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Denselben Gedanken finden wir bei Meister Eckhart fast hun<strong>der</strong>t Jahre später. Er sagte, daß die Gnade Gottes nur von denen erfahren<br />

werden kann, die das ganze Elend des in Sünden Verlorenseins kennen und er wies darauf hin, daß deshalb alle Apostel beson<strong>der</strong>s<br />

große Sün<strong>der</strong> waren. Diese Idee lag also schon zu Hugo von St. Viktors Zeit in <strong>der</strong> Luft, obwohl wir nicht wissen wie weit sie<br />

wirklich in sein Bewusstsein gedrungen war. Jedenfalls gibt er dank seiner glücklicherweise wissenschaftlichen Genauigkeit<br />

wahrheitsgetreu wie<strong>der</strong> was seine Seele sagt, wenn auch zuerst nur als eine Art Unterhaltung zwischen Archetypen.<br />

Da die Seele nun festen Boden gewonnen hat, erlaubt sie Hugo ganz ruhig, sie so viel zu beschimpfen wie er mag, was er auch recht<br />

ausführlich tut. Nur manchmal langweilt sie sich ein wenig und unterbricht ihn <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Bitte, ihr noch mehr über diese faszinierende<br />

Liebe zu sagen.<br />

Der Dialog wird einmal von Hugo durch ein sehr interessantes Bekenntnis unterbrochen, das er direkt an Gott richtet und in dem er<br />

selber die Verantwortung für alle die Sünden auf sich nimmt, die er bis dahin <strong>der</strong> Seele zugeschrieben hat. Er dankt für die<br />

einzigartigen Gaben, die ihm zuteil geworden sind und sagt, Gott habe viele seiner Zeitgenossen in <strong>der</strong> Finsternis <strong>der</strong> Unwissenheit<br />

gelassen, während Hugo beson<strong>der</strong>s <strong>mit</strong> Erleuchtung begünstigt worden ist, durch die er Gottes Willen besser erkennen kann. Er sei<br />

dadurch fähig Gott besser zu erkennen und Ihn reiner zu lieben, ehrlicher an Ihn zu glauben und Ihm leidenschaftlicher zu folgen als<br />

seine Zeitgenossen. Er sagt Dank für die beson<strong>der</strong>en Gaben, die er erhalten hat, empfängliche Sinne, große Intelligenz, gutes<br />

Gedächtnis, Leichtigkeit und Zauber <strong>der</strong> Sprache, überzeugendes Wissen, Erfolg bei<strong>der</strong> Arbeit, Liebenswürdigkeit im Umgang <strong>mit</strong><br />

seinen Kollegen, Fortschritt bei seinen Studien, Ausdauer, usw.<br />

Da das Bekenntnis da<strong>mit</strong> beginnt, daß Hugo die Sünden, die seine Anima begangen hat, als seine eigenen anerkennt, handelt er sehr<br />

klug, wenn er seine Aufmerksamkeit auf die entsprechenden positiven Eigenschaften lenkt. Sobald wir unsere negativen Seiten<br />

realisieren, sind wir zu sehr geneigt ihr Gegenteil zu vergessen. Doch ist die menschliche Psyche wie alles an<strong>der</strong>e immer doppelt:<br />

positiv und negativ.<br />

Nach diesem Bekenntnis hält die Seele eine lange Rede, in <strong>der</strong> sie erkennt, daß diese Liebe <strong>mit</strong> Recht einzigartig genannt wird, auch<br />

wenn sie zugleich universal ist. Es scheint ihr sogar, als habe ihr Bräutigam nichts an<strong>der</strong>es zu tun, als an ihre Erlösung zu denken. Sie<br />

macht eine Konzession gegenüber Hugos Standpunkt, indem sie ihre Sünden bereut, denn sie sieht, daß sie jetzt durch sie daran<br />

gehin<strong>der</strong>t wird zu lernen, ein Gefäß für diese Liebe zu sein.<br />

Dann geschieht eine <strong>der</strong> interessantesten Begebenheiten in diesem Text. Hugo verkündet, daß ein Wun<strong>der</strong> geschehen sei und sagt:<br />

Ich sehe nun, wie du seit Beginn unseres Gespräches vieles in den Mittelpunkt gestellt hast, daß das Gegenteil von Liebe zu sein<br />

schien und wie du dadurch die Macht <strong>der</strong> Liebe nicht verringert, son<strong>der</strong>n zunehmend verstärkt hast.<br />

Die Seele gibt nicht nach, bis Hugo auch etwas von ihrem Standpunkt übernimmt, nun ist es nicht mehr eine Unterredung zwischen<br />

Archetypen, son<strong>der</strong>n ein direktes Zugeständnis von Hugos Seite, daß alles was ihm an ihr so mißfiel, die Liebe gestärkt und nicht<br />

geschwächt hat. Sowie <strong>der</strong> lebensmüde Mann in seinen letzten Reden etwas vom Ba übernommen hat, so übernimmt Hugo, wenn<br />

auch in viel geringerem Maße, etwas von seiner Seele. Die Dinge ins Zentrum zustellen hat natürlich die Bedeutung, sie bewußt zu<br />

machen, sie dem Selbst zu übergeben anstatt sie in einer Ecke als private Sünden zu behalten und sie <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Zeit zu vergessen.<br />

Diese gegenseitigen Geständnisse haben eine u<strong>mit</strong>telbare praktische Auswirkung, denn die Seele stellt ihm eine letzte Frage:<br />

Ist es ihr Bräutigam, <strong>der</strong> sie manchmal spürbar berührt, so zart und doch <strong>mit</strong> solcher Kraft, daß sie sich völlig verwandelt fühlt?<br />

Diese feine Substanz, die die Seele berührt, wird in <strong>der</strong> Alchemie oft erwähnt. Das Rosarium Philosophorum berichtet z.B., daß einige<br />

Meister das Geheimnis gesehen und sogar <strong>mit</strong> ihren Händen berührt haben. Und die Alchemisten sagen oft: » Wir sprechen wovon wir<br />

wissen und bezeugen was wir gesehen haben.« Jung betonte oft, daß die Alchemisten nur für jene schrieben, die diese Dinge erfahren<br />

haben und keinen Versuch machten, die Sache denen zu erklären, die keine Erfahrung hatten. Unsere Textstelle berührt dieses<br />

Problem wie auch das Problem <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt, aber es würde zu weit führen, hier mehr darüber zu sagen.<br />

Hugo antwortet seiner Seele, daß es wirklich ihr Bräutigam ist, <strong>der</strong> sie berührt, aber nur als Vorgeschmack dessen was noch kommen<br />

wird. Er ist für sie noch unfaßbar und unsichtbar und oft glaubt sie, er sei nicht da, sie kann ihn noch nicht besitzen. Hugo fleht sie an,<br />

den Einen zu erkennen, zu lieben, ihm zu folgen, ihn zu ergreifen und zu besitzen. Der Text endet <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong> Seele, daß<br />

dies nun ihr größter Wunsch sei.<br />

Schluß<br />

Der Text hört <strong>mit</strong> einem fast vollständigen Sieg des Mannes über die Seele auf, so vollständig, daß man sich fragen muß, ob das<br />

Ganze nicht zu gut ist um wahr zu sein. Zweifellos ist das im weitesten Sinne ein Problem <strong>der</strong> Zeit, als die Richtung zur

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