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seiner Patienten selten nach ihren eigenen Begriffen gelöst werden, son<strong>der</strong>n daß er viele Patienten gesehen hat, die aus ihren<br />

Problemen einfach herausgewachsen sind. Die Probleme verblaßten allmählich gegenüber einem neuen, höheren und breiteren<br />

Interesse. Sie erschienen in einem an<strong>der</strong>en Licht und sahen nun aus wie ein Sturm im Tal, wenn man auf einem Berggipfel steht. Da<br />

wir aber in psychischer Hinsicht zugleich Berg und Tal sind, wäre es eine eitle Illusion, uns über menschliche Emotionen erhaben zu<br />

fühlen. Wir werden immer noch von ihnen gequält, obwohl wir nicht mehr <strong>mit</strong> ihnen identisch sind, denn wir haben ein höheres<br />

Bewusstsein gewonnen, daß die Situation ansieht und sagen kann: »Ich weiß, daß ich leide«.<br />

Mir scheint das schlichte Ergebnis dieses alten ägyptischen Stückes aktiver Imagination ist einfach dies. Der Mann wuchs über sein<br />

Problem hinaus. Es ist nicht nach seinen Begriffen gelöst, denn er leidet in seiner letzten Rede immer noch an dem Konflikt. Aber er<br />

hat in sich selbst eine höhere Bewußtheit erfahren.<br />

Der Ba betont die weit dringen<strong>der</strong>e Notwendigkeit eines gemeinsamen Heimes, sei es hier o<strong>der</strong> im Jenseits. Offenbar spürt er, daß <strong>der</strong><br />

Mann nicht mehr hinausgehen und schmollen wird wie in <strong>der</strong> zweiten Parabel. Die Tochter und <strong>der</strong>en ungeborene Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> ersten<br />

Parabel werden nicht mehr erwähnt, denn sie waren eine Vorwegnahme <strong>der</strong> fernen Zukunft <strong>der</strong> Menschheit. Ich denke <strong>der</strong> Mann hätte<br />

alles getan, was er konnte, wenn es ihm gelungen wäre, die gemeinsame Behausung für sich und seinen Ba herzustellen. Zudem war<br />

die Tatsache, daß er dieses Stück aktiver Imagination wie<strong>der</strong>gab, zu <strong>der</strong> Zeit o<strong>der</strong> vielleicht zu je<strong>der</strong> Zeit eine bemerkenswerte<br />

Leistung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann.<br />

5 Ein <strong>mit</strong>telalterliches Beispiel: Hugo von St. Viktors<br />

Gespräch <strong>mit</strong> seiner Anima<br />

Mit diesem Text befaße ich mich nur unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> aktiven Imagination. Seine theologischen Aspekte berühre ich<br />

nicht, denn das würde mich nicht nur aus meiner eigenen Tiefe wegführen, son<strong>der</strong>n auch von dem was ich als das psychologische<br />

Hauptinteresse des Materials ansehe.<br />

Bereits in meinem ersten Seminar über aktive Imagination 1951 habe ich diesen Text <strong>mit</strong> dem Gespräch des lebensmüden Mannes <strong>mit</strong><br />

seinem Ba verglichen. Beide Texte bilden einen hochinteressanten Gegensatz. Der eine zeigt wie ein Mann seinen Stand halten kann,<br />

wenn etwas Überwältigendes aus dem Unbewussten über ihn hereinbricht, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, wie es möglich ist das Unbewusste zu<br />

beeinflussen, wenn man wie Hugo von St. Viktor von dieser Notwendigkeit überzeugt ist.<br />

Im Falle des Ägypters war das Bewusstsein noch äußerst schwach. Das Ich war gerade daran aus <strong>der</strong> vollkommenen part cipation<br />

mystique <strong>mit</strong> dem kollektiven Verhalten aufzutauchen. In unserem <strong>mit</strong>telalterlichen Text ist das Ich unendlich viel stärker, tatsächlich<br />

könnte man behaupten, daß das Ich zu stark ist und zu sehr die Oberhand über die Seele gewinnt. Heute leiden wir unter beiden<br />

Tendenzen, deshalb betrachte ich diese beiden Texte als sehr wertvolle Parallelen in bezug auf die aktive Imagination. Wenn wir<br />

direkt <strong>mit</strong> archetypischem Material in Berührung kommen, sind wir einerseits immer in <strong>der</strong> Gefahr darin zu ertrinken und unsere hart<br />

erkämpfte Bewußtheit zu verlieren, an<strong>der</strong>erseits neigt unser Ich dazu, eine viel zu steife und unbeugsame Haltung gegenüber dem<br />

Unbewussten einzunehmen.<br />

Unser Text aus dem frühen 12. Jahrhun<strong>der</strong>t ist ein Gespräch zwischen einem Mönch, Hugo von St. Viktor, und seiner Seele. Ich muß<br />

kurz seinen Hintergrund erwähnen. 1108 zog sich Wilhelm von Champeaux, ein bekannter Pariser Theologe, von seinem<br />

Professorenamt zurück, weil er <strong>der</strong> Streitigkeiten <strong>mit</strong> seinem berühmten Schüler Abelard überdrüssig war und baute eine Klosterruine<br />

an <strong>der</strong> Seine wie<strong>der</strong> auf, die St. Viktor von Marseille gewidmet war. Champeaux beabsichtigte ursprünglich, sich zusammen <strong>mit</strong><br />

seinen Mönchen ganz <strong>der</strong> Liebe Gottes hinzugeben und nichts mehr <strong>mit</strong> <strong>der</strong> scholastischen Wissenschaft zu tun zu haben. Aber er<br />

wurde bald davon überzeugt, daß die Wissenschaft auch einer <strong>der</strong> höheren Dienste an Gott war und St. Viktor blühte als Zentrum von<br />

Wissenschaft und Religion auf.<br />

Drei beson<strong>der</strong>s berühmte Viktoriner Mönche waren Richard, Adam und Hugo von St. Viktor. Richard von St. Viktor, ein Schotte, war<br />

1940 Gegenstand einer Vorlesung von Jung. In seinem: »Benjamin Minor« vergleicht Richard die Erkenntnis seiner selbst <strong>mit</strong> dem<br />

Berg <strong>der</strong> Verklärung, denn wie alle Viktoriner sah er die Selbsterkenntnis als den »Gipfel <strong>der</strong> Erkenntnis« an. Adam von St. Viktor,<br />

ein Franzose aus <strong>der</strong> Bretagne, schrieb einige sehr schöne Gedichte. Hugo von St. Viktor, ein Sachse und <strong>der</strong> berühmteste von allen,<br />

hinterließ eine Vielzahl von Schriften, unter denen sich auch unser Text über das Gespräch <strong>mit</strong> seiner Seele findet.<br />

Von Hugo von St. Viktors früherem Leben ist wenig bekannt. Bis zum 18. Jahrhun<strong>der</strong>t war seine Herkunft vergessen und die Legende

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