begegnungen-mit-der-seele.pdf
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gehorchen und geht allein an Land.<br />
Edward beschreibt dieses Wagnis sehr lebendig und ausführlich, so daß ich es stark kürzen musste. Zuerst muß er einem Rudel<br />
knurren<strong>der</strong> Hunde entgegentreten, die von <strong>der</strong> Fackel vertrieben und sogar gebrannt werden müssen. Dann trifft er auf eine Menge<br />
giftiger Schlangen, die er schnell <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Peitsche töten muß, als sie nach ihm stoßen. Zu seinem Entsetzen merkt er, daß er sich am<br />
Rand eines Vulkans befindet, <strong>der</strong> offenbar kurz vor dem Ausbrechen ist. Der Weg führt in den furchtbaren Krater hinab, dann zu<br />
seiner Erleichterung wie<strong>der</strong> hinauf, bis er in die vergleichsweise kühle Luft einer Höhle einmündet. Dort sieht er, daß er in die Höhle<br />
gestolpert ist, wo die Frau gefangen sitzt.<br />
Sie ist alles an<strong>der</strong>e als attraktiv, war sie doch seit langer Zeit an die Höhle gefesselt. Sie ist mager und sieht wie ein Bündel Lumpen<br />
aus. Erschrocken sieht Edward, daß sie vier Augen hat die alle schrecklich schielen. Sie ist <strong>mit</strong> sehr dicken und wi<strong>der</strong>standsfähigen<br />
Seilen gebunden und er hat die größten Schwierigkeiten sie durchzuschneiden. Der Teufel flüstert ihm ein, er solle sich selbst retten<br />
(denn das Grollen des Vulkans wird immer bedrohlicher), aber er wi<strong>der</strong>steht ihm und befreit schließlich die Frau und trägt sie aus <strong>der</strong><br />
Höhle. Die Freiheit belebt sie bald und sie zeigt ihm den Weg in die Sicherheit. Edward hat seine Peitsche verloren und ruft ihr zu, sie<br />
solle sich vor den Schlangen in acht nehmen. Die aber fürchten sich vor ihren vier Augen, solange sie sie im Auge behält kriechen sie<br />
harmlos weg.<br />
Als <strong>der</strong> Vulkan ausbricht und alles von seinem Feuerschein erleuchtet wird, erreichen sie das Boot und werden hineingezogen, aber<br />
auch das Boot ist von <strong>der</strong> Eruption bedroht. Glücklicherweise ist <strong>der</strong> Wind günstig und sie entkommen in ruhigere Gewässer. Da sie<br />
nun sicher sind, gratuliert die Führerin Edward zur Erfüllung seiner Aufgabe, von <strong>der</strong> sie fürchtete, daß sie über seine Kräfte ginge<br />
und belebt ihn und die vieräugige Frau <strong>mit</strong> einem Schluck ihres Elixiers. Sogleich verschwindet das Schielen und alle vier Augen <strong>der</strong><br />
Frau strahlen in einem »siegreichen und bezaubernden Feuer«: rot, grün, blau und gelb.<br />
Die Führerin sagt zu »Vierauge«, daß sie nun für Edward sorgen müssen, <strong>der</strong> am Ende seiner Kraft ist. Sie bereitet ihm ein bequemes<br />
Bett, wo er endlich tief schlafen kann. »Sicher, glücklich und unbeschreiblich müde« versinkt er in Schlaf, aber er hört ihre<br />
Unterhaltung wie von weit her. Wir erfahren einige sehr interessante Dinge durch dieses lange Gespräch zwischen den beiden<br />
Aspekten seiner Anima. Der Hauptpunkt ist <strong>der</strong>, daß dieses ganze Land und Edward selbst in <strong>der</strong> Macht einer alten Hexe sind, dem<br />
furchtbaren archetypischen Kern von Edwards negativem Mutterkomplex. Seine Mutter starb zu früh, als daß Edward einen<br />
persönlichen Mutterkomplex hätte haben können, doch sein Platz wird weit zerstörerischer vom Archetyp <strong>der</strong> negativen Mutter<br />
ausgefüllt. Edward fängt an ihr Bild zu spüren und später sieht, zerstört und verwandelt er sie allmählich. Oft wird, wenn die Mutter<br />
