begegnungen-mit-der-seele.pdf
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die Tatsache erlangt haben, daß wir nicht nur ein bewußtes Ich, son<strong>der</strong>n auch ein winziges Teilchen <strong>der</strong> unermeßlichen kollektiven<br />
Geschehnisse im Unbewussten sind.<br />
Reaktionen: Antiklimax und Rückkehr zur Großen Mutter<br />
Wir müssen nun die ältere Frau betrachten, die in ihrer Analyse die Vergangenheit nochmals durchlebt hat, um eine befriedigende<br />
Erklärung ihrer Großen Vision zu erhalten und die nun <strong>mit</strong> dem Problem konfrontiert war, wie sie ihr neu gewonnenes Wissen<br />
verarbeiten sollte. Soviel wir wissen, ist es sehr schwierig, nicht inflationiert zu werden, wenn wir <strong>mit</strong> archetypischen Figuren in<br />
Berührung kommen. Denn wenn wir den Fehler machen, uns <strong>mit</strong> ihnen zu identifizieren, dann folgen unweigerlich zuerst Inflation<br />
danach Deflation. Genau das passierte <strong>der</strong> Patientin nach <strong>der</strong> letzten Deutung ihrer Großen Vision. Anstatt ihre neu gewonnene<br />
Einsicht für die bessere Anpassung an die Erfor<strong>der</strong>nisse des Leben zu gebrauchen, meinte sie nun nach allem, was sie in <strong>der</strong> Analyse<br />
durchgemacht hatte, sie habe ein Recht auf Gesundheit, die ihr fertig in den Schoß fallen sollte, da<strong>mit</strong> sie sie besitze und sie genießen<br />
und ausschließlich für ihre persönlichen Zwecke benutzen konnte. Zwar konnte sie die Deutung durch die Große Mutter als richtig<br />
anerkennen, aber <strong>mit</strong> dieser Erklärung in <strong>der</strong> Hand sah sie die Tore des Paradieses nicht offen, wie sie gehofft hatte. Statt dessen und<br />
aus diesem Grunde mußte sie durch einen Tiefpunkt und durch bittere Enttäuschung gehen. Wie wir wissen, hatte sie praktisch ihr<br />
ganzes Leben nach <strong>der</strong> wahren Erklärung gestrebt. Sie hatte sich daran geklammert als ihre einzige Rettungschance. Und jetzt, da sie<br />
sie bekommen hatte, sah sie, daß die Deutung nicht die Macht besaß ihre Neurose zu heilen. (Natürlich machte sie den schrecklichen<br />
Fehler, darauf zu insistieren, daß sie sofort geheilt werden müsse, gerade in dem Moment, wo sie ihre vorherige Haltung demütig in<br />
den hingebungsvollen Dienst an den Unbewussten Mächten hätte umwandeln sollen, die ihr so wesentliche Wahrheiten enthüllt<br />
hatten.)<br />
In dieser Depression und Verzweiflung steckte ein altbekannter Freund seine vertrauenswürdige Nase durch die Tür und betrat die<br />
Szene wie<strong>der</strong>. Ihr alter Animus, den sie für eine Weile aus den Augen verloren hatte, ohne ihn zu vermissen, war zurückgekommen,<br />
um sie zu trösten, ihr »die Augen zu öffnen«, wie er selber seine Funktion nannte und dadurch (aber das erwähnte er vor-<br />
sichtigerweise nicht) seine verlorene Macht über sie wie<strong>der</strong>zugewinnen. Er hatte nur auf einen günstigen Moment gewartet und da war<br />
er, unverkennbar und versicherte ihr fortgesetzt, daß sie <strong>mit</strong> jedem Schritt, den sie auf <strong>der</strong> glitschigen Spirale gewonnen hatte, die sie<br />
erklettern mußte und die die Leute »lndividuationsweg« nennen, zwei Schritte zurückgeglitten war. Natürlich war dieser Aufstieg, wie<br />
er sagte, viel zuviel für ihre Kräfte, sie mußte doch nun selbst sehen, daß die Anstrengung nur ihrer Gesundheit schadete. Es war<br />
höchste Zeit das Abenteuer zu beenden. Mit diesen und vielen ähnlichen Einflüsterungen bombardierte er sie.<br />
Die Patientin lauschte ihm <strong>mit</strong> einem Ohr, das ist wahr, aber in ihrem an<strong>der</strong>en Ohr hörte sie das schwache Echo verschiedener Worte,<br />
