begegnungen-mit-der-seele.pdf
begegnungen-mit-der-seele.pdf
begegnungen-mit-der-seele.pdf
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
praktiziert hatte. Jung erklärte ihm, daß es unklug wäre, sie ohne persönliche Erfahrung weiterzuempfehlen, so daß <strong>der</strong> Arzt in einen<br />
Versuch einwilligte. Er sah einen Felsen in den Bergen auf dem ein Steinbock stand. Jung ermunterte ihn dieses Bild im Gedächtnis<br />
zu behalten. Einige Tage später kam <strong>der</strong> Mann <strong>mit</strong> weißem Gesicht und berichtete, <strong>der</strong> Steinbock habe den Kopf bewegt. Nach dieser<br />
Erfahrung weigerte er sich weiter aktive Imagination zu praktizieren. Etwas war in seiner Psyche ohne seine bewusste Absicht<br />
geschehen und diesen Schock konnte er nicht ertragen. Es ist vielleicht bemerkenswert, daß dieser Arzt <strong>der</strong> einzige von Jungs<br />
Patienten war, <strong>der</strong> später Nazi wurde.<br />
Die Vorstellung, daß <strong>der</strong> Ba fest an ihn gebunden sein muß, ist ein Bild für die Art wie <strong>der</strong> Mann versucht das störende Eindringen<br />
autonomer Teile des Unbewussten zu verhin<strong>der</strong>n. Er versucht den Ba <strong>mit</strong> dogmatischen Sätzen zum Schweigen zu bringen. Wir<br />
können dieselbe Tendenz in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Psychologie beobachten. Die Freudianer haben bereits ein hochentwickeltes Dogma, aber<br />
sehr wenig vom Wasser des Lebens und dasselbe ist bei vielen Anhängern C. G. Jungs festzustellen, obwohl er selbst bis an sein<br />
Lebensende offen für Korrekturen durch das Unbewusste blieb. Bis zu einem gewissen Grad ist die dogmatische Haltung<br />
unvermeidlich, man muß Wellenbrecher haben um eine Überflutung zu verhin<strong>der</strong>n, aber das darf nie zu weit gehen, weil sonst das<br />
Lebenswasser abgeschnitten wird. Wie in <strong>der</strong> Odyssee muß man zwischen Skylla und Charybdis hindurchsteuern.<br />
In <strong>der</strong> aktiven Imagination können wir uns ständig bei demselben Spiel ertappen. Es fällt uns schwer die Phantasie als »einfache<br />
Geschichte« zu betrachten, sie objektiv zu nehmen und dann <strong>mit</strong> <strong>der</strong>selben naiven Einfachheit selbst in das Spiel einzutreten. Wir<br />
versuchen dauernd das paradoxe Unbewusste <strong>mit</strong> unserem einseitigen bewussten Verständnis zu korrigieren und Animus o<strong>der</strong> Anima<br />
<strong>mit</strong> Band und Seil gebunden zu halten, genau wie es <strong>der</strong> lebensmüde Mann tat.<br />
In Bezug auf die Selbstmordidee des Mannes, gegen die <strong>der</strong> Ba offensichtlich Wi<strong>der</strong>stand leistete, dürfen wir nicht vergessen, daß<br />
Selbstmord zu jener Zeit üblich war. Es herrschte eine geschichtliche Wende denn es gab damals kein individuelles Bewusstsein. Das<br />
sogenannte negative Bekenntnis, Sündenbekenntnis <strong>der</strong> Ägypter, das vom Geist des Mannes rezitiert werden mußte wenn er ins<br />
Jenseits eintrat, ist eine lange Liste aller möglichen Sünden, aber <strong>der</strong> Verstorbene mußte erklären, daß er keine davon begangen hatte.<br />
Der alte Ägypter identifizierte sich <strong>mit</strong> Maat, <strong>der</strong> Göttin <strong>der</strong> Gerechtigkeit und ließ es dabei bewenden. Der Gedanke war, daß es ein<br />
Sakrileg wäre zu glauben, <strong>der</strong> Mensch habe die Macht Sünden zu begehen, solch eine Annahme wäre Überheblichkeit und eine<br />
