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Elena Buffa. Tanz – Ritus – Heilung. Der Bewegte Körper

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<strong>Elena</strong> <strong>Buffa</strong><br />

<strong>Tanz</strong> <strong>–</strong> <strong>Ritus</strong> <strong>–</strong> <strong>Heilung</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Bewegte</strong> <strong>Körper</strong> in der Interkulturellen Trauma-Zentrierten<br />

Psychotherapie<br />

DIPLOMARBEIT<br />

Zur Erlangung des akademischen Grades<br />

Magistra der Philosophie Studium: Psychologie<br />

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt<br />

Fakultät für Kulturwissenschaften<br />

Begutachter: O.Univ.-Prof. Dr. Klaus Ottomeyer<br />

Institut für Psychologie<br />

Mai 2009<br />

1


Ehrenwörtliche Erklärung<br />

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende wissenschaftliche Arbeit<br />

selbstständig angefertigt und die mit ihr unmittelbar verbundenen Tätigkeiten selbst<br />

erbracht habe. Ich erkläre weiters, dass ich keine anderen als die angegebenen<br />

Hilfsmittel benutzt habe. Alle gedruckten, ungedruckten oder dem Internet im<br />

Wortlaut oder im wesentlichen Inhalt übernommenen Formulierungen und<br />

Konzepte sind gemäß den Regeln für wissenschaftliche Arbeiten und durch<br />

Fußnoten bzw. durch andere genaue Quellenangaben gekennzeichnet.<br />

Die während des Arbeitsvorganges gewährte Unterstützung einschließlich<br />

signifikanter Betreuungshinweise ist vollständig angegeben.<br />

Die wissenschaftliche Arbeit ist noch keiner anderen Prüfungsbehörde<br />

vorgelegt worden. Diese Arbeit wurde in gedruckter und elektronischer Form<br />

abgegeben. Ich bestätige, dass der Inhalt der digitalen Version vollständig mit<br />

dem der gedruckten Version übereinstimmt.<br />

Ich bin mir bewusst, dass eine falsche Erklärung rechtliche Folgen haben wird.<br />

Klagenfurt, im Mai 2009<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung ........................................................................................................... 6<br />

1. Philosophisch-anthropologische Überlegungen zur Leib-Seele-Thematik ....... 7<br />

1.1 Platon und Aristoteles ................................................................................ 9<br />

1.2 Von Descartes zu Malebranche ............................................................... 12<br />

1.3 Von Maine de Biran zu James und Lange ............................................... 13<br />

1.4 Friedrich Nietzsche <strong>–</strong> <strong>Der</strong> <strong>Körper</strong> als Ausdrucksform des genuin<br />

Menschlichen ................................................................................................. 15<br />

1.5 Gabriel Marcel, Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty ................ 16<br />

1.6 Helmuth Plessner <strong>–</strong> als <strong>Körper</strong>leib im <strong>Körper</strong>leib ..................................... 20<br />

2. Desorganisation durch Trauma .................................................................. 23<br />

2.1 Kurzer geschichtlicher Abriss der Trauma-Forschung: ............................ 24<br />

2.2 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS/PTSD) nach DSM-IV ........ 28<br />

2.3 Aktuelle Trauma-Konzepte ....................................................................... 30<br />

2.4 Stressphysiologie ..................................................................................... 31<br />

2.4.1 Panik-(Bindungs-Parasympathikus-) System .................................... 32<br />

2.4.2 Totstellreflex <strong>–</strong> die Freeze-Reaktion .................................................. 33<br />

2.4.3 Parasympathisches vs. Sympathisches System ................................ 33<br />

2.4.4 Das Furcht-System ............................................................................ 34<br />

2.4.5 Fight and flight, Kampf und/oder Flucht ............................................. 35<br />

2.5 Dissoziation .............................................................................................. 36<br />

2.6 Physische Folgen von Traumata <strong>–</strong> der <strong>Körper</strong> als verlassene Bühne ... 41<br />

2.6.1 Folter hinterlässt Spuren ................................................................... 43<br />

2.6.2 <strong>Der</strong> <strong>Körper</strong> erinnert sich..................................................................... 44<br />

2.6.3 Was uns der <strong>Körper</strong> verraten kann .................................................... 47<br />

3. Geschichte der <strong>Tanz</strong>therapie ...................................................................... 51<br />

3.1 Ausdruckstanz .......................................................................................... 51<br />

3.2 Die Verbindung von <strong>Tanz</strong> und Psychotherapie .................................. 55<br />

3.2.1 Trudi Schoop ..................................................................................... 55<br />

3.2.2 Marian Chace, Jacob Levy Moreno und das Psychodrama ............... 56<br />

3.2.3 Psychodrama und <strong>Tanz</strong>therapie: mögliche Parallelen ....................... 57<br />

3.2.4 Tiefenpsychologie und Psychoanalyse .............................................. 59<br />

3


3.2.5 Mary Wigman & Rudolf von Laban .................................................... 59<br />

3.2.6 Elsa Gindler <strong>–</strong> Konzentrative Bewegungstherapie ............................. 62<br />

4. Spezielle Herausforderungen in interkultureller Trauma-Therapie ....... 63<br />

4.1 Das Problem „PTSD/PTBS“: Ethnozentrische Diagnosekriterien ............ 64<br />

4.2 Neuere Ansätze der kulturübergreifenden Trauma-Arbeit ........................ 66<br />

4.2.1 Kulturübergreifende Diagnostik ......................................................... 66<br />

4.2.2 Arbeit mit Mythen ............................................................................... 67<br />

4.3 Die Rolle der Riten ................................................................................... 70<br />

4.4 Kulturübergreifende Trauma-Arbeit als globale Herausforderung ............ 73<br />

5. <strong>Tanz</strong>therapieals Unterstützung in interkulturellen Trauma-Zentrierten<br />

Psychotherapie-Settings: eine qualitative Studie ........................................ 76<br />

5.1 Persönlicher Zugang ................................................................................ 78<br />

5.2 Konkretisierung der Fragestellung: ........................................................... 80<br />

5.2.1 Erhebungs-Methode: Problemzentriertes Interview nach Witzel ....... 80<br />

5.2.2 Auswertungs-Verfahrens: Zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse<br />

nach Mayring ................................................................................. 82<br />

5.3 Vorstellung der Interview-Partnerinnen .................................................... 83<br />

5.4 Auswertung der Interviews ....................................................................... 86<br />

5.5 Zusammenfassung ................................................................................. 117<br />

5.5.1 Persönlicher Zugang zum Medium <strong>Tanz</strong> ......................................... 117<br />

5.2.3 <strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapeutisches Arbeiten nach Trauma ....... 118<br />

5.2.3 Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck .............................................. 121<br />

5.2.4 <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke ...................................................... 122<br />

5.2.5. Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Perspektiven .................. 123<br />

Schlusswort ................................................................................................... 124<br />

4


„Habe ich meinen <strong>Körper</strong> verloren,<br />

So habe ich mich selbst verloren.<br />

Finde ich meinen <strong>Körper</strong>, so finde ich mich selbst.<br />

Bewege ich mich, so lebe ich und bewege die Welt.<br />

Ohne diesen Leib bin ich nicht, und als mein Leib bin ich.<br />

Nur in der Bewegung aber erfahre ich mich als mein Leib,<br />

Erfährt sich mein Leib, erfahre ich mich.<br />

Mein Leib ist die Koinzidenz von Sein und Erkenntnis,<br />

Von Subjekt und Objekt. Er ist der Ausgangspunkt<br />

Und das Ende meiner Existenz.“<br />

Paris 1965 Vladimir Iljine<br />

5<br />

6


Einleitung<br />

Sinn und Ziel der vorliegenden Arbeit war es, in einem ersten Schritt ein besseres<br />

Verständnis dafür zu entwickeln, wie und warum es zu dem <strong>–</strong> teilweise auch noch in<br />

der heutigen westlichen Psychotherapielandschaft vorherrschenden <strong>–</strong> <strong>Körper</strong>-<br />

Seele-Dualismus kam (Kapitel 1). Unter Berücksichtigung des aktuellen<br />

Forschungsstandes soll in Kapitel 2 genauer beleuchtet werden, zu welcher Art von<br />

Desorganisation traumatische Erlebnisse in Psyche und Soma führen können.<br />

Das 3. Kapitel skizziert in kurzen Zügen die Entstehungsgeschichte und<br />

Anwendungsfelder heutiger <strong>Tanz</strong>- (und Bewegungs- (-psycho)) Therapien unter<br />

besonderer Berücksichtigung der Rolle, die sie dem <strong>Körper</strong>/Leib in der Biographie<br />

und Behandlung der KlientInnen zusprechen.<br />

Im 4. Kapitel werden spezifische Aspekte der interkulturellen Trauma-zentrierten<br />

Psychotherapie <strong>–</strong> wie etwa der kulturelle bias des westlich-ethnozentrischen Blickes<br />

oder die speziellen Herausforderungen, mit denen traumatisierte AsylwerberInnen<br />

weltweit konfrontiert sind <strong>–</strong> reflektiert.<br />

Das 5. und letzte Kapitel beschreibt die im Zuge der Arbeit durchgeführte qualitative<br />

Studie zum Einsatz von <strong>Tanz</strong>therapeutischen Interventionen in der<br />

kulturübergreifenden Traumaarbeit. Die Diskussion der Ergebnisse soll eine Brücke<br />

zwischen den theoretischen Idealen der <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapien und<br />

den besonderen Anforderung der interkulturellen Trauma-Therapie schlagen.<br />

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Ausdruck posttraumatische<br />

Symptome, sofern nicht in Zitaten anderer Autoren zu lesen, in der vorliegenden<br />

Arbeit im Sinne Wilsons (2007) nicht als Synonym der DSM-IV Diagnose von<br />

PTBS/PTSD zu verstehen ist, auch wenn er die dort angeführten Symptome<br />

beinhaltet. Vielmehr orientiert er sich an einer breiter gefächerten Sichtweise, auf<br />

die im 4. Kapitel ausführlicher eingegangen wird.<br />

6


2. Philosophisch-anthropologische Überlegungen zur Leib-Seele-<br />

Thematik<br />

<strong>Körper</strong> oder Leib <strong>–</strong> le corps que j’ai ou le corps que je suis<br />

Aus dem Blickwinkel eines Forschers, der Deutsch als zweite Sprache<br />

kennengelernt hat, schreibt Goldschmidt<br />

„En allemand, tout part du corps, tout y revient, tout le traverse : der Leib (le corps<br />

qui est la vie même) a la même origine que das Leben (la vie), life. Le corps, c‟est le<br />

vivant même, la vie wie sie leibt und lebt, la vie en chair et en os ; der Leib est un<br />

tout autre corps que le <strong>Körper</strong>, le corps tel qu‟il est issu du latin, et qui exprime le<br />

corps fonctionnel et aussi le corps de métier. Mais le Leib, c‟est le corps tel que je<br />

suis, le corps même. “ (in Quand Freud voit la mer, 1988)<br />

Eine Eigenheit der deutschen Sprache besteht in der Möglichkeit, corps (franz.)<br />

oder body (engl.) mit Leib oder <strong>Körper</strong> zu übersetzen, aber bedeutet eine bewusste<br />

Wortwahl auch die Entscheidung für das dahinterstehende Konzept? Gibt es ihn<br />

tatsächlich, den in den Naturwissenschaften so gerne postulierten klar definierbaren<br />

Unterschied zwischen dem einen und dem anderen?<br />

Bin ich ein <strong>Körper</strong>(Leib) oder habe ich einen <strong>Körper</strong>(Leib), und wenn ich einen<br />

<strong>Körper</strong> habe, was genau ist dann dieses habende Ich?<br />

<strong>Der</strong> Philosoph Donatus Thürnau erläutert, dass<br />

„die entscheidende Differenz in den Perspektiven nicht durch die Begriffe ,Leib„ und<br />

,<strong>Körper</strong>„, sondern durch die unterschiedlichen Verhältnisse von ,haben„ und ,sein„<br />

zum Ausdruck gebracht wird.“ (in Einführung zur Leiblichkeit zwischen<br />

Unmittelbarkeit und symbolischer Konstruktion in Petzold, 1996, S.122)<br />

Nicht nur divergieren die Meinungen verschiedener Autoren zu der Sein/Haben-<br />

Thema stark, in vielen Fällen finden wir auch bei ein und derselben Person einen<br />

uneinheitlichen Begriffsgebrauch <strong>–</strong> Plessner beispielsweise spricht sowohl von<br />

„<strong>Körper</strong>leib im <strong>Körper</strong>leib“, „<strong>Körper</strong>-Sein und <strong>Körper</strong>-Haben“, sowie davon, den<br />

„Leib zu bewohnen und zugleich ein Leib zu sein“ (siehe 1.6).<br />

7


Eng verwandt mit der immer wieder aufkommenden Diskussion um das<br />

wahrscheinlich ebenso wenig klar zu definierende, aber umso häufiger zitierte Ich<br />

wirft auch die versuchte Begriffsabgrenzung <strong>Körper</strong>/Leib phänomenologisch,<br />

ontologisch und erkenntnistheoretisch mehr Fragen auf, als sie sie zu beantworten<br />

im Stande wäre: zugegebenermaßen schwierige Voraussetzungen für eine<br />

wissenschaftliche Annäherung an das Thema. Schwierige Voraussetzungen können<br />

aber auch interessante Voraussetzungen sein - zumindest für den Philosophen<br />

(oder die Forscherin) wie es uns Gabriel Marcel und Hans A. Fischer-Barnicol in<br />

ihrem gemeinsamen Aufsatz Leibliche Begegnungen versichern, denn:<br />

„Im Unterschied zum Wissenschaftler hat der Philosoph seine Gedanken selber zu<br />

denken und zu verantworten. Er kann sich nicht in ein unpersönliches oder gar<br />

entpersönlichtes Subjekt des Wissens flüchten, in eine imaginäre Position, von der<br />

aus irgendwelche abstrakten Gesetze erlassen und schematische Urteile<br />

ausgesprochen werden können“ (Marcel & Fischer-Barnicol, in Petzold 1994, S.15)<br />

In der Psychotherapie nimmt der Leib/<strong>Körper</strong> noch immer eine marginalisierte<br />

Position ein und auch im speziellen Feld der Psychotraumatologie, in der viele <strong>–</strong><br />

genau diesem <strong>Körper</strong>/Leib zugefügten <strong>–</strong> Verletzungen behandelt werden, gibt es<br />

durchaus konträre Positionen zur Miteinbeziehung des <strong>Körper</strong>s in die Therapie.<br />

Offene Fragen sind nachwievor:<br />

Wie passt der physische <strong>Körper</strong> überhaupt in die sogenannten<br />

Geisteswissenschaften und welchen Platz kann er in den Gefilden der Psychologie,<br />

der Lehre von der Seele, einnehmen? Woher stammen der, unseren Kulturkreis<br />

noch immer prägende, Dualismus und der Wunsch, Seele und <strong>Körper</strong> klar<br />

voneinander abgrenzen zu wollen? Immer wieder werden Platon und Descartes als<br />

Begründer der strikten Trennung von Leib und Seele zitiert, aber gab es auch<br />

andere Sichtweisen und wenn ja, welchen Einfluss hatten sie auf die verschiedenen<br />

Schulen der Psychologie und Psychotherapie?<br />

8


In diesem Sinne soll dieses einleitende Kapitel einen Überblick über verschiedene<br />

Sichtweisen des <strong>Körper</strong>s/Leibes ausgewählter Autoren, die Einfluss auf wichtige<br />

psychologische und psychotherapeutische Konzepte ausübten, geben, ohne dabei<br />

jedoch den Anspruch zu erheben, die Wahrheit über die geheimnisvolle Verbindung<br />

zwischen Leib und Seele gefunden zu haben.<br />

1.1 Platon und Aristoteles<br />

Platon <strong>–</strong> der <strong>Körper</strong> als Gefängnis<br />

Aus pragmatischen Gründen, genauer gesagt aus Gründen der Verlässlichkeit der<br />

Quellen, beginnen wir unsere Reise mit Platon und dessen dualistischer Zweiteilung<br />

des Menschen in <strong>Körper</strong> und Seele. Er sieht beide als unterschiedliche Realitäten,<br />

und während er dem <strong>Körper</strong> einen irdischen Ursprung, sowie die Attribute<br />

menschlich und sterblich zuspricht, ordnet er die Herkunft der Seele dem<br />

Göttlichen zu. In seinem Dialog Phaidros lässt er Sokrates sprechen:<br />

„Seele insgesamt ist unsterblich. Denn das stets bewegte ist unsterblich; was aber<br />

anderes bewegt und selbst von anderem bewegt wird, insofern es ein Aufhören der<br />

Bewegung hat, hat auch ein Aufhören des Lebens […]. Alles was Seele ist, waltet<br />

über das Unbeseelte und durchzieht den ganzen Himmel, verschiedentlich in<br />

verschiedenen Gestalten sich zeigend […], die entfiederte aber schwebt umher, bis<br />

sie auf ein starres trifft, wo sie nun wohnhaft wird, einen erdigen Leib annimmt, der<br />

nun durch ihre Kraft sich selbst zu bewegen scheint, und dieses Ganze, Seele und<br />

Leib zusammenfügt […]“ (ebd., S.27f)<br />

In Phaidon nennt Platon denjenigen Philosophen tugendhaft und besonnen, der<br />

„den Leib am meisten geringschätzt und in der Liebe zu Weisheit lebt“ (S.14). Des<br />

Weiteren versteht er den <strong>Körper</strong> als Gefängnis, von dem sich die Seele trennen<br />

muss, um dem Tod zu entkommen. Was auf den ersten Blick sehr körperfeindlich<br />

scheinen mag, wird nuancenreicher und verständlicher, wenn wir näher auf den<br />

Kontext eingehen, in den dieser spezielle sokratische Dialog gebettet ist: <strong>Der</strong><br />

griechische Philosoph Sokrates wird angeklagt, die Jugend verführt und aufgehetzt<br />

zu haben, ein Tatbestand, der im damaligen griechischen Reich mit dem Tode<br />

geahndet wird. Er verteidigt sich in einer imposanten Rede selbst vor Gericht,<br />

dennoch wird entschieden, ihn durch das Verabreichen eines Bechers voller Gift<br />

9


hinzurichten und während Sokrates in seiner Zelle auf die Stunde seines Todes<br />

wartet, spricht er ein letztes Mal mit einigen Freunden, die gekommen waren, um<br />

ihn zur Flucht zu überreden oder ihm zumindest in den schweren Stunden Beistand<br />

zu leisten. Für Sokrates aber ist Flucht keine Alternative, er ist davon überzeugt,<br />

dass es aus dieser Situation kein Entrinnen gibt und er sich dem Unausweichlichen<br />

stellen muss. Sokrates trinkt also das Gift und während er auf das Eintreten seines<br />

Todes wartet, lässt ihn Platon einem seiner Zuhörer, dem besorgten Kebes,<br />

erklären, dass der Tod die Befreiung der Seele vom Leibe sei, der dem Erwerb der<br />

„richtigen Einsicht“ ohnehin hinderlich sei, da er unsere Seele mit seinen<br />

Sinneswahrnehmungen nur verwirre. (vgl. S.29ff)<br />

„Wann also trifft die Seele die Wahrheit? Denn wenn sie mit dem Leibe versucht,<br />

etwas zu betrachten, dann offenbar wird sie von diesem hintergangen. <strong>–</strong> Richtig [...]<br />

Und sie [die Seele, Anm. d. Autorin] denkt offenbar am besten, wenn nichts von<br />

diesem sie trübt, weder Gehör noch Gesicht noch Schmerz und Lust, sondern sie<br />

am meisten ganz für sich ist, den Leib gehen läßt und soweit irgend möglich ohne<br />

Gemeinschaft und Verkehr mit ihm dem Seienden nachgeht. […] Also auch dabei<br />

verachtet des Philosophen Seele am meisten den Leib, flieht vor ihm und sucht, für<br />

sich allein zu sein? <strong>–</strong> So scheint es.“ (S. 27ff)<br />

<strong>Der</strong> hier scheinbar so klar wertende Dualismus des Platon spricht ein interessantes<br />

Phänomen in der Beziehung des Menschen zu seinem Leib an, das sich in<br />

ähnlicher Form immer wieder in Schriften späterer Philosophen (und nicht nur dort)<br />

finden wird: Auch die Psychotraumatologie kennt Situationen, in denen die Seele<br />

den Leib verachtet, weil er so angreifbar ist und sich von ihm zurückzuziehen<br />

versucht, um wenigstens einen Teil von sich zu retten.<br />

Aristoteles <strong>–</strong> Die Seele ist das Prinzip der Aktivität, das dem <strong>Körper</strong> Kraft gibt<br />

Was die Seele betrifft, so ist für Aristoteles klar, dass diese die Entelechie des<br />

<strong>Körper</strong>s, (die im Organismus liegende Kraft, die dessen Entwicklung/Vollendung<br />

bewirkt 1 ) ist, und er stellt die Frage in den Raum, ob die Beziehung der Seele als<br />

Entelechie zum <strong>Körper</strong> vergleichbar ist mit der Beziehung eines Steuermannes zu<br />

seinem Schiff:<br />

1 Siehe Duden, 1999<br />

10


„ Il reste encore à déterminer si l‟âme est l‟entéléchie du corps comme un pilote en<br />

son navire.“ (Aristoteles, 1966, S.32)<br />

Mit Aristoteles wird der griechische Dualismus des Platon weniger radikal, auch<br />

wenn er in seinen Grundzügen als solcher bestehen bleibt. Während bei Platon der<br />

<strong>Körper</strong> (das Sichtbare) noch streng von der Seele (dem Unsichtbaren) getrennt ist,<br />

vermutet Aristoteles eine Beziehung, ja sogar eine gewisse Bedingtheit zwischen<br />

den beiden, wenn er schreibt:<br />

„L‟âme n‟est donc pas séparable du corps, du moins en certaines de ses parties, si<br />

sa nature admet la divisibilité : cela n‟est pas douteux.“ ( Ebd., S.31)<br />

Doch auch wenn Aristoteles eine Beziehung und eine gewisse Verschränktheit<br />

zwischen <strong>Körper</strong> und Seele einräumt, grenzt er sie dennoch insofern voneinander<br />

ab, als dass er im <strong>Körper</strong> die reine Kraft (puissance) und in der Seele das Prinzip<br />

der Aktivität, die dem <strong>Körper</strong> diese Kraft gibt, sieht:<br />

„Il s‟ensuit nécessairement que l„âme est substance au sens de forme d‟un corps<br />

naturel possédant la vie en puissance. Or la substance formelle est entéléchie :<br />

l‟âme est donc l‟entéléchie d‟un corps de cette sorte.“ (Ebd., S.30)<br />

Deutliche Parallelen zum platonischen und aristotelischen Dualismus zeigen sich<br />

auch in der Lehre des Christentums: Besonders im Neuen Testament wird an<br />

manchen Stellen der neoplatonische Einfluss sichtbar; dabei werden allerdings die<br />

Bezeichnungen Seele und Leib von den Begriffen Geist und Fleisch ersetzt. Wenn<br />

sich die Seele bei Platon aus dem <strong>Körper</strong>gefängnis befreien muss, so gilt es im<br />

christlichen Sinn, das Fleisch, als die „Sünde des Geistes“, zu überwinden (vgl.<br />

Paulus, I. Korinther). Erlöst werden soll der/diejenige, der/die sich dafür entscheidet,<br />

sich vom Fleisch, von der <strong>Körper</strong>lichkeit, abzuwenden, oder, um mit Senecas<br />

Worten zu sprechen:<br />

„contemptus corporis sui, certa libertas est“<br />

11


1.2 Von Descartes zu Malebranche<br />

Descartes<br />

René Descartes, Begründer des Rationalismus, wurde 1596 als 3. Kind einer<br />

adeligen Familie in Frankreich geboren. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt<br />

und sein Vater heiratete ein zweites Mal. Er galt als kränkliches und schwächliches<br />

Kind, fiel jedoch schon bald durch seinen scharfen Verstand auf. Er erlebte den<br />

Bürgerkrieg mit und nahm selbst zuerst unter Moritz von Oranien und dann als<br />

bayrischer Söldner am 30-jährigen Krieg teil, bevor er beinahe 20 Jahre<br />

zurückgezogen in Holland lebte. Durch die Anklage Galileo Galileis als Ketzer<br />

verunsichert, veröffentlichte er seine eigenen Werke erst spät (1637 <strong>–</strong> 1641). (Vgl.<br />

Baillet, 1691)<br />

Descartes widmete einen relativ großen Teil seiner Überlegungen der Frage nach<br />

der Beziehung zwischen Seele und <strong>Körper</strong>, beziehungsweise einer möglichst<br />

genauen Definition der Unterschiede zwischen den beiden, was sich beispielsweise<br />

im Titel der Meditationes widerspiegelt, die Descartes wie folgt benannte:<br />

Meditationes de prima philosophia, in quibus Dei existentia et animae humanae a<br />

corpore distinctio demonstratur<br />

[Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, in denen das Dasein Gottes und<br />

die Verschiedenheit der menschlichen Seele vom <strong>Körper</strong> bewiesen werden]<br />

Descartes sieht in den res cogitans (mens, animus, intellectus, ratio) und in den<br />

res extensas (materielle <strong>Körper</strong> inklusive dem menschlichen <strong>Körper</strong>, die nur durch<br />

die res cogitans, sprich das Denken, erfasst werden können) zwei autosuffiziente<br />

Substanzen, die sich als Gegensätze gegenüberstehen. In unserem physischen<br />

<strong>Körper</strong>, so meint er, treffen sie in einem Punkt, in der glandula pinealis, oder der<br />

Zirbeldrüse, aufeinander, da es diese nur in einmaliger Ausführung in unserem<br />

Gehirn gibt. Um möglicherweise schlimme Konsequenzen zu vermeiden<br />

(Zeitgenossen waren für Religions-kritische Aussagen verbrannt worden) erweiterte<br />

Descartes schließlich sein anfangs sehr mechanistisches Menschenbild um die<br />

Komponente der Seele. Die Seele sei es, die Menschen, Tiere und Pflanzen von<br />

unbeseelten Gegenständen wie Steine unterscheide und durch ihr Eintreten in<br />

einen <strong>Körper</strong> sei diesem Leben gegeben, durch ihr Verlassen dieses wieder<br />

12


genommen. Die Bewusstheit oder das Denken sieht Descartes als charakteristische<br />

Eigenschaften der Seele an. <strong>Der</strong> <strong>Körper</strong> an sich ist nach Descartes wie eine<br />

Maschine, eine Annahme, die sich für ihn in Traité de l’Homme dadurch begründet,<br />

dass er eine solche beschreibt und im Folgenden annimmt, dass sie sich in keinerlei<br />

wesentlichen Eigenschaften vom <strong>Körper</strong> unterscheidet. <strong>Der</strong> Mensch in seiner<br />

Ganzheit kann aber vom späteren Descartes nicht als Maschine gesehen werden,<br />

da er sich von dieser durch seine Vernunft abhebt (vgl. Beckermann, 1986, S.23 ff).<br />

Auch Descartes misstraut den Wahrnehmungen, die durch unsere Sinne in unser<br />

Gedächtnis gelangen; in der zweiten seiner Meditationen („Über die Natur des<br />

menschlichen Geistes; daß seine Erkenntnis ursprünglicher ist als die des <strong>Körper</strong>s“)<br />

schreibt er:<br />

„Suppono igitur omnia, quae video, falsa esse, credo nihil umquam existesse eorum,<br />

quae mendax memoria repraesentat, nullos plane habeo sensus; corpus, figura,<br />

extensio, motus locusque sunt chimerae.“ (Descartes, 1996, S.42)<br />

[„Ich setze voraus, daß alles, was ich sehe, falsch ist, ich glaube, daß nichts jemals<br />

existiert hat, was das trügerische Gedächtnis mir darstellt: ich habe überhaupt keine<br />

Sinne; <strong>Körper</strong>, Gestalt, Ausdehnung, Bewegung und Ort sind nichts als Chimären.“]<br />

(Ebd., 1996, S.43)<br />

Malebranche<br />

In seinem Werk De la recherche de la vérité où l'on traite de la nature de l'esprit de<br />

l'homme, & de l'usage qu'il en doit faire pour éviter l'erreur dans les sciences vertritt<br />

Nicolas Malebranche, ein Vertreter des christlichen Rationalismus in der Tradition<br />

Platons und Augustinus, eine ähnliche Auffassung wie Descartes und geht<br />

außerdem davon aus, dass Gott unserer Seele näher sei als unserem <strong>Körper</strong>.<br />

1.3 Von Maine de Biran zu James und Lange<br />

Maine de Biran <strong>–</strong> Woher kommt das Glück?<br />

Francois-Pierre-Gonthier Maine de Biran, so sein voller Name, war Zeitzeuge der<br />

französischen Revolution. Nach seinem Studium trat er in die Leibgarde Ludwig<br />

XVI. ein, zog sich aber nach deren Auflösung auf sein Landgut zurück, weshalb er<br />

großteils von den gesellschaftlichen Umbrüchen und Tumulten der französischen<br />

13


Revolution verschont blieb. Neben der Philosophie verschrieb er sich der<br />

Psychologie und der Politik, erlangte aber zu Lebzeiten auf Grund seines trüben<br />

und teilweise sehr schwer verständlichen Stils wenig Ansehen. In seine<br />

gnoseologische Theorie bezieht er körperliche Werte mit ein und überwindet die bis<br />

dato vorherrschende Degradation des menschlichen <strong>Körper</strong>s als Instrument. Er<br />

argumentiert, dass der <strong>Körper</strong> kein reines Instrument sein kann, weil das, was wir<br />

Instrument nennen, stets im Dienste eines anderen Etwas stehen muss - eines<br />

anderen Etwas, das sich dieses Instruments bedient. Für Maine de Biran ist der<br />

<strong>Körper</strong> vielmehr ein Raum, in dem es uns möglich ist, als Individuen um uns selbst<br />

zu wissen. In seinem Tagebuch befasst er sich eingehend mit der wechselseitigen<br />

Beziehung zwischen Seele und <strong>Körper</strong> und deren Zusammenhang mit unserem<br />

Wohlbefinden. Bedingt nun die Seele oder doch der <strong>Körper</strong> unsere Gefühlslage?<br />

„Kommt das Glück aus einem bestimmten Zustand unseres Wesens? Aber dieser<br />

Zustand ist entweder physisch und hängt damit von der jeweiligen Spannkraft<br />

bestimmter körperlicher Teile, bestimmter Fibern, ab, […] oder er ist vielmehr<br />

geistiger Natur und leitet sich von dem Wandel unserer Seele ab, ohne daß der<br />

<strong>Körper</strong> auf sie irgendeinen Einfluss hätte.“ (Maine de Biran, 1977, S.28)<br />

An anderer Stelle werden seine Zweifel noch explizierter, wenn er über die<br />

eigentlichen Aufgaben der Seele reflektiert:<br />

„Was hat es eigentlich mit der vorgeblichen Tätigkeit der Seele auf sich? Ich<br />

empfinde ihren Zustand immer vom jeweiligen körperlichen Zustand bestimmt.“<br />

(Ebd., S. 23)<br />

Ähnliches sollten einige Jahre später die unabhängig voneinander forschenden<br />

Wissenschaftler James (1884) und Lange (1885) als Theorie über die Emotionen<br />

zusammenfassen.<br />

James-Lange Theorie<br />

Lange und James brachen mit der bis dato vorherrschenden wissenschaftlichen<br />

Ansicht, dass erst durch die Emotionen, die durch Stimuli in uns ausgelöst werden,<br />

Verhalten und <strong>Körper</strong>reaktionen getriggert werden.<br />

14


„,Wir zittern nicht weil wir Angst erleben, sondern wir erleben Angst, weil wir zittern.„<br />

so könnte man mit einfachen Worten die Emotionstheorie von James (1884)<br />

umschreiben“ (Müsseler & Prinz 2002, S 338f).<br />

Reize würden demnach in uns konkrete <strong>Körper</strong>reaktionen hervorrufen, deren<br />

Bewertung uns schließlich etwas Bestimmtes fühlen lässt. James revidierte seine<br />

Theorie zehn Jahre später und erweiterte sie um eine weitere Komponente: die<br />

persönliche Bewertung der Reize und wie sie Einfluss auf die körperliche Reaktion<br />

nimmt <strong>–</strong> Ansätze, die später beispielsweise von Lazarus weiterverarbeitet wurden.<br />

Doch Maine de Biran spricht noch einen weiteren interessanten Aspekt der<br />

<strong>Körper</strong>lichkeit an, auf den wir auch bei näherer Beschäftigung mit den<br />

Phänomenologen Merleau-Ponty und Marcel oder in der integrativen Psychologie<br />

von Hilarion Petzold stoßen werden: <strong>Der</strong> des <strong>Körper</strong>s als Raum für unser Selbst.<br />

Bevor wir uns aber den Phänomenologen und ihrem holistischeren Menschenbild<br />

zuwenden, ist auch das <strong>Körper</strong>bild Nietzsches, der sich in extremerer Form gegen<br />

die Degradierung des <strong>Körper</strong>s als bloßes Instrument stellte, einen Blick Wert.<br />

1.4 Friedrich Nietzsche <strong>–</strong> <strong>Der</strong> <strong>Körper</strong> als Ausdrucksform des genuin<br />

Menschlichen<br />

In „Also sprach Zarathustra“, einem seiner späten Werke, fasst Friedrich Nietzsche<br />

in den Vorreden die zu seiner Zeit vorherrschende Entwertung des <strong>Körper</strong>s wie folgt<br />

zusammen:<br />

„Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese Verachtung<br />

das Höchste: - sie wollte ihn mager, gräßlich, verhungert. So dachte sie ihm und der<br />

Erde zu entschlüpfen.“ (S.9)<br />

Nietzsche skizziert in „Also sprach Zarathustra“, seinem Buch für „alle und keinen“,<br />

ein <strong>Körper</strong>bild, das in seiner Wertschätzung der <strong>Körper</strong>lichkeit dem Schopenhauers<br />

ähnlich ist, jedoch noch weit über dieses hinaus geht. Dies wird deutlich, wenn er<br />

seinen Zarathustra, den nunmehr 40-jährigen Philosophen und Propheten, der sich<br />

nach 10 Jahren der Einsiedelei dazu entschließt, zu den Menschen<br />

zurückzukehren, um ihnen auf dem Marktplatz vom Übermenschen zu predigen,<br />

15


sprechen lässt. <strong>Der</strong> von der Welt Unverstandene richtet sich mit folgenden Worten<br />

an die „Verächter des Leibes“:<br />

„,Leib bin ich und Seele„ <strong>–</strong> so redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie die<br />

Kinder reden? Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar,<br />

und nichts außerdem; und Seele ist nur ein Wort für Etwas am Leibe. […] Hinter<br />

deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger Gebieter, ein<br />

unbekannter Weiser <strong>–</strong> der heißt Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er.“<br />

(S.34)<br />

Er kehrt die Lehren der platonisch-aristotelischen Glaubenssätze der Überwertigkeit<br />

der Seele als Steuermann des Instrumentes <strong>Körper</strong> völlig um, wenn er Zarathustra<br />

predigen lässt:<br />

„<strong>Der</strong> Leib ist eine große Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinn, ein Krieg und ein<br />

Frieden, eine Herde und ein Hirt. Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine<br />

Vernunft, mein Bruder, die du ,Geist„ nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner<br />

großen Vernunft.<br />

,Ich„ sagst du und bist stolz auf dies Wort. Aber das Größere ist <strong>–</strong> woran du nicht<br />

glauben willst <strong>–</strong> dein Leib und seine große Vernunft: die sagt nicht Ich, aber tut ich“<br />

(S.34)<br />

Anders als bei Autoren früherer Epochen sind wir bei Nietzsche also mit der<br />

Annahme konfrontiert, dass sich der <strong>Körper</strong> nicht gegen das Bewusstsein oder gar<br />

die Vernunft stellt, sondern dass die Vernunft selbst <strong>Körper</strong>, beziehungsweise<br />

diesem unterworfen ist.<br />

1.5 Gabriel Marcel, Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty<br />

Nachdem wir uns nun im aristotelischen Sinne mit der These (der <strong>Körper</strong> ist der<br />

Seele/dem Geist/der Vernunft unterworfen) und der Antithese (Die Vernunft/der<br />

Geist/die Seele ist dem <strong>Körper</strong> Untertan) beschäftigt haben, wollen wir uns nun<br />

Gabriel Marcel, Jean-Paul Sartre, Maurice Merleau-Ponty und den damit möglichen<br />

Synthesen zuwenden.<br />

16


Gabriel Marcel <strong>–</strong> die mystische Einheit zwischen <strong>Körper</strong> und Seele<br />

Gabriel Marcel, als christlicher Existentialist bekannt, wurde von seinem Vater,<br />

einem französischen Diplomaten, und der Schwester seiner verstorbenen Mutter,<br />

die sein Vater schließlich heiratete, aufgezogen. Schon als Schüler war er<br />

herausragend, während seines Studiums an der Sorbonne brillierte er durch seine<br />

Leistungen und schließlich unterrichtete er an vielen renommierten Hochschulen<br />

weltweit. Den ersten Weltkrieg erlebte er aus gesundheitlichen Gründen nicht an<br />

der Front, sondern als Mitarbeiter des französischen Roten Kreuzes. Die<br />

traumatischen Erlebnisse dieser Zeit beeinflussten auch seine philosophischen<br />

Interessen und leiteten ihn von dem Idealismus, der seine frühen Schriften prägt, zu<br />

einem existenziellen Humanismus. Erst 1929 konvertierte er zum Christentum und<br />

die darauf folgenden philosophischen Meditationen prägten seinen Ruf als<br />

christlicher Existentialist. (Vgl. Homepage der Gabriel Marcel Gesellschaft, 2009)<br />

Hinsichtlich des Leib-Seele-Problems beschreibt Marcel die Einheit zwischen<br />

<strong>Körper</strong> und Seele als Mysterium (in klarer Abgrenzung zu einem Problem) und geht<br />

auf die Komplikationen ein, die eine dualistische Sichtweise mit sich bringt:<br />

„Mon corps pensé cesse d‟être mien“ (Journal Métaphysique, S.323)<br />

Wenn ich meinen <strong>Körper</strong> zum Objekt mache, mich von ihm distanziere und mich<br />

frage, welche Art von Beziehung ich zu ihm unterhalte, verliere ich ihn, so sein<br />

Gedankengang. Marcel rät davon ab, den <strong>Körper</strong> dem Ich oder dem Bewusstsein<br />

entgegenzusetzen, stattdessen schlägt er vor, von einer mystischen Einheit der<br />

beiden auszugehen, wenn er in seinem Journal Métaphysique schreibt:<br />

„Je ne me sers pas de mon corps, je suis mon corps“ (S.323)<br />

Marcel zufolge bediene ich mich weder meines <strong>Körper</strong>s, noch benutze ich ihn: ich<br />

bin mein <strong>Körper</strong>. Damit wendet er sich von den Definitionen des <strong>Körper</strong>s als<br />

Instrument ab und weist vielmehr auf die Chancen hin, die uns das in-unserem-<br />

<strong>Körper</strong>-Sein eröffnet: Als Wurzel aller Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung zu<br />

anderen Subjekten, sowie sämtlicher Interaktionen mit unserer Umwelt ist es der<br />

(phänomenologische) <strong>Körper</strong>, der uns die Kontaktmöglichkeiten nach außen<br />

17


erschließt. Ähnliches findet sich auch in Jean-Paul Sartres Werk L’Être et le Neant,<br />

in dem er den <strong>Körper</strong> ein Schlüsselelement in der Beziehungsgestaltung nennt.<br />

Sartre präzisiert, dass der <strong>Körper</strong> zwar weder Instrument noch Grund meiner<br />

Beziehung zu anderen sei, aber ihre Bedeutung bilde und außerdem klar ihre<br />

Grenzen aufzeige.<br />

Merleau-Ponty <strong>–</strong> Mein Leib, mein Gesichtspunkt für die Welt<br />