die die Große Mutter gesprochen hatte und die glücklicherweise für sie nicht ganz verloren waren. In den Dialogen über die Erfüllung<br />
des Schicksals hatte die Große Mutter wirklich eine empfängliche Seite in <strong>der</strong> Seele <strong>der</strong> Patientin angerührt und <strong>der</strong>en Einstellung zu<br />
ihrer Vergangenheit und zum künftigen Leben hatte sich verän<strong>der</strong>t. So hatte sie nun den wahren Grund für die Verzögerung ihrer<br />
Heilung zu Gesicht bekommen, nämlich ihren eigenwilligen Charakter, <strong>der</strong> enormen Wi<strong>der</strong>stand dagegen leistete, erfolgreich<br />
analysiert zu werden, denn sie hatte die fatale Tendenz immer Recht zu behalten. Solange sie ihren arroganten Schatten (<strong>der</strong> als<br />
Kompensation für ihre Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle fungierte) nicht genügend erkannt hatte, ging sie gelegentlich so weit, neurotische<br />
Regressionen zu benutzen, um ihren Analytikerinnen zu beweisen, wie sehr sie im Unrecht waren und wie sehr sie (o<strong>der</strong> ihr Animus?)<br />
stets Recht hatte. Ein nicht sehr geeignetes Mittel um gesund zu werden, das muß man zugeben. Mit dieser Haltung hatte sie sich ein<br />
ausgezeichnetes Versteck für Unbewusste Schattenseiten und die vielgeliebte Animus-Besitzergreifung verschafft. Solange ihre<br />
großartige Ankündigung nicht wirkungsvoller durch die Analyse erklärt werden konnte, waren Schatten und Animus zufrieden und<br />
das Mädchen selbst krank und unglücklich, jedoch wurde sie immer durch die Idee getröstet, daß sie die Stärkere, um nicht zu sagen<br />
die Überlegene war. Jetzt mußte sie solche Animus-Meinungen loswerden. Während <strong>der</strong> erwähnten Inflation hatte er die Gelegenheit<br />
gehabt, sie <strong>mit</strong> seinen Gedanken aufzupumpen, bis sie ein aufgeblasener Ballon war. Und als die Deflation kam, <strong>der</strong> unangenehme<br />
Tiefpunkt, hatte sie sich an ihn als ihre letzte Stütze geklammert. Insgesamt funktionierte dieser Zustand <strong>der</strong> Animusbesessenheit wie<br />
einer jener Schleier, den <strong>der</strong> Animus so gern über seine Opfer wirft, während sie durch diesen Schleier geblendet war, konnte sie nicht<br />
klar sehen, daß sie tatsächlich den Gipfel erstiegen hatte, von wo aus sie das Versteck zerstören konnte, das Schatten und Animus und<br />
ihr ganzes Komplott gegen sie verbarg.<br />
Die Patientin mußte ihren geliebten Verführer entlassen und zu ihrer Großen Mutter zurückkehren, was sie auch tat, aber nicht ohne<br />
Schwanken und Zögern. Sie wußte inzwischen, daß es nur einen Weg gib, um Macht über den Animus zu gewinnen, nämlich tiefer in<br />
die Dunkelheit des Schattens zu blicken, um diese Figur von ihm zu unterscheiden und sie wußte auch, daß dies <strong>der</strong> einzige Weg war,<br />
um wirklich in Einklang <strong>mit</strong> ihrer unglücklichen Vergangenheit und den schmerzhaften Wunden zu kommen, die sie früher<br />
empfangen hatte. Die Große Mutter hatte natürlich ihre eigene Art <strong>mit</strong> den Schleiern des Animus umzugehen. Sie fing an, <strong>der</strong><br />
Patientin Demut und Opferung des Ich beizubringen und bereitete so den Weg für ein tiefes Eintauchen ins Unbewusste, wo ihre<br />
Schülerin das herausfischen sollte, was jetzt für ihre weitere Individuation notwendig war. Es war das Leben hinter <strong>der</strong> Neurose, <strong>mit</strong><br />
dem sie sich noch nicht befaßt hatte, das Leben, daß die Große Mutter für sie gelebt hatte und das sie in ihre Hände zurückzugeben<br />
versprach, sobald sie reif genug wäre es selbst zu leben. Zur Demut und dem Tod des Ego sagte die Große Mutter das Folgende.