Beleidigung <strong>der</strong> Götter gewesen.<br />
Das offenbart einen sehr pri<strong>mit</strong>iven Bewusstseinsstand, aber wir können heute noch viele Spuren davon finden. Zum Beispiel bei<br />
Leuten die einfach nicht zugeben können, daß sie unrecht haben. Sie bringen es einfach nicht über sich. Jung hatte einmal einen<br />
Patienten <strong>mit</strong> Beziehungen zu mehreren Frauen. Er zählte sie leise <strong>mit</strong>, es waren fünf. Dann erwähnte er das Wort »Polygamie«.<br />
Sofort gab <strong>der</strong> Mann zurück dies sei etwas das er verabscheue - er sei strikt monogam! Jung erinnerte ihn an seine Sekretärin. Er<br />
erwi<strong>der</strong>te: » Oh, aber das ist etwas ganz an<strong>der</strong>es. Die Arbeit <strong>mit</strong> ihr läuft einfach besser, wenn ich sie ab und zu zum Essen einlade!«<br />
Und nachher? »O ja, manchmal passiert eben etwas.«<br />
Weil <strong>der</strong> Mann immer noch nicht begriff, erwähnte Jung des weiteren eine Frau Green. »Ach, da geht es nur ums Training. Wir<br />
spielen zusammen Golf und weil ihr Haus in <strong>der</strong> Nähe des Golfplatzes ist, gehe ich <strong>mit</strong> ihr, um zu reden und ja, manchmal passiert<br />
dann hinterher etwas.« Als sie bei <strong>der</strong> dritten angelangt waren, fiel <strong>der</strong> Groschen endlich und er rief <strong>mit</strong> Schrecken: »Sie haben recht,<br />
ich bin polygam!« Der Schock machte ihn für viele Monate impotent und Jung hatte die schwierige Aufgabe ihn wie<strong>der</strong> ins<br />
Gleichgewicht zu bringen. Der Mann hatte alle seine Affären in verschiedene Schubladen getan, wie »Arbeit« o<strong>der</strong> »Training«. Als<br />
die Schubladen schließlich <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> verschmolzen, war er vollkommen entsetzt. Jung lernte aus diesem Fall mehr über die<br />
»Kompartiments- Psychologie« und die Gefahr solche Schubladen zu schnell <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong> zu verbinden.<br />
In ähnlicher Weise haben alle alten Ägypter die Gesetze <strong>der</strong> Maat übertreten, aber sie konnten es sich nicht leisten davon zu wissen.<br />
Wie wir sehen werden, brachte <strong>der</strong> Ba unseren Mann dazu, <strong>der</strong> persönlichen Schuld ins Auge zu sehen, er muß aber einer <strong>der</strong> ersten<br />
gewesen sein, die das konnten und diese ungewöhnliche Erfahrung machten.<br />
Selbstmord wird im negativen Bekenntnis nicht erwähnt, weswegen <strong>der</strong> Mann wahrscheinlich hoffte davonzukommen. Aber er ist<br />
offenbar unruhig und sehr um eine intellektuelle Rechtfertigung seiner Absicht bemüht. Das war damals nicht schwer, da das Jenseits<br />
als ein vollkommenes Leben angesehen wurde, genau wie ein glückliches menschliches Leben. Warum nicht ein bißchen früher<br />
dorthin gehen? Das war zu <strong>der</strong> Zeit wirklich eine vernünftige Idee, aber heute ist es schwierig uns in dieselbe Lage zu versetzen.<br />
Der Ba antwortet dann:<br />
Bist du denn nicht <strong>der</strong> Mann? Bist du überhaupt lebendig? Was ist denn dein Ziel, daß du wie ein Schatzmeister nach dem Guten<br />
siehst? (D. h. wie einer, <strong>der</strong> sich um seine Schätze kümmert.)<br />
Der Ba kommt direkt zur Sache: »Lebst du überhaupt? Was ist dein Ziel?« Er versucht die Illusionen des Mannes auf einen Schlag zu<br />
zerstören, seine Entschuldigungen, seine Unwirklichkeit. Nichts ist direkter als das Unbewusste.