Maurice Merleau-Ponty setzt sich in seinen Überlegungen besonders mit dem<br />

Problem des Leibes auseinander und reflektiert dabei vor allem kritisch die<br />

versuchte Abgrenzung des Leibes von der Seele. Wenn ich meinen eigenen Leib<br />

als Objekt sehe, mich aber als Subjekt, wo genau liegen dann die Grenzen<br />

zwischen dem einen und dem anderen? Gibt es diese Grenzen überhaupt?<br />

„Meinen Leib, der mein Gesichtspunkt für die Welt ist, betrachte ich als einen unter<br />

den Gegenständen dieser Welt. Ich verdränge das Bewußtsein, das ich von meinem<br />

Blick als Mittel der Erkenntnis hatte, und betrachte meine Augen als Stücke der<br />

Materie.“ (Merleau-Ponty, 1966, S.95)<br />

<strong>Der</strong> französische Phänomenologe wirft die Frage auf, warum wir unseren Leib<br />

überhaupt als Gegenstand betrachten wollen und auf welcher Grundlage dies<br />

geschieht. Hält die Grundlage einer Prüfung stand? Was macht einen Gegenstand<br />

aus und trifft diese Definition auf unseren Leib zu? Merleau-Ponty bezweifelt dies,<br />

wenn er schreibt:<br />

„Zunächst pflegt man zu sagen: mein Leib unterscheide sich dadurch vom Tisch<br />

oder der Lampe, daß ich von diesen mich abwenden kann, er aber ständig<br />

wahrgenommen ist. So wäre er also ein Gegenstand, der mich nie verließe. Doch ist<br />

der dann noch ein Gegenstand?“ (Ebd., 1966, S.115)<br />

Wie kann ich meinen eigenen <strong>Körper</strong> und die Vorgänge, die ihm/mir passieren,<br />

verstehen? Merleau-Ponty sieht, ähnlich wie Gabriel Marcel, in der Verdinglichung<br />

des eigenen <strong>Körper</strong>s die Gefahr, seine Funktion nicht mehr begreifen zu können.<br />

18


„Die Funktion des lebendigen Leibes kann ich nur verstehen, in dem ich sie selbst<br />

vollziehe, und in dem Maße, in dem ich selbst dieser einer Welt sich zuwendende<br />

Leib bin.“ (Ebd., 1966, S.99)<br />

Auch hier finden wir eine Valorisierung des Leibes als Möglichkeit, mit der Welt in<br />

Beziehung zu treten, wenn Merleau-Ponty (1966) an späterer Stelle dezidiert von<br />

„einem Begriff des Leibes nicht als Gegenstandes der Welt, sondern als Mittel<br />

unserer Kommunikation mit der Welt“ (S.117) spricht.<br />

Wenn also mein Leib mein Zentrum ist und ich von ihm aus mit der Welt in Kontakt<br />

trete, ist er notwendigerweise auch mein Referenzpunkt und die Bedingung, die mir<br />

die Erkennung anderer Orte oder Personen möglich macht. Erst wenn das, was<br />

Merleau-Ponty die Zone der eigenen Leiblichkeit (edb., S.127) nennt, gegeben ist,<br />

kann ausgehend von diesem Raum anderes erkannt und benannt werden. Einen<br />

sehr ähnlichen Standpunkt vertritt einige Jahre später Peter Levine, wenn er in<br />

Waking the Tiger über ganzheitliches inneres Empfinden schreibt:<br />

„Selbst wenn wir uns seiner nicht bewußt sind, sagt uns unser ganzheitliches<br />

inneres Empfinden, wo wir in einem bestimmten Augenblick sind und wie wir uns in<br />

diesem Moment fühlen. Es verläßt sich auf das umfassende Erleben des<br />

Organismus statt zu interpretieren, was aus der Sicht der einzelnen Teile vor sich<br />

geht. Das ganzheitliche innere Empfinden ist die Erfahrung des Seins in einem<br />

lebenden <strong>Körper</strong>, der die Feinheiten seiner Umgebung mit Hilfe seiner Reaktionen<br />

auf diese versteht.“ (1998, S.77)<br />

<strong>Der</strong> bewegte Leib bei Merleau-Ponty<br />

Auch Bewegung wird dadurch ermöglicht, dass wir in der Zone unserer Leiblichkeit<br />

sind, dass wir „in jedem Augenblick unseres Lebens wissen, wo unser Leib sich<br />

befindet, ohne ihn erst suchen zu müssen“. (Ebd., 1966, S.151) Probleme treten<br />

dann auf, wenn man Bewegung als rein physiologisches Phänomen oder aber als<br />

lediglich Bewusstseins-induzierte Erscheinung betrachtet und so Leib und<br />

Bewusstsein voneinander getrennt annimmt. Merleau-Ponty schlägt deshalb vor,<br />

beide als parallel existierend anzusehen. (Vgl. ebd., 1966, S.151) Wieder ist bei<br />

Levine ähnliches Gedankengut zu finden:<br />

19


„Aufgrund des ganzheitlichen inneren Empfindens sind wir in der Lage, uns zu<br />

bewegen, Informationen zu sammeln, zueinander in Beziehung zu treten, und<br />

letztlich herauszufinden, wer wir sind.“ (1998, S.79)<br />

1.6 Helmuth Plessner <strong>–</strong> als <strong>Körper</strong>leib im <strong>Körper</strong>leib<br />

Helmut Plessner sieht den Menschen als eine leibhafte Person, die ein<br />

doppeldeutiges Verhältnis zu ihrem <strong>Körper</strong> unterhält, nämlich als „Leib im <strong>Körper</strong>“.<br />

Ähnlich wie Marcel und Merleau-Ponty stellt er fest, dass der Mensch an seinen<br />

<strong>Körper</strong> gebunden ist, in dem Sinn, dass er sein <strong>Körper</strong> ist:<br />

„<strong>Der</strong> Rahmen selbst wird nie gesprengt. Ein Mensch ist immer zugleich Leib (Kopf,<br />

Rumpf, Extremitäten mit allem, was darin ist) <strong>–</strong> auch wenn er von seiner ,irgendwie„<br />

darin seienden unsterblichen Seele überzeugt ist <strong>–</strong> und hat diesen Leib als diesen<br />

<strong>Körper</strong>.“ (1970, S.43)<br />

Auf diese Art wird das Verhältnis Mensch-<strong>Körper</strong> mehr als eindeutig, im Sinne<br />

Plessners ist es ein „Verhältnis zwischen sich und sich“, das schwierig sein kann,<br />

aber auch eine spannende Herausforderung darstellt: die, sein Zentrum, die<br />

Balance zwischen <strong>Körper</strong>-Sein und <strong>Körper</strong>-Haben zu finden. <strong>Der</strong> „Zwang, zwischen<br />

dem <strong>Körper</strong>ding, das er nun einmal irgendwie ist, und dem von ihm bewohnten und<br />

beherrschten Leib einen immer wieder neuen Ausgleich zu finden“ ist für Plessner<br />

eine Lebensaufgabe:<br />

„Jeder muss auf seine Weise damit fertig werden <strong>–</strong> und wird in gewisser Weise nie<br />

damit fertig.“ (Ebd., S.46)<br />

Psychisches und Physisches sind für Plessner ohne jeden Zweifel ineinander<br />

verschränkt, die „klassische Psychophysik“ im Sinne Webers oder Fechners, sowie<br />

ihre „reinliche Scheidung zwischen physischen und psychischen Vorgängen“<br />

enttarnt er als „Artefakte“ (Vgl. S.21f). Was veranlasst(e) uns aber dazu, in vielen<br />

philosophischen, physiologischen oder psychologischen Theorien Geist/Seele und<br />

<strong>Körper</strong> voneinander zu trennen? Für Plessner ist klar:<br />

„Das Vermögen des Menschen zur Abstraktion und Ideation macht es ihm natürlich<br />

möglich, sich vom Sinnlichen zu lösen und es als eine qualité négligeable<br />

20


anzusehen. Er gefällt sich auch darin, und die religiöse Bewertung von Askese und<br />

Innerlichkeit gibt ihm obendrein noch ein gutes Gewissen.“ (S.192)<br />

Plessner sieht sich als Vertreter eines integrativen Menschenbildes und bezweifelt<br />

die Sinnhaftigkeit, den Menschen als Ganzen in verschiedene Komponenten zu<br />

zerlegen. Nachdrücklich weist er auf die Umstände hin, unter denen sich Menschen<br />

begegnen:<br />

„Als Ganzer ist uns der Mensch, d.h. der Mitmensch, und sind wir uns selber<br />

zugänglich […].“ (S.29)<br />

Er folgt also, was die Annahme des ganzen Menschen als Verschränkung von<br />

<strong>Körper</strong> und Seele/Geist betrifft, einem ähnlichen Gedankengang wie die<br />

Phänomenologen Marcel und Merleau-Ponty, wirft aber zusätzlich eine weitere,<br />

interessante Thematik auf, wenn er über das uns Menschen eigene Ausbrechen in<br />

Lachen und Weinen reflektiert:<br />

„Nicht mein <strong>Körper</strong>, sondern ich lache und weine aus einem Grunde, ‚über etwas„.“<br />

(S.33)<br />

Um die Äußerungsformen unseres <strong>Körper</strong>s zu verstehen, müssen wir uns nach<br />

Plessner zuerst mit dem Verhältnis des Menschen zu seinem <strong>Körper</strong> (also explizit<br />

nicht mit dem des Geistes zum <strong>Körper</strong>, oder der Seele zum Leib, als „isolierter<br />

Identitäten“) beschäftigen und dieses zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen<br />

machen. (Ebd., S.33f)<br />

„Für gewöhnlich, in eindeutigen Situationen, die sich eindeutig beantworten und<br />

meistern lassen, antwortet der Mensch als Person und bedient sich dazu seines<br />

Leibes […]. Er beherrscht den Leib, er lernt ihn beherrschen.“ (S.42)<br />

<strong>Der</strong> verselbständigte <strong>Körper</strong><br />

Auch wenn Prozesse wie Lachen oder Weinen starke körperliche Komponenten<br />

aufweisen, sind sie doch weder ausschließlich unserem <strong>Körper</strong>, noch unserem<br />

Bewusstsein zuzuordnen, sondern vielmehr Indizien für eine Desorganisation des<br />

Zusammenspiels zwischen den beiden. Plessner präzisiert dies an späterer Stelle,<br />

21


indem er argumentiert, wie wir dem Lachen oder Weinen regelrecht „verfallen“ und<br />

so wie „verselbständigte <strong>Körper</strong>“ wirken. In diesem Zusammenhang beschreibt er<br />

das Verhältnis des Menschen zu seinem <strong>Körper</strong> wie folgt:<br />

„Er antwortet <strong>–</strong> mit seinem <strong>Körper</strong> als <strong>Körper</strong> wie aus der Unmöglichkeit heraus,<br />

noch selber eine Antwort finden zu können. Und in der verlorenen Beherrschung<br />

über sich und seinen Leib erweist er sich als ein Wesen zugleich außerleiblicher Art,<br />

das in Spannung zu seiner physischen Existenz lebt, ganz und gar an sie<br />

gebunden.“ (S.39)<br />

Lachen und Weinen „passieren“ uns, bringen uns aus der Fassung, überwältigen<br />

uns, schütteln uns, und bringen uns dennoch auf irgendeine Art und Weise in uns<br />

selber zurück.<br />

Desorganisation des Organismus<br />

Das Werk Plessners ist für diese Arbeit außerdem noch besonders interessant, da<br />

es sich im Zuge der Überlegungen zum Lachen und Weinen nicht nur mit einem<br />

gelingenden Mensch-<strong>Körper</strong>-Verhältnis auseinandersetzt, sondern auch, wie zuvor<br />

schon kurz erwähnt, mit dessen Desorganisation:<br />

„Lachen und Weinen erscheinen im weiteren Fortgang der Darstellung als Äußerung<br />

einer Krise, der das Verhältnis des Menschen zu seinem <strong>Körper</strong> in bestimmten<br />

Grenzsituationen zutreibt, in denen eine in Sprache und Handlung gefaßte sachliche<br />

Antwort nicht mehr möglich ist, die bewusste Beherrschung des <strong>Körper</strong>s<br />

zusammenbricht und dieser gleichsam die Reaktion in eigener Regie übernimmt.“<br />

(S.5)<br />

Im Folgenden werden wir uns mit anderen Grenzsituationen befassen, genauer<br />

gesagt mit Situationen, in denen Menschen (und ihre <strong>Körper</strong>) sich<br />

lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt sehen und in Desorganisation<br />

zusammenbrechen.<br />

22


2. Desorganisation durch Trauma<br />

Woher stammt der Begriff Trauma eigentlich und wie grenzt sich das im Zuge einer<br />

psychologischen Diagnose zitierte Trauma von dem in der Alltagssprache gerne<br />

gebrauchten Wort ab? Fischer und Riedesser fassen kurz und prägnant zusammen:<br />

„In einer ersten Arbeitsdefinition können wir psychisches Trauma als seelische<br />

Verletzung verstehen (vom griechischen Wort Trauma = Verletzung). Wie die<br />

verschiedenen somatischen Systeme des Menschen in ihrer Widerstandskraft<br />

überfordert werden können, so kann auch das seelische System durch punktuelle<br />

oder dauerhafte Belastung in seinen Bewältigungsmöglichkeiten überfordert und<br />

schließlich traumatisiert/verletzt werden.“ (1998, S.19)<br />

Sieht sich der Mensch in einer Situation, in der weder kämpfen noch flüchten, weder<br />

Sieg noch Entrinnen möglich ist, befindet der <strong>Körper</strong> sich in einem<br />

Ausnahmezustand. Kräfte werden mobilisiert, aber es ist nicht klar, mit welchem<br />

Ziel: „Traumatische Erfahrungen treten auf, wenn Handeln keinen Sinn hat. Ist<br />

weder Widerstand noch Flucht möglich, ist das Selbstverteidigungssystem des<br />

Menschen überfordert und bricht im Chaos zusammen.“ (Herman, 1997, S.55)<br />

Heute spricht man vom Trauma als eine natürliche Reaktion auf etwas<br />

Unnatürliches, etwas, das jedem von uns passieren könnte, unabhängig davon, wie<br />

stark wir als Menschen sind. Aktuelle Trauma-Konzepte schlagen eine Ressourcen-<br />

orientierte Sichtweise vor: Statt von Trauma-Opfern spricht man von Trauma-<br />

Überlebenden und es wird immer mehr Augenmerk auf das post-traumatische<br />

Wachstum gelegt. Bessel van der Kolk ziert die erste Seite von Traumatic Stress<br />

mit folgender Widmung:<br />

„Dieses Buch ist Nelson Mandela und all denen gewidmet, die, nachdem sie selbst<br />

Verletzungen erleiden mußten, nicht nach Vergessen oder Rache trachteten,<br />

sondern auf die Transformation der traumatischen Verletzungen anderer<br />

hinarbeiten.“<br />

Diese moderne Sichtweise des Traumas und seiner Folgen ist Ergebnis jahrelanger<br />

Forschung, eines Weges voller individueller und kollektiver Traumata, in deren<br />

Erforschung die Ergebnisse verschiedener Disziplinen wie Philosophie,<br />

Psychologie, Medizin und Neurobiologie mit einflossen. Bevor wir uns jedoch näher<br />

23


mit den aktuellen Konzepten verschiedener Autoren auseinander setzen, werden<br />

wir uns im Folgenden kurz mit den Anfängen und der Geschichte der Trauma-<br />

Forschung beschäftigen. Auch wenn Traumata schon so alt sind wie die Menschheit<br />

selbst, geht die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit (zumindest von<br />

psychologisch-psychiatrischer Seite) in unserem Kulturkreis auf einige mutige<br />

ForscherInnen und deren Interesse an der Hysterie zurück.<br />

2.1 Kurzer geschichtlicher Abriss der Trauma-Forschung:<br />

Wieder einmal führt uns die Spurensuche nach Frankreich, genauer gesagt nach<br />

Paris, in die Klinik Salpêtrière, die im 19. Jahrhundert der Obhut Jean-Martin<br />

Charcots unterstand. Mit der Präsenz Charcots gewann die Salpêtrière immer mehr<br />

an Ansehen, sodass schließlich viele begabte junge Ärzte der neu entstehenden<br />

Forschungsrichtungen Neurologie und Psychiatrie aus dem In- und Ausland nach<br />

Paris kamen, um dort von ihm zu lernen. Unter diesen Wissenschaftlern befanden<br />

sich auch der junge Sigmund Freud, sowie William James und Pierre Janet, der<br />

wenig später in eine ähnliche Richtung als Freud forschen sollte. Durch die<br />

anschaulichen Beispiele (Charcots Patientinnen wurden oft vor ganzen Hörsälen<br />

„zur Schau gestellt“) und das öffentliche Interesse an dem zwar schon lange<br />

existierenden, aber noch nie erklärten Phänomen der sogenannten Hysterie, war<br />

Charcots Arbeit auf diesem Gebiet schließlich nicht mehr nur in medizinischen,<br />

sondern längst auch in literarischen und politischen Kreisen Gesprächsthema. Die<br />

jeden Dienstag stattfindenden Vorlesungen, les leçons de mardi, waren „regelrechte<br />

Theaterereignisse mit einem ‚bunt gemischten Pariser Publikum: Autoren, Doktoren,<br />

große Schauspieler und Schauspielerinnern, elegante Halbweltdamen, alle von<br />

morbider Neugier erfüllt„“ (Herman, 1997, S. 21). Auch wenn es heute über Charcot<br />

heißt, dass er den Gefühlen seiner Patientinnen kaum Aufmerksamkeit schenkte,<br />

das, was sie sagten, als „Vokalisationen“ bezeichnete und sich hautsächlich ihren<br />

Symptomen widmete, so ist es doch zum großen Teil sein Verdienst, dass<br />

„Hysterikerinnen“ nicht mehr nur als „Besessene“ oder „Simulanten“ gesehen<br />

wurden und die Gesellschaft über Hysterie sprach. (Vgl. Herman, 1997)<br />

24


Zwei Schüler Charcots, Sigmund Freud (in Zusammenarbeit mit seinem älteren<br />

Kollegen und väterlichen Freund Josef Breuer) in Wien, sowie Pierre Janet in<br />

Paris, publizierten unabhängig voneinander, dass Hysterie ihrer Meinung nach<br />

Folge traumatischer Erfahrungen sei, die die Betroffenen gemacht hatten. Sie<br />

waren sich einig:<br />

„Unerträgliche Gefühlsreaktionen auf traumatische Ereignisse verursachen<br />

Bewußtseinsveränderungen, die wiederum hysterische Symptome hervorrufen.“<br />

(Ebd., S.23)<br />

Des Weiteren erkannten beide Wissenschaftler, dass die dramatisch wirkenden<br />

Symptome Ausdruck dahinter stehender Erinnerungen an traumatische Ereignisse<br />

waren, die Janet unbewusste, fixe Ideen und Freud und Breuer Reminiszenzen<br />

nannten. Diese für die damalige Zeit revolutionären Erkenntnisse einten die drei<br />

Forscher, doch gab es zwischen Freud und Janet Unterschiede in der Benennung,<br />

sowie in der Bewertung des heute als Dissoziation bekannten Phänomens.<br />

Während Janet die uns heute als wichtig, wenn auch äußerst problematisch<br />

erscheinende Coping-Strategie des Organismus als Zeichen von Schwäche sah,<br />

ahnten der junge Freud und sein Kollege Breuer schon, dass dahinter mehr steckte:<br />

„Janet nannte diesen veränderten Bewusstseinszustand ‚Dissoziation„, Breuer und<br />

Freud sprachen von ,doppeltem Bewusstsein„. […] Janet hielt die Fähigkeit zur<br />

Dissoziation oder hypnotischer Trance für ein Zeichen psychischer Schwäche und<br />

Suggestibilität. Breuer und Freud argumentierten dagegen, Hysterie und die damit<br />

verbundene Bewusstseinsveränderung finde man auch unter den ‚geistig klarsten,<br />

willensstärksten, charaktervollsten und kritischsten Menschen„“. (Herman, 1997, S.<br />

23f)<br />

Freud ging also nicht davon aus, dass die Ursachen für das doppelte Bewusstsein<br />

im Charakter seiner Patientinnen, sonder vielmehr in deren Biographie zu finden<br />

seien. In seiner Schrift Zur Ätiologie der Hysterie stellte Freud eine viel umstrittene<br />

Hypothese auf, die er später allerdings wieder revidieren sollte:<br />

„Ich stelle also die Behauptung auf, zugrunde jedes Falles von Hysterie befinden<br />

sich <strong>–</strong> durch die analytische Arbeit reproduzierbar, trotz des Dezennien<br />

umfassenden Zeitintervalls <strong>–</strong> ein oder mehrere Erlebnisse von vorzeitiger sexueller<br />

Erfahrung, die der frühesten Jugend angehören.“ (Freud, in Herman, 1997, S.25)<br />

25


Ob Freud seine Meinung tatsächlich geändert hatte oder der sich erhöhende<br />

gesellschaftliche Druck ihn schließlich dazu bewegte, seine eigene Theorie wieder<br />

zu verwerfen, ist nachträglich schwer zu sagen. Wenn jedoch seine Hypothese<br />

zuträfe, wäre das, was er „Perversion gegen Kinder“ nannte, zu seiner Zeit häufiger<br />

vorgekommen, als es Freud und vielen seiner Zeitgenossen lieb gewesen wäre -<br />

nicht nur (wie damals in Wiener Kreisen wohl eher salonfähig) in den Armenvierteln<br />

von Paris, sondern auch unter noblen österreichischen Familien. Die Anfänge der<br />

Hysterie-Forschung standen unter dem Stern der Aufklärung: Noch zu Charcots<br />

Zeiten war man bestrebt, zuvor unerklärliche Phänomene wie „Besessenheit von<br />

Dämonen, Zauberei oder religiöse Extase“ (Herman, 1997, S.28) zu erklären und<br />

damit den Triumph der säkularen Aufklärung über gängigen Aberglauben oder<br />

religiöse Mythen zu fördern:<br />

„Unter den Patienten, die in der Salpêtrière eingesperrt sind, gibt es viele, die früher<br />

verbrannt worden wären, deren Krankheit man als Verbrechen betrachtet hätte“,<br />

schrieb dazu Charles Richet, ein anderer Schüler Charcots. (Ebd., S.29)<br />

Das Interesse an psychologischen Traumata schwand allerdings langsam mit<br />

Freuds Rückzug aus der Thematik und drang erst wieder einige Zeit später in das<br />

Bewusstsein der Öffentlichkeit. Traurigen Anlass dazu bot der erste Weltkrieg, bei<br />

dem in den Jahren 1914-1918 über 8 Millionen Menschen ihr Leben ließen: immer<br />

mehr Soldaten brachen zusammen, zeigten eine Symptomatik, die der der<br />

hysterischen Frauen in erstaunlicher Art und Weise glich, litten unter Amnesien<br />

und/oder waren unfähig etwas zu fühlen. Am Image des ehrbaren, heldenhaften<br />

Soldaten war gekratzt worden, wie sollte die Gesellschaft auf so etwas reagieren?<br />

Judith Herman schreibt dazu:<br />

„Die Militärbehörden versuchten, Berichte über die psychisch geschädigten Opfer zu<br />

unterdrücken, da sich solche Berichte demoralisierend auf die öffentliche Meinung<br />

auswirkten.“(1997, S.34)<br />

Was zuerst noch vom britischen Psychologen Charles Myers in Shell Shock in<br />

France als Schützengrabenneurose bezeichnet und angeblich auf<br />

Minenexplosionen in besagten Schützengräben zurückzuführen war, wurde nach<br />

näherer Untersuchung schließlich zur Kriegsneurose, an der Menschen litten, die<br />

26


Kriegstraumata erlitten hatten. (vgl. Herman, 1997, S.34) Lange Zeit wurde darüber<br />

debattiert, ob und wenn ja, inwiefern die psychische Struktur der betroffenen<br />

Soldaten Schuld an ihrem Leiden war. Einer der Hauptvertreter dieser reaktionären<br />

Richtung war der englische Psychiater Lewis Yealland, der in seiner Schrift<br />

Hysterical Disorders of Warfare eine Behandlungsstrategie propagierte, die<br />

beispielsweise auf der Bestrafung von Dissoziationsphänomenen durch<br />

Elektroschocks basierte. Ein Zeitgenosse Yeallands und Vertreter der liberaleren<br />

Strömung war der Arzt und Neurophysiologe, Psychologe und Anthropologe W.H.R.<br />

Rivers. Er behandelte einen Soldaten, Siegfried Sassoon, der das Interesse der<br />

Öffentlichkeit erregt hatte, indem er sich, noch in Uniform gekleidet, den Pazifisten<br />

anschloss. Rivers, dessen Ziel es war, mit Hilfe des Falles Sassoon die Effizienz<br />

der humanen Behandlung unter Beweis zu stellen, unterzog Sassoon einer Art<br />

talking cure, um diesen wieder kampftauglich zu machen. (Vgl. Herman, 1997,<br />

S.34)<br />

Nach Kriegsende flaute das Interesse an der Kriegsneurose wieder ab und sollte bis<br />

zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges im Hintergrund bleiben. Dann allerdings<br />

beschäftigten sich die Militärpsychiater wieder verstärkt mit dem Phänomen<br />

Kriegsneurose, diesmal aber, um schützende Faktoren zu bestimmen, da<br />

mittlerweile schon anerkannt worden war, dass jeder Soldat zusammenbrechen<br />

konnte, es sich also bei der Kriegsneurose nicht etwa um ein Zeichen individueller<br />

Schwäche einiger weniger, sondern vielmehr um eine häufige Konsequenz des<br />

einer traumatischen Situation Ausgesetzt-Seins handelt. Die gängigen Therapien<br />

allerdings waren kurz und zielten darauf ab, die Soldaten so schnell wie möglich<br />

wieder an die Front zurückzuschicken. (Vgl. Herman, 1997, S. 41) Im Jahre 1970,<br />

noch bevor der Vietnamkrieg beendet war, wandte sich eine Gruppe von<br />

Kriegsveteranen an die zwei Psychiater Robert Jay Lifton und Chaim Shatan und<br />

bat sie um Hilfe bei denen von ihnen selbst organisierten Selbsthilfegruppen, den<br />

sogenannten rap groups, die Betroffenen die Möglichkeit gab, in geschütztem<br />

Rahmen und mit Menschen, die das eigene Schicksal teilten, über ihre<br />

traumatischen Erlebnisse zu sprechen.<br />

„Die Selbsthilfegruppen hatte zwei Ziele: Zum einen boten sie den Betroffenen Trost<br />

und Hilfe, zum anderen schärften sie das allgemeine Bewußtsein für die Folgen des<br />

27


Krieges. Die Verlautbarungen dieser Gruppe lenkten das Interesse der Öffentlichkeit<br />

auf die langfristigen psychischen Kriegsverletzungen.“ (Ebd., S. 43)<br />

Durch ihre Hartnäckigkeit setzten die Veteranenorganisationen schließlich die<br />

Operation Outreach, ein vom Staat in Auftrag gegebenes Therapieprogramm,<br />

durch, im Zuge dessen neben der Errichtung vieler Hilfszentren auch wieder in die<br />

Forschung investiert wurde, bis 1980 schließlich das posttraumatische Syndrom<br />

explizit im DSM-III aufschien. (Vgl. Herman, 1997, S.43) Auch wenn die Arbeiten<br />

einiger Forscherinnen schon früher darauf hingewiesen hatten (beispielsweise<br />

sprachen Ann Burgess, Psychiatrieschwester, und Lynda Holmstrom, Soziologin,<br />

die in Zusammenarbeit mit der Notaufnahme des Bostoner städtischen<br />

Krankenhauses forschten, bereits 1972 von einem Vergewaltigungstrauma-<br />

Syndrom, das dem der Kriegsveteranen ähnlich war), wurde erst mit Aufnahme des<br />

posttraumatischen Syndroms in das Diagnose-Manual DSM-III das Trauma als<br />

Folge von Vergewaltigung als solches erkannt:<br />

„Erst nach 1980, nachdem infolge der Bemühungen der Kriegsveteranen der Begriff<br />

des posttraumatischen Syndroms fest etabliert war, wurde deutlich, dass die<br />

psychischen Syndrome, an denen die Opfer von Vergewaltigungen, häuslicher<br />

Gewalt und Inzest litten, im Wesentlichen den Syndromen der Kriegsopfer<br />

entsprachen.“ (Herman, 1997 S. 50)<br />

Diese relativ späte Miteinbeziehung von Formen sexualisierter Gewalt und deren<br />

Folgen für die Opfer mag wohl an der noch immer vorherrschenden<br />

gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas liegen.<br />

2.2 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS bzw. PTSD) nach<br />

DSM-IV<br />

Nach dem diagnostischen Manual DSM IV müssen bestimmte Voraussetzungen<br />

gegeben sein, um von einer posttraumatischen Belastungsstörung, die von der<br />

DSM-IV Projektgruppe gegen Anraten der beratenden Kommission (vgl. Brett,<br />

2000) wie schon im DSM-III wieder als Angststörung geführt wird, zu sprechen:<br />

28


„Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen<br />

konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzungen<br />

oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderen<br />

Personen beinhalteten.“ (DSM-IV, 2003, S.520) Die betroffene Person fühlte<br />

außerdem (Kriterium 2) „intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.“ (Ebd.,<br />

S.520).<br />

Ein weiteres, im DSM-IV vermerktes Kriterium der Posttraumatischen<br />

Belastungsstörung ist das beharrliche Wiedererleben traumatischer Inhalte<br />

(sogenannte Intrusionen und/oder Flashbacks) auf zumindest eine von 5 Arten:<br />

(1) Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis,<br />

die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können.<br />

(2) Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis.<br />

(3) Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet<br />

das Gefühl, das Ereignis wiederzuerleben, Illusionen, Halluzinationen und<br />

dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder<br />

bei Intoxikationen auftreten).<br />

(4) Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder<br />

externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses<br />

symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.<br />

(5) <strong>Körper</strong>liche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen<br />

Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder<br />

an Aspekte desselben erinnern.<br />

29<br />

5 Kriterien von traumatischem Wiedererleben nach DSM-IV<br />

Treten diese Symptome, zusammen mit deutlicher Vermeidung von<br />

angstauslösenden Reizen, anhaltendem Hyperarousal und deutlichen<br />

Angstsymptomen innerhalb eines Monats bis 6 Wochen nach dem<br />

traumatischen Ereignis auf, spricht man von einer akuten<br />

Belastungsstörung (DSM-IV 308.3, ICD-I0 F.43.0), halten sie bis zu 3<br />

Monaten an, von einer akuten Posttraumatischen Belastungsstörung.<br />

Halten die Symptome mehr als 3 Monate an, kann laut DSM-IV eine<br />

chronische Poststraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden.<br />

(S.521) Während von der APA beschlossen wurde, die so genannte<br />

DESNOS, Disorder of Extreme Stress, Not Otherwise Specified, nicht in die


aktuelle DSM-IV-Version (1994) aufzunehmen, berücksichtigt das ICD-10<br />

(WHO, 1992) Veränderungen der Persönlichkeit sehr wohl als mögliche<br />

Trauma- Folge. (Brett, 2000, S.139)<br />

2.3 Aktuelle Trauma-Konzepte<br />

Am heutigen Stand der Forschung wird viel Wert darauf gelegt, das Trauma<br />

als natürliche Reaktion des Organismus auf eine nicht-natürliche Situation,<br />

Gefahr etc. zu sehen:<br />

„Es gilt, das Trauma als eine zwar erzwungene und oft zerstörerische, aber eben<br />

nicht pathologische Realitätswahrnehmung wirklich ernst zu nehmen.„“ (Reemstma<br />

in Sachsse, 2004, S.48)<br />

Anders als noch zu Zeiten der Kriegsneurose wird Trauma nicht mehr als<br />

Zeichen individueller Schwäche, sondern vielmehr als logisch<br />

nachvollziehbarer, teilweise sogar schon plakativ darstellbarer (beispielsweise<br />

ersichtliche Erregung der Amygdala bei gleichzeitiger Unterdrückung der Broca-<br />

Region <strong>–</strong> für Sprache zuständig <strong>–</strong> auf PET-Bildern) Reaktionsprozess eines<br />

Menschen auf unbewältigbare Bedrohungen gesehen.<br />

„Ein traumatisches Ereignis ist durch eine besondere Situation gekenn-zeichnet:<br />

Ein Mensch ist in Lebensgefahr oder wähnt sich in Lebensgefahr, und er ist<br />

gleichzeitig völlig hilflos.“ (Sachsse, 2004, S.48)<br />

Fischer und Riedesser lenken den Fokus auf die Unabgeschlossenheit des<br />

Traumas, wenn sie es als „unterbrochene Handlung in einer vital<br />

bedeutsamen Situation“ (1998, S.79) beschreiben. In einer traumatischen<br />

Situation gerät der Mensch außer sich, wird von Furcht oder Panik ergriffen<br />

und sein <strong>Körper</strong> mobilisiert Kräfte. Diese Kräfte bleiben aber stecken, weil es<br />

gleichzeitig keinen sinnvollen Ausweg gibt. Auch Peter Levine konzentriert<br />

sich auf diesen Aspekt, wenn er schreibt:<br />

30


„Ein Trauma entsteht, wenn ein Ereignis im Organismus eine Wirkung<br />

hervorruft, die nicht aufgelöst wird. (1998, S.131)<br />

Levine beobachtete Tiere, die bei lauernder Gefahr ebenfalls erstarrten, doch<br />

nach Abwenden der Gefahr wieder relativ problemlos zurück in ihren Alltag<br />

fanden. Ihm fiel auf, dass diese Tiere, sobald sie in Sicherheit waren, die<br />

zuvor eingenommene Starre abschüttelten und so, wenn auch etwas<br />

verstört, weiter fraßen oder ausruhten. Er stellte sich also die Frage, wie<br />

auch menschliche Wesen eben diese, in der gefährlichen Situation eingenom-<br />

mene und oft nicht mehr abgelegte, Starre abschütteln können. Nach Levine<br />

besteht jedes Trauma aus vier Komponenten, die allerdings im Grad der<br />

Ausprägung variieren können:<br />

1) außergewöhnlich starker Erregungszustand (Hyperarousal)<br />

2) psychophysische Kontraktion<br />

3) Dissoziation<br />

4) Erstarren (Immobilität), verbunden mit Gefühl der Hilflosigkeit<br />

Alle diese Bestandteile weisen eine starke körperliche Komponente auf:<br />

Psyche und Physis, verschränkt ineinander, reagieren gemeinsam.<br />

2.4 Stressphysiologie<br />

Um ein besseres Verständnis für die posttraumatische Desorganisation des<br />

Organismus entwickeln zu können, soll an dieser Stelle kurz auf die<br />

Stressphysiologie des menschlichen Organismus eingegangen werden:<br />

Durch die Hirnforschung der letzten Jahre wurde ersichtlich, dass viele<br />

menschliche Verhaltensweisen nicht (wie zuvor angenommen) an ein,<br />

sondern stattdessen an mehrere Zentren gebunden sind, die miteinander<br />

kooperieren und untereinander verbunden sind.(Vgl Mosetter & Mosetter,2008)<br />

Die meisten wichtigen Systeme sind zudem offenkundig an Strukturen<br />

sowohl auf Hirnstammebene, auf Ebene des limbischen Systems, als auch im<br />

Kortex gebunden. (Sachsse, 2004, S.31) Im Kontext dieser Arbeit sind unter<br />

31


den beteiligten Systemen vor allem Panik- und Furchtsystem besonders<br />

bedeutsam: Im Sinne Panksepps (1999) kann gesagt werden, dass wir<br />

Menschen über zwei verschiedene Dys-Stress-Systeme verfügen, die nicht<br />

mit denselben Hirnzentren verbunden und außerdem noch an verschiedene<br />

Neurotransmittersysteme gekoppelt sind. Diese Systeme bezeichnete er als<br />

Panik- und Furchtsystem.<br />

2.4.1 Panik-(Bindungs-Parasympathikus-) System<br />

Unser Paniksystem wird aktiviert, wenn wir uns hilflos, alleine, verloren, oder<br />

aber angesichts einer bedrohlichen Situation ohnmächtig fühlen. Dies ist<br />

nicht nur bei Menschen, sondern auch bei vielen Tieren zu beobachten:<br />

Diese reagieren dann mit distress vocalisations, mit Lauten, die so<br />

geschaffen sind, dass Muttertiere (in seltenen Fällen auch Vatertiere)<br />

aufmerksam werden und zu Hilfe eilen. Die distress vocalisations von<br />

Säuglingen rufen in Erwachsenen, vor allem aber in den Müttern, eine<br />

Stressreaktion hervor, die durch Trösten des Säuglings gemildert wird, was<br />

wiederum die Bindung zwischen Muttertier und Jungem fördert. Nach<br />

Sachsse gelten als Zentren für die distress vocalisations „das<br />

Periaquäductale Grau (PAG) in der Formatio reticularis auf Hirnstammebene,<br />

das laterale Septum im limbischen System, sowie bei Tieren mit<br />

ausgeprägtem Kortex der Gryrus cinguli“ (2004, S33) Unser Paniksystem<br />

reagiert auf den Neurotransmitter Glutamat (erregend), auf die Gruppe der<br />

Opioide (die bei Hautkontakt, Nähe, vertrauter Umgebung etc. ausgeschüttet<br />

werden), sowie auf Oxytozin, einem stark mit Sexualität in Verbindung<br />

stehenden Neurotransmitter. Aktivierung derselben Stoffe und Zentren sind<br />

auch bei erwachsenen Herdentieren zu beobachten, wenn diese nach Hilfe<br />

bzw. den anderen Tieren der Herde rufen.<br />

Zusammenfassend kann über das Panik-System gesagt werden, dass es in<br />

enger Verbindung mit unserem Bindungssystem steht und dass bei<br />

erfolgreicher Reaktion auf den panikauslösenden Grund dieses<br />

Bindungssystem gestärkt wird. Das Panik-System ist allerdings nicht immer<br />

32


adäquat; in einigen Fällen ist es nämlich gar nicht ratsam, nach Hilfe zu<br />

schreien, zum einen, weil keine Hilfe zu erwarten ist, oder aber weil das<br />

Rufen selbst die eigene Situation noch verschlimmern könnte. In diesem<br />

Zusammenhang präzisiert Sachsse:<br />

„ […] bedeutet für einige Tiere, dass sie als Erwachsene ihr Paniksystem nicht<br />

mehr aktivieren. Es wäre für sie schlicht unfunktional, von einem bestimmten<br />

Alter ab nach Mama zu rufen, weil Mama nicht mehr käme. […] Dies gilt für jene<br />

Situationen, in denen ein Raubtier in der Nähe ist, Mama zu weit weg oder Mama<br />

zu schwach ist.“ (Ebd., S.34)<br />

2.4.2 Totstellreflex <strong>–</strong> die Freeze-Reaktion<br />

Eine Alternative zum Nach-Hilfe-Rufen, vor allem wenn dieses vom<br />

Organismus als zu gefährlich oder sogar kontraproduktiv empfunden wird, ist<br />

eine Form des Erstarrens, die sogenannte Freeze-Reaktion: Während die<br />

Betroffenen innerlich hochgradig erregt (in diesem Zusammenhang spricht<br />

man von Hyperarousal) und ihre vegetativen Funktionen überaktiviert sind,<br />

wirken sie von außen wie eingefroren: Die Muskulatur erstarrt, der <strong>Körper</strong><br />

verharrt bewegungslos, die Atmung wird flach und beinahe lautlos, sogar das<br />

Laut- oder Sprachzentrum wird deaktiviert. Daraus wird ersichtlich, dass das<br />

Panik-System an das parasympathische System gekoppelt ist, wohingegen<br />

das Furcht-System, auf welches im Folgenden genauer eingegangen<br />

werden soll, in enger Verbindung mit dem sympathischen System steht.<br />

2.4.3 Parasympathisches vs. Sympathisches System<br />

Sachsse (2004, S. 41) fasst die Funktionen des Sympathikus und<br />

Parasympathikus wie folgt zusammen:<br />

Sympathikus Parasympathikus<br />

- Erweiterung der Pupillen - Verengung der Pupillen<br />

- wenig, zäher, dickflüssiger Speichel - reichlicher, dünnflüssiger Speichel<br />

