendirne in einem Bordell ist noch eine Spur von Gott.<br />

Hier liegt die Wichtigkeit der Dostojewskischen Romane.<br />

Auch in einem Bordell hat Gott noch seine Ordnung, auch in<br />

<strong>einer</strong> Armee. Aber es ist eine Höllenordnung. Gott hat auch<br />

eine Ordnung in der Hölle…<br />

1934<br />

staat unD polizeigeWalt ist <strong>Gottes</strong> Ordnung in der Welt des<br />

Bösen, nicht in der Welt des Guten. Wir bestreiten die Notwendigkeit<br />

der obrigkeitlichen Ordnung nicht für die Welt<br />

des Bösen. In der Welt des Bösen herrscht die Relativität<br />

<strong>Gottes</strong>. Aber nun kommt: die Absolutheit <strong>Gottes</strong> ist die Liebe!<br />

(Röm.13,8) In der absoluten Sphäre der Liebe gibt es keine<br />

aktive Anteilnahme an der Staatsgewalt. In der absoluten<br />

Sphäre <strong>Gottes</strong> gibt es keine Polizeiordnung. Es sind zwei Regionen:<br />

<strong>Die</strong> eine ist die des Bösen und der Staatsgewalt; die<br />

andere ist die der Liebe und des Heiligen Geistes…<br />

Du sollst Gott allein dienen! sagt Christus. Du sollst ihm<br />

absolut dienen, und nicht nur relativ wie im Staat. So verzichtete<br />

Jesus darauf, ein römischer Kaiser wie Nero zu werden.<br />

Er wurde Jesus Christus. Und damit wurde wieder die Liebe


21. wELTLEID UND A R m UT<br />

I CH BIN SCHu LDIG<br />

von <strong>einer</strong> raDikalen sozialrevolution – von der Umwälzung<br />

aller Verhältnisse und aller Dinge zur Gerechtigkeit <strong>Gottes</strong><br />

