begegnungen-mit-der-seele.pdf
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Sie (nach einer Pause, drängend): »Nun muß ich Sie nochmals fragen. Was wollen Sie hier? Was hoffen Sie in diesem Schmutz zu<br />
finden? Glauben Sie ernstlich, daß Ihnen an diesem elenden Ort Freude geschenkt wird? Sie sind nicht <strong>der</strong> Mann für das. Hier in<br />
dieser Brutalität, in dieser Not und Krankhaftigkeit? Sie können sich nicht darüber täuschen! Haben Sie keine Bedenken? Haben Sie<br />
Illusionen, wenn Sie so einen Ort betreten? Ekeln Sie sich nicht über sich selbst?«<br />
Ich (berührt, stammelnd): »Ja, das ist wahr . . . es ist, wie Sie es sagen . . . Es ist beschämend.« (Nach einer Weile.) »Vielleicht<br />
beurteilen Sie mich weniger hart, wenn ich Ihnen sage, daß ich einerseits von einem überwältigenden Drang nach sexuellem Erleben<br />
getrieben werde und an<strong>der</strong>erseits impotent bin. Das ist solch eine Qual, so eine züchtigende Spannung, die sich immer und immer<br />
wie<strong>der</strong>holt, daß man nach jedem Strohhalm greift um ihr zu entkommen, wenigstens für einen Moment. So hoffte ich halb, hier irgend<br />
etwas zu sehen o<strong>der</strong> zu erleben das mir ein wenig Erleichterung verschafft . . . o<strong>der</strong> vielleicht sogar meine Potenz wie<strong>der</strong>zufinden!«<br />
Sie (sehr bewegt): »Oh! Sie elende Kreatur! Sie denken, Sie können Ihre Impotenz auf solche Weise überwinden? Indem Sie sich<br />
vollkommen gehen lassen? Nein, auf diese Art würden Sie nur gänzlich im Unglück versinken, o<strong>der</strong> in einer Falle, aus <strong>der</strong> Sie nie<br />
mehr herauskämen. Es gibt einen Grund für Ihre Impotenz, einen geistigen Grund! Sie müssen nach ihm suchen. Sonst sind Sie<br />
verloren!«<br />
Prostituierte (ihr reifer, sinnlicher Körper nur <strong>mit</strong> einem kurzen Hemd bekleidet, sie nähert sich unserem Tisch, drückt sich an mich<br />
und streichelt meinen Kopf auf mütterliche Art): »Was predigt sie dir? Bereitet sie deine Konfirmation vor? Hier ist eine Stimmung<br />
wie in <strong>der</strong> Kirche!«<br />
(Ich versuche ihr zu entkommen, aber sie setzt sich auf meine Knie und legt ihren nackten Arm um meinen Hals.)<br />
Teufel: »Mit deinem Mutterkomplex könntest du kaum jemand besseren finden. Ist sie nicht genau wie eine von Rubens Figuren?<br />
Versuch's doch <strong>mit</strong> ihr, sie ist sicher nicht krank, sie sieht zu appetitlich aus! Sie könnte dir sicher das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e beibringen!«<br />
Prostituierte (reich umarmend und küssend, flüstert mir ins Ohr): »Komm nach oben in mein warmes weiches Bett! Komm, mein<br />
Kleiner.«<br />
Sie (steht wütend auf): »Wenn das so ist, kann ich ja gehen!« (Geht hinaus.)<br />
Ich (mich losreißend und die sich sträubende Prostituierte beiseite schiebend, ich eile hinaus und erwische sie gerade noch im Gang.<br />
Ich halte sie fest): »Halt, Halt! Ich habe mich befreit. Komm <strong>mit</strong> mir. Wir wollen dieses höllische Loch verlassen.«<br />
(Ich zahle schnell, während sie ihren Mantel anzieht, dann verlassen wir den Ort.)<br />
Sie geht nicht auf die Straße hinaus, son<strong>der</strong>n verschwindet durch eine Tür im Gang. Edward folgt ihr und findet sich auf einer dunklen<br />
Treppe wie<strong>der</strong>, die nach unten in die Tiefe führt.<br />
Es ist das alte Motiv vom Heiland, <strong>der</strong> aus Nazareth kommt, dem verabscheuungswürdigsten Ort. Die Lösung ist genau dort, unter<br />
