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in ihrem Heimatland weilte o<strong>der</strong> krank war - bis 1952 <strong>mit</strong> mir, als ich für einige Monate nach Amerika ging. Das war ein großes<br />

Glück für Anna, denn dann ging sie zu Emma Jung, <strong>der</strong> das ganze Verdienst gehört, in diesem Fall die Wendung gebracht zu haben.<br />

Frisch daran gehend sah Emma Jung sofort, daß <strong>der</strong> Animus Anna durch ihre »große Vision« beherrschte und sie vernagelte sein<br />

Geschütz indem sie die Vision als wie<strong>der</strong> so eine »schwankende Animus Meinung« abwertete. Bevor er Zeit hatte sich zu erholen,<br />

wich sie ihm <strong>mit</strong> dem Vorschlag aus für den Augenblick weitere direkte Gespräche <strong>mit</strong> dem Animus zu unterlassen (so wie Anna es<br />

bei mir versucht hatte) und statt dessen die aktive Imagination direkt auf »irgendein positives weibliches archetypisches Bild<br />

anzuwenden, wie etwa die Große Mutter«. Es ist unwahrscheinlich, daß ich an diese Methode gedacht haben würde, denn obwohl bei<br />

meiner eigenen aktiven Imagination weibliche archetypische Figuren sehr hilfreich für mich gewesen sind, hatten sie sich bis dahin<br />

immer still verhalten, nur die männlichen Figuren o<strong>der</strong> mein persönlicher Schatten waren gewillt zu reden. Ich erwähne das, weil es<br />

zeigt, daß man einen Analysanden in <strong>der</strong> aktiven Imagination nur so weit bringen kann, wie man selbst gegangen ist.<br />

Es ist meiner Erfahrung nach ziemlich selten, daß eine höhere weibliche Figur wie die Große Mutter in Anna Marjulas Material<br />

bereitwillig so lange Gespräche führt. (Mir ist nur ein an<strong>der</strong>er ähnlicher Fall begegnet, wo <strong>der</strong> Animus ebenso stark war.) Es schien<br />

mir fast als sei die Große Mutter, die klar ein Aspekt des Selbst ist, unserer täppischen Bemühungen überdrüssig geworden und habe<br />

beschlossen die Angelegenheit selber zu übernehmen. Jedenfalls als Anna nach Emma Jungs Tod zu mir zurückkehrte, war die<br />

Analyse zweifellos in den Händen <strong>der</strong> Großen Mutter.<br />

Das bedeutete nicht, daß ein menschlicher Analytiker überflüssig geworden wäre. Anna war immer noch ziemlich ängstlich in Bezug<br />

auf diese Gespräche, sie erlebte ihre Große Mutter so unvorhersehbar und außer Fassung bringend, daß sie mehrere Jahre lang nur in<br />

<strong>der</strong> Schweiz und <strong>mit</strong> meiner Begleitung zu diesen Unterhaltungen bereit war. Das war sehr klug von ihr, denn obwohl ich glaube diese<br />

Gespräche werden den Leser davon überzeugen, daß kein menschliches Wesen so weise und weitsichtig wie die Große Mutter sein<br />

könnte, gehört sie doch einer an<strong>der</strong>en Wirklichkeit an und ist sich <strong>der</strong> menschlichen Bedingungen und Grenzen nicht immer bewußt.<br />

Deshalb ist ein menschlicher Begleiter absolut unentbehrlich beim tiefen Eintauchen in das Unbewusste, wie Anna es unternahm. Wie<br />

