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Es war die Unkenntnis <strong>der</strong> erfahrungsmäßigen Existenz des Unbewussten wie auch die Tatsache, daß es in personifizierter Form<br />

erscheint, die frühere Übersetzer behin<strong>der</strong>te, sie glaubten die beiden Sprecher seien ein bewußter Kunstgriff des Verfassers um zwei<br />

Tendenzen <strong>der</strong> Zeit auszudrücken. Bei einer Textbetrachtung, die frei ist von all diesen Vorurteilen, zeigt sich uns nach Jacobsohn<br />

zunächst eine menschliche Tragödie von noch ganz an<strong>der</strong>em Ausmaß als man bisher sehen wollte. Es ist nicht nur <strong>der</strong> Mensch, <strong>der</strong><br />

sich in seiner Zeit nicht mehr zurechtfindet und darum an den Rand des Selbstmordes gedrängt wird, das ist die Gegebenheit, <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkt. Son<strong>der</strong>n es ist auch <strong>der</strong> Mensch, <strong>der</strong> selbst in <strong>der</strong> Gottesfeme lebt, dem je<strong>der</strong> Halt verlorengegangen ist und <strong>der</strong> nun<br />

etwas entdeckt, was in dieser Weise - nach den uns erhaltenen Zeugnissen - noch kein Ägypter entdeckt hatte, daß <strong>der</strong> Ba, die eigene<br />

»Seele« des Menschen schon zu Lebzeiten des Menschen eine Macht darstellt, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Mensch einerseits <strong>mit</strong> bewußtem Willen sich<br />

nicht entziehen kann, die er aber an<strong>der</strong>erseits <strong>mit</strong> bewußtem Verständnis noch nicht begreifen kann, so daß er zunächst immer wie<strong>der</strong><br />

versuchen muß, vergebens sich gegen diese Macht in seinem eigenen Innern aufzulehnen. Es ist die Tragödie <strong>der</strong> Hilflosigkeit nicht<br />

nur <strong>der</strong> Welt, son<strong>der</strong>n auch sich selbst gegenüber. Diese Tragödie kann nur von dem erlebt werden <strong>der</strong> nun gerade nicht nur als<br />

»Frommer« unter Gottlosen lebt, son<strong>der</strong>n den die Schrecknisse und die Verzweiflung <strong>der</strong> Gottesfeme selbst gepackt haben.<br />

Wir müssen daran denken, daß das was wir das Individuum nennen für den religiösen Ägypter jener Zeit erst nach dem Tode ins<br />

Dasein trat. Der Leser, <strong>der</strong> <strong>mit</strong> dem »Ägyptischen Totenbuch« vertraut ist, weiß daß jedes Element <strong>der</strong> individuellen Persönlichkeit<br />

ins Jenseits projiziert und daß dem Begräbnis und den nachfolgenden Riten eine überwältigende Wichtigkeit für die Toten<br />

beigemessen wurde.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Text durch mehr als 4000 Jahre von uns getrennt ist, ist er uns doch auf vielerlei Art merkwürdig nahe. Dies<br />

wahrscheinlich deshalb, weil er in einer Zeit entstanden ist, in <strong>der</strong> Ägypten sich in einem ähnlichen Zustand befand wie unsere<br />

Zivilisation heute. Es war die Zeit <strong>der</strong> Auflösung des alten Königreiches, <strong>der</strong> ersten historischen Revolution, ein Modell zu dem sich<br />

auch unsere mo<strong>der</strong>nen Revolutionen rechnen lassen. Die Priester wurden angegriffen und sogar ermordet, Pyramiden und Tempel<br />

wurden abgerissen, die Armen beraubten die Reichen und versuchten sie auszurotten, je<strong>der</strong> kleine Prinz spann Intrigen um Pharao zu<br />

werden. Selbstmord war so üblich, daß die Krokodile im Nil <strong>mit</strong> den Leichen nicht mehr fertig wurden. Für einen gläubigen Ägypter<br />

wie unseren lebensmüden Mann war dies ein erdrücken<strong>der</strong> psychologischer Schock. Alles Materielle und Spirituelle um ihn herum<br />

zerbröckelte, genauso wie es heute bei uns geschieht.<br />

Der Titel des Textes lautet: »Das Gespräch eines Lebensmüden <strong>mit</strong> seinem Ba«. Der »Ba« wird immer <strong>mit</strong> »Seele« übersetzt.<br />