– können wir nur dann sprechen, wenn wir es ganz fühlen<br />

und voll erkennen, dass diese Umwälzung uns selbst, dich und<br />

mich, uns Menschenbrüder alle meint. Wir Menschen müssen<br />

umgestürzt und neu hingestellt werden. Wir Menschen<br />

sind an allem schuldig, was sich in sozialer Ungerechtigkeit, in<br />

Menschenentwürdigung und gegenseitiger Schädigung in den<br />

persönlichen und öffentlichen Verhältnissen auswirkt. Wir<br />

sind allen Menschen verschuldet, weil wir ihre Entwürdigung<br />

und Erniedrigung nicht beachten, weil wir sie übersehen und<br />

überhören.<br />

1926<br />

es ist ein ganzes Netz von Schuld um die Erde gesponnen,<br />

und das liegt auf unserem Gewissen…<br />

Eine Bitte des Vaterunsers ist: „Vergib uns unsere<br />

Schuld!“ (Matth.6,12) Wir alle sind durch die Einsicht<br />

hindurchgegangen, dass wir mit der Weltschuld verhaftet und<br />

verbunden sind. Wir sind mitschuldig, wenn in Russland ein<br />

Dorf vor Hunger ausstirbt, wenn in Südamerika Krieg um


einen Fluss geführt wird. Wir haben das Gefühl, dass wir an<br />

all diesen Vorfällen mitschuldig sind. Am stärksten fühlen<br />

wir es an der Arbeiterfrage. Ich fühle mich schuldig, dass so<br />

viele Kinder nichts zu essen haben! Ich fühle mich schuldig,<br />

dass die britische Regierung die schrecklichen Zustände in<br />

Indien duldet; dass die Prostitution als richtige Sklaverei<br />

besteht; dass das Geld über den Menschen regiert. Wir tragen<br />

die Schuld für jedes Kind, das in dieser Nacht stirbt! Unsere<br />

Schuld ist millionenfach, durch die wirklichen Zustände auf<br />

der Erde, durch die ungeheure Anzahl der Versündigungen!<br />

Wenn wir das verstehen, dann begreifen wir, dass Jesus sagt:<br />

„Unsere Schuld vergib!“ – Nicht meine Schuld, sondern<br />

unsere Schuld!<br />

0<br />

1934<br />

Wir sinD nicht einzelWesen, sondern wir sind als Menschheit<br />

zu einem Gesamtwesen verbunden. Ein gemeinsames Leiden<br />

durchfurcht die ganze Menschheit. Ein gemeinsamer Schrei<br />

der Sehnsucht quält sie. Es muss der Tag kommen, an dem<br />

die Menschheit eins ist: der Tag der Katastrophe, der alles Entzweiende<br />

begräbt; der neue Schöpfungstag, der das Paradies<br />

der Freude an die Stelle der Weltnot setzt.<br />

G IB DEIN L EBEN HIN!<br />

1919<br />

Wir leBen in arMut und persönlicher Eigentumslosigkeit um<br />

der Liebe Christi und um der Ärmeren und Ärmsten willen.<br />

Es gibt so unendlich viel Elend, dass man keinen Reichtum<br />

und kein reiches Leben ertragen kann, wenn man in der


Liebe Christi steht. So gewiss wie Sünde und Ungerechtig-<br />

keit in dieser gegenwärtigen Welt herrschen, so gewiss werden<br />

ebenso lange auch immer Arme da sein, und die Frage, was<br />

wir tun würden, wenn keine Armen mehr da wären, ist müßig.<br />

Auch einem streng sozialen System ist es nicht gelungen, die<br />

Armut abzuschaffen. Deshalb sagt Jesus: „Arme habt ihr alle<br />

Zeit bei euch!“ Und im Alten Testament heißt es: „Arme und<br />

Reiche müssen immer sein“ (5. Mos. 15,11). Doch diese Liebe<br />

zu den Armen kann nicht das Letzte sein, sie muss übertroffen<br />

werden von der Liebe zu Gott. Christus sagt: „Mich habt ihr<br />

nicht alle Zeit bei euch“ (Matth. 26, 11). Wir dürfen andererseits<br />

die Liebe zu den Armen nicht aus der Liebe zu Gott vernachlässigen.<br />

Vielmehr: Aus der Liebe zu Gott sollen wir den<br />

Nächsten lieben. Wenn du deinen Bruder in Not siehst und zu<br />

ihm sagst: „Gott wird dir helfen,“ und gibst ihm nichts, wenn<br />

du weltliche Güter hast, wo ist da die Liebe zu Gott? (Jak.2,<br />

15-16).<br />

1934<br />

Wenn Dir JeManD Den Rock nehmen will, gib ihm auch den<br />

Mantel. Sammelt keine Schätze und Güter, die schön erscheinen.<br />

Verzichtet auf allen Putz, verzichtet auf alle moderne Kleidung<br />

und alles vornehme Auftreten! Kannst du ein schlichter, einfacher<br />

Mensch werden, wenn du nach außen ein vornehmes<br />

Gehabe zur Schau trägst? Wirst du ein wahrer Christ, so wirst<br />

du niemals ein Vermögen haben. Aus der Liebe heraus wirst<br />

du handeln. „Verkaufe alles, was du hast und dann erst komm<br />

und folge mir nach“ (Matth.19, 21). Mach es wie die arme<br />

Witwe (Mark.12,42-44). Werdet wahr! Und weil ihr wahr


werdet, werdet einfach! <strong>Die</strong> letzte Wahrheit ist die letzte Ein-<br />

fachheit. Nur dann kann es Einheit in der Gemeinde geben,<br />

wenn alle wahr sind in der letzten Einfachheit…<br />

Zu seinen Jüngern hat Jesus gesagt: „Sammelt euch keine<br />

Schätze, kein Vermögen, habt kein Eigentum.“ Und zuletzt<br />

hat er zu denen, die eigentumslos sind, gesagt: Ihr dürft keine<br />

Sorge haben. Ihr müsst das unbedingte Vertrauen auf den<br />

Gott haben, der die Blumen bekleidet und den Vögeln zu<br />

essen gibt. „Trachtet allein nach dem Reiche <strong>Gottes</strong> und nach<br />

s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit. Nicht eine bezahlte Stellung darf euer<br />

Trachten sein. Dann wird sich die Frage eurer beruflichen<br />

Aufgabe finden. Trachtet nur nach dem einen, dem Reiche<br />

<strong>Gottes</strong> und s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit, auch mit Frau und Kindern.<br />

Dann wird sich alles andere finden, für das Leben <strong>einer</strong> jeden<br />

