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schrieb ihm eine französische, flämische und sogar römische Abstammung zu. 1745 wurde sein wirklicher Hintergrund in den<br />

Halberstadt-Manuskripten wie<strong>der</strong>entdeckt. (Sein Onkel war Bischof von Halberstadt) Hugo gehörte als Sohn o<strong>der</strong> möglicherweise<br />

Neffe des sächsischen Grafen von Blankenburg zum deutschen Adel. Jünger als zwanzigjährig verließ Hugo ein Deutschland, daß<br />

durch die Uneinigkeit zwischen Kaiser und Papst zerrissen war und ging nach Frankreich wo er für den Rest seines Lebens blieb. Er<br />

studierte zuerst in Paris, dann ging er nach St. Viktor in Marseille. Das genaue Jahr in dem er nach St. Viktor an <strong>der</strong> Seine übersiedelte<br />

ist unbekannt, aber er erhielt dort 1125 eine Professur und 1133 wurde die Gesamtheit <strong>der</strong> Studien im Kloster seiner Obhut anvertraut.<br />

Er starb im Februar 1141 im Alter von 44 Jahren.<br />

Er war nicht nur ein außergewöhnlich gelehrter Mann, son<strong>der</strong>n er verstand sich auch sehr gut <strong>mit</strong> seinen Kollegen. Seine Freunde<br />

sagten voller Stolz, daß bei ihm Religion und Leben wun<strong>der</strong>bar vereint waren, aber wir hören auch, daß er überaus kritisch war.<br />

Jedenfalls fand er Paulus Ermahnung, »die Toren fröhlich zu ertragen«, keineswegs angemessen. Obwohl er so viel wußte, hieß es,<br />

daß er das Wissen als den »Vorhof zum mystischen Leben« betrachtete. Bei den Viktorinern ist es allerdings nicht möglich den<br />

Mystiker vom Theologen und Philosophen zu trennen, denn die Viktorinische Auffassung des Begriffes »mystisch« war viel breiter<br />

als bei den Mystikern des 14. und 15. Jahrhun<strong>der</strong>ts. In St. Viktor wurde alles Symbolische o<strong>der</strong> in einem Symbol Verborgene<br />

»mystisch« genannt. Sie betrachteten die ganze Welt und alles in ihr als ein Symbol Gottes. Hugo pflegte seine Studenten zu<br />

ermahnen, alles zu lernen was ihnen möglich war, indem er ihnen versicherte, daß sie im späterer Leben sehen würden, daß nichts<br />

davon überflüssig war.<br />

Hugo begann die Kontemplation <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Welt weil das ewige Wort, wie er sagte, durch die Betrachtung <strong>der</strong> Schöpfung offenbart<br />

werde. Das Wort selbst ist unsichtbar, aber es ist sichtbar geworden und kann in den Werken des Schöpfers gesehen werden. Die Welt<br />

ist ein Buch das <strong>mit</strong> den Fingern Gottes geschrieben worden ist und jedes Geschöpf ist sozusagen ein Buchstabe von Gott. Deshalb ist<br />

<strong>der</strong> sterbliche Mensch, <strong>der</strong> die Welt anschaut, wie ein Analphabet <strong>der</strong> eine gedruckte Seite sieht, die für ihn keinen Sinn ergibt. Er<br />

sieht nur die äußeren Formen, hat aber keine Augen für den ewigen Gedanken <strong>der</strong> sich in ihnen ausdrückt. Es ist daher die Pflicht des<br />

Menschen das Buch <strong>der</strong> Welt lesen zu lernen.<br />

Nach Hugo sind Natur und Gnade die beiden Wege auf denen <strong>der</strong> Mensch zu Gott kommen kann. Das Zeichen <strong>der</strong> Natur ist die<br />

sichtbare Welt, das Zeichen <strong>der</strong> Gnade ist die Fleischwerdung des ewigen Wortes. Der Mensch steht zwischen dem Engel und dem<br />

Tier, ersterer sieht nur die geistige Seite <strong>der</strong> Wirklichkeit, letzteres nur die äußere Realität. Allein <strong>der</strong> Mensch kann beides sehen.<br />

