begegnungen-mit-der-seele.pdf
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Seiltänzerin den Abgrund überquert hatte. Nach dieser Überquerung hielten sich die Große Mutter und ihre Schülerin im oberen<br />
geistigen Reich auf. Dort machte die erhabene Lehrerin ihre Schülerin auf einen merkwürdigen Laut aufmerksam, den sie noch nicht<br />
bemerkt hatte, einen wirklich eigenartigen Ton, den sie nie hätte hören können, wäre sie nicht durch die Offenbarungen <strong>der</strong> Großen<br />
Mutter geübt gewesen. Letztere erklärte ihrer Schülerin diesen Laut auf eine Art, daß sie einen Begriff seines Verhältnisses bekam.<br />
Dreißigstes Gespräch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter<br />
Große Mutter: Dieser Laut, den du nun wahrnehmen kannst, weil du in deiner »Welt hinter <strong>der</strong> Neurose« lebst, dieser merkwürdige<br />
Laut ist Atmen. Du hörst jetzt den Atem des Lebens, den Atem Gottes, aus und ein, aus und ein, Geburt und Tod, Geburt und Tod . . .<br />
Ein göttlicher Atemzug ist das ganze Leben eines Menschen.<br />
Spätere Gespräche <strong>mit</strong> dem Großen Geist<br />
Nachwort von Barbara Hannah<br />
Nachdem Anna ihre Gespräche <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter beendet hatte, widmete sie sich für zwei o<strong>der</strong> drei Jahre <strong>der</strong> Interpretation ihrer<br />
Zeichnungen, die sie viele Jahre zuvor am Anfang ihrer Analyse bei Toni Wolff gemacht hatte.<br />
Nach Beendigung dieser Arbeit begann sie den Text »Anna Marjula« zum Privatdruck vorzubereiten. Sie leistete selbst die ganze<br />
umfangreiche Arbeit, die nötig war, denn die Originalfassung <strong>der</strong> Gespräche war viel zu lang und unhandlich, um ungekürzt publiziert<br />
zu werden. Mein Beitrag war es, ihr Manuskript von Zeit zu Zeit durchzulesen und ein paar Vorschläge zu machen.<br />
Während dieser Zeit fühlte Anna sich viel besser als vor ihren Gesprächen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter, sie fühlte sich tatsächlich<br />
vollkommen geheilt - das Ziel, nach dem sie so lange gestrebt hatte. Sie fuhr <strong>mit</strong> ihrer Analyse fort, aber nicht weil sie spürte, daß sie<br />
für ihre Gesundheit nötig war, noch um ihre bis dahin lähmenden Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle zu kurieren, son<strong>der</strong>n allein um ihr<br />
Bewusstsein zu erweitern. Sie war vollkommen davon überzeugt, daß Bewusstseinserweiterung das dringendste Bedürfnis des<br />
mo<strong>der</strong>nen Menschen war. Jedoch hatte ihre Kindheits- und Jugen<strong>der</strong>fahrung <strong>mit</strong> ihrem außerordentlich Unbewussten Vater sie viel<br />
tiefer und verhängnisvoller verwundet, als sie realisiert hatte und es gab in ihrer ganzen Beziehung zu Männern und zum Animus<br />
immer noch einen Bereich, wo erneut Probleme entstehen und alles Erreichte zunichte machen konnten. In »Anna Marjula« haben wir<br />
gesehen, daß ihr Vater vollkommen unbewusst und daher ohne Reue über das geblieben ist, was er seiner unglücklichen Tochter<br />
angetan hatte und immer noch antun wollte, sogar auf seinem Totenbett.<br />
Die Töchter solcher Väter setzen Sexualität und Inzest gleich, und deshalb wirkt in ihnen das strenge überlieferte Inzesttabu so<br />
überwältigend, wann immer <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> Sexualität o<strong>der</strong> einer intimen Beziehung <strong>mit</strong> Männern berührt wird. Aus diesem Grunde<br />
leistet dieser Bereich Wi<strong>der</strong>stand und bleibt unverän<strong>der</strong>t, sogar bei einer so gründlichen Wandlung, wie Anna sie in dem Material<br />
erlebt hat, daß sie in »Anna Marjula« beschreibt.<br />
Tatsächlich genügte es, um Anna für einige Jahre ruhig und glücklich zu machen, so daß sie sich <strong>der</strong> Interpretation ihrer frühen Bil<strong>der</strong><br />
und <strong>der</strong> Vorbereitung von »Anna Marjula« widmen konnte. Aber als diese Arbeit getan war, fing die Tabu-Zone an, ihr Mühe zu<br />
machen und sie erkannte schmerzlich, daß mehr Arbeit in <strong>der</strong> aktiven Imagination nötig war, bis sie auf ihre Wandlung bauen konnte<br />
und frei wurde für die Existenzweise des »Regenmachers«, die sogar dem vorgeschrittenen Alter noch Sinn verleiht.<br />
Sie hatte das voll realisiert und wir diskutierten schon wo wir beginnen sollten, als uns ein Traum von ihr zu Hilfe kam. Sie gibt ihn<br />
wie folgt wie<strong>der</strong>:<br />
Ich bin in einem Restaurant <strong>mit</strong> Selbst-Bedienung (self-service o<strong>der</strong> Dienst am Selbst!). Die Tür öffnet sich und Professor Jung<br />
kommt herein. Er setzt sich an meinen Tisch und spricht <strong>mit</strong> mir. Dann än<strong>der</strong>t sich die Lage, ich sitze und Jung steht nun an meiner<br />
rechten Seite und spricht <strong>mit</strong> einem Mann. Ich kann dem Gespräch nicht folgen, denn sie reden wie Gleichgestellte <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> und<br />
ihr Thema ist für meinen Verstand zu hoch. Aber während sie reden, versteckt Jung mich die ganze Zeit hinter seinem breiten Rücken<br />
und hält meine Hand. Durch diese Berührung fühle ich, wie ein Strom neuen Lebens in mich hineinfließt.<br />
Der Fremde ist offensichtlich eine Animusfigur, <strong>der</strong> sie noch nicht begegnet ist, denn tatsächlich war ihre Arbeit am Animus in »Anna<br />
Marjula« hauptsächlich auf den negativen Bereich beschränkt. Daß diese Figur zu Jung wie zu seinesgleichen über »Themen, die ihren<br />
Verstand überstiegen« sprach, zeigt daß sie von einer positiven Ebene ihres Animus kommt, <strong>der</strong>en sie sich noch gar nicht bewußt war.<br />
Mir schien deshalb, daß diese Figur das Gegenstück zur Großen Mutter auf <strong>der</strong> männlichen Seite war und daß dieser Animus sie, falls<br />
er bereit war, <strong>mit</strong> ihr zu sprechen, so weit in den Bereich des Logos <strong>mit</strong>nehmen konnte, wie die Große Mutter sie in den Eros<br />
<strong>mit</strong>genommen hatte. Die Übertragung auf Jung war ja immer durch das gestört, was ihr Vater ihr angetan hatte und sehr oft in den<br />
Händen ihres negativen Animus. Diese Traumfigur schien deshalb auch in dieser Hinsicht eine Gelegenheit zu größerem Fortschritt zu<br />
bieten, eine Hoffnung, die in <strong>der</strong> Folge wirklich erfüllt wurde.