Stunde, eines jeden Wochentages. Nur dann werdet ihr in der<br />

Nachfolge sein. Ihr könnt euch keine Schätze sammeln und<br />

dürft keine Sorgen haben (Matth.6,25-34).<br />

1932<br />

es giBt keine grössere Liebe als die, dass man sein Leben lässt<br />

für seine Brüder (Joh.15,13). Man lässt sein Leben nicht nur<br />

so, dass man einen heroischen Tod stirbt. Man muss ein Leben<br />

finden, in dem man jede Minute für die Brüder lebt, in dem<br />

man jede Kraft, jedes Vermögen und jedes Gut – auch jedes<br />

geistige Gut – völlig für die Brüder hingibt.<br />

<strong>Die</strong>ses Leben hat Jesus gelebt. Er hat nicht gefragt, ob<br />

Palästina zu klein wäre. Er hat nicht danach getrachtet, lieber<br />

in Rom in einem Palast zu leben. Er hat nicht irgendeinen<br />

Titel oder eine Würde oder eine Einflussmöglichkeit erlangt,


sondern er ist den niedrigsten, schlichtesten Weg gegangen.<br />

In der Viehkrippe, im Futtertrog des Viehs, hat er als neugeborenes<br />

Kind gelegen. Und sein ganzer Weg war der Weg<br />

der äußersten Armut. Es war der allersimpelste Weg. Und so<br />

endet dieser Weg, wie er begonnen hatte – in der äußersten<br />

Armut, in der Armut am Kreuz.<br />

L EID k ANN DEN G LAu BEN VERTIEFEN<br />

1934<br />

Wenn Wir Das Wesen des Leides in s<strong>einer</strong> Tiefe zu erfassen su-<br />

chen, so fühlen wir, dass die Gemeinschaft mit Gott in den<br />

Hemmungen des jetzigen Lebens – in dem unerlösten Leben,<br />

das wir führen – das Leid notwendig macht. Wir brauchen<br />

das Leid. Wir können ohne Leid nicht leben und erkennen: je<br />

tiefer wir leiden, indem wirunseres Elends völlig innewerden,<br />

um so klarer, dass Jesus der einzige Halt ist. Pascal wurde nicht<br />

müde, es immer wieder zu sagen, dass die Erkenntnis unseres<br />

Elends ohne die Erkenntnis des Christus zur Verzweiflung<br />

führt.<br />

Christus ist unser Erlöser, weil er die Größe unseres Elends<br />

erkannt hat. Nur durch ihn gelangen wir zur Freiheit von<br />

Sünde und Not. Er kennt unsere Finsternis und Verzweiflung.<br />

Er hat das Lebensglück und die Lebenskraft für uns bereit, um<br />

uns aus unserer unglücklichen Lage zu befreien. Jesus weiß,<br />

wie mühselig und beladen wir das Dasein empfinden müssen.<br />

Aber er lebt in der Gemeinschaft mit der befreienden Macht<br />

des <strong>Gottes</strong>geistes, so dass er uns sagen konnte: „Euer Vater<br />

weiß alles, wessen ihr bedürft“ (Matth. 6, 8).


Jesus Wusste, Was leiDen ist. Er kannte Hunger und Durst. Er<br />

wusste nicht, wo er sich niederlegen sollte (Matth. 8, 20). Er<br />

hatte keine Heimat und keine Wohnung. Aber er kannte seinen<br />

Vater und besaß in ihm sein ungebrochenes inneres Glück.<br />

Jesus hat es uns bewiesen, dass das Glück des Lebens einzig<br />

und allein davon abhängt, wie wir unseren Vater im Himmel<br />

kennen.<br />

1918<br />

Wenn Der tag Des Gerichts die Wolken immer fester zusam-<br />

menballt, dann müssen wir in völliger Gelassenheit bereit sein,<br />

den Weg des Kreuzes Jesu zu gehen. Wie einst im Tode Jesu,<br />

als er hingerichtet wurde, die völlige Liebe offenbar wurde, so<br />

muss an der Gemeinde Christi noch hinzugesetzt werden, was<br />

an den Leiden Christi noch fehlt (Kol.1,24).<br />

Wir müssen noch tiefer hinein in die Gelassenheit des<br />

Kreuzes und des Todes. Und nur wenn wir dazu bereit sind,<br />

können wir Gott bitten, dass er zugreift und seine Geschichte<br />

macht.<br />

1933<br />

<strong>Die</strong> vollMacht Der geMeinDe besteht darin, dass wir den Auf-<br />

trag haben, die Gesandtschaft des Reiches <strong>Gottes</strong> in dieser<br />

andersartigen Welt zu vertreten. Eine der Folgen dieser Vollmacht<br />

ist die Verfolgung (Joh.15,18-20). Wir müssen ganz<br />

gewiss sein, dass wir verfolgt werden. Wie die hutterischen<br />

Brüder immer wieder sagen: Wir müssen bereit sein, getötet<br />

zu werden. Wir müssen bereit sein, dass uns Haus und Herberge,<br />

unser Gemeinschaftshof weggenommen wird; er ist uns


nur für die Arbeit an den Menschen anvertraut. So muss denn<br />

ein jeder bereit sein, sein Leben zu lassen. <strong>Die</strong>se Bereitschaft<br />