- Verengung der Blutgefäße - Erweiterung der Blutgefäße<br />

- Kalter, klebriger Schweiß - Warmer, dünnflüssiger Schweiß<br />

33


-Bronchialerweiterung, Atembeschleunigung -Bronchialverengung, Atemverlangsamung<br />

- Verengung der Herzkranzgefäße - Erweiterung der Herzkranzgefäße<br />

- Pulsbeschleunigung - Pulsverlangsamung<br />

- Hemmung der Magentätigkeit - Anregung der Magentätigkeit<br />

- Hemmung der Gallensekretion - Förderung der Gallensekretion<br />

- Adrenalin steigt an - Adrenalin fällt ab<br />

- Hemmung der Verdauungstätigkeit - Förderung der Verdauungstätigkeit<br />

- Hemmung der Harnentleerung - Förderung der Harnentleerung<br />

- Freisetzung von Blutzucker<br />

Je nachdem, welches System im Zustand des Hyperarousals ist, werden<br />

damit verbunden auch bestimmte <strong>Körper</strong>funktionen gefördert oder gehemmt.<br />

Vor allem bei chronischen Traumata können sich so langfristige Schäden<br />

manifestieren. Schore (zitiert in Sachsse, 2004, S.40) konnte feststellen,<br />

dass beispielsweise durch Beziehungstraumata im Sinne von abuse (Miss-<br />

brauch, Misshandlung) das sympathische autonome Nervensystem<br />

überstimuliert wird, während Beziehungstraumata durch Vernachlässigung<br />

(neglect) auf beide Systeme wirken.<br />

2.4.4 Das Furcht-System<br />

Bedingt durch das stärkere Interesse der kognitiven sowie der Lernpsychologie<br />

ist das Furcht-System besser erforscht als das Panik- System, weshalb<br />

auch dessen Physiologie bekannter ist (Sachsse, 2004). Ebenso wie für das<br />

Panik-System liegt auch ein Kern des Furcht-Systems in der Formatio<br />

reticularis (einem speziellen Nervengewebe in Hirnstamm und Rückenmark),<br />

genauer gesagt im Locus coeruleus, („blauer Kern“). Das periaquäductale<br />

Grau (PAG) ist ebenfalls an beiden Systemen beteiligt, was eine Vernetzung<br />

und Interaktion wahrscheinlich macht. Eine Schlüsselrolle in unserem<br />

Furchtsystem spielen sowohl die Amygdala, zuständig für schnelle<br />

Alarmreaktionen (Le Doux, 1992, zitiert in Sachsse, 2004), als auch der<br />

Hippocampus, Orientierungshilfe im Raum, Verbindung zum Kortex und<br />

außerdem zuständig dafür, die potentiellen Gefahren einzuordnen.<br />

34


„Amygdala und Hippocampus wirken beide daran mit, dass wir aus Schaden klug<br />

werden, dass wir wieder etwas gelernt haben, dass uns die Sache jetzt endlich<br />

klar geworden ist.“ (Sachsse, 2004, S.35)<br />

Zu den wichtigsten am Furchtsystem mitwirkenden Neurotransmittern zählen<br />

Adrenalin und Noradrenalin (erregend), sowie Dopamin und Opiate<br />

(belohnend nach erfolgreicher Bewältigung). Vereinfacht dargestellt kann<br />

gesagt werden, dass Noradrenalin und Adrenalin für Erregung in unserem<br />

<strong>Körper</strong> sorgen, deren Ausschüttung uns also vigilant macht und wir im<br />

Speicher unserer Erfahrungen und Erinnerungen nach einer Problemlösung<br />

suchen. Bei positiver Bewältigung einer schwierigen Situation belohnen wir<br />

uns selbst mit der Ausschüttung von Dopamin und Opiaten.<br />

2.4.5 Fight and flight, Kampf und Flucht<br />

Mit Hilfe der Neurotransmitter Noradrenalin und Adrenalin bereitet sich unser<br />

<strong>Körper</strong>, ähnlich wie beim Freezing, auf eine Reaktion vor, allerdings mit<br />

einem anderen Ziel: Unser Atem wir flacher und beschleunigt sich, die Muskeln<br />

spannen sich, die Extremitäten werden stärker durchblutet, der Puls steigt, wir<br />

mobilisieren alle unsere Kräfte… wir bereiten uns vor, zu kämpfen und/oder<br />

zu flüchten, um der Gefahr zu entkommen. Sind wir im Stande, der<br />

gefährlichen Situation so zu entgehen, fühlen wir uns hinterher gut, wir<br />

belohnen uns und unser Gehirn speichert die erfolgreiche Wahl, die uns aus<br />

der Gefahr gerettet hat. (Vgl. Sachsse, 2004) Bei einer gelingenden<br />

Stressbewältigung interagieren Panik- und Furcht- system miteinander,<br />

wobei das Panik-system mit Hilfe des Furcht- Systems gebremst wird.<br />

Sachsse führt aus:<br />

„Durch Einsicht, Kognition und Lernen können wir uns aus der Situation der<br />

diffusen Panik herausbegeben. […] Wir machen uns Furcht, wenn wir<br />

eigentlich Panik haben, weil wir mit Furcht viel besser umgehen können, weil wir<br />

die Motorik einsetzen können, kämpfen oder flüchten können […]“ (2004, S.38)<br />

Was passiert aber, wenn wir keine gute Lösung finden, bzw. es gar keine<br />

gute Lösung gibt? Verharrt unser Organismus zu lange in einer zu<br />

belastenden Stresssituation, reagiert die sogenannte „Stressachse“, die<br />

35


HPA-Achse: Involviert sind hier vor allem Hypothalamus, Hypophyse und<br />

Nebennierenrinden. Über die Botenstoffe CRH (Kortikotropin-Releasing-<br />

Hormon) und ACTH (adrenokortikotrophes Hormon, Kortikotropin) kommt es<br />

schließlich zur Ausschüttung von Kortisol, dessen Aufgabe es unter<br />

anderem ist, das Furcht-System wieder zu beruhigen. Die Produktion des<br />

herunter regulierenden Stoffes Kortisol ist aber ein zweischneidiges Schwert:<br />

„In niedrigen Dosierungen wirkt auch Kortisol gedächtnisfördernd. In zu hoher<br />

Dosierung unterbricht es aber die Bildung von Langzeit- Gedächtnisspuren.“<br />

(Sachsse, S.37)<br />

Daraus wird ersichtlich, dass bei andauerndem, unbewältigbarem Dys-Stress<br />

die hohe Kortisol-Konzentration in unserem Organismus negative<br />

Auswirkungen auf unsere Fähigkeit, Informationen abzuspeichern und über<br />

längere Zeiträume hinweg zu behalten, hat. In dem Fall, dass der Zustand<br />

der Übererregung nicht aus eigenen Kräften langsam wieder beruhigt werden<br />

kann, weil keine Hilfe kommt und kein Entkommen aus der Gefahrensituation<br />

möglich ist, verfügt unser Organismus über eine Art Notfallreaktion, die oben<br />

schon kurz erwähnte Dissoziation.<br />

2.5 Dissoziation<br />

Können wir unser Hyperarousal nicht selbst regulieren, verfügt unser<br />

Organismus über ein Art Notfallreaktion, bei der nicht nur die Reizzufuhr von<br />

außen, sondern auch unsere Affekte und inneren Reaktionen vermindert<br />

werden. Diesen Zustand der Ent-Bindung von Innen und Außen nennen wir<br />

Dissoziation. <strong>Der</strong> Terminus Dissoziation geht auf Moreau de Tours (1845)<br />

zurück, wurde aber vor allem durch Janet und dessen Forschung zur<br />

Hysterie bekannt. Sachsse schreibt über die Dissoziation:<br />

„Dieser Zustand von Bindungsrückzug und schließlich auch Bindungsabbruch<br />

sowohl nach außen als auch nach innen ist eine parasympathikotone<br />

Regulationsstrategie, die in hilflosen und hoffnungslosen Stress-Situationen ein-<br />

setzt, um sich quasi abzuschalten.“ (Ebd., S.41)<br />

36


Die Dissoziation als eine Art emergency exit trennt unsere Verbindungen zur<br />

Außen- und Innenwelt und isoliert uns so, sie schafft uns auf diese Weise aber<br />

auch den nötigen Raum, uns zu erholen und wieder zu Kräften zu kommen.<br />

„Dissoziation ist Ent-Bindung, „De-attachement“. Es ist der seelische Bindungs-<br />

abbruch zur notfallmäßigen Konservierung von Ernergieressourcen.“ (Ebd., S.41)<br />

Sind wir auf diese Art und Weise von inneren sowie äußeren Reizen<br />

dissoziiert, spüren wir keine Schmerzen und unser endogener Opiat-<br />

Spiegel steigt. Bedenkt man Situationen wie Folter, chronischen Missbrauch<br />

etc. kann das Dissoziieren eine notwendige und lebensrettende Strategie des<br />

Organismus sein, aber der Preis, der zu bezahlen ist, ist hoch. Das Ansteigen<br />

der Opiate (hierbei vor allem des Enkephalins) nämlich bewirkt in uns<br />

nicht nur Analgesie (kein Schmerzempfinden mehr), sondern lässt uns auch<br />

bewegungslos werden und in dieser Starre sind auch keine distress-<br />

vocalisations und damit auch kein Nach-Hilfe-Rufen mehr möglich. Obwohl<br />

der Puls gesenkt wird und sich der Vagotonus, der Tonus des<br />

parasympathischen Nervensystems, erhöht, wird noch immer Adrenalin<br />

ausgeschüttet, der <strong>Körper</strong> befindet sich also trotz der Lähmung und der<br />

Herunterregulierung mancher Funktionen in einem Zustand des Hyper-<br />

arousals, der uns aber, gemeinsam mit dem Rest unserer Innenwelt, nicht<br />

mehr zugänglich ist.<br />

Wie Sachsse sieht auch Levine in der Dissoziation eine Alternative zu Kampf<br />

oder Flucht. Während der Zweck der ersten beiden für den Psychologen,<br />

Biologen und Physiker Levine eindeutig ist, sieht er in der Dissoziation noch<br />

einen weiteren Sinn: Levine erkennt in der Dissoziation eine evolutionär<br />

bewährte Strategie, gefährlichen Raubtieren zu entkommen: Da viele Jäger<br />

potentielle Beute, von der sie annehmen, dass sie schon tot sei, oft nicht<br />

fressen, weil das Fleisch verdorben sein könnte, kann plötzliches Erstarren<br />

das Leben retten. Andere Raubtiere wiederum (Frösche beispielsweise)<br />

können ihre Beutetiere erst durch deren Bewegungen als solche erkennen,<br />

sodass auch hier Einfrieren schützt. Darüber hinaus nimmt Levine an, dass<br />

das Erstarren eines Herdenmitgliedes den Jäger ablenken und so der<br />

37


estlichen Gruppe ein Entkommen ermöglichen könnte. Er betont außerdem<br />

den schmerzlindernden Effekt der Dissoziation, der dem Tier im Augenblick<br />

seines Todes das meiste Leiden erspart. (Vgl. Levine, 1998, S.103) Ob sich der<br />

Organismus (im Sinne Levines ist Organismus hier als Ganzheit von <strong>Körper</strong><br />

und Geist zu verstehen) nun bewusst für Kampf oder Flucht entscheidet,<br />

oder, ohne bewusst darauf Einfluss zu nehmen, in Starre verfällt <strong>–</strong> die gewählte<br />

Strategie soll dazu dienen, das eigene Leben zu retten.<br />

„Auf biologischer Ebene ist Erfolg nicht unbedingt gleichbedeutend mit<br />

Gewinnen. Entscheidend ist aus dieser Perspektive das Überleben, ganz gleich<br />

wie einem Lebewesen dies gelingt. Das Ziel heißt lebendig bleiben, bis die Gefahr<br />

vorüber ist, und sich später mit den Folgen auseinandersetzen.“ (1998, S.102)<br />

Im Gegensatz zu früheren Forschern wie Janet oder Yealland sieht auch<br />

Levine in der Dissoziation kein Zeichen von Schwäche, sondern rät<br />

überhaupt von einer Bewertung ab, wenn er an späterer Stelle ausführt:<br />

„Die Natur fällt kein Werteurteil darüber, welche Strategie die überlegene ist. Wenn<br />

der Kojote das scheinbar tote Opossum unbehelligt liegen läßt, erwacht<br />

dieses nach einer Weile wieder aus seiner Bewegungslosigkeit und verschwindet.<br />

Dabei ist ihm völlig gleichgültig, ob es in dieser Situation eine bessere Alternative<br />

gehabt hätte. Tiere verstehen das Erstarren nicht als Zeichen von Schwäche<br />

oder Unzulänglichkeit <strong>–</strong> und diesen Fehler sollten wir auch nicht machen.“ (Ebd., S.<br />

102)<br />

Es gibt reale Situationen, in denen tatsächlich weder Kampf noch Flucht<br />

möglich sind, man ausgeliefert ist, nicht entkommen und sich ebenso wenig<br />

zur Wehr setzen kann. In der (interkulturellen) Trauma-Zentrierten<br />

Psychotherapie sind BetreuerInnen, TherapeutInnen, PraktikantInnen und<br />

gegebenenfalls auch die TeilnehmerInnen einer Gruppentherapie mit<br />

Geschichten von Menschen konfrontiert - Geschichten über Gefangenschaft,<br />

Folter, Vergewaltigung, Krieg und andere fürchterliche, Mensch-gemachte<br />

Dinge - deren alleiniges Anhören schon eine Sekundärtraumatisierung<br />

auslösen und auch zu dissoziativen Zuständen führen kann.<br />

38


Blunt Trauma<br />

Overview of Torture Methods <strong>–</strong> physical methods<br />

(Modvig & Jaranson in Wilson & Drožđek, 2004, S.40f)<br />

Unsystematic (beatings all over)<br />

Systematic (e.g. under the soles of the<br />

feet (“falanga“), on both ears<br />

(“telephono“)<br />

Penetrating Trauma<br />

Stinging (e.g. under nails)<br />

Cuttings (mutilation)<br />

Amputations<br />

Shots<br />

Crushing Trauma<br />

Mutilation (e.g. of extremities by<br />

trampling)<br />

Positional Torture<br />

Fixation/Restriction of movement by use<br />

of ropes, chains, straps<br />

Fixation in forced unphysiological<br />

positions (e.g. in small boxes, rooms, or<br />

cages (“tortoise”)<br />

Suspension with arms tied behind the<br />

back (“palestinian hanging”), on a stick<br />

in the hollows of the knees, locked with<br />

tied wrists (“the parrot stick”), in feet or<br />

hair<br />

Shaking<br />

Shaking of the head for a long time<br />

39<br />

Asphyxiation<br />

Near-drowning (e.g. in polluted water<br />

(“submarino”)<br />

Near-suffocation (e.g. by use of ropes<br />

or plastic bags (“dry submarino“)<br />

Chemical and physical torture<br />

Chemical tissue damage (e.g. skin,<br />

mucous membranes, underlying tissue)<br />

by use of acids, bases, inhalation of chili<br />

powder, kerosene etc.<br />

Physical tissue damage by use of<br />

electricity, cold, heat, or fire (burns)<br />

Pharmacological and microbiological<br />

torture<br />

Forced intake of toxic doses of (e.g.<br />

neuroleptics)<br />

Inoculations of pathogenic bacteria or<br />

viruses (e.g. HIV)<br />

Deprivation of access to necessary<br />

medicine (e.g. insulin)<br />

Sexual torture<br />

Rape, possibly forced between two<br />

victims<br />

Instrumentation of genitals<br />

Animal torture<br />

Enticing animals (dogs, rats, insects<br />

etc.) to assault or attack a fixated victim


Immer wenn es regnet…<br />

In ihrem Video zu dem Song Anna zeigt die deutsche Band Freundeskreis eine<br />

Gruppe junger Männer, die sich auf der Flucht vor Soldaten durch dichtes<br />

Unterholz eines Dschungels kämpft. Bei der Durchquerung eines Flusses wird<br />

einer von ihnen von den Verfolgern eingeholt und überwältigt. An der Textstelle<br />

„Immer wenn es regnet,<br />

muss ich an dich denken,<br />

wie wir uns begegnen,<br />

kann mich nicht ablenken...“<br />

sieht der Zuschauer, wie der junge Mann, dargestellt von Max Herre, dem<br />

Sänger der Band, von den Soldaten in einen Wassertank geworfen und<br />

gefoltert wird (“near-drowning“). Er strampelt und kämpft, doch dann wechselt<br />

die Szene und er erinnert sich an seine romantische Begegnung mit einer<br />

jungen Frau, Anna, an einem verregneten Tag an einer Bushaltestelle,<br />

irgendwo in Sicherheit.<br />

„Nass bis auf die Haut stand sie da,<br />

um uns war es kalt<br />

und wir kamen uns nah“<br />

Im Folgenden wechselt die Geschichte zwischen Flucht- bzw. Folterszenen im<br />

oder mit Wasser, sowie den Umarmungen des Liebespaares im Regen. Als der<br />

junge Mann untergeht und beinahe ertrinkt, taucht Anna neben ihm im Tank<br />

auf; beim Verhör zeigt man ihm ein Foto und darauf ist das Gesicht Annas zu<br />

sehen; der junge Mann wird ins Gesicht geschlagen und er erinnert sich an<br />

Anna, die ihm liebevoll über die Wangen streicht…<br />

Über die rechten Verhaltensweisen des Kynikers schrieb ein Philosoph namens<br />

Epiktet 2000 Jahre früher:<br />

„ […] daß er der Menge unempfindlich erscheint, wie ein Stein. Niemand kann ihn<br />

beschimpfen, schlagen, übel behandeln; mit seinem <strong>Körper</strong> läßt er jeden<br />

machen, was er will. Denn er weiß, daß der Stärkere über den Schwächeren<br />

40


siegt, wo er schwächer ist. Niemals läßt er sich also auf einen Kampf ein, in dem<br />

er den Kürzeren zieht, sondern steht von fremden Dingen sofort ab und streitet<br />

nicht um Unfreies.“ (Epiktet, 1978, S. 102)<br />

Epiktet, geboren 50 nach Christus in Hierapolis, gilt heute neben Zenon, Kition,<br />

Seneca oder Marc Aurel als einer der bedeutendsten Vertreter des Stoizismus.<br />

Relativ ungewöhnlich ist allerdings sein biographischer Hintergrund: Er war<br />

Sklave, bis er nach Rom gesandt und dort wegen seiner Weisheit von seinem<br />

Herren freigelassen wurde, woraufhin er sich der Philosophie widmete. <strong>Der</strong><br />

<strong>Körper</strong> ist für ihn weder etwas, was man ist, noch was man hat; er ist unfrei,<br />

kann versklavt und misshandelt werden, entzieht sich so unserem Einfluss und<br />

deshalb entzieht der Kyniker ihm die Wichtigkeit, denn seine „Aufmerksamkeit<br />

gebührt der geistigen Seite unseres Wesens.“ (Ebd., S.45)<br />

Mit präzisen Worten fasst Epiktet in seinem Handbüchlein der Moral<br />

zusammen, was uns zwei Jahrtausende später als bedeutsames Phänomen in<br />

der Psychotraumatologie beschäftigen sollte:<br />

„Hat der Rabe unheilverkündend gekrächzt, so laß die Vorstellung davon nicht<br />

Herr über dich werden. Sondere scharf und sage zu dir: mir kann er nichts<br />

Schlimmes verkünden, höchstens meinem <strong>Körper</strong>, meiner Habe, meinem<br />

Ansehen, meinen Kindern, meinem Weibe.“ (Ebd., S. 30)<br />

Erwarten wir Schlimmes, dem wir nicht entrinnen können, scheint uns die<br />

Situation lebensbedrohlich und doch außerhalb unseres Einflussbereiches,<br />

bleibt als Überlebensstrategie oft nur der Rückzug von allem, was dem Feind in<br />

die Hände fällt.<br />

2.6 Was bleibt: Physische Folgen von Traumata <strong>–</strong> der <strong>Körper</strong> als<br />

verlassene Bühne<br />

Stunden und manchmal sogar noch Tage nach einer traumatischen Erfahrung<br />

beschreiben viele Betroffene ihren Zustand wie folgt:<br />

„Meine Seele ist noch nicht wieder in meinen <strong>Körper</strong> zurückgekehrt.“<br />

41


Wenn sich die Seele vom <strong>Körper</strong> trennt, was passiert dann mit unserem<br />

<strong>Körper</strong>? Wo genau sind wir dann und was ist dieses Wir? Gibt es einen Weg<br />

zurück?<br />

Ich möchte an dieser Stelle zwei weitere Betroffene zu Wort kommen lassen<br />

und diese Klienten von Berit Lukas zitieren, die über die Beziehung zu ihrem<br />

<strong>Körper</strong> nach der traumatischen Erfahrung sprechen:<br />

„Ich hatte das Gefühl, ich beobachte mich selbst. Es kam mir so vor, als täte mein<br />

<strong>Körper</strong> Dinge, die nicht mit mir zusammenhingen.“ (zitiert in Lukas, 2008, S.84)<br />

Noch farbiger schildert eine weitere Klientin, die nach einer sexualisierten<br />

Gewalterfahrung an Panikattacken leidet, das Gefühl, ihrem <strong>Körper</strong> entfremdet<br />

zu sein, die konfusen, schwer einzuordnenden Empfindungen und die damit<br />

verbundenen Ängste:<br />

„Ich komme mir komisch vor, ich fühle mich ohne <strong>Körper</strong>, ich bin nur ein Kopf <strong>–</strong><br />

und doch zieht es mich nach einer Seite herunter <strong>–</strong> doch scheint mein Kopf<br />

fremd, ich kann es nicht erklären. Wenn ich eine Hand hochhalte und sie<br />

anschaue, dann scheint das nicht mein Arm zu sein. Ich habe Angst, allein<br />

auszugehen, ich habe Angst, mich selbst zu verlieren.“ (Ebd., S.86)<br />

Bei Traumatisierten kommt es nicht selten zu Störungen im <strong>Körper</strong>empfinden,<br />

oft fühlen sich der ganze <strong>Körper</strong> oder Teile davon fremd an oder werden gar<br />

nicht mehr wahrgenommen. Sylvia Karcher, am Berliner BZFO als Therapeutin<br />

tätig, konnte in ihrer Arbeit mit Folter-Überlebenden auffällige Veränderungen in<br />

deren <strong>Körper</strong>schemata feststellen:<br />

„The body pictures of people who have been tortured show similarities; usually<br />

dark colors are chosen. Pain is often marked in red. Hands and arms, feet and<br />

legs are frequently missing. The body posture is often stooped. Sometimes the<br />

body contours are barely visible, drawn with uneven strokes and broken lines.<br />

When sexual torture was experienced, the pelvic area is usually not<br />

represented.“ (in Wilson & Drožđek, 2004, S.406)<br />

Hier wird in anschaulicher Weise deutlich, dass auch der <strong>Körper</strong> als<br />

(verlassener) Ort des Traumas (Reddemann) von der überwältigenden Trauma-<br />

42


Erfahrung geschädigt wurde und ebenso wie der Broken Spirit (Wilson) <strong>Heilung</strong><br />

braucht: Im Vorwort zu Hilarion Petzolds Psychotherapie und <strong>Körper</strong>dynamik<br />

schreibt Gabriel Marcel seinem Freund anlässlich einer Veranstaltung zur<br />

Bewegungsarbeit mit Vladimir Iljine:<br />

„Ich muss sagen, das alles hat mich sehr beeindruckt. Es machte mir in<br />

sinnfälliger Lebendigkeit deutlich, was mir schon vor dreißig Jahren ein<br />

zentraler Gedanke war, daß nämlich ein <strong>Körper</strong> eine Geschichte ist, genauer<br />

gesagt der Abschluß, die Fixierung einer Geschichte. Das Lebensschicksal<br />

ihrer Patienten ist die Geschichte ihres Leibes. Jeder von ihnen i s t sein <strong>Körper</strong>,<br />

über den er nicht hinauskommt.“ (in Petzold, 1994)<br />

Sieht man den Menschen als <strong>Körper</strong>leib im <strong>Körper</strong>leib, als integriertes Wesen,<br />

wird klar, dass ein traumatisches Erlebnis „selbst dann eine psychophysische<br />

Erfahrung [ist], wenn das traumatische Ereignis dem <strong>Körper</strong> keinen<br />

unmittelbaren Schaden zufügt.“ (Rothschild, 2002, S.22) Es muss nicht mehr<br />

darauf hingewiesen werden, dass die posttraumatische Belastungsstörung<br />

(PTBS) nicht nur psychische, sondern auch physische Desorganisation<br />

eines Organismus zur Folge hat, auch wenn der physische <strong>Körper</strong> selbst<br />

vielleicht gar nicht offenkundig verletzt wurde. Vor allem bei man- made<br />

disasters ist der <strong>Körper</strong> direkt betroffen, die sichtbaren oder unsichtbaren<br />

Spuren, die sie hinterlassen, sind oft unauslöschbar.<br />

2.6.1 Folter hinterlässt Spuren<br />

Neben den psychischen Folgen von Traumatisierungen gibt es auch Studien zu<br />

konkreten physischen Auswirkung von Folter auf den Organismus, den Ort des<br />

Traumas (Reddemann). Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse einer von<br />

Juhler (2002) durchgeführten und vom IRCT (International Rehabilitation<br />

Council for Torture Victims) publizierten Studie zusammen (zitiert in Suchanek,<br />

S.83f)<br />

43


Ohren<br />

Zahnapparat<br />

Lungen<br />

Herz-Kreislauf<br />

Verdauungstrakt<br />

Urogenitalsystem<br />

Haut<br />

Muskel- u. Nervensystem,<br />

Bewegungsapparat<br />

2.6.2 <strong>Der</strong> <strong>Körper</strong> erinnert sich<br />

44<br />

Trommelfell-Risse, Verletzungen von Mittel-<br />

und Innenohr, Tinnitus<br />

Schaden durch mangelnde Hygiene oder<br />

Schläge, Extraktionen<br />

Chronische Infektionen (z.B. TBC) durch<br />

allgemeine Abwehrschwäche<br />

Atemnot, Herzschmerzen,<br />

Herzrhythmusstörungen<br />

Durch Appetitverlust, Übelkeit, oder<br />

Verletzungen (v.a. der Rektalregion)<br />

Unterleibs- sowie Rückenschmerzen,<br />

sexuelle Funktionsstörungen<br />

Narben von diversen Verletzungen<br />

Knochenbrüche, Muskelrisse, neurologische<br />

Störungen<br />

Wenn Psyche und Soma von Trauma betroffen sind, sollten dann nicht auch<br />

beide in die <strong>Heilung</strong>sversuche miteinbezogen werden?<br />

Kann die Behandlung des einen unter Ausschluss direkter Arbeit am anderen in<br />

manchen Fällen sinnvoll sein? Ausgehend von der Annahme, dass Psyche<br />

und Physis miteinander in Wechselwirkung stehen; ist eine „exklusive“ Arbeit<br />

an <strong>Körper</strong> oder Psyche überhaupt möglich?


„Bei der <strong>Heilung</strong> von Traumata sollte man <strong>Körper</strong> und Psyche gleichermaßen<br />

Aufmerksamkeit schenken. Das eine ohne das andere zu heilen, ist nicht<br />

möglich.“ (Rothschild, 2002, S.13)<br />

Damit weist Babette Rothschild in dieselbe Richtung wie Levine, der ebenfalls<br />

eine Miteinbeziehung des <strong>Körper</strong>s in die Trauma-Therapie empfiehlt, dabei aber<br />

noch weiter geht und einer <strong>Heilung</strong> des Traumas ohne Berücksichtigung des<br />

<strong>Körper</strong>s sogar skeptisch gegenüber steht:<br />

„Wir müssen herausfinden, was bei der Entstehung eines Traumas mit unserem<br />

<strong>Körper</strong> geschieht, und wir müssen seine zentrale Bedeutung bei der <strong>Heilung</strong> der<br />

Trauma-Folgen erkennen. Ohne diese Basis werden alle unsere Versuche, ein<br />

Trauma zu überwinden, begrenzt und einseitig bleiben.“ (Levine, 1998,S.13)<br />

Das Gleiche gilt möglicherweise jedoch auch für eine einseitige, rein<br />

körperbezogene Annäherung an Trauma-Wunden. Einige Trauma-<br />

ForscherInnen (wie beispielsweise Berit Lukas) weisen darauf hin, dass „eine<br />

rein körperliche Auseinandersetzung […] für die psychische Verarbeitung von<br />

Traumatisierungen nicht ausreichend“ ist. (2008, S.73)<br />

Auch wenn bei Schwersttraumatisierten oft eher von Schadensbegrenzung als<br />

von <strong>Heilung</strong> gesprochen werden muss, scheint es mir wichtig, nach<br />

traumatischen Erfahrungen den enteigneten und verlassenen <strong>Körper</strong> nach<br />

Möglichkeit mit einzubeziehen und auch die somatische Erinnerung an das<br />

Geschehene zu integrieren. (Vgl. van der Kolk, 1994) Geschieht dies nicht, so<br />

ändert vielleicht auch die beste verbal-orientierte Therapie nichts an der<br />

Präsenz der somatischen Empfindungen. Je weniger die Botschaften des<br />

eigenen <strong>Körper</strong>s im Sinne von peri- oder posttraumatischen Reaktionen<br />

beachtet und verstanden werden, desto ausgelieferter fühlt man sich ihnen,<br />

desto mehr machen sie Angst. Van der Kolk weist auf die Wichtigkeit dieses<br />

Aspektes hin:<br />

„Wenn das zentrale Problem der Desorganisation traumatisierter und<br />

vernachlässigter Patienten darin liegt, daß diese nicht zu analysieren vermögen,<br />

was beim Wiedererleben der mit einem Trauma zusammenhängenden körperlichen<br />

Empfindungen geschieht, und intensive Emotionen erzeugt werden, die sie<br />

45


nicht beeinflussen können, muß unsere Therapie darin bestehen, diesen<br />

Menschen zu helfen, in ihrem <strong>Körper</strong> zu bleiben und die körperlichen<br />

Empfindungen zu verstehen.“ (in Rothschild, 2002, S.20)<br />

Die gleiche Einstellung vertritt Rothschild selbst, wenn sie schreibt:<br />

„Erinnerungen an traumatische Erlebnisse können prinzipiell genauso kodiert<br />

werden wie andere Erinnerungen, sowohl explizit, als auch implizit. Doch<br />

gewöhnlich fehlt Menschen, die unter PTS oder PTBS leiden, die explizite<br />

Information, die sie brauchen, um die belastenden somatischen Symptome <strong>–</strong><br />

<strong>Körper</strong>empfindungen <strong>–</strong> […] zu verstehen.“ (2002, S.74f)<br />

Das Verständnis der impliziten Informationen ist insofern wichtig, als dass diese<br />

den post-traumatischen Alltag von Betroffenen in empfindlicher Weise<br />

beeinflussen: Ein sehr belastendes Element der PTS und PTBS, die<br />

Flashbacks, können nicht nur, wie schon umfassend bekannt, durch Bilder,<br />

Worte, Gerüche etc. getriggert werden, sondern auch durch Empfindungen<br />

aus dem <strong>Körper</strong>-Inneren, beispielsweise durch die Rückmeldung der<br />

Muskulatur oder des Bindegewebes beim Einnehmen einer bestimmten<br />

Haltung. (Vgl. Rothschild, S. 75) Analog dazu können auch durch andere Reize<br />

getriggerte Flashbacks körperliche Empfindungen oder das Einnehmen<br />

bestimmter Haltungen auslösen: Flashbacks können sich demnach nicht nur in<br />

Form von inneren Bildern oder Gedanken manifestieren, sondern sich auch<br />

konkret in körperlichen Symptomen oder Handlungen äußern. Solche<br />

Phänomene bezeichnen Lindy, Green und Grace (1992) als somatic<br />

reenactment, somatisches Wiedererleben. Rothschild führt aus:<br />

„ […] daß Verhaltensweisen von Menschen, die auf den ersten Blick<br />

unerklärlich wirken, vor dem Hintergrund der Traumageschichte der<br />

Betreffenden einen Sinn offenbaren. <strong>Der</strong> Sinn traumatischen Wiedererlebens wird<br />

klar, wenn die fehlenden Informationen vermittelt werden. Möglicherweise sind<br />

unerklärliche Symptome, die Patienten peinigen und über die Ärzte sich den Kopf<br />

zerbrechen, Beispiele für somatisches Wiedererleben.“ (2002, S.110)<br />

46


2.6.3 Was uns der <strong>Körper</strong> verraten kann<br />

In ihrer Arbeit konnte Gerda Alexander, die Begründerin der Eutonie, zeigen,<br />

dass die Schauspieler, mit denen sie anfangs hauptsächlich zu tun hatte, mit<br />

dem Einleben in eine Rolle (beispielsweise in die einer alten, gebrechlichen<br />

Dame) auch dementsprechend ihren Muskeltonus veränderten, sich also der<br />

<strong>Körper</strong> wirklich so verhielt, als wäre er der einer alten Dame. (Vgl. Petzold,<br />

1994, Alexander, 1976) Was SchauspielerInnen bewusst und zu ihrem Vorteil<br />

einsetzen, kann anderen zum Nachteil gedeihen. In Waking the Tiger erklärt<br />

Levine:<br />

„Berufsverbrecher sagen, daß sie Opfer aufgrund der<br />

<strong>Körper</strong>sprache aussuchen. Aus Erfahrung wissen sie, daß sich bestimmte<br />

Menschen nicht so gut wehren können wie andere. Sie halten Ausschau nach<br />

verräterischen Signalen, die sie in den steifen, unkoordinierten<br />

Bewegungen und im desorientierten Verhalten ihrer potentiellen Opfer finden.“<br />

(1998, S.169)<br />

Was also, wenn der Organismus in der traumatischen Situation eine Rolle<br />

annimmt, aber es nicht mehr schafft, sich wieder auszurollen? Wenn verbal<br />

bzw. kognitiv (noch) kein Zugang zu gewissen körperlichen Erinnerungen oder<br />

Ausdrücken gefunden werden kann, welche anderen Wege könnten beschritten<br />

werden, um dort hin zu gelangen?<br />

2.7 Beyond words<br />

„Wenn ich es mit Worten sagen könnte, müsste ich nicht tanzen“,<br />

soll Trudi Schoop, eine der Begründerinnen der <strong>Tanz</strong>therapie, gesagt haben.<br />

Vielen traumatisierten KlientInnen ist es nur sehr schwer möglich, direkt über<br />

das traumatische Erlebnis zu sprechen. Zum einen kann das daran liegen, dass<br />

die im Gehirn für die sprachliche Verarbeitung und Speicherung zuständigen<br />

Areale nicht dazu kommen, die Erinnerungen adäquat zu speichern. (Vgl. Le<br />

Doux, 1992, Levine 1998, Sachsse 2004)<br />

47


„Patients with complex posttraumatic stress disorder (PTSD) (Herman, 1992)<br />

often have difficulty verbalizing their boundary-transgressing body experiences,<br />

especially since they were thrown back to a level of speechlessness during their<br />

traumatic experiences.“ (Karcher in Broken Spirits, S. 404)<br />

Zum anderen wird auch vieles, was den Betroffenen angetan wurde (vor allem<br />

zeigte sich dies nach Formen sexualisierter Gewalt/Folter), als zu fürchterlich,<br />

zu schrecklich, oft sogar als dem/r Therapeuten/in unzumutbar erlebt, sodass<br />

ein Ansprechen noch zusätzlich erschwert wird. Gerade in Situationen, in denen<br />

wir sprachlos sind, appellieren viele künstlerische Therapieformen an den homo<br />

ludens in uns und weisen darauf hin, dass das Spielerische eine unglaublich<br />

kraftvolle heilende Wirkung haben kann:<br />

„Mein Glaube ist zutiefst, daß wissenschaftlich fundiertes Arbeiten das<br />

Künstlerische und Spielerische umfaßt und keineswegs ausschließt. Ich will<br />

zeigen, daß Spielen akkurate Sinneswahrnehmungen miteinbezieht und daß das<br />

,Inszenieren eines Selbst„ und damit der Weg zum Ganz-Werden die<br />

sorgfältige Bearbeitung von Konflikten oder Traumen gerade fördert.“ (Weißmann,<br />

1998, S.12)<br />

Angesichts der enormen Bandbreite der heutzutage angebotenen<br />

Therapieverfahren ist Psychotherapie oder psychosoziale Betreuung nicht mehr<br />

nur verbal und auch wenn das Wort und der Dialog in der Trauma-Bewältigung<br />

nach wie vor eine unglaublich wichtige Rolle spielen, so gibt es doch, vor allem<br />

im Bereich der Kreativtherapien, bereits eine Vielzahl von ergänzenden und<br />

stabilisierenden Verfahren, die phasenweise auch gut unabhängig von Sprache<br />

verwendet werden können. Vor allem nach Vergewaltigungen oder anderen<br />

Formen sexualisierter Gewalt/Folter werden die quälenden Erinnerungen oft gar<br />

nicht oder nur indirekt angesprochen. Neben der Vermeidung neuerlicher<br />

Beschämung hat dies oft auch den Sinn, eine weitere Bedrohung abzuwenden:<br />

In einigen Kulturen müsste der Ehemann, wüsste er von dem Missbrauch, seine<br />

Frau rächen oder sogar verstoßen. (Vgl. Drožđek & de Winter, 2004, Tankink &<br />

Richters, 2007). Auch wenn die traumatische Erfahrung im intimen Kreis der<br />

48


Ehepartner angesprochen werden kann, droht eine weitere Gefahr in Form von<br />

Ausschluss aus der eigenen ethnischen Subgruppe. Eine Betroffene berichtet:<br />

„I need to keep my experience secret because people would definitely look at me<br />

differently and they wouldn‟t take me seriously any more. People would talk and<br />

gossip and they might even laugh at me. I am afraid people wouldn‟t believe<br />

me if I told the truth, and they would say I had made it up to cover up a secret<br />

sexual affair. I myself would like to tell my story; people need to know what has<br />

happened in South-Sudan. But my relatives have forbidden me to talk. They are<br />

ashamed.” (in Drožđek & Wilson, 2007, S. 197)<br />

<strong>Körper</strong>liche Verfahren können, sofern sie behutsam angewendet werden und<br />

nicht zu einer Re-Traumatisierung durch neuerlichen Kontrollverlust führen,<br />

durch ihre (abschnittsweise) Sprachfreiheit auch sichere Räume schaffen und<br />

Brücken bauen, weil sie darauf fokussieren, was allen Menschen, unabhängig<br />

ihrer Kultur, Sprache oder Ethnie gemeinsam ist: die Tatsache, dass sie einen<br />

<strong>Körper</strong> haben. Durch das In-Bewegung-Geraten kann aber auch Zugang zu<br />

Erinnerungen gefunden werden, die sprachlich möglicherweise noch gar nicht<br />

verarbeitet wurden:<br />

„Darüber hinaus stellt die Arbeit mit Bewegung ohnehin eine besondere<br />

Situation in Verbindung mit Sprache dar. Denn non-verbale Reize erschließen<br />

den Zugang zu bisher sprachlosen Erfahrungswelten. Es geht also weniger um die<br />

Frage, ob Bezüge zu traumatischen Erfahrungen zugelassen werden, sondern<br />

wie mit ihnen umgegangen wird.“ (Eberhard, 2005, S.2)<br />

Umgang muss nicht immer Thematisierung bedeuten, in manchen Fällen geht<br />

es eben darum, auch Schweigen zu können. Oft ist Stabilisierung viel wichtiger<br />

als Trauma-Exposition und das Gefühl Teil einer Gruppe zu sein, ohne dass<br />

man dafür fürchterliche Geheimnisse preisgeben muss, gibt Sicherheit. Drožđek<br />

und de Winter berichten über die psychomotorische Therapie mit einer Gruppe<br />

von traumatisierten Asylwerberinnen Folgendes:<br />

„Although the initial group consisted of women coming from three different<br />

continents, with different religious backgrounds, and speaking as many as four<br />

different languages, the participants experienced the therapy as beneficial. This<br />

was despite the fact that an open discussion about traumatic experiences never<br />

took place.“ (in Wilson & Drožđek, 2004, S.400)<br />

49


Vielleicht kann das Sich-Bewegen(-Lassen), vorsichtig indiziert und von den<br />