Jung einmal sagte, brauchen wir die Wärme des häuslichen Herdes, wenn wir die seltsamen Dinge sehen müssen, die das Unbewusste<br />

hervorbringt.<br />

Ich möchte erwähnen, daß ich keinen Einfluß auf Anna Marjulas Dokument hatte. Ich habe ihr eines Tages gesagt, sie solle dafür<br />

sorgen, daß ihre Gespräche <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter aufbewahrt werden. Sie erwi<strong>der</strong>te, daß sie für den Fall ihres Todes sehen würde,<br />

daß sie nicht zerstört würden, son<strong>der</strong>n zu mir kämen. Ein paar Jahre lang hörte ich wenig darüber; bis sie mir das Manuskript brachte,<br />

das abgesehen von einigen Kürzungen kaum verän<strong>der</strong>t worden ist. Ich gebe zu, daß ich eine Wissenschaftlichere Form vorgezogen<br />

hätte, <strong>mit</strong> Fußnoten, Anmerkungen, Amplifikationen usw., aber je<strong>der</strong> Vorschlag in dieser Richtung störte und verwirrte Anna nur. So<br />

beschloß ich, es bis auf einige Kleinigkeiten unberührt zu lassen und als menschliches Dokument zu stehen o<strong>der</strong> zu fallen. Aber es ist<br />

in einem wichtigen Sinne wissenschaftlich, es ist unentwegt ehrlich und ich kann bezeugen, daß nichts verdreht, verän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong><br />

»verbessert« wurde.<br />

Beim Lesen von Annas eigenen Deutungen sollte man wissen, daß sie ein Fühltyp ist. Denken ist ihre min<strong>der</strong>wertige Funktion, aber es<br />

war nötig für ihre Interpretationen. Deshalb haben letztere oft den eigentümlich apodiktischen und unbeugsamen Charakter, <strong>der</strong> für<br />

diesen Typ bezeichnend ist.<br />

Anna schrieb ihren Bericht in <strong>der</strong> Rolle eines imaginären Vortragenden, um sich mehr Distanz von ihrem Material zu verschaffen.<br />

Ihre Deutungen haben daher eine subjektive Färbung, es waren die Interpretationen die ihr halfen und zu diesem speziellen Fall<br />

passen. Aber es sollten aus ihnen keine allgemeinen Rückschlüsse auf an<strong>der</strong>e Fälle gezogen werden, denn ihr Wert ist von ganz<br />

individueller Art. Sie unterstreichen die Wahrheit von Jungs Überzeugung, daß man die wesentlichen Dinge nur aus dem eigenen<br />

Unbewussten erhält. Annas Unbewusstes belehrte sie in dieser Art, aber Ihres o<strong>der</strong> meines würde uns auf die Weise erreichen, die zu<br />

unserem persönlichen Muster paßt, deshalb möchte ich diese individuelle Ausrichtung nicht durch allgemeine Deutungen verflachen.<br />

Der Leser sollte vor allem an den subjektiven Blickwinkel denken, wenn Anna von Gott spricht. Sie meint immer das Bild Gottes in<br />

ihrer eigenen Seele. Wenn sie von Gott redet, meint sie ihr subjektives Bild von dieser Figur. Sie erklärt diesen Punkt selber, aber ich<br />

kann mir gut vorstellen, daß <strong>der</strong> Leser durch manches was Anna über Gott, Christus und Satan sagt zu Recht schockiert ist, wenn über<br />

diesen Punkt Unklarheit herrscht.<br />

Um dem Leser ein besseres Verständnis des persönlichen und psychischen Traumas zu ver<strong>mit</strong>teln, <strong>mit</strong> dem Anna bei ihrem Kampf<br />

bewußter zu werden und ihre Neurose zu überwinden belastet war, gebe ich im folgenden eine Zusammenfassung <strong>der</strong> Geschichte ihres<br />

Falles, die in <strong>der</strong> Fallstudie detaillierter berichtet wird. Während <strong>der</strong> frühen Kindheit und Jugend erlitt Anna, ein begabtes und<br />

intelligentes Kind, durch ihren völlig Unbewussten und neurotischen Vater Verletzungen ihrer Weiblichkeit. Auch erlebte sie den<br />

frühen unnatürlichen Tod ihrer ganzen Familie. Zuerst starb ihre Mutter, dann ihr jüngerer Bru<strong>der</strong>, ihre Schwester und später ihr<br />

Vater.<br />

Ihre Erfahrungen <strong>mit</strong> dem Vater ließen sie als scheues unsicheres Mädchen zurück, das zur Zeit <strong>der</strong> Reifung unfähig war, normale

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