wird sich nur dadurch ermöglichen lassen, dass wir im täglichen<br />

Leben die schwersten Arbeiten gerne und willig auf uns<br />

nehmen.<br />

1933<br />

Der schMerz ist Der Pflug, der unser Inneres aufreißt, so dass<br />

wir für die Wahrheit offen werden. Wäre kein Leid offenbar, so<br />

würden wir unsere Schuld und Gottlosigkeit – die himmelschreiende<br />

Ungerechtigkeit unserer Verhältnisse – niemals erkennen<br />

(Ps.119,67 u.71).<br />

1919<br />

es ist WeDer Das Richtige, das Leiden zu beseitigen, noch es<br />

gleichgültig aushalten zu wollen. Sondern es gilt, es zu benutzen,<br />

es zu verwerten zur Verherrlichung <strong>Gottes</strong>. Nicht die<br />

äußeren Umstände machen ein Leben glücklich oder unglücklich,<br />

sondern allein die innere Stellung, die wir zu ihnen einnehmen<br />

(1.Petr.4,12-13)…<br />

Ein Edelstein muss geschliffen werden, wenn man ihn<br />

vollkommen haben will. Ein guter Streiter Jesu Christi muss<br />

leiden und will leiden (2.Tim. 2, 3). <strong>Die</strong> Standhaftigkeit im<br />

Leidenskampf beweist jenes richtige Verhältnis von tätiger<br />

Tapferkeit und Ergebung in den Willen <strong>Gottes</strong>, das allein<br />

unser Leben brauchbar machen kann.<br />

1915


Das tiefste leiD ist die Vereinsamung der Seele, die Vereinze-<br />

lung des Menschen, die Verzweiflung in der Sünde, die Not<br />

des Gewissens in der Gespaltenheit der Seele, in der Trennung<br />

von Gott.<br />

1918<br />

Das unerhörteste Leid kann uns wie nichts anderes Gott nahe<br />

bringen. In der Hilflosigkeit äußersten Leides kommt Hiob<br />

zu dem Bekenntnis: „Wo fände ich Kraft, um auszuharren?<br />

Bei mir selber finde ich keine Hilfe; meine Festigkeit ist ganz<br />

dahin“ (Hiob 6,11 u.13). So wird er zu dem Vertrauen auf<br />

die einzige Kraft geführt, die stärker ist, als alle Macht und<br />

Gewalt. Das ist die Reinigung Hiobs, dass er nur noch auf<br />

Gott sieht, nur noch nach Gott verlangt, so dass er ausrufen<br />

kann: „Dennoch weiss ich, dass Gott – mein Anwalt, mein<br />

Erlöser – lebt! Mag dieser Leib zerschlagen werden! Frei von<br />

Leid schaue ich Gott“ (Hiob 19,25-27).<br />

G OTT R u FT DIE A R m EN u ND N IEDRIGEN<br />

1919<br />

Jesus sagt: „vater, ich ehre dich, dass du solches den Weisen<br />

und Klugen verborgen hast, aber den Unmündigen hast du es<br />

geoffenbart“ (Matth.11, 25). Gerade das, was niedrig und unwürdig<br />

vor der Welt ist, ist von Gott berufen zu dem lebendigsten<br />

Auftrag auf dieser Erde: zu der Sammlung s<strong>einer</strong> Gemeinde und<br />

der Verkündigung des Evangeliums (1.Kor.1,26-29).<br />

Letztlich handelt es sich immer wieder um das<br />

Zusammenstoßen zweier entgegengesetzter Ziele. Das eine<br />

Ziel sucht den hohen Menschen, den großen Menschen,


den geistvollen Menschen, den geistreichen Menschen, den<br />

herrlichen Menschen, eben den Menschen, der auf Grund s<strong>einer</strong><br />

natürlichen Gaben eine besondere Höhe in dem Gebirge der<br />

Menschheit aufweist. Und das andere Ziel sucht die niedrigen<br />

Menschen, die niederen Menschen, die Unmündigen, die im<br />

Tal wohnen, die im Gebirge der Menschheit die Niederung<br />

bilden, die Erniedrigten, ungerecht Versklavten, Ausgenützten,<br />

und die Schwachen und Armen, die Ärmsten der Armen. Das<br />

eine Ziel drängt danach, dass der Mensch aus s<strong>einer</strong> eigenen<br />

