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Stimme und die Botschaft). In Bezug auf den zweiten Teil dieser Vision (ihr zukünftiges Schicksal als Frau) meinte die Analytikerin,<br />

daß diese Idee insgesamt wohl eine wankende Animus Meinung sei! Sie wies darauf hin, daß <strong>der</strong> Animus ein sehr schlechter Ratgeber<br />

in weiblichen Liebesdingen sein kann, z.B. sei das Wort »Liebe« in <strong>der</strong> Botschaft <strong>der</strong> geheimnisvollen Stimme überhaupt nicht<br />

aufgetreten. Und wie ausgesprochen unweiblich war <strong>der</strong> Inhalt dieser Botschaft! So unweiblich, daß sie kaum einer an<strong>der</strong>en Figur als<br />

dem Animus zugeschrieben werden konnte. Diese Deutung schlug bei <strong>der</strong> Patientin ein und än<strong>der</strong>te wirklich ihre Haltung gegenüber<br />

<strong>der</strong> Autorität <strong>der</strong> Stimme. Der Zauber war gebrochen. Die Bemerkungen <strong>der</strong> Stimme als Animus Meinungen zu betrachten, bedeutete<br />

im Moment die Rettung um die Macht, die <strong>der</strong> Animus über sie hatte, zu reduzieren. Sie ging fast so weit die ganze Angelegenheit<br />

auszuwischen und fühlte sich dabei sehr erleichtert.<br />

In einer viel späteren Phase mußte die religiöse Schattierung <strong>der</strong> Vision wie<strong>der</strong>hergestellt werden, denn von einer höheren Warte aus<br />

gesehen erschienen das Mana und die Autorität <strong>der</strong> Stimme gerechtfertigt, aber in niedrigeren und pri<strong>mit</strong>iveren Bereichen des Geistes<br />

waren sie höchst deplaziert und kamen wörtlich genommen dem Wahnsinn gefährlich nahe. Einstweilen war die Patientin kein<br />

bißchen auf diesem höheren Niveau und das erste und Dringendste war für sie bestimmt, von dieser zwanghaften und verheerenden<br />

Animus-Idee loszukommen. Die Analytikerin riet ihr, den Kontakt <strong>mit</strong> dem Animus so vollkommen wie möglich abzubrechen, weil er<br />

die Patientin wirklich schlecht behandelte. Weiter schlug die Analytikerin vor, daß die Patientin sich besser einem positiven<br />

weiblichen archetypischen Bild nähern sollte, z.B. <strong>der</strong> Großen Mutter. Sie spielte da<strong>mit</strong> auf die Figur an, die Jung gewöhnlich die<br />

»chthonische Mutter« nannte, aber die Patientin, die nichts über diese Figur wußte, beschwor wie wir sehen werden, ihre eigene Große<br />

Mutter herauf.<br />

Tief beeindruckt folgte sie dem Vorschlag ihrer Analytikerin, <strong>der</strong> sich sehr günstig auswirkte, weil sie einen höchst positiven<br />

Mutterkomplex hatte. Der frühe Tod ihrer Mutter war eingetreten bevor sie dieses so geliebte Wesen überhaupt kritisieren konnte.<br />

Und die Aura von Heiligkeit, die den Tod umgibt, machte die menschliche Mutter zu einer beinahe archetypischen Figur: weise,<br />

liebevoll und verläßlich. Es war für die Patientin nur ein kleiner Schritt zu einer positiven Mutterübertragung auf die archetypische<br />

Mutterfigur, die im kollektiven Unbewussten enthalten ist. Außerdem wurde diese Übertragung durch die wachsende Liebe<br />

unterstützt, die die Patientin zu ihrer mütterlichen Analytikerin (Frau Jung) fühlte, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> sie einen beson<strong>der</strong>s engen Kontakt hatte. In<br />

