Laurence A. Rickels Vom Trauern um unsere Haustiere Pet Grief
1 Als <strong>Diana</strong> <strong>Thater</strong> das dokumentarische Innere ihrer Videoinstallationskunst für gefährdete Tiere öffnete, wurde es notwendig, das Animalische ihrer Arbeiten von einer gewissen anti-ödipalen Rezeption, welche sich in der Kunstwissenschaft der 1990er Jahre ausgebreitet hatte, zurückzufordern. „Becoming animal“ war lediglich eine weitere Variante, die Verantwortung gegenüber dem anderen, die charakteristisch ist für die Trauer, zu vermeiden, ja zu negieren: Man beschließt, ein exotisches wildes Tier zu sein anstatt das wilde Nachleben der Trauer anzuerkennen, das auf dem Fuße folgt. Durch die Tiere, die den ersten Kontakt mit uns einleiteten, entstand die zuvor vermisste Brücke: als eine Verbindung mit jenen, die wir vermissten. Da die Tiere, die diesen Austausch eröffneten, freilich nicht als Lehrer erkannt, sondern als Freiwild missverstanden wurden, kann Freuds Legende des Urvaters artenübergreifend aus dem Konsumismus des falschen Objektes hergeleitet werden – ein Konsumismus, der nicht durch Rache, sondern durch widersprüchliche Botschaften motiviert ist. In ihrem Artikel „I Wanna Be Your Dog“, der ihre Videoinstallation China begleitete, spekulierte <strong>Thater</strong>, dass „einige Wölfe, als sie sahen, dass die Struktur der menschlichen Gesellschaft der ihrer eigenen so sehr entsprach, sich den Menschen anschlossen“1. Doch nehmen wir an, die ersten Beitrittstiere wurden getötet und gegessen – und erst dann verschont, als die Botschaft endlich empfangen wurde. Das Tier leben zu lassen, ist das gefühlsgeladene und trauervolle Moment in unserer Entscheidung, gewisse Tiere in unserer Nähe zu halten. Wie Walter Benjamin in seinem Buch Ursprung des deutschen Trauerspiels hervorhob (und wie Kafka in „Forschungen eines Hundes“ demonstrierte), ist der Hund das allegorische Maskottchen der Melancholie: Ist er wütend, scheint er eine schwer zügelbare, bipolare Lykanthropie zu verkörpern; in zahmem Zustand sind sein Kratzen und Schnüffeln Ausdruck eines permanenten Grübelns.2 Der Hund wartet und schaut zu – und liest unsere nonverbale Kommunikation. Eine der jüngsten Theorien zum Ursprung des Hundes postuliert eine plötzliche Mutation, die neues genetisches Material für das Lesen menschlicher Kommunikation – nennen wir es Dressierbarkeit – in einigen Wölfen installierte, sozusagen den ersten Exemplaren einer neuen Spezies. Selbst wenn der Mensch dem Hund keinen Befehl erteilt, wird dieser versuchen, einen bestimmten Moment als stimulierenden Auslöser für seine Reaktion zu markieren. Wenn man sich zum Beispiel während eines Spaziergangs umdreht, einige Schritte rückwärts macht und in die Hände klatscht, um seinen vierbeinigen Gefährten zur Eile zu ermuntern, kann es passieren, dass der Hund diese Laurence A. Rickels 64 65 1 When <strong>Diana</strong> <strong>Thater</strong> opened up the documentary interior of her video installation art to wildlife species on location with their endangerment, it became necessary to reclaim the animal sense of her work from a certain anti-Oedipal reception that in the 1990s was cite-specific to art schools. “Becoming animal” was just one more way to avoid and void the responsibility to the other specific to mourning: choose to be some exotic wild animal rather than acknowledge the wild afterlife of grief following at your heels. Our missing link was forged as link with the missing by the animals that initiated first contact with us. Since the animals opening the exchange were inevitably not recognized as teachers but were mistaken as voluntary quarry, Freud’s primal father legend can be seen to emerge interspecially out of the consumerism of the wrong object guided not by revenge but by mixed messages. <strong>Thater</strong> speculated in “I Wanna Be Your Dog”, the article that accompanied her video installation China, that “some wolves, seeing that the structure of human society so matched their own, joined men”.1 But let’s suppose the first joiners were killed and eaten and, only once the message was finally received, spared. Letting the animal live is the emotive and mournful moment in our decision to keep certain animals close to us. As Walter Benjamin underscored in Origin of the German Mourning Play (and as Kafka demonstrated in “Investigations of a Dog”) the dog is the allegorical mascot of melancholia: when rabid he stalks the wild side of bipolar lycanthropy; when tame he occupies the scratch- and-sniff sidelines of interminable brooding.2 The dog waits and watches – and reads our nonverbal communication. One of the newer theories of the dog’s origin postulates a sudden mutation that installed new genetic material for reading human communication – let’s call it trainability – in just a few wolves, the “Eves” of a new species. Even when no commands are forthcoming from her human the dog will try to mark some passing moment as the stimulus of her response. If while out on a walk you turn around and, moving backwards, start clapping to encourage your canine companion to hurry up, then you may find this spontaneous act re-inscribed as the dog’s recognition
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Diana Thater gorillagorillagorilla
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Kuratoren Adam Budak, Peter Pakesch
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78 Jason Smith Das Tier loslassen (
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Diana Thater, Untitled Videowall, 2
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Anmerkungen 1 Julia Voss: Darwins B
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The comfort lavished by animals …
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Autoren Authors Bergit Arends ist s
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