während <strong>der</strong> Kindheit eines Knaben stirbt, die Lücke teilweise durch einen liebevollen Vater ausgefüllt, aber Edwards Vater war ein<br />
kalter rationaler Mann, <strong>der</strong> dem Kind keinerlei Wärme und Gefühlsbeziehung geben konnte und es daher ungeschützt den<br />
archetypischen Einflüssen überließ.<br />
Der Archetyp <strong>der</strong> negativen Mutter konnte die beiden Anima Figuren nur gefangen nehmen, weil Edward unfähig zum Wi<strong>der</strong>stand<br />
war, er war selbst genauso schlimm gefesselt und gefangen wie die Frauen. Als er noch sehr klein war hatte die Hexe seinen<br />
Unternehmungsgeist geschwächt und ihn <strong>mit</strong> giftiger Süße an sich gebunden, bis sie ihn sicher in ihr Netz verstrickt hatte Er hatte ihr<br />
nie Beachtung geschenkt, bis ihn die Qual seiner Impotenz schließlich zur Rebellion trieb. Dadurch befreite er auch diese beiden<br />
Anima Figuren zum Handeln und sie versprechen sich gegenseitig, daß die Hexe endgültig zerstört werden soll.<br />
In <strong>der</strong> Gestalt <strong>der</strong> Hexe finden wir eine weitere Parallele zur Odyssee. Die Hexe Kalypso, die Odysseus so viele Jahre lang auf einer<br />
fernen Insel gefangen hielt, war die Hauptursache für all die Mühen in <strong>der</strong> Odyssee. Solche Hexengestalten sind immer das Resultat<br />
eines Mutterkomplexes, sei er persönlich o<strong>der</strong> archetypisch und nehmen nicht nur den Mann gefangen, son<strong>der</strong>n wie in Edwards Fall<br />
auch die positiven Anima Figuren die ihm helfen könnten. Es war das Wirken <strong>der</strong> Hexe, das dem Telemachos das positive Vaterbild<br />
raubte, bis er erwachsen war und das ihn und seine Mutter Penelope in endlose Schwierigkeiten <strong>mit</strong> den nie<strong>der</strong>trächtigen Freiern<br />
stürzte. Edwards Problem basiert daher hier auf einem archetypischen Muster und er kann nicht persönlich dafür verantwortlich<br />
gemacht werden. Aber gerade so wie Odysseus sein eigenes Schiff bauen müsste, um von <strong>der</strong> Insel <strong>der</strong> Hexe zu fliehen, muß Edward<br />
nun seinen eigenen Weg finden um sich vor <strong>der</strong> zerstörerischen Mutterhexe zu retten. Aber Odysseus und Edward erhalten beide<br />
große Hilfe von ihrer Anima und zuletzt vom höchsten Gott, in unserer Sprache, dem Selbst.<br />
Die Führerin zeigt beachtliches Gefühl für Edward und ist entschlossen, daß er nicht zusammenbrechen darf, denn dann wären sie alle<br />
verloren. Sie offenbart sich daher als Edwards eigene persönliche Anima, wogegen Vierauge eine weit archetypischere Gestalt ist.<br />
Vier als vollständige Zahl ist ein Kennzeichen des Selbst, deshalb ist diese Figur <strong>der</strong> archetypischen Anima <strong>mit</strong> dem Selbst verbunden.<br />
Jung pflegte zu sagen, daß die überwältigende Macht <strong>der</strong> Anima o<strong>der</strong> des Animus nur dann erscheint, wenn sie o<strong>der</strong> er fähig ist<br />
zwischen dem menschlichen Wesen und dem Selbst zu stehen. Edward konnte einen flüchtigen Blick auf das Selbst erhaschen, als er<br />
den Feuergeist in<strong>mit</strong>ten des Sturmes sah. Da seine einzige Reaktion panikartige Flucht war, konnte die Anima leicht zwischen ihm<br />
und dem Selbst stehen, was wir noch deutlicher an einem an<strong>der</strong>en Aspekt <strong>der</strong> Anima sehen werden, <strong>der</strong> am Ende <strong>der</strong> Phantasie<br />
auftaucht. Es gelang Edward eine Beziehung zu seiner persönlichen Anima herzustellen, aber die archetypische Welt des kollektiven<br />
Unbewussten ist für ihn immer noch eine alarmierende Tatsache und von seinem Bewusstsein noch gar nicht differenziert.