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Ähnlich schreibt Jung in »Psychologie und Alchemie«:<br />

Hat man denn noch nicht bemerkt, daß alle religiösen Aussagen logische Wi<strong>der</strong>sprüche und prinzipiell unmögliche Behauptungen<br />

enthalten, ja daß das sogar das Wesen <strong>der</strong> religiösen Behauptung ausmacht? Dafür haben wir das Bekenntnis Tertullians: »Et mortuus<br />

est Dei filius, prorsus credibile est, quia ineptum est. Et sepultus resurrexit; certum est, quia impossibile est.« [Und gestorben ist<br />

Gottes Sohn, was geradezu glaubhaft ist, weil es ungereimt ist. Und begraben ist er auferstanden, das ist gewiss, weil es unmöglich<br />

ist.] . . . Darum verarmt eine Religion innerlich, wenn sie ihre Paradoxien verliert o<strong>der</strong> vermin<strong>der</strong>t, <strong>der</strong>en Vermehrung aber bereichert,<br />

denn nur das Paradoxe vermag die Fülle des Lebens annähernd zu fassen, die Eindeutigkeit und das Wi<strong>der</strong>spruchslose aber sind<br />

einseitig und darum ungeeignet das Unerfassliche auszudrücken.<br />

Beatrice scheint dieses Prinzip nie ganz begriffen zu haben, bis ihr Geist-Mann ein Bär wurde, erst da dämmerte ihr die vollkommene<br />

Notwendigkeit des Paradoxen und erfüllte sie.<br />

Als sie in <strong>der</strong> aktiven Imagination wie<strong>der</strong> zu <strong>der</strong> Blume geht, findet Beatrice sie von hohen Wänden umgeben, sie ist in einem<br />

Temenos (heiligen Bezirk). Er hat vier Türen, auf je<strong>der</strong> Seite eine, die nach Osten, Süden, Westen und Norden blicken. Der<br />

Bärenmann hat die goldenen Schlüssel dazu. Er öffnet eine <strong>der</strong> Türen und sie gehen hinein. Sie fühlt sich sofort glücklich und<br />

beschützt und fragt ihren Bärenmann: »Warum?« Er antwortet: »Weil die Wände alle Dämonen draußen halten.« Sie sagt ihm<br />

wie<strong>der</strong>holt wie glücklich sie hier sei, denn die Blume leuchtet in einem wun<strong>der</strong>vollen heilenden Licht. Beatrice betont, daß sie nicht in<br />

<strong>der</strong> Blume ist, son<strong>der</strong>n neben ihr steht, in ihrem Schutz und ihrer milden Wärme. Sie fragt den Bärenmann: »Wer hat die Wände<br />

gebaut?« Er erwi<strong>der</strong>t, Gott habe sie als Schutz vor sich selbst gebaut, aber es sei auch er, <strong>der</strong> die Blume wachsen lässt. Nochmals vom<br />

Paradox überwältigt ruft sie: »Schrecklicher, gütiger, hilfreicher Gott!«<br />

Hier realisiert sie, daß Gut und Böse ebenfalls vereinigt werden müssen und das sie in Gott geeint sind. Gut und Böse sind das<br />

brennendste Gegensatzpaar, das es für uns gibt, auf jeden Fall für diejenigen unter uns, die in <strong>der</strong> christlichen Moral erzogen sind. Die<br />

christliche Moral hat den großen Nachteil das Böse zu unterdrücken, <strong>mit</strong> dem Ergebnis das dieses nun seine Grenzen gesprengt hat<br />

und immer mehr Menschen besitzt, so daß sie das Böse leben ohne zu wissen was sie tun. Zudem unterdrücken sie das Gute, den<br />

lichten Gegensatz, genauso stark wie es das Christentum <strong>mit</strong> dem Bösen, dem dunklen Gegensatz, getan hat. Wir können es uns nicht<br />

mehr leisten irgendeinen Gegensatz zu unterdrücken, wir müssen beide sehen und sie bewusst und verantwortungsvoll leben, so wie<br />

Beatrice es aufrichtig versucht. Lei<strong>der</strong> sind sich nur sehr wenige Menschen dieser Tatsache bewusst.<br />

Zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens macht Beatrice viel öfter eine aktive Imagination und geht so oft wie möglich in ihren Temenos.<br />

