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it was really - Mathias Kessler

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Oben links: Hafen<br />

von Ilulissat bei<br />

Nacht; oben rechts:<br />

Eisberg angestrahlt<br />

bei Nacht<br />

Above left: Ilulissat<br />

harbor at night;<br />

above right: Iceberg<br />

illuminated at night,<br />

Disko Bay<br />

Dieter Buchhart<br />

Das Erlebte<br />

als Daseinsbeweis<br />

im Ze<strong>it</strong>alter<br />

nach der Natur<br />

Schon lange sind die Zeichen eines sich wandelnden Klimas<br />

nicht zu überhören und zu übersehen. Die Polkappen<br />

schmelzen und die Gletscher in den Alpen haben längst begonnen<br />

zu verschwinden. Eine Springflut in Istanbul, Venedig<br />

unter Wasser, ein Tornado in Deutschland, jährlich schwere<br />

Überschwemmungen, Murenabgänge und Stürme bis hin zu<br />

Dächern, die unter der Schneelast zusammenbrechen, füllen<br />

die Schlagzeilen. Unser Weltklima scheint aus den Fugen<br />

geraten, die Reaktion der Hauptverursacher der Treibhausgase<br />

fällt jedoch nur zögerlich aus. Der Mensch wird trotz seiner<br />

Aneignung von dem, <strong>was</strong> unter Natur zumeist verstanden<br />

wird, an die Unbeherrschbarke<strong>it</strong> der Naturgewalten erinnert.<br />

Und dies, obwohl wir bere<strong>it</strong>s erfolgreich in den Verlauf des<br />

Wetters eingreifen und zumindest lokal Hagel abwehren können.<br />

Die US Armee sucht gar die Manipulation des Wetters als<br />

Kriegswaffe einzusetzen und m<strong>it</strong> Silbern<strong>it</strong>ratstaub Starkregen<br />

zu erzeugen oder m<strong>it</strong> Methanbomben in 17 Kilometern Höhe<br />

Dunkelhe<strong>it</strong> und Eiseskälte zu verursachen.<br />

Dieter Buchhart<br />

The Experienced<br />

as Proof of<br />

Existence in the<br />

Age after Nature<br />

For a long time now <strong>it</strong> has been impossible to ignore the<br />

evidence of climate change. The polar icecaps are melting and<br />

the alpine glaciers have long since started to disappear. Flash<br />

floods in Istanbul, Venice under water, a tornado in Germany,<br />

heavy annual flooding, mudslides, storms, and roofs collapsing<br />

under snow fill the headlines. The world’s climate seems derailed.<br />

But the reaction of those chiefly responsible for greenhouse<br />

gases is dilatory. Desp<strong>it</strong>e humankind’s appropriation<br />

of what is generally termed “nature,” we are constantly being<br />

reminded of the ungovernabil<strong>it</strong>y of <strong>it</strong>s forces. Nonetheless, we<br />

successfully intervene in the weather (for instance by warding<br />

off hail locally). The US Army, for example, endeavors to make a<br />

weapon out of <strong>it</strong>, using chemical dust to precip<strong>it</strong>ate torrential<br />

rain or methane bombs to cause darkness at an alt<strong>it</strong>ude of<br />

seventeen kilometers.<br />

Ever since the trans<strong>it</strong>ion from natural history to science,<br />

and w<strong>it</strong>h the growing demand for objectiv<strong>it</strong>y at the start of<br />

KUNSTRAUM DORNBIRN / MATHIAS KESSLER THE TASTE OF DISCOVERY<br />

Schon se<strong>it</strong> dem Übergang von der Naturgeschichte zur<br />

Naturwissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich<br />

m<strong>it</strong> dem zunehmenden Zwang zur Objektivierung das Verhältnis<br />

des Menschen zur Natur radikal verändert. Die ursprüngliche,<br />

unberührte Natur wurde auf Exped<strong>it</strong>ionen erkundet, von<br />

der menschlichen Kultur überformt und Teil unserer Umwelt.<br />

Natürlich Gewachsenes wurde und wird in der wissenschaftlichen<br />

Forschung zu im<strong>it</strong>ieren gesucht und schließlich auch reproduziert.<br />

Die Gentechnologie schafft in wenigen Tagen neue<br />

Organismen, deren Entstehung aus evolutionärer Sicht Millionen<br />

Jahre benötigt hätte. Natur erscheint heute zumindest<br />

grundsätzlich technisch reproduzierbar. Bere<strong>it</strong>s 1968 stellte<br />

Robert Sm<strong>it</strong>hson den Begriff Natur in Frage, indem er festhielt:<br />

„Natur ist nur eine we<strong>it</strong>ere Fiktion des 18. und 19. Jahrhunderts<br />

“. 1 Sm<strong>it</strong>hson entlarvt in dieser Aussage den Begriff der<br />

unberührten Natur als nicht einlösbar, da Natur erst durch<br />

die Rezeption des Menschen wahrgenommen und als solche<br />

bezeichnet wird, doch im selben Augenblick erschlossen ist,<br />

und som<strong>it</strong> jedes bekannte Stück Natur nicht mehr unberührt<br />

sein kann. Paradoxerweise wird heute jeder scheinbar unberührte<br />

Fleck Erde nach dessen Entdeckung zum touristischen<br />

Gemeinplatz ausgebeutet, um jenen, die die Ursprünglichke<strong>it</strong><br />

nicht nur suchen, sondern auch deren Existenz erwarten,<br />

die Vorstellung des Unberührten vorgaukeln zu können. Doch<br />

wie kann Natur, die von ihren Mikrostrukturen bis hin zu ihren<br />

Landschaftsformationen schon längst erforscht und als Teil<br />

unserer Umwelt eingemeindet wurde, m<strong>it</strong> dem Unbekannten,<br />

Unberührten in Verbindung gebracht werden? Wie kann Natur<br />

the nineteenth century, man’s relation to nature has undergone<br />

radical changes. Originally untouched nature has been<br />

explored by exped<strong>it</strong>ions, infiltrated by human culture, and<br />

incorporated into our environment. Scientific research strove,<br />

and still does, to im<strong>it</strong>ate and to reproduce natural growths. In<br />

a matter of days, genetic engineering creates new organisms<br />

that would require millions of years to evolve naturally. Nature<br />

today is, at least in principle, technologically reproducible.<br />

As early as 1968, Robert Sm<strong>it</strong>hson called the concept of<br />

nature into question: “‘Nature’ is simply another 18th- and<br />

19th- century fiction.” 1 Here, Sm<strong>it</strong>hson exposes the concept of<br />

“untouched” nature as untenable, for nature is always already<br />

perceived and described by a human observer, so that no<br />

known part of nature can be said to be untouched. Paradoxically,<br />

every “untouched” spot on Earth today, once <strong>it</strong> has been<br />

discovered, is turned into a touristic romping ground to lead<br />

those who not only seek but expect the pristine to believe that<br />

untouched nature exists. But what connection can there be<br />

between nature—which has long since been explored and integrated<br />

into our environment, from microstructures to entire<br />

landscape formations—and the unknown and untouched?<br />

How can nature be defined distinct from the idea we have of <strong>it</strong><br />

and from the discipline by which we view <strong>it</strong>? Only as an illusion,<br />

the belief in an idea. But the growing number of catastrophes<br />

that are taking place shows that the question of what nature<br />

is, <strong>was</strong>, and can be is becoming a question of survival. For<br />

nature is not just reproducible, <strong>it</strong> is also self-creating.<br />

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