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anzunehmen wie immer sie liefen. So weit hatte sie ihre Vision auf wun<strong>der</strong>bare Weise verstanden. Aber <strong>der</strong> zweite Teil, den wir die<br />

Ankündigung nennen könnten, war viel komplexer. Hier mußte offensichtlich eine symbolische Verwirklichung gemeint gewesen<br />

sein.<br />

In jenen frühen Zeiten, als sie ihre Vision hatte, hatte die Patientin noch nie von psychologischen Symbolen gehört und dachte, daß die<br />

Worte ohne jeden Zweifel buchstäblich gemeint waren. Doch war sie normal genug um jeden Versuch einer realen Verwirklichung als<br />

eine Gefahr zu sehen, die sie über die Grenze geistiger Gesundheit hinaustreiben konnte. Sie machte nie einen solchen Versuch, aber<br />

sie war in einem Wirrwarr gefangen und wollte leidenschaftlich aus dieser Sache herauskommen. Lei<strong>der</strong> konnte sie wegen <strong>der</strong>en<br />

numinosen Aspekts, <strong>der</strong> sie so überwältigt hatte, nicht da<strong>mit</strong> fertig werden. Da sie ein introvertierter Fühltyp <strong>mit</strong> sehr guter Intuition<br />

war, konnten ihre differenzierten Funktionen sie mehr o<strong>der</strong> weniger auf sicherem Kurs gehalten haben. Aber das Mädchen sah die<br />

Klippen nicht, die ihr unbewusster Schatten aufgestellt hatte und unglücklicherweise wählte sie ihren Animus als Steuermann.<br />

Die Wechselwirkung von Schatten und Animus<br />

Die positiven Schattenanteile, die wir weibliche Instinkte nennen, waren in <strong>der</strong> frühen Kindheit und zu Beginn <strong>der</strong> Mädchenjahre <strong>der</strong><br />

Patientin verletzt worden, wir werden später darauf zurückkommen. Wenn die Instinkte verkrüppelt o<strong>der</strong> verwundet sind, können sie<br />

nicht gut funktionieren, vor allem verursachen sie Schmerzen. Deshalb hatte die Patientin sie unterdrückt. Aber wenn die Instinkte im<br />

unterdrückten Zustand bleiben, ist ihr Wachstum blockiert. Folglich fehlte <strong>der</strong> Patientin <strong>der</strong> Halt, den normal entwickelte Instinkte ihr<br />

hätten geben können. Sie mußte die Botschaft <strong>der</strong> geheimnisvollen Stimme ohne die Hilfe eines normalfunktionierenden Schattens zu<br />

verstehen versuchen, eine Hilfe durch die sie sonst <strong>mit</strong> beiden Füßen auf dem Boden geblieben wäre. Statt dessen machte sich <strong>der</strong><br />

Animus zum Herrn über den Inhalt <strong>der</strong> Ankündigung. Daß <strong>der</strong> Animus diese Macht hatte, geschah aufgrund <strong>der</strong> Tatsache, daß er <strong>mit</strong><br />

dem Schatten zusammen gegen die Patientin spielte. Ihre verletzten Instinkte verursachten Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle in ihr, die nach<br />

irgendeiner Art von Kompensation riefen. Dieser Mechanismus hatte dann bei dem Mädchen zu übermäßigem Ehrgeiz geführt. Erst<br />

während <strong>der</strong> Spannung ihrer Prüfungen begann sie daran zu zweifeln, ob sie begabt genug war, die For<strong>der</strong>ungen ihres Ehrgeizes zu<br />

erfüllen. Und dies war <strong>der</strong> von Schatten und Animus lange vorausgesehene Moment, sich <strong>mit</strong> etwas auf sie zu stürzen, was sie ihr als<br />

die beste Lösung vorstellten. Wirklich, was könnte einfacher und leichter sein, als das ganze Gewicht des Konflikts auf einen<br />

hochbegabten Sohn zu schieben und ihr so den Weg freizumachen, sich ehrenvoll und schmerzlos auf gerechtfertigten mütterlichen<br />

Stolz zurückzuziehen? Das wäre wirklich ein herrlicher Beweis für die Genialität dieses Paares! Wie gesagt, man konnte den zweiten<br />

