05.01.2013 Aufrufe

begegnungen-mit-der-seele.pdf

begegnungen-mit-der-seele.pdf

begegnungen-mit-der-seele.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Sie bringt ihn endlich dazu »sich für eine abenteuerliche Reise einzuschiffen« und auf alle Fälle zurrechten Zeit seine düstere<br />

Verzweiflung aufzugeben. So wie Telemachos nicht glauben konnte, daß sein heldenhafter Odysseus noch am Leben war, so konnte<br />

Edward nicht völlig an das Leben o<strong>der</strong> an sich selbst glauben. In beiden Fällen jedoch ist die Anima sehr erfolgreich beim Einflößen<br />

von »etwas mehr Geist«.<br />

Aber Athene konnte Telemachos nicht optimistischer im Hinblick auf seinen Vater machen und Edward, obwohl kühner als je zuvor,<br />

behielt während <strong>der</strong> ganzen aktiven Imagination seine mutlose und furchtsame Natur. Dies ist eines von vielen Zeichen, daß die ganze<br />

Erfahrung vollkommen echt ist. Wenn jemand Heldenmut zeigt, <strong>der</strong> ihm sonst gänzlich fremd ist, ist die Phantasie verdächtig, sie wird<br />

wahrscheinlich ungebührlich vom Bewusstsein beeinflusst. Aber Edward muß von seiner Mutlosigkeit wie<strong>der</strong> und wie<strong>der</strong> durch<br />

an<strong>der</strong>e Gestalten in seiner Psyche erlöst werden und man spürt, daß hier kein Wunschdenken am Werk ist. Darüber hinaus wird das<br />

Unbewusste völlig freigelassen. Edward hat offensichtlich den ersten Schritt in <strong>der</strong> aktiven Imagination gemeistert, die Fähigkeit, die<br />

Dinge geschehen zu lassen.<br />

Die Phantasie ist dadurch charakterisiert, daß Edward introvertiert ist. Eine solche Phantasie wäre für einen Extravertierten nutzlos,<br />

tatsächlich würde er sie niemals haben, denn <strong>der</strong> Extravertierte ist in <strong>der</strong> äußeren Weltunternehmungslustig genug und könnte allen<br />

Situationen, die Edward zu Tode ängstigen, hinreichend adäquat begegnen. Ein Introvertierter jedoch ist alles an<strong>der</strong>e als wagemutig in<br />

<strong>der</strong> äußeren Welt und wenn man versucht, ihn dort zu verbessern, treibt man ihn nur tiefer in den Sumpf.<br />

Um diesen Punkt zu verdeutliche möchte ich den Fall eines sehr introvertierten praktischen Arztes erwähnen. Er konnte niemals genau<br />

feststellen was sein Kummer war und nannte ihn einfach »unüberwindliche Schwierigkeiten in <strong>der</strong> medizinischen Praxis«. Sein<br />

Analytiker schlug vor er solle das Problem <strong>mit</strong> Hilfe einer positiven Animafigur angehen, von <strong>der</strong> er geträumt hatte. Er war da<strong>mit</strong><br />

einverstanden, aber er stieg in die Situation so ein, daß er diese Figur vergewaltigte! Als Antwort auf den Protest seines Analytikers<br />

legte er endlich sein Problem klarer dar, ein unheimlich starker Drang all seine jüngeren weiblichen Patienten zu vergewaltigen.<br />

Dieser Drang wurde so schlimm, daß er daran zweifelte ob er ihn noch länger beherrschen könnte. Sein Analytiker zog seine<br />

Vorwürfe zurück, denn er wusste, daß <strong>der</strong> Arzt als Introvertierter fähig war innerlich <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Situation umzugehen, so schlimm sie<br />

auch war. Außen hätte sie seine ganze berufliche Existenz ruiniert und wäre ihm völlig außer Kontrolle geraten.<br />

Edward war gleichermaßen unfähig äußerlich <strong>mit</strong> seiner Lebensangst fertig zu werden. Guter Rat wäre dabei schlechter als nutzlos<br />

gewesen, innerlich hingegen lernte er, obwohl ängstlich, <strong>mit</strong> seiner Furcht umzugehen und sich den höchst gefährlichen Situationen in<br />

seinem Abenteuer zu stellen. Das hatte auch eine äußere Wirkung, denn nach drei Monaten harter Arbeit an seiner Phantasie<br />