KlientInnen angenommen, sodass es nicht zu einer neuerlichen Entfremdung<br />

kommt, einen Rückweg in den verlassenen <strong>Körper</strong> bahnen und möglicherweise<br />

können erweiterte Wahrnehmungs- und Bewegungsfunktionen dabei helfen,<br />

langsam wieder ein positiveres <strong>Körper</strong>gefühl entwickeln zu können.<br />

Alles, was die Handlungsfähigkeit des <strong>Körper</strong>s steigert, verringert,<br />

50<br />

einschränkt oder erweitert,<br />

steigert, verringert, beschränkt oder erweitert auch die<br />

Handlungsfähigkeit des Geistes.<br />

Und alles, was die Handlungsfähigkeit des Geistes steigert, verringert,<br />

beschränkt oder erweitert, steigert, verringert, beschränkt oder erweitert<br />

auch die Handlungsfähigkeit des <strong>Körper</strong>s.<br />

Spinoza<br />

Ein <strong>Körper</strong>bild, das auf Kontrolle, Selbstbestimmung und Freude am Spiel<br />

basiert. Möglicherweise ist behutsam eingesetzte <strong>Körper</strong>arbeit eine der<br />

Königsstraßen zurück in eine sichere Zone der eigenen Leiblichkeit (Merleau-<br />

Ponty). Eine Form der <strong>Körper</strong>arbeit, also der Arbeit mit, am und im <strong>Körper</strong>, ist<br />

<strong>Tanz</strong>.<br />

„<strong>Tanz</strong> ist Bewegung,<br />

die Leben, die Schönheit ist, die<br />

Liebe, Anpassung, Kraft ist.<br />

<strong>Tanz</strong>en, das ist das Leben zu leben, in<br />

seinen<br />

tiefsten und höchsten Schwingungen, in<br />

Harmonie, Klarheit, Kontrolle. <strong>Tanz</strong>en,


das ist sich selbst zu fühlen als Teil einer<br />

kosmischen Welt (…)<br />

und das Wort Tänzer sollte richtigweise<br />

bedeuten der, der mit körperlichen Gesten die<br />

Freude und die Kraft des eigenen Seins<br />

zum<br />

Ausdruck bringt.“<br />

Ruth St. Denis, 1924<br />

3. Geschichte der <strong>Tanz</strong>therapie<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapie, zur Zeit (Stand 2009) im deutschsprachigen Raum in<br />

verschiedenen Formen anerkannt und angewandt, entstand als europäisch-<br />

amerikanische Weiterentwicklung des Ausdruckstanzes. Als Pionierinnen auf<br />

diesem Gebiet gelten unter anderm Trudi Schoop, Mary Whitehouse, Marian<br />

Chace, Mary Wigman, Liljan Espenak, Penny Bernstein, Elaine Siegel und<br />

Franziska Boas, die allesamt, auch wenn sie sich dabei auf verschiedene<br />

psychologische Konzepte beriefen, an die heilende Kraft des <strong>Tanz</strong>es glaubten.<br />

Wie kam es zur Entstehung des Ausdruckstanzes, der mit den bis dahin<br />

vorherrschenden Traditionen und Konzepten des akademischen <strong>Tanz</strong>es so<br />

jäh brach?<br />

3.1 Ausdruckstanz<br />

<strong>Der</strong> Technisierung des <strong>Körper</strong>s, die mit dem klassischen Ballett einen<br />

Höhepunkt erreicht hatte, setzte sich in den 20er Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts eine freiere Form des <strong>Tanz</strong>es entgegen, die relativ zur gleichen<br />

Zeit an mehreren Orten und von mehreren TänzerInnen unabhängig<br />

51


voneinander entdeckt wurde: der Ausdruckstanz.<br />

„Le forme aristocratiche del balletto accademico non sono più sentite come<br />

universali, perché non sono più in grado di rispondere alle esigenze di una<br />

corporeità che si sta progressivamente liberando dei condizionamenti del passato e<br />

delle visioni preconcette.” (Pontremoli, 2006. S.3)<br />

Für die <strong>Tanz</strong>-Geschichte ist der Übergang zwischen 19. und 20. Jahrhundert<br />

eine wichtige Zeit, da es hier zu einem Paradigmenwechsel in der Sichtweise<br />

von <strong>Körper</strong> und Darstellung gab, die auf einer sich verändernden Gesellschaft<br />

und deren Sichtweise des Menschen und seiner Ausdrucksformen beruhte. Wie<br />

so viele andere Kunstformen war auch das klassische Ballett Ausdrucksform<br />

einer vorherrschenden Ideologie, in diesem Fall einer eher männlich geprägten,<br />

romantischen Ideologie eines Bürgertums des 18. Jahrhunderts. Werke wie<br />

Giselle, die Sylphide oder Schwanensee spiegeln viele romantische Ideale<br />

wider, beispielsweise den männlichen Helden, der bereit ist, sein Leben zu<br />

lassen für eine ätherische, irreale und unerreichbare Frauenfigur. (Vgl.<br />

Pontremoli, 1996, Sorell, 1994)<br />

Während es beim Ballett außerdem erklärtes Ziel der Tänzer und Tänzerinnen<br />

war, den <strong>Körper</strong> zu technisieren und ihn bis hin zur Überwindung der<br />

Schwerkraft zu beherrschen, wurde mit Francois Delsarte der Fokus auf das<br />

Wachsen des Künstlers als Individuum und seiner Ausdrucksfähigkeit gelenkt.<br />

Sein Lebenswerk ist geprägt vom Tod seines jüngeren Bruders und dem<br />

Verlust der eigenen Stimme durch eine fehlerhafte Ausbildung am<br />

Conservatoire, die beide zu treibenden Motoren seiner Erforschung des<br />

Menschen und seinen Ausdrucksformen wurden. (Vgl. Pontremoli, 2006)<br />

Beeindruckt von Frédérick Lamaître und dessen ballet d’action entdeckte<br />

Delsarte die Ausdruckskraft von Gestik und Mimik, die er schließlich sogar als<br />

dem Wort und der Stimme überlegen sieht. Seine genaue Beobachtung der<br />

<strong>Körper</strong>haltungen und Gesten, sowie des Stimmvolumens, prägen seine<br />

esthétique appliquée und das Gesetz der Korrespondenz, nachdem jeder<br />

innere Gefühlszustand eine äußere Entsprechung in unserer Haltung und<br />

Attitude hat. Mit Steele McKaye, einem amerikanischen Schüler Delsartes,<br />

52


gelangte dessen Lehre in die Vereinigten Staaten. Dort wird Geneviève<br />

Stebbins zu seiner Schülerin. Auch Stebbins beschäftigte sich in ihrer Arbeit<br />

mit dem Zusammenhang innerer und äußerer Zustände und konzentrierte sich<br />

dabei auf die Quelle der Bewegung, die sie im Zwerchfell vermutete. (Vgl.<br />

Pontremoli, 2006) Auch andere Tänzerinnen wie Isadora Duncan (im<br />

Solarplexus) oder Martha Graham (im Beckenknochen) wollten diesen Punkt im<br />

<strong>Körper</strong> lokalisieren.<br />

<strong>Der</strong> Modern Dance der Isadora Duncan<br />

Isadora Duncan (1878-1927) vertrat die Meinung, dass sie als Tänzerin die<br />

Musik durch sich hindurch strömen und sich von ihr inspirieren lassen sollte,<br />

dass nicht Nachempfindungen von Gefühlen, sondern Gefühle selber im <strong>Tanz</strong><br />

zum Ausdruck gebracht werden sollten. Ihr Ziel war es, ganz zur Musik zu<br />

werden und so zu dem natürlichen Zustand der Harmonie mit dem Kosmos<br />

zurückzukehren. (Vgl. Pontremoli, 2006, S.24ff) <strong>Der</strong> transzendente Tänzer<br />

stellt nach Duncan weniger sich selber, als eine universelle Wahrheit, ein<br />

„tieferes Selbst“ dar:<br />

„Trachtet die Musik mit eurer Seele zu hören! Fühlt ihr nicht beim Zuhören in<br />

eurem Innern ein tieferes Selbst erwachen? Diese Kraft veranlaßt euch, Kopf,<br />

Arme und Beine zu heben und führt euch langsam dem Licht entgegen.“<br />

(Duncan zitiert in Peter Bolaender,1992, S.101)<br />

Duncan war als Tänzerin vor allem von der griechischen Mythologie, aber auch<br />

von den künstlerischen Strömungen ihrer Zeit (Jugendstil, Tiffany, Gallé etc.)<br />

beeinflusst. In weite, fließende Tunikas gehüllt und mit nackten Füßen bewegte<br />

sie sich in Harmonie zur Musik, heraus aus dem Zentrum, dem Solarplexus, in<br />

dem Duncan den Sitz der Emotionen und Leidenschaften sah. (Vgl. Pontremoli,<br />

2006, S.26) Gedanklich fühlte sie sich Darwin, Schopenhauer, Rousseau und<br />

Nietzsche nahe, außerdem spielten die Dichtungen von Walt Whitman in ihrem<br />

Leben eine wichtige Rolle.<br />

53


„Was er in der Dichtung ist, will sie im <strong>Tanz</strong> werden […]. Sein Kampf ist auch<br />

ihrKampf für die Freiheit der Gefühle, der Sinne und der Liebe […].“ (Niehaus<br />

zitiert in Peter-Bolaender, 1992, S.100)<br />

Als Lehrerin wollte sie ihre SchülerInnen dazu bringen, sich selbst durch den<br />

<strong>Tanz</strong> auszudrücken, anstatt lediglich vorgegebene Bewegungen<br />

nachzumachen. Durch Improvisation statt Imitation zur Selbstverwirklichung war<br />

das Ziel des Unterrichts. Als Frauenrechtlerin war es ihr ein Anliegen,<br />

konservative und frauenfeindliche Konventionen der Ehe zu liberalisieren, den<br />

Frauenkörper von dem einengenden Korsett zu befreien und jungen Mädchen<br />

eine ganzheitliche Erziehung angedeihen zu lassen, die sowohl den <strong>Körper</strong>, als<br />

auch die Seele miteinbezieht. 1903 schrieb sie:<br />

„Die Tänzerin der Zukunft wird ein Weib sein müssen, deren <strong>Körper</strong> und Seele so<br />

harmonisch entwickelt sind, daß die Bewegung des <strong>Körper</strong>s die natürliche<br />

Sprache der Seele sein wird. […] Von allen Teilen ihres Leibes wird der Geist<br />

ausstrahlen und der Welt die Botschaft von den Gedanken und Hoffnungen<br />

tausender von Frauen bringen. Sie wird die Freiheit des Weibes in ihrem <strong>Tanz</strong><br />

ausdrücken.“ (zitiert in Peter-Bolaender, 1992, S.101)<br />

Denishawn: Ruth St. Denis & Ted Shawn<br />

In dieser nächsten Generation der TänzerInnen waren neben Isadora Duncan<br />

besonders Ruth St. Denis und Ted Shawn, später Lehrer von Martha Graham,<br />

für die Weiterentwicklung des Ausdruckstanzes bedeutsam. Ruth St. Denis<br />

(eigentlich Ruthie Dennis) war in ihrer künstlerischen Ausbildung von der<br />

Schule Delsartes geprägt, aber es gab noch einen weiteren Faktor, der sie von<br />

anderen Tänzerinnen ihrer Zeit unterschied: ihre sehr religiöse Kindheit.<br />

Gemeinsam mit ihrer Mutter Emma, einer emanzipierten Frau im New Jersey<br />

des beginnenden 20. Jahrhunderts, wuchs sie in einer Kommune auf, in der in<br />

der Erziehung kein Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gemacht<br />

wurde.<br />

„Ruth cresce assimilando progressivamente i valori della castità, dell‟esercizio<br />

fisico, della liberazione della donna, della modernizzazione dell‟abbigliamento<br />

femminile e del gusto per la bellezza secondo il dettato delsartiano […].”<br />

(Pontremoli, 2006, S.16)<br />

54


St. Denis wuchs im Zeitalter der Emanzipation auf, war Zeitgenossin eines<br />

radikalen Imagewechsels der Frau und setzte sich bedingt durch ihre religiöse<br />

Mutter schon früh mit Werten wie Keuschheit und körperlicher Enthaltsamkeit<br />

auseinander. Auch Ruths Überlegungen zu <strong>Körper</strong> und Seele basieren auf<br />

einem im religiösen Kontext nicht seltenen Dualismus, gehen aber darüber<br />

hinaus: Für St. Denis sind Fleisch und Geist zwei Seiten derselben Münze, die<br />

sich im <strong>Tanz</strong> in einem einzigen <strong>Körper</strong> zusammenfügen. Durch diese Fusion im<br />

tanzenden <strong>Körper</strong> existiert der Künstler im Hier und Jetzt und kommuniziert<br />

gleichzeitig der Um-Welt seine Existenz. (Vgl. Pontremoli, S.18) Ruth St. Denis<br />

klagte über den Zeitgeist ihrer Epoche:<br />

„Aber die Kraft, unsere Seele zu befreien, die der <strong>Tanz</strong> hat, ist noch immer<br />

unter dem Gewicht einer uns bezwingenden und künstlichen Welt begraben, die wir<br />

uns geschaffen haben - in der es weder Zeit Bewegung kennenzulernen, noch<br />

Raum für diese Bewegung gibt.“ (Übers. der Autorin) (St. Denis, 1924 in<br />

Pontremoli, 2006, S.18)<br />

Auch wenn Ruth St. Denis es vielleicht damals noch nicht geahnt hatte, sollte<br />

sich doch die westliche Welt im Laufe der nächsten Jahre immer mehr dieser<br />

Vereinigung von Psyche und Soma im tanzenden <strong>Körper</strong> öffnen. Bereits die<br />

nächste Generation der AusdruckstänzerInnen knüpfte Bande zu<br />

verschiedenen Schulen der Psychologie und Psychotherapie, aus denen sich<br />

neue Richtungen entwickelten, die die Kraft, unsere Seele zu befreien, in ihre<br />

Konzepte integrierten.<br />

3.2 Die Verbindung von <strong>Tanz</strong> und Psychotherapie<br />

3.2.1 Trudi Schoop<br />

Trudi Schoop, Pantomimin und Tänzerin, emigrierte aus der Schweiz in die<br />

Vereinigten Staaten. Neben ihrer Arbeit als Tänzerin startete sie dort ein Projekt<br />

an einer Psychiatrie, im Rahmen dessen sie mit psychotischen, depressiven<br />

und „sogenannten ,unzugänglichen„ Patienten“ (Weißmann, 1998, S.16) tanzte.<br />

55


In „… Komm und tanz mit mir!“ beschreibt sie die Arbeit mit einem<br />

schizophrenen Patienten, der nicht mehr sprach. Bevor Schoop die Arbeit mit<br />

ihm begann, war dieser Mann schon zwanzig Jahre lang in psychiatrischen<br />

Einrichtung interniert gewesen. Sie ging mit diesem Patienten viele Wochen<br />

lang einfach nur an einer Wand entlang, ohne zu sprechen. Nach einiger Zeit<br />

begann der Patient nicht nur zu sprechen, sondern Schoop entdeckte auch<br />

beeindruckende Veränderungen in den Bewegungen dieses Mannes.<br />

Schließlich konnten beide gemeinsam in Worte fassen, was sich beim An-<br />

der-Wand-entlang-Gehen zwischen ihnen abgespielt hatte.<br />

Schoop war überzeugt davon, dass der <strong>Körper</strong> und das innere Selbst<br />

ineinander verschränkt sind, voneinander abhängen und sich auf diese Weise<br />

gegenseitig beeinflussen, dennoch orientierte sie sich in ihrer Methode an<br />

keinem bereits etablierten Konzept einer Psychotherapie-Richtung, vielmehr<br />

schöpfte sie aus dem fundierten Wissen über den <strong>Körper</strong>, dass sie zu dem<br />

natürlichen Erfahrungsschatz der Tänzerin zählte. Dr. M.A. May, Chefarzt am<br />

Camarillo-Hospital (Kalifornien), an dem Schoop arbeitete, schrieb über ein<br />

persönliches Gespräch mit der Tänzerin, in dem er sie in guter Absicht danach<br />

fragte, von welchem Experten der Klinik sie denn ihre Ideen hätte:<br />

„Jedenfalls wurde ich liebenswürdig und humorvoll mit der Tatsache bekannt<br />

gemacht, daß Haltung, Gebärde, Bewegung, <strong>Körper</strong>vorstellung, Identität, nicht-<br />

verbale Kommunikation, Identifizierung und Projektion des Selbst zu den<br />

Grundwissenschaften des <strong>Tanz</strong>es gehören. Ich erfuhr, daß das Berufsleben des<br />

Tänzers ein Studium des <strong>Körper</strong>s verlangt, gerade so wie von anderen ein<br />

Studium der Psyche verlangt wird.“ (in Reichelt, 1987, S. 32)<br />

Die Methode, die Trudi Schoop schuf, basierte großteils auf ihrer eigenen<br />

Kreativität, sowie ihrem Erfahrungsschatz als Tänzerin und entlieh nur wenige<br />

Elemente aus bereits etablierten Psychotherapie-Schulen.<br />

3.2.2 Marian Chace, Jacob Levy Moreno und das Psychodrama<br />

Anders Marian Chace: Als Absolventin der Denishawn-Schule eröffnete sie ihre<br />

eigene <strong>Tanz</strong>-Akademie, an der sie im klassischen Sinn unterrichtete, bis sie<br />

56


schließlich eine interessante Entdeckung machte: Einigen ihrer SchülerInnen<br />

schien viel weniger an der Verbesserung ihrer Technik zu liegen, als den<br />

anderen, und doch schien sie dies gar nicht zu stören. Trotz relativ geringer<br />

technischer Verbesserungen erlebten diese SchülerInnen die Lektionen als<br />

sehr positiv, was Chace zu Beginn schwer verständlich war. Chace teilte<br />

daraufhin die Gruppe ihrer Schüler in solche, die an der Technik, und solche,<br />

die an der Entwicklung ihrer Persönlichkeit über das Medium <strong>Tanz</strong> interessiert<br />

waren. Die Arbeit mit dieser zweiten Gruppe von Schülern weckte zunehmend<br />

ihr Interesse an der geheimnisvollen Verbindung zwischen Psyche und Soma<br />

und ließen sie schließlich zu dem Schluss kommen, dass Fehlhaltungen und<br />

Verspannungen im <strong>Körper</strong> Ausdruck von traumatischen Erfahrungen seien.<br />

(Vgl. American Dance Therapy Association)<br />

Am St. Elizabeth-Hospital experimentierten Marian Chace und Jacob Levy<br />

Moreno, der als Begründer des Psychodramas gilt, erstmals mit<br />

Gruppensettings. Chace, die erste offizielle „Vollzeit-<strong>Tanz</strong>therapeutin“, arbeitete<br />

schließlich gemeinsam mit Frieda Fromm-Reichmann am Chestnut-Lodge,<br />

einer psychiatrischen Klinik in den Vereinigten Staaten und konnte dort sowohl<br />

ihre Erfahrung als Tänzerin, als auch ihre psychodramatische Ausbildung in<br />

diese Tätigkeit mit einbauen.<br />

3.2.3 Psychodrama und <strong>Tanz</strong>therapie: mögliche Parallelen<br />

Eine Beschreibung der Methode des Psychodramas, wie wir sie beispielsweise<br />

bei Stelzig (2008) finde, trifft in gewissem Maße auch auf viele Formen der<br />

<strong>Tanz</strong>therapie zu: „Das Psychodrama stützt sich in seiner Technik auf positive,<br />

aktive Begegnung“ und soll den KlientInnen wieder zu „Spontaneität und damit<br />

einem direkten Zugang zum Selbst“ verhelfen. (S. 38)<br />

Diese Spontaneität bezeichnet Kellermann als „inneren Anpassungs-<br />

mechanismus an äußeren Stress“ (zitiert in Ottomeyer, 1994, S.352) und<br />

unterstreicht die Wichtigkeit ihrer Wiederherstellung in der Arbeit mit „people<br />

who suffer from PTSD“ (2000, S.26). Durch Flashbacks, Intrusionen,<br />

57


Alpträume und andere posttraumatische Symptome kann von Betroffenen<br />

Spontaneität schwer als etwas Positives wahrgenommen werden. Ganz im<br />

Gegenteil, oft wird sie als etwas sehr Angst-Machendes erlebt, weil sie an<br />

Kontrollverlust erinnert. (Vgl. Ottomeyer, 2004) Um einen neuerlichen<br />

Kontrollverlust zu vermeiden, schränken sich traumatisierte Menschen, was ihre<br />

Erlebens- und Handlungsfelder, sowie ihre eigene Spontaneität betrifft, oft ein,<br />

um sich zu schützen. Psychodramatische (wie auch <strong>Tanz</strong>therapeutische)<br />

Verfahren wollen dieser eingeschränkten Spontaneität begegnen, die Trauma-<br />

Überlebenden wieder zu ProtagonistInnen machen und gemeinsam mit den<br />

KlientInnen nach neuen Auswegen suchen.<br />

„Psychodrama should attempt to provide an environment in which traumatized<br />

people are no longer seen as objects that are being pushed and pulled and<br />

shaped by forces that are outside themselves. They should rather be<br />

encouraged to view themselves as active and responsible in constructing their<br />

lives an as co-therapists in their very personal journeys of trauma resolution.”<br />

(Kellermann, 2000, S.37)<br />

Dabei sehen <strong>Tanz</strong>therapeutische, wie auch Psychodramatische Verfahren den<br />

Menschen als <strong>Körper</strong>leib im <strong>Körper</strong>leib und als Wesen im Spannungsfeld von<br />

<strong>Körper</strong>lichkeit, Emotionen, intra- und interpersonellen sozialen Systemen und<br />

schaffen so ein „holistic framework“ in der Trauma-Therapie. (Vgl. Kellermann,<br />

2000, S.35)<br />

Dieses „holistic framework“ beinhaltet in besonderer Weise auch den <strong>Körper</strong><br />

und die <strong>Körper</strong>lichkeit der BehandlerInnen: PsychodramatikerInnen, wie auch<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutInnen fühlen sich in die Rolle der KlientInnen hinein <strong>–</strong> dieses<br />

Hineinfühlen in die andere Person schließt in beiden Fällen auch den konkreten<br />

<strong>Körper</strong>ausdruck des anderen mit ein. Moreno selbst (1959) schreibt über eine<br />

spezielle Technik des Psychodramas, die Doppeln genannt wird:<br />

„Wir haben vor uns zwei Individuen, die psychologisch ein-und-dieselbe Person zu<br />

sein scheinen. […] Das eine Individuum aber ist einer unserer Hilfs-<br />

Therapeuten, der den Patienten so zu imitieren versucht, als ob er eins mit dem<br />

Patienten sei. Streckt dieser die Arme aus, dann tut das Hilfs-Ich das gleiche,<br />

beugt er den Kopf, dann beugt das Hilfs-Ich den Kopf […].“ (zitiert in Stelzig,<br />

2008, S.38)<br />

58


Durch das (zum Teil auch sehr körperliche) Einnehmen der Rolle des<br />

Gegenübers „fühlen“ die Psychodramatiker, „was der andere fühlt“. (Ebd., S.39)<br />

In einer explorativen Studie konnte Ottomeyer (2008) zeigen, dass eine<br />

„intensive Beteiligung des <strong>Körper</strong>s möglicherweise für das Psychodrama<br />

typisch“ ist. „Das Psychodrama eröffnet wahrscheinlich der körperlich spürbaren<br />

Begegnung noch mehr Raum als viele andere Therapiemethoden, weil die<br />

Einbeziehung des Spielens in den Prozess auf eine kaum vorhersehbare Weise<br />

den <strong>Körper</strong> aktiviert und weil sich die TherapeutInnen als ,Doppel„ oder ,Hilfs-<br />

Ich„ phasenweise in eine große, auch physische Nähe zum Patienten bzw. zur<br />

Patientin begeben“. (S.81)<br />

3.2.4 Tiefenpsychologie und Psychoanalyse<br />

Mary Whitehouse und Mary Wigman, über die wir später mehr hören werden,<br />

orientierten sich am Jung„schen Konzept, während Liljan Espenaks<br />

tanztherapeutische Arbeit auf der Adler„schen Psychoanalyse, sowie den<br />

Konzepten von Lowen und Laban basierte. Alfred Adler selbst schrieb übrigens<br />

1929 in Menschenkenntnis:<br />

„Wir können also zuerst feststellen, daß die Entwicklung des Seelenlebens an die<br />

Bewegung gebunden ist, und dass der Fortschritt all dessen, was die Seele erfüllt,<br />

durch diese freie Beweglichkeit des Organismus bedingt ist.“ (in Petzold,1988, S.21)<br />

Elaine Siegel und Penny Lewis Bernstein, zwei Vertreterinnen der zweiten<br />

Generation der <strong>Tanz</strong>therapeutInnen, waren psychoanalytisch geprägt, aber<br />

Bernstein orientierte sich zusätzlich stark an der Gestalttherapie. <strong>Der</strong> weiter<br />

oben zitierte Vladimir Iljine übrigens war in Lehranalyse bei dem ungarischen<br />

Psychoanalytiker Sandor Ferenzci.<br />

3.2.5 Mary Wigman & Rudolf von Laban<br />

Mary Wigman, später vor allem im Zusammenhang mit Laban bekannt, ließ sich<br />

59


ursprünglich in Hellerau nach Dalcroze ausbilden, bevor sie schließlich viele<br />

Jahre am Monte Verità in der Schweiz als Schülerin und Mitarbeiterin Rudolf<br />

von Labans verbrachte. Ähnlich wie schon einige Tänzerinnen vor ihr wollte<br />

auch Mary Wigman im <strong>Tanz</strong> einen Weg finden, Natur und Seele miteinander zu<br />

verbinden, doch anders als beispielsweise Isadora Duncan wollte sie nicht als<br />

transparente Künstlerin ganz zur Musik werden, sondern als Frau, die<br />

sie war, „magisch-mythische Botschaften“ (Peter-Bolaender, 1992, S.105)<br />

durch Bewegung im Raum zum Ausdruck bringen. Es ging nicht mehr darum,<br />

zur Musik zu tanzen, Laban und Wigman waren sich im Bezug auf die<br />

Unabhängigkeit des <strong>Tanz</strong>es als Kunst einig:<br />

„Bald konnte sie ihr Publikum davon überzeugen, daß der <strong>Tanz</strong> eine<br />

eigenständige Kunstform darstellt, gleichwertig mit der Musik oder Malerei.<br />

Durch ihren Verzicht auf Musik stellt sie den <strong>Tanz</strong> als eine Kunstform vor, die<br />

auch unabhängig von ihrer traditionellen Verbundenheit mit der Musik<br />

ausdrucksstark sein kann.“ (Ebd. S. 105)<br />

Es wurde jedoch nicht völlig auf musikalische Begleitung verzichtet. Zumindest<br />

was die spätere Phase des Wigman„schen <strong>Tanz</strong>es betrifft, kann vielmehr<br />

gesagt werden, dass der Zugang zur Musik schlichtweg ein anderer war:<br />

Trommeln, Tamburine oder Gongs boten Möglichkeiten einer musikalischen<br />

Untermalung von den seelischen Zuständen, die externalisiert werden sollten:<br />

„Nicht ,Gefühle„ tanzen wir! Sie sind schon viel zu fest umrissen, zu deutlich. Den<br />

Wandel und Wechsel seelischer Zustände tanzen wir, wie sie als<br />

rhythmisches Auf und Ab im Menschen lebendig sind.“ (Wigman in Peter-<br />

Bolaender, 1992, S.106)<br />

Wigman ging davon aus, dass in uns allen „die lebendige Sprache des <strong>Tanz</strong>es“<br />

(ebd.) ruht, die erweckt werden und uns zur Selbstverwirklichung führen kann.<br />

Das, was Jung der aktiven Imagination auf dem Weg vom Ich zum Selbst<br />

zuspricht, sieht Wigman im <strong>Tanz</strong>: „…es geht um einen Wachstumsprozeß, in<br />

dem körperliche Bewegung, seelische Bewegtheit und geistige Beweglichkeit<br />

sich die Waage halten müssen.“ (in Peter-Bolaender, 1992, S. 120) Genau dies<br />

ist auch das Ziel, das sie in ihrem Unterricht zu vermitteln suchte. <strong>Der</strong>/die<br />

60


Lehrer/in sollte eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen und unter<br />

Berücksichtigung der Individualität der Schüler/innen diesen helfen, zu sich<br />

selber zu kommen:<br />

„,Sich selber suchen, sich selber fühlen, sich selber erleben!„ hatte Mary<br />

Wigman als Motivation für die Wegsuche der Ausdruckstänzer/innen genannt.“<br />

(Müller in Peter-Bolaender, 1992, S.122)<br />

<strong>Der</strong> eng mit Wigman zusammen arbeitende Künstler, Choreograph und<br />

Bewegungsforscher Laban vertrat eine ähnliche pädagogische Auffassung.<br />

Rudolf von Laban - Bewegungsanalyse<br />

Laban war davon überzeugt, dass sich in jedem von uns ein Tänzer bzw. eine<br />

Tänzerin findet, dass wir alle tanzen können und dass dieses <strong>Tanz</strong>en unserer<br />

Persönlichkeitsentwicklung förderlich sein kann. Er vertrat die Ansicht, dass der<br />

Mensch Ganzheit anstreben müsse, um sich selbst und die Welt vollständig<br />

erfahren zu können. Die Laban„schen vier Teilkomponenten der Psyche<br />

(Empfinden, Denken, Fühlen, Intuieren) müssen integriert werden, um den<br />

ganzen Menschen den wahren Sinn der Dinge erkennen zu lassen:<br />

„Kein Mensch vermag nur durch den Verstand oder nur durch Empfinden oder<br />

Gefühl dem wahren Sinn der Dinge nahezukommen. Sind aber <strong>Körper</strong>, Seele<br />

und Geist in gleicher Weise dem Eindruck entgegengespannt, so entsteht in<br />

unserer Wahrnehmung eine Gewißheit über die Dinge der Welt, die hoch über<br />

dem trügerischen Schein steht, den die Natur den einzelnen Teilzentren<br />

unserer Psyche bietet. […] Mit nur einer Teilkraft unseres Wesens können wir<br />

auch nur einen Bruchteil des Betrachteten erfassen.“ (Laban, 1922, S.22)<br />

Das Studium des menschlichen Bewegungsausdrucks führte Laban zu der<br />

Erkenntnis, dass es nicht nur verschiedene Grundtendenzen der Bewegung<br />

und des Ausdrucks gibt, sondern dass auch jeder Mensch diesbezüglich andere<br />

Vorlieben hat. Überbetonung oder Vernachlässigung dieser Antriebe kann die<br />

Spontaneität einschränken und den Menschen aus dem Gleichgewicht bringen.<br />

Laban schreibt dazu:<br />

61


„Ein derart gestörtes Gleichgewicht der Bewegungsantriebe mit seiner nachteiligen<br />

Auswirkung auf Leistungsvermögen und Wohlbefinden des Einzelnen und<br />

der Gemeinschaft […] kann nur durch jemanden wiederhergestellt werden, der<br />

selbst am eigenen Leib das ganze Spektrum menschlicher Bewegungsimpulse<br />

erlebt hat und ausreichende Kenntnisse von ihrem natürlichen Zusammenwirken<br />

besitzt.“ (zitiert in Peter-Bolaender, 1992, S.164)<br />

Ein wesentlicher Bestandteil der Laban‟schen Theorien war das <strong>Körper</strong>bewusst-<br />

sein, es ist das erste von acht Grundthemen, die er in seiner Erziehung<br />

vermitteln wollte. (Vgl. Laban, 1981, 43ff) Auch Elsa Gindler (und später ihre<br />

Schüler) beschäftigten sich mit dem <strong>Körper</strong>bewusstsein und dem<br />

Zusammenhang zwischen diesem und der Psyche.<br />

3.2.6 Elsa Gindler <strong>–</strong> Konzentrative Bewegungstherapie<br />

Gindler, eine deutsche Gymnastiklehrerin, begründete die konzentrative<br />

Bewegungstherapie (Concentrative Movement Therapy, CMT) in den 20er<br />

Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Gindler ging davon aus, dass sich<br />

Wahrnehmung und <strong>Körper</strong>schema verändern, wenn dem <strong>Körper</strong><br />

Aufmerksamkeit geschenkt wird. In den USA wurden die Erkenntnisse Gindlers<br />

unter Charlotte Selver zur sensory awareness weiterentwickelt, im<br />

deutschsprachigen Raum flossen sie in die Psychotherapie und vor allem in die<br />

Psychosomatik ein. (Vgl. Karcher in Wilson & Drožđek, 2004, S.403)<br />

Heute kommt die CMT auch in interkultureller Trauma-Zentrierter<br />

Psychotherapie zur Anwendung: In der Arbeit mit Folter-Überlebenden konnte<br />

die Concentrative Movement Therapy vor allem in folgenden Punkten einen<br />

produktiven Beitrag zur gängigen Psychotherapie leisten:<br />

“- pain reduction and understanding the pain<br />

- improved body feeling and differentiated perception of body<br />

- holistic body experience and integration of split-off body parts<br />

- getting access to painful, inanimate, and unloved body parts<br />

- experiencing body boundaries, perceiving spatial boundaries, and observing<br />

limitations on time<br />

-sensing the liveliness of the body via breath, voice, movement, strength and<br />

creativity<br />

- stabilization and anchoring of bodily resources<br />

- testing and expansion of scopes of action and movement<br />

- regaining self-esteem and self-confidence”<br />

62<br />

(vgl. Karcher in Wilson & Drožđek, 2004, S.408)


Warum muss überhaupt ein Unterschied zwischen transkultureller und<br />

„normaler“ Trauma-zentrierter Psychotherapie gemacht werden? Ist Mensch<br />

nicht gleich Mensch? Im Folgenden sollen einige spezielle Problemfelder der<br />

kulturübergreifenden Psychotraumatologie behandelt werden, um ein breiter<br />

gefächertes Verständnis für die speziellen Bedürfnisse traumatisierter<br />

AsylwerberInnen zu entwickeln. Anschließend soll mit Hilfe der aktuellen<br />

Forschung und sechs problemzentrierten Interviews (nach Witzel) untersucht<br />

werden, welche Rolle <strong>Tanz</strong>-Therapie in diesem Setting spielen kann, wo ihre<br />

Vorzüge und Grenzen liegen.<br />

4. Spezielle Herausforderungen in der interkulturellen Trauma-<br />

Therapie<br />

Dass wir, ob wir es nun wollen oder nicht, von unserer eigenen Kultur geprägt<br />

sind, ist wohl eine unbestreitbare Tatsache, aber in welchem Ausmaß dies<br />

unsere Wahrnehmung der Welt bestimmt, darüber lässt sich streiten.<br />

Am 22. März 1801 schrieb Heinrich von Kleist an Wilhelmine von Zenge: „Vor kurzem<br />

ward ich mit der neueren sogenannten Kantischen Philosophie bekannt <strong>–</strong> und Dir muß ich<br />

jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er Dich so tief,<br />

so schmerzhaft erschüttern wird, als mich… Wenn alle Menschen statt der Augen grüne<br />

Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch<br />

erblicken, sind grün <strong>–</strong> und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die<br />

Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen,<br />

sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob<br />

das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint.“<br />

(Heinrich von Kleist, Briefe, zitiert nach Online-Sammlung)<br />

Wir nehmen die Welt durch die Linse unserer Kultur wahr, das, was wir als<br />

Kinder lernen, lernen wir meist von Menschen, die aus dem selben kulturellen<br />

63


System stammen wie wir selbst, einem System, das dazu gemacht wurde, uns<br />

die Welt zu erklären. Aber sind unsere Erklärungen tatsächlich im Kleist„schen<br />

Sinne „wahrhafte Wahrheit“ oder nur eine Möglichkeit von vielen?<br />

Wer selbst schon durch Reisen, Arbeit in interkulturellen Settings,<br />

kulturübergreifenden Freundschaften etc. Einblick in andere Lebensrealitäten<br />

bekommen hat, war früher oder später vermutlich mit der Dehnbarkeit des<br />

Begriffes „normal“ konfrontiert. Was heißt denn überhaupt „normal”?<br />

Verstehen wir unter Norm einen Richtwert, stellt sich als nächstes die<br />

Frage nach dem Referenzpunkt, an dem sich die Norm orientiert:<br />

Die westliche Methodenlehre unterscheidet beispielsweise zwischen einem<br />

deskriptiv-statistischen (statistische vs. subjektive Normen) und einem<br />

präskriptiv-wertungsbezogenen Normbegriff (funktionale vs. soziale Norm). (Vgl.<br />

Hp Univerität Freiburg, Glossar) Die in der Diagnostik oft zur Anwendung<br />

kommende statistische Norm basiert auf den Werten einer Stichprobe, die<br />

für die zu untersuchende Population repräsentativ sein sollte. Inwiefern die<br />

Eichstichprobe, sofern diese aus einem anderen Kulturkreis als die zu<br />

untersuchende Population stammt, noch repräsentativ sein kann, muss in<br />

jedem Fall hinterfragt werden.<br />

4.1 Das Problem „PTSD/PTBS“: Ethnozentrische diagnostische<br />

Kriterien<br />

Zwar basiert die Diagose PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) bzw.<br />

PTSD (Posttraumatic Stress Disorder) nach DSM-IV auf westlicher Forschung<br />

und westlichen Standards und ist deshalb natürlich auch von diesen geprägt,<br />

tatsächlich stammen aber die meisten Asylwerber nicht aus diesem, ständig<br />

und oft unreflektiert als Referenzpunkt angesehenen Kulturkreis westlicher<br />

Industrienationen. Andere Kulturen haben neben teilweise sehr<br />

unterschiedlichen Lebenswelten und <strong>Körper</strong>konzepten natürlich auch,<br />

zumindest zum Teil, sehr unterschiedliche Ausdrucksformen von seelischen<br />

Verletzungen. Wesentliche Symptome von realen Traumatisierungen<br />

64


können durch ethnozentrische Diagnosekriterien leicht übersehen werden, weil<br />

man nicht danach sucht, zum Beispiel, weil sie auf diversen Ja/Nein-<br />

Checklists gar nicht aufscheinen. (Vgl. Ottomeyer & Renner, 2006) Eine<br />

mögliche Folge dieses Problems und in Österreich bis vor Kurzem noch<br />

traurige Aktualität sind „schlechte und/oder oberflächliche Trauma-Gutachten“<br />

(ebd., S.8), an denen natürlich Menschenschicksale hängen. So konnte<br />

beispielsweise Alexander Friedmann, Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie,<br />

in einer umfassenden Studie, in der über 100 in den Jahren 2000-2004 in<br />

Österreich erstellte Trauma-Gutachten geprüft wurden, eine hohe<br />

Fehlerquote (sowohl im Bezug auf unzutreffende PTSD-Diagnose, als auch auf<br />

keine Diagnose bei deutlich vorhandener Symptomatik) in diesen feststellen.<br />

Seine Ergebnisse wurden von unabhängigen Experten aus Deutschland,<br />

Österreich und der Schweiz kontrolliert und bestätigt. (Vgl. Friedmann,<br />

Ottomeyer & Renner, 2006)<br />

Ein wissenschaftliches Projekt zur interkulturellen Trauma-Diagnose an der<br />

Universität Klagenfurt, bei dem die westlichen Kriterien in der<br />

Diagnoseerstellung für traumatisierte Asylsuchende aus Tschetschenien,<br />

Afghanistan und Westafrika (die zu dieser Zeit die größten Gruppen von<br />

Asylwerbern in Österreich bildeten) evaluiert wurde, brachte ähnlichen<br />

Missstände ans Tageslicht:<br />

„Die Ergebnisse aus der empirischen Arbeit mit diesen drei Gruppen bestätigten die<br />

