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it was really - Mathias Kessler

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efassen? Es gelang mir nicht, die Exped<strong>it</strong>ion angemessen zu durchdenken, m<strong>it</strong> der angemessenen<br />

Muße, sondern ich kam nur so we<strong>it</strong> zu verstehen, dass die Exped<strong>it</strong>ion hätte durchdacht sein müssen.<br />

Ich überstürzte sie. Wenn man im Trans<strong>it</strong> ist, ist es zu spät. Im Grunde war es uns egal. Doch es hätte<br />

uns nicht egal sein dürfen, dieser Meinung bin ich jetzt, wir haben uns zu wenig um alles gekümmert.<br />

Wir sahen einander an, blieben in unseren Polyfill-Jacken stehen, den Rucksack auf dem<br />

Rücken, allein auf dem kahlen Hügel, nichts als den Klang des Nylons im Ohr. Wenn ich ganz still<br />

stand, ließ der Nylon-Lärm nach, und ich konnte das allumfassende, unerb<strong>it</strong>tliche Strömen des Wassers<br />

rings um mich hören, das weiße Rauschen Norwegens. Einen Bahnsteig gab es nicht, nur abgewetzte<br />

grüne Holzle<strong>it</strong>ern, die von den Schaffnern im Tandem vor die Zugtüren gestellt und dann sofort<br />

wieder eingezogen und in den jeweiligen Waggons verstaut wurden, bevor der Zug we<strong>it</strong>erfuhr, die<br />

abfallende Kammlinie hinunter, und die schrumpfenden Schaffner winkten, als würde es sie immer<br />

wieder amüsieren, wenn ein Mann den warmen Zug verließ, um in die Kälte und Dunkelhe<strong>it</strong> zu<br />

gehen. Man hörte den Zug beim Abfahren kaum. Der Blick zwischen mir und Oswalk war herzlich,<br />

aber unwillkommen. Wir machten uns schweigend auf den Weg, zuerst einen sanften Anstieg hinauf,<br />

dann geradewegs den Berg hinunter.<br />

Bei der Ankunft in Flåm kamen wir ganz selbstverständlich überein, uns vor der abendlichen<br />

Schiffsreise m<strong>it</strong> Vorräten einzudecken. Ich kaufte ein Stück süßen braunen Ziegenkäse und eine kalte<br />

Flasche Rosé, die ich beide m<strong>it</strong> Oswalk zu teilen hoffte. Oswalk kaufte Brot und eine große Dose<br />

Bier und wartete vor dem Laden auf mich. Ich sah ihn durch das Schaufenster hinter der Kasse, wie<br />

er seine schlaffe Plastiktüte hielt und eine Zigarette rauchte. Er wirkte wachsam und entspannt zu-<br />

gleich. Ein echter Profi, dachte ich. Seine Größe, der dichte Bart, der kahle Schädel, alles fügte sich<br />

schön zusammen. Oswalk wäre mein Mann, ich musste ihn nur fragen.<br />

Wir gingen an Bord der großen Touristenfähre. Als wir sicher abgelegt hatten, merkte ich, dass<br />

die Nachwirkung der Wanderung Oswalks Zunge gelöst hatte. Ich ermutigte ihn, indem ich ihm Rosé<br />

und ein Stück Käse anbot. Dankbar nahm er einen tiefen Schluck Wein, zwischen dem Bier, doch<br />

über den Käse aus der Region rümpfte er nur die Nase. Später, in Tórshavn, begriff ich, dass Oswalk<br />

im Einvernehmen m<strong>it</strong> einem bestimmten Stamm seiner Landsleute einen generellen Widerwillen<br />

gegen jedwede skandinavische Festlandkultur hegte. Dieser schloss auch den Käse ein. Tatsächlich fand<br />

ich den Käse auch grauenhaft, und als ich ihn ein paar Tage später in Tórshavn in einer Se<strong>it</strong>entasche<br />

meines Rucksacks wieder fand, warf ich den schweren Rest in eine umfunktionierte 220-L<strong>it</strong>er-<br />

Öltonne. Wollte ich es Oswalk recht machen?, fragte ich mich damals. Es war nicht meine Art, absolut<br />

genießbare Lebensm<strong>it</strong>tel leichtfertig wegzuwerfen, erst recht nicht m<strong>it</strong>ten in einer Exped<strong>it</strong>ion. Doch<br />

während ich schon überlegte, ob ich umkehren sollte, um den Käse, der in Plastik eingepackt war, aus<br />

der Mülltonne zu retten, wurde ich von Oswalk und seine früheren Schulkameraden m<strong>it</strong> plötzlicher<br />

Dringlichke<strong>it</strong> gerufen.<br />

Nach der halben Flasche Rosé redete Oswalk immer noch nicht, auch wenn es klar war, dass<br />

er bere<strong>it</strong> war. Ich sprach zuerst.<br />

Oswalk, ich werde deine Hilfe brauchen.<br />

Ja, natürlich, sagte er in dem Tonfall, der, meiner Erfahrung nach, für ihn so typisch war.<br />

Ich weiß nichts von Schiffen und Maschinen, Oswalk, nichts von der arktischen Region.<br />

Nichts außer dem, <strong>was</strong> ich in Büchern gelesen habe. Wärst du bere<strong>it</strong>, mir zu helfen?<br />

Du kannst deine Hand nicht von dem Loch in deinem Arsch unterschieden, das weiß ich.<br />

Oswalk, kannst du mir helfen? Eine Woche Anreise, drei Wochen auf dem Schiff. Insgesamt<br />

ein Monat. Ich brauche mehr als deine Karten. Du musst m<strong>it</strong> mir kommen und an der<br />

Exped<strong>it</strong>ion teilnehmen. Ich will dich m<strong>it</strong> im Boot haben, sagte ich ihm zuliebe, auch<br />

wenn ich mir der Unangemessenhe<strong>it</strong> des Ausdrucks zutiefst bewusst war und wusste,<br />

dass ich meiner Sache schadete, indem ich ihn benutzte.<br />

Du bezahlst mich dafür.<br />

Ja, natürlich. Ich habe das Geld aufgetrieben.<br />

Bezahlst du jetzt?<br />

Ich zahle am Donnerstag, wenn wir Grönland erreicht haben, per elektronischem Geldtransfer<br />

zwischen unseren Banken.<br />

Du zahlst am Donnerstag. Ich helfe dir am Donnerstag, wenn wir Grönland erreicht haben<br />

und der Transfer passiert ist.<br />

Danke, Oswalk. Das reicht mir.<br />

KUNSTRAUM DORNBIRN / MATHIAS KESSLER THE TASTE OF DISCOVERY<br />

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