Einmal sieht sie dort einen Stern in <strong>der</strong> schwarzen Nacht strahlen. Sie fragt sich wer sie ist. Ist sie ein Stern? Sie denkt das wäre ein<br />

merkwürdiges Schicksal, wenn das so wäre. Immer noch sind ihr ganzes Interesse und ihre Leidenschaft bei dem Stern. »Wenn es<br />

einen Menschen gibt, dann nur um des Sternes willen«, sagt sie.<br />

Im siebten seiner »Septem Sermones ad Mortuos« schreibt Jung:<br />

Des nachts aber kamen die Toten wie<strong>der</strong> <strong>mit</strong> kläglicher Gebärde und sprachen. Noch eines, wir vergassen davon zu reden, lehre uns<br />

vom Menschen. Der Mensch ist ein Thor, durch das ihr aus <strong>der</strong> Aussenwelt <strong>der</strong> Götter, Daemonen und Seelen eintretet in die<br />

Innenwelt, aus <strong>der</strong> grösseren Welt in die kleinere Welt. Klein und nichtig ist <strong>der</strong> Mensch, schon habt ihr ihn im Rücken und wie<strong>der</strong>um<br />

seid ihr im unendlichen Raume, in <strong>der</strong> kleineren o<strong>der</strong> inneren Unendlichkeit. In unermesslicher Entfernung steht ein einziger Stern im<br />

Zenith. Dies ist <strong>der</strong> eine Gott dieses einen, dies ist seine Welt, sein Pleroma, seine Göttlichkeit. In dieser Welt ist <strong>der</strong> Mensch <strong>der</strong><br />

Abraxas, <strong>der</strong> seine Welt gebiert o<strong>der</strong> verschlingt. Dieser Stern ist <strong>der</strong> Gott und das Ziel des Menschen.<br />

Dies ist sein einer führen<strong>der</strong> Gott, in ihm geht <strong>der</strong> Mensch zur Ruhe, zu ihm geht die lange Reise <strong>der</strong> Seele nach dem Tode, in ihm<br />

erglänzt als Licht alles was <strong>der</strong> Mensch aus <strong>der</strong> größeren Welt zurückzieht. Zu diesem einen bete <strong>der</strong> Mensch. Das Gebet mehrt das<br />

Licht des Sternes, es schlägt eine Brücke über den Tod, es bereitet das Leben <strong>der</strong> kleineren Welt und min<strong>der</strong>t das hoffnungslose<br />

wünschen <strong>der</strong> grösseren Welt. Wenn die grössere Welt kalt wird, leuchtet <strong>der</strong> Stein. Nichts ist zwischen dem Menschen und seinem<br />

einen Gotte, sofern <strong>der</strong> Mensch seine Augen vom flammenden Schauspiel des Abraxas abwenden kann. Mensch hier, Gott dort.<br />

Schwachheit und Nichtigkeit hier, ewige Schöpferkraft dort. Hier ganz Dunkelheit und feuchte Kühle, dort ganz Sonne.<br />

Diese Rede macht sehr deutlich, warum Beatrices ganzes leidenschaftliches Interesse plötzlich auf diesen Stern gerichtet ist, denn sie<br />

nähert sich schnell ihrem Tod. Ihr Tod würde ganz klar vom Unbewussten vorhergesehen und das Selbst bereitete Beatrice darauf vor,<br />

indem es ihr den Stern zeigte, den einen Gott und das Ziel für jeden von uns, zu dem die Seele nach dem Tod ihre lange Reise macht.<br />

Der Stern macht einen enormen Eindruck auf sie. Aber offenbar identifiziert sie sich zu früh <strong>mit</strong> ihm, wenn sie beschließt ihre<br />

irdischen Emotionen ganz hinter sich zu lassen und sogleich nüchtern und objektiv zu werden. Das bringt den Bärenmann in Rage,<br />

eine richtige Berserkerwut und er stürzt sich auf sie als wolle er sie in Stücke reißen. Sie hat keine Zeit sich vor ihm zu retten, deshalb<br />

fällt sie vor ihm zu Boden und ergibt sich ihm völlig, »als ob ich zu einem Gott beten würde«. Das macht ihn friedlich und er greift sie

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