Hypothese, dass weltweit einheitliche Diagnosekriterien im Sinne der<br />

,Posttraumatischen Belastungsstörung„ für Menschen aus den untersuchten<br />

Kulturkreisen wenig Sinn machen.“ (Ebd., S.9)<br />

Im aktuellen Diskurs über kulturübergreifende Trauma-Therapie ist klar, dass<br />

Symptomatik und Behandlung traumatischer Erfahrungen kulturabhängig sind,<br />

das PTSD-Konzept der westlichen Kultur mag für diese zutreffen, ist aber in<br />

interkulturellem Kontext sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss, lässt es<br />

doch viele wesentliche, in der Arbeit mit nicht-europäischen KlientInnen oft<br />

beobachtete Aspekte aus. Wie aber kann, irgendwann möglichst auch in<br />

standardisierter Form, auf die unterschiedlichen kulturellen Backgrounds der<br />

KlientInnen und deren Auswirkungen eingegangen werden?<br />

65


„There is increasing recognition that culture profoundly shapes the experiences of<br />

suffering and healing. Indeed, current guidelines for trauma intervention in<br />

international work recommend cultural adaptation, but the details of how to<br />

accomplish this remain unclear.” ( Wilson & Drožđek 2007, S.v, Foreword).<br />

Wilson selbst schlägt deshalb eine breiter gefächerte Definition von<br />

posttraumatischen Symptomen vor, der ich mich anschließen möchte:<br />

„I am not using the term posttraumatic syndrome as synonymous with PTSD,<br />

although it certainly includes the narrow, diagnostic definition of the disorder.<br />

Rather, posttraumatic syndromes involve a broad array of phenomena that<br />

include Trauma Complexes, Trauma Archetypes, posttraumatic self-disorders […],<br />

posttraumatic alternations in core personality processes (e.g., five-factor model),<br />

identity alterations […] and alterations in systems of morality, beliefs, attitudes,<br />

ideology and values.” (2007, S.9)<br />

4.2 Neuere Ansätze der kulturübergreifenden Trauma-Arbeit<br />

4.2.1 Kulturübergreifende Diagnostik<br />

Renner et al. (2007) nennen nach Marsella, Dubanoski, Hamada und Morse<br />

(2000) einige wichtige Aspekte der kulturübergreifenden Diagnostik, die<br />

berücksichtigt werden sollten:<br />

“1. Cultural equivalence means that the concepts and definitions used must be culturally<br />

meaningful and valid for the ethnic group investigated.<br />

2. Linguistic equivalence pertains to adequate techniques of translation and back-<br />

translation.<br />

3. Conceptual equivalence means that the concepts used must have an equivalent<br />

meaning in the foreign culture, e.g., modesty may be interpreted as inappropriate<br />

shyness and as a lack of social security in a Western culture while being culturally highly<br />

desirable in Eastern Asia. (Shweder & Haidt, 2000)<br />

4. Scale equivalence demands that the measurement procedures be comparable<br />

between cultures. For example, according to Marsella et al. (2000), people from non-<br />

Western cultures sometimes have difficulties in dichotomizing reality by giving ,True-„<br />

and ,False-‟ answers.<br />

5. Normative equivalence means that comparable norms should be available for all<br />

populations under consideration.[…] “ (in Wilson & So-kum Tang, 2007, S.241)<br />

66


Allein das Wissen darum, dass in anderen Kulturen andere Mechanismen und<br />

Coping-Strategien zur Trauma-Bewältigung zum Tragen kommen, reicht noch<br />

nicht aus, um mit diesen auch sinnvoll umzugehen. Wie können<br />

BehandlerInnen in interkulturellen Settings also mehr über diese<br />

Äußerungsformen und Strategien erfahren, sie verstehen, damit arbeiten?<br />

4.2.2 Arbeit mit Mythen<br />

Wie schon Freud erkannte, sind Märchen und Mythen wichtige<br />

Informationsquellen und die Legenden der Helden, deren Abenteuer man sich<br />

von Generation zu Generation weitererzählt, verraten viel über die in der<br />

jeweiligen Kultur anerkannten Art und Weise, mit individuellen und kollektiven<br />

Traumata zurecht zu kommen:<br />

Es scheint, dass kulturübergreifend Heldenmythen “travails of ordinary people<br />

through extraordinary experiences” (Wilson, 2007, S.7) thematisieren. Die<br />

Geschichte des Helden ähnelt dabei in vielen Punkten der Geschichte eines<br />

Trauma-Überlebenden, nicht nur, was die psychologischen Abläufe der<br />

Traumatisierung an sich, sondern auch was die Schwierigkeiten einer Re-<br />

Integration bei der Rückkehr in die Gesellschaft betrifft.<br />

„The mythological journey of the Hero is also the journey and psychological<br />

sequela of the trauma survivor. They both encounter dark, sinister, life-<br />

threatening forces and then cross a threshold to re-enter normal life and<br />

society.” (Ebd.)<br />

Held und Trauma-Überlebender sehen sich beim Versuch des Wieder-Einrittes<br />

in die Gesellschaft in ähnlicher Weise mit spezifischen, problematischen<br />

Reaktionen der Gesellschaft konfrontiert:<br />

� “The absence of recognition of the true nature of suffering, sacrifice,<br />

and survival<br />

� The absence of recognition of the perils endured<br />

� The absence of appreciation for personal injuries and changes<br />

� The absence of treatments, health care, for opportunities to engage in<br />

traditional healing rituals<br />

� The emergent realization that meaning must be created out of the<br />

traumatic experience”<br />

67<br />

(Wilson, 2007, S.8)


Im Mythos sucht der Held darauf hin nach Wegen, um wieder ganz und ein<br />

vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Auch wenn diese Wege sich<br />

kulturspezifisch unterscheiden, geht es doch meist in irgendeiner Form darum,<br />

ein neuerliches Gleichgewicht zwischen „mind, body, and spirit“ (Wilson,<br />

2007,S.7) herzustellen, die Energie wieder fließen zu lassen, das traumatische<br />

Erlebnis in irgendeiner Art und Weise zu integrieren, dabei Zugang zu den in<br />

der jeweiligen Kultur verankerten Ressourcen zu bekommen, angenommen zu<br />

werden und dem integrierten Erlebnis im besten Fall einen Sinn geben zu<br />

können. (Vgl. Campbell 1991, Wilson 2007)<br />

Über die Wichtigkeit einer Sinngebung berichtete schon der israelische<br />

Gesundheitsforscher Antonovsky, der in seiner Arbeit mit Überlebenden von<br />

Konzentrationslagern feststellen konnte, dass betroffenen Zeugen Jehovas, die<br />

dem Geschehenen einen höheren Sinn zuschreiben konnten, weniger unter<br />

posttraumatischen Symptomen litten als andere KZ-Überlebende. Er sah drei<br />

wichtige Punkte der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse in Erklärbarkeit,<br />

Handhabbarkeit (etwas tun zu können) und Bedeutungszuschreibung (das<br />

Geschehene in einen höheren Zusammenhang zu stellen).<br />

Auch wenn sich viele posttraumatische Phänomene kulturübergreifend<br />

manifestieren, sind andere wiederum kaum zu vereinheitlichen (ein Beispiel<br />

hierfür wäre Somatisierung posttraumatischer Symptome, die in<br />

unterschiedlichen Kulturen durchaus unterschiedliche Grade und<br />

Ausprägungen annimmt). Auch die Zugänge zu <strong>Heilung</strong> bzw. Behandlung von<br />

Traumata sind kulturell geprägt und können sich in erheblicher Weise<br />

voneinander unterscheiden. Auf diesem Wissen basierend schlägt Wilson in<br />

The Lens of Culture (2005) eine Reihe von Fragen vor, mit deren Hilfe<br />

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen verschieden Kulturen gefunden<br />

und angesprochen werden könnten, um den ethnozentrischen Standpunkt der<br />

westlichen Industrienationen <strong>–</strong> wenn schon nicht verhinderbar <strong>–</strong> zumindest zu<br />

erweitern:<br />

68


“Core Questions for Understanding Culture, Trauma, and Posttraumatic Syndromes<br />

1. Is the experience of psychological trauma the same in all cultures?<br />

2. Are the emotional reactions to trauma the same in all cultures?<br />

3. Is the psychobiology of trauma the same in all cultures?<br />

4. Does culture act like a filter for psychic trauma? If so, how do internalized beliefs, culturally<br />

shaped patterns of coping and adaptation govern the posttraumatic processing of traumatic<br />

experiences?<br />

5. Are traumatic experiences universal in nature across cultures? Are traumatic experiences<br />

archetypal for the specter?<br />

6. If trauma is archetypal for humankind, what are the universal characteristics across<br />

all cultures?<br />

7. Does culture determine how individuals respond to archetypal forms of trauma? Are<br />

posttraumatic syndromes and Trauma Complexes culture specific in nature?<br />

8. Are there cultural-based syndromes (not necessarily PTSD) of posttraumatic adaptation? If<br />

yes, what do they look like? What is their psychological status?<br />

9. How do cultures develop rituals, medical-psychological treatments, religious practices, and<br />

other institutionalized mechanisms to assist persons who experience psychic trauma?<br />

10. Are there culture-specific and universal mechanisms to help persons recover from trauma?<br />

11. What does cultural mythology tell us about the experience of trauma?<br />

12. What are the great myths in cultural literature that concern individual and collective trauma?<br />

13. What are the psychological and cultural functions of mythology? How do they relate to the<br />

cross-cultural understanding of trauma?<br />

14. What is the Abyss Experience in mythology and how does it relate to the psychological<br />

study of trauma?<br />

15. What does mythology tell us about culture-specific rituals of psychic trauma?<br />

16. How do forms of traumatic experiences relate to the universal myth of the Hero as<br />

protagonist?<br />

17. How does modern psychology standardize the assessment and treatment of trauma across<br />

cultural boundaries?<br />

18. Do pharmacological treatments of posttraumatic syndromes work equally well in<br />

all cultures?<br />

19. Is the unconscious manifestation of posttraumatic states the same in all cultures?<br />

20. What are the mythological images of the life circle and the transformation of consciousness<br />

by trauma?<br />

21. What cultural belief systems underlie cultural approaches to healing and recovery<br />

from trauma?”<br />

69<br />

(In Wilson & So-kum Tang, 2007, S.10)


4.3 Die Rolle der Riten<br />

Was Wilson und So-kum Tang als letzten Punkt ihrer core questions anführen,<br />

nämlich die Frage nach dem Glaubenssystem, das den der jeweiligen Kultur<br />

eigenen <strong>Heilung</strong>sansätzen von Trauma zu Grunde liegt, führt uns zu einer<br />

näheren Betrachtung des <strong>Ritus</strong> als Teil transformatorischer und integrativer<br />

Trauma-Verarbeitungsprozesse.<br />

Ritual soll im Kontext dieser Arbeit im Sinne Krieger & Belligers als<br />

„Reihenfolge stilisierten sozialen Verhaltens, das von normaler Interaktion durch<br />

seine besonderen Fähigkeiten unterschieden werden kann, die es ermöglichen,<br />

die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer […] auf sich zu ziehen und welche die<br />

Zuschauer dazu bringt, das Ritual als ein besonderes Ereignis, das an einem<br />

besonderen Ort und/oder zu einer besonderen Zeit, zu einem besonderen<br />

Anlass und/oder mit einer besonderen Botschaft ausgeführt wird“ zu verstehen.<br />

(Vgl. 2006, S.32) Während in der frühen Ritualforschung der Fokus noch auf<br />

der Bedeutung des durch die ritualisierte Handlung erreichten Ziels lag, rückt<br />

die neuere Ritualforschung eben diese Handlung selbst ins Zentrum des<br />

Interesses.<br />

„ […] rituelle Handlungen hatten in den meisten Theorien eine Bedeutung und<br />

Funktion, die von außerhalb des Rituals selbst stammte, die von einem<br />

außenstehenden Beobachter herausgelesen werden konnte. […] Das Ritual<br />

wird heute vielmehr als ein Phänomen sui generis betrachtet, das eigene<br />

theoretische Klärung und methodologische Zugänge verlangt.“ (Krieger &<br />

Belliger, 2006, S.7)<br />

Zu Beginn der Recherche dieser Arbeit stand die Frage im Raum, in wie weit<br />

Rituale bzw. ritualisierte Handlungen, die in vielen älteren Kulturen von<br />

Heilerinnen und zu Heilenden gemeinsam durchgeführt werden, in modernen<br />

kulturübergreifende Trauma-zentrierte tanztherapeutische Interventionen <strong>–</strong> wie<br />

sie beispielsweise von Kellermann im Psychodrama angewendet werden (vgl.<br />

Kellermann, 2000, S.33ff) <strong>–</strong> mit einfließen. Anstoß dazu gaben vor allem auch<br />

die Forschungen von Peltzer, Wilson & Drožđek, sowie Wilson & So Kum.<br />

70


Peltzer konnte in seiner interkulturellen Arbeit feststellen, dass Rituale einen<br />

wichtigen Bestandteil in der Behandlung der Formen organisierter Gewalt<br />

(disappearance and death, rape, PTSD, techniques to release/protect from<br />

detention) darstellen. Ein malawisches Ritual zur Bekämpfung so genannter<br />

PTSD-Symptome schildert er wie folgt:<br />

„I collected a heart from sheep, a stone, and medicine I put the heart in the<br />

water in which there was medicine, I burnt the stone and put the burnt stone in the<br />

mixture and as it produced a hissing sound he must drink so that the stone cools,<br />

his heart must be cooled again, consequently fear removal.” (In Ottomeyer<br />

& Renner, 2006, S.71)<br />

Auch wenn die ritualisierte Handlung an sich einer gewissen Logik folgt, ist sie<br />

es doch nicht alleine, die <strong>Heilung</strong> bewirkt. Marcel Mauss weist in diesem<br />

Zusammenhang auf die magische Komponente der Rituale, die „magische<br />

Potentialität“, hin, die auch nach Zerlegung des Rituals in seine Einzelteile<br />

bestehen bleibt und an die sowohl Heiler, als auch zu Heilende und andere<br />

Mitglieder der Gesellschaft glauben. Das Ritual wirkt letztendlich durch seine<br />

magische Kraft, die nach Mauss analog zu mechanischer Kraft zu verstehen<br />

ist.<br />

„Ebenso wie wir Kraft die Ursache von sichtbarer Bewegung nennen, ebenso ist die<br />

magische Kraft im eigentlichen Sinne die Ursache der magischen Wirkung.“<br />

(Mauss, 1974, S.139)<br />

Auch Shils unterstreicht, dass <strong>Ritus</strong> und Glaube insofern miteinander<br />

verflochten sind, als dass zwar Glaube ohne <strong>Ritus</strong>, nicht aber <strong>Ritus</strong> ohne<br />

Glaube sein kann. Claude Lévi-Strauss (1981) geht noch weiter und nennt die<br />

Verbindung von Mythos und Ritual der Beziehung zwischen Leben und Denken<br />

ähnlich. (Vgl. Bell, S.37)<br />

Rituale beziehen sich meist auf Faktoren außerhalb des unmittelbaren<br />

Einflussbereichs des Menschen und sollen in schwierigen Situationen eine<br />

gewisse Art der Verbindung, sei es zu einem transzendentalen Wesen, zur<br />

Natur, zum eigene <strong>Körper</strong> oder zu einem Kollektiv herstellen:<br />

71


„Die Rituale […] sind zumeist Jahreszeiten-, Landwirtschafts-, Fruchtbarkeits-,<br />

Orakel-, Beerdigungs- und <strong>Heilung</strong>srituale, da diese die Abhängigkeit der Menschen<br />

von ihrer Umwelt und ihrem <strong>Körper</strong> ausdrücken. […] Ritualisierung lenkt Mensch auf<br />

kulturell spezifische Art und Weise. Mit oder ohne ihr Einverständnis schafft sie<br />

Verbindungen zwischen <strong>Körper</strong>n und deren Umwelt.“ (Grimes, 2006, 119)<br />

Umwelt kann in diesem Sinne auch ein soziales Gefüge oder Kollektiv<br />

bedeuten. Durkheim sieht das Ritual als „Mittel, durch welches kollektiver<br />

Glaube und kollektive Ideale gleichzeitig geschaffen, erprobt und von der<br />

Gemeinschaft als real bestätigt werden. […] In Durkheims Modell konstituiert<br />

rituelles Handeln im Kult die notwendige Interaktion zwischen den kollektiven<br />

Repräsentationen sozialen Lebens, der individuellen Erfahrung und dem<br />

individuellen Verhalten.“ (Bell, 2006, S.38) Rituale stehen demnach im<br />

Spannungsfeld zwischen Individuum und sozialem Gefüge, sie vereinen<br />

Einzelne für einen gewissen Zeitraum, um „sie symbolisch in eine soziale<br />

Gemeinschaft zu transformieren.“ (Bergesen, 2006, S.51) Auch Kellermann<br />

(2000, S.27) schreibt über Psychodrama mit Trauma-Gruppen als „communal<br />

act of crisis sociodrama to help readjust to a new state of social balance.“<br />

In „Reversing Cultures. The Wounded Teaching the Healers“ (2007) beschreibt<br />

Wilson seine Erlebnisse als Gast einer pow-wow-Zeremonie von Sioux-<br />

Indianern, die am Vietnam-Krieg teilgenommen hatten. Im Verlauf dieses pow-<br />

wows wurde Wilson zu einem Schwitzhütten-Ritual eingeladen, an dem einige<br />

vom Krieg traumatisierte Soldaten, sowie ein Medizinmann teilnahmen. Dieses<br />

Ritual diente der Reinigung von <strong>Körper</strong> und Geist:<br />

“The steam had done ist job inside and out <strong>–</strong> the body was purged from<br />

emotional toxins and posttraumatic pains. There was now present in the lodge an<br />

unspoken feeling of acceptance and understanding <strong>–</strong> one common to combat<br />

veterans after battle. Only this time the battle was spiritual in nature <strong>–</strong> to become<br />

whole in oneself again.” (S.92)<br />

Dieser verbindende Charakter von Ritualen zeigt sich zum Teil auch in so<br />

genannten Kreistänzen, wie sie in tanztherapeutischen oder Psychodrama-<br />

Gruppen praktiziert werden, um ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Diese<br />

Beobachtung führte zur Fragestellung nach möglichen Verbindungen<br />

72


zwischen <strong>Tanz</strong> und <strong>Ritus</strong>, die zwar partiell in den Leitfaden der Experten-<br />

Interviews einfloss, auf Grund des enormen Spektrums der Thematik und des<br />

konkreten Forschungsverlaufes im Zuge des Erhebungs- und Auswertungs-<br />

prozesses der gesammelten Daten jedoch immer mehr in den Hintergrund<br />

rückte.<br />

4.4 Kultur-übergreifende Trauma-Arbeit als globale Herausforderung<br />

Obwohl die Fragwürdigkeit einheitlicher Diagnosekriterien und kulturfreier<br />

Messinstrumente im wissenschaftlichen Diskurs über Trauma-zentrierte<br />

Psychotherapie mit AsylwerberInnen eine wichtige Rolle spielen, müssen wir<br />

als PsychologInnen und PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen,<br />

BetreuerInnen etc., aber schlichtweg auch als WeltbürgerInnen eine Vielzahl<br />

anderer Probleme einer zunehmenden Zahl von heimatlosen Menschen mit<br />

berücksichtigen:<br />

Psychologische Ungewissheit<br />

Mit dem Entscheid über den Asylantrag werden auch existentielle Fragen<br />

beantwortet, die bis dahin oft jahrelang gefürchtete Ungewissheiten bleiben und<br />

die Menschen belasten. Für AsylwerberInnen ist diese Unsicherheit Teil des<br />

Alltags, jeden Tag könnte mit der Post ein negativer Asylbescheid kommen.<br />

Für eine von mir betreute Familie war im vierten Jahr der Wartezeit der<br />

gefürchtetste Moment des Tages noch immer die Ankunft des Postboten...<br />

„Die Frage, ob ihnen in dem Land, in dem sie ankommen, Asyl gewährt wird,<br />

oder ob sie in ihr Herkunftsland oder ein ,Drittland„ abgeschoben werden, ist für ihr<br />

weiteres Leben entscheidend.“ (Ottomeyer & Renner, 2006, S.7)<br />

Können AsylwerberInnen in dem Land, in dem sie nach anstrengender, von<br />

Verzicht geprägter und zum Teil lebensgefährlicher Reise mehr oder weniger<br />

geplant angekommen sind, bleiben, müssen sie gehen, wie geht es weiter?<br />

Welchen Status haben sie an diesem neuen Ort, welchen Raum räumt man<br />

ihnen ein? Wie viel Sinn macht die Arbeit an Integration, wenn man vielleicht<br />

73


schon morgen ausgewiesen wird? Wer ist im neuen Umfeld Freund, wer Feind,<br />

wem kann man vertrauen? Wie verhält man sich, wenn von der Frage, ob<br />

man bleiben darf oder gehen muss, das weitere Leben abhängt, man aber<br />

gleichzeitig keinen Einfluss darauf hat? All das belastet, zehrt an den Nerven,<br />

und ist doch nur ein Aspekt des Problems: AsylwerberInnen müssen sich<br />

auch in einem neuen, oft ihrem alten völlig fremden Umfeld zurechtfinden.<br />

Homeland <strong>–</strong> Strangeland<br />

Wie geht man damit um, wenn man seine Heimat verliert? Auch wenn dieses<br />

neue Umfeld Sicherheit bieten soll und oft keine andere Möglichkeit bestand,<br />

als die, die Heimat zu verlassen, hängt doch das Herz so oft noch an Menschen<br />

oder Dingen, die, aus welchen Gründen auch immer, zurückgelassen wurden.<br />

Die Geschichte vieler AsylwerberInnen ist von Verlusten geprägt: „e.g. loved<br />

ones, home, family, country, job“ (Wilson, 2004, S.3)… schnell geschriebene<br />

Worte, an denen doch ganze Welten hängen. Eine dieser Welten ist die eigene,<br />

soziale Rolle:<br />

„As victims of war, political upheaval, or catastrophe, they journey from a home<br />

base of known certainties to unknown places in un unfamiliar culture. It is a<br />

process of uprooting, being dislodged from established patterns of daily living,<br />

and having a meaningful role in a community.” (Ebd.)<br />

Durch den brüsken Szenenwechsel müssen sich AsylwerberInnen plötzlich auf<br />

einer ganz anderen Bühne zurechtfinden, im Sinne Volkans (2004) kann auch<br />

von einem „culture shock“ gesprochen werden. Nicht selten kommt es dabei zu<br />

einem Gefühl der Fremdheit und Entfremdung, dem Eindruck, „,in between„<br />

different worlds of reality“ (ebd., S.4) zu leben: Zwischen homeland und<br />

strangeland, aber auch zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart mit<br />

einer Zukunft in der Schwebe. All das hat auch Einfluss auf das Selbstkonzept:<br />

Who am I?<br />

Erikson entdeckte in seiner Arbeit mit Kriegsveteranen, die unter Trauma-<br />

74


Symptomen litten, eine Verwirrung und Auflösung dieser Ich-Identität. Wilson<br />

(2004) spricht von „types of reconfigurations to the self following an extremely<br />

stressful life experience“ (in The Broken Spirit, S.120), aber es sind nicht nur die<br />

posttraumatischen Symptome, die das Selbstkonzept beeinflussen:<br />

Arbeiten, Lieben und Kämpfen - die Rollen als liebender, schaffender und<br />

geschäftsfähiger Mensch - das sind im Sinne Ottomeyers die 3 Teilidentitäten,<br />

aus denen sich unsere Ich-Identität zusammensetzt, und jeder einzelne dieser<br />

drei Aspekte ist, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, während der Zeit<br />

des Asylverfahrens problematisch: Keine Papiere <strong>–</strong> keine Arbeit, und ohne<br />

Arbeit ist nicht nur die finanzielle Situation schwierig: viele Familienväter leiden<br />

auch unter dem plötzlichen und ungewollten Rollenverlust, weil sie zur<br />

Untätigkeit gezwungen sind, nicht mehr als Männer, wie sonst in ihrer Kultur<br />

üblich, Frau und Kinder ernähren können. <strong>Der</strong> Raum in den Flüchtlings-<br />

pensionen und in den privaten Quartieren ist begrenzt, das Warten zehrt an<br />

den Nerven, auch das hat Einfluss auf das Familienleben. Frauen und vor allem<br />

junge Mädchen sind oft in der neuen Umgebung mit einem ganz anderen<br />

Frauenbild konfrontiert, Welten, die oft unvereinbar erscheinen, dabei ist es<br />

manchmal nicht mehr leicht zu wissen, wer man eigentlich ist.<br />

Schuld<br />

Viele Trauma-Überlebende sind außerdem von vehementen Schuldgefühlen<br />

geplagt, weil sie selbst überlebt haben, während andere ihr Leben ließen oder<br />

in der bedrohlichen Situation zurückgelassen wurden (werden mussten). Dies<br />

zeigte sich bei verwundeten Soldaten bzw. Kriegsveteranen, deren Kameraden<br />

noch an der Front kämpften (vgl. Herman, 1997), bei Überlebenden kollektiver<br />

Traumata wie Naturkatastrophen, bei man-made disasters wie Krieg,<br />

Geiselnahmen oder anderen Gewaltverbrechen, und so auch bei vielen<br />

traumatisierten AsylwerberInnen, die Familienmitglieder, Freunde und Bekannte<br />

nach wie vor nicht in Sicherheit wissen. Wilson erwähnt neben diesen<br />

Schuldgefühlen auch noch andere: Schuldgefühle über den Verlust von<br />

zurückgelassenen Teilen der eigenen Identität, die den Trauerprozess<br />

75


ehindern und zu Hilflosigkeit bis hin zu Depression führen können. (Vgl.<br />

Wilson, 2004, S.4)<br />

Nachdem nun die Situation traumatisierter Flüchtlinge und einige speziell mit<br />

dieser Situation verbundene Aspekte kurz umrissen wurden, soll im Folgenden<br />

beleuchtet werden, auf welche Weise tanztherapeutische Verfahren in diesem<br />

Kontext bereits eingesetzt wurden bzw. werden, welche Ressourcen sie<br />

ansprechen und welchen Nutzen sie bringen.<br />

5. <strong>Tanz</strong>therapie als Unterstützung in interkulturellen Trauma-<br />

Zentrierten Psychotherapie-Settings: eine qualitative Studie<br />

Die kulturübergreifende Psychotherapie ist nicht selten von<br />

Verständnisproblemen geprägt; Worte brauchen Übersetzer und werden<br />

manchmal trotzdem nicht verstanden, manchmal reichen Worte alleine einfach<br />

nicht: Improvisation ist angesagt.<br />

Wie schon in den vorherigen Kapiteln ausführlich thematisiert, ist der <strong>Körper</strong> als<br />

Ort des Selbst von der traumatischen Erfahrung stets in irgendeiner Form mit<br />

betroffen, aber er ist auch gerade deshalb ein wertvoller Ansatzpunkt für den<br />

interkulturellen Dialog: Als etwas, das wir haben und wir zugleich sind, ist er<br />

aller Menschen gemeinsame Basis, über die wir zwar nicht hinauskommen,<br />

aber die uns auf diese Art über diverse Grenzen hinweg miteinander vereint:<br />

Egal, ob wir schwarz, weiß, gelb, rot oder grün sind, auf welchem Kontinent wir<br />

geboren wurden, welche Sprache wir sprechen und welche Werte uns unserer<br />

Sozialisation nach „normal“ erscheinen, wir sind als Wesen in diesem <strong>Körper</strong>,<br />

über den wir uns mit anderen Wesen, die wiederum in deren <strong>Körper</strong> sind, in<br />

Beziehung setzen. Die Arbeit am <strong>Körper</strong> und vor allem auch das Berühren in<br />

der Trauma-Therapie bezeichnet Kellermann als „zweischneidiges<br />

Schwert“: „In the hands of unskilled practitioners, there is always the<br />

risk of retraumatization and/or revictimization. […], the need of traumatized<br />

76


people for a ,gentle touch‟ is critical.” Ein schwieriger Umstand, auf den<br />

auch andere Trauma-Therapeuten wie Eberhard (2007) oder Wilson (2004)<br />

hinweisen:<br />

„Simply touching the body of a torture victim is sufficient to rekindle flashbacks,<br />

dissociative states, and traumatic memories. Therefore, bodily psychotherapies<br />

proceed slowly and gently in uncovering areas of physical and psychological<br />

pain, using different physical techniques to help restore in a gradual way the<br />

capacity to feel.” (Wilson & Drožđek, 2004, Introduction, S.381)<br />

Ein solches Risiko besteht in Verfahren wie dem Psychodrama oder<br />

verschiedenen Formen der <strong>Tanz</strong>therapie, die zum Teil auch sehr <strong>Körper</strong>-<br />

bezogen arbeiten, natürlich, gleichzeitig bietet diese <strong>Körper</strong>bezogenheit aber<br />

auch zusätzliche Zugänge zum Klienten als nur den über verbale Sprache.<br />

Durch non-verbale Kommunikation können Vertrauen und sicherer Raum<br />

geschaffen werden und tanztherapeutische Verfahren sind vor allem deshalb so<br />

interessant, da sie auf diese Weise auch in sprachlosen Phasen, sei es nun,<br />

weil nicht gesprochen werden kann/möchte, oder weil man sich auf Grund<br />

unterschiedlicher Sprachen allein mit Worten nicht versteht, Brücken bauen<br />

können. Wir drücken uns zum großen Teil auch durch Bewegungen und Gesten<br />

aus - dadurch werden wir von anderen verstanden und dadurch können wir<br />

selber auch oft erst viel besser verstehen, was in uns passiert.<br />

Musik, auch wenn nicht in allen tanztherapeutischen Settings, aber dennoch oft<br />

und in diesem speziellen Kontext, auf den sich die vorliegende Arbeit<br />

beschränkt, von den meisten <strong>Tanz</strong>therapeutinnen verwendet, erreicht<br />

Menschen auch dort, wo Worte oft (noch) keinen Zugang haben. Wie diverse<br />

Integrationsprojekte in den letzten Jahren gezeigt haben, kann über <strong>Tanz</strong> und<br />

Musik dem „Fremden“ oft weniger angstvoll begegnet werden, auch hier werden<br />

Bande geknüpft. Könnte <strong>Tanz</strong>therapie in interkulturellen Settings der<br />

Trauma-Therapie diese Ressourcen nützen? Wo wird sie schon eingesetzt,<br />

mit welchen Ergebnissen und warum liefen die Projekte schließlich aus? Wo<br />

liegen die Grenzen, worauf muss bei <strong>Tanz</strong>therapie in diesem Kontext<br />

besonders geachtet werden und wann ist sie vielleicht gar nicht sinnvoll?<br />

77


Diese und andere Fragen standen am Anfang der Interview-Erhebungen und<br />

sollen anschließend mit Hilfe der Erfahrungen von 6 Expertinnen aus<br />

Österreich, Deutschland und Frankreich beantwortet werden. Im Folgenden soll<br />

nun kurz zusammengefasst werden, wo <strong>Tanz</strong>therapie in interkulturellen<br />

Trauma-zentrierten Settings (in Form diverser Projekte) bereits zur Anwendung<br />

kam. Im Anschluss daran werden die sechs ExpertInnen vorgestellt, die mir<br />

über ihre Arbeit und ihre Sichtweise der Rolle von <strong>Tanz</strong>therapie in<br />

interkulturellen Settings der Trauma-Therapie berichtet haben.<br />

5.1 Persönlicher Zugang<br />

Dank der Forschung von Rothschild, Levine, van der Kolk, Wilson & Drožđek<br />

und vielen anderen wird im neueren Diskurs um die Trauma-Therapie immer<br />

klarer, dass <strong>Körper</strong>arbeit und Arbeit am <strong>Körper</strong> wichtige Beiträge zur<br />

Wiederherstellung des <strong>Körper</strong>gefühls und einem neuerlichen Eins-Sein von<br />

<strong>Körper</strong> und Seele/Geist liefern können.<br />

“In a sense, body psychotherapy, through sensitive procedures and techniques,<br />

attempts to restore what was taken away by the torture experience; to facilitate<br />

organismic self-healing to the fullest extent possible at all levels of integration.”<br />

(Wilson, 2004, S.381)<br />

Für traumatisierte Asylwerber gibt es diverse Sportprojekte, bei Aspis und<br />

anderen NGOs spielt man beispielsweise Fußball, in Berlin wird am BZFO u.a.<br />

Psychomotorik-Therapie angeboten, doch werden diese Angebote<br />

hauptsächlich von Männern in Anspruch genommen. Kulturbedingt wird<br />

geschlechterspezifisch gearbeitet, gemischte Gruppen sind wenig sinnvoll und,<br />

abhängig vom jeweiligen kulturellen Background, muss außerdem<br />

berücksichtigt werden, dass sich nicht jede Aktivität für beide Geschlechter<br />

„ziemt“. Welche Formen der <strong>Körper</strong>arbeit wären also auch weiblichen<br />

Klientinnen zugänglich? Als Teil eines immer ganzheitlicher werdenden<br />

Therapie-Ansatzes wurden beispielsweise in Klagenfurt über den Verein Aspis<br />

oder in Wien über Hemayat Shiatsu-Behandlungen für beide Geschlechter<br />

angeboten und die zuvor schon kurz<br />

78<br />

erwähnte Konzentrative


Bewegungstherapie nach Elsa Gindler brachte in Berlin erstaunliche<br />

Veränderungen im body image einer Gruppe traumatisierter Asylwerberinnen.<br />

Im Zuge meines Praktikums bei Aspis wurde einmal ein tschetschenisches Fest<br />

organisiert, bei dem auch ich anwesend war. Wie üblich wurde die Verpflegung<br />

von den Frauen organisiert und auch sonst schienen die Rollen klar verteilt. Die<br />

Männer bildeten eine Gruppe, tauschten sich aus, gestikulierten, scherzten und<br />

bereiteten eine Ansprache vor, die Frauen gruppierten sich um einige Tische,<br />

plauderten, wenn auch etwas leiser, unter sich und kümmerten sich um die<br />

Kinder. Möglicherweise verzerrt durch meine eigene kulturelle Linse schienen<br />

mir die tschetschenischen Frauen in Anwesenheit von Männern immer etwas<br />

weniger präsent, so auch dieses Mal, allerdings änderte sich das schlagartig mit<br />

dem Einsetzen einer speziell mitgebrachten Musik. Ein Kreis wurde gebildet<br />

und es wurde getanzt, auf einmal wurden auch die Frauen zu Protagonistinnen,<br />

teilweise auch ganz alleine im Kreis. Einige dieser Frauen kannte ich aus der<br />

Gruppentherapie, aber ich hatte sie zuvor noch nie so freudvoll und mutig<br />

gesehen wie als Tänzerinnen in diesem Kreis. An diesem Punkt konkretisierte<br />

sich die Frage in meinem Kopf, ob und wie <strong>Tanz</strong> an vorhandene Ressourcen<br />

anknüpft und ob damit nicht weiter gearbeitet werden könnte.<br />

Ähnliche Überlegungen gab es innerhalb des Grazer Vereines Zebra:<br />

Mittlerweile konnten zwei tanztherapeutische Projekte speziell für Frauen<br />

realisiert werden, die an den Ressourcen der Klientinnen anknüpften, deren<br />

Selbstwert und <strong>Körper</strong>gefühl positiv beeinflussten und erfolgreiche Beiträge zur<br />

positiven Re-Besetzung und Integration einzelner <strong>Körper</strong>teile lieferten. Über<br />

den Verein Refugio (München) und das BZFO werden ebenfalls schon<br />

tanztherapeutische Projekte angeboten und in vielen anderen Städten<br />

Deutschlands, Frankreich und Österreichs wird der Trauma-Therapie in der<br />

Ausbildung junger <strong>Tanz</strong>therapeutInnen als potentielles Arbeitsfeld immer mehr<br />

Aufmerksamkeit geschenkt.<br />

79


5.2 Konkretisierung der Fragestellung:<br />

Auch wenn eine Annäherung von Seiten der Wirksamkeitsforschung an dieses<br />

Thema sehr interessant gewesen wäre, sprachen die realen Fakten des<br />

ephemeren Alltags der AsylwerberInnen in Österreich (viele ehemalige<br />

TeilnehmerInnen an den <strong>Tanz</strong>projekten sind nicht mehr im Land bzw. nicht<br />

mehr auffindbar, weil sie umgezogen sind etc.) für einen explorativen Ansatz<br />

mittels Experten-Interviews. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen<br />

dabei folgende Fragen:<br />

- Wie und wo kommt <strong>Tanz</strong>therapie in interkulturellen Trauma- zentrierten<br />

Therapie-Settings bereits zum Einsatz?<br />

- Mit welchem Ziel geschieht das, welches Potential sehen die Expertinnen darin?<br />

- Wie ergänzen sich verbale und non-verbale Ansätze im Verlauf der Therapie?<br />

- Wann stößt <strong>Tanz</strong>therapie in solchen Settings an ihre Grenzen?<br />

- Gibt es Fälle, in denen <strong>Tanz</strong>therapie kontra-indiziert ist?<br />

- Welche Zukunftsperspektiven sehen die Expertinnen für <strong>Tanz</strong>therapie im Kontext<br />

interkultureller Trauma-Therapie?<br />

5.2.1 Erhebungs-Methode: Problemzentriertes Interview nach Witzel<br />

Die Beschaffenheit der Fragestellung legte eine Form der offenen,<br />

halbstrukturierten Befragung nahe, weshalb schließlich das problemzentrierte<br />

Interview nach Witzel als Erhebungsverfahren gewählt wurde. Mayring (1999,<br />

S.50f) beschreibt diese Form des Interviews wie folgt:<br />

„Das Interview läßt den Befragten möglichst frei zu Wort kommen, um einem<br />

offenen Gespräch nahezukommen. Es ist aber zentriert auf eine bestimmte<br />

Problemstellung, die der Interviewer einführt, auf die er immer wieder<br />

zurückkommt.“<br />

<strong>Der</strong> Leitfaden, auf den immer wieder Bezug genommen wird, ergab sich aus<br />

der Ausarbeitung der dem Thema zu Grunde liegenden Theorie. Mayring sieht<br />

die Vorteile des problemzentrierten Interviews in eben solchen Kontexten:<br />

80


„Die Anwendungsgebiete des problemzentrierten Interviews lassen sich aus<br />

seinen Vorzügen ableiten. Es eignet sich hervorragend für eine<br />

theoriegeleitete Forschung, da es keinen rein explorativen Charakter hat, sondern<br />

die Aspekte der vorrangigen Problemanalyse in das Interview Eingang finden.“<br />

(Ebd., S.52)<br />

Das problemzentrierte Interview nach Witzel als „dezidiert qualitatives<br />

Verfahren“ (Mayring, 1999, S.51) folgt bei aller Offenheit, die es den Befragten<br />

bei der Beantwortung der Fragen lässt, trotzdem drei wichtigen Prinzipien:<br />

- Problemzentrierung: Es geht um ein gesellschaftlich aktuelles Thema, mit<br />

dessen theoretischer Basis der/die Interviewer/in bereits vertraut ist.<br />

- Gegenstandsorientierung: <strong>Der</strong> Leitfaden wurde auf den Gegenstand des<br />

Interesses hin entwickelt, in Abgrenzung zu bereits vorgefertigten und später<br />

übernommenen Instrumenten.<br />

- Prozessorientierung: Die Daten ergeben sich schrittweise und durch<br />

ständige Rückbezüge auf verwandte Methoden.<br />

Im Interview selbst werden drei Arten von Fragen unterschieden:<br />

- Sondierungsfragen im Sinne allgemeiner Fragen zum Einstieg in das<br />

Thema.<br />

- Leitfadenfragen, die wesentliche Themen betreffen und die durch ihre<br />

teilweise standardisierte Form eine Vergleichbarkeit mehrerer Interviews<br />

erlauben.<br />

-Ad-hoc-Fragen, die auf unerwartet im Interview aufkommende Aspekte<br />

reagieren und dort vertiefend nachfragen oder aber der Aufrechterhaltung des<br />