<strong>der</strong> Folge schrieb sie <strong>der</strong> archetypischen Großen Mutter die Autorität, Weisheit und Macht des Selbst zu, dieser gebietenden Figur, die<br />

die Ganzheit aller psychischen Wesenheiten symbolisiert. So ausgestattet könnte die Große Mutter <strong>der</strong> Patientin zeitweilig als<br />

passende weibliche Parallele zu Gott angesehen werden, eine Stellvertreterin, die in den Gesprächen leichter erreicht werden konnte<br />

als ein männlicher Gott, denn die Patientin hatte sowohl einen negativen Vaterkomplex als auch einen gefährlichen unzuverlässigen<br />

Animus. Als ihre Analytikerin ihr das klar machte, wies sie es nicht zurück, son<strong>der</strong>n fuhr fort ihre innere Ratgeberin »Große Mutter«<br />

zu nennen, um sich ihr näher zu fühlen. Sonst hätte sie sich ihrem Selbst nicht <strong>mit</strong> solcher Offenherzigkeit und Verwegenheit nähern<br />

können.<br />

Da nun <strong>der</strong> Fall in einiger Ausführlichkeit eingeführt ist, kommen wir zum Hauptanliegen. Wir werden nun versuchen, Einsicht in das<br />

innere Wachstum o<strong>der</strong> die Individuation zu bekommen, die aus den Gesprächen <strong>der</strong> Patientin <strong>mit</strong> ihrer Großen Mutter resultierten.<br />

Nach jedem Gespräch werden wir die Reaktionen des Animus betrachten, soweit wir sie kennen, indem wir dem mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

deutlich sichtbaren Einfluß beson<strong>der</strong>e Beachtung schenken, den beide, die Große Mutter und <strong>der</strong> Animus, auf die Patientin hatten. Es<br />

ist wichtig zu merken wie die Stimme des Animus, die zuerst so beherrschend war, langsam zum Schweigen gebracht wird und wie<br />

dieser mächtige Regent am Ende von seiner erhöhten Position herunterkommt und sich in eine positivere, aber auch höchst machtvolle<br />

Kraft zu entwickeln beginnt. Diese Entwicklung des zuerst negativ erscheinenden Animus geht zusammen <strong>mit</strong> dem seelischen<br />

Heilungsprozeß <strong>der</strong> Patientin, ja ist fast identisch <strong>mit</strong> diesem Prozeß. Da ihre Individuation eine langsame und detaillierte<br />

Entwicklung war, mußte das Material erheblich gekürzt werden, bevor es dargestellt werden konnte. Es wurden nur die wichtigsten<br />

Punkte ausgewählt, während weniger wichtig erscheinende Details ausgelassen worden sind.<br />

2 Das erste Gespräch<br />

Die ersten Gespräche <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter fanden bald nach dem ereignisreichen Tag statt, an dem die Patientin die Vision, die sie<br />

in ihrer Jugend hatte, als Animus-Idee verstehen konnte. Sie nahm den Kontakt zur Großen Mutter etwas zögernd auf, als fände sie es<br />

immer noch schwierig, sich von ihrem Animus zu trennen, obwohl sie ihn nun deutlich als ihren Folterer erkannt hatte. Sie versuchte<br />

den Kontakt zur Großen Mutter in <strong>der</strong> folgenden Weise aufzunehmen.<br />

Das erste Gespräch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter<br />

Patientin: Meine Große Mütter, ich will mich dir nähern und <strong>mit</strong> dir reden, aber ich sehe dich nicht sehr deutlich. Du bist wie unter<br />

einem Schleier. Wenn ich versuche den Schleier von dir wegzunehmen, hüllt er den Animus ein und macht ihn für mich unsichtbar,<br />

was mir gefährlich zu sein scheint. Warum ist das so?<br />

Große Mutter: Vermutlich hat <strong>der</strong> Animus seinen Schleier an dem Tag über mich geworfen, als er von deiner Analytikerin demaskiert<br />

wurde. Er tat das, weil er Macht über dich hat, wenn ich unsichtbar bleibe. Sprich <strong>mit</strong> mir, auch wenn ich verschleiert bin und hab ein

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