Frans B. M. de Waal Leugnen wir das Menschliche im Tier? Are We in Anthropodenial?
Besucher des Yerkes Regional Primate Research Centers in Georgia, wo ich arbeite, machen auf ihrem Rundgang üblicherweise auch bei den Schimpansen Halt. Oft geschieht es dann, dass unsere erwachsene Schimpansin Georgia, wenn sie die Besucher näher kommen sieht, zum Wasserhahn eilt, um einen Mundvoll Wasser zu sammeln. Anschließend gesellt sie sich wie beiläufig zum Rest der Kolonie hinter dem Maschendrahtzaun. Nicht einmal der aufmerksamste Beobachter würde etwas Ungewöhnliches bemerken. Falls notwendig, wartet Georgia nun minutenlang mit geschlossenen Lippen, bis die Besucher endlich in der Nähe sind. Wenn sie diese dann plötzlich mit einem Strahl Wasser besprüht, kommt es zu einem Lachen, Schreien, Stolpern und Springen. Mir sind während meiner Arbeit zahlreiche Affen begegnet, die gut darin sind, Leute zu überraschen. Der große Schweizer Zoologe Heini Hediger berichtet, wie er von einem erfahrenen Schimpansen mit Wasser bespritzt wurde, obgleich er sich der Herausforderung mit Bedacht gestellt und jede Bewegung, jeden Schritt des Affen konzentriert verfolgt hatte. In einer ähnlichen Situation befand ich mich einmal mit Georgia; sie hatte vom Wasserhahn getrunken und war nun dabei, sich an mich heranzuschleichen. Ich schaute ihr direkt in die Augen, deutete mit ausgestrecktem Finger auf sie und gab ihr zu verstehen: Ich warne dich, ich habe dich gesehen! Sofort machte sie einige Schritte zurück, ließ ein bisschen Wasser aus ihrem Mund tröpfeln und schluckte den Rest hinunter. Es ist gewiss nicht mein Anliegen zu behaupten, dass sie Holländisch verstehe, doch sie musste geahnt haben, dass ich ihre Pläne durchschaut hatte und somit kein leichtes Ziel darstellen würde. Selbst flüchtige Leser werden zweifellos bemerkt haben, dass ich in meiner Beschreibung von Georgias Handlungen menschliche Eigen schaften impliziert habe: Absichten und Ziele, die Fähigkeit, mein Wissen zu interpretieren, sowie eine Tendenz zum Unfug. Die wissenschaftliche Tradition besagt jedoch, dass ich ein solches Sprach register zu vermeiden habe, um nicht die Sünde des Anthropomorphismus zu begehen und nicht-menschliche Wesen zu Menschen zu machen. Der Begriff Anthropomorphismus stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „menschliche Form“, und die antiken Griechen waren es auch, die dieser Praxis erstmals zu einer schlechten Reputation verhalfen. Sie hatten keine Schimpansen im Sinn: Der vorsokratische Philosoph Xenophanes erhob Einwände gegen Homers Dichtkunst, weil sie Zeus und die anderen Götter behandelte, als seien sie Menschen. Wie können wir so arrogant sein, fragte Xenophanes, und annehmen, dass die Götter aussehen wie wir? Wenn Pferde zeichnen könnten, fügte Frans B. M. de Waal 54 55 When guests arrive at the Yerkes Regional Primate Research Center in Georgia, where I work, they usually pay a visit to the chimpanzees. And often, when she sees them approaching the compound, an adult female chimpanzee named Georgia will hurry to the spigot to collect a mouthful of water. She’ll then casu ally mingle with the rest of the colony behind the mesh fence, and not even the sharpest observer will notice anything unusual. If necessary, Georgia will wait minutes, with her lips closed, until the visitors come near. Then there will be shrieks, laughs, jumps – and sometimes falls – when she suddenly sprays them. I have known quite a few apes that are good at surprising people, naive and otherwise. Heini Hediger, the great Swiss zoo biologist, recounts how he – being prepared to meet the challenge and paying attention to the ape’s every move – got drenched by an experienced chimpanzee. I once found myself in a similar situation with Georgia; she had taken a drink from the spigot and was sneaking up to me. I looked her straight in the eye and pointed my finger at her, warning in Dutch, I have seen you! She immediately stepped back, let some of the water dribble from her mouth, and swallowed the rest. I certainly do not wish to claim that she understands Dutch, but she must have sensed that I knew what she was up to, and that I was not going to be an easy target. Now, no doubt even a casual reader will have noticed that in describing Georgia’s actions, I’ve implied human qualities such as intentions, the ability to interpret my own awareness, and a tendency toward mischief. Yet scientific tradition says I should avoid such language – I am committing the sin of anthropomorphism, of turning non-humans into humans. The word comes from the Greek, meaning human form, and it was the ancient Greeks who first gave the practice a bad reputation. They did not have chimpanzees in mind: the philosopher Xenophanes objected to Homer’s poetry because it treated Zeus and the other gods as if they were people. How could we be so arrogant, Xenophanes asked, as to think that the gods should look like us? If horses
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Biografie Bibliografie Diana Thater
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1997 Cameron, Dan. Glocal Warming.
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Autoren Authors Bergit Arends ist s
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