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sie zum ersten Mal hören, wir bewahren sie aber irgendwo auf und sie wird vielleicht Jahre später wie<strong>der</strong> auftauchen, oft sogar als<br />

unsere eigene Idee! Jetzt scheint es so als würde Hugo nur Brot ins Wasser werfen.<br />

Im letzten Satz behauptet Hugo, daß sich die Seele selbst sehen kann und daß ihr Auge nie klar sehen wird, bevor sie das tut.<br />

Offensichtlich warnt er sie vor <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Projektion. Wir können weiter annehmen, daß er wie ein Alchemist seine extravertierte<br />

Anima zu zwingen versucht, <strong>der</strong> durchsichtige Stein zu werden, ihre Kräfte zu verinnerlichen und sie durch Gerinnung in den<br />

unzerstörbaren Kristall o<strong>der</strong> Diamant zu verwandeln.<br />

Er fährt fort, indem er ihr sagt sie solle eine Meinung von außen bedenken, wenn sie sich nicht sehen könne. (Er spielt da<strong>mit</strong> auf eine<br />

frühere Bemerkung von ihr an, daß »<strong>der</strong> Mann sein eigenes Gesicht eher durch das Ohr als durch das Auge kennenlernt«.) Dann<br />

erwähnt er erstmals ihren Bräutigam und daß dieser, obwohl sie ihn nicht gesehen hat, doch sie gesehen und geliebt hat. Er liebt sie<br />

<strong>mit</strong> einzigartiger Liebe sagt Hugo, die sie jedoch mißachtet und verschmäht. Wenn sie ihn nicht sehen kann, soll sie seine Gaben als<br />

Mitgift betrachten. Er zählt diese Gaben auf, alles was sie in <strong>der</strong> sichtbaren Welt liebt.<br />

Darauf schilt er sie ernstlich, daß sie die sichtbaren Gaben annimmt und den verborgenen Geber ignoriert. Sie solle sich hüten o<strong>der</strong> sie<br />

werde Hure statt Braut genannt, wenn sie Geschenke annimmt und nicht als Liebe zurückgibt, wenn sie die Gaben <strong>der</strong> Liebe des<br />

Gebers vorzieht. Entwe<strong>der</strong> weise sie die Gaben zurück o<strong>der</strong> sie erwi<strong>der</strong>e sie <strong>mit</strong> einzigartiger Liebe zu dem Bräutigam <strong>der</strong> sie ihr gibt.<br />

Das ist die einzig wahre Liebe.<br />

Hugo nimmt die For<strong>der</strong>ung an, ihr einen an<strong>der</strong>en Spiegel zu verschaffen. Klug gibt er ihr einen Gegenstand <strong>der</strong> Liebe und versucht<br />

seine Existenz zu beweisen, indem er Ihn als den unsichtbaren Geber aller Dinge zeigt die sie sieht und schätzt.<br />

In kirchlicher Sprache ist <strong>der</strong> Bräutigam Christus o<strong>der</strong> Gott, in psychologischer Sprache das Selbst. Hugo tut das, was wir auch tun<br />

können, um eine übermächtige Anima bzw. Animus zu entmachten. Er bemüht sich, sie in den Dienst des Selbst zu stellen.<br />

Grundsätzlich ist <strong>der</strong> Konflikt zwischen einem Mann und seiner Anima o<strong>der</strong> einer Frau und ihrem Animus unlösbar, denn sie<br />

repräsentieren das grundlegendste Gegensatzpaar, männlich und weiblich. Deshalb besteht die einzige Hoffnung dieses Problem zu<br />

lösen, darin es zu überwachsen wie es speziell im »Geheimnis <strong>der</strong> Goldenen Blüte« ausgedrückt ist und am Schluß des Kapitels vom<br />

»Lebensmüden Mann« erwähnt wird. In Jungs Kommentar hören wir, daß ein unlösbares Problem selten nach seinen eigenen<br />

Bedingungen gelöst wird, son<strong>der</strong>n daß es seine Dringlichkeit durch das Dämmern einer neuen Lebensmöglichkeit verliert. Hugo strebt<br />

solch eine Lösung an, so wie auch <strong>der</strong> Ba das Problem des lebensmüden Mannes nicht nach dessen Vorstellungen löste, son<strong>der</strong>n ihm<br />

etwas Wichtigeres zeigte, ein gemeinsames Heim <strong>mit</strong> dem Ba. Hugo und seine Seele können nur im Selbst versöhnt werden. »Gott ist<br />

eine Vereinigung <strong>der</strong> Gegensätze«, wie Nikolaus Cusanus sagt.<br />

