Wir kommen nun zum Dialog zwischen Hugo von St. .Viktor und seiner Seele (Kap., 5), ein vollkommener Gegensatz zur Erfahrung des Lebensmüden ist. Der Lebensmüde wurde völlig unerwartet von einer Figur des Unbewussten - dem Großen Mann – überfallen, während <strong>der</strong> <strong>mit</strong>telalterliche Dialog von Hugo selbst begonnen wurde. Der erste Text, <strong>der</strong> uns zeigt wie sich das Bewusstsein an einen solchen Überfall anpassen kann, ist wirklich ein Beispiel für eine vollkommen erfolgreiche Einigung zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten. Bei Hugo war die Einmischung des Unbewussten viel weniger dramatisch, wir können nur aufgrund <strong>der</strong> Antworten die ihm seine Seele auf seine ganz bewussten und beabsichtigten Einwände gibt, vermuten daß seine bewußte Planung seiner Anima nicht paßte. Als Repräsentantin des Unbewussten sah sie weiter in die Zukunft als Hugo und versuchte seinen Standpunkt zu erweitern und ihn zu veranlassen etwas von <strong>der</strong> dunklen Seite <strong>mit</strong> hineinzunehmen. Aber es war noch zu früh, sie konnte bei diesem Unternehmen nur wenig Erfolg haben, denn im 12. Jahrhun<strong>der</strong>t kämpfte ein Mann und beson<strong>der</strong>s ein Mönch legitimerweise darum den lichten Gegensatz zu entwickeln und sein zeitloses Unbewusstes zu überreden, mehrheitlich in diesem Rahmen zu bleiben, was Hugo sehr erfolgreich tut. Aber es gelingt <strong>der</strong> Anima, den Boden für eine spätere Annahme <strong>der</strong> beiden Gegensätze vorzubereiten, als sie Hugo dazu bringt zu sehen, daß ihr Haften an <strong>der</strong> dunklen Seite die Liebe ihres Bräutigams eher verstärkt als geschwächt hat. Es sind solche kleinen fast unsichtbaren Schritte, durch die das Unbewusste allmählich den Weg für völlig neue Umstände, nicht nur im Individuum, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Menschheit vorbereitet. Es gibt heute noch Menschen, <strong>der</strong>en Unbewusstes in das Dogma <strong>der</strong> Kirche o<strong>der</strong> in die Religion paßt, in <strong>der</strong> sie aufgewachsen sind und solche Leute sollten ermutigt werden darin zu bleiben. Aber wie uns <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Welt täglich lehrt, ist das für die große Mehrheit nicht mehr <strong>der</strong> Fall. Es ist nutzlos zu leugnen, daß wir <strong>mit</strong> einer Wasserflut aus dem Unbewussten konfrontiert werden, die nur im Bewusstsein sehr weniger Individuen einen Kanal findet. Diese wenigen haben erkannt, daß das Unbewusste jetzt breitere Kanäle for<strong>der</strong>t, die beide Gegensätze enthalten können und den dunklen, üblicherweise böse genannten Gegensatz nicht mehr ausschließen, wie es die alten Dogmen tun. Durch alles was sie von Jung gelernt hatte, gut ausgerüstet - und sie war dafür durch ihre früheren Studien über Spinoza offen -, versuchte Anna Marjula wirklich durch ihre aktive Imagination beide Gegensätze einzuschließen. Der erste Teil ist eine Vorbereitung auf das mehr sichtbare Spiel <strong>der</strong> Gegensätze, im zweiten Teil ihre Gespräche <strong>mit</strong> dem Großen Geist. Sie war fest von einem ganzheitlichen Gott überzeugt, <strong>der</strong> beide Gegensätze umfaßte und daß sie auch auch beide in ihrer aktiven Imagination einschließen mußte, bevor sie ihre Gespräche <strong>mit</strong> dem Großen Geist begann. In ihnen hatte sie sie bis zum ungewöhnlichen, aber höchst wünschenswerten Höhepunkt des Hieros Gamos durchgetragen. Sie wurde da<strong>mit</strong> belohnt, daß die Gegensätze sie nicht länger störten, weil sie sich gegenseitig relativiert hatten, daher erfreute sie sich eines ungewöhnlich heiteren Lebensabends. Anna hielt zuerst die Spannung <strong>der</strong> Gegensätze aus und erreichte dann die richtige Teilhabe, da<strong>mit</strong> sie sich in ihr vereinigen konnten. Ich muß erwähnen, daß sie bei <strong>der</strong> eigenen Analyse ihrer frühesten Bil<strong>der</strong>, die sie zwischen den Gesprächen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter und <strong>mit</strong> dem Großen Geist durchgeführt hatte, erfuhr wieweit die Gegensätze in ihr auseinan<strong>der</strong> fielen