Teil <strong>der</strong> Vision als Befehl für eine buchstäbliche Verwirklichung betrachten (und das wäre die niedrigere Ebene), o<strong>der</strong> (auf höherer<br />

Ebene) für symbolische Verwirklichung. Der Animus hatte die niedrigere Ebene um seinetwillen gestohlen, denn die Ausson<strong>der</strong>ung<br />

von Liebe und Sexualität aus einer zukünftigen Beziehung des Mädchens <strong>mit</strong> einem männlichen Partner ist Unsinn, eine solche Idee<br />

konnte von niemandem als dem Animus kommen. Es ist sogar möglich, daß er die Worte <strong>der</strong> Stimme ein wenig verän<strong>der</strong>t hat - nicht<br />

sehr - nur ein Hauch (nur gerade so viel, daß er bekam, was er wollte!). Man weiß darüber nichts. Das ist nur eine Vermutung, aber es<br />

würde zu seiner Natur passen und die Tatsache bleibt, daß die Vision erst viele Jahre später nie<strong>der</strong>geschrieben wurde. Auf einer<br />

höheren seelischen Ebene hatte die Ankündigung, wie wir sehen werden, eine völlig an<strong>der</strong>e Bedeutung. Aber bevor wir uns von den<br />

pri<strong>mit</strong>iven Ideen des Animus verabschieden, muß deutlich werden, daß <strong>der</strong> Animus zwei verschiedene Ebenen o<strong>der</strong> Aspekte in seinem<br />

eigenen Wesen hat.<br />

Zwei Animusaspekte<br />

In seinem ursprünglichen Aspekt ist er lediglich <strong>der</strong> persönliche Animus und bedeutet das kleine Stück unentwickelter Männlichkeit,<br />

daß die weibliche Seele enthält. In diesem Aspekt erstreckt er sich vom Koboldartigen und Neckenden bis zum Teuflisch<br />

Destruktiven, aber all dies im persönlichen Bereich. Er kann in dieser persönlichen Sphäre sogar eine positive Figur sein und erscheint<br />

so auch oft, beson<strong>der</strong>s heute, da die Frauen Männerarbeit ausführen, die sie <strong>mit</strong> ihrer Weiblichkeit allein nicht gut machen könnten.<br />

Auf <strong>der</strong> höchsten Ebene sehen wir ihn als Großen Geist an. Jede wesentliche Inspiration muß dieser Figur zugeschrieben werden.<br />

Meistens ist er höchst positiv. Wenn er in diesem oberen Bereich negativ ist, dann ist er auf einer unpersönlichen Ebene negativ. In<br />

diesem Falle ist er auf je<strong>der</strong> Stufe ein großer böser Geist, die ganze Stufenleiter hinauf bis zu Satan selbst.<br />

Im Leben dieses Mädchens sehen wir ihn in fast jedem Aspekt wirken. Wir haben schon in einigen <strong>der</strong> Gespräche seine witzige<br />

neckende Art gesehen und auf <strong>der</strong> höheren Ebene müssen wir ihm zugute halten, daß er ihre schöpferische musikalische Arbeit<br />

inspiriert hat. Im zweiten Teil <strong>der</strong> Vision zerstört er auf einen Schlag sowohl ihre zukünftige Karriere (indem er sagt, sie sei nicht ihre<br />

Berufung) wie auch ihre Möglichkeiten als Frau (indem er normale Reaktionen aus <strong>der</strong> sexuellen Beziehung ausschloß). Aber auf <strong>der</strong><br />

höchsten Ebene ist er wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> meditierende Faktor, <strong>der</strong> es ihr schließlich ermöglicht, die symbolische Bedeutung dessen zu<br />

sehen, was die Stimme ihr angekündigt hat.<br />

Eine Marien-Phantasie<br />

Jung sagte einst zu <strong>der</strong> Patientin, ihre Große Vision sei eine »Marien-Phantasie« gewesen und zeigte ihr drei Parallelen zwischen<br />

Marias Situation und ihrer Vision. Erstens hat Maria ihr Kind vom Heiligen Geist empfangen, wahrscheinlich ohne sexuelle Lust,<br />

zweitens gebar Maria ein Göttliches Kind, einen »Genius« und drittens war das Kind illegitim.

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