Gesprächsflusses dienen.<br />

Um das gewonnene Material festzuhalten, wurde mit Erlaubnis der Interview-<br />

Partnerinnen ein Tonbandmitschnitt gemacht, der anschließend transkribiert<br />

wurde. Auf Grund der Quantität finden sich lediglich alle für die vorliegende<br />

Arbeit relevanten Textteile im Anhang.<br />

81


5.2.2 Auswertungs-Verfahren: Zusammenfassende qualitative Inhalts-<br />

analyse nach Mayring<br />

Die in den Interviews eruierten Informationen sollten anschließend mit Hilfe der<br />

qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (1999) ausgewertet werden. Die<br />

qualitative Inhaltsanalyse hat es sich zum Ziel gemacht, die Systematik ihrer<br />

„älteren Schwester“, der quantitativen Inhaltsanalyse zu nützen, ohne dabei<br />

jedoch „in vorschnelle Quantifizierungen abzurutschen“ (Mayring, 1999, S.91).<br />

Das Herz der qualitativen Inhaltsanalyse bilden die Kategorien, die in<br />

Anlehnung an die theoretische Annäherung an das Thema erarbeitet wurden.<br />

„Streng methodisch kontrolliert“ (ebd.) wird das Material in einzelne Elemente<br />

zerlegt, um so relevante Aspekte zu isolieren. Mayring (1995, 1999) sieht eines<br />

der Ziele der qualitativen Inhaltsanalyse in der Zusammenfassung, die hier für<br />

die induktive Herleitung von Kategorien aus dem Material herangezogen wird.<br />

Diese Zusammenfassung folgt einer strengen Systematik:<br />

„Innerhalb der Logik der Inhaltsanalyse muß die Kategorisierungsdimension und<br />

das Abstraktionsniveau vorab definiert werden. Es muß ein<br />

Selektionskriterium für die Kategorienbildung festgelegt werden. Dies ist ein<br />

deduktives Element und muß mit theoretischen Erwägungen über Gegenstand<br />

und Ziel der Analyse begründet werden. Mit dieser Definition im Hinterkopf wird das<br />

Material Zeile für Zeile durchgearbeitet.“ (Mayring, 1999, S.92)<br />

Sind die Kategorien erschöpfend gebildet worden, bleibt eine Reihe dieser<br />

Kategorien, sowie die diesen Kategorien und (Subkategorien) zugeordneten<br />

Textstellen. Im Anschluss daran werden aus dem Kontextmaterial erklärende<br />

Paraphrasen gebildet, verdichtet und am Ausgangsmaterial geprüft. In<br />

sämtlichen Arbeitsschritten kamen die Interpretationsregeln nach Mayring<br />

(2008) zur Anwendung, die einzelnen Schritte selbst jedoch werden in dieser<br />

Arbeit nicht publik gemacht. Nach einer kurzen Vorstellung der Interview-<br />

Partnerinnen werden deshalb direkt die interpretatorischen Ergebnisse der<br />

Analyse vorgestellt.<br />

82


5.3 Vorstellung der Interview-Partnerinnen<br />

Bei der Auswahl der Interview-Partnerinnen sollte darauf Wert gelegt werden,<br />

dass diese neben einem fundierten Wissen über <strong>Tanz</strong>therapie auch<br />

Arbeitserfahrung in interkulturellen Therapie-Settings haben, was den<br />

Personenkreis, auch wenn Länder-übergreifend gearbeitet wurde, erheblich<br />

einschränkte. Umso mehr freut es mich, dass ich sechs Expertinnen mit<br />

unterschiedlichen tänzerischen Hintergründen finden konnte, die mir in sechs<br />

spannenden Interviews offen über ihre interkulturelle Erfahrung im Kontext<br />

eines ganzheitlichen Trauma-Therapie-Ansatzes erzählten. Die Transkripte<br />

sämtlicher für die qualitative Inhaltsanalyse herangezogener Textstellen finden<br />

sich im Anhang. Im Folgenden sollen diese sechs Fachfrauen nun kurz (in<br />

alphabetischer Reihenfolge) vorgestellt werden:<br />

Claire Baudin<br />

Nach einer Ausbildung und langjähriger Tätigkeit als Krankenschwester und<br />

dem anschließenden Studium der Psychologie an der Universität Paris V, René<br />

Descartes, widmete sich Claire Baudin in ihrer Arbeit vor allem dem<br />

Zusammenhang zwischen <strong>Körper</strong> und Psyche und den Wirkungsfeldern der<br />

<strong>Tanz</strong>therapie. Neben einer fundierten Ausbildung in Bauchtanz und<br />

argentinischem Tango diplomierte sie 1990 an der ADEP (Association pour le<br />

Développement de l'Expression Primitive) in Expression Primitive, danse-<br />

thérapie nach France Schott-Billmann.<br />

Claire Baudin ist als <strong>Tanz</strong>therapeutin freiberuflich und am Centre de<br />

Psychologie Biodynamique de Paris tätig und hat sich unter anderem auf<br />

tanztherapeutische Interventionen nach Vergewaltigungstraumata und bei<br />

Störungen des Selbstwertes, sowie des eigenen <strong>Körper</strong>bildes spezialisiert.<br />

In einem in Paris durchgeführten Interview (Transkript siehe Anhang) erzählte<br />

sie mir hauptsächlich über die individuelle Arbeit mit Vergewaltigungsopfern und<br />

die Herausforderungen einer kulturübergreifenden Arbeit, wie sie im melting-pot<br />

Paris zum beruflichen Alltag vieler PsychologInnen und PsychotherapeutInnen<br />

gehört.<br />

83


Veronika Fritsch<br />

Veronika Fritsch ist Musikpädagogin, sowie <strong>Tanz</strong>- und Ausdruckstherapeutin.<br />

Sie hat sich außerdem in Gruppendynamik, systemischer Therapie,<br />

Bewegungsanalyse, Kestenberg Movement Profile, Authentic Movement sowie<br />

Analytischer Psychologie nach Jung fortgebildet.<br />

Als Lehrtherapeutin des BTA (Berufsverband für <strong>Tanz</strong>therapeutInnen in<br />

Österreich), sowie als Lehrberechtigte des BTD (Berufsverband der<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutInnen Deutschlands) verfügt sie über ein sehr breites<br />

Erfahrungsspektrum was die Anwendung tanztherapeutischer Verfahren, sowie<br />

die Ausbildung werdender <strong>Tanz</strong>therapeutInnen und die Qualitätsstandards<br />

eben dieser Ausbildung betrifft. Veronika Fritsch leitet den berufsbegleitenden<br />

Lehrgang in <strong>Tanz</strong>- und Ausdrucks-Pädagogik sowie die vierjährige<br />

Weiterbildung zum/zur <strong>Tanz</strong>- und Ausdruckstherapeuten/in in Österreich. Sie<br />

arbeitet regelmäßig mit anderen Organisationen in den Bereichen Therapie und<br />

Bildung zusammen. Zur Zeit ist sie Obfrau des Berufsverbandes für <strong>Tanz</strong>- und<br />

Ausdrucktherapie in Österreich.<br />

Im Jahre 2004 fand unter ihrer Leitung ein <strong>Tanz</strong>therapieprojekt über den Verein<br />

Zebra statt, an dem hauptsächlich tschetschenische Asylwerberinnen<br />

teilnahmen.<br />

Claudia Maczkiewicz<br />

Ist langjährige Mitarbeiterin des Grazer Vereins Zebra und Leiterin des Projekts<br />

Connecting People, das es sich zum Ziel macht, unbegleiteten minderjährigen<br />

Flüchtlingen österreichische PatInnen zu vermitteln. Neben ihrer Tätigkeit bei<br />

Zebra ist Dr. Maczkiewicz (unter anderem) ausgebildete <strong>Tanz</strong>therapeutin (DGT,<br />

Deutsche Gesellschaft für <strong>Tanz</strong>therapie) und Musikerin. Sie arbeitete mit <strong>Tanz</strong>-<br />

und Theatertherapie in ambulanten und stationären Settings (im<br />

Beratungszentrum für psychische und soziale Fragen in Graz und an der<br />

Universitätsklinik für Psychiatrie Graz), sowie als <strong>Tanz</strong>therapeutin in freier<br />

Praxis.<br />

84


In Zusammenarbeit mit dem Musiker Franz Schmuck und Mag. Uta Wedam,<br />

Bereichsleiterin bei Zebra und gestalttheoretische Psychotherapeutin, leitete Dr.<br />

Maczkiewicz in Jahren 2001-2003 ein tanztherapeutisches Projekt im Auftrag<br />

des Vereins Zebra, an dem weibliche Flüchtlinge (hauptsächlich aus<br />

afrikanischen Ländern), teilnahmen.<br />

Claire Moore<br />

Ist Professorin an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven<br />

im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit. Ein Fokus ihres<br />

Forschungsinteresses liegt auf Bewegungs- und <strong>Körper</strong>therapie mit<br />

traumatisierten Menschen, sowie auf verbalen und non-verbalen<br />

Kommunikationstheorien und -formen. Neben ihrer Professur ist sie als<br />

Psychologische Psychotherapeutin, Chartered Counseling Psychologist, <strong>Tanz</strong>-<br />

und Bewegungspsychotherapeutin, Trauma-Therapeutin, Supervisorin und<br />

Lehrtherapeutin tätig. Prof. Dr. phil. Moore ist gemeinsam mit Ulla<br />

Stammermann Herausgeberin des im Juni 2009 erscheinenden Buches<br />

„Bewegung aus dem Trauma. Trauma-Zentrierte <strong>Tanz</strong>- und<br />

Bewegungspsychotherapie“.<br />

Im Interview (Transkript siehe Anhang) erzählt mir Dr. Claire Moore von ihren<br />

Erfahrungen in der Arbeit mit Trauma-Überlebenden generell und speziell in<br />

interkulturellen Kontexten wie Projekten in Frauenhäusern mit hohem<br />

Ausländerinnen-Anteil oder Flüchtlings-Zentren.<br />

Astrid Pinter<br />

Astrid Pinter ist ausgebildete Montessori-Pädagogin, <strong>Tanz</strong>pädagogin und<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin, dabei tanzt und unterrichtet sie vor allem ägyptischen <strong>Tanz</strong> in<br />

seiner traditionellen, sowie modernen Form.<br />

Bereits in den 90er Jahren rief sie in Graz ein interkulturelles Kindergarten-<br />

Projekt ins Leben, das sie die nächsten 7 Jahre lang leitete. In diesem Projekt<br />

tanzte sie mit einer Gruppe von Kindern (und Eltern) aus Österreich, sowie<br />

85


verschiedensten Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Im Rahmen ihrer<br />

Ausbildung zur <strong>Tanz</strong>therapeutin absolvierte sie ihr Praktikum im<br />

Integrationshaus Kapfenberg, im Zuge dessen sie wöchentlich mit Kindern aus<br />

Tschetschenien und Afghanistan, deren Familien schon einen positiven<br />

Asylbescheid bekommen hatten, tanzte. Im Interview sprechen wir über ihre<br />

Erfahrungen in der interkulturellen Arbeit mit den Kindern und <strong>Tanz</strong> als Mittel<br />

zur Integration.<br />

Beatrix Weidinger <strong>–</strong> v.d. Recke<br />

Beatrix Weidinger <strong>–</strong> v. d. Recke ist ausgebildete Psychologin, Psychologische<br />

Psychotherapeutin und <strong>Tanz</strong>therapeutin (MCAT <strong>–</strong> Master of Creative Art<br />

Therapy; BTD). Seit nunmehr 10 Jahren arbeitet sie mit Refugio München,<br />

einem Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge zusammen.<br />

Beatrix Weidinger <strong>–</strong> v.d. Recke ist außerdem gemeinsam mit Dr. Sabine Koch<br />

Autorin des im Herausgeber-Werk von Dr. Moore erscheinenden Artikels<br />

„Traumatisierte Flüchtlinge. Ein gemeinsamer <strong>Tanz</strong>- und<br />

Gesprächstherapeutischer Ansatz“.<br />

In dem Interview (Transkript im Anhang) erzählt sie unter anderem von ihrer<br />

Arbeit mit Gruppen traumatisierter kosovarischer bzw. afrikanischer Frauen,<br />

sowie von ihren Erfahrungen mit der Integration von <strong>Tanz</strong> und Musik in den<br />

Alltag kosovarischer Frauen und Kinder in den sogenannten<br />

Flüchtlingsunterkünften.<br />

5.4 Auswertung der Interviews<br />

5.4.1 Kategorienbildung<br />

Die bereits im theoretischen Teil der Arbeit präsentierten und im Leitfaden<br />

verdichteten Annahmen dienten auch als Grundlagen der vor der Durchführung<br />

der Analyse gebildeten Kategorien. Im Folgenden soll nun dieses<br />

86


Kategoriensystem vorgestellt werden, anhand dessen die mir relevant<br />

erscheinenden Textstellen der sechs Interviews in einem ersten Schritt getrennt<br />

voneinander ausgewertet und im Anschluss daran zusammengefasst wurden.<br />

Kategorie 1 <strong>–</strong> Zugang<br />

Die erste Kategorie soll zum einen Informationen über den Zugang der<br />

jeweiligen <strong>Tanz</strong>therapeutin zur Methode zusammenfassen (Subkategorie a),<br />

zum anderen soll sie auch all jene Aussagen bündeln, die den Zugang der<br />

traumatisierten Klienten und Klientinnen zur <strong>Tanz</strong>therapie beschreiben<br />

(Subkategorie b). Subkategorie (a) beinhaltet Ausbildungswege, Vorannahmen,<br />

sowie das jeweilige Potential, dass die <strong>Tanz</strong>therapeutinnen in der Methode ihrer<br />

Wahl sehen. In Subkategorie (b) fallen allfällige Aussagen über den Weg, über<br />

den die <strong>Tanz</strong>therapeutin und ihre traumatisierten KlientInnen in interkulturellen<br />

Settings ein Arbeitsbündnis eingehen.<br />

Kategorie 2 - <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapeutisches Arbeiten nach<br />

Trauma<br />

Diese zweite Kategorie sammelt alle Aussagen zu <strong>Tanz</strong>- und<br />

Bewegungspsychotherapeutischen Interventionen (hier als<br />

schulenübergreifender Sammelbegriff gebraucht) speziell mit traumatisierten<br />

Menschen. Dies beinhaltet (a) das Verständnis der posttraumatischen<br />

Symptome per se, (b) die Wahl und Begründung der jeweiligen gesetzten<br />

Intervention, sowie (c) das zu erreichen gewünschte Ziel.<br />

Kategorie 3 <strong>–</strong> Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

In dieser dritten Kategorie verdichten sich in einer ersten Subkategorie (a) alle<br />

Aussagen über das Verhältnis von verbalen und non-verbalen Interventionen,<br />

über sprachlose und von verbaler Sprache erfüllte Räume, sowie über die<br />

Sinnhaftigkeit und Möglichkeiten einer Kombination von beiden. Subkategorie<br />

(b) bündelt all jene Textstellen, die sich mit Verständigungsproblemen und<br />

87


Dolmetsch befassen. Eine dritte Unterkategorie (c) soll alle Informationen, die<br />

die Verbindung von Psyche und Soma, sowie deren Ausdrucksformen<br />

betreffen, zusammenfassen.<br />

Kategorie 4 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

Die vierte Kategorie vereint alle Aussagen zum Thema <strong>Tanz</strong> in der<br />

interkulturellen (Subkategorie a), sowie in der intra-psychischen (Subkategorie<br />

b) Integrationsarbeit. Welche Brücken können mittels Bewegung und <strong>Tanz</strong> von<br />

Mensch zu Mensch (a), aber auch von der eigenen Gegenwart zur<br />

Vergangenheit, vom Ausdruck zu den dahinter stehenden Emotionen etc. (b)<br />

geschlagen werden?<br />

Kategorie 5 <strong>–</strong> Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Zukunfts-<br />

perspektiven<br />

In der fünften Kategorie verdichten sich spezielle Problemstellungen, die in<br />

interkultureller Trauma-zentrierter Arbeit, wie sie von den sechs<br />

Interviewpartnerinnen geleistet wird, auftreten können. (Subkategorie a)<br />

Diese Kategorie fasst außerdem die von den Expertinnen selbst genannten,<br />

sowie Kommentare über die in der Literatur verbreiteten Kontraindikationen<br />

zusammen, mit denen in der Praxis oftmals anders umgegangen wird.<br />

(Subkategorie b)<br />

Die letzte Subkategorie (c) bündelt die Perspektiven, die die Expertinnen für<br />

tanztherapeutische Interventionen in interkulturellen Trauma-zentrierten<br />

Settings sehen. Dies beinhaltet auch geäußerte Wünsche und Zweifel bezüglich<br />

der Zukunft einer Trauma-adaptierten <strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapie.<br />

Im Folgenden werden die sechs Interviews in den oben genannten Kategorien<br />

zusammengefasst.<br />

88


Interview 1<br />

Kategorie 1 <strong>–</strong> Zugang<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin, die auch ausgebildete Krankenschwester ist, hat zuerst<br />

schon im stationären Bereich der Psychiatrie Arbeitserfahrung mit<br />

traumatisierten KlientInnen gesammelt. (15-19, 23-26) Parallel dazu begann<br />

sie, mit Aids-Kranken und schließlich schwerpunktmäßig mit Frauen zu<br />

arbeiten, die Opfer von Vergewaltigung geworden waren. (20-23) Ihr eigener<br />

Zugang zur <strong>Tanz</strong>therapie (Expression Primitive nach France Schott-Billmann)<br />

basiert auf ihrem Verständnis des <strong>Tanz</strong>es als „médiateur thérapeutique et pour<br />

faire bouger les personnes au niveau psycho-physique“. (7-8)<br />

Sie sieht in der Expression Primitive eine Möglichkeit sich auszudrücken, die<br />

besonders geeignet für Leute ist, die „une mauvaise image d‟eux“, ein<br />

schlechtes Selbstbild haben und sich erst trauen lernen müssen, zu tanzen.<br />

(67-69)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin arbeitet am Pariser Centre de Psychologie Biodynamique<br />

und trifft ihre KlientInnen dort oder wird von diesen direkt über ihre Homepage<br />

kontaktiert. Da sie sich auf ihrer Homepage als <strong>Tanz</strong>therapeutin ausweist,<br />

setzen sich von vorne herein nur solche potentiellen KlientInnen mit ihr in<br />

Verbindung, die sich für <strong>Tanz</strong>therapie interessieren. (31-34)<br />

Kategorie 2 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapeutisches Arbeiten nach<br />

Trauma<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapie, wie sie von der <strong>Tanz</strong>therapeutin praktiziert wird, gliedert sich<br />

in drei Teile: Im ersten Teil findet ein Beziehungsaufbau statt, die<br />

Rahmenbedingungen werden geklärt und es kann auch schon über bestimmte<br />

Emotionen oder Schwierigkeiten gesprochen werden, aber vorerst alles rein<br />

verbal. (72-73)<br />

In einem sich daran anschließenden zweiten Teil schlägt die <strong>Tanz</strong>therapeutin<br />

dann je nach Thematik bestimmte Übungen vor, die den <strong>Körper</strong> betreffen.<br />

Hierbei kann es sich um eine Bewegung, eine spezielle Form der Atmung, eine<br />

89


Art zu gehen etc. handeln, es kann aber auch eine Frage wie „Was macht das<br />

mit Ihnen, was passiert in Ihrem <strong>Körper</strong>, wenn Sie darüber sprechen?“ (73-77)<br />

sein. In einer dritten Phase werden die vorhergehenden Schritte in einer<br />

„synthèse“ besprochen, in der der/die KlientIn diesen, möglicherweise neuen<br />

Aspekten von sich selbst „eine Stimme gibt“. (78-80)<br />

Mit Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt wurden, arbeitet die<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin viel mit den oft sehr ausgeprägten Gefühlen von Wut und<br />

Schuld. (36-39) Wesentliche Bestandteile der Expression Primitive sieht sie in<br />

der Stimme, dem Rhythmus und den fundamentalen Gesten. (39-42) Mit Hilfe<br />

dieser drei Elemente soll gemeinsam mit der Klientin an der Wut, die sich oft in<br />

Form von auto-aggressivem Verhalten gegen die Klientinnen selbst wendet,<br />

gearbeitet werden. Ihre Energie soll „befreit“ und transformiert werden, sodass<br />

sie schließlich als positive Energiequelle wahrgenommen werden kann, die<br />

letztendlich auch lebendig macht. (42-46) Ein weiteres wichtiges Ziel sieht die<br />

Therapeutin in der Vermittlung der Einsicht, dass diese Wut Teil einer<br />

natürlichen Reaktion ist und nicht als gefährlich erlebt werden muss. (47-49)<br />

Erst im Anschluss daran arbeiten die <strong>Tanz</strong>therapeutin und ihre Klientinnen an<br />

den Schuldgefühlen, denen mit Gesten der Zurückweisung, „gestes de rejet“<br />

begegnet wird. Mittels dieser Gesten soll nach der <strong>Tanz</strong>therapeutin auch auf<br />

körperlicher Ebene getan werden, was vorher schon kognitiv erarbeitet wurde,<br />

nämlich zu verstehen, dass nicht die vergewaltigte Frau, sondern der Täter<br />

schuldig ist und diese Schuldgefühle deshalb nicht zu seinem Opfer, sondern<br />

zu ihm gehören. (49-52)<br />

In der Arbeit mit Missbrauchsopfern und anorektischen jungen Frauen -<br />

hauptsächlich bei <strong>Körper</strong>bild-Störungen - setzt die <strong>Tanz</strong>therapeutin, wie viele<br />

ihrer KollegInnen in Belgien, auch orientalischen <strong>Tanz</strong> ein. (138-143) Nach<br />

Bearbeitung der Wut und der Schuldgefühle sieht sie darin eine geeignete<br />

Möglichkeit, gemeinsam mit der Klientin deren Rolle als Frau neu zu definieren:<br />

„voilà, une façon de trouver sa féminité“. (146-150) Mit einer Klientin, die sexuell<br />

missbraucht wurde, integrierte sie orientalischen <strong>Tanz</strong>, um daran zu arbeiten,<br />

den eigenen, weiblichen <strong>Körper</strong> wieder annehmen zu können. (51-55)<br />

90


Berührt wird nur mitexplizitem Einverständnis der Klientin und nach<br />

traumatischen Erfahrungen arbeitet die <strong>Tanz</strong>therapeutin mit <strong>Tanz</strong>, Bewegung<br />

und Berührung zuerst nur an den <strong>Körper</strong>grenzen und bewegt sich dann von<br />

außen nach innen. (224-227) Generell sieht sie in der Arbeit mit den<br />

<strong>Körper</strong>grenzen einen wichtigen Bestandteil von Trauma-Zentrierter<br />

<strong>Tanz</strong>therapie, wobei neben der Haut als konkrete Grenze auch der „persönliche<br />

Raum“, „l‟espace personnel“ (Hall) große Bedeutung hat. (212-219)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin arbeitet lieber im Einzelsetting als in Gruppen, weil sich<br />

ihrer Erfahrung nach in Gruppen oft nicht alle TeilnehmerInnen mit einbringen<br />

oder nicht regelmäßig erscheinen. (82-87)<br />

Kategorie 3 <strong>–</strong> Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

Die Teilung des Therapie-Verlaufes in drei Phasen ermöglicht es der<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin, klare Räume für verbale und non-verbale Interventionen zu<br />

definieren. Während der ersten Teil (Beziehungsaufbau und Klärung der<br />

Rahmenbedingungen) dem gesprochenen Wort gewidmet ist, steht im zweiten<br />

Teil der <strong>Körper</strong> im Mittelpunkt des Geschehens. (73-74). Im dritten Teil, der eine<br />

Art Nachbesprechung des Prozesses ist, hat wieder Verbales Vorrang. (78-80)<br />

Den eigenen <strong>Körper</strong> sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin als Container, als Hülle, „le<br />

corps, c‟est notre enveloppe, notre contenant, notre base“. (202-203)<br />

Im Verlauf der Therapie konnte die <strong>Tanz</strong>therapeutin in ihrer bisherigen Tätigkeit<br />

Veränderungen am <strong>Körper</strong>bild, im Selbstwert und in der Beziehungsgestaltung<br />

ihrer KlientInnen beobachten, die beim Sharing in der dritten Phase (wie oben<br />

schon kurz beschrieben) auch verbal thematisiert wurden. (229-235)<br />

Kategorie 4 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

In Frankreich ist die arabische Kultur nach Ansicht der <strong>Tanz</strong>therapeutin „mal<br />

considéré“ (156-157) und so werden anfangs oft auch die von der<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin eingesetzten orientalischen Musikstücke oder<br />

91


Bewegungsformen mit verschleierten, unterdrückten Frauen oder den<br />

Bauchtänzerinnen in diversen arabischen Restaurants assoziiert. (168-176)<br />

Hier sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin Handlungsbedarf und weist auf die Wichtigkeit<br />

von Aufklärung und Information hin. Sie sieht <strong>Tanz</strong> und Musik dabei als<br />

Schlüssel, sich zu öffnen, Vorurteile anderen Kulturen gegenüber abzubauen<br />

und seinen Horizont zu erweitern. (177-190)<br />

Im orientalischen <strong>Tanz</strong> sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin außerdem für ihre weiblichen<br />

Klientinnen ein besonderes Potential, die vielen Facetten der eigenen<br />

Weiblichkeit zu integrieren. „Dans la danseuse de ventre, il y a toutes les<br />

femmes: il y a la mère, la femme, la prostitué, il y a la sœur, il y a tout“. („In der<br />

Bauchtänzerin sind alle Frauen: Da ist die Mutter, die Frau, die Prostituierte, die<br />

Schwester, da ist alles.“) (159-163)<br />

Kategorie 5 <strong>–</strong> Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Perspektiven<br />

Als schwierig erachtet die <strong>Tanz</strong>therapeutin die Tatsache, dass sowohl<br />

<strong>Tanz</strong>therapie an sich, als auch ihre VertreterInnen in Frankreich nicht anerkannt<br />

sind - weder vom Gesetz, noch von den KollegInnen. (90-95) Zwar wird an<br />

einer der Pariser Universitäten, Paris V, mittlerweile ein Master in <strong>Tanz</strong>therapie<br />

angeboten, die Methode an sich ist danach allerdings nicht als<br />

Psychotherapieform anerkannt. (98-104)<br />

Eine klare Kontraindikation sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin in der Arbeit mit<br />

professionellen Tänzern und Tänzerinnen. Sie begründet dies damit, dass <strong>Tanz</strong><br />

ohnehin schon der Beruf dieser Gruppe sei, weshalb Tänzer und Tänzerinnen<br />

sich leicht überlegen und sehr kompetent in ihrer Domäne fühlen würden: „Ils<br />

vont se croire supérieurs, très compétents dans le domaine“. Außerdem haben<br />

professionelle Tänzer und Tänzerinnen der <strong>Tanz</strong>therapeutin zufolge zu viele<br />

Widerstände - <strong>Tanz</strong>therapie ist in ihrem Sinne weder geeignet, noch gut für<br />

Performer. (52-58)<br />

Generell vertritt die <strong>Tanz</strong>therapeutin a ber die Meinung, dass jeder tanzen<br />

kann, dass es also keine Menschen gibt, für die <strong>Tanz</strong>therapie a priori nicht<br />

92


geeignet ist, aber dass natürlich vorher Aufklärungsarbeit geleistet werden<br />

muss. (180-190)<br />

Interview 2<br />

Kategorie 1 <strong>–</strong> Zugang<br />

Für die Therapeutin war <strong>Tanz</strong> ein Wegbegleiter „von Kindesbeinen an“ und<br />

ihren Weg über Musik und Rhythmik zur <strong>Tanz</strong>therapie beschreibt sie als<br />

„logische Form der vertiefenden Arbeit mit <strong>Tanz</strong>“. (8-20) Sie sieht sich in<br />

Abgrenzung zu streng analytischen KollegInnen als „engagierte Vertreterin<br />

eines ganzheitlichen Bildes von <strong>Tanz</strong>therapie“, die auch kreative und<br />

künstlerische Impulse in ihre Arbeit integriert. (21-27) Die Therapeutin vertritt<br />

generell die Ansicht, dass die jeweilige Richtung, aus der ein/e werdende/r<br />

<strong>Tanz</strong>therapeut/in kommt, Einfluss auf den persönlichen Zugang zum<br />

tanztherapeutischen Arbeiten, den Weg, den man danach einschlägt und die so<br />

entstehende „eigene Handschrift“ hat. (412-418)<br />

Während ihrer Zusammenarbeit mit Zebra kam es zu einem Projektversuch mit<br />

tschetschenischen Frauen, den die <strong>Tanz</strong>therapeutin rückblickend als „wirkliches<br />

Eintauchen in eine ganz andere Welt von Leuten, die sonst nie zur<br />

<strong>Tanz</strong>therapie kommen würden“ bezeichnet. (86-88) Trotz der ungewohnten<br />

Situation konnte die <strong>Tanz</strong>therapeutin über deren Tänze „leicht und schnell“<br />

Zugang zu den tschetschenischen Frauen finden. (50-52)<br />

Kategorie 2 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapeutisches Arbeiten nach<br />

Trauma<br />

Die Arbeit mit den tschetschenischen Frauen beschreibt die <strong>Tanz</strong>therapeutin<br />

als prozessorientiert, da durch die teilweise sehr unregelmäßige Teilnahme eine<br />

Kontinuität in der Gruppe schwer zu erhalten war. (99-102) Das Projekt war für<br />

die Therapeutin rückblickend trotzdem „sehr wichtig“, weil es eine Möglichkeit<br />

war, „gerade in dieser Zeit, wo alles andere so unsicher ist im Leben, etwas wie<br />

eine Stabilität und freudvolles Tun zu erleben“. (121-125) Es ging bei den<br />

gesetzten Interventionen nicht um Exploratives oder Trauma-orientierte Inhalte,<br />

93


sondern darum, „am konkreten körperlichen Dasein anzuknüpfen“ und über<br />

„<strong>Körper</strong>, Rhythmus, Musik und Bodenkontakt einen positiven und freudvollen<br />

Realitätsbezug“ herzustellen. (130-136) Im Fokus standen dabei Themen wie<br />

<strong>Körper</strong>grenzen und die eigene Position im Raum. (167-168)<br />

Durch die tanztherapeutischen Interventionen soll die Aufmerksamkeit der<br />

traumatisierten Klientinnen wieder zum <strong>Körper</strong> hin gewendet werden und über<br />

diesen Weg auch vorher negativ besetzte <strong>Körper</strong>teile oder <strong>–</strong>regionen wieder<br />

positiv erlebt und integriert werden. (70-72) Dabei wird „von außen nach innen“,<br />

also primär mit Händen und Füßen, die als am wenigsten bedrohlich erlebt<br />

werden, gearbeitet. (189-192)<br />

Die Therapeutin weist darauf hin, dass diese „überhaupt nicht aufdeckende,<br />

rein stabilisierende, Ressourcen-orientierte Arbeit“ (182-184) „nur in einer sehr<br />

verantwortungsvollen Weise passieren darf“ (244-246) und in jedem Fall eine<br />

Trauma-zentrierte Zusatzqualifikation voraussetzt. (420-422)<br />

Kategorie 3 <strong>–</strong> Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

Im Normalfall räumt die <strong>Tanz</strong>therapeutin der verbalen Kommunikation in Form<br />

von „einer Sicherheit gebenden Begleitung, die anspricht, ermutigt und<br />

aufgreift“ eine wichtige Rolle ein. Sie übermittelt strukturelle Angebote<br />

(beispielsweise das Angebot, eine Bewegung auszuführen) und ermöglicht<br />

auch nach kreativen Arbeitsphasen den Austausch in Form einer Reflexion des<br />

Geschehenen. (381-391, 400-402) Die Projektgruppe mit den<br />

tschetschenischen Frauen war auch für die <strong>Tanz</strong>therapeutin „ein Experiment“:<br />

durch das Übersetzen wurde die verbale Kommunikation sehr verzögert und<br />

schließlich seitens der Therapeutin „auf ein Minimum beschränkt“. (391-397).<br />

Stattdessen hat sie „sicher auch mehr mit dem eigenen <strong>Körper</strong> gesprochen, als<br />

über die verbale Sprache“. (397-400) Auch der sichere Raum, der im Laufe des<br />

Projektes geschaffen wurde, entstand in diesem Sinne „in erster Linie auf non-<br />

verbale Art“. (220-224) Dabei kommunizierte die <strong>Tanz</strong>therapeutin über ihre<br />

Präsenz und Haltung, sowie über das Mitmachen von Bewegungen und<br />

ermutigende Blicke mit ihren KlientInnen, „allein schon durchs Tun und durchs<br />

Sein“. (224-229)<br />

94


Im Verlauf des Projektes konnte die <strong>Tanz</strong>therapeutin „viele Veränderungen“<br />

(202) an den tschetschenischen Frauen beobachten. Diese äußerten sich vor<br />

allem darin, dass die Frauen sich farbenfroher anzogen (206-208), zunehmend<br />

„mutiger und ein kleines Stück selbstsicherer“ (211-212), sowie auch lockerer<br />

im Umgang miteinander wurden (205).<br />

Kategorie 4 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

Im Laufe des Projektes konnte die Therapeutin feststellen, dass <strong>Tanz</strong>, das<br />

Bewegen bestimmter <strong>Körper</strong>teile, sowie die Konzentration darauf (in diesem<br />

Fall waren es schmerzende Füße) gewisse Emotionen und Gefühle, die mit<br />

bestimmten <strong>Körper</strong>ausdrücken oder <strong>–</strong>teilen verbundene waren, berühren<br />

konnten. (64-66) Außerdem zeigte sich, „dass über das kreative Tun und über<br />

das Ausdrücken von dem, was über den Schmerz hinaus geht und auch durch<br />

das Miteinander-<strong>Tanz</strong>en eine Verwandlung von dem Schmerz möglich war.“<br />

(66-69)<br />

Was den interpersonellen bzw. interkulturellen Aspekt von <strong>Tanz</strong> und Bewegung<br />

betrifft, sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin in <strong>Körper</strong>- und Bewegungsausdruck, die sie<br />

„für so einzigartig wie einen Fingerabdruck hält“ eine Möglichkeit, mit anderen<br />

Menschen in Verbindung zu treten. (310-313) In Gruppen fördert sie deshalb<br />

Wertschätzung und Neugierde statt Wertung, weil Offenheit für<br />

„unterschiedliche Ausdrucksformen etwas sehr Verbindendes“ hat. (316-320)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin sieht in integrativen <strong>Tanz</strong>projekten eine „wunderbare<br />

Erschließungsmöglichkeit“ für werdende <strong>Tanz</strong>therapeutInnen (276) und ein<br />

wichtiges „Feld für prophylaktische, Vorurteil abbauende, Verbindung und<br />

Zugehörigkeit schaffende Arbeit“. (288-291) Vor allem in Schulen kann nach<br />

Erfahrung der <strong>Tanz</strong>therapeutin und anderen, von ihr aus- und weitergebildeten<br />

Fachkräften, gut integrativ gearbeitet werden. Auch wenn die Kinder anfangs<br />

noch fast kein Deutsch sprechen, kann durch ritualisierte Handlungen wie<br />

gemeinsames <strong>Tanz</strong>en und Bewegen, der Bildung eines Kreises etc. schnell das<br />

Gefühl von Zugehörigkeit geschaffen werden. (277-287, 290-301)<br />

95


Kategorie 5 <strong>–</strong> Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Perspektiven<br />

Schwierig wäre es nach Ansicht der <strong>Tanz</strong>therapeutin, wenn sie als Frau alleine<br />

mit muslimischen Männern aus sehr archaischen Kontexten (329-336) oder mit<br />

gewalttätigen Männern arbeiten müsste. (350-351)<br />

Kontraindikationen sieht sie in sehr starker körperlicher Beeinträchtigung (352-<br />

353) oder Widerstand seitens der KlientInnen, denn „ein Minimum an<br />

Einlassbereitschaft und Neugierde muss da sein“. (337-342).<br />

Zu einer Re-Traumatisierung durch Kontrollverslust kann es der Meinung der<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin nach dann kommen, „wenn jemand über den <strong>Körper</strong> und <strong>Tanz</strong><br />

und mit Bewegung arbeitet, der nicht weiß, was Trauma heißt, der nicht weiß,<br />

wo und wie sich ein Trauma im <strong>Körper</strong> manifestiert“. (240-244) Die<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin findet die vielen, teilweise sehr unseriösen Angebote vieler<br />

Anbieter mit fragwürdiger Qualifikation „schrecklich“. (245-252) Als Obfrau des<br />

österreichischen Berufsverbandes ist es ihr ein Anliegen, dass die <strong>Tanz</strong>therapie<br />

sich über Qualitätsstandards definiert. (252-253) Mittlerweile wenden sich<br />

schon viele Institutionen an den Berufsverband, um mit „seriös und fundiert“<br />

ausgebildeten <strong>Tanz</strong>therapeuten in Kontakt zu kommen. (254-260)<br />

Auch wenn Österreich in der europaweiten Entwicklung „meistens etwas hinten<br />

nach“ ist, ist der Berufsverband bemüht, „verstärkt Initiativen“ in die Richtung<br />

eines anerkannten Master-Studiums zu setzen und so viele<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutInnen wie möglich mit Vollzeitstellen an Institutionen<br />

unterzubringen. (422-433)<br />

Was die konkrete Arbeit mit traumatisierten KlientInnen in interkulturellen<br />

Settings betrifft, sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin darin „einen interessanten<br />

Denkanstoß“ und möchte die StudentInnen, die jetzt die Ausbildung bei ihr<br />

beginnen, auch „ein Stück in diese Richtung motivieren“. (433-437) Zwar<br />

scheitert die Umsetzung vieler tanztherapeutischer Projekte zur Zeit noch oft an<br />

der Finanzierung, aber die <strong>Tanz</strong>therapeutin und Obfrau des österreichischen<br />

Berufsverbandes für <strong>Tanz</strong>therapie sieht die Zukunft der <strong>Tanz</strong>therapie dennoch<br />

96


positiv, weil sich „in den letzten Jahren sehr viel verändert und getan hat, um in<br />

diesem Bereich Bewusstsein zu bilden“. (439-455)<br />

Interview 3<br />

Kategorie 1 <strong>–</strong> Zugang<br />

Das im Interview vorgestellte Projekt <strong>Tanz</strong> und Musik, bei dem die<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin gemeinsam mit einem Musiker und einer Psychotherapeutin<br />

zusammenarbeitete, entstand als Folge der Idee, eine Aktivität speziell für<br />

Frauen anzubieten. (36-37) Durch <strong>Tanz</strong> und Bewegung sollte an eine<br />

Ressource angeknüpft werden, von der man annahm, dass sie „den Frauen<br />

inhärent“ ist: die Freude an der Bewegung und am körperlichen Ausdruck. (37-<br />

42)<br />

Das Projekt war als stabilisierende Maßnahme geplant, die den Frauen, die<br />

noch auf die Entscheidung über ihren Asylantrag warteten, vermitteln sollten,<br />

dass es in ihrer aktuellen Situation „nicht nur Sorgen und Leid und<br />

Verunsicherungen gibt.“ (42-44)<br />

Da die Teilnehmerinnen (großteils afrikanische Frauen) am Projekt <strong>Tanz</strong> und<br />

Musik in einer Flüchtlingspension wohnten, die nicht vom Verein Zebra betreut<br />

wurde, war es anfangs schwierig, den Kontakt herzustellen. (13-20) Neben dem<br />

nötigen Beziehungsaufbau musste vor allem viel Aufklärungsarbeit geleistet<br />

werden, wobei es bei dem Projekt überhaupt gehen sollte, da <strong>Tanz</strong> in anderen<br />

Kulturen mit unterschiedlichen Bedeutungen assoziiert wird: „Also was ein<br />

Workshop ist, oder Therapie oder Experimentieren, Improvisieren, das sind<br />

komplett unbekannte Begriffe.“ (21-29)<br />

Kategorie 2 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapeutisches Arbeiten nach<br />

