begegnungen-mit-der-seele.pdf
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Ich gehe zu <strong>der</strong> Mauer. Der Bär, mein großer mächtiger Gefährte öffnet eine <strong>der</strong> vier Türen. Wir gehen hinein und er schließt die Tür<br />
hinter uns. Sobald wir innerhalb <strong>der</strong> Wände sind, nimmt er menschliche Gestalt an. Er ist mein königlicher Geist-Mann in einem<br />
golden-weißen Mantel. Ich betrachte die Blume. Während ich über sie meditiere, werde ich wie gestern selbst die Blume, verwurzelt,<br />
wachsend, strahlend, zeitlos. So nehme ich die Gestalt <strong>der</strong> Unsterblichkeit an. Dann fühle ich mich ganz wohl, geschützt vor allen<br />
Angriffen <strong>der</strong> Außenwelt. Sie beschützt mich auch vor meinen eigenen Emotionen. Wenn ich im Zentrum bin, kann nichts und<br />
niemand mich angreifen. Sie können mich zwar noch in meiner menschlichen Gestalt angreifen und verletzen und ich weiß, daß ich<br />
die meiste Zeit dort verbringen muß. Aber ich werde nun immer die Möglichkeit haben ab und zu die Blume zu sein. Ich bin darüber<br />
sehr froh, denn ich habe gemerkt, daß das möglich ist. Ich habe die Blume lange als einen Gegenstand gekannt, aber nun weiß ich, daß<br />
ich sie auch sein kann.<br />
Beatrice war zwar immer noch in ihrer menschlichen Gestalt, aber sie irrte sich, als sie meinte sie müsse die meiste Zeit dort<br />
verbringen. Sie starb am Tage nach ihrer letzten Eintragung in das Heft über ihre aktiven Imaginationen an einer plötzlichen und<br />
unerwarteten Thrombose. Ihr Geist-Mann hatte sie immer gewarnt, wenn man zu Lebzeiten in die Blume eintritt, kann es sein, daß<br />
man nicht mehr in seine menschliche Gestalt zurückkehren kann. Deshalb durfte Beatrice erst an den beiden letzten Tagen ihres<br />
Lebens in die Blume hineingehen. Es ist jedoch ganz deutlich, daß <strong>der</strong> Temenos »ihr schon vertrauter ist als ihr eigenes Heim« auf<br />
Erden. Außerdem hat sie das Ziel unseres nächsten Beispiels, des ägyptischen lebensmüden Mannes, erreicht. Sie hat <strong>mit</strong> ihrem<br />
Geist-Mann ein gemeinsames Heim gefunden.<br />
In diesem letzten Abschnitt ist ihr Geist-Mann das Selbst geworden, königlich geschmückt <strong>mit</strong> einem goldenen Mantel. Er hat seine<br />
Bärengestalt abgelegt, weil sie für Beatrice nicht mehr nötig ist. Endlich kann sie alle Dinge hinter sich lassen, die sie von außen<br />
bedrängen, ebenso auch ihre eigenen wilden Emotionen. Sie darf in den Hafen des Friedens eintreten und »die Blume selbst werden,<br />
verwurzelt, wachsend, strahlend und zeitlos« - ihr Bild <strong>der</strong> Unsterblichkeit.<br />
Bewußt weiß sie noch nicht, daß sie am Ende ihres Lebens steht, denn sie fürchtet immer noch, daß sie die meiste Zeit in ihrem<br />
Körper zubringen muß, gequält von ihren Emotionen und den Angriffen an<strong>der</strong>er Leute. Es ist deutlich das sie nun als Blume viel<br />
glücklicher ist. Die aktive Imagination hat sie zu vollkommener Unabhängigkeit geführt, so daß sie nicht mehr auf äußere<br />
Unterstützung angewiesen ist. Deshalb würden die Chinesen sie glücklich nennen, sie hat ihren feinstofflichen Leib gebildet und <strong>der</strong><br />
richtige Augenblick für ihren eigenen beson<strong>der</strong>en Tod ist gekommen. Obwohl ihr Tod vom bewussten Standpunkt aus plötzlich kam,<br />
besteht kein Zweifel daran, daß er sie vollständig vorbereitet traf. Natürlich erlitten ihr Mann, ihre Kin<strong>der</strong> und Freunde einen<br />
furchtbaren Schock, doch obgleich sie scheinbar vorzeitig starb, spürt man daß ihr all <strong>der</strong> Groll erspart blieb, den nach Jungs Ansicht<br />
Menschen fühlen, die jung sterben müssen. Dies wird gewöhnlich in den Träumen ihrer Familie und Freunde sichtbar, aber ich habe<br />
nichts <strong>der</strong>gleichen aus Beatrices Umkreis gehört. Soweit man überhaupt Vermutungen über das Jenseits anstellen darf, spürt man, daß<br />
Beatrice alles erfüllt hat was das Unbewusste auf Erden von ihr gefor<strong>der</strong>t hat, sie konnte daher von ihrem feinstofflichen Körper die<br />
volle Unterstützung erfahren, <strong>der</strong> für sie in <strong>der</strong> aktiven Imagination während <strong>der</strong> letzten Tage vor ihrem Tod sogar wirklicher als alles<br />
an<strong>der</strong>e geworden war.<br />
Ich halte es für einen großen Gewinn, ein solches Dokument lesen zu dürfen und ich muß da<strong>mit</strong> schließen, ihrem Mann zutiefst zu<br />
danken für seine Erlaubnis Beatrices Erfahrungen in dieses Buch einzubeziehen.<br />
4 Ein antikes Beispiel: Der Lebensmüde und sein Ba<br />
Die beiden besten Beispiele für die durch den Gehörsinn erlebte aktive Imagination, die ich kenne, stammen aus sehr alter Zeit. Das<br />
erste ist über 4000 Jahre alt, etwa aus dem Jahre 2200 v. Chr. Eine Gestalt aus dem Unbewussten bricht über einen Mann in so<br />
ungewöhnlicher Weise herein, daß er zunächst vollkommen zerschmettert ist. Mit <strong>der</strong> Zeit jedoch erweist er sich als fähig, in einer Art<br />
<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Situation umzugehen, die wenige von uns, wenn überhaupt, erlangen können. Das zweite Beispiel (Kap. 5) stammt aus <strong>der</strong><br />
ersten Hälfte des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts n. Chr. und steht im völligen Kontrast zum ersten. Das Gespräch wurde von dem Mann selber<br />
angefangen, <strong>der</strong> offenbar durch das Dazwischentreten seiner Anima sehr in seinen bewussten Absichten gestört worden war. Alles<br />
was wir über den »lebensmüden Mann« wissen, erfahren wir aus dem Text selbst und aus den Kommentaren des Ägyptologen<br />
Helmuth Jacobsohn dazu, das zweite Beispiel wurde von dem berühmten Hugo von St. Viktor geschrieben, über den wir sehr viel<br />
mehr wissen.<br />
Der ägyptische Text ist schon viele Male übersetzt worden, aber niemand kam seinem Verständnis nahe, bis Jacobsohn ihn in die<br />
Hände nahm. Es ist unmöglich solche Texte ohne gewisse psychologische Kenntnisse zu übersetzen und Jacobsohn hat ein natürliches<br />
Verständnis für die Psychologie <strong>der</strong> alten Ägypter, das man kaum hoch genug einschätzen kann. Ich bedaure es, daß ich aus<br />
Platzgründen nicht mehr Stellen aus seinen Kommentaren zitieren kann.