Seele und Körper sind durch den Wahrnehmungssinn <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> verbunden, die Seele hat durch die Vorstellungskraft Anteil am<br />

geistigen Leben Gottes. Die Viktoriner waren sowohl Mystiker als auch Wissenschaftler. Beson<strong>der</strong>s Hugo war immer darauf bedacht<br />

philologische Genauigkeit und mystische Deutung zusammenzubringen, denn die letztere würde insgesamt zu spekulativ werden,<br />

wenn <strong>der</strong> Text nicht genau gelesen wird.<br />

Im Mittelalter war die Seele als autonomes unabhängiges Wesen keine schockierende Erkenntnis mehr wie für den lebensmüden<br />

Ägypter, denn die Seele war nun aus dem Unbewussten aufgetaucht und für den Mönch des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine festgefügte<br />

Tatsache. Das Selbst o<strong>der</strong> vielmehr die lichte Seite des Selbst erscheint von <strong>der</strong> Seele getrennt, nämlich als ihr Bräutigam Christus.<br />

Die Seele wird ganz als weiblich angesehen, so daß man sagen kann sie ist identisch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> psychologischen Anima.<br />

Gespräche <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Seele waren in dieser Art im Mittelalter keineswegs selten. Meines Wissens waren sie aber meistens uninteressante<br />

bewußte Erfindung. Es ist sehr gut möglich, daß auch im folgenden Gespräch ein Teil <strong>der</strong> Antworten <strong>der</strong> Seele aus theologischen<br />

Voraussetzungen über die »anima naturalis« besteht und deshalb nicht ganz echt ist. Aber die Unterhaltung macht so viele unerwartete<br />

Wendungen, daß die Anima oft unzweifelhaft spontanes Material aus dem Unbewussten hineinbringt.<br />

Im ägyptischen Text war es <strong>der</strong> Ba, <strong>der</strong> sowohl das Selbst als auch die Seele verkörperte und die führende Rolle spielte indem er den<br />

Mann verwandelte, während in diesem Text <strong>der</strong> Mann die führende Rolle übernimmt und die Seele verän<strong>der</strong>t. Der Mann stellt sich<br />

hier auf die Seite des Selbst, nämlich Christus und kann daher seine Seele weitgehend überzeugen. Sie darf aber, und das ist in solchen<br />

Texten ganz ungewöhnlich, frei sprechen. Sie äußert ihre Zweifel an <strong>der</strong> Wahrheit seiner Aussagen wie auch ihre extreme Abneigung<br />

gegen sie. Hugo hat - so das Programm <strong>der</strong> Viktoriner - eine sehr bestimmte Absicht, nämlich seine Seele von <strong>der</strong> Welt freizumachen<br />

und sie auf Gott hin auszurichten. Daß <strong>der</strong> Text ausschließlich nach oben zum Licht hin strebt gehört zu <strong>der</strong> Zeit, es war das Zeitalter,<br />

da die normannische Architektur <strong>mit</strong> ihren niedrigen <strong>der</strong>ben Bögen dem hohen spitzen Bogen <strong>der</strong> Gotik wich.<br />

Der Text ver<strong>mit</strong>telt uns ein sehr anschauliches Bild davon wie <strong>der</strong> Mensch das Unbewusste beeinflussen kann. Jung hob einmal<br />

hervor, daß jede Art von magischem Einfluß o<strong>der</strong> Suggestion nur dann am Platze ist, wenn sie auf das eigene Unbewusste angewendet<br />

wird. Zu Hugos Zeiten waren sich die Menschen <strong>der</strong> magischen Wirkung viel bewußter als wir, sie zweifelten nie daran, daß Worte<br />

und Gedanken sowohl auf sie selbst als auch auf ihre Umgebung einwirkten. Deshalb versuchte Hugo die magische Wirkung, die<br />

notwendigerweise von Wort o<strong>der</strong> Gedanke ausgeht, im Dienst an Gott zu gebrauchen, um <strong>der</strong> Umkehr ins Dämonische vorzubeugen,<br />

wie es bewußt o<strong>der</strong> unbewusst im Dienst des Ego geschieht. Psychologisch ist das höchst vernünftig, es bedeutet daß wir die Kräfte<br />

unserer Seele um des Ganzen willen einsetzen, anstatt einen Teil - das Ich - durch seine persönliche Gier zum Feind <strong>der</strong> ganzen Seele<br />

zu machen.

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