Natur recht hoch erhoben wird in eine möglichst enge Nähe an<br />

das Göttliche heran; letztlich, dass der Mensch vergottet wird<br />

auf Grund der ihm gegebenen Naturkräfte und Naturgaben.<br />

Und das andere Ziel sucht das wunderbare Geheimnis, wie<br />

Gott Mensch wird, und wie Gott den geringsten Platz unter<br />

den Menschen sucht, wenn er Mensch wird.<br />

In der Tat zwei entgegengesetzte Dinge: das eine die<br />

selbstherrliche Bewegung von unten nach oben; das andere<br />

die menschwerdende Bewegung von oben nach unten. Das<br />

eine ist der Weg der Selbstliebe und Selbsterhöhung. Das<br />

andere ist der Weg der <strong>Gottes</strong>liebe und Nächstenliebe…<br />

Wir wollen für alle Menschen bitten, dass sie doch von dem<br />

Wahngebilde der Selbsterhöhung herrlicher Menschen erlöst<br />

werden möchten. Wir wollen bitten, dass sie den Sinn der<br />

Geschichte erfassen möchten, dass sie den Sinn des Menschen<br />

erfassen möchten in Jesus Christus, der der neue Mensch ist.<br />

An ihn dürfen wir in organischer Einheit heranwachsen, zu<br />

ihm gehörig. Aus ihm, an ihm und in ihm wird die neue<br />

Menschheit – die neue Menschwerdung – einsetzen in dem<br />

Leib des Christus, welcher die Gemeinde ist.<br />

1934


22. DIE wELTREVOLUTION UND DIE<br />

R EVOLUTION G OTTES<br />

Wenn uns JeManD fragt: „Wie lebt ihr in Gemeinschaft? Wie<br />

seid ihr zur Gemeinschaft gekommen und wie gestaltet sich<br />

eure Gemeinschaft?“, dann können wir nur auf den Glauben<br />

als auf das spezifische Saatkorn hinweisen und können sagen:<br />

Das ist der Glaube, der den Berg versetzt (Mark.11, 23). Das<br />

ist die einzige Hilfe für die Menschen. Alles andere ist vergeblich.<br />

Ob soziale <strong>Revolution</strong> oder idealistische Lebensreform, ob<br />

individualistischer Persönlichkeitskult oder ein pazifistischer<br />

Menschheitsglaube an die Evolution – an die Entfaltung der<br />

guten Menschheitskräfte im Verlauf der Geschichte –, das alles<br />

kann der Menschheit nicht die Kraft geben und vermag ihr<br />

nicht den Weg zu weisen. Das alles vermag die Sünde, die Ungerechtigkeit,<br />

die Ichsucht und Selbstsucht, den begehrlichen<br />

Willen nicht zu überwinden. Es ist bedeutungsvoll, wenn beispielsweise<br />

von den Bodenreformern gesagt wird: Wir rechnen<br />

mit dem Egoismus der Menschen; wenn nicht, dann könnten<br />

wir keine Bodenreformer bleiben.<br />

Der Glaube rechnet nicht mit dem Egoismus, sondern mit<br />

der gänzlichen Beseitigung des Egoismus, indem er anstelle<br />

des Egoismus das eine setzt, was Jesus gesagt hat: „Trachtet am<br />

ersten nach dem Reich <strong>Gottes</strong> und nach s<strong>einer</strong> Gerechtigkeit,


so werden sich alle anderen Fragen lösen.“ Dann wird es auf<br />

alle Fragen nur eine Antwort geben: die Herrschaft <strong>Gottes</strong> in<br />

Christus durch den Heiligen Geist. Ich bin überzeugt, dass<br />

keine Frage ungelöst bleiben wird, wenn dieser Weg ernsthaft<br />

beschritten wird und wenn dieses Saatkorn wirklich unter uns<br />

wächst und lebt.<br />

1933<br />

Der BolscheWisMus geht nicht von <strong>einer</strong> Geistesgemeinschaft,<br />

von <strong>einer</strong> Glaubens und Lebensgemeinschaft aus, sondern er geht<br />

vom Staat aus, von der Zentrale des Staates, von der Zentrale der<br />

Wirtschaft. Und nun will er seine sogenannte kommunistische<br />

Lebensform den Menschen aufzwingen. Er geht von außen<br />

her an die Dinge heran. Er greift die äußeren Fragen der wirtschaftlichen<br />

Regelung an. Dann hofft er, dass durch die äußere<br />

Regelung auch das Innere besser wird. Durch diese Gewalt<br />

kann der Bolschewismus niemals eine Gemeinschaft aufrichten.<br />

Durch Morden kommen wir nicht zum Frieden. Durch<br />

Töten kommen wir nicht zur Liebe. Der Bolschewismus ist<br />

ein gefährlicher Abgrund; er ist antichristlich. Und doch können<br />

wir daran lernen, dass auf dem Boden Christi und der<br />

völligen Liebe noch etwas Besseres und R<strong>einer</strong>es geschaffen<br />

werden muss, als was der Bolschewismus erschafft.<br />

So muss die Gerechtigkeit des Reiches <strong>Gottes</strong> viel besser<br />

sein. „Wenn eure Gerechtigkeit nicht eine bessere ist als die der<br />

Moralisten und der Theologen – auch als die der Bolschewisten<br />

– könnt ihr nicht in das Reich <strong>Gottes</strong> kommen“ (Matth.5,20).<br />