ihrem verhassten Gefängnis und seinen sinnlichsten und niedrigsten Phantasien. O<strong>der</strong> vielmehr ist <strong>der</strong> unvermeidliche Ausgangspunkt<br />
dort, <strong>der</strong> einzige Ort <strong>der</strong> zur Lösung führen kann. Aber die Treppe ist in den Felsen gehauen und tropft von Feuchtigkeit und Edward<br />
fürchtet sich immer mehr als er hinuntereilt und ihr stolpernd folgt. Schließlich hält er es nicht länger aus und ruft, sie solle anhalten<br />
und ihm sagen, wohin sie gehen. Sie bleibt einen Moment stehen, sieht ihn forschend an und eilt weiter.<br />
Mittlerweile wird seine Versuchung, umzukehren, fast unwi<strong>der</strong>stehlich und diese Zweifel werden vom Teufel geför<strong>der</strong>t. Aber <strong>der</strong> tiefe<br />
und gute Eindruck den sie auf ihn gemacht hat, besiegt seine Zweifel und er entschließt sich ihr um jeden Preis zu folgen. Schließlich<br />
macht sie einen kurzen Halt und lächelt ihn so ermutigend an, daß er sich beruhigt und gestärkt fühlt.<br />
Der Teufel ist verzweifelt und macht einen weiteren entschiedenen Versuch ihn zurückzuhalten. Tatsächlich erreicht er, daß Edward<br />
sich wie ein Narr vorkommt, die Wärme und den Komfort des Bordells zu verlassen, um in einem »nächtlichen Irrgarten« gefangen zu<br />
werden und er lässt es ihn als »seine Strafe« ansehen. Dennoch weigert er sich standhaft umzukehren und er läuft hinter ihr her, trotz<br />
des schrecklich brüllenden Wassers und <strong>der</strong> zunehmend kälter werdenden Luft. Als <strong>der</strong> Weg immer schwieriger wird, macht sie<br />
jedoch eine Pause und hilft ihm über die schlimmsten Stellen bis sie zu einem Boot kommen, auf dem ein verhüllter Bootsmann steht.<br />
Der Teufel versucht entschlossen ihn vom Einsteigen zurückzuhalten, indem er sagt das würde sein sicherer Tod sein und ihm zu<br />
bedenken gibt, was dann aus seiner Familie werden solle. (Edward ist verheiratet und hatte zu <strong>der</strong> Zeit zwei schulpflichtige Kin<strong>der</strong>.)<br />
Als er zögert spricht sie zum ersten Mal seit ihrem Abstieg zu ihm und sagt, er müsse nun zwischen dem Verrat an seinem besseren<br />
Selbst und dem Abenteuer <strong>mit</strong> ihr wählen. Wie Churchill verspricht sie ihm nichts als »Blut, Schweiß und Tränen«, denn dort, wohin<br />
sie gehen, gibt es keine Sicherheit, dennoch müsse er sich nun entscheiden. Still folgt er ihr und klettert unter großen Schwierigkeiten<br />
ins Boot. Der Bootsmann stößt ab und Edward ist einem Abenteuer <strong>mit</strong> unbekanntem Ausgang überlassen.<br />
Der ganze Abstieg und die Einschiffung sind so lebhaft geschil<strong>der</strong>t, daß man spürt wie vollkommen real das Erlebnis für ihn war und<br />
zudem einen Mut erfor<strong>der</strong>te, den Edward im äußeren Leben überhaupt nicht aufbrachte. Offensichtlich ist dies ein Wendepunkt in<br />
seinem Leben. Man fühlt, daß das Selbst wie Zeus, <strong>der</strong> Hauptgott <strong>der</strong> Olympier entschieden hat, daß es endlich an <strong>der</strong> Zeit sei,<br />
zugunsten eines arg geprüften menschlichen Wesens einzutreten. Genau wie in <strong>der</strong> Odyssee wird diese Angelegenheit begeistert von<br />
<strong>der</strong> Anima aufgegriffen. In Homers Epos ist die Anima die Göttin Pallas Athene, in unserer Phantasie ist sie die höhere Frauengestalt,<br />
die Edward im Bordell so sehr beeindruckt hat und die später die »Führerin« genannt wird. So wie Athene beschloss dem entmutigten<br />
jungen Telemachos »etwas mehr Geist« einzuflößen, so beschließt Edwards Anima auch ihm »ein bisschen mehr Geist« einzuflößen.