und daß es die fast unerträgliche Spannung zwischen ihnen war, die den Frieden untergrub, den sie nach ihren Gesprächen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Großen Mutter gefunden hatte. Das veranlaßte sie <strong>mit</strong> dem Großen Geist viel offener darüber zu sprechen. Dies führte zu dem wun<strong>der</strong>vollen Höhepunkt von dem die Große Mutter sagt: Heute werden sich in dir und jenseits von dir Männlicher Geist und Weibliche Liebe verheiraten. Persönlicher Verzicht ist dein Teil daran. Du kannst auf befriedigende Art an ihrer Vereinigung teilhaben, aber das ist nur möglich, wenn du zu einer rein teilnehmenden Erfahrung bereit bist. Bereite dich auf ihre Hochzeit vor. Anna Marjula erfüllt so die Bedingung, von <strong>der</strong> Jung sagte, sie wäre die einzige Möglichkeit einen Atomkrieg abzuwenden. Als ich ihm erzählte was sie tat, antwortete er, noch bevor er ihr Manuskript gesehen hatte: »Es zeigt, daß man nie über einen Fall verzweifeln sollte.« Es gab wie erwähnt eine Zeit, da Jung und ich fürchteten, sie würde sich nie von ihrem negativen Animus erholen. Mir scheint deshalb, daß Anna Marjulas Beispiel <strong>der</strong> aktiven Imagination eine beson<strong>der</strong>e Ermutigung für die Frauen <strong>mit</strong> ihren großen Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>mit</strong> ihrem Animus ist. In gewisser Hinsicht kann man solche kleinen individuellen Bemühungen nicht <strong>mit</strong> den Dogmen vergleichen, wie sie seit Generationen von den großen Religionen hervorgebracht wurden. Jedoch können Menschen, die den Religionen noch nahe stehen, durch solche individuellen Bemühungen sehen, daß sich die Dogmen entwickeln müssen, wenn sie lebendig bleiben und nicht tote Relikte <strong>der</strong> Vergangenheit werden sollen. Jung wies oft darauf hin, was für einen enormen Schritt in diese Richtung Papst Pius XII. machte, als er die Jungfrau in den Himmel erhob und so die Trinität in eine Quaternität, dieses uralte Symbol <strong>der</strong> Ganzheit, umzuwandeln begann. Wir können die große Wichtigkeit, die Jung <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Gegensätze beilegte, daran sehen daß er sein letztes großes Werk, »Mysterium Coniunctionis« ganz diesem Thema widmete. Er brauchte viele Jahre um dieses Buch zu schreiben, es war sein »Hauptgeschäft«, wie Goethe seinen Faust nannte. Ganz am Anfang nimmt er in einer Fußnote ein Zitat des bekannten Alchemisten Michael Maier aus dem frühen 17. Jahrhun<strong>der</strong>t auf, das mir immer als eine <strong>der</strong> besten Beschreibungen <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong>
Gegensätze aufgefallen ist. Die Natur, sage ich, machte als sie sich um den goldenen Kreis drehte, durch diese Bewegung seine vier Eigenschaften gleich, das heißt sie quadrierte diese homogene Einfachheit, die sich in sich selbst zurückdrehte und brachte sie in ein gleichseitiges Rechteck, in <strong>der</strong> Art, daß die Gegenteile zusammengebunden sind durch die Gegenteile und die Feinde durch die Feinde wie <strong>mit</strong> ewigen Fesseln und werden in gegenseitiger Umarmung gehalten. Wir sehen deutlich, wie unmöglich es für das Bewusstsein ist, die Gegensätze zu vereinigen, nur die Natur kann das tun, wenn die Menschen die richtige Teilhabe daran haben. Wir haben aus <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Großen Mutter gesehen, daß das Ich all seine egoistischen For<strong>der</strong>ungen aufgeben und <strong>der</strong> Natur völlig freie Handlassen muß. O<strong>der</strong>, um diese richtige Teilhabe in an<strong>der</strong>er Weise zu betrachten. Das Ich muß dieselbe Haltung wie <strong>der</strong> chinesische Regenmacher von Kiang Tschou einnehmen. Er sagte zu Richard Wilhelm, daß es nicht regnen könne, bis er sich selbst ins Tao zurückgebracht hätte, dann regnete es natürlich. Meiner Ansicht nach kann die Natur die »Gegenteile nur durch die Gegenteile zusammenbinden und die Feinde durch die Feinde wie <strong>mit</strong> ewigen Fesseln«, und sie in »gegenseitiger Umarmung« halten, wenn wir die richtige Haltung dazu o<strong>der</strong> die richtige Teilhabe daran erreichen.