<strong>Die</strong> Gerechtigkeit des Bolschewismus genügt nicht zum Reich<br />

<strong>Gottes</strong>. Es ist keine Herzensgerechtigkeit, keine Gerechtigkeit


der Geistesgemeinschaft, Gemeinschaft, sondern nur ein<br />

äußerer Zwang. Damit kann keine Gemeinschaft gemacht<br />

werden.<br />

0<br />

1933<br />

Wir Müssen einen anDeren Weg suchen, wenn auch dieser<br />

Weg sehr bescheiden ist: Denn wir verzichten darauf, auf politischem<br />

Wege in die öffentlichen Verhältnisse verbessernd<br />

einzugreifen. Wir verzichten auf alle Bestrebungen, die auf<br />

gesetzgeberischem Weg die Verhältnisse zu bessern versuchen.<br />

Wir verzichten darauf, innerhalb der bürgerlichen Ordnung<br />

eine Rolle zu spielen. Wir gehen einen Weg, der sich scheinbar<br />

zurückgezogen isoliert, der scheinbar Flucht vor der Öffentlichkeit,<br />

Abkehr vom öffentlichen Leben ist. Denn wir wollen<br />

ein Leben aufbauen, das sich freimacht von der Eigengesetzlichkeit<br />

des offiziellen Volkskirchentums aller Art, soweit uns<br />

die Gnade dazu gegeben wird, und das nun in der Nachfolge<br />

Christi die Urgemeinde von Jerusalem zu verwirklichen versucht.<br />

Von <strong>einer</strong> inneren Einstimmigkeit, <strong>einer</strong> Einhelligkeit<br />

des Geistes her, stellen wir eine andersartige Wirklichkeit in die<br />

materiellen Dinge hinein – in die gesellschaftlichen, ökonomischen,<br />

kirchlichen und antikirchlichen Dinge (Hes.11,19 20).<br />

1933<br />

Das ist Der kaMpf, in den die Gemeinde gestellt ist. Und des-<br />

halb verweist das apostolische Wort immer wieder darauf, dass<br />

wir in der Martyriums und Kreuzesgemeinschaft mit Christus<br />

stehen, denn der herrschende Zeitgeist kann den Geist der Zukunft<br />

Christi nicht dulden (Joh.15,18 25).


Wohl kann er es dulden und sieht es gern, wenn wir<br />

nur ein wenig von dem Zukunftsgeist vertreten wollen,<br />

gleichzeitig aber auch die Zeit denen geben, die ein wenig<br />

Zugeständnisse machen. Solche Mischung ist dem Zeitgeist<br />

sehr erwünscht, denn auch der heidnische Staat wünscht<br />

eine Mischung mit dem christlichen Geist aufzuweisen.<br />

Auch eine hochkapitalistische Unternehmung möchte ein<br />

bisschen christlichen Geist aufweisen. Auch betrügerische<br />

Unternehmungen aller Art wünschen ein wenig Christentum,<br />

ein wenig Wahrheit zu haben. Auch die Träger der Waffen<br />

wünschen ein wenig christliche Liebe zu erweisen. Sie lieben<br />

die Vermischung.<br />

1935<br />

es ist eine paraDoxie, dass derselbe Staat, der das Böse unter-<br />

drücken soll, durch seine gewalttätige Art ein Tier aus dem<br />

Abgrund, aus der Hölle darstellt (Offb.11,7). Wenn ich ein ganz<br />

kühnes Wort wagen darf, so würde ich sagen: Gott regiert die<br />

Hölle der menschlichen Verbrechen durch die Höllenmaschinen<br />

der Staaten. Nun kann jemand sagen: „Ich will jetzt die<br />

Höllenmaschinen bedienen, damit sie etwas weniger höllisch<br />

werden; ich will die höllischen Eigenschaften der Hölle ein<br />

wenig mildern, und deshalb will ich sie bedienen.“ Alle Achtung<br />

vor einem solchen Entschluss! Gut, wer das tun muss, soll<br />

das tun, und ich möchte Gott für ihn bitten, dass das, was er<br />

vorhat, ein wenig helfen möchte. Ich aber will die Höllenmaschinen<br />

nicht besteigen, sondern ich möchte gern ein Schiff<br />

besteigen, welches der ganzen Menschheit den Weg zum anderen


Ufer zeigt. <strong>Die</strong>ses ist noch nicht entdeckt. Es ist das Reich des<br />