Jacobsohn sagt in seiner Einführung zum Text, daß wir nicht wissen was <strong>der</strong> Ba zu dieser Zeit einem Mann bedeutete, aber die<br />

Pyramidentexte belehren uns darüber, daß er ein psychisches Wesen darstellte, von göttlicher Natur, verbunden <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Erscheinung<br />

eines Individuums, jedoch als Inkarnation einer göttlichen Gestalt. Der Leser des »Totenbuches« weiß schon, daß nach dem Tode alle<br />

Ägypter, die die Prüfungen bestanden hatten, zu Osiris wurden. Der Ba hat etwas <strong>mit</strong> <strong>der</strong> individuellen sichtbaren Gestalt eines<br />

Menschen zu tun und konnte sich daher - im Gegensatz zum Ka - auf <strong>der</strong> Mumie im Grab nie<strong>der</strong>lassen. Mit an<strong>der</strong>en Worten ist <strong>der</strong> Ka<br />

<strong>der</strong> Doppelgänger, die Vitalität einer Person, <strong>der</strong> Ba ist ihr Kern, ihr göttlicher Funke. Der Ba wird in <strong>der</strong> ägyptischen Kunst als ein<br />

Vogel <strong>mit</strong> Menschenkopf dargestellt und oft als über <strong>der</strong> Mumie schwebend gemalt. Wir dürfen nicht vergessen, daß <strong>der</strong> Ba nach dem<br />

Dogma jener Zeit ganz <strong>mit</strong> dem Zustand nach dem Tode verbunden war. Die Tatsache, daß er <strong>mit</strong> <strong>der</strong> inkamierten Gestalt eines Gottes<br />

verknüpft und daß er männlich, nicht weiblich ist, weist schon mehr auf das Selbst hin als auf die Seele o<strong>der</strong> Anima. Das wird am<br />

Ende des Textes bestätigt. Der Ba repräsentiert für den Mann das ganze Unbewusste.<br />

Lei<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> Textanfang verloren, aber ein unverständliches Fragment <strong>mit</strong> <strong>der</strong> nachfolgenden Antwort des lebensmüden Mannes<br />

macht es ganz deutlich, daß <strong>der</strong> Ba ihn durch eine höchst unerwartete Anrede fast zu Tode erschreckt hat. Für einen Mann dieser Zeit<br />

muß es ein furchtbarer Schock gewesen sein, daß <strong>der</strong> Ba überhaupt eine Rolle zu seinen Lebzeiten spielte. Die Ägypter sahen sich<br />

damals nur als Teil eines kollektiven Staatswesens und <strong>der</strong> Religion, jede Individualität wurde ins Jenseits projiziert.<br />

In <strong>der</strong> ersten erhaltenen Rede sagt <strong>der</strong> Mann:<br />

Dann öffnete ich meinen Mund, um meinem Ba auf das zu antworten was er gesagt hatte.<br />

Daß <strong>der</strong> Ba eine an<strong>der</strong>e Meinung als er selbst hat, schockiert den lebensmüden Mann über alle Maßen. Ist sein Ba an<strong>der</strong>s geworden?<br />

Er sollte immer da sein, fest an den Körper eines Mannes gebunden. Aber jetzt greift <strong>der</strong> Ba ihn an weil er vor <strong>der</strong> Zeit sterben will.<br />

Da bittet <strong>der</strong> Mann den Ba von seinem Angriff abzulassen und ihm den Westen, d. h. das Land des Todes, angenehm zu machen und<br />

seine Sünden, während <strong>der</strong> kurzen Zeit die er noch leben wird, zu übersehen. Er endet <strong>mit</strong> einem wenig zuversichtlichen Appell an<br />

verschiedene Götter ihm zu helfen.<br />

In mo<strong>der</strong>ne Sprache übersetzt hat <strong>der</strong> lebensmüde Mann eine Entdeckung gemacht, die uns auch heute noch in Schrecken versetzt, daß<br />

er nicht Herr in seinem eigenen Hause ist, son<strong>der</strong>n daß etwas in seinem Unbewussten seine bewussten Absichten durchkreuzt. Diese<br />

Entdeckung begegnet uns auf viele Arten, aber beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> aktiven Imagination, ähnlich wie auch <strong>der</strong> lebensmüde Ägypter vor<br />

langer Zeit darauf stieß.<br />

Jung analysierte einmal einen deutschen Arzt, <strong>der</strong> die aktive Imagination für seine Patienten entdecken wollte, sie aber selber nie

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