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aufzulehnen. Sie blieb noch lange ihr Opfer. Die Worte <strong>der</strong> Großen Mutter wurden sofort von Animusmeinungen nie<strong>der</strong>geschrien, die<br />

leichter zu glauben waren. An diesem Punkt hatte die Patientin in ihrer größten Not folgenden bemerkenswerten Traum.<br />

Traum<br />

Die Patientin nähert sich einem großen Gebäude. Eine Nonne kommt heraus, begrüßt sie und gibt ihr einen Rosenkranz, <strong>der</strong> nur aus<br />

wenigen Perlen besteht. Jede Perle ist ein Gebet. Die Nonne sagt zu ihr, sie solle mehr Perlen auf den Rosenkranz aufreihen, schwarze<br />

Perlen, die glänzend und strahlend würden, sobald sie sie aufgereiht habe.<br />

Interpretation des Traumes<br />

Die Patientin gab ihre Assoziationen zu den Perlen bzw. Gebeten. Sie sagte, ihr Name sei Demut, Armut und Fasten <strong>mit</strong> dem Herzen.<br />

Die Demut spricht für sich. Armut verband sie <strong>mit</strong> folgenden Worten aus Rilkes »Stundenbuch«: »Armut ist ein Glanz aus innen.«<br />

Das »Fasten <strong>mit</strong> dem Herzen« wurde von Meister Eckhart als Mittel empfohlen, geistliches Leben zu erlangen. Die Nonne wurde als<br />

Darstellung <strong>der</strong> geistigen Frau gedeutet, die die Patientin (die Protestantin war) in sich entwickeln und als ihr Schicksal annehmen<br />

sollte. Die schwarzen Perlen waren Schattenanteile, die ihre Dunkelheit verlieren würden, wenn sie von ihr auf ihre eigene kleine<br />

Kette (des Bewusstseins) aufgereiht werden.<br />

Nach solch einem klaren Traum scheint es fast unglaublich, daß die Patientin ihre Haltung nicht endgültig än<strong>der</strong>te. Sie könnte das eine<br />

Zeitlang tun -sie war wirklich beeindruckt -, aber es hielt nicht lange an. Die überaus klare Sprache, die von ihrer Analytikerin o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Großen Mutter benutzt wurde, provozierte den Animus sogleich zu eigenen drastischen Bemerkungen. Die Patientin versäumte<br />

dann nie sich <strong>mit</strong> ihm zu identifizieren und jedes seiner Worte zu glauben.<br />

Diesmal wendete <strong>der</strong> Animus, um den Einfluß <strong>der</strong> Nonne die auf einmal erschienen war, auszulöschen, einen beson<strong>der</strong>s subtilen Trick<br />

an. Er nahm die Neigung <strong>der</strong> Patientin zu religiöser Hingabe auf und sagte ihr sie solle ihr Schicksal, ihr Leiden und ihre Neurose<br />

willig annehmen und sogar sexuelle Befriedigung aus ihrer religiösen Bereitschaft für den vielleicht von ihr so zu nennenden<br />

»grausamen Koitus Gottes« <strong>mit</strong> ihr ziehen. Hier mischte sich die Analytikerin ein und erklärte den Unterschied zwischen dem<br />

Gehorsam gegen Gott und dem Gehorsam gegen den Animus. Die Analytikerin zeigte ihr, wie groß ihre Neigung zum Masochismus<br />

war, ein Masochismus <strong>der</strong> <strong>mit</strong> extremer Weiblichkeit verbunden ist, so wie Sadismus <strong>mit</strong> extremer Männlichkeit gepaart sein kann.<br />

Die Patientin konnte ihre Tendenz zum Masochismus einsehen und das führte zur folgenden Diskussion <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter.<br />

Das zweite Gespräch <strong>mit</strong> zur Großen Mutter<br />

Patientin: Meine Große Mutter, wenn ich nur eine positive Annahme meines Schicksals erreichen könnte, anstatt diese törichte<br />

passive Tapferkeit zu hegen, die mich dazu treibt die Neurose auszuhalten und masochistische Befriedigung zu erdulden.<br />

Große Mutter: Sieh deinem Masochismus ins Gesicht und schau die moralische Befriedigung an, die du aus ihm bekommst, die<br />

stärkende Überzeugung, daß du eine Heldin bist, die willig endlose Becher voller Bitterkeit trinkt. Du ziehst daraus ichhafte<br />

Bewun<strong>der</strong>ung und vermeintliche Energie. Wenn du alle diese Besitztümer opfern kannst, die dir so wertvoll zu sein scheinen, dann<br />

können positive Kräfte in Aktion treten.<br />

Patientin: Mein Leben ist auf heroisch ertragenes Leiden aufgebaut. Das ist meine Stütze und Rechtfertigung. Es hält mich aufrecht.<br />

Wenn ich das aufgeben soll, werde ich sehr schwach werden.<br />

Große Mutter: Du bist ohnehin sehr schwach, nur weißt du es nicht.<br />

Patientin: Ist es richtig anzunehmen, daß mein Wunsch nach Größe mich <strong>mit</strong> einer riesigen Neurose versehen hat? Ich meine es so,<br />

wenn ich im wirklichen Leben nicht groß sein kann, dann bin ich es wenigstens im neurotischen Leiden.<br />

Große Mutter: Du konntest nie deinen Größenwahn opfern und einfach eine gewöhnliche Frau sein. Deshalb hast du die Neurose<br />

gewählt und da<strong>mit</strong> die Möglichkeit passiver Größe. Dein neurotisches Leiden war groß, aber unfruchtbar. Nochmals, Masochismus ist<br />

eine gefährliche Macht. In <strong>der</strong> Hitze des Leidens identifiziert sich <strong>der</strong> Masochismus <strong>mit</strong> seinem Gegenstück, dem Sadismus. Du quälst<br />

dich selbst. Kannst du den Sadisten in dir erkennen?<br />

Patientin: Ich habe ihn immer Animus genannt.<br />

Große Mutter: Schau deine ehrgeizige Neurose an. Laß uns sie <strong>mit</strong> einem großen Namen belegen, sadistisch-masochistisches<br />

Heldentum. Wir könnten sie auch kleinmütige Furcht nennen, denn du bist zu geschmacklos um deines arroganten Schattens gewahr<br />

zu werden. Wandle deinen negativen Heroismus in positive Demut um. Der erste Beweis für wahre Größe ist es, die dunklen Kräfte in

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