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it was really - Mathias Kessler

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Polar Exped<strong>it</strong>ions Today?<br />

One gets rather bored of people<br />

trudging to the Pole. It’s been<br />

done… Just to try and emulate<br />

these guys is impossible. I find<br />

<strong>it</strong> rather diminishes these landscapes<br />

and the history when <strong>it</strong><br />

becomes a well-trodden trail,<br />

rather like Everest. It has no<br />

relationship to the ‘twenties<br />

and exped<strong>it</strong>ions. It trivializes <strong>it</strong><br />

and <strong>it</strong> shows disrespect to the<br />

landscape.<br />

<strong>was</strong> sie gesehen hatten, kein Land war. 5 „Wir kamen damals zu dem Urteil<br />

und tun es noch heute, dass es sich um eine Luftspiegelung oder eine Auftürmung<br />

von Eis im Meer handelte.“ Crocker Land war eine Fata Morgana,<br />

eine optische Erscheinung, verursacht durch unterschiedliche Lufttemperaturen.<br />

An kalten Tagen kann oberhalb ausgedehnter Eisschichten eine<br />

Luftspiegelung auftreten, wenn das Licht durch verschiedene Temperaturverläufe<br />

einfällt und dabei ein Bild von einem Land heraufbeschwört, das<br />

sich verformt, erwe<strong>it</strong>ert und zusammenzieht – ein Land, das sonst jense<strong>it</strong>s<br />

des Horizonts verborgen liegen oder gar nicht vorhanden sein mag. In der<br />

Arthussage lockt die Fata Morgana Menschen in den Tod.<br />

Ein paar Tage später erschoss Green Piugattoq bei einem Stre<strong>it</strong> über das<br />

Hundegespann und möglicherweise über Piugattoqs Frau. Zurück in Etah,<br />

verheimlichte MacMillan trotz seiner großen Achtung gegenüber Piugattoq<br />

den Mord vor den Inu<strong>it</strong>.<br />

Die Suche nach Crocker Land ist vermutlich der Zwangsläufigke<strong>it</strong><br />

Namen eine Bedeutung zuweisen zu wollen, zuzuschrieben - letztendlich<br />

hat sich diese als hirngespinst herausgestellt. Eine nervenaufreibende<br />

Übung im Auflösen des vermeintlichen letzten Rätsels, für das es aber am<br />

Ende gar keine Lösung geben konnte. Jahrelange Anstrengungen, haufenweise<br />

Geld und etliche Leben – alles aufgewendet für die allmähliche<br />

Entdeckung, dass es nichts zu entdecken gab. In dieser Hinsicht unterschied<br />

diese Exped<strong>it</strong>ion sich nicht von ihren „erfolgreichen“ Pendants; sie mündete<br />

in derselben Täuschung eines Fremden, der die Visionen eines anderen<br />

zu verfolgen trachtet.<br />

Durch eine we<strong>it</strong>ere Lichtbrechung aber hatten MacMillans Mannen<br />

alles in allem doch ihr Ziel erreicht. Denn schließlich sahen sie ja Crocker<br />

Land. Funkelnd, jauchzend, schrecklich und wundervoll – gefangen in dem<br />

Sinnestaumel zwischen glüclicher Entdeckung und trügerischer Täuschung<br />

(den beiden Begle<strong>it</strong>erscheinungen vielleicht jeder gipfelstürmerischen<br />

und Menschen vernichtenden Exped<strong>it</strong>ion). MacMillan bekam die gleiche<br />

Luftspiegelung zu fassen, die Peary gesehen (oder vorgetäuscht) hatte –<br />

und er sah sie vom selben Standort im arktischen Niemandsland aus.<br />

Fata accompli.<br />

Die Crocker-Land-Exped<strong>it</strong>ion war kein Fehlschlag. Die Frage, von der<br />

sie ausgelöst worden war, wurde beantwortet. Gab es ein großes Stück in<br />

keiner Karte verzeichnetes Land im Polarmeer, wo Peary es gesehen hatte?<br />

Nein. Dam<strong>it</strong> wich die Monomanie einem zugleich we<strong>it</strong>ergespannten und<br />

örtlicheren Unterfangen, bei dem eine weniger an vorgefasste Vorstellungen<br />

gebundene Forschung Boden unter den Füßen gewinnen konnte. 6 Durch<br />

das Eis von der Außenwelt abgeschn<strong>it</strong>ten, grub sich MacMillans Truppe vier<br />

Winter lang in Etah ein und trug dort eine beträchtliche Menge an mete-<br />

rologischen, zoologischen, botanischen, geografischen, geologischen und<br />

ethnografischen Aufzeichnungen zusammen. Ein 3000 Einträge umfassendes<br />

Inu<strong>it</strong>-Wörterbuch, 5500 Fotos und gut 3000 Meter Filmmaterial – ein<br />

Archiv, das, wenn auch sehr partiell, verzeichnet, <strong>was</strong> dort war: die Inu<strong>it</strong> von<br />

Kalaal<strong>it</strong> Nunaat. Ihre ätherischen, realen Gesichter ragen vor der Horizontlinie<br />

der Fotos auf, m<strong>it</strong>unter spöttisch, m<strong>it</strong>unter lächelnd, wettergegerbt<br />

oder sanft. In manchen davon blicken sie fest in die Kamera, so als fragten sie<br />

einen gerade Ankommenden: Wer bist du? Was glaubst du, wo du bist?<br />

— Deutsch von Stefan Barmann, Köln<br />

KUNSTRAUM DORNBIRN / MATHIAS KESSLER THE TASTE OF DISCOVERY<br />

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