Friedens, der Gerechtigkeit und der völligen Liebe.<br />

Deshalb sind Menschen nötig, die es wagen, das andere<br />

Ufer zu entdecken und so zu leben, wie es dem anderen Ufer<br />

entspricht, also ganz auf das andere Ufer zuzusteuern. Aber<br />

von diesem Schiff aus wollen wir in ständiger Verbindung mit<br />

allen anderen Menschen bleiben. Wir wollen allen anderen<br />

Menschen Botschaft senden, und mit dieser Botschaft wollen<br />

wir für das Schicksal aller Völker verantwortlich bleiben.<br />

Wir glauben, damit der Welt in einem so furchtbaren<br />

geschichtlichen Augenblick wie heute den besten <strong>Die</strong>nst zu<br />

erweisen (2.Kor.5,20).<br />

1935<br />

nur <strong>Die</strong> alles iM Innersten und Äußersten einende <strong>Revolution</strong><br />

der Brüderlichkeit könnte – im Reichtum vielseitiger Mannig-faltigkeit<br />

– die gesuchte Freiheit und Gleichheit bewirken<br />

und alles über die Sphäre menschlichen Nutzens herausheben.<br />

Aber diese Umwälzung zu <strong>einer</strong> aus dem Staub erhebenden<br />

Bruderschaft aller Menschen kann niemals von den Menschen<br />

her, sondern nur von Gott selbst kommen. Sein Wille zur liebenden<br />

Einheit und zur heiligen Ehrfurcht vermag allein den<br />

begehrlichen Willen des Besitzes und der Lust zu überwinden.<br />

Er allein vermag den tötenden und verlogenen Machtwillen<br />

der Existenzangst zum <strong>neuen</strong> Willen der Liebesmacht umzugestalten.<br />

1926


oft schon haBen Wir uns daran erinnert, was uns Vater und<br />

Sohn Blumhardt gesagt haben: Gott wartet auf Einbruchstel-<br />

len in der Menschheit. Wie es bei den einzelnen Menschen<br />

ein kleines offenes Fenster ist, durch welches das Licht <strong>Gottes</strong><br />

hereinkommt, so dass wir das Fenster weit öffnen, so ist es<br />

auch in der Geschichte der Völker. Mag die überwiegende<br />

Mehrzahl dem Handeln <strong>Gottes</strong> keinen Raum geben und mit<br />

eigenwilliger Dreistigkeit das Handeln der Menschen anstelle<br />

des Handelns <strong>Gottes</strong> setzen: Wenn nur irgendwo ein Platz<br />

ist, an welchem man völlig einig ist, dass Gott allein handeln<br />

soll, so greift Gott dort in die Geschichte der Völker und der<br />

Menschheit ein…<br />

<strong>Die</strong> Gemeinde ist berufen, Gott – wirklich Gott – zu<br />

<strong>einer</strong> Tat, zu <strong>einer</strong> Handlung zu bewegen. Das ist nicht so zu<br />