Hugos Geist weiß sehr wohl um diese Tatsache, aber seine Anima nicht. Sie ist zu tief in die Sinnenwelt verstrickt, so daß es seine<br />

einzige Hoffnung ist, sie durch eine Sprache, die sie versteht, allmählich zum Wissen über die Existenz eines Vereinigers <strong>der</strong><br />

Gegensätze zu führen. Sehr weise gibt er jeden Versuch auf, ihr die Welt, die sie liebt wegzunehmen, son<strong>der</strong>n er benutzt sie zum<br />

Beweis seines Anliegens, indem er sie als die Gabe eines Bräutigams darstellt, <strong>der</strong> sie <strong>mit</strong> einzigartiger Liebe liebt.<br />

Hier möchte ich einen mo<strong>der</strong>nen Traum einfügen, <strong>der</strong> das Problem vom Standpunkt <strong>der</strong> Frau aus zeigt. Er ist Teil einer interessanten<br />

Traumserie, die den Konflikt zwischen dem kollektiven Blickwinkel des Animus und dem sehr persönlichen Standpunkt des Schattens<br />

zeigt. Die Träumerin war nicht in Analyse, was bedeutet daß das Unbewusste Material dann oft naiver und vollständiger ist.<br />

Die Träumerin war dauernd hin- und hergerissen zwischen einem außerordentlich strengen Animus, <strong>der</strong> in ihren Träumen gewöhnlich<br />

als Mönch o<strong>der</strong> Priester erschien und einem leidenschaftlichen kindischen Schatten, <strong>der</strong> als Kind o<strong>der</strong> aufgeregte emotionale Frau<br />

erschien. Einerseits mußte sie alle Einwände des gerechten, aber unerbittlichen Animus akzeptieren, an<strong>der</strong>erseits mußte sie sich auf<br />

die Ebene des Schattens begeben, gegen den ausdrücklichen Befehl des Priesters.<br />

Im Traum wurde sie durch die Gegenwart des Priesters gezwungen aufrecht stehenzubleiben, aber trotzdem ließ sie sich auf einer<br />

Bank neben <strong>der</strong> verzweifelten Frau nie<strong>der</strong>sinken. Sie sagt, sie habe ihre klar erkannte Pflicht aufrecht zu bleiben nicht vergessen, noch<br />

habe sie aus Trotz gehandelt, son<strong>der</strong>n sie sei durch ein übergroßes Mitgefühl gezwungen gewesen sich neben diese Frau zu setzen. Als<br />

sie den Priester ansah, gewährte sie Gnade in seinem Gesicht, aber sie wußte, daß er sie streng bestrafen würde. Als die Spannung auf<br />

dem Höhepunkt war, befand sie sich in einer großen Kathedrale <strong>mit</strong> dem Priester hinter ihr und <strong>der</strong> Frau vor ihr. Offenbar erwarteten<br />

sie eine Art Urteil o<strong>der</strong> Entscheidung. Schließlich ertönte eine Stimme, die von hinten und von oben kam. Sie hörten <strong>der</strong> Stimme, die<br />

so majestätisch wie die Kathedrale war, zugleich <strong>mit</strong> Furcht und Freude zu. Die Stimme war voller Mitgefühl, doch das Urteil war<br />

streng. Wenn das Mädchen (o<strong>der</strong> die leidenschaftliche Frau) sich von ihren Wunden erholt habe, könne die Träumerin in Frieden ihren<br />

Weg gehen, aber wenn nicht . . . Die Träumerin konnte die Alternative nicht hören, aber sie folgerte, daß es ein Todesurteil war.<br />

Strengste Gerechtigkeit wurde so durch Gnade gemil<strong>der</strong>t, daß sie das Urteil alle annehmen konnten.<br />

Zurück zu unserem Text. Wir kommen nun zur Antwort <strong>der</strong> Seele. Sie sagt zu Hugo, die Süße seiner Worte hätte sie entflammt,

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