Trauma<br />

Mit dem Angebot von Bewegung und körperlichem Ausdruck in einem sicheren<br />

Rahmen wurde an ein vorhandenes Potential der Frauen angeknüpft. (36-42)<br />

97


Durch das gemeinsame Bewegen und über die Stimme konnte ein<br />

„unmittelbarer Ausdruck und Austausch“ in der Gruppe möglich gemacht<br />

werden. (48-52) Wenn im Zuge dieser Stabilisierungsarbeit belastende Themen<br />

aufkamen, bestand parallel zur Gruppe die Möglichkeit zur<br />

Einzelpsychotherapie. (54-70)<br />

Ganz allgemein ist ein Ziel der tanztherapeutischen Interventionen, den <strong>Körper</strong><br />

wieder positiv besetzen zu können. (92-94) Dabei geht die <strong>Tanz</strong>therapeutin<br />

flexibel und langsam vor und respektiert Abwehr und individuelle Grenzen ihrer<br />

Klientinnen. (105-109) Deshalb ist die Beziehung zwischen Therapeutin und<br />

Klientinnen interaktiv statt direktiv. (117-129) Die Therapeutin kann konkrete<br />

Bewegungen vorschlagen (130-131) <strong>–</strong> sogenanntes „übungszentriertes<br />

Arbeiten“ <strong>–</strong> oder dies eben nicht tun und so auch Raum für die schöpferische<br />

Kreativität ihrer Klientinnen lassen. (139-153) Dabei stets wichtig sind die<br />

Freiwilligkeit beim Mitmachen und eine Atmosphäre, bei der sich die Klientinnen<br />

nicht unter Druck gesetzt oder zu etwas gezwungen fühlen. (132-135)<br />

Kategorie 3 <strong>–</strong> Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin hat die Erfahrung gemacht, dass viele Klientinnen sich für<br />

ihre Methode entschieden, weil sie das Vertrauen in verbale Sprache verloren<br />

hatten und die Worte „hohl“ für sie waren, also nicht mehr die dahinter<br />

stehenden Gefühle oder Emotionen ausdrücken konnte. (159-167) Im Verlauf<br />

der Therapie konnte die Therapeutin aber in vielen Fällen beobachten, dass<br />

sich das Verhältnis von verbalen und non-verbalen Räumen wieder umkehrte,<br />

sodass am Ende auf Wunsch der KlientInnen „fast nur mehr gesprochen“<br />

wurde.<br />

In interkulturellen Settings haben <strong>Körper</strong>therapeuten und so auch die<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin in diesem speziellen Projekt zumindest am Anfang<br />

Dolmetscher zur Seite, sodass auch wirklich alle Klientinnen, unabhängig von<br />

ihren Deutschkenntnissen, gut informiert werden und verstehen können, worum<br />

es geht. (285-286) Vor allem, wenn im Zuge der Arbeit auch berührt wird, muss<br />

dies zuerst über einen sprachlichen Zugang abgeklärt bzw. von den Klientinnen<br />

98


erlaubt werden. (287-288) In den späteren Sitzungen wurde bei Abwesenheit<br />

der Dolmetscher über <strong>Körper</strong>sprache kommuniziert bzw. übersetzten diejenigen<br />

Frauen, die schon etwas mehr verstanden, den anderen die Anweisungen und<br />

Aussagen der <strong>Tanz</strong>therapeutin. (238-243)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin versteht Trauma als „etwas sehr <strong>Körper</strong>liches“ (100-103)<br />

und sieht in körpertherapeutischen Verfahren wie <strong>Tanz</strong>therapie „mehr<br />

Zugangsmöglichkeiten“, weil sie an der „Schnittstelle von <strong>Körper</strong>, körperlicher<br />

Erfahrung, körperlichem Ausdruck, Gefühl und Reflexion darüber ansetzen.“<br />

(362-367) Über „das <strong>Körper</strong>liche“ kann im Sinne der <strong>Tanz</strong>therapeutin eine<br />

Ebene erreicht werden, auf der ein „unmittelbarer Austausch und Ausdruck<br />

möglich ist“, auch wenn über die entsprechenden Inhalte schwer verbal<br />

gesprochen werden kann. (73-75)<br />

In Absprache mit der Psychotherapeutin, die die ergänzende<br />

Einzelpsychotherapie anbot, kann gesagt werden, dass ein Zusammenhang<br />

zwischen zunehmender Nutzung des Bewegungsspielraumes, sowie der<br />

Freude an der eigenen Bewegung und den psychologischen Aspekten der<br />

posttraumatischen Symptome beobachtet werden konnte. Demnach gingen<br />

beide für die Gruppe „Hand in Hand“. (252-260)<br />

Kategorie 4 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

Da sich nicht alle Gruppenmitglieder über verbale Sprache miteinander<br />

verständigen konnten, sollte das Projekt <strong>Tanz</strong> und Musik Wege eröffnen, sich<br />

auch unabhängig vom gesprochenen Wort über körperlichen oder<br />

musikalischen Ausdruck auszutauschen und zu verstehen. (46-50)<br />

In dem Projekt zeigte sich, dass sich die Frauen aus Afrika und Armenien, was<br />

den jeweiligen <strong>Körper</strong>ausdruck und <strong>Tanz</strong>stil betraf, voneinander, aber auch<br />

vom Stil und Ausdruck der aus Deutschland stammenden und in Österreich<br />

lebenden <strong>Tanz</strong>therapeutin unterschieden. (209-213) Durch das „Zuschauen und<br />

Mitmachen und Spiegeln“, mit dem die <strong>Tanz</strong>therapeutin in Gruppen gerne<br />

99


arbeitet, wurde ein gegenseitiges Kennenlernen und eine Begegnung möglich,<br />

auch wenn man aus „unterschiedlichen Welten“ kam. (214-217) Das Hinein-<br />

Fühlen in die Bewegung und das anschließende Spiegeln ermöglichte es den<br />

Gruppenmitgliedern „voneinander zu lernen“ und „ihren Horizont zu erweitern“.<br />

(230-231)<br />

<strong>Tanz</strong> und Bewegung konnte außerdem Brücken zu Erinnerungen (96-100) und<br />

zu Emotionen wie „Freude, Mitgefühl oder auch Trauer oder Sehnsucht“<br />

schlagen und ihnen Ausdruck verleihen. (221-224)<br />

Kategorie 5 <strong>–</strong> Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Perspektiven<br />

Eine konkrete Schwierigkeit in ihrer Arbeit mit Asylwerberinnen sieht die<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin in deren unsicherer Situation. (270-272). „Wenn die Basis nicht<br />

da ist, kann auch nicht getanzt werden oder sich nicht bewegt werden“. (290-<br />

291) Ein weiterer erschwerender Faktor ist die momentan noch schwierige<br />

rechtliche Situation der <strong>Tanz</strong>therapie in Österreich: Da diese als<br />

Psychotherapieform nicht anerkannt ist, können KlientInnen mit keinem<br />

Zuschuss der Krankenkasse rechnen, was sich in einem erheblichen<br />

Preisunterschied niederschlägt. (352-354)<br />

Was mögliche Kontraindikationen betrifft, würde die <strong>Tanz</strong>therapeutin mit<br />

psychotischen Klientinnen auch in produktiven Phasen arbeiten, sofern „ein<br />

Draht, eine Verbindung“ herstellbar ist. (302-310). Wenn dies nicht der Fall ist,<br />

es also „keinen Zugang gibt“ und „Anweisungen oder sprachliche<br />

Kontaktaufnahme überhaupt nicht durchdringen“ sieht die Therapeutin<br />

tanztherapeutische Interventionen als kontraindiziert (310-315), gibt aber zu<br />

bedenken, dass Pauschalisierungen hier schwer möglich sind. (310, 315-317)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin wünscht sich eine Anerkennung der <strong>Tanz</strong>therapie und<br />

dass diese „mehr angeboten wird“, weil sie mehr Zugangsmöglichkeiten bietet<br />

als rein verbale Psychotherapie (358-367) und auch in interkulturellen<br />

Arbeitsfeldern sehr bereichernd sein kann. „Jeder ist ja da mit seinem <strong>Körper</strong><br />

und seiner <strong>Körper</strong>geschichte und sich da zu zeigen, voneinander was zu lernen<br />

100


und sich zu sehen, das empfinde ich auf jeden Fall als bereichernd für alle.“<br />

(374-377)<br />

Interview 4<br />

Kategorie 1 <strong>–</strong> Zugang<br />

Schon während ihrem Psychologie-Studium und der darauf folgenden<br />

Ausbildung zur Psychoanalytikerin hat die <strong>Tanz</strong>therapeutin selbst getanzt,<br />

Musik gemacht und unterrichtet. Ihr „fehlte in der analytischen therapeutischen<br />

Herangehensweise dann auch das Verständnis von Sprache, die nicht aus<br />

Wörtern besteht.“ Durch ihre eigenen Erfahrungen der Wirkungsweisen von<br />

<strong>Tanz</strong> und Musik wusste sie, dass dadurch noch andere Ebene angesprochen<br />

werden und entschied sich dann für ein in ihrem Heimatland England<br />

angebotenes Master-Studium der Dance and Movement Psychotherapy nach<br />

Laban. (5-18) In der <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapie, wie sie in England<br />

gelehrt wurde, sieht sie eine Möglichkeit, mit einem salutgenetischen Ansatz<br />

verbale, sowie non-verbale Kommunikationsformen in ihre therapeutische<br />

Tätigkeit zu integrieren. (20-26)<br />

Durch ihre Arbeit an Frauenhäusern mit hohem Migrantinnen-Anteil, sowie an<br />

einem Flüchtlingszentrum hatte sie auch die Möglichkeit, Erfahrungen in sehr<br />

interkulturellen Settings zu sammeln. <strong>Der</strong> Zugang zu den KlientInnen erfolgte in<br />

diesen Fällen über die jeweiligen Institutionen. (306-312)<br />

Kategorie 2 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapeutisches Arbeiten nach<br />

Trauma<br />

Auch wenn die <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapie nach der Londoner<br />

Ausbildung tiefenpsychologisch fundiert ist, ist sie in der Anwendung mit<br />

traumatisierten KlientInnen in erster Linie stabilisierend und nicht Trauma-<br />

exponierend. (80-87) Sie kann, „was die Stabilisierung betrifft, dem <strong>Körper</strong> auf<br />

non-verbaler Ebene andere (Reaktions-) Möglichkeiten anbieten, ohne dass<br />

101


allerdings der Trauma-Gehalt berührt wird.“ (96-99) Die <strong>Tanz</strong>therapeutin, die ja<br />

unter anderem auch ausgebildete Trauma-Therapeutin ist, unterstreicht hier,<br />

dass „nicht die <strong>Tanz</strong>therapie per se“ das kann, sondern dass die Trauma-<br />

zentrierte <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapie, in diesem Sinne eine<br />

spezielle Form der <strong>Tanz</strong>therapie, die Erkenntnisse von <strong>Tanz</strong>- und<br />

Bewegungspsychotherapie, sowie die der neueren Trauma-Therapie vereint.<br />

(149-158) Sie betrachtet und behandelt die Trauma-Folgen deshalb „sowohl auf<br />

der körperlichen Ebene, als auch auf der psychischen, als auch auf der<br />

sozialen.“ (111-113)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin arbeitet behutsam und sehr Klienten-zentriert. Sie bleibt,<br />

was die <strong>Körper</strong>arbeit betrifft, vorsichtig und an der <strong>Körper</strong>peripherie. Auch wenn<br />

es Angebote seitens der KlientInnen gibt, mit dem Rumpf oder dem<br />

<strong>Körper</strong>zentrum <strong>–</strong> oft der Ort, an dem die Gewalt geschah <strong>–</strong> zu arbeiten, werden<br />

diese von der <strong>Tanz</strong>therapeutin nicht angenommen. In solchen Fällen wird sie<br />

auch direktiv, um wichtige Grenzen einzuhalten. Die KlientInnen sollen (wieder)<br />

lernen, ihre <strong>Körper</strong>grenzen zu spüren und damit umzugehen. (206-237)<br />

Bezüglich Trigger-Phänomenen klärt die <strong>Tanz</strong>therapeutin in einem ersten<br />

Schritt gemeinsam mit ihren KlientInnen ab, in welcher Situation es zu Angst-<br />

und Erregungszuständen kommt, welche sensorischen Eindrücke damit<br />

verbunden sind und was in diesem Moment wo im <strong>Körper</strong> passiert. (261-278)<br />

Dann wird individuell nach einer möglichen Gegenbewegung und nach einer<br />

Handlung (wie beispielsweise „ins Knie oder in den Arm kneifen“) gesucht, die<br />

beim Herunter-Regulieren helfen soll und von der Klientin oder dem Klienten<br />

anschließend auch selber erinnert und durchgeführt werden kann. (283-292)<br />

Hier sieht die Therapeutin ihre Aufgabe darin, gemeinsam mit den KlientInnen<br />

Bewusstsein zu schaffen, Automatismen aufzulösen und <strong>Körper</strong>reaktionen<br />

besser kontrolliert zu lernen. (294-301)<br />

Wurde mit KlientInnen, die noch auf die Entscheidung über ihren Asylantrag<br />

warteten, <strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapeutisch gearbeitet, geschah dies auf<br />

Grund der unsicheren Situation und der Uneinschätzbarkeit der Dauer der<br />

Arbeit in Form von Counseling, „im Sinne der Stabilisierung, des Ankommens<br />

102


im Hier und Jetzt, der Möglichkeit, sich überhaupt unter Menschen zu begeben,<br />

sich mitzuteilen und auch diesen Erfahrungen, die ja immer präsent, immer<br />

spürbar sind, einen Raum zu geben, ohne dass es in einen belastenden<br />

therapeutischen Prozess gehen muss“, der eventuell nicht mehr bearbeitet<br />

hätte werden können. (318-332)<br />

Kategorie 3 <strong>–</strong> Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin sieht in der <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapie<br />

(Londoner Ausbildung nach Laban) eine Therapieform, die „mit einem<br />

salutogenetischen Ansatz sowohl verbale, als auch non-verbale<br />

Kommunikationsformen aufgreift und verbindet.“ (20-26) Klare Räume für<br />

Verbales und Non-Verbales lassen sich ihrer Meinung nach allerdings nicht<br />

allgemein formulieren, sondern sind Einzelfallentscheidungen. Bei<br />

traumatisierten KlientInnen schlägt die Therapeutin allerdings vor, „nicht primär<br />

tanztherapeutisch, sondern erst einmal verbal“ zu arbeiten, weil damit an etwas<br />

Alltägliches angeknüpft wird, was auch Sicherheit gibt. (32-39) Non-Verbales<br />

und damit oft verknüpftes Un- oder Präbewusstes greift die Therapeutin erst<br />

auf, „nachdem ein gutes Arbeits- und Vertrauensverhältnis hergestellt und<br />

erklärt wurde, warum“ sie das nutzen möchte. (39-43)<br />

Auch wenn der Zugang hauptsächlich über Verbales erfolgt und das<br />

gesprochene Wort immer wichtig ist um Erlebtes zu besprechen und zu<br />

reflektieren, kann sich das Verhältnis von Verbalem und Non-Verbalem im<br />

Verlauf der Therapieprozesses verändern, „bis hin zu dass sogar non-verbale<br />

Verfahren oder Interventionen einen größeren Raum einnehmen, als verbale.“<br />

(45-53)<br />

In Einzeltherapien stehen der <strong>Tanz</strong>therapeutin meist Dolmetscher zur Seite. In<br />

den Gruppen-Settings, in denen mehr im Sinne von Counseling gearbeitet<br />

wurde und es weniger um sprachliche Inhalte ging, wurden Dolmetscher nur bei<br />

Bedarf dazu gerufen. (376-391)<br />

In der Arbeit mit traumatisierten KlientInnen, in der oft nicht über die<br />

103


Gewalterfahrungen gesprochen werden kann oder die KlientInnen dies explizit<br />

nicht möchten, sieht die Therapeutin weniger die Frage nach verbaler oder non-<br />

verbaler Interventionsform im Vordergrund, sondern hält es generell für<br />

sinnvoller, „die Folgen dieser Gewalterfahrung zu beachten“. (55-68) Neben<br />

einer zumindest auf bestimmte Aspekte bezogenen Sprachlosigkeit und großen<br />

Ängsten sind dies „geringes Selbstbewusstsein, mit einem geringen<br />

<strong>Körper</strong>gefühl, auch bis hin zur Ablehnung des <strong>Körper</strong>s, gerade bei<br />

sexualisierter Gewalt.“ (68-71)<br />

Ängste beispielsweise kann die Therapeutin auch auf körperlicher Ebene in<br />

Form von engen Bewegungen, sowie in Einschränkungen der Nutzung des<br />

dreidimensionalen Raumes sehen. (90-94) Aber nicht nur die Folgen der<br />

Gewalt, auch die Schutzmechanismen, die ein Organismus entwickelt, spiegeln<br />

sich im körperlichen Ausdruck wieder: „Es wird ja alles in Bewegung<br />

ausgedrückt“. (178-179) Ähnlich wie die Psyche verfügt auch unser <strong>Körper</strong> über<br />

Schutz- und Abwehrmechanismen. Dissoziation beispielsweise zeigt sich „vor<br />

allen Dingen erst mal in der Bewegung“ und <strong>Körper</strong>haltung. (174-178) „Es gibt<br />

bei schwersten Traumatisierungen meist auch eine parallele<br />

Bewegungslosigkeit oder Bewegungsunfähigkeit, was ja als Schutz zu<br />

verstehen ist.“ (415-417) Daran anknüpfend kann auch über Bewegung<br />

entweder der gewählte Schutzmechanismus verstärktoder aber eine<br />

Alternative angeboten werden. (178-186)<br />

<strong>Körper</strong>licher Ausdruck und psychisches Empfinden hängen für die<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutin immer zusammen, beeinflussen sich gegenseitig und lassen<br />

sich nicht trennen. (111-113) Im Verlauf einer <strong>Tanz</strong>- und<br />

Bewegungspsychotherapeutischen Therapie sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin „auf<br />

jeden Fall“ Veränderungen im body image. (239-245) Dabei steht zuerst die<br />

Wahrnehmung im Vordergrund, emotionale Gehalte werden erst später<br />

behandelt. Dann konnte die Therapeutin häufig feststellen, „dass die Menschen<br />

sich auch selbst wieder positiver sehen können und sogar mehr über sich<br />

erfahren wollen“. (245-254)<br />

104


Kategorie 4 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

Die Erfahrungen der <strong>Tanz</strong>therapeutin mit Gruppen sehr unterschiedlicher<br />

kultureller Hintergründe war „meistens sehr gut“, manchmal allerdings, wenn<br />

zwei verfeindete Gruppen zusammentrafen, musste zuerst auf<br />

sozialarbeiterischer Ebene interveniert werden, bevor zusammen getanzt<br />

werden konnte. (348-352) „Wenn sie sich aber darauf eingelassen haben, dann<br />

wurde sehr schnell deutlich: Wir sind alle Menschen. Und das hat Vielen<br />

geholfen und sehr gut getan. Durch das gemeinsame Bewegen, das <strong>Tanz</strong>en,<br />

das Teilen ihrer Musik und ihrer gemeinsamen Hintergründe fühlten sie sich oft<br />

gesehen von Menschen, von denen sie sich vorher nicht gesehen gefühlt<br />

haben.“ (352-357)<br />

Wir alle haben eine Gemeinsamkeit, das war das Fazit vieler<br />

Gruppenmitglieder, die im Verlauf des Prozesses erkannten, dass sie sich<br />

innerhalb der Gruppe auf bestimmten Ebenen auch verstehen konnten, ohne<br />

die Sprache des jeweils anderen zu sprechen. (391-395) „Egal aus welcher<br />

Kultur du kommst, welche Sprache du sprichst, ich kann dir zeigen, ob ich mich<br />

freue, ob ich den Kontakt will oder nicht, ob ich traurig bin, ob ich wütend bin <strong>–</strong><br />

das alles konnten sie auch ausdrücken und andere haben es verstanden,“ (395-<br />

399) weil es Aspekte des Mensch-Seins gibt, „die kulturübergreifend sind und<br />

das festzustellen, das ist schon sehr heilsam.“ (404-406)<br />

Die Arbeit mit Musik, <strong>Tanz</strong> und Bewegung konnte hier zwischen zum Teil sehr<br />

unterschiedlichen Kulturen Brücken bauen. (359-361) Das Setting, das jeder<br />

Kultur Raum gab, sich vorzustellen, ließ jede der Gruppen ihre eigenen<br />

Musikstücke und Tänze präsentieren. Die Mitglieder der anderen Gruppen<br />

konnten zusehen und schließlich auch mitmachen <strong>–</strong> ein Schritt, den die<br />

Therapeutin als „sehr hilfreich und sehr versöhnend“ erlebte. (361-366) Das<br />

gegenseitige Kennenlernen über Bewegung und <strong>Tanz</strong> war Integrationsarbeit,<br />

„sowohl intrapsychisch, als auch interpersonell“. (368-370)<br />

105


Kategorie 5 <strong>–</strong> Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Perspektiven<br />

Wie oben in anderem Zusammenhang schon kurz erwähnt, gab es im Zuge der<br />

Arbeit mit gemischten Gruppen teilweise Bedarf nach sozialarbeiterischer<br />

Intervention, um mit schon vorher dagewesenen Konflikten umzugehen. (348-<br />

352) Was zu Beginn eine Schwierigkeit darstellte, konnte aber bei erfolgreicher<br />

Klärung der Zusammensetzung der Gruppe einen wertvollen Beitrag zum<br />

interkulturellen Dialog und dem Umgang mit dem „Anderen“ liefern.<br />

Die Therapeutin sieht <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapie dann als<br />

kontraindiziert, „wenn jemand Scheu hat, sich non-verbal mitzuteilen, zu tanzen,<br />

sich zu bewegen und sich auszudrücken.“ Freiwilligkeit seitens der KlientInnen<br />

ist eine notwendige Voraussetzung für <strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapeutisches<br />

Arbeiten. (411-414)<br />

Wenn Bewegung zu früh gefordert wird, erhöht sich die Gefahr einer Re-<br />

Traumatisierung, weil das von dem/der Klienten/in als bedrohlich erlebt wird,<br />

weshalb die Therapeutin auch in einem verfrühten Zugang eine klare<br />

Kontraindikation sieht. (414-415, 423-425) Was psychotische KlientInnen<br />

betrifft, verweist die Therapeutin „gerade da“ auf die Wichtigkeit von<br />

Stabilisierung. (427-437) Kontraindikation ist für sie auch keine professionelle<br />

<strong>Tanz</strong>ausbildung, die, nach Ansicht der Therapeutin, „oft sogar hilfreich“ sein<br />

kann, weil sie den Menschen viele Möglichkeiten des Ausdrucks erlaubt. (439-<br />

451)<br />

Was die Perspektiven für <strong>Tanz</strong>- und Bewegungs(psycho)therapie in<br />

interkulturellen Settings betrifft, nimmt die Therapeutin die derzeitige Situation<br />

als „im Wandel begriffen“ wahr. (474) Dass die <strong>Tanz</strong>therapie „noch nicht die<br />

Anerkennung hat, die ihr eigentlich gebührt“, ist nach der Expertin Resultat<br />

politischer Gründe: Neben der Machtposition der Medizin und den damit<br />

verbundenen Schwierigkeiten für andere Therapieformen (475-478) waren es<br />

auch die Streitereien der Berufsverbände, sowie die damit einhergehende<br />

Uneinheitlichkeit der Vorgaben, Richtlinien, Ausbildungskriterien und<br />

Arbeitskriterien, die dem Ansehen der <strong>Tanz</strong>therapie schadeten. (464-474).<br />

Erst seit kurzem versteht sich die <strong>Tanz</strong>therapie auch als eine Form der<br />

106


Psychotherapie (468-470) und ist um Standards bemüht, die so hoch sind wie<br />

die anderer therapeutischer Methoden. (470-474). Von der steigenden Zahl<br />

entsprechender Veranstaltungen und Publikationen lässt sich ableiten, dass<br />

„körperorientierten Verfahren“ heutzutage „immer mehr Aufmerksamkeit<br />

bekommen“, worin die Therapeutin auch die Chance der <strong>Tanz</strong>therapie sieht,<br />

„sich wieder auf den Markt zu setzen“, sofern die Berufsverbände sich<br />

genügend dafür einsetzen. (480-484)<br />

Interview 5<br />

Kategorie 1 <strong>–</strong> Zugang<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin unterrichtete mehrere Jahre lang ägyptischen <strong>Tanz</strong> und<br />

merkte im Zuge dieser Arbeit, dass „mit den Menschen, die da mitmachen,<br />

auch noch viel mehr passiert, als dass sie nur tanzen lernen“. (5-8) Deutlich sah<br />

sie auch „andere Entwicklungen“ in ihren SchülerInnen, durch die dann ihr<br />

eigenes Interesse am therapeutischen Aspekt von <strong>Tanz</strong> wuchs. (8-9)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin hält es für sehr wichtig, „in jede Form von Therapie den<br />

<strong>Körper</strong> mit einzubeziehen“, weil oftmals „mit Sprache allein nicht viel<br />

ausgerichtet werden kann“. (26-30)<br />

Die Therapeutin ist auch ausgebildete Montessori-Pädagogin und arbeitet<br />

deshalb in interkulturellen Settings auch mit Frauen, vor allem aber mit Kindern.<br />

(256-261) Die <strong>Tanz</strong>therapeutin tanzte so auch mit Kindern, die den Bosnien-<br />

Krieg miterlebt hatten (206), sowie mit deren Eltern, sofern diese mitmachen<br />

wollten. Dieses Angebot war nach Montessori-Pädagogik ein ständiges<br />

Angebot im Kindergarten, in dem die <strong>Tanz</strong>therapeutin arbeitete, und wurde bei<br />

Anfrage durchgeführt. Zugang zu den Kindern bestand also schon durch die<br />

gemeinsame Zeit im Kindergarten. (153-154)<br />

An einem steirischen Integrationshaus absolvierte sie ein Praktikum, in dessen<br />

Rahmen sie mit tschetschenischen und afghanischen Kindern tanzte. Dort fiel<br />

107


es ihr und ihrer Kollegin sehr leicht, Zugang zu den Kindern und Jugendlichen<br />

zu bekommen. „Es hat wirklich die Frage gereicht: Was tanzt ihr gern?“ (112,<br />

114-116) Sofort wurden CDs und Kassetten gebracht und die Kinder und<br />

Jugendlichen lernten den Therapeutinnen ihre Tänze. (117-118)<br />

Kategorie 2 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapeutisches Arbeiten nach<br />

Trauma<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin arbeitet Ressourcen-orientiert und stabilisierend, um den<br />

KlientInnen zu helfen, auf behutsame Weise wieder in den <strong>Körper</strong> zurück zu<br />

finden und ihn auch wieder positiv erleben zu können. (53-58) Dabei geht sie<br />

spielerisch vor, „forciert nicht“ und arbeitet auch nicht Konflikt-zentriert. (66-67)<br />

Ihr ist es ein Anliegen, dass ein „Nein-Sagen“ seitens der KlientInnen wirklich<br />

immer Platz hat, auch wenn es vielleicht erst gelernt werden muss. Im Verlauf<br />

der Interventionen sollen die KlientInnen auch lernen, selber zu erkennen, wozu<br />

sie bereit sind und wozu eben nicht. Mit auftretenden Widerständen wird<br />

schonend umgegangen und der Klient/die Klientin als Mensch steht stets an<br />

erster Stelle. (73-82) Freiwilligkeit ist deshalb eine entscheidende<br />

Voraussetzung für <strong>Körper</strong>arbeit. (233-236)<br />

Mit traumatisierten Klienten und Klientinnen stellt die <strong>Tanz</strong>therapeutin Aspekte<br />

wie „Ankommen im <strong>Körper</strong>“ und „im Hier und Jetzt“ klar in den Vordergrund. Am<br />

Anfang der Interventionen stehen Übungen zur <strong>Körper</strong>wahrnehmung, um sich<br />

selber (wieder) zu spüren. (33-39) Erst danach bietet sie strukturierte Übungen<br />

an, die Halt geben sollen. Als Beispiel nennt sie hier Kreistänze, die schnell ein<br />

Gemeinschaftsgefühl vermitteln und „wirklich so einfach sind, dass alle<br />

mitmachen können“. (40-42) Auch die Arbeit mit Rhythmus gibt nach Ansicht<br />

der <strong>Tanz</strong>therapeutin „Halt und Struktur“. In Anlehnung an Laban wird ebenfalls<br />

zum Ziel, den eigenen Platz im Raum zu finden, sowie Abstände, Nähe und<br />

Distanz zu anderen wahrzunehmen. (43-46)<br />

Im Integrationshaus sollte die Maßnahme hauptsächlich stabilisierend sein und<br />

die Möglichkeit bieten, im „trostlosen Alltag“ <strong>–</strong> denn die Menschen hatten zwar<br />

108


schon Asyl, aber trotzdem wenig Aussicht auf Arbeit oder eine Wohnung <strong>–</strong> auch<br />

Spaß zu haben, gemeinsam lachen zu können und fröhlich zu sein. (122-124)<br />

Kategorie 3 <strong>–</strong> Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

Die Frage nach verbalen oder non-verbalen Räumen in der <strong>Tanz</strong>therapie hängt<br />

für die Therapeutin mit der zeitlichen Nähe der traumatischen Erfahrung<br />

zusammen. Sie beobachtete bei den bosnischen Kindern, dass, je näher das<br />

Ereignis war, umso schwerer darüber geredet werden konnte. <strong>Körper</strong>arbeit war<br />

in solchen Situationen umso hilfreicher und konnte auch Spannungen abbauen.<br />

(202-209)<br />

Was die Verständigung in sehr gemischten Gruppen betraf <strong>–</strong> die Therapeutin<br />

hatte keine eigenen Dolmetscher dabei <strong>–</strong> kam es zu „absurden<br />

Übersetzungskombinationen“ (191-195) und es zeigte sich, dass auch <strong>Tanz</strong> in<br />

gelungener Weise „eine hilfreiche Möglichkeit der Kommunikation ist“. (196-<br />

197)<br />

Nach den Erfahrungen der <strong>Tanz</strong>therapeutin kommen zu ihr „nur Leute, die sich<br />

gerne bewegen“ und „dann machen sie das aus dem Grund, weil sie nicht<br />

gleich reden müssen“. (217-221) Deshalb steht für sie „am Anfang von so<br />

einem Gruppenverlauf immer Bewegung im Vordergrund“ und erst dann, mit<br />

zunehmender Sicherheit und Stabilität, werden auch im Gespräch mehr Inhalte<br />

angesprochen. (221-224): Am Integrationshaus beispielsweise wurde mit den<br />

Kindern zuerst getanzt und anschließend gezeichnet. Dabei wurde seitens der<br />

Therapeutinnen nichts vorgegeben, die meisten Kinder zeichneten aber ein<br />

Stück ihrer eigenen Geschichte und wollten dann, im Anschluss an die kreative<br />

Tätigkeit, auch darüber sprechen. (126-130)<br />

Was Veränderungen des <strong>Körper</strong>bildes und der Selbstsicherheit im Verlauf der<br />

tanztherapeutischen Interventionen betrifft, zeigte sich, dass die KlientInnen <strong>–</strong> in<br />

diesem speziellen Fall waren es Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt<br />

geworden waren <strong>–</strong> „in ihrem Auftreten und auch in ihren Möglichkeiten, sich<br />

Hilfe zu holen“ gestärkt wurden. Hier wurde der Therapeutin seitens einer<br />

109


Klientin rückgemeldet, dass sie vor allem durch das Wieder-Ankommen im<br />

eigenen <strong>Körper</strong> und das sicher-in-der-Welt-Stehen schließlich sogar vor Gericht<br />

ihre Interessen durchsetzen konnte. (84-104)<br />

Kategorie 4 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

Im Zuge eines <strong>Tanz</strong>-Projektes mit ca. 14 ausländischen Frauen aus 13<br />

verschiedenen Nationen beobachtete die Therapeutin, dass diese Frauen, „die<br />

sonst nicht miteinander kommunizieren hätten können“, über <strong>Tanz</strong> und<br />

Bewegung zueinander Kontakt herstellten. (198-200) Auch beim gemeinsamen<br />

<strong>Tanz</strong>en mit tschetschenischen und afghanischen Kindern im Integrationshaus<br />

zeigte sich, dass durch „das Tun, das Miteinander“ schnell Kontakt zwischen<br />

den Leuten hergestellt werden konnte und dieses gemeinsame Kreativsein<br />

allen Beteiligten „positive Erlebnisse vermittelte“. (119-122)<br />

Was intrapsychische Integrationsarbeit betrifft, sieht die Therapeutin im <strong>Tanz</strong>en<br />

und dem anschließenden Malen und Besprechen „den Beginn einer<br />

Verarbeitung“ der traumatischen Erlebnisse der Kinder, weil „diese Inhalte<br />

wieder ins Bewusstsein geholt wurden“. (136-137)<br />

Kategorie 5 <strong>–</strong> Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Ausblick<br />

Schwierig ist für die <strong>Tanz</strong>therapeutin die Arbeit mit gemischten nicht-<br />

österreichischen Gruppen traumatisierter Kinder. Sie befürchtet, dass es für die<br />

Kinder und Jugendlichen zu viel sein könnte, sich mit sich selber und der<br />

eigenen schwierigen Situation auseinander zu setzen und dann auch noch mit<br />

Kindern aus einem anderen Kulturkreis mit ähnlicher Problematik zu Recht zu<br />

kommen. (163-168)<br />

Skeptisch steht sie auch der direkten Arbeit an Flüchtlingspensionen<br />

gegenüber, weil diese ihrer Erfahrung nach oft daran scheitert, dass die Leute<br />

im Moment andere, viel basalere Dinge wie Öfen, Heizmaterialien etc. viel<br />

wichtiger bräuchten. (273-279) Die Finanzierung stellt ein weiteres Problem dar:<br />

110


wenn es im Flüchtlingsbereich generell schon schwierig ist, Geld zu bekommen<br />

(308-311), wird <strong>Tanz</strong>therapie auf Grund ihres Exoten-Status nochmals<br />

benachteiligt. Analog zu der Arbeit mit (Kindergarten-)Kindern nimmt die<br />

Therapeutin auch tanztherapeutische Interventionen als zu wenig ernst<br />

genommen wahr. (279-286)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin sieht keine klaren Kontraindikationen (226-231) für<br />

<strong>Tanz</strong>therapie, weil sie der Überzeugung ist, dass die Menschen, mit denen sie<br />

gearbeitet hat, ihre Grenzen sehr genau kannten und nichts mitgemacht hätten,<br />

was ihnen zu viel gewesen wäre. (134-135, 143-146) Was akute psychotische<br />

Schübe betrifft, würde sie aber nur weiter arbeiten, wenn der Rahmen so<br />

geschützt und sicher ist, dass er dies zulässt. (242-246)<br />

Für die Zukunft wünscht sich die <strong>Tanz</strong>therapeutin mehr tanztherapeutische<br />

Interventionen an Schulen und in Kindergärten, sowohl als integrative Arbeit,<br />

als auch zur Unterstützung bei der Trauma-Bearbeitung, da sie die Kinder hier<br />

oft als „alleine gelassen“ erlebt. (288-306) Sie bekommt diesbezüglich auch<br />

regelmäßig Anfragen von Schulen, das Problem ist aber immer die<br />

Finanzierung und hier hofft die Therapeutin auf mehr „Bereitschaft seitens der<br />

Politik“ (311, 315-316), weil sie tanztherapeutische Arbeit in solchen<br />

interkulturellen Settings als sehr bereichernd und als Herausforderung erlebt,<br />

auch die eigenen Vorurteile stets zu hinterfragen. (317-327, 332-333)<br />

Interview 6<br />

Kategorie 1 <strong>–</strong> Zugang<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin hat schon während ihres Psychologie-Studiums getanzt<br />

und im Rahmen diverser Praktika, vor allem aber durch ihre Mitarbeit an einer<br />

psychiatrischen Klinik, gemerkt, dass ihr „das rein verbale Arbeiten zu kurz<br />

greift“. (6-13) Nach dem Einholen von Informationen über verschiedene<br />

angebotene <strong>Tanz</strong>therapie-Richtungen entschied sich die <strong>Tanz</strong>therapeutin für<br />

111


das sehr psychodynamisch orientierte Master-Studium am Laban Centre für<br />

Movement and Dance in London. (14-36) Neben ihrem Zugang als Psychologin<br />

war es ihr auch wichtig, in ihre berufliche Tätigkeit einen <strong>Körper</strong>therapeutischen<br />

Ansatz zu integrieren, weil sie „immer an einer Kombination von verbaler und<br />

non-verbaler Methodik interessiert war.“ (42-43) Sie ist der Überzeugung, dass<br />

rein verbale Trauma-Therapie nicht ausreicht, „weil wir ja auch alles körperlich<br />

gespeichert haben“. (57-60)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin versucht generell, den Begriff „Psychotherapie“ in der<br />

interkulturellen Arbeit zu vermeiden, weil es in vielen Kulturen kein<br />

(entsprechendes) semantisches Konstrukt dafür gibt. Stattdessen erreicht sie<br />

Zugang über Umschreibungen wie beispielsweise „Wir machen Medizin mit<br />

Worten“. (302-315)<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin hat früher auch direkt in Flüchtlingsquartieren mit<br />

denLeuten dort getanzt (248-254). Dabei lud sie, im Gepäck einen<br />

Kassettenrekorder, alle Leute vor Ort ein, mit ihr zu tanzen. Dieses Angebot<br />

wurde von vielen kosovarischen Frauen und Kindern angenommen und weil<br />

„die alle ihre Musik mit dabei hatten“, funktionierte das auch sehr gut und es<br />

war nicht sehr schwierig, Zugang zu den Menschen zu bekommen. (261-277)<br />

Zur Zeit unseres Interviews integriert sie aber <strong>Tanz</strong>- oder <strong>Körper</strong>therapeutische<br />

Interventionen eher in die Arbeit mit ihrer Therapie-Gruppe kosovarischer bzw.<br />

afrikanischer Frauen (60-63), als dass sie tanztherapeutische Projekte leitet.<br />

(237-240)<br />

Während in diesen gruppentherapeutischen Settings mit den afrikanischen<br />

Frauen relativ bald getanzt wurde, weil der Zugang zu <strong>Tanz</strong> bereits bestand und<br />

genutzt werden konnte (145-147), erlebte die Therapeutin das Spazierengehen<br />

für die Kosovarinnen als leichter zugänglich, weil es eine Form der Bewegung<br />

ist, die an Alltägliches anknüpft und auch kulturell tolerierbar ist. (67-68, 133-<br />

138) Dabei zeigte sich, dass sich durch das gemeinsame ritualisierte spazieren<br />

Gehen Zugänge zu den Frauen<strong>–</strong> seitens der Therapeutin, aber auch der<br />

112


Gruppenmitglieder untereinander (99-102) <strong>–</strong> eröffneten, die sonst vielleicht nicht<br />

erschlossen hätten werden können. „Würde ich nur mit ihnen sitzen, würde es<br />

zu kurz greifen“. (65-66)<br />

Kategorie 2 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong>- und Bewegungspsychotherapeutisches Arbeiten nach<br />

Trauma<br />

Analog zur Arbeit mit depressiven KlientInnen sieht die <strong>Tanz</strong>therapeutin auch in<br />

der Arbeit mit Trauma-Überlebenden „kontinuierliche Bewegung“ als einen der<br />

drei Pfeiler einer gelingenden Behandlung. (76-80)<br />

Mit traumatisierten KlientInnen integriert die <strong>Tanz</strong>therapeutin <strong>Tanz</strong> und<br />