verstehen, als wenn Gott nicht handeln wollte oder könnte,<br />

wenn wir ihn nicht darum bitten. Gott wartet aber darauf,<br />

dass Menschen bereit sind, an ihn zu glauben – dass Menschen<br />

bereit sind, sein Eingreifen im Glauben zu erwarten. Denn das<br />

ist sein unabänderlicher Wille, dass er unter den Menschen<br />

nur so weit handeln will, als der Glaube der Menschen bereit<br />

ist, sein Handeln zu erbitten und von ganzem Herzen zu<br />

bejahen und in ihrem Leben zu verwirklichen (Matth.7,11).<br />

1935<br />

Was Wir in unserer Bitte zu Gott suchen, das ist wirklich eine<br />

Handlung, die nicht unsere Handlung ist, eine Tat, die nicht<br />

unsere Tat ist, eine Tatsache, die nicht wir bilden können.<br />

Was wir meinen und suchen in der Anrufung ist, dass etwas<br />

passieren soll, was durch uns nie passieren kann; dass endlich


etwas geschehen soll, was wir niemals herbeiführen können;<br />

dass endlich etwas angerichtet werden soll, was wir niemals<br />

anrichten können; dass endlich Geschichte wird, die wir niemals<br />

machen können; dass ein Richten zu uns komme, was wir<br />

niemals hervorrufen können.<br />

Der Inhalt unseres Gebets ist nichts anderes als das, was<br />

Gott schon immer will, wofür er aber auf unsere Bereitschaft<br />

wartet. Und die wahrhafte Anrufung ist diese Bereitschaft!<br />

Und deshalb gelangt auf die wahrhafte Anrufung hin Gott<br />

bei uns an!<br />

1934<br />

so koMMt Der heilige Geist zu unserer Anrufung, in unsere<br />

Gemeindestunden. Nicht nur vergisst der einzelne seinen eigenen<br />

Zustand. Auch die Bruderschaft als solche tritt heraus aus<br />

ihrer eigenen Zuständigkeit. Der Geist der Zukunft kommt zu<br />

uns und treibt uns hinein in die Zukunft des ganzen Kosmos.<br />

Denn wir erbitten den Geist zu uns herab, welcher nicht nur<br />

uns erfassen will, sondern welcher die ganze Welt erfassen will.<br />

Und deshalb erbitten wir ein Herniederkommen des Geistes,<br />

dass er in diesem Augenblick die ganze Welt erschüttern möchte.<br />

Wir glauben daran, dass die Gemeindestunden geschichtliche<br />

Stunden für die ganze Welt sind. Und so bitten wir in der<br />

Gemeindestunde, vereinigt zu werden in dem Glauben, dass<br />

<strong>Gottes</strong> Hand eingreift in die Geschichte der Gegenwart, dass<br />

Gott Geschichte macht im Sinne s<strong>einer</strong> Endgeschichte.<br />

Das ist die urchristliche Anrufung im Namen Jesu Christi.<br />

1935


heute Muss Der ruf zu dem tragischen Weg des Kreuzes wieder<br />

vernommen werden: der Ruf zu der alles richtenden Revoluti-<br />

on, die der Neuschöpfung vorausgeht. Wir alle spüren diesen<br />

Ruf in dem grundlegenden Wort der prophetischen Sendung:<br />

„Ändert euch in allen Dingen von Grund auf; denn die kommende<br />

Herrschaft <strong>Gottes</strong> ist nahe gerückt!“ (Matth.4,17)…<br />

<strong>Die</strong> Glaubensrevolution der ersten Christen beruhte auf<br />

der Gewissheit, dass jeder einzelne Mensch – und mehr, das<br />

ganze öffentliche Leben, der gesamte Luftraum der Erde – von<br />

der Herrschaft des Bösen befreit werden wird, und durch den<br />

Sturz der jetzigen Wirtschaft und des jetzigen Staatswesens<br />

hindurch von Gott in Besitz genommen wird.<br />

1926<br />

Bereit sein ist alles! Lasst uns bereit sein! <strong>Die</strong> Erwartung des<br />

Kommens <strong>Gottes</strong> soll unsere aktive Bereitschaft werden. Das<br />

bedeutet, dass wir ihm die Hände hinstrecken, um mit ihm<br />

gekreuzigt zu werden; dass wir auf den Knien bereit sind, von<br />

ihm gedemütigt zu werden; dass alle eigene Macht über uns<br />

selber niedergelegt ist, damit er allein über uns Macht habe.<br />

Denn mitten in den Tagen des Zornes und Gerichts gilt es,<br />

dass das Herz Christi in der Welt und in der Weltgeschichte<br />

um so mehr aufleuchte.<br />

Und dazu eben ist die Gemeinde gesandt – mitten in den<br />

hochgehenden Wogen der furchtbarsten Erregung, mitten in<br />

der wütenden Brandung des vergossenen Blutes – sich diesen<br />

Wogen entgegen zu werfen und die Fahne der Liebe denen zu<br />

bringen, die ohne Liebe im Zorn ertrinken.


Dazu müssen wir bereit sein. Und deshalb erbitten wir<br />

von Gott in dem Augenblick, wo wir das Hereinbrechen<br />

seines Tages erflehen, dass wir nicht nur zu einigen wenigen<br />

Menschen gesandt werden, die wir auf unserem Berg treffen,<br />

sondern zu allen Menschen, zu den reichsten und zu den<br />

erniedrigsten Menschen, besonders zu den erniedrigsten,<br />

aber als Propheten auch besonders zu den reichsten, wie einst<br />

Johannes der Täufer zu Herodes ging und seinen Kopf opferte<br />

(Mark. 6,17-29).<br />

Wenn wir Gott bitten, dass er komme, wenn wir Christus<br />

bitten, dass sein Weg gegangen werde, wenn wir den Heiligen<br />

Geist bitten, dass sein Strom sich ergieße, dann gilt es:<br />

Bereitsein zum Äußersten. Und wir alle müssen darin einig<br />

sein. Denn nur wenn wir eins sind in dem Gegenstand der<br />

Bitte, die wir vor Gott bringen, wird sie uns widerfahren;<br />

dann aber auch ganz gewiss.<br />

1933

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