überwand er seine Impotenz vollkommen und andauernd. Aber wir müssen ihn jetzt auf seinen Abenteuern begleiten, um zu sehen,<br />

was ihm so wirksam geholfen hat. Jemand <strong>der</strong> ernsthaft aktive Imagination versucht hat, wird wissen was es Edward kostete, bis zu<br />

dem Punkt zu kommen, den wir geschil<strong>der</strong>t haben und diejenigen ohne entsprechende Erfahrung sollten das Kapitel »Begegnung <strong>mit</strong><br />

dem Unbewussten« in Jungs »Erinnerungen« lesen, um wenigstens einen Eindruck aus zweiter Hand davon zubekommen, was solch<br />

ein Wagnis bedeutet.<br />

Bevor wir Edward aus <strong>der</strong> Sichtweite des Landes auf die stürmischen Wasser des Unbewussten folgen, muß ich sein Hauptproblem<br />

erklären. Er hatte eine sehr schwierige Kindheit, ohne Geborgenheit bei seiner kalten Mutter und geprägt von großer Abneigung gegen<br />

seinen kalt rationalen Vater. Als er noch klein war, starb seine Mutter an Krebs. Da ihr Mann sie nicht ins Krankenhaus gehen lassen<br />

wollte, war Edward dazu verdammt sie zu Hause langsam sterben zu sehen. Das Ergebnis dieser Erfahrung war ein tiefes Misstrauen<br />

gegen das Leben. Als er im Alter von 42 Jahren seinen Schritt in das Unbewusste in Angriff nahm. hatte er noch nicht wirklich gelebt.<br />

Er hatte zwar geheiratet und ernährte seine Familie, aber er hatte sich auf den reinen Broterwerb beschränkt <strong>mit</strong> langweiliger, farbloser<br />

Mühe und nie seine beträchtlichen kreativen Kräfte durch Schreiben befreit. Deshalb litt er, unter einem starken<br />

Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühl und verspürte keine Lebensfreude. Als tief introvertierter Mensch hatte er keinerlei Zweifel an <strong>der</strong> Realität<br />

des kollektiven Unbewussten, seine aktive Imagination <strong>mit</strong> ihren Abenteuern und dem knappen Entkommen erfor<strong>der</strong>te eine enorme<br />

Anstrengung und manchmal brauchte er mehrere Tage o<strong>der</strong> Wochen bis er genügend Mut für den nächsten Schritt fand. Er hatte sich<br />

jedoch dazu verpflichtet hindurchzugehen als er seine Entscheidung traf und das Boot bestieg.<br />

Schnell verloren sie das Land außer Sichtweite und sie waren in tiefer Dunkelheit. Das einzige Licht glomm schwach von einer Fackel<br />

am Bug des Bootes, die Edward auf Geheiß des Bootsmannes von Zeit zu Zeit untergroßen Schwierigkeiten neu anzünden musste. Die<br />

schöne Frau, die er in <strong>der</strong> Folge »die Führerin« nennt, nähert sich ihm, indem sie ihn <strong>mit</strong> einer Decke bedeckt, ihm gelegentlich zu<br />

essen gibt und ihm jedes Mal wenn er völlig erschöpft ist ein Elixier reicht, das ihn wie<strong>der</strong>herstellt.<br />

Als erstes stoßen sie auf einen Schwarm geierartiger Vögel, die sich an einer Leiche im Wasser gütlich tun. Edward schreit vor<br />

Entsetzen, aber die Führerin sagt ganz ruhig zu ihm, daß »solche Dinge hier unten geschehen«. Sie fügt <strong>mit</strong> blitzenden Augen und<br />

ernster Stimme hinzu: »Keine Illusionen mehr! Jetzt geht es um Leben und Tod.« Das erinnert an das Wort <strong>der</strong> Alchemisten: »Viele<br />

sind an unserer Arbeit zugrunde gegangen.«<br />

Kaum dem Untergang in einer engen felsigen Schlucht entronnen, fahren sie in ruhigere Gewässer. Sogleich setzt sich ein schöner

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!