Bewegung hauptsächlich in Form von einfachen Bewegungen und<br />

Interventionen auf <strong>Körper</strong>ebene, wie beispielsweise dem Bilden eines Kreises<br />

oder dem gegenseitigen Stützen in Form von Figuren, wie man es auch aus<br />

dem Psychodrama kennt. (55-57) Zusätzlich dazu wird mit der Frauengruppe<br />

auch spazieren gegangen: Durch die Bewegung draußen konnte auch das<br />

anschließende Trinken von stets bereit stehendem Wasser ritualisiert werden,<br />

das eine gesunde Alternative zum sonst bei den kosovarischen Frauen sehr<br />

beliebten schwarzen Tee darstellt. Darin sieht die Therapeutin einen „ganz<br />

wichtigen Gesundheitsaspekt“, weil die meisten Klientinnen über chronische<br />

Kopfschmerzen klagen, die durch zu wenig Flüssigkeitsaufnahme noch<br />

gefördert werden. (105-115) Durch das gemeinsame Spazieren (von der<br />

zweistündigen Sitzung werden immer 20 Minuten für das Erklimmen eines<br />

Hügels in der Nähe genutzt) wird außerdem noch der Gruppenzusammenhalt<br />

gestärkt und die Frauen entwickeln „ein Gefühl für die eigene Kraft“. (151-156)<br />

Im Einzel-Setting, also wenn nur Therapeutin, Klientin und Dolmetscherin<br />

anwesend sind, fällt es oft schwerer tanztherapeutisch zu arbeiten, als mit der<br />

Gruppe. (202-204, 210-212) Aus diesem Grund lässt die <strong>Tanz</strong>therapeutin in<br />

solchen Dreier-Settings eher das Wissen um tanztherapeutische<br />

Zusammenhänge in diverse <strong>Körper</strong>wahrnehmungsübungen einfließen, wie man<br />

sie ja „auch aus der Trauma-Therapie gut kennt“. (216-219)<br />

113


Die <strong>Tanz</strong>therapeutin nützt auch so genannte props, beispielsweise ein body-<br />

band, einen „Kuschelball“ und ein riesiges Tuch aus Lycra (stretch loft).<br />

Während das Weitergeben des Balles die Gesprächsübergabe signalisiert,<br />

werden stretch lofts und body bands verwendet, um die Gruppenkohäsion zu<br />

stärken. (171-183) Musik wird von der <strong>Tanz</strong>therapeutin in diesen Settings „eher<br />

weniger“ verwendet. (184) Generell beschreibt die Therapeutin ihre<br />

Arbeitsweise als „sehr Klienten-orientiert, behutsam und eher spielerisch“. (227-<br />

235)<br />

Durch die stark psychodynamisch orientierte Ausbildung ist der Therapeutin<br />

Beziehungsarbeit besonders wichtig, weshalb erst nach einer genauen verbalen<br />

Abklärung der Befindlichkeit und Phänomenen wie Trigger mit und an dem<br />

<strong>Körper</strong> gearbeitet wird. Auch hier beschreibt die Therapeutin ihre<br />

Vorgehensweise als „sehr behutsam und immer rückversichernd“, um das<br />

getriggert-Werden von Flashbacks oder intrusiven Phänomenen so gut wie<br />

möglich zu vermeiden. (397-401, 403-411) Gemeinsam mit den KlientInnen<br />

wird daran gearbeitet, die Trigger schneller zu erkennen und schonendere<br />

Reaktionen zu finden, um letztendlich ein höheres Maß an Kontrolle zu<br />

erlangen. (411-413)<br />

In der Therapiegruppe mit den kosovarischen Frauen ist es der Therapeutin<br />

darüber hinaus „wichtig, den Fokus auf alle körperlichen Belange zu richten“,<br />

also auch offen über Tabu-Themen wie Sexualität, Depression und Anhedonie<br />

zu sprechen. Hier sieht sie ebenfalls eine Hilfe in körperorientierten Methoden,<br />

die den Therapeuten selbst ermöglichen, „offener über solche Themen zu<br />

sprechen“. (329-336)<br />

Ihre Tätigkeit direkt in den Flüchtlingsquartieren hingegen hatte, bedingt durch<br />

die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, einen anderen Schwerpunkt: Dort<br />

wurde weniger gesprochen <strong>–</strong> es waren auch keine Dolmetscher dabei <strong>–</strong><br />

sondern eher begleitet und stabilisiert. (248-254, 273, 278-280) Es ging auch<br />

darum, die Menschen in ihrer extrem schwierigen und unsicheren Situation<br />

durch etwas Spielerisches zu motivieren und eine Intervention zu setzen, die<br />

„Lebendigkeit bringt und aus einer Starre holt“. (288-296)<br />

114


Kategorie 3 <strong>–</strong> Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutin sieht keine klar abgrenzbaren Räume für verbale und non-<br />

verbale Interventionen (222-223), sondern nimmt beide als sich gegenseitig<br />

überlappend wahr. Ein solches Grenzgebiet wäre das „über-den-<strong>Körper</strong>-<br />

Sprechen“. (219-223)<br />

Wenn sie mit der kosovarischen Frauengruppe spazieren geht, gibt es aber<br />

beispielsweise die Auflage, in diesen zwanzig Minuten nicht über Probleme zu<br />

sprechen. Dies soll die Frauen ermutigen, sich auf ihre (sensorischen)<br />

Wahrnehmungen zu konzentrieren, „den Wind, die Sonne, oder die Kälte zu<br />

spüren“, beispielsweise. (86-94) Im Rahmen der Gruppentherapie sind auch<br />

immer Dolmetscher anwesend, die bei bewegter Arbeit, an die sie meistens in<br />

solchen Settings gar nicht gewöhnt sind, vorher instruiert werden. (165-167)<br />

Unterstützung bekommen sie durch den „Kuschelball“, der auch in<br />

turbulenteren Phasen Ordnung im Gespräch halten soll, sodass leichter<br />

übersetzt werden kann. (177-179)<br />

Generell ist es der Therapeutin in der Arbeit mit traumatisierten KlientInnen<br />

wichtig „immer zu verbalisieren, was gerade passiert“, „das Wort muss immer<br />

die Oberhand behalten“, um eine Re-Traumatisierung durch neuerlichen<br />

Kontrollverlust zu vermeiden. (392-403) Es soll auch verbal-kognitiv verstanden<br />

werden, was wo und wie im <strong>Körper</strong> passiert. Deshalb leistet die Therapeutin<br />

ganz viel Aufklärungsarbeit im Sinn von Psychoedukation, die sie in „der<br />

Flüchtlingsarbeit“ als „extrem wichtig“ erlebt, „auch um erst mal eine<br />

gemeinsame Sprache zu finden“, da manchmal ein Ausdruck in einer Sprache,<br />

auch wenn der Dolmetscher ihn übersetzt, in der anderen Sprache gar nicht so<br />

klar ist. (415-432)<br />

<strong>Der</strong> Therapeutin ist es eigentlich wichtig, alles in einen verbalen Kontext zu<br />

betten, weil bei der Arbeit im Flüchtlingsquartier aber keine Dolmetscher dabei<br />

waren, konnte dort nicht so viel individuell besprochen werden (273) Trotz<br />

weniger Worte wurde das <strong>Tanz</strong>en aber schnell ritualisiert und löste Lachen,<br />

aber auch Weinen bei den Teilnehmern aus. (275-277) Obwohl die<br />

115


aufkommenden Gefühle nicht näher mit der Therapeutin thematisiert werden<br />

konnten, war das <strong>Tanz</strong>en aber „auf jeden Fall bereichernd“, weil es „geholfen<br />

hat, aus der Lethargie herauszukommen“. (276-277, 288-296)<br />

In der Therapie-Gruppe der kosovarischen Frauen wird der <strong>Körper</strong> explizit in<br />

den Fokus gestellt, er wird „schön gemacht, be-malt“ und es wird besprochen,<br />

was dieses sich-schön-Machen mit dem Ich, der Haltung zu sich selbst und der<br />

eigenen Kommunikation nach außen macht. Öfters gibt die Therapeutin<br />

deshalb zum Beispiel die Auflage, mit Lippenstift zu kommen. Ziel ist es, sich<br />

selbst die Erlaubnis zu geben, schön zu sein, „dass der <strong>Körper</strong> wichtig ist, dass<br />

ich das bin“. (319-328) So konnte die Therapeutin im Laufe der Zeit<br />

Veränderungen feststellen, die sich im <strong>Körper</strong> und Ausdruck der Frauen<br />

manifestierten: „Wie ich mich fühle, bildet sich ab in meinem <strong>Körper</strong> und was ich<br />

in meinem <strong>Körper</strong> erlebe, bildet sich darin ab, wie ich kommuniziere“. (503-505)<br />

Die Frauen kleideten sich zunehmend bunter, fingen an, Ohrringe zu tragen und<br />

nahmen auch mehr Blickkontakt mit der Therapeutin und untereinander auf.<br />

Außerdem wurden sie „Raum-greifender“ und konnten sich auch untereinander<br />

(körperlich) näher kommen, was sie zumindest ein Stück weit aus der Isolation<br />

führte. (343-358) Die Klientinnen berichteten darüber hinaus über<br />

Veränderungen an chronischen Symptomen. (358-362)<br />

Kategorie 4 <strong>–</strong> <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

In der Arbeit mit der kosovarischen Frauen-Therapie-Gruppe konnte eher über<br />

das Gehen eine Brücke gebaut werden (143-149), während in den<br />

Flüchtlingsquartieren durch das gemeinsame <strong>Tanz</strong>en ein Gemeinschaftsgefühl<br />

entstand. Dort wurde ein Gemeinschaftstanz getanzt, an dem auch die<br />

Therapeutin relativ schnell teilnehmen konnte, da die <strong>Tanz</strong>schritte einfach<br />

waren. (266-271)<br />

Generell hält die Therapeutin <strong>Tanz</strong> und Bewegung in interkultureller Trauma-<br />

zentrierter Psychotherapie für wichtig und sinnvoll, weil sie an einem Punkt<br />

ansetzt, der allen Menschen gemein ist, nämlich „dass jeder einen <strong>Körper</strong> hat ,<br />

dass jeder <strong>Körper</strong> ein Gedächtnis hat“ und dass Erinnerungen in unseren<br />

<strong>Körper</strong> „imprinted“ sind (542-544) <strong>–</strong> schon das verbindet uns als Menschen.<br />

116


Kategorie 5 <strong>–</strong> Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Perspektiven<br />

Die Therapeutin findet schwierig, dass <strong>Tanz</strong>therapeutInnen teilweise noch<br />

immer belächelt werden. (519-520)<br />

Was Kontraindikationen betrifft, würde sie nicht <strong>Tanz</strong>- oder <strong>Körper</strong>therapeutisch<br />

arbeiten, „wenn jemand sehr starr ist“, „sehr in seinem <strong>Körper</strong>geschehen<br />

gefangen“ und eine Besprechung des Ganzen gleichzeitig nicht möglich ist.<br />

(450-455) Ohne Information <strong>–</strong> vor allem im Sinne von Psychoedukation <strong>–</strong> und<br />

dem Eingehen eines Arbeitsbündnisses, ohne einen soliden Rahmen, der über<br />

Sprache geschaffen wird, fände die Therapeutin es „falsch“, mit <strong>Körper</strong>arbeit<br />

anzufangen. (466-471) Sie ist allerdings der Meinung, dass der <strong>Körper</strong> in eine<br />

gelingende Trauma-Therapie mit einbezogen werden sollte, und wünscht sich,<br />

dass dies auch „mehr gemacht würde“. Dabei stützt sie sich auch auf die<br />

aktuellen Forschungsergebnisse. (479-483) Die <strong>Tanz</strong>therapeutin ist<br />

der Meinung, dass, auch wenn es nicht immer zu konkreten<br />

Bewegungsabläufen kommen muss, „man eigentlich immer über den <strong>Körper</strong><br />

reden muss“. (492-498)<br />

Die Therapeutin findet alles Integrative sehr positiv für die KlientInnen und blickt<br />

„zuversichtlich“ in die Zukunft tanztherapeutischer Interventionen in<br />

interkulturellen Trauma-zentrierten Settings. Da man an den eindeutigen<br />

Forschungsergebnissen „nicht vorbei kommt“, hofft sie, dass der <strong>Tanz</strong>therapie<br />

in den nächsten Jahren immer offener begegnet werden wird. (530-532)<br />

5.5 Zusammenfassung<br />

5.5.1 Persönlicher Zugang zum Medium <strong>Tanz</strong><br />

Die <strong>Tanz</strong>therapeutinnen kamen entweder über <strong>Tanz</strong>/Musik (weil sie merkten,<br />

dass dort mit den Menschen viel mehr passierte, als dass sie nur tanzten) oder<br />

über eher verbal orientierte Psychotherapie zur <strong>Tanz</strong>- (und Ausdrucks- bzw.<br />

Bewegungspsycho-) Therapie, weil ihnen rein verbales Arbeiten zu wenig<br />

war. <strong>Tanz</strong> begleitete sie aber alle schon über lange Abschnitte ihres Lebens<br />

117


hinweg und ihr Weg war stets eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem<br />

Thema Mensch, die, egal von welchem Punkt losgegangen wurde, in der<br />

<strong>Tanz</strong>therapie die Möglichkeit erkannte, sowohl den corps que je suis, als auch<br />

den corps que j’ai (Merleau-Ponty) anzusprechen. Im Mittelpunkt dieser<br />

Berufswahl steht das Verlangen nach einem „Verstehen von Sprache, die<br />

nicht (nur) aus Worten besteht“ (Moore).<br />

<strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapeutische Interventionen werden auch in<br />

interkulturellen Settings der Trauma-Therapie gesetzt, dabei wird aber eher mit<br />

Frauen und Kindern und kaum mit Männern gearbeitet. Handelt es sich bei den<br />

KlientInnen um bereits bestehende Gruppen einer Therapie, im Kindergarten<br />

oder einer Institution beispielsweise, besteht auch meistens schon eine<br />

Beziehung zur Therapeutin, die den Zugang erleichtert. Wird direkt in<br />

Flüchtlingsquartieren gearbeitet, muss diese Beziehung erst aufgebaut werden.<br />

Zusätzlich dazu ist viel Aufklärungsarbeit nötig: Weder ist Therapie ein<br />

kulturunabhängiger Begriff, noch ist immer von vorne herein klar, zu welchen<br />

Zweck getanzt werden soll.<br />

Über <strong>Tanz</strong> und Musik kann relativ schnell ein Zugang zu den Menschen<br />

gefunden werden, oft reicht schon eine Frage wie „Was tanzt du/ihr denn<br />

gerne?“ (Pinter), um in Kontakt zu kommen, auch wenn man sich eigentlich<br />

noch gar nicht so gut kennt. Die eigene Musik und die traditionellen Tänze sind<br />

für viele eine leicht annehmbare Art, sich vorzustellen, etwas über sich zu<br />

erzählen, ohne dabei gleich zu persönlich zu werden.<br />

5.2.3 <strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapeutisches Arbeiten nach Trauma<br />

<strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapeutische Interventionen in der Trauma-Behandlung<br />

sind, unabhängig vom theoretischen Hintergrund der Therapeutin, niemals<br />

explorativ oder Trauma-exponierend. Zwar lesen die Therapeutinnen im<br />

<strong>Körper</strong>ausdruck der KlientInnen meistens auch ein Stück ihrer Geschichte,<br />

doch geht es in solchen Settings weder um das „Ausgraben von<br />

Verschüttetem“, noch um „Selbsterfahrung“, sondern um Stabilisierung.<br />

118


Wird ohne damit verbundene verbale Psychotherapie direkt in<br />

Flüchtlingsquartieren gearbeitet, wird zusammen getanzt, um den Menschen in<br />

einer sehr schwierigen Lebensphase Stabilisierung und Trost anzubieten. Die<br />

Arbeit ist hier auch wegen der Unklarheit der Dauer des Aufenthalts der<br />

Menschen eher als stabilisierende Maßnahme im Sinne von Counseling, als als<br />

Therapie zu verstehen, auch wenn es zu bewegenden Momenten kommen<br />

kann und fallweise deshalb auch zusätzlich ergänzende Psychotherapie<br />

angeboten wird. Die Vorgangsweise ist behutsam, Prozess- und Klienten-<br />

und Ressourcen-orientiert: Freiwilligkeit ist Grundvoraussetzung für das<br />

Mitmachen von Bewegungen. Die Therapeutinnen halten sich bewusst an die<br />

<strong>Körper</strong>peripherie und arbeiten von außen nach innen, um das Zentrum des<br />

<strong>Körper</strong>s, sehr oft der Ort des Traumas (Reddemann), zu respektieren und eine<br />

Re-Traumatisierung zu vermeiden. Respektiert werden auch individuelle<br />

Grenzen und Widerstände, weil es dem Verständnis der <strong>Tanz</strong>therapeutinnen<br />

nach sehr wichtig ist, dass die KlientInnen ein Gefühl dafür entwickeln, an<br />

welcher Stelle sie Nein sagen wollen und dies dann auch zu tun wagen.<br />

Direktiv werden die Therapeutinnen nur, um eben solche wichtigen Grenzen zu<br />

schützen:<br />

Wenn beispielsweise nach Trauma durch sexualisierte Gewalt seitens der<br />

Klientin ein Angebot gemacht wird, mit dem Rumpf oder der <strong>Körper</strong>mitte zu<br />

arbeiten, wird die Therapeutin dies ablehnen und stattdessen eine Intervention<br />

an der <strong>Körper</strong>peripherie vorschlagen.<br />

Gemeinsames Bewegen und <strong>Tanz</strong>en soll auf diese Weise einen sicheren<br />

Raum schaffen, in dem auch der eigene <strong>Körper</strong> sicher ist. Durch die Bewegung<br />

und die Freude daran kann er bzw. einzelne <strong>Körper</strong>teile wieder positiv besetzt<br />

und als Folge dessen oft auch (chronische) Schmerzen transformiert werden.<br />

Muss bei <strong>Tanz</strong>- (und Bewegungspsycho-)Therapie mit traumatisierten<br />

KlientInnen immer getanzt werden? Die Antwort auf diese Frage ist ein<br />

eindeutiges Nein! Es kann zwar getanzt werden, aber oft setzen die<br />

Therapeutinnen andere, auf den ersten Blick einfachere Interventionen, als<br />

119


die, die in einer tanztherapeutischen Ausbildung gelehrt werden. Ein Beispiel<br />

hierfür wäre Spazieren-Gehen, dass relativ leicht annehmbar ist, weil es an<br />

Alltägliches anknüpft. Neben rhythmischer Bewegung stehen in der Arbeit mit<br />

traumatisierten KlientInnen auch Bewegung an sich, <strong>Körper</strong>gefühl,<br />

<strong>Körper</strong>wahrnehmung und <strong>Körper</strong>grenzen im Vordergrund, manchmal wird<br />

auch einfach nur Raum gegeben, um Leib und <strong>Körper</strong> zu sein.<br />

Diese <strong>Körper</strong>wahrnehmungsübungen, wie sie von allen befragten<br />

Therapeutinnen angeboten werden, helfen den KlientInnen dabei, wieder<br />

sicherer in der Welt zu stehen, einen positiven Realitätsbezug herzustellen und<br />

die eigene Position im Raum zu spüren. Außerdem kann durch solche<br />

<strong>Körper</strong>wahrnehmungsübungen verstärkt an Triggern gearbeitet werden: durch<br />

das konkrete Miteinbeziehen des <strong>Körper</strong>s arbeiten KlientIn und TherapeutIn<br />

gemeinsam daran aufzuklären, Bewusstsein zu schaffen, Automatismen<br />

(auch auf <strong>Körper</strong>ebene) aufzulösen und <strong>Körper</strong>reaktionen besser<br />

kontrollieren zu können.<br />

Wird das <strong>Tanz</strong>en (und Musik machen) mit traumatiserten KlientInnen in<br />

irgendeiner Form von einer oder mehreren Personen in Zusammenarbeit mit<br />

verbaler Psychotherapie kombiniert, kann es in späteren Phasen auch zur<br />

Bearbeitung traumatischer Inhalte kommen. Dies geschieht dann allerdings<br />

eher in verbaler Form.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass <strong>Tanz</strong>- (und Ausdrucks- bzw.<br />

Bewegungs-(psycho))-therapeutische Interventionen in der Arbeit mit<br />

traumatisierten KlientInnen nicht mehr nur als <strong>Tanz</strong>- bzw. <strong>Tanz</strong>- und<br />

Bewegungs(-psycho)therapie per se zu verstehen sind: Vielmehr integrieren<br />

sie auch die Erkenntnisse der neueren Trauma-Forschung nach<br />

Reddemann, Sachsse, Rothschild, van Kolk etc. und stellen so auch innerhalb<br />

der <strong>Tanz</strong>therapie (hier als Begriff in vereinfachter, zusammenfassender Form<br />

gebraucht) ein Spezialgebiet dar.<br />

120


5.2.3 Wort, Sprache, <strong>Körper</strong> und Ausdruck<br />

Für alle befragten Therapeutinnen ist klar, dass <strong>Tanz</strong>-Therapie im Sinne eines<br />

integrativeren Menschenbildes verbale und non-verbale Kommunikations-<br />

und Interventionsformen kombiniert.<br />

Auch wenn die befragten <strong>Tanz</strong>therapeutinnen großteils keine klaren Räume für<br />

verbale und non-verbale Interventionen sehen, erfolgt die<br />

Beziehungsgestaltung normalerweise jedoch meistens verbal. Dabei werden<br />

Rahmenbedingungen geklärt und verbal-kognitive Zugänge geschaffen. Erst im<br />

Anschluss daran wird, selbstverständlich nur mit Einverständnis der<br />

KlientInnen, mit dem <strong>Körper</strong> gearbeitet. Parallel dazu oder gegebenenfalls in<br />

einer folgenden dritten Phase wird das Geschehene dann wieder verbal<br />

thematisiert und so auch integriert. Falls notwendig sind hier DolmetscherInnen<br />

anwesend.<br />

Teilweise wird auf expliziten Wunsch der KlientInnen, die das Vertrauen in die<br />

Sprache verloren haben und deshalb lieber <strong>Körper</strong>- bzw.<br />

Bewegungstherapeutisch arbeiten möchten, anfangs eher non-verbal<br />

interveniert. Die Therapeutinnen konnten in solchen Fällen allerdings meistens<br />

beobachten, dass sich das Verhältnis von verbalen und non-verbalen Räumen<br />

im Laufe der Therapie umkehrte, sodass gegen Ende, wiederum auf Wunsch<br />

der KlientInnen, fast nur mehr gesprochen wurde.<br />

In solchen interkulturellen Settings, in denen mehr im Sinne von Counseling<br />

und oft auch ohne Dolmetscher gearbeitet wird, muss auch mehr auf non-<br />

verbaler Ebene kommuniziert werden. Verständigung erfolgt hier zu einem<br />

großen Teil auch über <strong>Körper</strong>sprache, Blickkontakt und Bewegung (Vorzeigen<br />

und Nachmachen). Wenn es trotz anderem Fokus dieser Arbeit dennoch zur<br />

Thematisierung traumatischer Inhalte kommt, werden Dolmetscher dazu<br />

gerufen und es wird verbal interveniert.<br />

Doch auch wenn den Therapeutinnen Dolmetscher zur Seite stehen, bedarf es<br />

bei interkultureller Arbeit oft mehr als nur einer Wort-für-Wort-Übersetzung,<br />

um zu verstehen, was der andere meint. Manchmal ist auch mehr<br />

121


Informationsaustausch und beidseitige Aufklärungsarbeit nötig, um eine<br />

gemeinsame Sprache zu finden oder auch um die jeweilige Bedeutung, die<br />

hinter einem Wort steht, zu verstehen.<br />

Die befragten Therapeutinnen sehen eine Verbindung und gegenseitige<br />

Bedingtheit psychischer Empfindungen und physischer Ausdrücke. Die<br />

Folgen von Traumatisierungen sind auch im <strong>Körper</strong>, im <strong>Körper</strong>ausdruck<br />

und in der Bewegung der Betroffenen sichtbar. Analog dazu zeigen sich auch<br />

im Verlauf der <strong>Tanz</strong>- und Bewegungstherapeutischen Interventionen<br />

Veränderungen am <strong>Körper</strong>bild, im Selbstwert, der Spontaneität und in der<br />

Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung der KlientInnen. Diese wurden<br />

zunehmend sicherer in ihrem Auftreten, fanden immer mehr Freude daran sich<br />

schön zu machen und bunt anzuziehen, wurden Raum-greifender und nahmen<br />

mehr Blickkontakt mit den anderen auf. In einigen Fällen konnten auch<br />

chronische Symptome (beispielsweise schmerzende <strong>Körper</strong>teile) transformiert<br />

werden.<br />

5.2.4 <strong>Tanz</strong> und Bewegung als Brücke<br />

Gemeinsames <strong>Tanz</strong>en, Musizieren und Bewegen ermöglichte es allen<br />

Beteiligten, auch mit Menschen in Verbindung zu treten, deren Sprache oder<br />

Kultur man nicht gut kannte. Allen Therapeutinnen war daran gelegen, dass<br />

solche Begegnungen in einem wertschätzenden statt entwertenden Rahmen<br />

geschahen: Trafen zwei verfeindete Gruppen aufeinander, musste deshalb<br />

vorher auf sozialarbeiterischer Ebene interveniert werden. Dann allerdings<br />

konnte ein Gefühle der Gemeinsamkeit entstehen und ein sehr heilsamer und<br />

versöhnender Prozess trat in Gange: Durch das Hinein-Fühlen in und das<br />

anschließende Mitmachen der „fremden“ Tänze konnten Brücken gebaut<br />

werden, Menschen der einen Gruppe fühlten sich erstmals von Menschen<br />

der anderen Gruppe gesehen (Moore) und es wurde deutlich, dass wir alle in<br />

vielerlei Hinsicht gleich sind, dass es Aspekte des Mensch-Seins gibt, die<br />

kulturelle Grenzen überwinden und dass man sich auch ohne verbale<br />

Sprache sehr gut verstehen kann. Auch wenn der individuelle <strong>Körper</strong>ausdruck<br />

122


„so einzigartig wie ein Fingerabdruck“ (Fritsch) ist, kann Freude, Wut, Trauer,<br />

Bereitschaft zur Kontaktaufnahme oder eben nicht auch ohne Worte<br />

kommuniziert und verstanden werden, worauf ja schon Ekman (1976)<br />

hingewiesen hatte.<br />

Die Therapeutinnen konnten außerdem feststellen, dass <strong>Tanz</strong> und Bewegung<br />

Emotionen und Gefühle, die mit bestimmten <strong>Körper</strong>teilen oder <strong>–</strong>ausdrücken<br />

verbunden waren, erreichen und teilweise auch verwandeln konnten. Die Arbeit<br />

mit <strong>Tanz</strong>, Musik und Bewegung kann also verbindend und versöhnend sein,<br />

in diesem Sinne sowohl intrapsychische, als auch interkulturelle<br />

Integrationsarbeit.<br />

5.2.5. Schwierigkeiten, Kontraindikationen und Perspektiven<br />

Klare Kontraindikationen sehen die <strong>Tanz</strong>therapeutinnen geschlossen nur<br />

dann, wenn überhaupt kein sprachlicher Zugang zur Person zu finden ist<br />

oder jemand einfach nicht möchte, sich also nicht freiwillig für diese Methode<br />

entscheidet. Kontraindiziert sind <strong>Tanz</strong> und Bewegung auch dann, wenn sie zu<br />

früh gefordert werden und so überfordern.<br />

Teilweise würden die <strong>Tanz</strong>therapeutinnen auch nicht als Frau alleine mit<br />

muslimischen Männern aus sehr archaischen Kontexten, mit gewalttätigen<br />

Menschen, bei sehr starker körperlicher Beeinträchtigung des/r Klienten/in oder<br />

mit Berufstänzer und -tänzerinnen arbeiten.<br />

Schwierig ist für fast alle befragten <strong>Tanz</strong>therapeutinnen die Tatsache, dass<br />

<strong>Tanz</strong>therapie in Österreich, Deutschland und Frankreich - im Gegensatz zu<br />

England oder Amerika - als Psychotherapieform, vor allem von Therapeuten-<br />

Kollegen, oft nicht ernst genommen wird. Auch wenn die Therapeutinnen<br />

selbst von der Wirksamkeit ihrer Arbeit überzeugt sind und auch viele neuere<br />

Forschungsergebnisse untermauern, dass der <strong>Körper</strong> in eine gelingende<br />

Trauma-Therapie miteinbezogen werden sollte, ist oft „eine dicke Haut“ nötig,<br />

um mit den Klischees und Vorurteilen, die der <strong>Tanz</strong>therapie teilweise noch<br />

immer anhaften, zurecht zu kommen.<br />

123


Ein damit im Zusammenhang stehendes Problem ist das der Finanzierung:<br />

Wenn es ohnehin schon schwierig ist, finanzielle Unterstützung für Projekte, die<br />

sogenannten Flüchtlingen zu Gute kommen, zu bekommen, hat es die<br />

<strong>Tanz</strong>therapie durch ihren „Exoten-Status“ hier noch zusätzlich schwer. Die<br />

Berufsverbände in Österreich und Deutschland sind aber sehr bemüht darum,<br />

das Image der <strong>Tanz</strong>therapie (hier als zusammenfassender, vereinfachender<br />

Begriff gebraucht), die sich selbst auch erst seit Kurzem in diese Reihe<br />

einordnet, als Psychotherapie zu verbessern. Dies muss und wird durch<br />

Vereinheitlichung der Standards in Vorgaben, Ausbildungs- und<br />

Arbeitskriterien, sowie durch das Erstellen einheitlicher und allgemein<br />

verbindlicher Richtlinien erfolgen.<br />

Alle befragten <strong>Tanz</strong>therapeutinnen sind der Meinung, dass die derzeitige<br />

Situation „im Wandel begriffen“ ist und (bewegte) <strong>Körper</strong>arbeit immer mehr in<br />

den Mittelpunkt des Interesses rückt, was sich auch in der steigenden Frequenz<br />

einschlägiger Publikationen und Veranstaltungen zeigt.<br />

In einer adaptierten Form, die das psychologische und physiologische Wissen<br />

um traumatische Stressreaktionen und Trauma-Bearbeitungsprozesse<br />

integriert, sehen alle befragten Expertinnen <strong>Tanz</strong>- und<br />

Bewegungstherapeutische Interventionen mit traumatisierten KlientInnen<br />

in interkulturellen Settings als sehr sinnvolle und bereichernde<br />

Maßnahmen, die, hoffentlich, in den nächsten Jahren immer häufiger zur<br />

Anwendung kommen wird.<br />

Schlusswort<br />

Nicht nur die Situation der <strong>Tanz</strong>therapie, heutzutage ist noch viel mehr im<br />

Wandel begriffen. Alte Werte gelten nicht mehr, die (scheinheiligen)<br />

<strong>Heilung</strong>sversprechen neoliberalistischer Strömungen werden zunehmend als<br />

solche enttarnt und ihre Folgen treten immer deutlicher ans Tageslicht: Viel zu<br />

vielen Menschen geht es nicht gut. Wie wohlhabend wir auch sein mögen,<br />

124


etwas fehlt doch. Wenn es nicht mehr Religion und schon auch nicht mehr<br />

Reichtum ist, der uns Erlösung bringt, scheinen die aktuell vielerorts zitierten<br />

Flow-Erlebnisse (vgl. Csikszentmihályi, 2005) Potential zu haben, ein goldenes<br />

Kalb unserer Zeit zu werden. So voll und ganz in seinem Tun aufzugehen, dass<br />

man sich Eins mit sich selbst oder noch mehr fühlt, ist allerdings keine<br />

Entdeckung der Neuzeit <strong>–</strong> zu vielen Zeiten wurden viele Wege beschritten, um<br />

diese Einheit zu erreichen.<br />

Integrität ist auch in der Psychotraumatologie ein angestrebtes Ziel.<br />

Fragmentierte Stücke sollen wieder zusammen gefügt, Abgespaltenes integriert<br />

werden, <strong>Körper</strong>, Seele und Geist sollen (wie in vieler nicht-westlicher Medizin<br />

schon lange erkannt und praktiziert) wieder Eins werden, sodass die Energie<br />

fließen und „eingeklemmtes Leben“ (vgl. Moreno, zitiert in Ottomeyer, 2006)<br />

befreit werden kann. Dabei sind sowohl Momente, in denen man völlig in<br />

seinem Tun („flow“) aufgeht, als auch Momente der Reflektion über und<br />

Integration von Geschehenem auf einem abstrakteren Niveau wichtig (vgl.<br />

Ottomeyer, 2006), wie sie beispielsweise in der <strong>Tanz</strong>therapie oder auch im<br />

Psychodrama ihre Anwendung finden.<br />

Auch wenn sie auf ihre eigene Geschichte zurück blicken kann, betreibt die<br />

neuere Psychotraumatologie doch ein Stück weit auch Eklektizismus, blickt<br />

über den Tellerrand und integriert viel „altes Wissen“ in neue, immer<br />

ganzheitlichere Behandlungsansätze. (vgl. Reddemann, van Kolk, Wilson)<br />

Dieses immer ganzheitlicher werdende Menschenbild versucht auch immer<br />

mehr den <strong>Körper</strong>, den wir haben und der wir zugleich auf irgendeine rätselhafte<br />

Weise auch sind (vgl. Plessner, 1970), mit einzubeziehen. Ihn völlig zu<br />

beherrschen (vgl. Foucault, 1976), ihn zu entwerten oder ihn verlassen zu<br />

wollen, funktioniert nicht, wir sind an unseren <strong>Körper</strong> gebunden, mit ihm<br />

verbunden und das wiederum verbindet uns mit anderen Menschen, auch wenn<br />

diese auf den ersten Blick vielleicht ganz „anders“ scheinen.<br />

In interkultureller Trauma-Arbeit ist dieses Anders-Sein oft zentrales Thema und<br />

Brücken müssen gebaut werden, intra-, sowie interpersonell: nicht selten haben<br />

125


traumatisierte Menschen, die noch dazu in Migrationskontexten leben, mit<br />

mehreren Form von De-Attachement parallel zu kämpfen (vgl. Volkan, Wilson,<br />

2004). Die Frage, die am Anfang dieser Arbeit stand, lautete deshalb inwieweit<br />

und auf welche Art bewegte <strong>Körper</strong>arbeit in Form von sogenannten<br />

tanztherapeutischen Interventionen (hier als vereinheitlichter Begriff gebraucht,<br />

da die genaue Bezeichnung je nach Ausbildung und/oder Land variiert), in<br />

interkulturellen Trauma-zentrierten Settings angewandt wird.<br />

Die Interviews konnten zeigen, dass dies auf mehrere Arten geschehen kann:<br />

Wenn auf Grund der unsicheren Aufenthalts-Situation (noch) kein<br />

therapeutischer Prozess indiziert ist und eher im Sinne von Counseling<br />

gearbeitet wird, wirken gemeinsames <strong>Tanz</strong>en und Bewegen oft auch ohne<br />

zusätzliche Therapie als vereinendes Ritual, bei dem (ausgestoßene) Einzelne<br />

wieder in die Gruppe aufgenommen werden (vgl. Peltzer, Ottomeyer, Wilson),<br />

aus der Erstarrung (vgl. Levine, Sachsse) finden und in geschütztem Rahmen<br />

den eigenen <strong>Körper</strong> wieder freudvoll erleben lernen. Auf einer multi-kulturellen<br />

Begegnungsbühne (vgl. Pruckner zitiert in Lind, Renner & Ottomeyer, 2006)<br />

kann auch das eigene Blickfeld erweitert werden:<br />

Durch die Universalität des <strong>Körper</strong>-Habens und des sich-über-den-<strong>Körper</strong>-<br />

Ausdrückens können wahrgenommene Unterschiede zwischen „uns“ und „den<br />

anderen“ relativiert und das „Fremde“ als weniger bedrohlich wahrgenommen<br />

werden. Dabei ist es auch gar nicht so wichtig, ob man die gleiche Sprache<br />

spricht, weil Worte zwar mächtig, aber nicht absolut sind. Wie schon Moreno<br />

sagte: „Die Sprache saugt nicht die ganze Psyche auf“ (zitiert in Ottomeyer,<br />

2006, S.168)<br />

Wenn ein therapeutischer Prozess durch entsprechende Rahmenbedingungen<br />

möglich ist, kann über die zusätzlich geschaffenen Zugänge, die die<br />

<strong>Tanz</strong>therapeutinnen durch ihre Ausbildung haben, sehr integrativ gearbeitet<br />

werden. Neben einer sehr <strong>Körper</strong>-orientierten Aufklärungsarbeit was Trigger<br />

und Intrusionen betrifft, bezieht die Ressourcen-Orientiertheit auch den<br />

konkreten <strong>Körper</strong>, den Bewegungsausdruck und den Raumbezug mit ein. Im<br />

126


Mittelpunkt steht also der Mensch als Leib (vgl. Marcel, Merleau-Ponty,<br />

Plessner), mit dem er sich anderen zeigt, mit ihnen in Beziehung tritt (vgl.<br />

Sartre, 1952).<br />

Natürlich ist das kein „Patent“ der <strong>Tanz</strong>therapie, auch andere Strömungen der<br />

Trauma-Zentrierten Psychotherapie sind darum bemüht, doch sind <strong>Tanz</strong> und<br />

Bewegung insofern besonders, als dass sie etwas ansprechen, zu dem viele<br />

Menschen kulturübergreifend auch nach Schrecklichem noch immer Zugang<br />

finden können, weil es an etwas Bekanntes anknüpft. <strong>Tanz</strong> und Bewegung<br />

appellieren an den Menschen als <strong>Körper</strong>leib im <strong>Körper</strong>leib (vgl. Plessner, 1970)<br />

und als kreatives Wesen (vgl. Winnicott, 1973; Weißmann, 1998) relativ<br />

ungeachtet des jeweiligen kulturellen Hintergrundes <strong>–</strong> eine Tatsache, die sich<br />

die psychodramatischen Verfahren ja auch schon lange zu Nutze machen.<br />

<strong>Tanz</strong> und Bewegung bieten eine Möglichkeit, da zu sein, wo man ist - was nun<br />

den eigenen <strong>Körper</strong> betrifft, aber auch weiter gefasst. <strong>Tanz</strong>en macht im Idealfall<br />

nicht nur Spaß, es bietet uns außerdem die Möglichkeit, unsere eigene<br />

Kreativität auszuleben und es erlaubt uns, über unser <strong>Körper</strong>-Ich anderen<br />

<strong>Körper</strong>-Ichs zu begegnen und nahe zu kommen, ohne dass es dabei um Macht<br />

oder Sexualität gehen muss: <strong>Tanz</strong>en in der Gruppe kann einen sicheren Raum<br />

schaffen, in dem wir auch gefahrlos Eins mit unserem Leib im Jetzt sein<br />

können.<br />

<strong>Tanz</strong>en ermöglicht uns, auch ohne Worte miteinander in Beziehung zu treten,<br />

spielerisch und zugleich wertschätzend miteinander zu inter-agieren, uns zu<br />

zeigen und andere kennenzulernen, ohne alles erzählen zu müssen.<br />

Wie im Trauma-Zentrierten Psychodrama (vgl. Kellermann et.al) wird auch in<br />

der Trauma-Zentrierten <strong>Tanz</strong>therapie nicht forciert, traumatische Inhalte werden<br />

bearbeitet, wenn sie aufkommen, aber es wird nicht nach ihnen „gegraben“:<br />

„Catharsis is neither induced, nor inhibited, but allowed to emerge in its own<br />

time and in its own form.“ (Kellermann, 1992, zitiert in Kellermann, 2000)<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden:<br />

127


<strong>Tanz</strong>therapeutische Interventionen sind sinnvoll und liefern einen wertvollen<br />

Beitrag zu einer <strong>–</strong> das Phänomen Mensch, aber auch die Gesamtheit der<br />

Menschen betreffend <strong>–</strong> immer ganzheitlicher sehenden Trauma-Zentrierten<br />

Psychotherapie. Aus diesen Gründen bleibt zu hoffen, dass mehr Projekte dazu<br />

evaluiert und Berichte darüber publiziert werden, sodass tanztherapeutische<br />

Interventionen nicht mehr nur als Exoten belächelt, sondern als sinnvolle<br />

Möglichkeiten einer Trauma-Zentrierten, kulturübergreifenden Psychotherapie<br />

anerkannt, berücksichtigt und angewandt werden können, denn<br />

Leben ist Bewegung,<br />

Bewegung ist leben.<br />

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